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11.06.2017Matthäus 18,21-35

Eröffnung und Gebet um Gottes Führung

Guten Abend, danke an euch Musiker. Ich möchte mit uns beten, bevor wir anfangen.

Ja, Vater, so groß ist Deine Gnade zu uns, so groß ist Deine Vergebung. Herr, ich bete, dass Du uns hilfst, während wir über Vergebung nachdenken – über das, was Du zuerst für uns getan hast, Herr.

Möge dies wirklich die Motivation für unsere Vergebung sein. Bitte segne diese Zeit, in der wir in Dein Wort schauen. Sprich zu uns und hilf uns, auf Deine Stimme zu hören.

In Jesu Namen, Amen.

Die Herausforderung der wiederholten Verletzung und Vergebung

Jemand verletzt dich eines Tages wirklich tief. Er oder sie erkennt das und bittet dich um Vergebung. Du bist noch sehr sauer, und der Schmerz ist noch nicht verschwunden. Aber was ist das Richtige zu tun? Also vergibst du ihm oder ihr.

Kurze Zeit später enttäuscht dich diese Person erneut. Wieder bittet sie um Vergebung. Mit allerletzter Kraft und nur ungern vergibst du. Doch dann verletzt dich diese Person erneut. Wer würde dieser Person wohl bereitwillig vergeben, wenn sie noch einmal um Vergebung bittet? Und dann noch einmal, und noch einmal.

Irgendwann reicht es. Da ist die Grenze überschritten. Du denkst: Vergiss es. Kennst du so etwas? Hast du das schon einmal erlebt? Wie kann man weiterhin einer solchen Person vergeben? Welche Motivation habe ich dazu, wenn diese Person immer wieder Fehler macht?

Anscheinend hat auch Petrus Ähnliches erlebt. In der Stelle, die wir gelesen haben, gibt es kurz davor eine andere Passage. Dort spricht Jesus darüber, wie seine Jünger sich in der Gemeinde mit jemandem versöhnen müssen, der sich gegen sie versündigt hat.

Petrus tritt dann hervor. Er will etwas erklären. Was passiert, wenn jemand sich ständig an ihm versündigt? Vielleicht denkt Petrus wirklich an eine konkrete Person, mit der er öfter Probleme hat. Und vielleicht fällt es ihm sehr schwer, sich mit dieser Person zu versöhnen.

Jesus hat gerade in der Stelle vor unserer Passage gelehrt, dass Versöhnung immer angestrebt werden soll. Petrus fragt sich vielleicht: Wirklich immer? Auch wenn die Person ständig Fehler macht?

So fragt er Jesus: Wie oft muss ich meinem Bruder vergeben? Reicht es sieben Mal? Sieben Mal ist doch schon großzügig genug, oder? Jesus schockiert ihn mit der Antwort: Siebzig mal sieben Mal. Anders gesagt: Du musst ihm sehr oft vergeben.

Petrus denkt: Was? Wieso? Jesus erzählt daraufhin eine Geschichte, um zu zeigen, was die Motivation dahinter sein soll.

Das Gleichnis vom unbarmherzigen Knecht: Die große Schuld

In den Versen 23 bis 25 sehen wir, dass es einen König gibt. Eines Tages will dieser König die Bücher prüfen und sehen, ob alle ausstehenden Schulden bezahlt wurden. Die Buchhalter schauen alle Rechnungen durch. Zuerst sieht alles gut aus, alles scheint in Ordnung zu sein. Doch plötzlich entdecken sie, dass noch etwas offen ist.

Diese offene Summe ist sehr groß – eine riesige Summe. Zehntausend Zehnten Silber sind noch nicht bezahlt. Umgerechnet entspricht das mehreren Milliarden Euro. Die Buchhalter fragen sich, wie sie das übersehen konnten. Wer sind diese Menschen, die so viel Geld schulden? Sie finden heraus, dass die ganze Summe auf einen einzigen Knecht zurückzuführen ist.

Man bringt diesen Knecht vor den König. Er steht sprachlos da, denn natürlich kann er diese enorme Summe nicht zurückzahlen. Die Schuld ist viel zu groß. Er müsste sich selbst, seine Familie und seinen gesamten Besitz verkaufen, um nur einen Teil der Schuld zu begleichen. In der damaligen Zeit bedeutete das, Sklave zu werden. Dieser Mensch befindet sich in einer verzweifelten Lage.

Doch das Gleichnis ist nicht nur eine spannende Geschichte. Es weist auf eine allgemeine Realität hin. Jeder Mensch in diesem Raum ist von Natur aus genauso wie dieser Knecht. Jeder trägt gegenüber Gott eine riesige Schuld, die unbezahlbar ist. Man kann sein Leben lang versuchen, diese Schuld abzuarbeiten, doch das wird nichts nützen. Die Schuld ist einfach zu groß.

Vielleicht denkst du gerade: „Ach, so schlimm ist es doch nicht. Ich bin zwar nicht perfekt, aber ich führe ein gutes Leben. Ich bin freundlich zu anderen, ich spende, und ich sitze hier im Gottesdienst. Natürlich habe ich Fehler, aber so eine große Schuld habe ich nicht.“ Wenn du so denkst, muss ich dich enttäuschen.

Gott sieht alles. Er erkennt deine Gedanken und Motive, jedes unpassende Wort, das du jemals gesprochen hast. Vielleicht hast du niemanden getötet und bist deinem Partner treu. Aber hast du immer andere Menschen höher geachtet als dich selbst? Hast du nie eigennützig gehandelt? Hast du Gott mit ganzem Herzen, mit ganzem Gemüt und mit aller Kraft geliebt? War er zu jeder Zeit die Priorität in deinem Leben? Hast du dich ihm in allen Dingen untergeordnet?

Im 1. Korinther 10,31 steht, dass wir alles zu Gottes Ehre tun sollen – selbst unser Trinken und Essen. Können wir ehrlich von uns selbst behaupten, dass wir das immer getan haben? Dabei geht es nicht nur um Dinge, die wir getan haben, obwohl wir sie nicht hätten tun sollen. Sünde ist auch das, was wir nicht getan haben, obwohl wir es hätten tun sollen. Und ich glaube, diese Schuld ist noch größer.

Seien wir ehrlich: Keiner von uns hat alles richtig gemacht. Und das sind nur die Dinge, die wir erkennen. Wie viel mehr liegt verborgen in unserem Herzen, von dem wir nicht einmal wissen, dass wir es getan oder nicht getan haben? Ich staune immer wieder über die verborgenen Dinge in meinem Herzen, die irgendwann ans Licht kommen. Dann denke ich: „Das war wirklich da drin?“

Ein Prediger hat einmal gesagt: „Du bist schlechter, als du denkst.“ Ich spreche hier besonders zu denen, die von sich behaupten, bei ihnen passe alles. Wenn ich dich bisher nicht überzeugt habe, dann hoffentlich Folgendes:

Gottes Wort sagt in Jakobus 2,10: „Wenn wir nur in einem Punkt des ganzen Gesetzes Gottes fehlen, sind wir des ganzen Gesetzes schuldig.“ Mit anderen Worten: Entweder bekommst du hundert Prozent oder null. Warum sage ich das? Damit wir erkennen, dass wir genauso wie dieser Knecht sind. Wir stehen von Natur aus mittellos vor Gott. Es bleibt nichts übrig, als dass wir diese Schuld mit unserem eigenen Leben bezahlen müssten.

Der Sünder soll, wenn er stirbt, eine Ewigkeit in Verdammnis verbringen. Ihr Lieben, das ist unser natürlicher Zustand vor Gott, dem König der Welt. Das ist dein Zustand von Natur aus, das ist mein Zustand von Natur aus. Wir sind von Natur aus in einer verzweifelten Lage, mit einer riesigen offenen Rechnung, die wir nie begleichen können.

Die Bitte um Geduld und die Barmherzigkeit des Königs

Zurück zu unserer Geschichte: Der Knecht erkennt seine Lage. In Vers 26 bittet er um Zeit und Geduld. Er behauptet, er könne die Schuld noch bezahlen, und fleht seinen Herrn an, das Urteil nicht sofort zu vollstrecken.

Der König ist jedoch nicht naiv. Er weiß, dass der Knecht es nicht schaffen wird, diese Schuld zurückzubezahlen – egal, wie viel Zeit er bekommt. Der einzige Weg, den Knecht zu verschonen, ist, dass der König selbst die Kosten trägt. Er müsste die ganze Schuld übernehmen. Würde er das wirklich tun? Milliarden Schulden einfach so erlassen – was für ein Verlust wäre das? Das würde kein Mensch tun, oder?

Ich meine, versuche mal, diese Woche in deiner Firma ein paar tausend Euro zu verspielen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass du nächste Woche ohne Job dastehst. Was würde einen Menschen dazu treiben, so eine riesige Schuld zu erlassen?

In Vers 27 lesen wir wunderbare Worte: Der Herr hatte Erbarmen. Ich mag, wie die Elberfelder Bibel das beschreibt: Er wurde innerlich bewegt. Ich erinnere mich an meinen kleinen Bruder, als er ein Baby war. Einmal hatte er Fieber, und ich erinnere mich, wie sehr er mir leidgetan hat. Er litt wirklich unter dem Schmerz als Baby.

Vielleicht kennt ihr das, besonders die Eltern unter uns. Man wird einfach innerlich bewegt. Das fühlt ihr, wenn ihr Eltern seid und ein Kind sich verletzt hat und wegen seiner Schmerzen schluchzt. Oder wenn du ein verhungertes Baby im Fernsehen siehst, das nicht einmal die Kraft hat zu weinen. Oder wenn ein kleines Kind weint, weil es verlassen wurde und ganz allein auf dieser Erde ist.

So wurde auch der König innerlich bewegt. Und das nicht für ein hilfloses, armes Kind, sondern für einen Mann, der durchaus schuldig war. Er ließ ihn frei und erließ ihm die ganze Schuld, wie es im Vers 27 steht. Was für ein barmherziger König! Er übernimmt die Milliardenschuld eines Knechts, der es wirklich verbockt hat. Das ist wirklich krass.

Die Schuld ist riesig, aber die Gnade des Königs ist noch größer. Genau so handelt Gott mit sündigen Menschen wie dir und mir. Wenn wir unsere Not erkennen und ihn um Vergebung bitten, erlässt er unsere Schuld. Wenn wir uns vor ihm demütigen, richtet er uns wieder auf.

 Psalm 103 enthält diese schönen Worte, die viele von euch wahrscheinlich kennen: Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte. Er wird nicht für immer hadern noch ewig zornig bleiben. Er handelt nicht mit uns nach unseren Sünden und vergilt uns nicht nach unserer Missetat. Denn so hoch der Himmel über der Erde ist, lässt er seine Gnade walten über denen, die ihn fürchten. Sofern der Morgen ist vom Abend, lässt er unsere Übertretungen von uns sein. Wie sich ein Vater über seine Kinder erbarmt, so erbarmt sich der Herr über die, die ihn fürchten.

Das ist Gott. Und wohlgemerkt: Um dir zu vergeben, muss Gott selbst Schaden erleiden. Er muss selbst die Rechnung übernehmen. Das tat er, indem er seinen eigenen geliebten Sohn Jesus Christus aufgeopfert hat. Jesu Blut wurde vergossen als Bezahlung für unsere Schuld. Jesus starb, damit alle, die an ihn glauben, nicht sterben müssen, sondern Frieden mit Gott haben und mit ihm leben können.

Erkenne deine Not vor Gott, aber erkenne auch seine große Barmherzigkeit, die er in Christus Jesus gezeigt hat. Im Vertrauen auf ihn kannst du wissen, dass dir vergeben werden kann. Unsere Schuld ist riesig, aber die Gnade Gottes ist noch größer.

Die Verantwortung nach empfangener Vergebung

Ihr Lieben, es ist so wichtig, dass wir verstehen, welche Vergebung der Herr uns anbietet. Wenn wir unsere Schuld kleinreden oder die Vergebung des Herrn nicht achten – oder noch schlimmer, wenn wir sie verachten, indem wir sie für selbstverständlich halten, als wäre sie unser Recht oder als hätten wir sie verdient – wird es uns sehr schlecht gehen.

Schauen wir gemeinsam, was in Vers 28 bis 30 passiert. Der Knecht hat gerade einen großen Erlass erhalten. Er verlässt den Thronsaal und trifft auf einen Mitknecht, der ihm etwas schuldet: hundert Denare, hundert Silberstücke. Das entspricht ungefähr vier Monatsgehältern, also einigen Tausend Euro – nicht wenig. Ich würde auch nicht gerne 10 Euro einfach verschenken. Im Vergleich zu den Milliardenschulden ist das aber winzig, unbedeutend. Ich habe das mal in einen Rechner eingegeben und bekam eine komische Zahl mit Buchstaben und einem „e“ am Ende. Ich habe nicht ganz verstanden, was das bedeutet, aber es war wirklich winzig. Eine winzige Prozentzahl, definitiv weniger als 0,0 irgendwas.

Einige Knechte, die von der Barmherzigkeit des Königs mitbekommen haben, sind in der Nähe und beobachten das Geschehen erwartungsvoll. Vielleicht sagen sie untereinander: „Unser Kollege braucht sich keine Sorgen zu machen. Die hundert Denare sind ihm sicherlich vergeben.“ Doch plötzlich werden sie in ihren Gedanken unterbrochen. Sie sind erstaunt über das, was sie als Nächstes sehen.

Der Knecht packt seinen Mitknecht und würgt ihn – ziemlich hart. Der Mitknecht fleht um Geduld, mit denselben Worten, die er selbst kurz zuvor benutzt hatte. Die anderen Knechte schauen zu und können es nicht glauben. Sicherlich wird er ihm vergeben, oder? Nein, er wirft ihn sofort und ohne Gnade ins Gefängnis. Das ist ja sein gutes Recht.

Wie oft gehen wir so mit unseren Mitmenschen um? Wir werden beleidigt und verletzt, und manchmal ist das sehr schmerzhaft. Ich möchte nicht kleinreden, was wir manchmal von anderen ertragen müssen. Aber sind wir bereit, ihnen zu vergeben? Oder gehen wir lieber auf Distanz, sind nachtragend und mit einem verbitterten Geist?

Mir ist klar, dass manche Menschen uns Schlechtes antun und dann auch fernbleiben. Sie haben kein Interesse daran, Dinge zu klären, erkennen ihre Schuld nicht an und suchen keine Versöhnung. Vergebung kann letztlich nur geschehen, wenn der Schuldige darum bittet – das ist mir klar. Buße muss wirklich vorhanden und echt sein. Es gibt Menschen, die sich Vergebung anmaßen, ohne wirklich Buße zu tun. Vielleicht hast du schon mal gehört: „Du musst mir vergeben, wenn du Christ bist.“ Ich muss gestehen, ich habe das schon mal gedacht. Das ist Stolz, aber keine echte Buße.

Vergebung kann tatsächlich nur auf der Grundlage echter Buße geschehen. Doch passt auf: Manche werden meine Worte nehmen und sie auf alle ihre Konflikte anwenden, um sich zu entschuldigen oder um jemandem nicht zu vergeben. Lasst uns nicht die Radikalität übersehen, die Jesus hier von uns fordert.

An einer anderen Stelle sagt Jesus in Lukas 17: Wenn dein Bruder siebenmal am Tag gegen dich sündigt und siebenmal wieder zu dir kommt und sagt: „Es tut mir leid“, dann sollst du ihm vergeben. Sind wir bereit, das zu tun? Wenn nicht, was hält uns davon ab?

Kann es sein, dass wir uns anmaßen zu denken, die Schuld anderer an uns sei größer als die Schuld, die wir vor Gott hatten? Sagen wir damit nicht, dass wir Gottes Vergebung mehr verdienen als andere unsere? Erkennst du da einen Hochmut, der im Hintergrund steht, und eine Leichtfertigkeit gegenüber der eigenen Schuld? Haben wir vergessen oder nicht erkannt, wie groß unsere Schuld vor Gott war?

Ich will wirklich nicht kleinreden, was für schlimme Dinge uns andere Menschen antun können. Doch selbst das Schlimmste ist winzig im Vergleich zu unserer Schuld vor Gott, die wir einst hatten – auch wenn sie ganz, ganz schlimm war. Wie Ehebruch: Hundert Denare sind im Vergleich zu den zehntausend Talenten, die wir Gott einst geschuldet haben, kaum etwas.

Der Kampf mit Vergebung und die Kraft des Evangeliums

Fällt es dir schwer zu vergeben? Das geht vielen so. Manchmal wollen wir vergeben, können es aber nicht.

Deshalb lade ich dich ein, Gott um Hilfe zu bitten. Bitte ihn, dir zu helfen, deine Schuld vor ihm ehrlich zu erkennen und sie nicht kleinzureden. Bitte ihn auch, dir zu helfen, die Schuld eines anderen im Verhältnis zu deiner eigenen Schuld vor Gott zu sehen. Bitte ihn, dich an seine Barmherzigkeit zu erinnern und daran, wie er dir deine große Schuld vergeben hat.

Und bitte ihn, dir zu helfen, aus der Kraft seiner Gnade und Barmherzigkeit heraus anderen zu vergeben. Menschlich gesehen ist es tatsächlich unmöglich, anderen ständig zu vergeben.

Aber, lieber Christ, das Evangelium ist auch hier ganz zentral. Es ist die Motivation und die Kraft Gottes in diesem Fall. Im Angesicht dessen, was Gott für uns getan hat, können wir auch dasselbe für andere tun.

Dabei sind wir nicht allein: Gottes Geist wohnt in uns und befähigt uns dazu.

Die Konsequenzen eines gnadenlosen Herzens

Sei nicht wie dieser Knecht – schaut, was mit ihm passiert, Verse 31-35. Seine Mitknechte sind zutiefst betrübt über das, was sie sehen. Das macht für sie einfach keinen Sinn. Also gehen sie und berichten dem König, was sie gerade erlebt haben.

Der König wird zornig. Er ruft den Knecht zurück: „Du böser Knecht! Ich habe dir deine Schuld erlassen. Hättest du das nicht auch tun sollen? Ich habe dir Erbarmen gezeigt. Hättest du das nicht auch tun sollen?“

Im Vers 33 steht dieser Satz: „Hättest du das nicht tun sollen?“ Das ist wirklich stark ausgedrückt. Im Original heißt es: „War es nicht notwendig, dich deines Mitknechts zu erbarmen?“ Mit anderen Worten: Wenn du nach dem Prinzip der Gnade behandelt wurdest, solltest du auch deinen Nächsten nach dem Prinzip der Gnade behandeln.

Aber nein, du hast meine Gnade verachtet und meine Güter für gering geachtet. Meine Vergebung deiner Schuld war in deinen Augen nicht einmal hundert Denar wert. Wirst du jetzt auf dein Recht bestehen und gnadenlos handeln? Wirst du nach dem Prinzip der Gerechtigkeit ohne jede Gnade handeln, du böser Knecht? Dann werde ich das auch tun.

So nimmt der König ihn und gibt ihn den Peinigern und Folterknechten, bis er alles bezahlt hat, was er schuldig war.

Ihr Lieben, wenn Gott uns Gnade zeigt, erwartet er auch, dass wir danach handeln. Eine gnadenlose Person ist eine Person, die Gnade verachtet. Sie verkennt, wie abhängig sie selbst von der Gnade ist. Diese Person denkt zu hoch von sich selbst, unterschätzt ihre eigene Schuld und vergrößert die Schuld anderer. Letztendlich verachtet sie die Gnade und Barmherzigkeit Gottes und hält sie für ganz gering.

Lasst uns wirklich darauf achten, dass in uns kein gnadenloses Herz ist. So eine Person soll sich nicht anmaßen, vom Herrn vergeben zu werden – das steht ganz klar im Vers 35: „So wird auch mein himmlischer Vater an euch tun, wenn ihr einander nicht von Herzen vergebt, einem jeden seinem Bruder.“

Es ist interessant, wie die Bitte um Vergebung im Vaterunser ausgedrückt wird. Wie steht sie dort? „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“ Mit anderen Worten: Wenn wir anderen nicht vergeben, können wir auch keine Vergebung erwarten.

Die Herausforderung der radikalen Vergebung im Alltag

Petrus kam zu Jesus am Anfang unserer heutigen Stelle und fragte: „Wie oft soll ich meinem Bruder vergeben, Herr Jesus?“ Vielleicht ist das auch heute noch eine Frage, die viele beschäftigt. Die Antwort lautet: siebenmal? Nein, vergib immer wieder.

Vielleicht sitzt du jetzt da und denkst bei dir: Das ist ein wunderschönes Ideal, aber mit der Realität hat das wenig zu tun. Vielleicht hast du sehr schlechte Erfahrungen mit Ehepartnern, Geschwistern, Arbeitskollegen oder anderen Menschen gemacht. Du denkst, du hast keine Ahnung, Jonathan, wie sehr ich von dieser Person verletzt wurde. Ich habe ihr schon oft vergeben, ich habe ihm oft vergeben, aber irgendwann ist Schluss. Erwartest du wirklich, dass ich dieser Person weiterhin vergeben soll?

Ich lese eine bekannte Geschichte von Corrie ten Boom. Sie war eine Niederländerin, die während des Krieges Juden geholfen hat. Dafür wurde sie ins Konzentrationslager gebracht. Im Jahr 1947 hielt sie in München eine Rede über ihre Zeit im KZ. Nach der Rede kam ein Mann auf sie zu. Sie schreibt in ihren eigenen Worten:

„In diesem Moment sehe ich den Mantel, den braunen Filzhut, dann die blaue Uniform und ein Barett mit dem toten Schädel und gekreuzten Knochen. Ich sehe den großen Raum, in dem wir uns nackt ausziehen mussten. Die Schuhe und die Kleider lagen auf dem Boden, wir mussten nackt an ihm vorbeigehen. Ich erinnere mich an die Scham, ich erinnere mich an meine ausgemergelte Schwester, deren Rippen deutlich unter der pergamentartigen Haut hervortraten. Wir waren ins KZ gekommen, weil wir Juden in unserem Haus versteckt hatten. Meine Schwester überlebte das Konzentrationslager nicht. Ich erinnerte mich an diesen Mann und an seine Jagdpeitsche, die in seinem Gürtel steckte. Jetzt stand ich zum ersten Mal einem meiner Häscher gegenüber. Mein Blut schien zu gefrieren.“

Er sagte: „Sie sprechen von Ravensbrück. Ich war Wächter dort.“ Dann fuhr er fort: „Ich bin Christ geworden.“ Er streckte ihr die Hand entgegen und fragte: „Werden Sie mir vergeben?“

Sekundenlang stand sie wie gelähmt vor diesem Mann. Doch es kam ihr vor, als wären es Stunden. Sie kämpfte in ihrem Innern. Ihre Schwester war schließlich im Konzentrationslager Ravensbrück elend und langsam gestorben. Doch dann erinnerte sie sich an eine Stelle aus der Bibel: „Wenn ihr den Menschen ihre Sünden nicht vergebt, dann wird der himmlische Vater im Himmel auch euch nicht vergeben“ (Matthäus 6,15).

Nach dem Krieg hatte sie ein Heim für Naziopfer eröffnet. Dort erlebte sie, dass diejenigen, die vergeben konnten, innerlich frei wurden – egal welche körperlichen Schäden sie hatten. Diejenigen, die an ihrer Bitterkeit festhielten, blieben jedoch innerlich verletzt.

Sie stand immer noch vor dem Mann. Kälter umklammerte ihr Herz. Doch Vergebung ist kein Gefühl, sondern in erster Linie ein Akt des Willens. Sie betete und hob die Hand. Sie betete darum, dass Gott ihr das Gefühl der Vergebung schenken möge. Mit einer mechanischen Bewegung legte sie ihre Hand in die Hand, die sich ihr entgegenstreckte.

Dann geschah etwas Unglaubliches: Ein heißer Strom strömte in ihre Schulter, lief ihren Arm entlang und sprang über in ihre beiden Hände. Ihr ganzes Sein wurde von dieser heilenden Wärme durchflutet. Sie hatte plötzlich Tränen in den Augen und konnte sagen: „Ich vergebe dir, ich vergebe dir von ganzem Herzen.“

Schlussgebet um Kraft zur Vergebung

Herr Vater, manchmal ist es tatsächlich sehr, sehr schwierig zu vergeben. Aber Herr, du hast uns vergeben. Du hast uns eine viel größere Schuld vergeben, die viel größer ist als jede Schuld, die jemand anders gegen uns hat.

Deshalb bete ich dich an, dass du uns hilfst, uns daran zu erinnern. Hilf uns zu bedenken, dass du nach dem Prinzip der Gnade mit uns gehandelt hast. So hilf uns, auch anderen gegenüber so zu handeln.

Wir erkennen, dass es menschlich gesehen wirklich unmöglich ist zu vergeben. Aber wir danken dir sehr, dass du deinen Geist gegeben hast. Ich möchte dich bitten, dass du uns auch erkennen lässt: Wir sind neue Menschen, wir haben den Heiligen Geist in uns. Und deshalb ist es möglich für uns, zu vergeben.

So möchte ich bitten: Wenn jemand unter uns sitzt und wirklich mit Bitterkeit kämpft, dann hilf du dieser Person, sich noch einmal daran zu erinnern, was du für sie getan hast. Lass jede Kette, jedes Band, das sein Herz gefangen hält, gesprengt werden, Herr.

Bitte tu das, Herr, und hilf uns, eine Gemeinde zu sein und Menschen zu sein, die wirklich gnädig und barmherzig sind – genauso wie du.

Unser himmlischer Vater, ich bete in Jesu Namen, Amen.