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Lukas 13, 18-21

Familienfreizeit 2008 - Nr. 2, Teil 4/8
04.08.2008Lukas 13,18-21
SERIE - Teil 4 / 8Familienfreizeit 2008 - Nr. 2

Einführung in das Doppelgleichnis und das Reich Gottes

Ich möchte euch heute Morgen ein Doppelgleichnis vorstellen, also ein Gleichnis, das ein und dieselbe geistliche Wahrheit mit zwei verschiedenen Bildern ausdrückt. Wir finden es im Lukas-Evangelium, Kapitel 13, Vers 18. Lukas 13,18.

Es geht einerseits um das Gleichnis vom Senfkorn und andererseits um das Gleichnis vom Sauerteig. Beide Gleichnisse stammen aus der Alltagswelt des Neuen Testaments. Man könnte sagen, sie kommen eher aus dem Gartenbau beziehungsweise aus dem Küchenbetrieb. Hier geht es nicht so sehr um die Landwirtschaft im engeren Sinne, sondern mehr um das, was im Garten direkt ums Haus oder im Haus geschieht.

Es handelt sich hierbei um ein sogenanntes Reich-Gottes-Gleichnis. Im Neuen Testament gibt es einige Gleichnisse, die Jesus mit der Einleitung „So ist das Reich Gottes“ erzählt. Damit will er den Menschen zeigen, was typisch für den Herrschaftsbereich Gottes ist, wann und wo dieses Reich Gottes beginnt. Wir beten ja oder für das wir beten sollen, wie es auch im Vaterunser steht: „Dein Reich komme, dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden.“ Das ist das Reich Gottes.

Wir sehen dann einige dieser Gleichnisse, die in diese Richtung gehen: Das Reich Gottes hat schon angefangen. Das ist ja auch die Predigt Jesu: „Kehrt um, denn das Reich Gottes ist nah herbeigekommen.“ Das Reich Gottes ist schon da. Dort, wo Jesus anfängt zu predigen, beginnt das Reich Gottes.

Es gibt aber auch andere Gleichnisse, die davon sprechen, dass das Reich Gottes etwas Zukunftliches ist, auf das wir warten und hoffen. So wie auch im Vaterunser gebetet wird: „Dein Reich komme.“ Das ist etwas, das gegenwärtig noch nicht so da ist.

Jetzt stellt sich die Frage, wie wir das miteinander verbinden. Ich glaube, gerade dieses Gleichnis, das ich heute Morgen ausgesucht habe, bietet uns eine Möglichkeit zu verstehen, wie beides zu vereinen ist: Auf der einen Seite die Aussage, das Reich Gottes ist schon da, und auf der anderen Seite, das Reich Gottes kommt erst noch.

Das klingt erst einmal widersprüchlich. Ich glaube, an diesem Gleichnis wird uns deutlich, dass das durchaus zusammenpasst.

Das Gleichnis vom Senfkorn: Ein kleiner Anfang mit großer Wirkung

Ich lese den ersten Teil, das sind dann Vers 18 und 19. Hier ist wieder von Jesus die Rede. Er sagte nun: Wem ist das Reich Gottes ähnlich, oder womit soll ich es vergleichen? Es ist einem Senfkorn ähnlich, das ein Mensch genommen und in seinen Garten geworfen hat. Es ist gewachsen, zu einem Baum geworden, und die Vögel des Himmels ruhen in seinen Zweigen.

Dieses Gleichnis finden wir neben dem Lukas-Evangelium auch bei Matthäus und Markus sowie im sogenannten Thomas-Evangelium. Letzteres ist kein biblisches, sondern ein apokryphes Evangelium aus dem zweiten Jahrhundert. Es greift diese Geschichte ebenfalls auf. Für uns ist das nicht von großem Belang, aber nebenbei vielleicht interessant zu wissen.

Hier werden die ersten Worte eingeleitet: Er sagte nun. Dieses „nun“ klingt so, als ob eine Verbindung zu dem besteht, was vorher geschieht. Also passiert etwas, und dann sagt er: „Und nun sage ich euch dazu.“ Jetzt sollten wir genau hinschauen, was direkt davor stattfindet.

Vorher ist die Heilung einer Frau beschrieben. Sie war verkrümmt und konnte sich nicht mehr aufrichten, und das seit achtzehn Jahren. Jesus heilt sie. Hier sehen wir eine übernatürliche Heilung Gottes, und zwar eine Spontanheilung: Sie wird auf einen Schlag sofort gesund. Direkt danach folgt die Geschichte vom Reich Gottes, das Jesus mit dem Senfkorn vergleicht.

Wir müssen später noch die Frage stellen, welche Beziehung es im Detail zwischen der Heilung und dem Gleichnis gibt. Doch dieser Zusammenhang scheint hier gegeben zu sein.

Am Ende dieses Gleichnisses, ab Vers 22, lesen wir: „Und er ging durch Städte und Dörfer, lehrte und nahm seinen Weg nach Jerusalem.“ Hier klingt es so, als ob ein ganz neuer Abschnitt beginnt. Es scheint kein direkter Bezug zu dem, was danach kommt, zu bestehen.

Vielmehr wird eine neue Phase des Wirkens Jesu eröffnet. Man spricht von der Zeit der Wirksamkeit in Galiläa, dann der Reise nach Jerusalem und schließlich der Leidenszeit. Auf der Reise nach Jerusalem begegnet er den Samaritern, zieht durch Samaria und predigt auch in Judäa im Süden. Zuvor war er hauptsächlich in Galiläa tätig.

Hier ist also ein Bruch zu erkennen. Wir können sagen, dass dieses Gleichnis den Abschluss seiner Predigt und seines Wirkens in Galiläa bildet. Danach beginnt ein neuer Abschnitt.

Wenn wir das Gleichnis deuten, sollten wir zuerst darauf schauen, was direkt davor geschieht. Es scheint auch eine pädagogische Absicht dahinter zu stecken. Darauf deutet bereits die Einleitung hin, die Jesus gibt.

Uns fällt auf, dass Jesus hier zweimal letztlich dieselbe Frage stellt. Er sagt: „Ich sage euch nun, wem ist das Reich Gottes ähnlich und womit soll ich es vergleichen?“ Man könnte meinen, das sei überflüssig. Doch im Judentum war es bei den Rabbinern üblich, solche Doppelungen zu verwenden.

Diese Doppelungen sollen die Aufmerksamkeit der Zuhörer besonders erregen. Man soll sich das genau anschauen. Dieses Stilelement findet sich im Alten und Neuen Testament immer wieder. Im Psalm wird zum Beispiel eine Wahrheit oft mit zwei verschiedenen Ausdrücken oder Formulierungen wiederholt.

Hier verfolgt Jesus eine pädagogische Absicht, um die Aufmerksamkeit der Zuhörer auf das zu lenken, was er nun sagen will. Wir müssen also nicht lange darüber grübeln, was der Unterschied zwischen „Wem ist das Reich Gottes ähnlich?“ und „Womit soll ich es vergleichen?“ ist. Letztlich ist dasselbe gemeint.

Im ersten Vers, den ich gerade genannt habe, fällt auf, dass in diesem Gleichnis sehr häufig, nämlich insgesamt fünfmal, Worte des Vergleichs verwendet werden. Ich betone das, weil wir das in den Paralleltexten bei Markus und Matthäus nicht so häufig finden. Dort wird der Vergleich nur einmal erwähnt, und dann wird die Geschichte erzählt.

Lukas erzählt hier die Variante, wie Jesus das Gleiche mehrfach erzählt hat. Vielleicht hat Jesus das Gleichnis auch mehrmals erzählt und immer wieder darauf hingewiesen, dass es sich um einen Vergleich handelt.

Das ist zu erwarten, denn es handelt sich ja um ein Gleichnis. Ein Gleichnis ist kein lehrmäßiger Bericht oder Unterricht, in dem genau erklärt wird, wie etwas ist. Vielmehr hören wir eine Geschichte, die bildlich vor uns steht.

Vielleicht sehen wir alle den Menschen vor uns, der das Samenkorn nimmt und in den Garten wirft, und wie es aufwächst. Doch es ist eben nur ein Vergleich. Jesus will keine Anleitung geben, wie man Senfbäume pflanzt.

Deshalb wird der Begriff „Vergleich“ so häufig verwendet. Es gibt zwei verschiedene griechische Worte, die hierfür benutzt werden. Das eine ist „isos“, das meint Gleichwertigkeit oder gleiche Größe. Das andere ist „homoios“, das bedeutet „von derselben Art“ oder „ähnlich sein“.

Ich glaube, dass diese unterschiedlichen Worte keine große Bedeutung für die Auslegung des Textes haben. Es ist eher stilistisch zu verstehen, dass Jesus nicht immer dasselbe Wort verwendet, sondern verschiedene. Ein großer Unterschied in der Bedeutung scheint nicht vorzuliegen.

Was hier besonders auffällt, gerade bei Lukas im Vergleich zu den anderen Evangelien, ist, dass Jesus in der ersten Person Singular spricht, also von sich selbst. Er sagt am Anfang des Gleichnisses: „Womit soll ich es vergleichen?“ Das heißt, er spricht zu sich selbst.

In den anderen Gleichnissen spricht er meist in der dritten Person. Hier sollen wir stärker hineingenommen werden.

Die Frage Jesu, wem das Reich Gottes gleich sei und womit er es vergleichen soll, ist eigentlich eine rhetorische Frage. Das sollten wir deutlich sehen.

Denn Jesus stellt die Frage nicht wirklich an seine Jünger. Wenn das so wäre, müssten wir die Antwort von seinen Jüngern oder Zuhörern erwarten.

Vielmehr will er die Aufmerksamkeit wecken und bei seinen Zuhörern ein Problembewusstsein schaffen: Wo ist das Reich Gottes? Jetzt sollen sie neugierig werden, und Jesus gibt die Antwort.

Hier steckt ein pädagogisches Mittel Jesu dahinter, das wir zum Teil auch heute noch anwenden können. Menschen hören am besten zu, wenn du eine Frage beantwortest, die sie selbst haben.

Wenn du einfach anfängst zu sagen: „Ich erzähle euch mal, wem das Reich Gottes gleich ist“, ist das gut. Noch besser ist es aber, wenn die Leute selbst die Frage haben.

Ich weiß nicht, ob ihr das schon erlebt habt, wenn ihr mit Menschen über den Glauben sprecht. Wenn ihr jemanden überrascht und sagt: „Ich will dir mal erzählen, wie es mit dem Glauben ist“, schauen sie oft komisch und denken: Was will der denn? Was soll das? Hat das mit mir gar nichts zu tun.

Anders ist es, wenn du den anderen dazu bringst, die Frage selbst zu stellen: Gibt es denn überhaupt einen Gott? Stimmt das mit Jesus? Was steht in der Bibel?

Dann hast du schon viel bessere Ausgangsvoraussetzungen.

So will Jesus durch diese Fragen Neugier wecken. Er möchte, dass sie sich selbst fragen: Ja, tatsächlich, wir warten ja auf das Reich Gottes – wie ist das eigentlich?

Dann gibt er die Antwort.

Hier haben wir also eine Einleitung mit einer rhetorischen Frage, die die Neugier der Zuhörer wecken soll. Danach gibt Jesus die Antwort. Denn der Einzige, der die Antwort geben kann, ist Jesus selbst.

Wenn er fragt: Wem ist das Reich Gottes gleich? Womit kann ich es vergleichen? – dann ist er derjenige, der die Antwort gibt. Er ist Gott, der Sohn Gottes, der das Reich Gottes predigt und verkündigt.

Der Dualismus im Reich Gottes und die Bedeutung des Senfkorns

Im Lukasevangelium zeigt sich beim Reich Gottes ein deutlicher Dualismus. Dies habe ich bereits mehrfach in unseren letzten Bibelarbeiten erwähnt. Es handelt sich um einen Dualismus zwischen dem Reich Gottes und dem Reich der Welt. Zwei voneinander getrennte Bereiche werden dargestellt.

Zum einen gibt es die Umwelt, in der die Menschen leben – auch den Menschen, der das Samenpflanzen vornimmt. Zum anderen wächst daraus ein Baum, der ein eigenes Lebenssystem bietet. Dies wird später durch die „Vögel des Himmels“ verdeutlicht. Manche griechische Übersetzungen sprechen sogar von „allen Vögeln des Himmels“, die dort wohnen. So entsteht ein neuer, großer Raum, der Stück für Stück wächst und den Vögeln ihren Lebensraum bietet.

Dieser Dualismus im Lukasevangelium zeigt zwei Herrschaftsbereiche: den Bereich des Teufels, der im Epheserbrief als „Herr der Welt“ bezeichnet wird, und den Herrschaftsbereich Gottes. Diese beiden Bereiche haben zunächst nichts miteinander zu tun. Zu Beginn der Geschichte gibt es nur den Herrschaftsbereich, in dem die Menschen ohne Gott leben – die normale Welt. Daraus entsteht jedoch das Neue: der Lebensraum des Baumes, das Reich Gottes.

Das Reich Gottes, das hier genannt wird, lässt sich auf mindestens zwei Arten deuten. Erstens könnte Jesus von etwas Endzeitlichem sprechen, also davon, dass Gott am Ende der Zeiten sein Reich aufrichten wird. Diese Deutung steht in Verbindung mit dem Gleichnis, das wir vorhin betrachtet haben, und ähnelt dem Endzeitreden Jesu sowie der Offenbarung. Das Reich Gottes könnte hier mit dem tausendjährigen Reich identifiziert werden, in dem Jesus auf Erden regieren wird.

Eine zweite Möglichkeit ist, dass sich die Aussage nicht auf politische oder innerweltliche Ereignisse bezieht, sondern auf das unsichtbare Reich Gottes. Dieses Reich wirkt geistlich und übernatürlich im Leben des einzelnen Menschen und in der Welt. Das Reich Gottes wird hier nicht als Organisation, Staatsform oder politisches Ereignis verstanden, sondern als Raum, in dem Gott geistlich wirkt. Man könnte es mit den Menschen identifizieren, die zum Leib Jesu gehören, also den Gläubigen, bei denen Gott innerlich wirkt. Es geht nicht um Organisationen, Kirchengebäude oder politische Entscheidungen, sondern um das Geistliche.

Beide Deutungen sind möglich. Der Text macht nicht eindeutig klar, auf welche Jesus hier abzielt. Vielleicht sind sogar beide gemeint. Für die Herrschaft Gottes, die am Ende der Zeiten stattfinden wird, bedarf es einer Vorbereitung. An dieser Vorbereitung tragen wir mit bei, wenn wir in unserem Leben das Reich Gottes verwirklichen.

In Vers 19 heißt es: „Es ist einem Senfkorn ähnlich, das ein Mensch genommen und in seinen Garten geworfen hat. Es ist gewachsen, zu einem Baum geworden, und die Vögel des Himmels ruhen in seinen Zweigen.“

Wenn hier vom Senf die Rede ist, meinen die meisten Ausleger Sinapis nigra. Das sagt vielleicht nicht jedem etwas, aber es ist die in Israel am weitesten verbreitete Senfsorte. Die kleinen gelben Körner, die wir als Senfkörner kennen, sind im Vergleich zu diesem Senf riesengroß. Der in Israel wachsende Senf ist schwarz und so klein wie Staubkörner. Man kann viele davon auf einem Finger halten. Daraus wächst dann eine Senfpflanze.

Diese Senfpflanze wird jedoch nur etwa 1,20 bis maximal 2,50 Meter groß. Wenn im Gleichnis von einem Baum die Rede ist, in dem die Vögel des Himmels nisten, klingt das etwas ungewöhnlich. 2,50 Meter sind kein großer Baum. Die Aussage soll uns jedoch vor Augen führen: Aus etwas ganz Kleinem, Unscheinbarem und kaum Beachtetem wächst etwas Riesengroßes. Dieses Riesengroße dient als Heimat für viele Tiere, nämlich die Vögel.

Wir werden später noch darauf eingehen, was diese Vögel bedeuten könnten. Manche weisen darauf hin, dass in einigen alten Manuskripten steht, die Vögel errichten ihr Nest im Baum, also sind sie dauerhaft dort ansässig und nicht nur kurz zu Besuch. Das würde einen großen Baum voraussetzen. Es ist auch möglich, dass hier Salvadora persica gemeint ist, ein Senf, der seltener vorkommt, aber zu einem richtigen Baum heranwachsen kann.

Letztlich ist es uns jedoch egal, ob es sich um diese oder jene Pflanze handelt. Wichtig ist, dass Jesus ausdrücken will: Der kleinste Samen, den ihr kennt, kann sich zu etwas Riesengroßem entwickeln. Der Vergleich zeigt etwas Kleines, das scheinbar von selbst wächst und eine große Bedeutung bekommt.

Wenn wir diesen Gedanken auf das Reich Gottes übertragen und ihn im Zusammenhang mit den Heilungen sehen, die Jesus zuvor vollbracht hat, liegt nahe, dass er sagen will: Hier vor euren Augen geschieht das Kleine, das Reich Gottes. Dort, wo die Frau geheilt wurde, wo Jesus Macht über Dämonen zeigt – dort beginnt das Reich Gottes. Es entwickelt sich, wächst und nimmt zu. Dies geschieht nicht durch euch, sondern ihr seid nur daran beteiligt.

Nun stellt sich die Frage, ob die Christen das Samenkorn sind. Wahrscheinlich nicht, denn Jesus sagt, das Reich Gottes ist wie das Samenkorn. Das heißt, der Baum ist das Reich Gottes, nicht wir. Dieses Reich Gottes beginnt sich zu zeigen durch Jesu Macht über Krankheiten und Dämonen. Auch wenn das damals politisch unbedeutend schien, ist es doch der Anfang.

Damals hielten viele Historiker Jesus für unwichtig. Sie schrieben lieber über Kaiser, Könige und Prokuratoren. Diese sind heute längst tot und vergessen. Jesus nicht. Warum? Weil das Reich Gottes aus diesem kleinen Senfkorn immer größer geworden ist. Noch sind wir nicht am Ende, denn das Reich Gottes ist noch nicht überall flächendeckend. Aber es wächst und nimmt zu.

Nach den rabbinischen Quellen aus der Zeit Jesu wurde Senf hauptsächlich auf dem Feld angebaut, also plantagenmäßig. Jesus erwähnt hier jedoch, dass ein Mensch das Senfkorn in seinen Garten geworfen hat. Das soll ausdrücken, dass es zufällig aussieht. Stellt euch vor, jemand wirft ein Staubkorn in seinen Garten – ohne ein Loch zu graben oder sorgfältig zu pflanzen.

Warum wählt Jesus nicht das Beispiel eines Feldes, das damals üblich war? Ich habe den Eindruck, er will die Kleinheit betonen. Zugleich stellt sich die Frage: Wer ist dieser Mensch im Gleichnis? Wenn der Baum das Reich Gottes ist, wer pflanzt es dann? Menschen können das nicht. Es muss Gott sein, der das Samenkorn in die Welt pflanzt.

Der Garten symbolisiert hier auch die besondere Pflege und Hege Gottes. Auf einem Feld fährt der Bauer mehrmals mit dem Pflug darüber, sät, spritzt und erntet. Im Garten hingegen widmet man den Pflanzen besondere Aufmerksamkeit. Viele Menschen fühlen sich in der Natur wohl, nicht nur in Betonumgebungen. Das liegt wahrscheinlich daran, dass Gott uns ursprünglich für das Leben im Garten geschaffen hat.

Der Garten ist auch der ursprüngliche Lebensraum des Menschen. Die ersten Menschen waren im Garten Eden. In der Offenbarung wird das Paradies erneut als Garten beschrieben, mit dem Baum des Lebens und Tieren. Viele Menschen empfinden die Natur als belebend, weil sie Gottes ursprünglichen Schöpfungsplan widerspiegelt.

Ein idealer Garten wäre frei von Unkraut, Schädlingen und Unwettern – eine perfekte Umgebung. Jesus nimmt diese Vorstellung in sein Gleichnis auf. Für die Juden der damaligen Zeit war der Garten der optimale Lebensraum. Wenn Gott nun etwas Neues in diesen Garten pflanzt, entwickelt sich daraus langsam etwas, das den Garten dominiert und zur Heimat für die Tiere wird.

Diese Idee, dass das Paradies in der Zukunft als Garten Eden dargestellt wird, findet sich bereits im Alten Testament, etwa in Hesekiel 31,8-9, und auch im Neuen Testament an mehreren Stellen. Das passt gut zum Gleichnis und erklärt, warum Jesus den Garten wählt und nicht eine Plantage. Wäre es eine Plantage, würde das Gleichnis anders aussehen, etwa: „Das Reich Gottes ist wie hundert Senfbäume.“ Doch hier geht es um einen einzigen Baum.

Die Vögel, die kommen, sind gleich, aber der Baum ist einer. Israel wird in der Bibel häufig als Baum bezeichnet – etwa als Feigenbaum, Ölbaum oder in Hesekiel 31 als Zeder. Die Juden erwarteten, dass Gott durch Jesus ein großes irdisches Reich aufrichtet. Das geschieht hier jedoch nicht.

Jesus antwortet darauf: Das Reich Gottes ist schon da, aber nicht als riesige Zeder, sondern als kleines Senfkorn. Verachtet das nicht! Es hat gerade erst begonnen, und das, was ihr hier mit mir erlebt, ist nur der Anfang.

Zu den Vögeln: Im Alten Testament und in der rabbinischen Auslegung symbolisieren Vögel oft die Völker, also die Heiden. Wahrscheinlich bezieht sich Jesus hier darauf. Der Baum ist das Reich Gottes, und in diesem Reich nisten plötzlich alle Vögel des Himmels.

Das bedeutet: Das Reich Gottes, das sich jetzt ausbreitet, ist nicht nur für Israel bestimmt, sondern auch als Heimat für die Heiden. Dies ist ein Hinweis, dass berufen sind nicht nur die Juden, sondern Menschen aus allen Völkern. Später im Neuen Testament wird dies immer wieder betont. Vor dem Thron Gottes stehen Menschen aus allen Völkern.

In Matthäus 24 sagt Jesus, dass das Evangelium in allen Völkern verkündet wird, bevor er wiederkommt. Die vielen Vögel im Gleichnis weisen also auf die Heiden hin, die zum Reich Gottes gehören werden.

Kontext und Vorbereitung im Lukasevangelium

Und in gewisser Weise hat dieses Gleichnis einen Bezug zu dem, was vorherkommt. Ich habe es bereits erwähnt, besonders in Kapitel 13. Wenn ich noch weiter zurückgehe, geht es schon in früheren Kapiteln darum, dass Jesus zunächst darüber spricht, welche Verpflichtungen wir im Hinblick auf Gott haben.

Er grenzt sich ab gegenüber den Angriffen der Pharisäer und ihrer Heuchelei. Dabei unterstreicht er das christliche Bekenntnis zu den Mitmenschen, so in Kapitel 12, Vers 1: Wir sollen unser Bekenntnis nach außen zeigen und keine Habgier haben. Es geht also darum, wie wir mit unseren Mitmenschen umgehen.

Weiterhin weist er darauf hin, dass wir uns für die unsichtbare Welt Gottes entscheiden sollen, die schon jetzt beginnt (Kapitel 12, Vers 35). Dann spricht er davon, dass das Reich, nach dem die Menschen suchen, dem sie sich hingeben müssen (Kapitel 12, Verse 13-21).

In Kapitel 12, Vers 36, wird darauf hingewiesen, dass der Herr bald kommt, sich aber möglicherweise verspätet. In Vers 45 wird betont, dass er ganz gewiss kommen wird. Ab Kapitel 12, Vers 35, werden Zeichen erwähnt, die entschlüsselt und verstanden werden müssen, um zu erkennen, wann das Reich Gottes kommt.

Am Ende von Kapitel 12 wird die Aufforderung gegeben, Buße zu tun und sich auf das Reich Gottes vorzubereiten. Diese zwei Kapitel sind somit eine Hinleitung zu dem Gleichnis, das anschließend folgt und ergänzt, wie das Reich Gottes ist.

Die Aufforderung lautet, sich nicht zu sehr auf das Irdische einzurichten, sondern an die Mitmenschen zu denken und das Wiederkommen Jesu zu erwarten, auch wenn es momentan noch nicht sichtbar ist. Es wird versichert, dass er gewiss kommen wird.

Zwischenzeitlich wird die Heilung einer Frau geschildert, die damals den Menschen und uns heute vor Augen führt, dass bereits ein Teil des Herrschaftsbereichs Gottes gegenwärtig ist.

Wenn wir nun die Vielfalt der Vögel betrachten – es werden mehrere verschiedene Vogelarten erwähnt – stellt sich die Frage, wie wir das am besten interpretieren und verstehen können. Ich habe den Eindruck, dass hier die Vielfalt betont werden soll, die im Reich Gottes Platz hat.

Das bedeutet, wir alle gehören, wenn wir gläubige Christen sind, zum Reich Gottes. Wir sind hineingeboren, Kinder Gottes geworden und gehören zu ihm. Doch gleichzeitig sehen wir im Alltag, dass wir sehr unterschiedlich und vielfältig sind. Im Reich Gottes muss es keine Uniformität geben.

In der Gemeinde gilt das ohnehin, wie wir zum Beispiel im 1. Korinther 12,4-11 lesen: Jeder hat vom Geist Gottes verschiedene Gaben erhalten, die sich ergänzen sollen, damit das Gemeindeleben gelingt.

Auch außerhalb der Gemeinde gibt es eine Vielzahl von Glaubensbekenntnissen und unterschiedlichen Kirchen, die vielleicht aus unterschiedlichen Motiven entstanden sind, aber heute ein Stück der Realität des Reiches Gottes widerspiegeln.

Diese Vielfalt sollten wir nicht in erster Linie als Konkurrenz ansehen. Unsere Gemeinde ist nicht allein das Reich Gottes, ebenso wenig wie die Mennoniten, Methodisten, Pfingstler oder andere Gemeinden allein das Reich Gottes sind. Vielmehr sind wir alle Vögel darin – die Vielfalt, die Gott duldet und zulässt.

Vielleicht ist ja nicht alles in Ordnung dabei, und wir sollen uns damit auseinandersetzen. Aber wir sind nicht allein das Reich Gottes, weder unsere Gemeinde noch wir als Einzelpersonen.

Man könnte auch sagen, dass im Reich Gottes Platz ist für eine Vielfalt von Erfahrungen und verschiedene Wege, Gott kennenzulernen und Christ zu werden.

Gerade in Erweckungszeiten wie im Pietismus gab es einen gewissen Bekehrungsschematismus. August Hermann Francke, den ich sehr schätze, meinte zum Beispiel, eine richtige Bekehrung müsse genau so ablaufen, wie er sie selbst erlebt hat.

Er sprach von einer Minutenbekehrung: Man sei zunächst Zweifler, und eine Minute später ein gläubiger Christ, bei dem alles klar sei. Manche Menschen erleben das so, aber er behauptete, jede echte Bekehrung müsse so geschehen.

Außerdem meinte er, jeder echte Bekehrte müsse unter Weinen Buße tun, weil er seine Sünde erkennt und bereut. Wer nicht richtig weint, habe seine Sünde nicht erkannt und sei kein richtiger Christ.

Darauf möchte ich eingehen: Es ist wahr, dass man echte Reue zeigen soll. Doch Francke berücksichtigt nicht, dass es eine Vielfalt von Menschen gibt und Gott Menschen unterschiedlich zu sich ruft.

Wenn wir uns hier austauschen würden, wie ihr zu Gott gekommen seid, würde das wahrscheinlich sehr unterschiedlich aussehen.

Ich erinnere mich daran, dass ich, als ich gläubig wurde, erwartet habe, dass es genau so ablaufen müsse, wie ich es von anderen gehört hatte. Bei mir war es aber anders. Und das muss auch nicht so sein.

Das zeigt: Es gibt hier keine Uniformität, sondern eine gewisse Vielfalt im Bereich Gottes.

Diese Vielfalt hat natürlich Grenzen, das ist klar. Aber diese Grenzen setzen nicht die Vögel, sondern der Baum. Und der Baum kommt von Gott.

Die Vögel sind wir, die darunter sind. Es gibt also eine Vielfalt von Erfahrungen innerhalb der Grenzen, die Gott setzt.

Diese Vielfalt zeigt sich auch in den unterschiedlichen Möglichkeiten, Gott anzubeten und in der Verehrung Gottes.

Es gibt eine Vielfalt von Menschen – Arme und Reiche, Schöne und Hässliche, Kluge und weniger Kluge. Ihr könnt euch aussuchen, zu welchen ihr euch zählen wollt.

Aber es gibt einfach diese Vielfalt, und wir müssen nicht alle gleich sein.

Ich glaube, das ist etwas, was in diesem Gleichnis mit drinsteckt.

Das Gleichnis vom Sauerteig: Unsichtbare, aber umfassende Veränderung

Nun kommen wir zum zweiten Teil des Gleichnisses, und zwar dem mit dem Sauerteig. Eigentlich sind es nur ein, nein, zwei Verse. Wieder beginnt Jesus mit der Frage: „Womit soll ich das Reich Gottes vergleichen?“ Diesen Vers werde ich jetzt nicht auslegen, denn er wiederholt ihn zum dritten Mal. Wieder eine Einleitung, und jetzt folgt die Erklärung, das eigentliche Gleichnis.

Es ist einem Sauerteig ähnlich, den eine Frau genommen und in drei Maß Mehl verborgen hat, bis dass er ganz durchsäuert war. So weit.

Hier möchte ich euch erst einmal ein bisschen mit hineinnehmen in die Küche. Ich weiß nicht, wie gut ihr euch auskennt. Wenn ihr Brot backt, dann geschieht das normalerweise klassisch entweder mit Hefe oder mit Sauerteig. Hefe ist ein mikroskopisch kleiner Pilz, der sich durch Sprossung vermehrt und das Brot aufgehen lässt. Sauerteig fermentiert ebenfalls, auch durch die Luft, durchsetzt das Ganze, und der Effekt ist der gleiche: Es entstehen Gasblasen, wodurch das Brot luftiger wird und nicht so kompakt wie ein Kuchen.

Heute würde Jesus vielleicht das Gleichnis vom Backpulver erzählen oder so etwas Ähnliches, das nimmt man ja heute manchmal. Aber damals waren es eben diese Naturprodukte. Normalerweise hatte man das Brot mit Sauerteig gebacken.

Wenn man einmal so einen durchsäuerten Teig hat, dann muss man nur ein kleines Stückchen davon aufbewahren. Beim nächsten Backen gibt man dieses kleine Stück in das neue Mehl, fügt etwas Wasser hinzu, und in kurzer Zeit wird das Ganze wieder durchsäuert und bläht sich auf. Dann kann es in den Ofen kommen. Vorher nimmt man wieder ein kleines Stück weg. So hat man immer fortwährend seinen Sauerteig, den man benutzen kann.

Das ist erst einmal das Küchentechnische. Der Hintergrund ist derselbe wie beim ersten Gleichnis: Etwas Kleines hat eine große Wirkung, etwas Kleines beeinflusst viel. So wie bei dem kleinen Senfkorn, das hinterher für alle Vögel des Himmels, also für die ganzen Heiden, eine Heimatstätte bietet, so hier das kleine bisschen Sauerteig.

Jesus erzählt hier gerade ein Beispiel, bei dem nicht nur die normale Küchenmenge Brot gebacken wird. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber wir backen zuhause auch selbst Brot. Das ist normalerweise eher in der Größenordnung von ein oder zwei Kilo.

Hier aber ist das ganz anders. Nach der Luther-Übersetzung wird von einem halben Zentner Mehl gesprochen. Wenn wir das umrechnen, ist das eigentliche Wort kein Zentner, sondern Maß. Dieses Maß war im Jüdischen etwa dreizehn Liter, was in Mehl etwa acht Kilo entspricht.

Wenn wir dreizehn Liter mal drei rechnen, sind das neununddreißig Liter. Acht Kilo mal drei sind vierundzwanzig, also rund fünfundzwanzig Kilo. Wer sich noch mit Zentner auskennt, weiß, dass ein Zentner fünfzig Kilo sind. Wenn hier ein halber Zentner steht, dann sind das etwa fünfundzwanzig Kilo Mehl.

Das ist schon eine größere Menge. Normalerweise benutzt man so viel Mehl nicht zum Brotbacken in der kleinen Familie. Hier soll aber gerade gezeigt werden, dass etwas ganz Kleines riesige Auswirkungen hat. Diese Menge genügte damals normalerweise für ein Festmahl von etwa hundert Personen.

Ihr könnt das auch mal umrechnen: Bei vierzig Kilo für hundert Personen hat jeder etwa vierhundert Gramm Brot. Und die essen ja nicht nur Brot, sondern auch noch andere Speisen dazu. Das heißt, das reicht schon für eine ganze Menge Leute.

Hier wird also vor Augen geführt, dass aus etwas ganz Kleinem etwas ganz Großes entsteht. Die Masse geht auf.

Übrigens: Dort, wo steht, dass der Sauerteig verborgen wird, also die Frau den Sauerteig im Mehl verbirgt, wird das Wort „krypto“ verwendet, was so viel wie „verstecken“ bedeutet. Das heißt, das Reich Gottes wirkt im Geheimen.

Stellt euch den Mehldruck vor: Ihr habt 25 Kilo Mehl, schon ein ganz schöner Haufen. Darin ist ein kleines bisschen Sauerteig verborgen. Was sieht der Außenstehende davon? Er sieht nichts, es sieht aus wie ein Haufen Mehl.

Genauso will Jesus sagen: So ist auch das Reich Gottes. Es fällt nicht auf. Im Leben des Einzelnen verändert sich etwas, in der Welt verändert sich etwas, aber von außen sieht man das erst einmal nicht. Dennoch ist die Veränderung da.

So kann es auch bei uns manchmal sein: Ihr seht jemanden, der gläubig geworden ist, und äußerlich sieht er erst einmal genauso aus. Die Frisur ist ähnlich, die Gesichtszüge sind ähnlich. Trotzdem ist innerlich etwas Neues entstanden.

Genauso ist es in der Welt, in der wir leben. Auf der einen Seite kann man sagen: Die Menschen sind doch immer noch so egoistisch wie vor zweitausend Jahren. Auf der anderen Seite sehen wir verborgen, im Geheimen, nicht in der großen Presse oder Öffentlichkeit, echte Veränderungen, wenn wir genau hinschauen.

Das ist der Hintergrund, der hier mitschwingt.

Was ich allerdings auch noch erwähnen möchte, ist, dass Sauerteig im Normalfall für die Juden etwas Negatives bedeutet. Nicht beim Backen, aber im Hinblick auf Reinheit, Sauberkeit und Heiligkeit.

So können wir auch verstehen, dass zum Beispiel beim Passamahl verboten war, Brot mit Sauerteig zu essen. Vor dem Passa musste das ganze Haus gesäubert werden. Das ist bis heute bei Juden so: Der letzte Krümel Sauerteig muss beseitigt werden, weil Sauerteig als etwas Unreines galt.

Das Passamahl ist das Fest der ungesäuerten Brote, der Matzen. Dort isst man Brot, das nur aus Mehl und Wasser besteht. Es wird auch ganz dünn gemacht, sonst kann man es nicht essen.

Warum wurde Sauerteig als negativ angesehen? Einfach deshalb, weil man davon ausging, dass Sauerteig die Substanz verändert. Das ist nicht etwas Gutes.

Die Reinheitsgebote im Alten Testament basieren auch darauf: Hier die Milch, da das Fleisch, hier das, da das. Der Sauerteig verändert die Substanz dessen, worin er sich befindet.

Ich glaube, dass Jesus dieses Beispiel vom Sauerteig bewusst gewählt hat, um die Menschen ein wenig herauszufordern und zu provozieren.

Jesus benutzt etwas, das die Juden in erster Linie als unrein ansahen – abgesehen vom Alltagsessen – als Zeichen für das Wirken Gottes im Leben der Welt und der Menschen.

Er will sie zum Zuhören bringen. Warum? Weil viele seiner Zuhörer genau das, was er predigt, als negativ ansehen.

Jesus wird als Irrlehrer bezeichnet, als Gotteslästerer.

Und hier sagt er: „Ihr seht das vielleicht als negativ an, aber genau das ist es, was Gott benutzt, um hinterher alles zu verändern, in dem wir leben.“

Dass er dieses Bild aufgreift, um die Menschen zu provozieren und herauszufordern, kann ich mir gut vorstellen. Dieses Herausfordernde steckt hier dahinter.

Schlussfolgerungen und Ermutigung

Ja, was können wir nun daraus schließen? Zum einen, dass das Himmelreich aus kleinsten Anfängen entsteht. Was sagt uns das? Es kann uns motivieren, dass wir als einzelne, im Weltgeschehen eher unbedeutende Personen, wenn wir auf das Wort Gottes achten und im Alltag das tun, was Gott von uns will, genauso wirken können wie dieser Sauerteich.

Wenn wir oder ihr nämlich erwartet, dass sich alle Leute sofort bekehren und umkehren, sobald wir auftreten, dann sind wir häufig frustriert. Dann denken wir, das Reich Gottes wirkt ja gar nicht, da passiert ja nichts, und hören irgendwann auf. Aber wenn wir hier vor Augen haben, wie Gottes Wirkweise im Normalfall ist, dann sehen wir, dass es nicht dieses riesig großartige Auftreten ist. Das kommt am Ende der Zeiten auch noch, aber das ist nicht das Normale, wie Gott wirkt.

Denken wir gerade an die Person Jesu: Wie ist Gott Mensch geworden? Als kleines Baby, vollkommen unscheinbar. Ja, das war eben der Sauerteich, der da angefangen hat. Hätte irgendjemand auf die Idee gekommen, dass das die größte Revolution der Weltgeschichte ist? Dass das die Person ist, die die Weltgeschichte am meisten beeinflusst hat, gerade was unsere westliche Welt angeht? Wahrscheinlich nicht. Aber genau das gilt auch für unser Leben.

Natürlich sind wir nicht Jesus, das ist klar, aber Gott wirkt auch durch uns im Verborgenen. Gott hat nicht unbedingt die Größten und Bedeutendsten von der Welt erwählt. Manchmal haben natürlich auch große Persönlichkeiten Glück, errettet zu werden, aber das meiste, was Gott wirkt, geschieht durch das Verborgene. Das soll uns ermutigen, dass wir nicht die falschen Erwartungen haben und dadurch frustriert werden, sondern dass Gott im Verborgenen wirkt. Und du gehörst zu diesem Sauerteich dazu, wenn du Christ bist.

Dann das nächste: Das Reich Gottes wirkt sich weitgehend unbemerkt aus. Das heißt, es ist etwas Innerliches, das wir über lange Zeit schon sehen können. Schaut mal heute ins Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Wir können uns darüber beschweren, dass in der Politik vieles ungeistlich geschieht. Aber wenn ihr heute mal vergleicht mit dem Leben der Germanen vor 1500 Jahren, bevor sie Christen geworden sind, dann müssen wir sagen: Unsere Kultur ist durch und durch christlich.

Zum Beispiel die Überzeugung, dass es keine Sklaven mehr gibt, keine Leibeigenen. Jetzt sagen wir vielleicht, das ist noch gar nicht so lange her. Im Germanentum um 500 oder 600 war es so: Hast du einen Sklaven erschlagen, musstest du eine kleine Summe Geld bezahlen. Einen freien Menschen zu töten, war viel teurer. Einen Adeligen zu töten, wurde sofort mit dem Tod bestraft. Das gibt es heute nicht mehr. Heute sagen wir: Ein Mensch gilt wie der andere. Das ist ein christlicher Gedanke, der dahintersteht.

Oder die ganze Aktion der Nächstenliebe, dass wir sagen, Leute werden im Krankenhaus behandelt. Glaubt ihr, es gab das irgendwo in der Geschichte einmal, dass man aus Nächstenliebe oder Solidarität gehandelt hat? Das alles stammt eigentlich aus dem Gedanken Jesu: Wir sollen füreinander sorgen. Alle Krankenhäuser, die wir heute haben, sind im Mittelalter aus kirchlichen Initiativen entstanden, aus Klöstern und ähnlichem.

Hier merken wir, dass das, was unmerklich angefangen hat, heute unsere Gesellschaft durchdrungen hat. Viele Leute vertreten christliche Maßstäbe, ohne zu wissen, dass diese aus dem Christentum stammen. Viele benutzen christliche Sprichwörter, wie „von Pontius zu Pilatus gehen“ oder „wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein“. Die Leute wissen oft nicht einmal, dass diese aus der Bibel stammen. Das heißt, christliche Überzeugungen und Vorstellungen sind ganz tief im Bewusstsein der Menschen verankert, ohne dass sie genau wissen, woher sie kommen.

Klar, wir sehen auch eine gewisse Auflösungserscheinung, das schon. Aber ich möchte heute euren Blick bewusst auf die andere Seite lenken: zu sehen, dass Gott schon da ist und wirkt – durch Christen, durch Gemeinden, durch Menschen. Auch wenn manches Mal einiges noch besser laufen könnte, als wir es uns wünschen.

Ein weiteres ist auch, dass das Himmelreich Gottes von innen heraus wirkt. Nicht, dass es immer deutlich sichtbar ist. Wenn ich es nicht überinterpretiere, wird es innen hineingelegt. Und wenn ich das jetzt mal auf unser Leben anwende, dann bedeutet das auch: Veränderung geht in erster Linie von innen aus.

Es nützt wenig, wenn du sagst: Ich mache etwas äußere Kosmetik. Ich lächle jetzt mal ein bisschen mehr fromm, stelle mir ein paar fromme Bücher ins Haus. Das ist alles nicht schlecht, aber die eigentliche Veränderung, wenn sie das Leben durchdringen soll, muss von innen herauskommen.

Was da erneuert werden muss, ist das, was Jesus auch sagt: die Erneuerung eures Sinnes. Das heißt, unser Denken, unser Wille, unser Empfinden müssen verändert werden. Denn wenn wir uns nur einen äußeren Druck auferlegen, hält das nur so lange, wie wir Angst haben oder der Druck groß genug ist, wie wenn uns jemand überwacht oder mit Strafe droht.

Hingegen, wenn mein inneres Empfinden, Fühlen und Denken verändert ist, dann ist äußerer Druck kaum noch nötig. Deshalb muss die Veränderung in erster Linie in unserem Inneren, in unserem Persönlichkeitskern stattfinden – im Fühlen, Wollen, Denken, Empfinden und Planen. Dann kann das Äußere viel schneller und leichter folgen.

Das ist anders als bei den Pharisäern. Dort war das Innere nicht entscheidend. Betest du oft genug? Gibst du so und so viel von deinem Geld weg? Gehst du regelmäßig zum Gottesdienst? Betest du so und so? All diese Regeln betreffen das Äußere. Man versuchte, den Menschen von außen nach innen zu verändern.

Hier aber wird der Mensch von innen nach außen verändert, und das ist das, wofür Jesus wirbt.

Was wir auch noch sagen können: Das Reich Gottes wächst und wächst, und es kann durch nichts aufgehalten werden. Ich denke hier noch einmal an die Zusage: Denkt daran, auch wenn ihr manchmal zweifelt, ob Jesus wirklich wiederkommt – es wächst. Das ist das Versprechen, das auch hier drinsteht. Nichts kann dem schaden, und es wird dazu führen, dass dieses Reich Gottes am Ende total ausgeweitet ist und allen Menschen, die umkehren, Platz im Reich Gottes bietet.

Ich möchte an dieser Stelle Schluss machen. Ich hoffe, es ermutigt euch, diesen Blick zu haben: dass Gott in unserer Welt wirkt und auch in eurem Leben wirkt. Dass das, was klein und unscheinbar anfängt, in der Sicht Gottes groß wird und viel verändert. Zum Teil tut es das schon in der Gegenwart, zum Teil bist du Teil des Reiches Gottes, und Gott will durch dich wirken – von innen nach außen, vom Unscheinbaren hin zum Sichtbaren.

Denkt an die Vielfalt, die verschiedenen Vögel, die im Reich Gottes Platz haben. Wir müssen nicht alles normieren, und nicht alle müssen so sein wie wir. Die Grenzen, die gesetzt sind, setzt nur Jesus durch den Baum der Erkenntnis. Aber wir als einzelne Vögel haben nur unser kleines Nest, das wir bewohnen. Wir sollen uns nicht anmaßen, über den ganzen Baum zu bestimmen. Das, was Gott uns sagt, offenbart die Bibel klar. Aber alles andere sollten wir mit Bescheidenheit sehen und die Vielfalt durchaus schätzen.

Schlussgebet

Ich möchte an dieser Stelle noch mit euch beten. Vater im Himmel, vielen Dank für Dein Wort und auch für das Gleichnis vom Senfkorn und vom Sauerteich.

Ich möchte dich bitten, dass du uns gebrauchen willst, so wie du es dort verheißen hast – auch dort, wo wir in der Welt keine große Bedeutung haben. Zeige uns unseren Platz, an dem du uns gebrauchen möchtest, damit wir als Sauerteich unser eigenes Leben verändern und auch das Leben anderer Menschen mitverändern können.

Ich bitte dich, dass du uns immer wieder vor Augen malst, wie du im Alltag handelst. So können wir ermutigt werden und nicht nur die Vergänglichkeit oder die Schwächen der Kirche und der Gemeinden in unserer Umgebung sehen. Sondern wir erkennen, dass dein Plan dahintersteht und dass du derjenige bist, der diesen Baum wachsen lässt – nicht wir.

Ich möchte dich auch bitten, dass du uns eine positive Toleranz und eine gute Vielfältigkeit, also Akzeptanz, schenkst. So können wir bereit sein, andere zu akzeptieren, die anders sind als wir, die anders denken oder leben, aber sich trotzdem treu an dich halten. Lass uns erkennen, wo wirklich die Grenzen sind und wo wir vielleicht nur von unserer Seite aus welche setzen, obwohl du gar keine gesetzt hast.

Begleite uns an diesem Tag, segne unsere Gespräche miteinander und auch die Zeit des Urlaubs hier in Brake. Amen.