Einführung in das Bild des guten Hirten
Unser Predigttext steht im Johannesevangelium, Kapitel 10, Verse 11 bis 16.
Jesus spricht: Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe. Der bezahlte Knecht, der Miedling, wie er im alten Luthertext genannt wird, ist kein richtiger Hirte, weil ihm die Schafe nicht gehören. Er sieht den Wolf kommen, verlässt die Schafe und flieht. Dann fällt der Wolf über die Schafe her und zerstreut sie.
Denn der Knecht arbeitet nur um des Lohnes willen, und an den Schafen liegt ihm nichts. Ich bin der gute Hirte und kenne die meinen, und die meinen kennen mich, wie mich mein Vater kennt und ich den Vater kenne. Ich lasse mein Leben für die Schafe.
Ich habe noch andere Schafe, die nicht aus diesem Stall sind. Auch sie muss ich herführen, und sie werden meine Stimme hören. So wird es eine Herde und einen Hirten geben.
Herr, jetzt lass es geschehen, dass wir nur dich sehen als den einen Hirten unseres Lebens. Amen.
Die Suche nach Sinn und Lebenssinn in der modernen Welt
Ich war sehr erschüttert, als ich vor einigen Tagen in der Zeitung die Nachricht über den reichsten Wohnungsbesitzer unserer Zeit las. Ich versuche mir das immer vorzustellen: Manchmal bin ich ganz verzweifelt, wenn ich für irgendeine Familie eine Wohnung suchen muss. Aber wenn jemand nicht bloß hundert, sondern tausend oder sogar zwanzigtausend Wohnungen besitzt, muss das doch ein glücklicher Mensch sein.
Und doch hat sich dieser Mensch das Leben genommen. Es hieß, er habe wirtschaftliche Schwierigkeiten gehabt. Na ja, wenn jemand am Hungertuch nagt, können wirtschaftliche Probleme sicher sehr belastend sein. Aber ist das wirklich wahr? In der Luxuswohnung, die in den Bildern gezeigt wurde, sitzt seit langem ein verzweifelter Mensch, der mit dem Leben nicht zurechtkommt.
Man ahnt, dass vielleicht das Suchen nach Geld und Besitz nur eine Ersatzhandlung war – ein verzweifelter Versuch, irgendwo einen Lebenssinn zu finden. Wir haben kaum Zeit, über eine solche Nachricht, die uns erreicht, länger nachzudenken und zu verstehen, was sich gerade um uns herum ereignet. Dann kommen neue Nachrichten, und wir vergessen das Alte.
Als Nächstes ist es ein Staat oder ein berühmter Politiker, von dem man hört, dass er am Leben verzweifelt ist und nicht mehr fertig wird mit dem, was ihn bewegt. Wenn wir doch den Blick Jesu hätten! Da müssten Sie viel in der Bibel lesen. Jesus konnte schon vor zweitausend Jahren hinter die Fassade des Äußeren schauen und genau erkennen, wo jemand war, der eine Sehnsucht nach Leben hatte.
Die Herausforderung, erfülltes Leben zu erkennen und zu geben
Gibt es heute überhaupt noch Menschen, die wirklich Leben haben – erfüllt und fröhlich? Manchmal habe ich die Sorge, dass wir bei unseren evangelistischen und missionarischen Bemühungen die Menschen nur oberflächlich wahrnehmen. Wir wollen sie nur einladen, ohne wirklich zu merken, dass wir zu ihnen kommen und ihnen Leben bringen.
Wir erwarten, ihnen ein Angebot zu machen, wenn wir in ihren Wohnungen sitzen, mit ihnen zusammen sind, im Auto oder bei Gesprächen auf der Straße. Jesus kann jetzt erfülltes, neues Leben geben. Hinter der äußeren Fassade unseres Reichtums, der uns gestern Abend über der Trümmerwüste vor vierzig Jahren so erschütternd wurde – den wir also rissig erkannten – sitzen Menschen, denen es gar nicht wohl ist. Sie suchen, und oft sind es die einfachen, ganz selbstverständlichen Erlebnisse, die sie berühren.
Eine Krankheit, die plötzlich hier und da auftritt – im Nachbarhaus, in der Familie oder bei Freunden – bringt Menschen aus dem Gleichgewicht. Sie werden damit nicht mehr fertig. Es ist Enttäuschung an Menschen und am Vertrauen. Es ist die Last der Arbeit, die auf ihnen liegt und sie so niederdrückt, dass sie zermalmt werden.
Das Bild des guten Hirten als Trost und Hoffnung
Da darf ich Ihnen heute vom guten Hirten erzählen. Ich möchte gleich zu Beginn klarstellen, dass ich heute am liebsten gar kein Wort von mir dazu gesagt hätte. Denn ich weiß: Dieses Bild vom guten Hirten spricht uns so unmittelbar und direkt an, dass man es nur auf diese Weise ausdrücken kann.
In meinem Leben bin ich oft an Betten von Menschen gestanden, die seit vielen Jahren, vielleicht sogar Jahrzehnten, nichts mehr von Gott wissen wollten. Selbst in der größten Todesschwäche, wenn man ihnen ein Wort vom guten Hirten gesagt hat – und sei es nur ein Vers aus diesem unvergleichlichen Psalm, diesem Lied Davids: „Der Herr ist mein Hirte“ – wie plötzlich schauen die Augen eines solchen Sterbenden uns ganz fest an. Die Hände bewegen sich und legen sich noch zusammen zu einem Gebet. Es ist ein Ahnen, ein Erspüren: Dort ist eine Stelle des Friedens mitten im Sturm der Welt.
Man kann sich dort bergen, gerade wenn man durch das finstere Tal geht. Denn Jesus hat versprochen, dass er mitgeht. Und er weiß etwas von den Wasserquellen in der Wüste dieser Welt.
Eigentlich wollte ich gar nicht darüber reden. Ich wollte Ihnen einfach nur die Worte vorlesen und Ihnen dann Stille schenken. Doch das können Sie zu Hause noch nachholen: selbst darüber nachzudenken, was das für eine gewaltige Botschaft ist!
Dabei haben nicht Menschen irgendein menschliches Bild von Jesus gewählt. Jesus selbst möchte seine unvergleichliche göttliche Sendung uns nur ganz abgeschwächt, nur ganz menschlich vergleichbar darstellen. Damit wir wissen: Das, was wir verstehen, ist nur ein schwacher Abglanz dessen, was Jesus wirklich ist.
Was sind schon Hirten? Das sind doch auch nur Menschen. Das Hirtenamt Jesu ist viel vollkommener und größer. Ich möchte nur an drei Stellen dieses großen Jesuswortes kurz innehalten und einige Dinge dazu sagen.
Jesus sucht die Einsamen in einer lauten Welt
Das erste: Jesus sucht die Einsamen.
Warum gibt es eigentlich in unserer Welt so viele einsame Menschen? Wir leben doch so dicht beieinander, dass man kaum noch ein Plätzchen findet, wo man für sich Ruhe und Stille hat. Überall begegnen uns Menschen. Man kann kaum noch durch die Straßen gehen, ohne auf viele Menschen zu treffen. In den Wohnungen hört man von rechts und links den Lärm bis in die Nacht hinein. Es ist laut von Menschen.
Doch diese Einsamkeit bedeutet letztlich nur, dass wir niemanden haben, der uns versteht. Selbst wenn wir einander das Zurufen „Wie geht es?“ – ist es ja nie so gemeint. In der Hektik unserer Zeit haben wir keine Zeit, all die Leiden des Anderen anzuhören und darauf zu achten, was ihn gerade bewegt. Wir rennen einfach aneinander vorbei.
So sind viele Menschen enttäuscht von uns Christen. Das wollen wir auch heute in diesem Gottesdienst wieder sagen: Wir machen immer einen großen Fehler. Wir Christen reden viel zu viel von unserer Kirche und viel zu wenig von Jesus. Bei der Kirche überschätzen wir immer wieder unsere Macht, unser Können und unser Erscheinungsbild. Bei Jesus unterschätzen wir es.
Wir sollten vor den Menschen immer ihn verkündigen und ihn groß machen. Denn wir können den Leuten sagen: Er versteht dich. Das ist nicht nur eine moderne Not, sondern eine alte Not des Menschen. Jesus kann uns erklären, warum wir einsam sind.
Die Verführtheit und Verlorenheit des Menschen
Was ich jetzt sage, widerspricht unserem üblichen Denken. Ich möchte diejenigen, für die das ungewohnt ist, um Geduld bitten und darum, freundlich zuzuhören.
Es geht gegen unser Selbstverständnis, wenn Jesus davon spricht, dass wir verführt sind. Wir tun oft so, als könnten wir als moderne Menschen unser Leben wirklich eigenmächtig bestimmen.
Vor Kurzem las ich den Bericht eines jungen, ehemaligen Drogensüchtigen, der durch die Wunderkraft Jesu befreit wurde. Er sagt: „Wenn ich heute zurückdenke, war es der Fehler meines Lebens, dass ich nie zugeben wollte, dass ich Hilfe brauche.“
Er erzählt weiter, dass er, wenn er heute mit jungen Menschen spricht, genau diese Not spürt. Alle sagen, jemand anderes sei schuld an der Misere ihres Lebens.
Er selbst habe voller Verachtung auf seinen Vater herabgesehen, der Trinker war. „Mein Vater, der ist ein Lump“, sagte er. Doch obwohl er schon längst im gleichen Dreck saß, war er noch viel zu stolz, das zuzugeben.
Verführt! Jesus spricht von Miedlingen, und das ist die Schlüsselstelle dieses Abschnitts: Wer ist der Miedling?
Ich habe oft gelesen, dass es sich um Irrlehrer oder Ähnliches handelt. Aber sind es nicht vielmehr die vielen Mächte und Idole, die uns in den Bann ziehen?
Es gibt so viele, die uns von der frühen Jugend an alles versprechen, was ein leuchtendes und großes Leben ausmacht. Die großen Führer, die die Jugend in den Bann ziehen.
„Ich will doch ein großes Leben haben, ich will doch dort sitzen, wo man alle Freude und Lebensgenuss hat.“ Wer will das nicht?
Schafe sind dumm, und Schafe lassen sich von jedem verführen. Das ist die schreckliche Lebensgeschichte, die Jesus enthüllt: Wir sind verführt!
Die Realität der Verlorenheit und die Not der Menschen
Wahrscheinlich kann man die Botschaft Jesu erst richtig begreifen, wenn man merkt, dass man nach Jahren des Weges wirklich in der Wüste sitzt.
Liebe Schwestern und Brüder, ich möchte Ihnen heute sagen: Wenn Sie durch irgendwelche Lebensumstände oder schwere Prüfungen sagen, dass Sie heute nicht mehr weiterwissen, dann ist das wichtig zu bedenken. Bis jetzt lief eigentlich alles ganz gut. Vielleicht ist es nur eine äußere Panne in Ihrem Leben – Sie haben gerade keine Arbeitsstelle mehr oder eine Krankheit belastet Sie, und die Ärzte kommen nicht richtig weiter. Vielleicht bewegt Sie nur dieses kleine Problem.
Doch vielleicht merken Sie jetzt, dass Ihr ganzes Leben irregeleitet ist. Nicht nur, weil Sie nicht mehr weiterkommen, sondern weil Ihr Leben in der Wüste sitzt.
Jesus spricht vom Mietling, der als Kennzeichen hat, dass er nur ein bezahlter Hirte ist. Im Gegensatz zum Kind, das die Herde liebt, will der Mietling die große Gefährdung der Herde gar nicht wahrnehmen. Auch darüber sollte man ein wenig nachdenken, denn nur so kann man die Tiefe dieser Worte Jesu wirklich begreifen.
Was ist der Wolf, der da kommt, zerreißt und zerstreut? Wir leben heute in einer modernen Gesellschaft, die einfach leugnet, dass es solche Mächte und Kräfte gibt, die unser Leben zerstören können.
Wir leben in dem großen Irrglauben, als könnten wir die Welt durch eigene Bemühungen und unsere Klugheit so gestalten, dass das Leben gefahrlos wäre. Deshalb sind sie Mietlinge – bezahlte Knechte –, die die Schafe nicht richtig führen können. Weil sie die große Bedrohung, die Gefährdung, leugnen.
Die Zerbrechlichkeit menschlichen Lebens und die Macht der Sünde
Und jetzt wollte ich eigentlich nur von den Gesichtern sprechen, die ich tagtäglich sehe. Von den zerfurchten Gesichtern mit den Sorgenfalten, wo Mütter nicht mehr lachen können, weil sie verzweifelt sind über ihre Kinder und deren Weg nicht mehr gutheißen können. Denn diese Kinder gehen ihren eigenen Weg.
Wenn ich junge Menschen sehe, die fröhlich ins Leben starten, die so glücklich sind und Liebe entdeckt haben, dann ist alles zerbrochen im Betrug der Sünde. Das sind Ehepaare, die auseinandergehen, voller Bitterkeit und über Jahre hinweg nur noch Worte des Hasses füreinander finden, weil der Wolf zerreißt und zerstreut.
Dann gibt es diesen Wahn, dass die verirrten Schafe sagen: „Ja, vielleicht finde ich jetzt einen anderen Partner, es liegt nur am Partner.“ Sie merken gar nicht, dass die Sünde ihres Lebens schuld ist und die Macht des Bösen, die uns längst geprägt hat. Unser Leben ist voll von den Spuren dessen, was die Welt so mit sich bringt.
Wie ich letzten Sommer an der Nordsee war, war ich erschüttert, was alles das Meer so anspült. Da liegen nicht bloß Bretter und Plastikdosen, sondern auch dieser furchtbare Ölschlamm, der immer dicker wird. Man möchte gar nicht mehr barfuß durchgehen, weil man den Dreck nicht von den Füßen bekommt. Der saubere Sand ist vollgespült mit dem Schmutz, den das Meer dort liegen lässt.
So ist auch unser Leben angespült mit dem großen Schmutz der Sünde. Wir können noch große Pläne fassen für ein neues Leben und einen Neuanfang, doch das Alte liegt da, so klebrig und zäh wie dieser Ölschlamm, den man nicht wegnehmen kann.
Die Flucht des Mietlings und die Not der Menschen
Der Mietling flieht, und sie haben alle kein Wort mehr. Es ist mir so schwer, dass ich nicht weiß, wie oft ich in der Woche angerufen werde. Leute fragen mich: Haben Sie nicht einen christlichen Psychotherapeuten?
Manchmal denke ich, ich wollte noch studieren. Aber manchmal denke ich auch, vielleicht bräuchten Sie nur Seelsorge. Vielleicht.
Wenn all das Schwere, das Sie schon durchlitten haben, wenn diese grässlichen Phantasien und üblen Gedanken, diese bitteren Worte und diese Enttäuschungen heute noch auf Ihrer Seele liegen, dann wundere ich mich nicht mehr, dass Sie Depressionen haben. Das ist wie eine Zentnerlast, die auf Ihnen lastet und Sie niederdrückt. Und da ist niemand mehr da.
Da können Sie einen Schlager pfeifen, und er hilft Ihnen nicht mehr. Da können andere Ihnen sagen: „Du musst das vergessen.“ Da können andere sagen: „Spül es doch weg mit Alkohol.“ Aber man kann es nicht wegspülen, weil es danach umso fester und schlimmer wieder da ist.
Jesus sucht die Verirrten und bietet Heilung an
Jesus sucht Verirrte. Zuerst sagte ich „einsam“, weil ich Ihnen das Wort „verirrt“ eigentlich nicht zumuten wollte. Vielleicht denken Sie dann: „Das trifft auf mich gar nicht zu.“ Doch für uns alle trifft es zu.
Man kann jahrelang in einer Kirche sitzen, fromme Lieder singen und doch ganz weit entfernt sein vom guten Hirten. Man weiß vielleicht von ihm, aber gerade dort, wo das Leben die dicken Knoten gemacht hat und man nicht mehr weiter weiß, ist er nicht wirklich da. Man findet den Weg nicht, den Jesus uns zeigt.
Dann kennt man viele Mietlinge, auch solche mit schwarzem Talar und weißen Bäffchen oben dran. Ich weiß, dass ich Ihnen damit schuldig werde. Ich sage es Ihnen freimütig, denn ich kann und will Ihre Erwartungen nicht erfüllen. Ich bin nur jemand, der Ihnen Sonntag für Sonntag und Dienstag für Dienstag verkündet, dass Jesus der einzige gute Hirte ist.
Wir alle werden dafür bezahlt, aber er nicht. Und gerade deshalb sucht er sie – die Verirrten. Dieser eine gute Hirte mit seiner großen Liebe.
Das Versagen der Christen und die Not der echten Hirtenliebe
Es ist erschütternd, wie wir als Christen versagen. Um es ganz klar zu sagen: Wir müssen unsere Schwächen erkennen, aber nicht daran hängen bleiben. So können wir uns manche unnötige Mühen ersparen. Denn manchmal sind wir einfach zu verbohrt.
Dann sind wir Würdenträger, aber keine barmherzigen Samariter. Wir werden zu bloßen Funktionären, auch bei evangelistischen Aktionen. Manchmal läuft alles so routiniert ab, zum Beispiel wenn wir von Tür zu Tür gehen.
Vielleicht war es den Helfern im Gemeindedienst in der letzten Woche auch ein bisschen schwer: Noch eine Tür, noch eine Runde. Man klappert die Türen ab und gibt seine Grüße weiter. Dabei merkt man kaum noch, dass hinter den Türen Menschen sitzen, die auf jemanden warten, der ihre Not hört.
Jemand, der ein barmherziger Hirte ist und etwas von der Hirtenliebe Jesu selbst an seinem Herzen erfahren hat. Nur solche Menschen können diese Liebe weitergeben. Nur Menschen, die selbst erlebt haben, wie Jesus ihnen Seelsorge geschenkt hat, können in dieser Welt wirklich weitergeben, was sie erfahren haben.
Jesus bleibt bei den Verzweifelten und bringt Heilung
Wie bei einer zweiten Stelle möchte ich kurz innehalten. Er hat bei uns ausgeruht. Der gute Hirte, der in diese Welt kommt und die Not sieht, hat ein so großes Amt, dass er bei den Menschen bleibt. Besonders bei denen, die verzweifelt und einsam sind.
Ich hätte jetzt Lust, einfach Jesusgeschichten durchzugehen. Man müsste ausführlich erzählen, wie es war, als Jesus bei dem wohlhabenden Zöllner Zachäus einkehrte. Schon das Kommen Jesu war festlich. Vieles wurde gelöst, noch bevor die Konten geändert oder Überweisungen aufgesetzt wurden, um den Schaden wiedergutzumachen. Noch bevor die Lebensveränderung wirklich geschehen war, hatte das Einkehren Jesu in so ein Haus bereits eine große Wirkung.
Ich bin davon überzeugt, dass Jesus auch heute große Pläne hat. Er möchte in die Häuser der Kinder einkehren, um die sich viele sorgen. Ebenso in die Nachbarhäuser, in die Häuser unserer Führungspersönlichkeiten und unseres Volkes. Er will bei denen einkehren, die in Film und Fernsehen die großen Rollen spielen.
Jesus sucht Menschen. Selbst gestrandete und ausgeflippte Leute sucht Jesus, geht ihnen nach und bleibt bei ihnen.
Die Last des Leids und die Kraft der Jesusliebe
Mir geht es oft so: Wenn ich an irgendeiner Stelle von schwerem Leid höre, fällt es mir oft sehr schwer, es zu ertragen. Wenn man dann lange genug Leid gehört hat, sagt man sich: Jetzt muss ich mal wieder raus, jetzt muss ich etwas anderes sehen, jetzt muss ich die schöne Natur genießen. Man kann nicht ständig nur Leid sehen.
Wenn Menschen auf einem Sterbebett liegen – eine Nacht, einen Tag und noch eine Nacht – sagen sie oft: Ich muss mal raus, ich muss etwas anderes sehen. Wir Menschen können das Leid kaum ertragen; es ist viel zu schwer.
Jesus hat die ganze Last dieser Welt auf sich genommen und erträgt sie. Wenn man das sieht, zum Beispiel in unseren christlichen Heimen der Diakonie, wird das besonders deutlich. Einst haben die Väter gewagt, die ganze Last zusammenzutragen: sechstausend, siebentausend Kranke in Bethel. Wie kann man das aushalten? Wenn wir nur einen kurzen Rundgang machen, ist das doch bedrückend.
So etwas kann man nur aushalten, wenn man viel von der Liebe Jesu hat und wenn man etwas über die ganze Not der Welt weiß.
Die Bedeutung der Sünde und die Kraft der Vergebung
Darum muss ich an dieser Stelle ganz klar sagen: Wenn ich Wert darauf lege, in jeder Predigt von der Sünde als der großen Not unseres Lebens zu sprechen, dann meine ich das nicht in irgendeiner abgeschmackten Weise.
Vielleicht sagen Sie, Sie seien in einem sehr sturen Elternhaus aufgewachsen, das Ihr Gewissen versklavt hat, und Sie sind seitdem allergisch, wenn Sie das Wort hören. Dann lassen Sie es sich noch einmal sagen: Sie müssen es mit neuen Ohren hören.
Es wäre unbarmherzig von mir, wenn ich Ihnen an dieser Stelle verschweigen würde, dass die ganze Not Ihres Lebens damit zusammenhängt, dass wir die Nähe Gottes verloren haben und sein Wort gebrochen haben. Darum finden wir keinen Frieden. Darum wird uns Krankheit, Berufsnot und Arbeitslast so unerträglich, dass wir nicht mehr damit fertigwerden. Darum kommen wir nicht klar mit den Gaben unseres Lebens.
Es ist sehr barmherzig, dass ich von Sünde spreche, denn Sünde kann weggenommen werden. Sie gehört nicht ursprünglich zu meinem Leben, sie ist kein Teil von mir. Ich kann von ihr geschieden werden.
Darum hatte Jesus die Kraft auszuharren, weil er davon sprach, dass das Leben neu werden kann. Es ist nicht so, dass man das bloß ertragen muss. Jesus ging es um eine Änderung. Er ging ins Haus des Zachäus, weil Heil widerfahren ist und weil das Alte bewältigt werden kann. Selbst die großen Wunden Ihres Lebens können heilen.
All denjenigen, die gestern nicht da waren, muss ich sagen: Sie haben viel versäumt. Denn das wollten wir gestern – die Wunden, selbst von vor über vierzig Jahren, heilen und einen dicken Strich der Vergebung Jesu darunterlegen. Und Sie sagen: Ich gehe fröhlich in die Zukunft. Das ist Christenart.
Die persönliche Beziehung zum guten Hirten
Ich habe eine Hoffnung. Da spricht Jesus im Vers 14: „Ich kenne die meinen, ich kenne sie.“ Er kennt mein schwaches Herz. Er kennt meine verdorbenen Gedanken, meine egoistische Art und mein gottloses Wesen – die Sünde, die ich vor ihm verbergen will. Ich kenne sie.
Ich schäme mich vor den Menschen. Keiner soll mein Inneres sehen. Doch vor Jesus bin ich durchschaut und trotzdem unbekannt. Ich kenne sie. Jesus hält aus und stellt sich unter meine Schuld. Darum ging er ans Kreuz, weil er die Schuld tragen will. Und ich bin bekannt in meinen Schwächen.
Kennen Sie Jesus? Ist er Ihnen bekannt als der, der Schuld jetzt wegnehmen und vergeben kann? Der sie vollkommen auslöscht und wegnimmt? Ich kenne ihn. Er weiß auch um Ihre Kraftlosigkeit, Ihre Müdigkeit, Ihre Angst und Ihr Zögern.
Ist das nicht großartig? Ich weiß, du bist der gute Hirte. Ein Hirte überfordert seine Schafe nicht. Er geht nur so einen Weg, wie sie es gerade verkraften. Du weißt, was ich brauche. Dir überlasse ich die Rute meines Lebens. Ich kann mich ganz getrost deiner Führung anvertrauen. Er hat bei uns aus.
Die Verheißung der Einheit in der Herde Christi
Und jetzt noch das Letzte: Er gibt uns einen großen Ausblick. Jesus spricht von der einen Herde, die es einmal geben wird.
Ich bin sehr bedrückt und betroffen, weil es in unseren Tagen für viele Menschen eine große Rolle spielt, ob wir eine Einheitskirche bekommen. Das ist so schlimm, weil die Menschen Einheit und Einförmigkeit verwechselt haben.
Wer ein wenig das Geheimnis kennt, auch von Organisationen im christlichen Bereich, weiß, wie viel Streit mit all diesen Organisationsformen verbunden ist. Das hat Jesus doch nicht gemeint.
Jesus ging es um eine viel tiefere Einheit, als wir sie je in einer Monopol-Superkirche der Welt finden können.
Ich finde es so großartig, wenn heute Nachmittag die Gemeinschaftsstunden in der Paulinenstraße, der Furtbachstraße und bei den Eidlingern drüben stattfinden. In der großen Vielfalt, wenn die Hauskreise sich sammeln, wenn der CVJM da ist und der offene Abend, und hier hoffentlich unsere Jugendarbeit – nicht organisatorisch vereint, denn das war immer der Tod der Gemeinde Jesu: Menschenherrschaft und Menschenbindung.
Die Vielfalt war das Schöne, aber die Vielfalt in dem Einen. Sie hören meine Stimme – und das haben wir ja heute nicht einmal in der eigenen Kirche mehr sicher –, dass wir alle gemeinsam die Stimme Jesu hören und uns seinem Wort unterordnen. Dass wir unseren Blick allein auf ihn richten, den Hirten. Jesus allein soll unsere Mitte sein.
Die umfassende Gemeinschaft aller Gläubigen
Aber Jesus streitet ja nicht mit uns. Ich möchte dieses Wort jetzt nicht in eine falsche Wirklichkeit umsetzen und Sie am Ende nicht reizen oder in eine Kontroverse hineinziehen, die uns bewegt.
Ich möchte Ihnen ein Predigtwort sagen. Jesus gibt eine Verheißung: Die Gemeinde Jesu ist viel größer, als wir ahnen. Viel mehr gehören dazu, als wir sehen.
Das sind auch andere, die ich Ihnen nahebringen möchte. Sie kommen aus den fernsten Inseln. Dort sind viele, viele Menschen, die ihre Knie nicht vor den Götzen unserer Zeit gebeugt haben.
Es ist eine große Herde, und es gibt nur einen Hirten. Kein Luther und keine Maria sind dann wichtig, sondern nur Jesus, der gute Hirte.
Die persönliche Entscheidung für Jesus als guten Hirten
Ich habe eine Frage an Sie, und das ist meine Sorge, mit der ich schließen möchte: Können Sie sagen, er ist mein Hirte und ich bin sein?
Es gibt immer wieder Menschen in unseren Gottesdiensten, die sagen: „Ja, so genau kann ich das nicht sagen, ich hoffe es.“ Aber was hoffen Sie? Sie müssen wissen, wo Sie hingehören. Sie müssen wissen, ob andere Mächte Sie verführen oder ob Sie sich mit einer klaren Entscheidung Jesus, dem guten Hirten, verschrieben haben.
Er ist Herr, mein Hirte, Brunnen aller Freuden. Du bist mein, ich bin dein, niemand kann das ändern. Sagen Sie nicht, das sei pietistisch! Das war Paul Gerhardt, hundert Jahre vor dem Pietismus. Das ist doch der Schatz unserer Kirche.
Ich bin dein, weil du dein Leben und dein Blut mir zu gut in den Tod gegeben hast. Ich bin dein, weil ich dich fasse und dich nicht, o mein Licht, aus dem Leben lasse. Lass mich, lass mich hingelangen, da du mich und ich dich ewig umfangen werden.
Da müssen Sie doch dazu sagen können: Amen!