Einführung in die Bibelreihe und das Buch der Sprüche
An dieser Stelle möchte ich eine kleine Vorbemerkung an die Gäste richten. Wir befinden uns nämlich in den letzten Zügen einer Reihe, die seit Januar läuft. Also nicht erschrecken: Wir machen nicht immer so lange Reihen. Wir lesen Stück für Stück die Bibel, jedes Jahr ein kleines Stück weiter.
„Jedes Jahr“ klingt so, als hätten wir das schon öfter gemacht. Tatsächlich wollen wir das in den nächsten Jahren fortsetzen. Ich glaube, diese Vorgehensweise hat sich bewährt.
Diese Woche haben wir mit dem Buch Sprüche begonnen. Dort springt der Text immer ein bisschen hin und her. Wenn ein neues Buch dran ist, möchte ich die Zeit von hier vorne nutzen, um aus dem gelesenen Text etwas zu referieren.
Eigentlich wollte ich heute über das Thema Sex und die Bibel sprechen, denn Sprüche 5 behandelt genau dieses Thema. Für alle, die sich darauf gefreut haben, ist das die schlechte Nachricht des Tages: Ich werde heute nicht darüber reden.
In den letzten Wochen ist mir nämlich etwas aufgefallen. Ich habe darüber nachgedacht, dass das Hohelied eigentlich ein schönes Thema für nächstes Jahr wäre – als ganze Reihe. Dann könnten wir sechsmal über Sex und die Bibel sprechen. Deshalb werden wir das nächstes Jahr wahrscheinlich machen: eine längere Reihe über das Hohelied, über Mann und Frau, über das spannende Leben in der Ehe und so weiter.
Deshalb mache ich das heute nicht. Also nicht „Oh, sondern einfach auf nächstes Jahr warten“. Ihr könnt das dann auch im Internet hören. Für alle Gäste, die sagen: „Ach, das hätte mich jetzt schon interessiert“ – das gibt es dann alles.
Stattdessen möchte ich jetzt eine Einführung in das Buch Sprüche geben. Mir ist beim Nachdenken darüber erst richtig klar geworden – Markus hält Bibeln in der Hand, wer eine Bibel braucht, kann sich gerne melden – ich werde am Ende mit euch gemeinsam einen Text lesen. Wir haben heute keine Overhead-Folie oder Ähnliches.
Mir ist einfach aufgefallen, dass ich ganz selbstverständlich davon ausgehe, dass es ein Buch wie die Sprüche im Alten Testament gibt. Wer aber jemals das Alte Testament gelesen hat, weiß: Es gibt Bücher, die kann man leicht lesen, und Bücher, die kann man schwer lesen.
Fast jeder, der die Bibel anfängt zu lesen, bricht irgendwo hinter dem zweiten Buch Mose ab. Das zweite Buch Mose ist noch spannend, ungefähr bis zur Mitte. Dann kommen zweimal die Stiftshütte, und man denkt sich: „Wenn das so weitergeht...“ Und es geht so weiter.
Das dritte Buch Mose fängt dann mit den Opfern an. Es zieht sich seitenweise durch, was man essen darf, was man nicht essen darf und so weiter. Wer also schon einmal beim dritten Buch Mose aufgehört hat zu lesen, ist herzlich willkommen im Club – ich habe das auch schon gemacht.
Es gibt aber auch Bücher im Alten Testament, bei denen man völlig überrascht ist und denkt: „Ups, was ist das denn? Das ist ja richtig praktisch.“ Da muss ich nicht darüber nachdenken, was Gott mir sagen will, wenn ich keine Schnecken essen darf. Da steht wirklich etwas, das man anwenden kann.
So ein Buch ist das Buch Sprüche. Sprüche zu lesen macht einfach Spaß. Das ist schon die Botschaft, die ich vermitteln möchte: Sprüche lesen ist toll.
Wenn ihr nach Hause geht und die Quintessenz der Predigt verstehen wollt, dann ist es diese: Lest Sprüche. Lest Sprüche, weil es einfach gut ist. Lest Sprüche, weil euch wenig Besseres passieren kann.
Lest Sprüche, weil ihr nicht lange darüber nachdenken müsst, was ihr mit dem, was da steht, anfangen sollt. Ihr lest eine Seite und findet drei, vier, fünf Zeilen, bei denen ihr sagt: „Wow, das ist für mich.“
Es ist einfach schön, es macht einfach Spaß. Unsere Zeit will ja immer alles aufreißen, umrühren, fertig – instant. Wenn es einen Text in der Bibel gibt, der ein bisschen instant ist, dann sind es die Sprüche: Aufreißen, umrühren, fertig.
Eine Seite lesen, ein bisschen nachdenken, fertig – das sind die Sprüche.
Die praktische Bedeutung der Sprüche und Weisheitsliteratur
Und deswegen heute, weil das Buch der Sprüche so ein wunderbar praktisches Buch ist, ein Ratgeber fürs alltägliche Leben, möchte ich mit euch eine Einleitung besprechen und euch ein bisschen vorstellen, was dieses Buch eigentlich ist.
Wer das Alte Testament ein wenig kennt, weiß, dass es dort nur wenige typisch philosophische Bücher gibt. Das philosophischste Buch ist entweder das Buch Hiob oder das Buch Prediger – darüber kann man sich streiten. Diese Bücher beschäftigen sich mit dem Leben aus der Vogelperspektive. Also zum Beispiel: Ist das Leben Leid oder nicht? (Hiob) Oder: Worum geht es ganz grob im Leben? (Prediger)
Dann kommt man zum Buch der Sprüche. Das Buch der Sprüche reduziert das Leben auf das Jetzt. Es fragt: Welche Entscheidung steht jetzt an? Und für die Entscheidung, die du jetzt treffen musst, gibt es einen Tipp. Deshalb findest du in den Sprüchen etwa neunhundert Verse mit Tipps zu unterschiedlichsten Themen.
Du wirst feststellen, dass du für fast jede Gelegenheit im Leben irgendwo einen Tipp in den Sprüchen findest. Das ist total beeindruckend. Nicht immer ist es das, was du erwarten würdest. Manchmal denkst du: „Das soll ich nicht machen?“ Einer der für mich persönlich herausforderndsten Sprüche der letzten 15 Jahre steht in Sprüche 20, Vers 3: „Ehre ist es, dem Mann vom Streit abzulassen; jeder Narr aber fängt Streit an.“
Meine Tochter lacht, weil ich ein bisschen streitlustig bin. Ich finde Streit gut, ich finde Streit manchmal sogar nett, denn danach weiß man, was man gesagt hat und wohin es geht. Aber die Bibel sagt: „Ehre ist es, dem Mann vom Streit abzulassen.“ Ich habe, glaube ich, zehn Jahre gebraucht, um diesen Vers zu verstehen, noch mal fünf Jahre, um ihn zu leben, und jetzt genieße ich ihn.
Das sind die Sprüche – ganz, ganz praktisch.
Ein bisschen was zu diesem Thema Weisheitsliteratur: Das ist ja nicht unbedingt ein Thema, das heute auf den Bestsellerlisten ganz oben steht, so dass man es dort prominent finden würde. Weisheit ist irgendwie kein großes Thema mehr.
Das Interessante ist, dass in der Antike – wo man vielleicht glaubt, die Menschen seien alle dumm gewesen – das Thema Weisheit eine große Rolle gespielt hat, gerade im Judentum. Und nicht nur das Buch, das wir in der Bibel haben, das Buch der Sprüche, dreht sich um Weisheit.
Ich weiß nicht, wer von euch eine Lutherbibel hat, aber in der Lutherbibel gibt es zwischen dem Alten und dem Neuen Testament noch eine Sektion, die heißt Apokryphen. Diese Bücher wurden eigentlich, bis auf die katholische Kirche, von niemandem als authentisch anerkannt – weder von den Juden noch von den Evangelischen.
In dieser Sektion gibt es Bücher wie das Buch Jesus Sirach oder ein anderes Buch, das ähnlich klingt wie das, was wir hier haben: Die Weisheit Salomos. Diese Bücher wurden im ersten oder zweiten Jahrhundert vor Christus geschrieben.
Wenn ihr sie mal lest – falls ihr viel Zeit habt, eure Bibel oft durchgelesen habt und denkt, ihr möchtet noch etwas Neues lesen – schaut dort mal rein. Ihr werdet feststellen, dass auch dort viel um Weisheit geht. Die Fragen, wie man sein Leben richtig lebt, waren ein wichtiger Bestandteil dieser damaligen Kultur.
Weisheit als kulturelles und königliches Gut
Wer mitlesen möchte: Erste Chronik 27. Dort finden wir etwas über Ratgeber am Königshof, also Könige, Erste Chronik Kapitel 27, Verse 32 und 33. Einschub: Ja, und Jonathan, der Onkel Davids, war Ratgeber. Er war ein einsichtiger und schriftkundiger Mann. Jehiel, der Sohn Hachmonis, war bei den Söhnen des Königs. Auch Ahitophel war Ratgeber des Königs. Ein König hat sich also mit Ratgebern umgeben.
Manchmal wünscht man sich genau das. Wir sollen ja für die Obrigkeit beten. Ich bete sehr oft für Frau Doktor Merkel, und was ich ihr wünschen würde, wären gute Ratgeber. Ich bete auch oft dafür, dass sie in ihrem Umfeld Leute hat, die ihr gute Tipps geben. Denn ich glaube, man kann schnell über Politiker schimpfen. Aber die richtige Entscheidung zu treffen – was macht man denn jetzt? Wir haben ein paar Milliarden Schulden zu viel, mit denen vor zwei Jahren niemand gerechnet hatte. Wie macht man weiter, damit wir in zehn Jahren überhaupt noch zahlungsfähig sind und nicht die Mehrwertsteuer bei dreißig Prozent liegt? Was macht man heute? Ratgeber und Weisheit wären hilfreich.
Oder in 2. Samuel Kapitel 14 – mir geht es jetzt nur darum, dass ihr seht, wie dieses Thema Weisheit in der damaligen Zeit ein Bestandteil der Kultur war. 2. Samuel Kapitel 14, Vers 2, spricht ganz selbstverständlich davon, dass Joab nach Tekoa sandte und eine kluge Frau holen ließ. Es gab also eine Frau, die dafür bekannt war, klug zu sein. Und wenn Joab – ich meine nicht irgendwen – sagt, er braucht einen guten Rat, dann lässt er sie holen. Er braucht jemanden, der wirklich Durchblick hat.
Oder 2. Samuel Kapitel 20, Verse 16 und 18. Dort heißt es: „Da rief eine kluge Frau aus der Stadt: Hört her, hört her! Sag doch zu Joab: Tritt hier heran, ich will mit dir reden.“ In Vers 18 sagt sie folgendes: „Früher pflegte man zu sagen, man frage nur in Abel, und so ist man am Ziel.“ Damit meint sie, dass Abel eine Stadt war, die für ihre klugen Einwohner bekannt war.
Stellt euch mal vor, man könnte das von Berlin sagen. Wenn du eine Frage hast, fährst du nach Berlin, steigst am ICE aus, fragst jemanden am Bahnsteig, und der gibt dir guten Rat. So war das hier. Ja, das ist jetzt ein bisschen weit hergeholt, das ist mir klar, aber das ist die Idee. Es gibt eine Stadt, wo die Leute tendenziell wirklich Ahnung haben, Durchblick haben.
Ich könnte euch jetzt noch 1. Samuel 24, Vers 14 vorlesen. Dort geht es um ein Sprichwort aus der alten Zeit. Diese Idee, dass es Leute gibt, die weise sind, dass es Sprichwörter gibt – diese Fadenweisheit zieht sich durch das gesamte Alte Testament.
Man kann sich die Frage stellen: Wie ist das im Neuen Testament? Dort gibt es einen Vers zum Thema Weisheit, den ich früher nicht verstanden habe. Ich dachte immer: Was will mir Paulus sagen? Ihr wisst, dass Petrus auch schon gesagt hat, dass manches, was Paulus schreibt, komisch ist. Aber wenn man ein bisschen darüber nachdenkt, ist das an der Stelle gar nicht so schwer zu verstehen.
Das Thema Weisheit wird in Kolosser 2 aufgegriffen. Dort heißt es, Kolosserbrief Kapitel 2, Vers 3: „In ihm sind alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen.“ In Jesus sind also alle Schätze der Weisheit verborgen. Vorsicht: Das kann man falsch verstehen, als wären sie versteckt und niemand findet sie. Darum geht es nicht. Sondern es geht darum, dass du dich mit Jesus beschäftigst, mit dem, wie er gelebt hat, mit dem, was er gesagt hat, mit seinen Gleichnissen. Indem du das tust, beschäftigst du dich mit Weisheit. Du beschäftigst dich eigentlich mit Weisheit in Vollendung.
Deshalb lohnt es sich so sehr, auch im Neuen Testament über Jesus nachzudenken. Denn an dieser Stelle begegnet uns jemand, der Weisheit lebt. Jemand, der das, was im Alten Testament an der Idee da war – dass ein Mensch sagt: Ich weiß eigentlich nicht genau, wie ich leben soll –, erfüllt.
Das zuzugeben, ist viel wert. Bis hierher laufen heute so viele Leute herum, bei denen jeder, der von außen auf ihr Leben schaut, sagen würde: „Du Depp!“ Und wenn du sie fragst, sagen sie: „Ich brauche niemanden, der mir hilft, bei mir ist alles gut.“ Du denkst dir: Warte mal, wie kannst du das sagen? Wir kennen so viele Leute, die irgendwie merkwürdig drauf sind, die dabei sind, sich völlig zu verlieren in einem Lebensstil, der nicht funktioniert. Jeder kriegt es mit, nur sie selbst nicht.
Von daher ist dieses Thema Weisheit wichtig. Wenn mich jemand fragt: Was würdest du wünschen? Ich habe heute Abend noch einen Vortrag zu halten, deswegen bin ich nach der Predigt gleich weg. Dort soll ich Jugendlichen einen Vortrag halten zum Thema „Du hast nur ein Leben“. Ich soll ihnen sagen, dass es, wenn man nur ein Leben hat, wichtig ist, dieses eine Leben richtig zu leben. Das klingt naheliegend.
Ich werde einen Punkt sagen: Ich werde sagen, denk nach. Das klingt so platt, ja, aber lehne nicht einfach drauf los. Schau nicht einfach, was morgen kommt. Denk bitte nach. Sei weise. Wo stehst du? Wo willst du hin? Was ist der nächste Schritt? Was weiß ich? „Ja, ich möchte einen Bizeps wie Boris haben.“ Okay, ne, ne, den habe ich nicht. Der wird schon noch ein bisschen besser. Wenn ich das haben wollte, dann ist der nächste Schritt nicht, morgen zehn Stunden zu trainieren. Das ist einfach falsch.
Manchmal hat man den Eindruck, dass Leute so kurzsichtig sind. So etwas haben zu wollen heißt, zwei, drei Jahre regelmäßig trainieren, dann ist das drin. Okay, das muss ich mitdenken. Wenn ich in meinem geistlichen Leben, in meiner Ehe, in meiner Kindererziehung, im Umgang mit meinem Hund oder sonst irgendetwas etwas erreichen will, muss ich vorher nachdenken: Was ist der nächste Schritt? Wo will ich hin? Und dann muss ich ihn gehen. Und das ist Weisheit.
Mich begeistert, dass die Bibel so einen Wert darauf legt.
Weisheit im kulturellen Kontext und der Unterschied zur Weisheit Israels
Das Spannende ist, wenn man ins Alte Testament hineinschaut, dann stellt man fest, dass das Alte Testament gegenüber den Nachbarvölkern keinen Respekt für deren Religion zeigt. Diese wird einfach als Götzendienst abgetan. Auch ihre Propheten werden nicht respektiert, sie gelten als falsche Propheten.
Wenn man sich jedoch anschaut, wie das Volk Israel mit der Weisheitsliteratur der sie umgebenden Völker umgeht, merkt man, dass diese durchaus Bedeutung hat.
Erinnert ihr euch an das, was wir über Ahitophel gelesen haben? Ahitophel ist derjenige, der bei Absalom ist. Absalom vertreibt David, und David muss fliehen. Absalom zieht Ahitophel auf seine Seite. Schon als Ahitophel nicht mehr mit Gott lebt, also eigentlich die Seiten gewechselt hat und gegen David arbeitet, hat David noch Angst, als er hört, dass Ahitophel auf der falschen Seite ist.
Warum? Weil man von diesem Mann sagte, er sei so schlau, als wenn man das Wort Gottes, also Gott selbst, befragen würde.
Was ich an dieser Stelle merke, ist, dass auch ein Mensch ohne besondere Offenbarung richtig denken und weise Ratschläge geben kann. Nicht nur Christen haben, wenn es um praktische Dinge geht, alle Antworten. Das stimmt einfach nicht.
Ich meine, wir haben viele Antworten, und wir können die Bibel lesen und dadurch noch mehr Erkenntnis gewinnen. Aber es gibt auch so etwas wie den gesunden Menschenverstand, und den gilt es einfach zu fördern. Ich werde das heute Abend auch so sagen. Und deswegen haben wir ja zwischen den Ohren etwa 1400 Gramm graue Masse. Warum? Zum Denken, damit wir nachdenken.
Lasst uns miteinander Erste Könige lesen. Ich möchte euch auch noch ein bisschen in das damalige Klima eintauchen lassen. Es gab eine Zeit, in der die Leute sich nicht darüber ausgetauscht haben, wie schnell ihr Rechner ist, welches Handy sie haben oder wie viele Megapixel ihre Kamera besitzt. Solche Sachen standen nicht im Mittelpunkt. Stattdessen haben sie über ganz andere Dinge gesprochen, die viel interessanter sind.
Erste Könige, Kapitel 5, Vers 9. Hört es euch einfach mal unter dem Stichwort „intellektuelles Klima“ an.
„Und Gott gab Salomo Weisheit.“ Salomo ist bekannt als der sehr weise König aus dem Alten Testament. Gott gab Salomo Weisheit, sehr große Einsicht und Weite des Herzens wie der Sand am Ufer des Meeres.
Die Weisheit Salomos war größer als die Weisheit aller Söhne des Ostens und als die Weisheit Ägyptens. Das bedeutete etwas, denn Mesopotamien – also das Gebiet, wo heute der Irak liegt – beziehungsweise Ägypten waren damals die Weisheitshotspots. Dort ging richtig was ab. Diese Völker hatten schon einige hundert Jahre zuvor begonnen, Dinge aufzuschreiben. Wir haben heute noch Literatur aus dieser Zeit.
Wir besitzen diese Schriften deshalb, weil diese kurzen Sprüche sich gut für Schreibübungen eigneten. Wann immer man eine uralte Tonscherbe findet, entdeckt man viel davon. Tonscherben wurden nicht wiederverwendet, wenn man Schreibübungen darauf gemacht hatte. Das heißt, man gräbt sozusagen Müll aus und findet das, was Schüler hinterlassen haben – kleine Tonscherben mit Schreibübungen.
Diese Schüler haben natürlich kleine, merkbare Sprüche geschrieben. Das bedeutet, es gibt schon tausend Jahre vor Salomo in Mesopotamien und Ägypten Literatur zum Thema „Wie lebt man eigentlich richtig?“
Aber hier wird von Salomo gesagt: Er ist weiser. Im Vers 11 heißt es, er war weiser als alle Menschen, als Ethan der Esrachiter, Heman, Kalkul und Darda, die Söhne Mahols. Sein Name war berühmt unter allen Nationen ringsum.
Er verfasste dreitausend Sprüche, und die Zahl seiner Lieder war tausendfünf. Er redete über die Bäume, von der Zeder, die auf dem Libanon steht, bis zum Üssop, der an der Mauer herauswächst. Er redete auch über das Vieh, über die Vögel, über das Gewürm und über die Fische.
Man kam aus allen Völkern, um die Weisheit Salomos zu hören. Auch von allen Königen der Erde, die von seiner Weisheit gehört hatten.
Stellt euch das mal vor: Da klopft einer an die Tür und sagt: „Bin ich hier richtig? Ich wollte zu König Salomo.“ Der andere fragt: „Wer bist denn du?“ – „Ich bin der König sowieso.“ – „Was machst du denn hier?“ – „Ich habe gehört, nicht, dass Salomo die größten Panzer hat oder das größte Bruttoinlandsprodukt, sondern ich habe gehört, Salomo hat etwas im Kopf. Und wenn er etwas sagt, dann ist das einfach gut. Ich würde mir das gerne mal anhören. Ich würde mich gerne einfach mal eine Stunde oder zwei, vielleicht bei einem Gläschen Wein, mit ihm unterhalten und überlegen, wer dieser Salomo ist und was er zu sagen hat.“
Da klopft einer nach dem anderen an, und intern läuft so eine Highscore-Liste. Irgendwann sagt man: „Wer ist denn auf Platz eins?“ – „Salomo.“ – „Und die anderen?“ – „Das sind hier diese Topleute: Heman, Kalkul, Darda, Ethan, auf den Plätzen zwei, drei, vier und so weiter.“ Und Salomo steht auf Platz eins.
Woher wissen die das? Man hat sich unterhalten. Man hat Fragen gestellt, und jeder gibt seine Antworten.
Was mich an dieser Zeit begeistert, ist nicht nur, dass man sich darüber unterhält, was richtig ist. Was mich begeistert, ist, dass die Leute noch zugeben, wenn der andere Recht hat.
Heute gibt es oft das Problem, dass man jemandem etwas sagt und weiß, dass er Recht hat, und er sagt: „Nö, will ich nicht glauben.“
In der damaligen Zeit unterhielten sich die Leute miteinander. Wenn einer das Richtige sagte, dann galt das. Ich finde das toll.
Unterschiede zur Weisheitsliteratur der Nachbarvölker
Wir könnten jetzt anfangen und ein wenig eintauchen in das, was typisch für die Weisheitsliteratur Israels ist, ebenso wie das, was typisch für die Weisheitsliteratur in Mesopotamien – dem heutigen Irak – und für den Bereich Ägypten ist. Dabei finden wir natürlich Unterschiede.
Vor allem fällt auf, dass sich die Weisheitsliteratur Israels an zwei Stellen unterscheidet. Zum einen gilt: Du darfst nicht um deines persönlichen Vorteils willen mogeln. Wenn ich woanders hinschaue, sehe ich, dass das, was dort Weisheitsliteratur genannt wird, eigentlich das ist, was wir heute als Klugheit oder sogar Bauernschläue bezeichnen würden.
Es geht ein bisschen um das „Ich bin ein Schlitzohr, ich weiß, wie es läuft, und ich komme durch“. Ich lese euch mal aus den Worten Ahikars etwas vor. Ahikar war ein assyrischer Weiser aus dem siebten Jahrhundert vor Christus. Es geht um den Umgang mit Vorgesetzten. Was mache ich, wenn mein Chef mich zum Essen einlädt?
Zitat: „Nimm, was er dir gibt. Wenn es dir vorgesetzt wird, durchbohre ihn nicht mit deinem Blick, lache, wenn er lacht, und es wird sein Herz erfreuen.“ Das ist Bauernschläue, logisch.
Ich will nicht sagen, dass die Sprüche in der Bibel an der einen oder anderen Stelle nicht auch ein bisschen diese Schlauheit widerspiegeln. Es macht ja Sinn, sich vorher zu überlegen, wie ich mich verhalte, wenn ich von meinem Chef eingeladen werde. Aber wenn ich Weisheit auf diese Form von Klugheit oder scheinbarer Klugheit reduziere – und das tut die Weisheitsliteratur der umliegenden Länder – dann verfehle ich den Kern.
Und der Kern lautet: Wirklich klug oder wirklich weise kann nur der Gute sein. Nun stellt sich die Frage: Wie wird man richtig gut? Die Weisheitsliteratur Israels gibt darauf einen Hinweis, der in allen anderen fehlt. Sie sagt nämlich: Wirkliche Weisheit beginnt damit, dass ich Gott fürchte.
Weisheitsliteratur bedeutet also: Du kannst erst dadurch weise werden, dass du dein Leben überhaupt erst einmal auf Gott ausrichtest. Du kannst hier oben denken, was du willst. Wenn das Wichtigste – nämlich Gott, das Transzendente, der da oben, der am Ende noch einmal sagen darf, ob alles gut ist – nicht in deinem Denken drin ist, dann wirst du am Ende, egal wie klug du bist, dein ganzes Gedankengebäude auf ein schiefes Fundament setzen.
Jeder von euch kennt solche schiefen Dinge. Du kannst einen schiefen Turm hochbauen, aber irgendwann fällt er um. Deshalb brauchen wir ein gerades Fundament. Und dieses gerade Fundament, auf dem Klugheit aufgebaut werden kann, sagt Salomo, ist die Furcht Gottes.
Deshalb kann zum Beispiel die Weisheitsliteratur Babylons auf die Frage nach dem Leid nur folgende Antwort geben – und das ist ein Zitat: „Ich wünschte, ich wüsste, dass diese Dinge, nämlich das Leid, das ich erfahre, wenigstens einem Gott gefallen.“ Das ist eine blöde Antwort, oder?
Wenn alles, was du zum Thema Leid sagen kannst, ist: „Na ja, ich hoffe, dass es irgendeinem Gott gefällt“, dann ist das das, was heidnisches Denken so weit bringt. Und jeder, der ein bisschen in das biblische Denken hineinschaut und weiß, was die Bibel zum Thema Leid sagt, der sieht, wie ausgewogen und umfassend dieses Thema behandelt wird. Es wird in seiner Dunkelheit und in seiner Helligkeit beleuchtet.
Derjenige wird sagen: Entschuldigung, das ist doch nicht die halbe Wahrheit, was hier steht, das ist doch nichts. Und das stimmt. An manchen Punkten kommt die Weisheitsliteratur der umliegenden Völker nicht zum Ziel, weil ihr der Bezug zu Gott fehlt.
Der Anfang des Buches Sprüche und seine Botschaft
Wenn ihr die Sprüche lest – ich möchte das jetzt gar nicht so lange machen – lasst uns mal gemeinsam den Anfang der Sprüche anschauen, damit wir sehen, worum es in den Sprüchen geht. Schlagen wir mal auf. Wer jetzt eine Bibel hat, wäre es gut.
Jetzt lese ich ein paar Verse hintereinander weg aus Sprüche 1. Das Buch der Sprüche stammt von mehreren Autoren, die im Buch auch genannt werden. Drei davon mit Namen: Da ist einmal Salomo, das ist in Sprüche 1, Vers 1, „Sprüche Salomos“. Dann gibt es noch Agur und die Mutter von König Lemuel. Außerdem gibt es noch ein Kollektiv, das „die Weisen“ genannt wird. Also werdet ihr so versetzt verschiedene Autoren finden.
Obwohl das Buch oft auch „Sprüche Salomos“ genannt wird, ist nur ein Teil direkt von Salomo. Man kann aber davon ausgehen, dass er angefangen hat, diese Sammlung erst einmal zusammenzutragen. Vielleicht stammen tatsächlich viele Sprüche von ihm, und später wurde das dann noch weitergeführt.
Sprüche 1, Vers 1: „Sprüche Salomos, des Sohnes Davids, des Königs von Israel.“ Jetzt bin ich gespannt, ob ihr seht, wenn ich einfach nur die nächsten paar Verse bis Vers 6 vorlese, wozu das Buch Sprüche da ist.
Ich habe mich ein bisschen geärgert, dass ich das erst zu spät so richtig tief verstanden habe, aber zum Glück war es bei mir noch nicht zu spät. Da heißt es: „Um zu erkennen Weisheit und Zucht, um zu verstehen verständliche Worte, um anzunehmen Zucht mit Einsicht, dazu Gerechtigkeit und Recht und Aufrichtigkeit, um einfältigen Klugheit zu geben, dem jungen Mann Erkenntnis und Besonnenheit. Der Weise höre und mehre die Kenntnis, und der Verständige erwerbe weisen Rat, um zu verstehen Spruch und Bildrede, Wort von Weisen und ihre Rätsel.“
Wenn man das so will, ist das Buch der Sprüche ein Erziehungsbuch im weitesten Sinne. Du merkst, mir fehlt Weisheit. Salomo sagt: Na ja, dann schiebe ich dich einfach mal in die Schublade „junger Mann ohne Erkenntnis und Besonnenheit“. Für die Frauen unter euch: „junge Frau ohne Erkenntnis und Besonnenheit“ – ist ja egal, ich schiebe dich mal da rein.
Und für dich, die du schon etwas älter bist und ein bisschen Lebenserfahrung hast, aber noch etwas dazulernen möchtest, kein Problem, sagt er hier auch. „Der Weise höre und mehre die Kenntnis, und der Verständige erwerbe weisen Rat.“
Es ist ein Erziehungsbuch. Du möchtest dein Leben sinnvoll leben. Du möchtest wissen, wie du in bestimmten Situationen des Lebens entscheiden sollst. Es ist nicht diese große Sicht, dieses „Trachtet aber zuerst nach dem Reich Gottes“. Nein, es ist diese kleine Sicht: „Ich habe jetzt ein Problem, weil ich gerade stinkig auf meine Frau bin. Vater im Himmel, was soll ich jetzt tun?“
Ehre ist es, den Mann vom Streit abzulassen, wie der Narr aber fängt Streit an. Plopp! Und du weißt: Okay, ich soll nicht streiten. Und die Stimme von oben sagt: Ja, das ist es! So dieses ganz Kleine. Und du sagst: Okay, dann werde ich jetzt mal darauf verzichten und rutsche in die nächste Situation deines Lebens hinein. Und es wird ein ganz anderes Thema.
Es ist ein Erziehungsbuch, das uns mit Gott selbst konfrontiert. Wir starten damit mit der Furcht Gottes. Wir nehmen Gott ernst. Wir wollen für Gott leben. Wir wollen ihm unser Leben weihen. Wir wollen sagen: Vater im Himmel, mach aus unserem Leben was.
Und Gott sagt: Okay, fangen wir mal mit den kleinen Sachen des Lebens an. Immer dann, wenn du stinkig bist, fängst du keinen Streit an. Und du denkst vielleicht: Ist das Christsein? Und Gott sagt: Ja, genau so habe ich mir das gedacht. So in diesem kleinen Leben.
Man kann immer das Große sehen, eine heroische Tat. Oder ich höre mir gerade mal wieder den Herrn der Ringe an: Frodo wirft den Ring in den Berg, in den Vulkan hinein – ja, schmeiß ihn rein! Wir wollen Helden sein!
Und Gott sagt: Mir reicht ein bisschen Held. So das kleine bisschen Held jetzt für diesen Moment, was gerade dran ist. So dieses bisschen Mitdenken, Freundlichkeit und Liebe zu dem, der liebend da sitzt. Also ganz einfach nur ein bisschen, ein kleines bisschen.
Und das ist das Buch der Sprüche. Ein Buch, das uns mit dem Charakter Gottes konfrontiert und uns helfen möchte, ein Leben ganz praktisch zu leben, das Gott gefällt.
Praktische Tipps zum Umgang mit dem Buch Sprüche
Mein Wunsch zum Schluss
Ich möchte euch einfach ein paar praktische Tipps zum Umgang mit dem Buch Sprüche geben. Ihr merkt, ich bin begeistert. Ich bin deshalb begeistert, weil ich gemerkt habe: Es gibt wirklich kein Buch in der Bibel, das mir für mein persönliches Leben mehr geholfen hat als die Sprüche.
Und das kann ich sagen: Ich habe auch kein anderes Buch in der Bibel, aus dem ich mehr Verse gelernt habe. Das wollte ich gar nicht, aber es hat sich einfach so ergeben. Du liest das Buch und denkst: Boah, super! Nicht vergessen, auswendig lernen! Und dann wieder: Boah, Wahnsinn, das möchte ich unbedingt behalten! Und schon wieder ein Vers, der dich begeistert.
Ihr müsst einfach mal einen MP3-Player schnappen und euch die Sprüche einfach mal anhören – einfach nur durchhören oder durchlesen. Hier meine Tipps:
Erstens, der wichtigste Tipp: Lesen und anstreichen. Lies und streiche an! Schnapp dir einen Stift und lies einfach einmal durch. Es sind ja nur dreißig Kapitel. Wenn du jeden Tag ein Kapitel liest, bist du in einem Monat problemlos durch.
Immer wenn du das Gefühl hast, ein Vers meint dich, mach dir einen Strich am Rand oder ein Ausrufezeichen. Bei wichtigen Versen gerne drei Ausrufezeichen, unterstreichen oder mit einem Leuchtmarker markieren. Das ist das Wichtigste: Lesen und anstreichen.
Zweitens: Wenn du merkst, dass du mit einem bestimmten Thema Schwierigkeiten hast – das kann zum Beispiel der Umgang mit Geld sein, Prioritäten, Hast und Eile – dann lies mal die Sprüche zu diesem Thema durch. Was sagen sie dazu? Vielleicht bist du stolz, streitest gerne oder hast ein ganz anderes Thema. Lies die Verse dazu durch und schreibe sie dir heraus. Was sagt Gott dazu?
Ich fand das an vielen Stellen extrem hilfreich. Denk dann darüber nach, was das für dein Leben bedeutet. Fass das, was du herausgefunden hast, kurz für dich zusammen.
Ganz wichtig: Das Buch der Sprüche ist nichts, was man nur wissen soll. Es geht nicht darum zu sagen: „Ich weiß natürlich prinzipiell, dass ich nicht streiten soll, ja ja, Gott ist dagegen.“ Nein, sobald du das lernst, rate ich dir, die Verse auswendig zu lernen, die dich wirklich treffen. Die mit fünf Ausrufezeichen am Rand, weil du sagst: Das ist nicht nur irgendein Vers, das ist mein ganz persönlicher Vers. Den musst du auswendig lernen – logisch!
Und dann hör nicht auf, bevor du nicht anfängst zu überlegen: Was könnte ich jetzt tun? Das Studium der Weisheitsliteratur endet auf alle Fälle mit Anwendung.
Wenn du sagst: „Ich habe jetzt einen schönen Vers gefunden, das und das wäre irgendwie ganz nett“, dann formuliere am Ende einen Satz wie: „Ich will heute das und das tun.“ Mach es nicht kompliziert. Ich bleibe mal bei Sprüche 20,3. Da habe ich so viel Erfahrung, dass mir viele Beispiele einfallen.
Wenn du sagst: „Ich möchte nicht mehr streiten“, dann kannst du natürlich nicht von heute auf morgen sagen: „Ich werde nie wieder auch nur einen zornigen Gedanken denken.“ Vergiss es, das wird nicht klappen. Aber du könntest dir vornehmen, beim nächsten Mal, wenn das Thema aufkommt, wirklich bewusst daran zu denken und es mal auszuprobieren.
Du könntest auch sagen: „Ich möchte den Vers erst mal auswendig lernen, damit ich ihn nicht vergesse.“ Oder: „Ich will mal jemanden fragen, ob der Vers auf mich zutrifft.“ Vielleicht hast du ein komisches Gefühl im Bauch, wenn du das liest. Dann musst du auch deine Frau fragen, wie sie dich empfindet.
Egal, was du damit machst – mach etwas Praktisches! Lies und mach es praktisch.
Genieße dieses Buch! Wenn du irgendeine Charakterveränderung suchst, wenn du in der Kindererziehung ein Stück vorankommen willst und deine Kinder ethisch und charakterlich prägen möchtest, dann ist das das Buch in der Bibel, das dazu da ist.
Deshalb werden Thomas – heute nicht da – und ich uns in den nächsten Wochen hinsetzen und einen kleinen Kurs schreiben. Dabei geht es genau darum, viele Verse aus den Sprüchen zu nehmen und sie zu einem Kurs für Glaubensneulinge oder für Leute zusammenzufassen, die sonst nicht viel mit Christsein oder Kirche zu tun haben.
Wir wollen zeigen: Wenn du mit Gott leben willst, hier ist ein Kurs, der dich zu bestimmten Versen führt, die zu verschiedenen Themen etwas sagen. So kannst du leichter nachdenken.
Ich glaube einfach, es ist ein unglaublich wertvolles und wichtiges Buch. Und ich glaube, wir leben in einer Gesellschaft, die Weisheit gegen Spaß eingetauscht hat, die nicht mehr bereit ist, ans Morgen zu denken und auch nicht mehr bereit ist, die Folgen des eigenen Tuns zu übernehmen.
Hier sind wir als Christen gefordert, im Gegenentwurf zu leben. Wir brauchen Weisheit. Und das ist die Quintessenz: Lest das Buch der Sprüche.
Amen.
