Faszination Heldenbilder in der Bibel
Für mich gehört es zu den ganz faszinierenden Dingen in der Bibel, wenn ich mir dort die Helden und Heldinnen anschaue.
Letzte Woche war ich mal wieder im Kino. Ich würde das viel öfter tun, aber es klappt dann doch nicht so oft. Dieses Mal habe ich den Film "Dreihundert" gesehen. In diesem Film geht es um 300 durchtrainierte Spartaner, die von Jugend an auf ihre Aufgabe vorbereitet wurden. Zusammen mit ihrem König Leonidas ziehen sie wie Kampfmaschinen in die Schlacht gegen eine vielfach, ich weiß nicht, tausendfach überlegene Übermacht der Perser.
Beim Ansehen der Bilder aus dem Film hatte ich den Eindruck, dass das einzige Kriterium bei der Auswahl der Schauspieler darin bestand, dass das Sixpack am Bauch möglichst ausgeprägt sein musste.
In unserer Gesellschaft stellen wir uns Helden häufig genau so vor wie diese Spartaner: mutig, entschlossen, muskulös, kraftvoll. Aber das sind unsere Vorstellungen. Liest man die Bibel, stellt man fest, dass Gott mit solchen Typen häufig sehr wenig anfangen kann. Ausnahmen bestätigen die Regel, aber in erster Näherung muss man sagen, dass das nicht das Bild von Helden ist, das die Bibel zeichnet.
Viel öfter benutzt Gott Menschen, die nach unserem Verständnis jedenfalls nicht in das klassische Heldenbild passen. Und nicht wenige davon sind Frauen, Heldinnen des Glaubens.
Einführung in die Reihe „Frauen Power“
In unserer neuen Reihe „Frauen Power“ wollen wir uns einige dieser Frauen genauer anschauen. Ich wünsche mir, dass wir diese Reihe gemeinsam durchgehen und dabei unterschiedliche Lebensbilder von Frauen entdecken, die Großartiges geleistet haben und echte Heldinnen im Glauben geworden sind.
Dabei habe ich ein doppeltes Anliegen. Zum einen möchte ich, dass wir von diesen Frauen lernen. Wir sollen uns anschauen, was sie richtig gemacht haben, und es dann genauso umsetzen.
Zum anderen wünsche ich mir, dass wir begreifen, wer alles ein Held Gottes sein kann und wen Gott als Helden gebrauchen kann. Wir sollen mutig werden und erkennen, dass jeder von uns etwas in sich trägt, was Gott gebrauchen kann und was uns für sein Reich brauchbar macht.
Gerade dann, wenn du denkst: „Ich bestimmt nicht“, bist du vielleicht genau richtig, um dich von Gott gebrauchen zu lassen.
Rahab – Eine ungewöhnliche Heldin
Ein Sprung zurück in der Geschichte: Leonidas und seine Spartaner kämpften im Jahr 480 v. Chr. Noch einmal tausend Jahre früher, also zwischen 1400 und 1500 v. Chr., lebte in der Stadt Jericho eine junge Frau namens Rahab.
Rahab war von Beruf – ihr habt es vielleicht schon am Predigtitel erraten – ein Callgirl. In den meisten Bibeln wird sie als Dirne oder Hure bezeichnet. Heute würden wir sagen, Rahab betrieb ein kleines Gewerbe. Sie verkaufte ihren Körper und bot günstige Übernachtungsmöglichkeiten an.
Ich weiß nicht, wie es euch geht, wenn ihr an Rahab denkt – eine Prostituierte als erste Frau in einer Reihe von starken Frauen. Kann Gott überhaupt etwas mit so einer Frau anfangen? Das ist gleich die erste Lektion, die wir gut lernen müssen.
Vielleicht kennst du dieses Gefühl: Du fährst am Großen Stern vorbei, nach Hause, durch den Tiergarten. Dort stehen am Straßenrand die Damen vom horizontalen Gewerbe. Ich finde sie oft ein bisschen unnatürlich aufgetakelt, mit super Minirock, der wie ein verlängerter Gürtel wirkt. Das wirkt schnell ein wenig billig.
Die erste Lektion, die Gott uns heute beibringen möchte, ist: Wenn du dort vorbeifährst, darfst du nicht einfach denken, das sind nur Nutten. Du darfst nie vergessen, dass das Menschen sind – Menschen mit Würde. Jede einzelne, die da steht und dich vielleicht blöd von der Seite anquatscht, „Hey Kleiner, wie wäre es denn mit uns zwei?“, ist Gott persönlich wichtig.
Das ist die erste Lektion.
Rahab war eine Prostituierte, und wir können uns vorstellen, wie es in Jericho zuging. Wie man hinter vorgehaltener Hand über sie redete, wie sie bestimmt nicht die angesehenste Frau der Stadt war, wie man sie mied und für ihren Beruf verachtete.
Aber Rahab hatte etwas, das allen anderen in Jericho fehlte. Deshalb heißt mein Predigtitel heute auch „Ein Callgirl mit Durchblick“. Sie hatte Durchblick, sie verstand etwas. Und das ist unsere zweite Lektion, die wir im Blick auf Rahab unbedingt lernen müssen.
Gott schaut ins Herz – Die Bedeutung von Rahabs Glauben
Für Gott spielt es keine Rolle, woher du kommst oder womit du dein Geld verdienst. Wenn Gott Menschen begegnet, schaut er ihnen direkt ins Herz. Er blickt an einen Ort, den sonst niemand sehen kann. Und für ihn zählt nur eines: das, was er dort sieht.
Wenn wir uns die geschichtliche Situation von Rahab kurz ansehen, geht es eigentlich um das Volk Israel. Dieses Volk war gerade dabei, Kanaan einzunehmen – das ist die große Region, in der Jericho liegt. Vierzig Jahre zuvor war Israel aus Ägypten ausgezogen. Nur wenige Wochen zuvor hatten sie einige Schlachten im Gebiet östlich des Jordans geschlagen – gegen mächtige Könige. Es hatte sich herumgesprochen, dass die Israeliten eine furchterregende Armee waren. Nun standen sie vor Jericho.
Ich möchte euch vorlesen, was Jericho und Rahab in dieser Situation erleben. Wer mitlesen möchte, findet die Geschichte in Josua 2.
Das Buch Josua beschreibt die Einnahme Kanaans durch die Israeliten. Man kann sich vorstellen, dass es wichtig ist, vor der Einnahme einer Stadt Spione dorthin zu schicken. Man will wissen: Wie sieht es dort aus? Ist die Stadt stark befestigt oder eher schwach?
Genau das geschieht in Jericho: Die Stadt wird von Kundschaftern ausgekundschaftet.
In Josua 2, Verse 1-7 steht:
Die Israeliten lagerten damals in der Gegend von Schittim. Von dort schickte Josua – der Anführer der Israeliten und Sohn Nuns – heimlich zwei Männer los. Sie sollten das Land vor ihnen auskundschaften, besonders die Stadt Jericho. Die beiden machten sich auf den Weg und erreichten am Abend die Stadt. Auf der Suche nach einer Unterkunft für die Nacht kamen sie in das Haus einer Prostituierten namens Rahab.
Kurz darauf erhielt der König von Jericho Nachricht: Heute Abend sind israelitische Männer eingetroffen, die unser Land auskundschaften sollen. Sie halten sich bei Rahab auf. Der König schickte sofort Soldaten zu Rahab und befahl ihr, die Männer herauszubringen. Er wollte wissen, was sie vorhatten.
Doch Rahab hatte die beiden Israeliten versteckt und stellte sich ahnungslos. Sie sagte: Ja, diese Männer waren bei mir, aber ich wusste nicht, wo sie herkamen. Sie sind gegangen, als es dunkel wurde und das Stadttor geschlossen werden sollte. Ich kann nicht sagen, wohin sie gegangen sind. Wenn ihr ihnen schnell nachlauft, holt ihr sie bestimmt ein.
Rahab hatte die Israeliten auf ihr Flachdach gebracht und unter Flachsstängeln versteckt, die dort aufgeschichtet waren.
Solche Geschichten klingen in der Bibel oft nett, doch eigentlich ist das nichts anderes als Hochverrat, den Rahab hier begeht. Eigentlich tut sie etwas, das grundsätzlich unmoralisch ist. Man kann sich fragen: Klingt das noch nach einer Glaubensheldin? Was macht sie an dieser Stelle so besonders?
Wir lesen deshalb noch ein paar Verse weiter, ab Vers 8, weil es dort um ihre Motivation geht.
Vers 8:
Bevor die beiden Israeliten sich schlafen legten, stieg Rahab zu ihnen auf das Dach und sagte: Ich weiß, dass der Herr eurem Volk dieses Land geben wird. Wir haben große Angst, jeder hier zittert vor euch. Wir haben gehört, dass der Herr euch einen Weg durch das Schilfmeer gebahnt hat, als ihr aus Ägypten gezogen seid. Wir wissen auch, was ihr mit den Amoritern und ihren Königen – Sihon und Og – auf der anderen Seite des Jordans gemacht habt. Ihr habt sie ausgelöscht. Als ich das hörte, waren wir vor Angst wie gelähmt. Jeder von uns hat den Mut verloren. Der Herr, euer Gott, ist der wahre Gott – oben im Himmel und hier unten auf der Erde.
Rahabs Durchblick und ihr Glaubensbekenntnis
Das ist die Antwort. Rahab und alle Bewohner von Jericho hatten das Volk Israel und seine Geschichte in den letzten vierzig Jahren genau beobachtet. Sie hatten einiges mitbekommen. Alle wussten von den Wundern, die beim Auszug der Israeliten aus Ägypten geschehen waren. Alle kannten den Untergang des ägyptischen Heeres.
Auch von den aktuellen Ereignissen, den Siegen gegen die amoritischen Könige, war die ganze Stadt in Aufruhr. Das war Stadtgespräch, das konnte man sogar auf der Titelseite des Tagesspiegels lesen. Niemand kam daran vorbei. Alle hatten Angst und zitterten.
Doch nur eine hatte in diesem Moment den Durchblick – das war Rahab. Sie war die Einzige, die verstand, was das alles bedeutete und was hier vor sich ging. Dann formulierte sie: „Der Herr, euer Gott, ist der wahre Gott oben im Himmel und hier unten auf der Erde.“ Eigentlich eine banale Aussage.
Was Rahab macht, ist, dass sie eins und eins zusammenzählt. Sie sagt: Wenn die Berichte, die ich gehört habe, stimmen, dann ist euer Gott, der israelitische Gott, der größte Gott. Und er ist der einzige wahre Gott. Manchmal möchte ich denken, so einfach ist Theologie, so einfach ist Glauben.
Das ist der Grund, warum Rahab diese beiden Spione versteckt. Später sagt sie zu ihnen – das werde ich euch nicht vorlesen – dass sie und ihre Familie verschont werden sollen, wenn die Israeliten wieder gut nach Hause kommen und die Stadt einnehmen.
Die zweite Lektion lautet: Für Gott spielt es keine Rolle, woher du kommst oder wie du dein Geld verdienst. Er schaut dir mitten ins Herz und möchte dort echten Glauben sehen. Und das war bei Rahab so. Gott hat hineingeschaut und echten Glauben gesehen.
Rahab im Neuen Testament – Ein Beispiel für sichtbaren Glauben
Im Neuen Testament taucht Rahab ebenfalls auf, unter anderem im Jakobusbrief. Jakobus ist der Halbbruder Jesu. Er verwendet Rahab als ein Beispiel für sichtbaren Glauben.
Im Jakobusbrief, Kapitel 2, Vers 14, stellt Jakobus die Frage: Was nützt es, wenn jemand sagt, er habe Glauben, aber keine Werke? Kann etwa der Glaube ihn retten? Anders gesagt: Was nützt es, wenn jemand behauptet, gläubig zu sein, man aber sein Leben betrachtet und sagt: Entschuldigung, ich kann deinen Glauben in deinem Leben nicht erkennen, da fehlt doch etwas. Was bringt ein behaupteter Glaube? Ist so etwas echt?
Jakobus bemüht sich, uns darauf eine Antwort zu geben. Im zweiten Kapitel sagt er immer wieder: Nein, natürlich ist das nicht echt. Echten Glauben kann man sehen. Wenn ich nichts sehen kann, dann ist der Glaube auch nicht echt. Dann ist es vielleicht eine leere Behauptung, ein Lippenbekenntnis – das Geplapper der Heiden, so würde Jesus das wahrscheinlich nennen. Aber es ist nicht echt.
Nun schauen wir uns Rahab an. Sie war eine waschechte Heidin, deren Glaube jedoch echt war. Vielleicht stutzen wir und fragen uns: Wie kann man das machen? Diese Leute da zu verstecken und Unwahrheiten zu sagen – gibt es nicht geschicktere Möglichkeiten, seinen Glauben zu zeigen?
Ein Freund von mir kam zum Glauben und meinte: Weißt du, was ich als Erstes getan habe, nachdem ich gläubig geworden bin? Ich habe den Schinken für den Hauskreis geklaut. Das soll er nicht so tun, da gibt es geschicktere Möglichkeiten. Aber man versteht: Da ist im Herzen etwas passiert. Ich bin jetzt für Gott da, ich möchte jetzt für Gott leben.
So war es auch bei Rahab. Wenn euer Gott der wahre Gott ist, dann muss ich euch irgendwie helfen. Natürlich tut sie es wie eine waschechte Heidin und lügt, was das Zeug hält. Aber die Motivation ist trotzdem echt und ehrlich. Das, was aus ihrem Herzen kommt, ist wahrhaftig.
Im Jakobusbrief, Kapitel 2, Verse 25 und 26, heißt es: Ist aber nicht ebenso auch Rahab, die Hure, aus Werken gerechtfertigt worden, da sie die Boten aufnahm und auf einem anderen Weg hinausließ? Denn wie der Leib ohne den Geist tot ist, so ist auch der Glaube ohne Werke tot.
Der Glaube ohne Werke ist tot. Er ist nicht real, sondern nur eingebildet, einfach nur behauptet. Aber dort, wo mein Leben meinen Glauben unterstreicht – so wie bei Rahab –, da ist der Glaube echt. Sie weiß nicht viel, aber das, was sie weiß, nimmt sie und wirft ihr ganzes Leben und ihr ganzes Vertrauen auf diesen einen Gott. Wo das passiert, da ist der Glaube echt.
Vertrauen trotz Unwissenheit – Der Beginn des Glaubens
Und das ist die dritte Lektion, die wir von Rahab lernen können. Du musst nicht alles wissen, alles verstanden haben oder alles erklären können, bevor du glauben kannst.
Eine ganz wichtige Lektion ist: Gott gibt dir Dinge zu verstehen, einzelne kleine Dinge, bei denen du sagst: Jetzt verstehe ich Gott. Jetzt habe ich begriffen, dass Gott real ist und wirklich da ist. So wie Rahab. Sie erkannte, dass es einen Gott gibt, der über allen anderen steht. Das hatte sie verstanden, und daran hielt sie fest. Sie ließ es nicht wieder los und machte es zur Grundlage ihres Lebens.
Wie würde man das heute sagen? Heute könnte man vielleicht sagen: Es gibt einen Gott, der wichtiger ist als Geld, iPods, Diäten oder Selbstverwirklichung. Einen Gott, und ich möchte für ihn da sein. Ja, wir reden heute nicht mehr so: Es gibt einen Gott, der größer ist als alle Götter. Wir leben in einer anderen Zeit, aber wir haben auch unsere Götter.
Wenn du nur das eine verstanden hast – es gibt einen Gott, der über allen Göttern und Zielen steht – dann reicht das völlig aus, um Gott im Glauben einen Schritt näherzukommen. Gott verlangt von dir nicht, dass du mehr weißt, als du wissen kannst.
Veränderung durch Glauben – Rahabs neues Leben
Rahab musste nicht einmal mit der Prostitution aufhören, um sich bekehren zu können. Das geschah später. Dies ist meine vierte und letzte Lektion, die wir von Rahab lernen können.
Am Anfang des Neuen Testaments findet sich ein Stammbaum, nämlich der Stammbaum von Jesus. In diesem Stammbaum taucht, man könnte es fast überlesen, unsere Rahab wieder auf. Dort heißt es in Matthäus 1,4: „Salma aber zeugte Boas von der Rahab.“
Das bedeutet, dass unsere Prostituierte nicht immer Prostituierte geblieben ist. Sie gründete eine Familie und mehr noch: Sie wurde die Ur-Ur-Großmutter von David. So findet sie sich plötzlich im Stammbaum von Jesus wieder.
Die vierte Lektion, die ich weitergeben möchte, lautet also: Wer Glauben lebt, auch wenn er am Anfang noch unvollkommen ist und Gott nur in einem begrenzten Maß kennt, den kann und will Gott verändern und gebrauchen.
Rahab gab ihr Gewerbe auf. Sie setzte ihr ganzes Leben auf eine Karte – auf die Karte „Gott“ – und sie gewann. Sie blieb am Leben. Es ist völlig klar, dass sie danach auch die anderen Bereiche ihres Lebens auf diese Karte setzte und Gott von ganzem Herzen lieben und gefallen wollte.
Zusammenfassung der Lektionen von Rahab
Deshalb können wir von Rahab vier wichtige Lektionen mitnehmen.
Erstens: Für Gott ist jede einzelne Prostituierte und jeder einzelne Mensch wichtig. Er mag sogar gerade die sogenannten Schmuddelkinder.
Zweitens: Für Gott spielt es keine Rolle, woher du kommst und wie du dein Geld verdienst. Er schaut dir ins Herz und interessiert sich dafür, ob er dort echten Glauben sieht.
Drittens: Um Gott vertrauen zu können, musst du nicht erst alles über ihn wissen oder perfekt sein. Fang einfach mit dem an, was du hast!
Viertens: Wer Glauben lebt, den kann und will Gott verändern und gebrauchen.
Die gute Botschaft lautet also: Gott kann jedes Leben benutzen.
