Was bleibt?

Konrad Eißler
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Was bleibt am Ende eines Jahres? Alles vergeht, alles fließt. Was trotzdem bleibt, ist beim Apostel Paulus nachzulesen: Glaube, Liebe, Hoffnung. - Kurzpredigt zu Silvester aus der Stiftskirche Stuttgart


Was bleibt, liebe Freunde, was bleibt jetzt?

Bleibt die Erinnerung an 365 Tage? Kriegstage waren es mit den schrecklichen Meldungen. Krisentagen waren es mit den bangen Nachrichten. Krankheitstage waren es auch, mit all den Ungewissheiten. Sicher waren es auch Sonnentage und Urlaubstage mit der Frau, mit den Kindern irgendwo in den Bergen und am See. Arbeitstage und Sonntage. Bleibt denn diese Erinnerung oder bleibt der Schmerz, der Schmerz, dass vielleicht die Mutter heimgegangen ist. Draußen auf dem Prag[friedhof] haben wir sie beerdigt. Die Lücke kann niemand schließen. Oder der Schmerz über den Sohn, der zwanzig Jahre im Haus gewohnt hat und plötzlich die Koffer gepackt und weggezogen ist. Ein leeres Zimmer - bleibt dieser Schmerz? Oder bleibt nur die Angst, die Angst, dass unsere Lebensuhr wieder um ein Jahr weitergewandert ist? Wir alle sind ja nur Urlauber vom Tod. Frist und Zeitgewinn ist unser Leben. Wer wird der nächste unter uns heute Abend beim Tode sein? Was bleibt denn oder bleibt nur die Angst, die Angst vor dem, was auf uns zukommen könnte, die Angst, dass ich nicht weiß, wie’s morgen und übermorgen und dann auch wieder aussieht.

Was bleibt eigentlich, liebe Freunde. Die Griechen sagen: Nichts bleibt, gar nichts bleibt. “panta rhei” haben sie gesagt, alles fließt. Unser Leben ist doch nur in einen dunklen Strom hineingeworfen. Wir bekommen keinen Halt unter den Füßen, keinen Halt mit den Händen. Wir sind fortgezogen, einem dunklen Nichts entgegen. Nichts bleibt. Und wenn wir hinausschauen in die Natur im Winter: Was sind denn diese Lebensgüter? Eine Hand voller Sand, Kummer der Gemüter. Die Erinnerung verblasst. Der Schmerz versurrt, die Trauer vergeht. Nichts bleibt, gar nichts bleibt.

Was bleibt? Fragen wir jetzt noch einmal diesen Völkerapostel Paulus. Am Schluss sitzt er in seinem Gefängnis. Gar nichts ist ihm geblieben. Freiheit ist ihm nicht geblieben. Er ist ein gebundener Mann. Freunde sind ihm nicht geblieben, die sind weit weg. Gesundheit ist ihm nicht geblieben. Paulus war ein kranker Mann. Und dort sitzt er in seinem elenden Gefängnis auf seiner Pritsche und er sagt nicht, nichts, nichts bleibt, sondern er schreibt es auf sein Papyruspapier: Nun aber bleibet Glaube, Hoffnung, Liebe. Das ist es, was bleibt. Nun aber bleibt der Glaube an den Herrn, der gekommen ist. Nicht nur in die Nähe unseres Planeten. Er kam nicht nur in eine liebliche Krippe, sondern an das leidige Kreuz. Und dort am Kreuz hat er unsere ganze Schuld, unsere ganze Vergangenheit, unsere ganze Last mit hinaufgenommen und weggenommen. Das Kreuz mit seinem Querbalken und seinem Längsbalken ist der Querstrich und der Längsstrich durch all unsere Fehlbilanzen hindurch. Das Kreuz, das große Pluszeichen unseres Lebens: Nun aber bleibt der Glaube an den Herrn, der gekommen ist. Nun aber bleibt die Hoffnung auf den Herrn, der kommen wird.

Eduard Spranger, der große Professor, als er gestorben war, fand man auf seinem Schreibtisch den Zettel: “Wir existieren nur in der Hoffnung, dass dies alles nicht ins Nichts hinein führt, sondern dem kommenden Tag entgegen.” Mag kommen, was da wolle, er kommt. Und selbst wenn mein Tod kommt, dann weiß ich: mors ianua vitae, der Tod ist das Tor zum Leben. Nun bleibt die Hoffnung auf den Herrn, der kommen wird. Und: Nun aber bleibet die Liebe, die Liebe zu dem Herrn, der heute und jetzt hier ist und bleibt.

Wenn wir als Kinder im Januar oder Februar das Haus verließen, sagte die Mutter und rief es uns nach: “Zieht euch warm an.” So wird es uns gleichsam hier gesagt: Wenn wir dieses Jahr verlassen und hinausgehen in die Kälte eines neuen Jahres: Zieht euch warm an. Bergt euch in seiner Liebe. Schlüpft in seine Barmherzigkeit. Dann mag es kalt werden. Dann mag der Winter kommen. Dann bin ich geborgen in Zeit und Ewigkeit.

Liebe Freunde, es ist nicht wahr, dass nichts bleibt. Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, weil Jesus bleibt. Lasst uns bei ihm bleiben.

Amen