Geistliche Grundlagen und Herausforderungen in der Gemeinde
Wenn ihr stärker wie Jesus gesinnt seid, dann werdet ihr auch das Problem von Streit und Zwietracht unter die Füße bekommen. Deshalb zuerst einmal 1 bis 4.
Ist nun bei euch Ermahnung in Christus, ist Trost der Liebe, ist Gemeinschaft des Geistes, ist herzliche Liebe und Barmherzigkeit. So macht meine Freude dadurch vollkommen, dass ihr einmütig seid, gleiche Liebe habt, einträchtig und einmütig seid. Tut nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen, sondern in Demut achte einer den anderen höher als sich selbst. Und ein jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auf das, was dem anderen dient.
Dann folgt der Vergleich mit Jesus Christus. Paulus beginnt hier, wie er das häufig tut, indem er zuerst die positiven Dinge in der Gemeinde aufzählt, was dort gut läuft. Denn wenn ihr hier seid, ist nun bei euch – und jetzt zählt er auch auf, was schon alles in der Gemeinde vorhanden ist.
Was er hier positiv in der Gemeinde hervorhebt, kann uns natürlich herausfordern, zu fragen: Ist in unserem geistlichen Leben, ist bei uns in der Gemeinde das, was er hier aufzählt, denn auch vorhanden?
Also zuerst einmal ist bei euch Ermahnung in Christus. Offenbar gab es in der Gemeinde eine klare Ausrichtung auf Jesus Christus. Man scheute sich auch nicht davor, die Schwachpunkte im Leben anderer Christen anzusprechen. Es wurde darauf hingewiesen: Hier ist etwas in deinem Leben nicht in Ordnung. Und zwar nicht aus selbstsüchtigen Motiven, sondern – wie wir hier lesen – Ermahnung in Christus. Also nicht Ermahnung aus menschlichen Überlegungen, etwa: Du müsstest deine Freizeit anders gestalten, du darfst nicht Fan von diesem Fußballverein sein oder diese Musik hören, weil mir das nicht passt.
Diese Art von Korrektur ist hier nicht gemeint. Sondern die Korrektur, bei der man vergleicht: Das ist der Anspruch Jesu, und das ist die Realität in deinem Leben. Da musst du korrigiert werden.
Diese Ermahnung in Christus kann natürlich mehrdeutig sein. Das kann bedeuten, dass derjenige, der ermahnt, in Christus ist und das dann in Christus tut. Das heißt, Jesus umgibt mich ganz. Das spricht dafür, dass es nicht der menschliche Zeitgeist ist, der mein Denken bestimmt. Es sind auch keine eigennützigen Motive, um den anderen besser dastehen zu lassen oder fertigzumachen. Sondern ich bin in Christus.
Dieses „in Christus“ kann sich natürlich auch auf die Ermahnung selbst beziehen, sodass nur das ermahnt wird, was Jesus Christus entspricht. Wie gesagt, alle Geschmacksfragen sind dabei ausgeschlossen.
Die Theologen der Vergangenheit nannten solche Geschmacksfragen „Adiaphora“. Das ist ein Fachwort für Dinge, die Gott uns freigestellt hat. Es gibt in unserem Leben Dinge, die Gott uns freigestellt hat, zum Beispiel, welche Farbe dein T-Shirt heute Morgen hat. Das ist nicht biblisch festgeschrieben.
Wir könnten natürlich irgendwelche großen Theorien darüber aufbauen, etwa dass nur diejenigen, die Weiß tragen, richtig handeln, weil Weiß die Farbe der Reinheit und der Farbe Gottes ist, und Gott leuchtet ja wie das Licht. Das wäre aber alles Quatsch. Dass Gott wie das Licht leuchtet, steht ja in der Bibel. Aber dass wir deshalb weiße T-Shirts tragen müssen, steht nicht in der Bibel.
Solche Dinge sind also nicht festgeschrieben. Wie viele Klöße du zum Mittagessen isst, wenn es welche gibt, oder Nudeln oder sonst was, steht prinzipiell auch nicht in der Bibel.
Ob du nun Vegetarier bist oder nicht, steht dort nicht. Ob du lieber Orgel oder Schlagzeug für den Gottesdienst hast, steht auch nicht drin. Ob du morgens eine stille Zeit um sechs machst, abends um zehn oder mittags um zwölf, steht ebenfalls nicht so in der Bibel.
Das sind sogenannte Adiaphora – Dinge, die nicht hundertprozentig festgelegt sind. Aber andere Dinge in der Bibel sind festgelegt, und da brauchen wir immer wieder Ermahnung von Gott selbst oder hier untereinander.
Deshalb ist bei euch Ermahnung in Christus – nicht aus eigennützigen Motiven, sondern aus der Motivation von Gott, aus der Beziehung, die die Christen mit Gott erleben.
Praktische Liebe und Gemeinschaft als Ausdruck des Glaubens
Dann wird als nächstes der Trost der Liebe beschrieben. Paulus selbst hat diesen Trost erfahren. Die Gemeinde liebt ihn, und obwohl er sich in Gefangenschaft befindet, trösten sie ihn. Trost bedeutet hier nicht nur einfach zuzusprechen: „Es wird schon wieder besser“ oder „Ach, du armer Kerl, wie schlecht geht es dir“. Vielmehr haben sie ganz praktisch versucht, ihm aus ihrer Liebe heraus in seiner Notlage zu helfen.
Wenn hier also „Trost der Liebe“ steht, dann ist das auch eine Liebe, die handgreiflich wird, könnte man sagen. Zunächst haben sie einen Mitarbeiter geschickt, der Paulus helfen sollte, die Erledigungen zu machen, die er selbst nicht tun konnte, weil er in Gefangenschaft war. Dieser Mitarbeiter hat ihm auch zugehört und sich erkundigt, wie es ihm geht. Außerdem haben sie Geld geschickt, damit er sich Dinge kaufen konnte, da er ja selbst nicht arbeiten konnte, während er im Gefängnis war. Es handelt sich also um praktische Hilfe.
Trost der Liebe – wir sehen, die Gemeinde ist nicht nur lehrmäßig gut aufgestellt und hält an den Ordnungen Gottes fest, sondern zeigt auch im praktischen Leben ihre Liebe. Die Liebe wird konkret. Es ist nicht nur eine Floskel oder ein Pflichtmitgefühl, das nur ausdrückt: „Naja, jetzt muss man halt irgendwas sagen“, sondern etwas, das aus echter Liebe zu Taten der Liebe führt.
Das ist das Zweite, was Paulus hier positiv erwähnt. Dann schreibt er von Gemeinschaft des Geistes. Offenbar hatten sie auch in ihrer geistlichen Ausrichtung Gemeinschaft. Das heißt, sie sind regelmäßig zusammengekommen und haben sich untereinander geliebt – in Philippi. Sie sind also nicht nur zum Sonntagmorgen zum Gottesdienst gekommen. Das sowieso nicht, weil ihr wahrscheinlich wisst, dass es in der frühen Gemeinde am Sonntagmorgen gar keinen Gottesdienst gab.
Das lag einfach daran, dass der Sonntagmorgen ein ganz normaler Arbeitstag war. Die Christen konnten also nicht freimachen und sagen: „Du bist mein Sklavenhalter, heute komme ich nicht, weil ich Gottesdienst habe.“ Der Sonntag wurde erst von Konstantin dem Großen um 320 herum zum Feiertag erhoben. Davor war der Sonntag ein ganz normaler Arbeitstag. Wenn man im jüdischen Umfeld wohnte, hatte man den Sabbat frei, aber das war der Sabbat, nicht der Sonntag. Im römischen Umfeld gab es viele Feiertage, aber der erste Tag der Woche, unser heutiger Sonntag, war kein freier Tag.
Wie gesagt, sie hatten Gemeinschaft – meistens früh morgens oder spät abends, vor oder nach der Arbeit – immer wieder durch die ganze Woche hindurch. Das hebt Paulus hier positiv hervor: Gemeinschaft des Geistes. Ihr seid alle bestrebt, euch vom Geist erfüllen zu lassen. Der Geist hat euch Begabungen gegeben, die ihr in der Gemeinde anwendet, damit die anderen wachsen können.
Dann spricht Paulus noch von herzlicher Liebe und Barmherzigkeit. Herzliche Liebe würde ich so auslegen: Hier ist Liebe gemeint, die nicht nur ein Wort ist, sondern sich im Handeln und im Reden der Philipper zeigt. Barmherzigkeit kennen wir als Diakonie, also praktische Hilfe, mit der sie den Menschen in Notlagen weiterhelfen – so wie Paulus, aber auch auf anderer Ebene.
Wir wissen, dass in der Verfolgungszeit der ersten drei Jahrhunderte besonders dieser Punkt, die geübte Diakonie und praktische Hilfe, viele Menschen überzeugt hat. Wir haben beispielsweise schriftliche Unterlagen aus dem zweiten Jahrhundert, aus der Verfolgungszeit. Dort beschwert sich sogar der römische Kaiser, dass es nicht nur in Ordnung geht, dass die Christen für ihre eigenen Leute sorgen – also für Alte, Kranke, Witwen, Waisen –, sondern sie kümmern sich auch um „unsere“ Leute.
Ein bekannter Fall aus dem frühen zweiten Jahrhundert ist eine Pestepidemie in Ägypten. Die normalen Römer, die dort lebten, gerieten in Panik und warfen ihre Angehörigen auf die Straße, sobald sich erste Anzeichen der Pest zeigten. Sie warteten nicht einmal, bis die Kranken starben, weil sie wussten, dass man sich anstecken konnte. Sobald die ersten Symptome sichtbar waren, wurden die Familienmitglieder – Kinder, Väter, Mütter – einfach auf die Straße gesetzt. Die Müllabfuhr holte die Toten und Sterbenden ab. Diese wurden entweder erst nach dem Tod verbrannt oder gleich verbrannt. Das war nicht gerade angenehm.
Die Christen hingegen haben das nicht getan. Sie pflegten ihre Angehörigen zu Hause. Nicht nur das: Sie gingen auch durch die Straßen, suchten nach Überlebenden und nahmen diese mit nach Hause, um sie zu pflegen. Ihr könnt euch denken, das war ein großer Einsatz und eine tolle Sache. Ihr müsst aber auch wissen, dass die meisten dieser Christen, die das getan haben, selbst an der Pest starben. Christen sind ja nicht automatisch immun gegen Krankheiten, und Gott hat nicht versprochen, dass diejenigen, die pflegen, gesund bleiben.
Das war hier nicht der Fall. Diakonie heißt auch, Opfer zu bringen. Es ist nicht nur so, dass man aus Überfluss anderen etwas abgibt. Es kann bedeuten, dass ich selbst damit rechne, dass es mir schlechter geht, wenn ich helfe, als wenn ich es nicht tue.
Ein anderer Fall betrifft die damals eifrig diskutierte Zahl der Kinder, ähnlich wie heute. Im Römischen Reich war die Ausrichtung eher auf so wenig Kinder wie möglich. Römische Staatsbürger erhielten sogar vom Kaiser im ersten bis dritten Jahrhundert Kinderprämien. Das bedeutet, wer mehr Kinder bekam, erhielt finanzielle Zuschüsse. Die Römer waren also schon damals ganz modern – vielleicht hat sich da gar nicht so viel verändert.
Es gab materiellen Wohlstand, und die reichen Römer fragten sich: Warum soll ich mich mit Kindern belasten? Kinder sind mühsam, ich kann nicht so oft ins Theater oder in den Zirkus gehen, ich kann mich nicht einfach scheiden lassen, weil die Kinder im Weg sind. Deshalb hatten die reichen Römer wenige Kinder. Wenn sie doch schwanger wurden, gab es Abtreibung. Das ist also keine moderne Erfindung, sondern gab es auch damals schon. Man verwendete ätzende Einläufe oder mechanische Methoden, wie das Drücken auf den Bauch. Wenn das alles nicht funktionierte, ließ das römische Recht immer noch einen Ausweg zu.
Das war damals wie heute: Ein Kind galt erst dann als schützenswert, wenn es vom Vater der Familie als rechtmäßiges Kind anerkannt wurde. Selbst ein Neugeborenes war noch kein schützenswerter Mensch, erst wenn der Vater sagte: „Okay, das ist mein Kind, du bist jetzt akzeptiert“, dann war es schützenswert.
Das ist ähnlich wie die heutige Sichtweise des australischen Ethikers Peter Singer, der in den USA lehrt. Er sagt, ein Kind, ob im Bauch oder nicht, sei nur ein höher entwickeltes Säugetier. Wenn es behindert ist, habe es erst recht kein Lebensrecht. Diese ganzen Regeln der Menschenwürde seien überflüssig. So ähnlich dachten die Römer damals auch.
Die Kinder wurden entweder getötet – etwa ertränkt in Regentonnen – oder ausgesetzt, zum Beispiel auf dem Marktplatz. Was machten die Christen? Sie gingen nachts herum und sammelten die ausgesetzten Kinder wieder ein. Nicht-Christen sagten dann nicht: „Wie blöd seid ihr, ihr macht euer Leben kaputt.“ Die Christen sorgten also nicht nur für ihre eigenen Kinder, sondern auch für andere.
Das war ein Zeichen von Diakonie und Barmherzigkeit, wie es hier steht. Ich könnte noch viele weitere Beispiele nennen, wie die ersten Christen das konkret ausgedrückt haben, aber das ist hier ein deutliches Zeichen. In einer kalten Welt, in der jeder vor allem an sich dachte, fiel das deutlich auf. Deshalb nennt Paulus das hier ausdrücklich.
Also: Bei euch gibt es herzliche Liebe und Barmherzigkeit. Barmherzigkeit natürlich untereinander, aber eben auch gegenüber Menschen aus der Umgebung. Das ist dann diese Diakonie. Das ist das Positive, das Paulus hervorhebt.
Einheit als Ziel und Herausforderung
In Vers 2 nennt Paulus die Defizite, die es in der Gemeinde noch gibt, und konzentriert sich dabei besonders auf eine Sache: „So macht meine Freude dadurch vollkommen, dass ihr eines Sinnes seid.“ Paulus fühlt sozusagen mit dem Zustand der Gemeinde mit. Es ist hier nicht die eigensüchtige Freude gemeint, wie wenn ein Kind sagt: „Wenn du willst, dass ich mich freue, dann kauf mir das oder das oder gib mir Geld fürs Kiosk.“
Vielmehr identifiziert sich Paulus mit der Gemeinde, leidet mit ihr und empfindet mit ihr mit. Er will sagen: Auch wenn ihr noch geistlicher sein wollt und mehr so leben wollt, wie Jesus gelebt hat – das führt er später als Beispiel auf und sagt dann: „So war Jesus gesinnt, und so sollt ihr auch gesinnt sein“ –, dann sucht nach dieser Einigkeit. Hier ist die Freude gemeint, die Paulus empfindet, wenn jemand anders geistlich vorankommt.
Diese Freude dient nicht ihm selbst, denn Paulus hat davon zunächst nichts. Er ist in Gefangenschaft. Ob sich die Gemeinde streitet oder nicht, interessiert ihn eigentlich nicht. Ob zum Beispiel die Mennonitengemeinde in Bielefeld im Streit ist oder nicht, ist für ihn unerheblich. Er lebt nicht jeden Tag mit den Leuten zusammen, und auch Paulus lebt nicht direkt mit ihnen. Dieses „Wenn ihr meine Freude vollkommen machen wollt“ meint eine selbstlose Freude darüber, dass jemand anders einsieht, was richtig ist, und dementsprechend handelt.
Diese selbstlose Freude sollten wir auch im Hinterkopf behalten, wenn wir mit Menschen sprechen, zum Beispiel in der Freizeit. Du hast mit jemandem zu tun und denkst dir: „Da wäre vielleicht etwas nicht in Ordnung, soll ich das ansprechen oder nicht?“ Wenn du jemanden ansprichst und dieser dann einsieht: „Du hast recht, da muss sich etwas verändern“, dann kannst du auch solch eine selbstlose Freude empfinden. Du merkst, dass du dem anderen weiterhelfen konntest oder dass der andere etwas mehr von Gott erkannt hat, was für ihn, seine Umgebung, Familie oder Gemeinde gut ist. Es geht nicht um Freude, weil ich persönlich etwas davon habe. Diese selbstlose Freude meint Paulus hier.
„So macht meine Freude dadurch vollkommen, dass ihr eines Sinnes seid.“ Eines Sinnes zu sein bedeutet nicht unbedingt, in allem die gleiche Meinung zu haben. Vielmehr kann man sagen, dasselbe Ziel zu verfolgen und die gleichen Prämissen und Maßstäbe zu akzeptieren. Das ist mit „gleich“ eher gemeint: die gleiche Grundlage, die gleichen Grundprinzipien, die wir anwenden.
Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass es die Adiaphora gibt, also Dinge, die erlaubt sind, neben der Ermahnung in Vers 1. Die Ermahnung sind die festen Maßstäbe Gottes, die Adiaphora sind die freien Dinge, die wir entscheiden können. Die Einigkeit, das „Eines Sinnes sein“, meint also diese Grundlage. Ihr alle akzeptiert die Bibel, und zwar nicht nur so, wie ihr sie auslegt, damit sie euren Interessen entspricht, sondern ihr lasst euch auch in Frage stellen. Ihr akzeptiert diese Grundlage, wie sich ein Christ verhalten sollte. Später werden noch Demut, Selbstlosigkeit und andere Eigenschaften genannt, die Jesus hatte. Das sollt ihr akzeptieren – also hier eines Sinnes sein.
Dann steht da nicht nur „eines Sinnes“, sondern auch „gleiche Liebe habt, einmütig und einträchtig seid“. Das bedeutet, dass dieses „eines Sinnes“ nicht nur heißt, dass wir dasselbe Glaubensbekenntnis unterschreiben oder eine Gemeinderegel akzeptieren. Das wäre mehr eine formale Zustimmung. Hier hat es für Paulus auch Auswirkungen: die gleiche Liebe zu haben.
Was meint er damit? Gibt es verschiedene Arten von Liebe? Zum Beispiel christliche Liebe und menschliche Liebe? In erster Linie will er sagen: Alle von euch sollten von Liebe gekennzeichnet sein. Neben eurem Denken soll man diese Einheit des Geistes auch im Handeln sehen. Er hat ja schon vorher gesagt, dass sie Barmherzigkeit und herzliche Liebe haben – das ist mehr die praktische Hilfe, die Diakonie. Jetzt soll diese Liebe auch im praktischen Leben sichtbar werden, die sich in der Einheit der Christen untereinander zeigt.
Wie drückt sich das aus? Habt ihr Vorschläge, wie sich diese Einheit des Geistes praktisch in Liebe äußern könnte, im Umgang miteinander? Ein Zeichen der Liebe könnte zum Beispiel sein, wie wir miteinander sprechen oder eben nicht sprechen, wie wir die Bedürfnisse des anderen akzeptieren und mit einbeziehen.
Auch die gleiche Liebe von dem, der ermahnt, und dem, der ermahnt wird, fördert die Einheit. Dann können sie auch eher wieder zusammenkommen.
Paulus nennt noch zwei weitere Eigenschaften: einmütig und einträchtig. Das bedeutet, dass er die Einheit beschreibt, die den Philippern fehlt. Erstens „eines Sinnes“, dann „gleiche Liebe“, dann „einmütig“ und „einträchtig“. Einmütig betrifft für mich vor allem das Denken. Ihr sollt in eine Richtung denken. Wir würden sagen, ein Ältestenkreis trifft einmütig eine Entscheidung, das heißt, sie sind eines Mutes, eines Sinnes, ziehen an einem Strang. Das ist hier das Ideal.
Wir sollten nicht denken, dass nur eine Ältestenentscheidung oder eine Gemeindebeschlussfassung von hundert Prozent Zustimmung umgesetzt werden kann. Das ist wahrscheinlich unrealistisch. Dann würde eure Gemeinde in den nächsten zehn Jahren kaum etwas entscheiden. Zumindest ist das meine Erfahrung. Das Ziel ist hier vor Augen: nicht Kampfabstimmung, nicht dass jeder seine Interessen durchsetzen will, sondern Einheit im Denken zu fördern.
„Einträchtig“ betrifft eher das Zusammenleben. Im Zusammenleben soll Einheit herrschen, die sich darin zeigt, dass man sich häufiger trifft und auch mit Leuten spricht, die nicht immer die gleichen Interessen oder die gleiche Persönlichkeit haben wie man selbst.
Neben diesen positiven Aspekten beschreibt Paulus auch den Schwachpunkt der Philipper, das Negative. Er schreibt: „Tut nichts aus Eigensucht oder um eitler Ehre willen.“ Dann folgt wieder etwas Positives.
Die Gefahr ist, dass, wenn die geistliche Liebe und Einheit fehlen, man aus Eigennutz oder um eigener Ehre willen handelt. Das könnte der gegenwärtige Zustand der Gemeinde sein, weshalb Paulus sie ermahnen muss.
Natürlich kann Gott auch in einer Gemeinde segnen, in der nicht alles ideal ist. Das merken wir gerade bei den Philippern. Wir dürfen nicht den Eindruck gewinnen, Gott kann erst segnen, wenn wir in allen Punkten vollkommen geistlich handeln. Diese Erkenntnis soll uns aber nicht dazu führen, einfach so weiterzuleben und es gleichgültig zu nehmen. Nein, wir sollen danach streben. Deshalb fordert Paulus die Gemeinde auf: Seid auch in diesem Punkt vollkommen, nämlich in eurer Einheit.
Zum Glück segnet Gott trotzdem, obwohl sie diese Einheit noch nicht haben, sondern Streit und Zwietracht bei sich tragen. Es gibt Dinge, die aus Eigennutz geschehen. In Kapitel 1 heißt es, dass einige aus selbstsüchtigen Motiven das Evangelium verkündigen. Hier gab es offenbar auch solche Leute in der Gemeinde in Philippi. Sie hatten eigene Interessen, vielleicht materiellen Vorteil, weil sie einen besonderen Posten oder Unterstützung der Gemeinde erhielten, wahrscheinlich aber eher ideellen Vorteil, wie ein bestimmtes Ansehen oder Vorteile in einer Streitfrage, weil sie sich durchsetzen konnten.
Eitle Ehre ist das Selbstbewusstsein, das Ansehen. Hier können wir wieder fragen: Warum schadet Eigennutz und eitle Ehre der Einheit? Es geht ja um die Einheit, die teilweise fehlt. Stattdessen gibt es Zwietracht. Paulus nennt die negativen Punkte, die in der Gemeinde vorhanden sind, nämlich Eigennutz und eitle Ehre.
Warum verhindern Eigennutz und eitle Ehre die geistliche Einheit? Das ist auch ein Punkt, der uns für unsere Situation in der Gemeinde wichtig ist. Wir müssen begreifen, warum das ein Problem ist. Es geht um meine Ehre. Jeder hat seine eigene Ehre, und dadurch geht die Einheit verloren.
Wenn wir alle an einer Sache kämpfen und ein gemeinsames Ziel vor Augen haben, verbindet uns das. Zum Beispiel, wenn wir alle Fans desselben Fußballvereins sind, verbindet uns das. Wenn aber jeder Fan eines anderen Vereins ist und wir über Fußball diskutieren wollen, gibt es wahrscheinlich Probleme.
So ähnlich ist es hier: Wenn jeder sich selbst in den Mittelpunkt stellt, führt das zu Zwietracht in der Gemeinde.
Selbstsucht ist immer ungeistlich. Was ungeistlich ist, führt zu Sünde. Sünde belastet die Gemeinschaft – also auch hier negativ.
In Vers 3 nennt Paulus das Gegenstück: „Sondern Demut soll einer den anderen höher achten als sich selbst.“ Hier ist eine Eigenschaft gemeint, die Jesus in besonderer Weise hatte: persönliche Interessen zurückzustellen.
Einer soll den anderen höher achten, besonders Gott höher achten. Ich denke an Johannes den Täufer, der sagte: „Ich muss abnehmen, er aber muss zunehmen.“ Das ist eine Grundüberzeugung, die dahintersteht – hier den anderen Geschwistern in der Gemeinde gegenüber.
Natürlich gilt das besonders in der Beziehung zu Gott. Ich stelle mich Gott und Jesus bewusst zurück. Ich denke nicht nur daran, wo mir Jesus helfen kann oder was er von mir fordert, sondern ich ordne mich ihm grundsätzlich unter.
Demut heißt, realistisch von sich selbst zu denken, auch die eigenen Schwächen, Grenzen und die eigene Schlechtigkeit wahrzunehmen. Wenn ich das tue, verurteile ich andere nicht so schnell. Wenn ich ein perfektes Bild von mir habe – ich bin fehlerlos, habe die Bibel total begriffen und den Glauben auch –, dann bin ich schneller streng und vielleicht ungerecht mit anderen. Ich versuche meinen Maßstab auf andere anzuwenden.
Wenn ich hingegen realistisch sehe, dass ich mit Sünde kämpfe und nicht immer gehorsam bin, wie Jesus es will, dann ist das ein Zeichen von Demut.
Wir sprechen auch davon, jemanden zu demütigen oder uns selbst zu demütigen – gemeint ist, realistisch von sich selbst zu denken. Dann kann ich andere höher achten.
Das fördert die Einheit. Ich bin realistisch mit meinen Schwächen und sehe, dass ich andere brauche. Wenn ich denke, ich schaffe alles selbst und besser als andere, wäre die Einheit schwerer.
Wenn ich demütig meine Schwächen und Fehler sehe und erkenne, dass ich andere brauche, die ebenfalls Eigenschaften von Gott haben und von Gott geliebt sind, wird die Einheit leichter möglich. Dann sehe ich nicht nur die Probleme, die der andere mir bereitet, sondern auch das, was der Gemeinschaft und mir dient.
Ich erkenne, wenn ich demütig bin, dass wir alle zusammengehören. Paulus schreibt das auch im ersten Korintherbrief: „Wir sind alle Glieder an einem Organismus.“
Dass es Zwietracht in der Gemeinde gibt, ist kaum zu vermeiden. Das liegt daran, dass uns als Christen der Glaube unheimlich wichtig ist. Dinge, die einem Menschen sehr wichtig sind, verteidigt man oft hartnäckig. Das ist keine Nebensache.
Gerade wenn uns der Glaube so wichtig ist und jemand eine andere Lehrbetonung oder Erkenntnis hat, können wir nicht einfach darüber hinwegsehen. Auseinandersetzungen und Streitigkeiten sind in der Gemeinde daher wahrscheinlicher als in einem Schützenverein.
Im Schützenverein streitet man sich vielleicht über das Bier oder die Musik, aber das beeinträchtigt das Leben nicht so sehr. Bei uns ist es tiefergehend. Wir gehen davon aus, dass das, was wir in der Bibel erkannt haben, die Grundlage unseres gesamten Lebens ist – nicht nur auf der Erde, sondern auch in der Ewigkeit.
Unsere Verhaltensmuster hängen nicht davon ab, ob es uns gefällt, sondern davon, ob Gott es will oder nicht. Deshalb wird es immer Auseinandersetzungen geben. Wir müssen uns dann unter Gott stellen und prüfen, welche Auseinandersetzungen wirklich biblisch notwendig sind und welche nur auf unseren Erkenntnissen und Überzeugungen beruhen.
Selbstlosigkeit als Weg zur Einheit
In Vers 4 wird es weiter ausgeführt: „Und ein jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auf das, was dem anderen dient.“ Hier geht es nicht darum, zuerst zu fragen: Was bringt mir die Gemeinde? Vielmehr könnten wir sagen: Was kann ich dazu beitragen, damit der andere vorankommt? Das ist eine grundsätzlich andere Sichtweise, als wir sie heute häufig haben.
Ihr kennt das vielleicht auch: Es gibt Personen, die so genanntes Gemeindehopping betreiben, also von einer Gemeinde zur nächsten wechseln. Sie suchen immer dort, wo es ihnen am besten passt, wo sie etwas mitbekommen oder wo etwas läuft. Wenn in einer Gemeinde keine „Action“ ist und in einer anderen der Gottesdienst etwas lockerer gestaltet wird, mehr Anbetungszeit hat, der Prediger besser spricht oder vielleicht der Kaffee nach dem Gottesdienst besser schmeckt, dann gehen sie dorthin.
Das ist natürlich eine ganz andere Motivation. Sie stellt die Sache gewissermaßen auf den Kopf. Die Motivation von uns sollte zuerst sein: Wo kann ich dem anderen helfen? Wird Gott mich in dieser Gemeinde und an dieser Stelle brauchen? Was kann ich dazu beitragen, dass im Gottesdienst der andere bereichert wird? Nicht nur, dass ich darauf achte, ob mich die Predigt anspricht oder ob nach dem Gottesdienst jemand auf mich zugeht, um mit mir zu reden. Das wäre eine eigensüchtige Haltung, die eher zu Streit und Zwietracht führt.
Stattdessen gilt die umgekehrte Haltung: Ich gehe hinein, werde vielleicht nicht angesprochen, aber ich überlege mir, wie ich die Geschwister ermutigen kann. Wo ist jemand, der vielleicht mal jemanden braucht, der zuhört oder für ihn betet? Das heißt hier: Ich achte auf das, was dem anderen dient, so übersetzt Luther.
Dabei müssen wir deutlich darauf achten, dass das nicht bedeutet, dass jeder sich in die Angelegenheiten des anderen einmischt. Es heißt auch nicht, dass ich mir überlege, was der andere tun müsste. Das nicht. Wenn die Bibel darüber spricht, was wir tun sollen, dann richtet sie sich immer an uns selbst. Also praktisch an unser eigenes Verhalten.
Hier geht es darum, dass wir für den anderen sorgen sollen, dass es ihm gut geht. Ein Beispiel dafür ist die Stellung zwischen Mann und Frau im Epheserbrief. Dort steht nicht: „Du, Mann, sorge dafür, dass deine Frau sich unterordnet.“ Oder: „Du, Frau, sorge dafür, dass dein Mann gut für die Familie da ist.“ Nein, gar nicht. Dort steht: „Du, Mann, liebe deine Frau, wie Christus die Gemeinde liebt“ und „Du, Frau, ordne dich deinem Mann unter.“ Wenn der Mann oder die Frau das nicht tut, ist der andere von seinen Pflichten nicht entbunden.
Genauso betrifft es hier die Gemeinde: Du bist herausgefordert, dafür zu sorgen, dass es den anderen gut geht. Nun könntest du sagen: „Ja, die anderen sorgen doch auch nicht dafür, dass es mir gut geht.“ Ja, das ist nicht deine Verantwortung, das ist Gottes Verantwortung. Dann werden sie Gott einmal vor Verantwortung gezogen werden.
Unsere Aufgabe ist nur: Ich sorge dafür, nicht den anderen zurechtzuweisen oder ihm zu sagen, was er tun muss. Sondern ich sorge dafür, dass ich meinen Teil dazu beitrage, dass er die Liebe Gottes erfährt, Vergebung erfährt, ermutigt wird – was auch immer nötig ist, um den anderen zu stärken. Solche Dinge sind gemeint.
Jesus als Vorbild für Demut und Selbstlosigkeit
Und jetzt kommt das Beispiel Jesu, das als Vorbild genommen wird. An dieser Stelle, wie wahrscheinlich an kaum einer anderen, erklärt Paulus, was für ihn die Hauptsache des Kommens Jesu auf die Erde ist. An vielen anderen Stellen spricht er ja über Gesetz und Gnade und Ähnliches. Hier steht jedoch etwas ganz anderes im Mittelpunkt: nämlich die totale Demut Jesu.
Diese will er den Philippern vor Augen führen und sagt: Ihr wollt Christen sein, ihr sagt, Jesus ist euer Herr, dann handelt doch auch so, wie Jesus gehandelt hat. Das wäre ungefähr so, als wenn du sagst, ich habe ein Idol, das ich ganz toll finde und das in allen Dingen super ist. Dann schaue ich in deinem Leben und deinem Reden nach und du bist nirgends so wie diese Person. Du willst es auch gar nicht sein, scheinbar. Dann würde man sagen, da stimmt doch irgendwas nicht. Irgendwie ist der entweder kein echter Fan oder er findet ihn trotzdem nicht toll, sonst würde er ja so handeln.
Wahrscheinlich, wenn ihr ein paar Teenager habt – Teenager tendieren ja immer eher dazu, sich Idole zu suchen –, merkt man das schnell. Entweder sind Poster von dieser Person im Zimmer oder Unterschriften werden gesammelt. Man sucht in Zeitschriften, was diese Person macht, und plötzlich übernimmt man auch deren Meinung. So ähnlich sollten wir jetzt ja Fans von Jesus sein, so argumentiert Paulus hier. Und dann sagt er: Seid auch so wie Jesus, nehmt euch das zum Vorbild.
Ich lese gerade mal die Verse 5-11: "So seid nun unter euch gesinnt, wie es auch der Gemeinschaft in Jesus Christus entspricht. Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, war den Menschen gleich. Und der Erscheinung nach als Mensch erkannt, erniedrigte er sich selbst und wurde gehorsam bis zum Tod, ja zum Tod am Kreuz. Darum hat ihn Gott erhöht und hat ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist, damit im Namen Jesu sich beugen sollen alle Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters."
Der Grundgedanke ist: Jesus war ja noch viel mehr als wir. Er hätte sich noch viel mehr einbilden können auf seine Stellung, denn er war Gott. Jetzt hat er seine Position, die er als Gott gehabt hat, aufgegeben. Er war so demütig und von Liebe zu uns durchdrungen, dass er all das aufgab. Und hinterher kam heraus, dass er seine besondere Stellung, nämlich als Herr aller Herren, König aller Könige, gerade dadurch bekommen hat, dass er sich erniedrigt hat.
Hier merken wir eine Argumentation, die unserem Empfinden vollkommen entgegenspricht. Denn bei uns in der Welt kommt der Groß raus, der sich entsprechend präsentiert, der sich durchsetzt, der seine Ellenbogen gebraucht, der günstige Situationen ausnutzt. Hier bei Gott ist es genau das Gegenteil, scheinbar.
Jesus hatte diese Stellung schon inne. Er war Gott im Himmel, in der Ewigkeit, in aller Herrschaft. Er musste nur mit den Fingern schnipsen oder mit den Augen zwinkern, und schon geschah etwas in der Welt: ein neuer Stern entstand, einer ging unter oder sonst irgendetwas. Und das hat er alles aufgegeben, total gedemütigt, um uns als Menschen zu dienen.
Das soll uns als Vorbild dienen. Es soll gesagt werden: Du kannst hier nie so viel verlieren, wie Jesus verloren hat, aber trotzdem sollst du deine eigenen Interessen und das, was du selbst positiv leistest, sogar das, was du hast – nicht nur das, was du dir einbildest –, zurückstellen. Also selbst da, wo du besonders geistlich bist, sollst du in Demut das zurückstellen, um den anderen zu dienen.
Das soll hier vor Augen geführt werden: Wie Christusgesinnt sein, nämlich nicht zum eigenen Vorteil leben, nicht für eigene Ziele, sondern zuerst nach dem Plan Gottes fragen. Die Frage nach dem Willen Gottes taucht ja viel stärker auf, wahrscheinlich noch stärker als bei euch Jugendlichen.
Junge Leute – ich erlebe das ja auch bei Bibelschülern – da ist ganz stark die Frage nach dem Willen Gottes. Warum? Weil ja auch noch viel mehr Lebensentscheidungen getroffen werden müssen: Wen heirate ich? Welchen Beruf wähle ich? Wo ziehe ich hin? Und all solche Sachen.
Das ist bei den meisten von euch ja schon geregelt. Trotzdem sollten wir die Frage, was der Wille Gottes ist, nicht ad acta legen. Denn wenn hier steht: "Seid so gesinnt, wie es der Gemeinschaft in Jesus Christus entspricht", sind ja Erwachsene angesprochen, die in der Gemeinde sind. Hier müsste also wieder neu die Frage gestellt werden: Was ist der Wille Gottes für mein Leben – und zwar konkret im Handeln? Und die sollten wir uns durchaus auch stellen. Das ist unabhängig vom Alter.
Wenn dann steht: "Wie es der Gemeinschaft in Christus entspricht" – nun, die Gemeinschaft in Christus könnte heißen: Ich persönlich bin in Christus. Jetzt müsste ich sagen: Was entspricht denn einem Leben in enger Gemeinschaft mit Jesus? Da müsste ich sagen: Wenn ich in enger Gemeinschaft mit Jesus bin, kann ich nur eins mit ihm sein, wenn ich ihm ähnlich werde.
Wir könnten auch sagen: "Wie es der Gemeinschaft in Christus entspricht" – hier ist die Gemeinschaft in Christus in der Gemeinde gemeint. Also ihr habt die Gemeinschaft in Christus, in der Gemeinde. Dazu will Paulus sie auch ermahnen. Und das wären ebenfalls bestimmte Kriterien, auf die wir gleich noch zu sprechen kommen werden.
Also Kennzeichen der Gemeinschaft ist diese selbstlose Vergebung. Wir sind in eine Familie hineingeboren, in die uns Gott hineingestellt hat. Also gesinnt sein wie Christus.
Wir finden das auch im 2. Korinther 8,9 ein bisschen früher. Da schreibt Paulus nämlich ebenfalls über dasselbe Thema: "Denn ihr kennt die Gnade unseres Herrn Jesus Christus: Obwohl er reich war, wurde er doch arm um eurer willen, damit ihr durch seine Armut reich würdet." Ein ganz bekannter Vers.
Hier schreibt er in einem Vers noch einmal das, was er hier ausführlich beschreibt: Wir werden erst reich, wir bekommen überhaupt erst Bedeutung für unser Leben und für Gott dadurch, dass Jesus arm geworden ist, auf alles verzichtet hat. Und das ist hier das Vorbild. Genauso sollst du es auch machen.
Werde du erst einmal arm, werde du erst einmal aller Knecht in der Gemeinde, in der Familie. Dann wird es den anderen besser gehen, die werden vorankommen, und du selbst wirst schließlich von Gott erhöht. Du musst dich nicht selbst erhöhen, Gott wird es tun. So wie bei Jesus.
Er hat sich erniedrigt, er ist dann sogar gestorben, er ist als Verbrecher am Kreuz hingerichtet worden, und Gott hat ihn dann erhöht und auf diese Stellung gebracht. Und hier eben: Wenn er schon euer Chef ist, dann sollt ihr auch so leben. Wenn er schon euer Idol ist, dann sollt ihr auch so leben, wie er es gemacht hat.
Das, was wir hier im Folgenden sehen, wenn ich jetzt mal so einen Grundgedanken nenne, ehe ich auf die Einzelheiten eingehe: Jesus wird uns einerseits als Gott vorgestellt. Denn hier steht ja: "Er hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein." Wir lesen auch in Vers 6: "Er, der in göttlicher Gestalt war." Das heißt, er war Gott.
Und danach steht: "Er war Mensch." Hier finden wir auch eine der zentralen Stellen in den Briefen des Paulus, in denen Jesus uns vorgestellt wird als ganzer Mensch und ganzer Gott – und zwar unmittelbar nebeneinander. Es werden sogar dieselben Begriffe gebraucht.
Wenn ihr mal darauf achtet: Da wird gesagt, er hatte die göttliche Gestalt und danach wird von seiner menschlichen Gestalt gesprochen. Also er hat beides parallel zueinander. Ich glaube, das ist nicht nur ein dogmatischer Satz, sondern etwas, das uns in unserem täglichen Leben weiterhilft – oder Probleme aufwirft.
Wenn ich nämlich Jesus nur als Gott sehe, so wie er das ja ursprünglich war, dann wird er in weiter Entfernung sein. Es gibt Gemeinden, in denen Jesus sehr stark als Gott angesehen wird, und meistens gibt es dadurch eine große Distanz zu Gott. Er ist so weit von mir entfernt, weil ich ja nicht Gott bin. Und dann spüre ich auch seine Heiligkeit viel stärker in meinem Leben, fühle mich ihm gegenüber unwürdig und traue mich vielleicht nicht einmal, mich ihm zuzuwenden.
Das ist ganz stark im Katholizismus, wo man sich dann eben in den Gebeten nicht an Jesus oder Gott wendet, weil er ja so heilig ist, sondern an Maria. Weil sie ja wieder menschlicher ist, eine Mutter und eine Frau. Sie wird dann ein gutes Wort bei Gott einlegen.
Wir müssen Jesus sicherlich als Gott ansehen, das ist die eine Sache, aber eben auch als Mensch. Wer zu stark die Göttlichkeit betont, verliert die Nähe und die Vertrauenswürdigkeit, die Jesus zu uns hat. Wer Jesus zu stark als Gott sieht, könnte den Eindruck gewinnen, das ist ja alles nur Theater, was er hier auf der Erde gespielt hat.
Er hat hier auf der Erde gelebt, war krank, wurde angefochten, wurde selbst getötet, aber das war ja alles nur Theater. Er war ja total Gott, er hat ja sofort gewusst, wo es hinausläuft. Als Gott schaltet er die Schmerzen einfach aus und ist uns noch viel weiter entfernt. Er kann uns nicht verstehen, wir können ihn nicht verstehen, wenn wir ihn zu stark als Gott sehen – also diese große Entfernung.
Auf der anderen Seite, wenn wir ihn nur als Mensch sehen, dann ist er zwar unser Kumpel, mit dem wir gut sprechen können, aber einer, der uns letztendlich nicht weiterhelfen kann. Denn wenn er nur Mensch wäre, so wie der Hebräerbrief sagt, aber ohne Sünde, dann könnten wir auch nicht einfach beim Sturm auftreten und sagen: "Sturm, Stopp!" oder "Regen, Stopp!" oder sonst irgendetwas, was uns gerade gefällt, und dann passiert das.
Wir können auch bei einer Krankheit nicht einfach sagen: "Krebs, zack, Stopp, jetzt ist es vorbei!" Jesus konnte das nicht. Hier merken wir: Er war eben Mensch, deshalb versteht er uns und wie wir in jeder Situation unseres Lebens empfinden. Es gibt keine Situation, in der wir leiden oder uns einsam fühlen, die Jesus nicht nachempfinden könnte, weil er total Mensch war.
Das ist die Seite, die wir verlieren, wenn wir nur die Göttlichkeit betonen. Aber wenn wir nur die Menschlichkeit betonen, verlieren wir die göttliche Seite: einen Menschen, der uns nicht weiterhelfen kann. Und nur ein Mensch kann uns auch nicht erretten. Denn wenn irgendein Mensch für uns sterben würde, würden wir noch lange nicht zu Gott kommen, gäbe es keine Sündenvergebung.
Gerade deshalb ist es nötig, dass Gott für uns stirbt, in seiner Allmacht. Deshalb kann er unsere Probleme lösen – unser größtes Problem, vor allem unsere Sünde – nur dann, wenn er wirklich Gott ist.
Hier merken wir: Dieser Satz ist nicht nur ein theologischer Satz, er hat Auswirkungen in unserem Alltagsleben und in unserer Praxis mit Gott. Wir brauchen beides: ganzer Gott und ganzer Mensch. Wahrscheinlich werden wir morgen dort weitergehen.
Ich will nur noch diesen Vers 6 ein bisschen vor Augen führen. Da habe ich schon erwähnt: "Er, der in göttlicher Gestalt war." Das betrifft jetzt die Zeit vor seiner irdischen Geburt.
Jetzt müssen wir wissen, dass es im Griechischen zwei verschiedene Begriffe für Gestalt gibt. Das eine ist Morphe, und das meint die eigentliche Realität, die unveränderliche Gestalt einer Person. Das andere ist Schema, das griechische Wort für die äußere Form, die sich von Zeit zu Zeit verändern kann.
Wenn man einen Menschen bezeichnen würde, wäre seine Morphe so etwas wie seine Persönlichkeit. Wenn ihr zurückschaut, war eure Persönlichkeit vor zehn Jahren prinzipiell dieselbe wie heute. Das ist die Identität, die ihr habt. Das ist auch das, was wir erfahren: Wir werden älter, fühlen uns aber gleich wie vorher.
Das, was dazukommt, sind Erfahrungen und Entscheidungen, die wir getroffen haben. Solche Dinge werden eher als Schema bezeichnet oder unser Aussehen. Natürlich siehst du heute anders aus als vor zwanzig Jahren oder als Baby. Das ist das Äußere.
Hier gibt es also diese beiden Begriffe: das eine ist das Äußere, das sich verändert, und das andere ist die Persönlichkeit, der Wesenskern, der gleich bleibt. An dieser Stelle benutzt Paulus den Begriff Morphe, also das Unveränderliche.
Wenn da steht, der in göttlicher Gestalt war, heißt das, diese göttliche Gestalt ist das Unveränderliche. Jesus war Gott, auch wenn er diese Gestalt äußerlich aufgegeben hat. Er sah äußerlich anders aus, hatte jetzt ein anderes Schema, so wie wir als Baby anders aussehen als als Erwachsener.
So sah Jesus anders aus in der göttlichen Herrlichkeit, als er auf der Erde war. Aber die Morphe, seine Gestalt, war dieselbe, nämlich göttlich – vorher, während und nachher, jetzt, wo er zur Rechten Gottes sitzt, sowieso.
Dann steht: "Er hielt es nicht für einen Raub." Dieses "Nicht für einen Raub halten" ist das griechische Wort "hapa gnos". Das heißt so viel wie: rasch ergreifen, wegreißen, voller Hast sich an etwas festhalten. Damit ist eher ein Handtaschenräuber gemeint, der schnell etwas nimmt und dann versucht abzuhauen.
Warum sagt Paulus, er hielt es nicht für einen Raub, gottgleich zu sein? Einerseits hat er hier vor Augen, dass Jesus es nicht nötig hatte, sich selbst daran zu binden oder danach zu gieren. Er war ja sowieso Gott für alle Ewigkeit. Er muss sich nicht etwas aneignen, wie es ein Räuber tut, um es dann nicht mehr loszulassen.
Das andere, was vor Augen geführt werden soll, ist: Er hielt es nicht für einen Raub, das heißt, er klammerte sich nicht daran. Paulus will uns hier eine Grundeigenschaft Gottes vor Augen führen: die Selbstlosigkeit. Ein Gott, der wirklich nur auf sich ausgerichtet wäre, würde wahrscheinlich eher daran festhalten. Der würde auch nicht Mensch werden.
Das haben wir übrigens in allen anderen Religionen nicht. Es gibt keine andere Religion, in der Gott wirklich Mensch geworden ist. Es gibt Religionen, in denen die Götter wie bei den Griechen auf der Erde erscheinen, aber nie als Menschen. Also eine Art Übermenschen, Superman, die aus dem Finger Blitze sprühen oder plötzlich fliegen, wenn es ihnen zu bunt wird, oder übermenschliche Kräfte haben und eine Stadt einstürzen lassen.
Aber einen Gott, der wirklich Mensch wird, gibt es nur im christlichen Glauben. Weil es eben eine besondere Eigenschaft Gottes ist: Dieser Gott, der sich ganz mit den Menschen identifiziert, der diese vollkommene Selbstlosigkeit und Demut und Liebe den Menschen gegenüber hat. Das haben wir nur im christlichen Glauben.
Das sollte hier vor Augen geführt werden: Er hielt es nicht für einen Raub. Ja, wir könnten auch sagen, das wäre noch ein dritter Aspekt, wo wir sehen, dass es ihm sowieso zustand, er es für alle Zeit hatte, und deshalb musste er sich nicht daran festhalten.
Wenn wir das jetzt übertragen, müssen wir jede einzelne Aussage auf uns beziehen: Jesus hielt es nicht für einen Raub, gottgleich zu sein. Das könnten wir übertragen auf uns: Wir halten es nicht für einen Raub, zu Gott zu gehören oder Kinder Gottes zu sein.
Das heißt nicht, dass wir unser Kindesein bei Gott aufgeben. Aber wir sollen nicht ständig wie ein Schutzschild vor uns hertragen, wenn wir Menschen begegnen. Das heißt nicht, in falschem Stolz etwas darauf einzubilden und zu sagen: "Jetzt bin ich Christ, ich bin Kind Gottes, und du bist in deiner Sünde und so weiter."
Das hilft dem anderen nicht. Es heißt auch nicht, dass wir uns erniedrigen sollen, indem wir so leben wie unser Nachbar, wenn er schlecht lebt. Das hat Jesus ja auch nicht getan. Sondern wir begeben uns auf dieselbe Ebene, verurteilen nicht, sondern versuchen, den anderen herauszuholen.
Das ist für uns wichtig.
Wenn wir sagen: "Nicht gottgleich zu sein" – vielleicht hat Gott dir eine ganz besondere Gabe gegeben, sei es musizieren, lehren oder erkennen, was andere brauchen. Jetzt kommt es darauf an: Nutze ich diese Gabe, um mich in den Mittelpunkt zu stellen? Das wäre, als hätte Jesus es als Raub angesehen.
Oder bin ich bereit, mich auch unterzuordnen? Wenn die Gemeindeleitung sagt: "Nein, jetzt ist das nicht dran", dann schweige ich und versuche, das so einzubringen, dass sich niemand in die Ecke gedrängt fühlt. Das wäre dann ähnlich wie Jesus gesinnt sein, es nicht für einen Raub zu halten.
Morgen werden wir uns weiter damit beschäftigen. Es geht noch ein bisschen weiter, wo Paulus beschreibt, wie Jesus gehandelt hat und wie wir handeln sollen.
Ich bete noch:
Herr Jesus Christus, vielen Dank dafür, dass du es nicht wie einen Raub angesehen hast, Gott gleich zu sein, sondern dass du Mensch geworden bist. Wir wollen dir wirklich dafür danken, dass du nachempfinden kannst, wie es uns geht.
Vielen Dank, dass du alles so erlebt hast, wie wir es auch erleben. Vielen Dank, dass du dich nicht zu gut vorgekommen bist und dich nicht gescheut hast, dich mit diesem Dreck dieser Welt zu identifizieren. Wir danken dir dafür, dass das ein Ausdruck der Liebe ist, die du uns gegenüber hast.
Wir möchten dich bitten, dass wir diese Liebe auch anderen Christen gegenüber haben und dass sie sich in konkreten Taten ausdrückt.
Herr Jesus, wir möchten dir auch sagen, dass du für uns Herr bist, dass du für uns der Schöpfer bist, der Herrscher des Universums, so wie wir es hier gelesen haben. Deshalb können wir darauf vertrauen, dass du alle unsere Probleme lösen kannst.
Vielen Dank, dass du das schon getan hast mit dem Problem unserer Sünde und mit vielen anderen Dingen, bei denen du in unserem Leben eingegriffen hast, Situationen verändert hast, Menschen verändert hast, unser Herz verändert hast und Situationen zu unseren Gunsten umgewandelt hast.
Vater im Himmel, wir möchten dich bitten, dass du uns hilfst, so zu sein wie die Gemeinde in Philippi, dass wir uns untereinander ermahnen und nicht scheuen, auch auf Dinge hinzuweisen, die falsch laufen. Dass wir anderen Trost geben können in Liebe, dass wir Gemeinschaft im Geist haben und Barmherzigkeit gegenüber anderen Menschen üben.
Zeige uns, wo das dran ist, mit unseren Mitteln und Kräften, ganz persönlich und in der Gemeinde.
Vater im Himmel, wir bitten dich auch, dass du uns davor bewahrst, Dinge nur aus falscher Motivation, aus Eigennutz oder Ehre zu tun, sondern dass du uns hilfst, demütig zu sein.
Wir bitten dich, dass das Auswirkungen auf unser Denken und Handeln hat, dass wir nicht zuerst immer nur daran denken, was mir gut tut, sondern dass wir daran denken, was anderen Christen gut tut – hier in der Freizeit und dann, wenn wir wieder zu Hause sind, in der Familie oder auch in der Gemeinde.
Gib uns Kraft dafür, von diesem Denken.