Einführung in die Bergpredigt: Neue Perspektiven auf Gerechtigkeit und Liebe
Wir lesen jetzt noch in Matthäus 5, Verse 38 bis 48. Das sind die letzten Verse, und ich lese die ersten paar davon vor.
In Matthäus, Kapitel 5, Vers 38 sagt Jesus: "Ihr habt gehört, dass gesagt ist: Auge um Auge und Zahn um Zahn. Ich aber sage euch: Widersteht nicht dem Bösen. Wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dann biete auch die andere dar. Und dem, der mit dir vor Gericht gehen und deinen Untergewand nehmen will, dem lass auch den Mantel. Wenn dich jemand zwingt, eine Meile zu gehen, dann geh zwei. Gib dem, der dich bittet, und weise den nicht ab, der von dir borgen will."
Weiter heißt es: "Ihr habt gehört, dass gesagt ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen."
Wir lesen jetzt zwei Aussagen: "Ihr habt gehört" und "Ich aber sage euch". Beim Ersten geht es um christliche Gerechtigkeit, beim Zweiten um christliche Nächstenliebe. Und...
Die Bedeutung von "Auge um Auge" im Alten und Neuen Testament
Einmal zum ersten Abschnitt: Jesus zitiert hier einen Satz, in dem er sagt, in Vers 38: "Ihr habt gehört, dass gesagt ist: Auge um Auge, Zahn um Zahn." Diesen Satz findet man dreimal im Alten Testament. Ein Beispiel ist in 2. Mose 21, wo steht: "Und du sollst nicht schonen Leben um Leben, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand und Fuß um Fuß."
In der Bergpredigt sagt Jesus: "Ihr habt gehört, Auge um Auge, Zahn um Zahn. Ich aber sage euch: Widersteht nicht dem Bösen. Sondern wenn jemand dich auf deine rechte Backe schlägt, dann biete auch die andere dar."
Jetzt scheint es ein Widerspruch zu sein. Im Alten Testament wird gesagt: Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß. Im Neuen Testament sagt Jesus jedoch: "Nein, liebe deine Feinde, segne die, die dich fluchen."
Da es zwei verschiedene Passagen gibt, gibt es unter Christen in der ganzen Kirchengeschichte verschiedene Auslegungen. Eine davon ist der sogenannte Pazifismus. Ein Pazifist ist ein Mensch, der absolut keine Gewalt anwendet. Er geht auch nicht in den Krieg. Wenn er in den Krieg ziehen muss, lässt er sich gegebenenfalls erschießen, wenn es sein muss.
Pazifismus ist für meine Generation und die Jüngeren ziemlich irrelevant, weil wir nicht direkt damit konfrontiert sind. Wir gehen ins Bundesheer, aber das ist nicht so tragisch, was man dort tut. Es ist nicht so schlimm.
Anders war es im Zweiten Weltkrieg. Da gab es verschiedene Lager. Es gab Christen, die sagten: Nein, keine Gewalt. Ein prominentes Beispiel ist Dietrich Bonhoeffer. Über ihn gibt es auch einen Film, den ich nur empfehlen kann. Er war Theologe und Pfarrer.
Man debattierte immer wieder darüber, ob es richtig sei, Hitler zu töten, weil er so viele andere tötete. Einerseits wäre es richtig, andererseits sagt Jesus: Betet für die, die euch verfolgen. Hitler verfolgt uns, und jetzt sollen wir eigentlich für ihn beten.
Letztlich wurde Dietrich Bonhoeffer zum Märtyrer. Er wurde im Zweiten Weltkrieg umgebracht und aufgehängt.
Kontext und Auslegung: Öffentliche Gerechtigkeit versus persönliche Rache
Wichtig ist, dass man einen Vers niemals aus dem Zusammenhang reißt. Diejenigen, die bei mir die Abendbibelstunden besucht haben, wissen das bereits. Man muss den Vers immer im Kontext lesen und darf ihn nicht nur zitieren und sagen: „Das sagt die Bibel.“
Denn dann kann man mit Bibelversen Pingpong spielen, und derjenige, der mehr weiß, klingt dabei auch überzeugender. Das ist jedoch eigentlich Unsinn. Stattdessen muss man wirklich im Kontext lesen und schauen, wie der Vers gemeint ist.
Zum Beispiel, wenn das Alte Testament sagt: „Auge um Auge, Zahn um Zahn“, dann redet es nicht von persönlicher Rache, bei der man sich gegenseitig verletzt. Es geht vielmehr um die zivile Gerechtigkeit in der Nation Israel.
Wenn ihr die Bibel habt, schaut mal in 5. Mose 19. In diesem Abschnitt sieht man das ganz deutlich, besonders in den Versen 15 bis 21. Dort geht es um die öffentliche Regelung von Recht, nicht um persönliche Rache.
In 5. Mose 19,15 steht: „Ein einzelner Zeuge soll nicht gegen jemanden auftreten wegen irgendeiner Ungerechtigkeit oder Sünde oder Verfehlung, die er begeht. Nur auf zweier oder dreier Zeugenaussage hin soll eine Sache gültig sein.“
Dann wird über falsche Zeugen gesprochen. In Vers 18 heißt es: „Und die Richter sollen die Sache genau untersuchen. Wenn der Zeuge ein Lügenzeuge ist und gegen seinen Bruder Lüge bezeugt hat, dann sollt ihr ihm tun, wie er seinem Bruder zu tun gedachte. Du sollst das Böse aus deiner Mitte wegschaffen.“
Weiter heißt es: „Die übrigen sollen es hören und sich fürchten und nicht mehr länger eine solche böse Sache in deiner Mitte begehen. Du sollst nicht schonen: Leben um Leben, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß.“
In diesem Abschnitt ist ganz klar: Es geht nicht um persönliche Rache. Vielmehr wird hier beschrieben, dass Richter die Sache genau untersuchen und zwei oder drei Zeugen befragt werden. Das soll als Abschreckung für andere Bürger dienen.
Die Bestrafung muss der Übertretung entsprechen, das heißt: „Auge um Auge, Zahn um Zahn.“ Wenn du mit einem Auge schuldig bist, wirst du mit einem Auge bestraft. Das bedeutet, die Strafe darf nicht höher sein als die Übertretung.
Im Lateinischen sagt man „quid pro quo“, also dieses für das oder „ich gebe dir, so wie du mir gibst“. Es ist Gleiches mit Gleichem vergelten in einer öffentlichen Gerichtsverhandlung.
In allen drei alttestamentlichen Stellen geht es um öffentliche Gerichtsverhandlungen und das Rechtssystem. Jede Gesellschaft, jede zivilisierte Gesellschaft braucht ein Rechtssystem, in dem Ordnung und Recht definiert werden und Straftäter bestraft werden.
Das Volk Israel hat ein solches System damals gebraucht, und wir brauchen es auch heute.
Jesus’ Aufforderung zur Gewaltlosigkeit und Verzicht auf persönliche Rache
Jetzt stellt sich die Frage: Was meint Jesus in Matthäus 5, wenn er sagt: „Ihr habt gehört: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Ich aber sage euch: Widersteht nicht dem Bösen, sondern wenn jemand dich auf die rechte Backe schlagen will, dem halte auch die linke hin“?
Was Jesus hier sagt, ist: Nimm Strafe nie persönlich. Übe niemals persönliche Rache an anderen, sondern überlasse die gerechte Strafe dem öffentlichen Gerichtsverfahren. Das ist die Botschaft, die Jesus hier vermittelt, und sie entspricht dem, was im Alten Testament definiert ist.
Dazu gibt es eine interessante Geschichte. Ein irischer Evangelist, der früher Boxer war, hielt Zeltevangelisationen in Irland ab. Irland ist ja bekanntlich für seine etwas raueren Gesellen. Dieser Evangelist wurde von einigen Einheimischen verspottet. Am Ende bekam er sogar eine Ohrfeige. Daraufhin sagte der Evangelist: „Ha, da war noch was.“ Er meinte, derjenige könne ihm ruhig noch eine geben. Dann stand der Evangelist auf, zog seine Jacke aus und sagte: „So weit gehen die Instruktionen des Herrn, und nicht weiter.“ Danach setzte er sich zur Wehr und schlug den Angreifer nieder.
Die Botschaft, die Jesus gibt, ist jedoch klar: Nimm das Gericht nicht in deine eigene Hand.
Das wird im Neuen Testament genauso bestätigt. Zum Beispiel lesen wir in Römer 12, Verse 17 und 18:
„Vergeltet niemand Böses mit Bösem. Seid bedacht auf das, was ehrbar ist vor allen Menschen. Wenn möglich, so viel an euch liegt, lebt mit allen Menschen in Frieden.“
Das ist übrigens sehr realistisch formuliert. Paulus sagt hier, dass wir, wenn möglich, mit allen Menschen Frieden leben sollen. Aber es ist nicht immer möglich, weil es nicht immer an uns liegt.
In Vers 17 heißt es: „Vergeltet niemand Böses mit Bösem.“ Man könnte den Eindruck gewinnen, dass wir niemals zurückschlagen dürfen, dass wir niemandem etwas zurückgeben sollen, wie er es uns gegeben hat. Wenn zum Beispiel jemand dein Auto beschädigt, müsste man dann auch sein eigenes Auto noch dazugeben? So ähnlich klingt das.
Doch das wäre falsch, denn im nächsten Kapitel, Römer 13, geht es um das öffentliche Gerichtsverfahren. Ich lese euch das vor.
Die Rolle der staatlichen Gewalt und das öffentliche Rechtssystem
Jeder Mensch unterwirft sich den übergeordneten staatlichen Mächten. Paulus redet hier von der Politik, denn es gibt keine staatliche Macht außer von Gott. Die bestehenden Mächte sind von Gott verordnet. Wer sich daher der staatlichen Macht widersetzt, widersteht der Anordnung Gottes.
Die aber widerstehen, werden ein Urteil empfangen. Denn die Regenten sind nicht ein Schrecken für das gute Werk, sondern für das Böse. Willst du dich aber vor der staatlichen Macht nicht fürchten, so tue das Gute, und du wirst Lob von ihr haben. Denn sie ist Gottesdienerin dir zum Guten.
Wenn du aber das Böse tust, so fürchte dich, denn die Regierung trägt das Schwert nicht umsonst. Sie ist Gottesdienerin, eine Rächerin zur Strafe für den, der Böses tut. Darum ist es notwendig, untertan zu sein – nicht allein der Strafe wegen, sondern auch um des Gewissens willen.
Was Paulus da sagt, ist Folgendes: Gott hat die Regierungen eingesetzt, und die Regierung trägt das Schwert. Die Regierung wird das Schwert verwenden müssen.
Jetzt sagt doch gleich einer: „Ja, aber wenn die Regierung eine völlig brutale Regierung ist, dann kannst du sie ja vergessen.“ Nein, kannst du nicht. Denn in der Zeit, in der Paulus diesen Brief geschrieben hat – vor etwa 2000 Jahren – waren die Römer die Herrscher des Landes. Die politischen Herrscher damals waren alles andere als gerecht. Es war keine Demokratie.
Und dennoch hat Paulus gesagt, die Regierung ist von Gott eingesetzt. Denn wenn es kein Gericht gibt, dann entsteht nur Chaos. Das heißt, es gibt eine öffentliche Rechtsordnung – genauso für Christen wie für jeden anderen.
Darum glauben wir Christen an Gerechtigkeit und gerechte Strafe? Die Antwort ist Ja. Wenn mir jemand das Auto beschädigt und ich es finde, dann muss derjenige es zurückgeben oder zahlen oder sonst etwas wiedergutmachen.
Glauben Christen an die Notwendigkeit von Gerichtsverfahren? Die Antwort ist Ja. Glauben Christen an die Notwendigkeit einer Polizei? Die Antwort ist Ja. Glauben Christen an die Notwendigkeit eines Bundesheers? Leider auch Ja.
Aber glauben wir an persönliche Rache? Die Antwort ist Nein. Unterstützen wir Terrorismus, der völlig ohne Obrigkeit und ohne Befehl für irgendeine Obrigkeit außer der eigenen handelt? Die Antwort ist Nein. Glauben wir an Blutrache? Die Antwort ist Nein.
Wir haben übrigens ein Zentrum in Albanien. Dort gibt es auch ein Fakultätszentrum, ähnlich wie der Dauernhof. Ganz im Süden, in Ersecker, gibt es immer noch Blutrache. Gerade im Norden ist sie noch ziemlich verbreitet.
Gerade letztes Jahr gab es einen jungen Mann, der gläubig an Christus war, auch durch die Arbeit, die wir dort leisten. Viele Männer bleiben zum Teil ihr ganzes Leben im Haus. Sie gehen nie hinaus. Die Frau geht einkaufen und bringt ihnen alles, aber sie selbst bleiben nur im Haus sitzen. Denn sobald sie das Haus verlassen, können sie erschossen werden.
Dieser junge Mann wurde Christ und sagte: „Ich muss hinausgehen, weil ich anderen Menschen von Jesus erzählen will.“ Er wurde erschossen. So etwas gibt es heute noch, bis jetzt in Albanien.
Aber an persönliche Rache glauben wir nicht.
Die Herausforderung der christlichen Haltung gegenüber Übeltätern
Die Herausforderung für uns Christen besteht darin, dass wir einerseits das öffentliche Gesetz und die Bestrafung der Übeltäter gutheißen. Andererseits dürfen wir den Übeltäter an sich nicht verabscheuen, sondern sollen versuchen, ihm mit der Liebe Christi zu begegnen.
Vor einigen Jahren war ich in der Mongolei. Dort durfte ich mitfahren und in drei Gefängnissen predigen, vor etwa tausend Häftlingen. Die Menschen, mit denen ich unterwegs war, waren der Meinung, dass die Häftlinge die Liebe von Menschen und die Liebe Gottes brauchen. Wir müssen ihnen helfen. Das bedeutet, dass wir die Übeltäter nicht verachten, sondern versuchen, ihnen zu helfen und sie zu lieben.
Gleichzeitig sind wir aber absolut dafür, dass Übertretungen bestraft werden müssen. Es ist eine traurige Geschichte, aber sie zeigt wunderbar, worum es geht. Ich weiß nicht, wer das vor ihm gehört hat. Es war vor vier Jahren, 2007, am 18. April, in der Türkei. Dort gibt es nur wenige christliche Gemeinden, da Christen oft verfolgt werden.
In Malatya, einer Stadt in der Türkei, besuchten fünf junge türkische Männer einen Gottesdienst. Sie wussten, dass dort Christen waren. Diese jungen Männer waren keine Christen, sondern gehörten zu einer Gruppe treuer Gläubiger des Islam, die Darikat genannt wird.
Der Pfarrer der kleinen Gemeinde, Nikate, las ein Kapitel aus der Bibel vor. Dann standen die fünf Männer auf, fesselten die jungen Männer in der Gemeinde und folterten sie drei Stunden lang. Sie erlitten über hundert Messerstiche und wurden schwer verletzt.
Die Familien der Männer, die misshandelt wurden, darunter eine Frau namens Susanne, die mit dem Pfarrer verwandt war, äußerten sich später im Fernsehen. Diese Berichte kamen in die Medien. Susanne sagte im Fernsehen: „Ich wünsche mir für diese fünf jungen türkischen Männer, dass Gott ihnen vergebe, denn sie wissen nicht, was sie tun.“
Ein Journalist schrieb daraufhin, dass diese Frau mit diesem einen Satz mehr gesagt habe als tausend Missionare in tausend Jahren sagen könnten. Es ist bewundernswert und richtig, dass diese Frau sagte, Gott möge den Männern vergeben, obwohl sie etwas Furchtbares getan haben.
Gleichzeitig wäre es ebenso richtig, wenn die türkische Regierung diese Männer zur Verantwortung zieht und bestraft. Hier zeigt sich der Unterschied: Das öffentliche Recht muss durchgesetzt werden, absolut. Aber persönlich sollten wir die Täter nicht verabscheuen, niedermachen oder zerstören.
Genau darum geht es im Matthäus 5.
Erweiterung des Nächstenliebegebots: Liebe auch zu Feinden
Und damit kommen wir zum zweiten Abschnitt, in dem Jesus sagt: Matthäus 5,43: „Ihr habt gehört, dass gesagt ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen.“
Das steht übrigens nie so in der Bibel, im Alten Testament. Diese Aussage wurde mündlich überliefert. Darum sagt Jesus ja: „Ihr habt gehört, dass gesagt ist.“ Das ist nicht geschrieben, du findest nirgends in der Bibel, dass du deinen Feind hassen sollst.
Aber wie hat sich das entwickelt? Wahrscheinlich so: Im Alten Testament steht, du sollst deinen Nächsten lieben. Nun haben die Juden, die Israeliten, gefragt: Wer ist mein Nächster? Das sind meine Frau, meine Kinder, meine Verwandten, die Nachbarn – das sind meine Nächsten.
Wer ist dann nicht mein Nächster? Auf jeden Fall meine Feinde. Die sind nicht meine Nächsten. Also kann ich meinen Feind hassen.
Es ist auch ganz interessant: Einmal fragt Jesus in Lukas Kapitel 10. Ich lese das nur kurz vor, Lukas 10,27-28. Da kommt einer zu Jesus und fragt: „Was ist das größte Gebot?“
Jesus antwortet: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, ganzer Seele und ganzer Kraft, und du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“
Vers 28: „Jesus aber sprach zu ihm: ‚Du hast richtig geantwortet; tu das, und du wirst leben.‘“
Der religiöse Mann wollte sich aber selbst rechtfertigen und fragte Jesus: „Wer ist denn mein Nächster? Ich kann ja nicht jeden lieben, oder?“
Daraufhin erzählt Jesus das Gleichnis vom barmherzigen Samariter, das ihr wahrscheinlich kennt.
Da liegt ein Mann, der überfallen und ausgeraubt wurde. Zuerst kommt ein Priester vorbei, ein religiöser Mensch, der den Verletzten auf der anderen Straßenseite sieht, denkt: „Mit dem habe ich nichts zu tun“ und geht weiter.
Dann kommt ein Levit, ein weiterer religiöser Mann, sieht den Verletzten, hat auch nichts mit ihm zu tun und geht weiter.
Dann kommt der Samariter. Die Samariter waren die Feinde der Juden. Und damit sorgt Jesus dafür, dass gerade dieser Feind, den die Juden nicht leiden konnten, der einzige war, der geholfen hat.
Wer ist mein Nächster? Jeder. Jeder, den ich in Not sehe und dessen Not ich wahrnehme, ist mein Nächster – egal, ob Freund oder Feind. Das ist es, was Jesus hier sagt.
Die Aufforderung zur Feindesliebe und Gottes Gerechtigkeit
Im Vers 44 sagt Jesus in Matthäus 5,44: „Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Söhne eures Vaters seid, der in den Himmeln ist. Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.“
Das sind ganz wichtige Verse. Jesus sagt hier Folgendes: Gott lässt es regnen über Gerechte und Ungerechte und die Sonne scheint über Gute und Böse. Mit anderen Worten: Es ist wichtig, dass man als Christ erkennt, dass Christen von Gott nicht bevorzugt werden.
Gott schickt Regen genauso an gläubige Bauern wie an Atheisten oder Nichtgläubige. Ebenso sterben genauso viele Christen in Verkehrsunfällen wie Nichtchristen. Wenn ein Meerestier, wie zum Beispiel eine Qualle, schwimmt, fragt es nicht, ob du gläubig bist oder nicht – das ist egal.
Christen werden von Gott nicht bevorzugt, auch wenn viele das schwer verstehen. Manchmal bekomme ich dann die Frage: Was ist dann der Vorteil, überhaupt Christ zu sein, zu Jesus zu gehören?
Die Antwort ist ganz einfach: Als Christ durchlebst du genau dasselbe Leid wie ein Atheist. Aber als Christ bist du im Leid nie alleine. Egal, ob du gesundheitlich leidest oder Probleme in Beziehungen hast – du darfst wissen, dass Gott bei dir ist. Er steht nach wie vor zu dir, er ist dir treu und er hilft dir. Du bist nie verlassen.
Im Lukas 6 steht einmal: Gott ist gütig gegenüber den Undankbaren und den Bösen. Ich habe mir darüber Gedanken gemacht. Gott ist nicht nur gütig gegenüber den Netten und Guten, sondern auch gegenüber den Undankbaren und Bösen.
Die Tatsache, dass Gott auch die Ungläubigen oft segnet und ihnen manchmal mehr gibt als den Gläubigen, hat Gläubige schon immer irritiert. Im Psalm 73 sollte man einmal nachlesen. Dort sagt der Psalmist: „Ich komme überhaupt nicht mehr zurecht, denn die Gottlosen sind sorglos, sie feiern und es geht ihnen gut.“
Er beschreibt, wie er treu lebt und mit Gott verbunden ist, aber fast seinen Glauben verliert, weil es ihm schlechter geht als ihnen. Auch Jeremia beklagt sich in Jeremia 12: „Warum ist der Weg der Gottlosen erfolgreich, während denen, die treu mit Gott gehen, es nicht besonders gut geht?“
Durch die ganze Bibel zieht sich das Thema: Die äußeren Umstände für einen gottesfürchtigen Menschen und einen gottlosen Menschen sind im Durchschnitt dieselben. Der Unterschied ist jedoch, dass der Gottesfürchtige, der Gott liebt, mit Gott durch die Umstände geht.
Die Botschaft, die Jesus uns hier gibt, ist, dass wir Christen Kinder des Vaters im Himmel sind. Ein Merkmal davon ist, dass wir nicht nur die Menschen lieben, die nett zu uns sind, sondern auch diejenigen lieben, die nicht nett zu uns sind. Wir sollen sie respektieren, annehmen, lieben und ihnen nachgehen.
Großzügigkeit und Friedfertigkeit im Umgang mit anderen
Da steht dann noch, das muss ich kurz im Vers 40 zeigen: Jesus sagt, dem, der mit dir vor Gericht gehen und dein Untergewand nehmen will, dem lass auch den Mantel. Es geht hier um ein Gerichtsverfahren. Wenn du mit jemandem vor Gericht stehst und er gewinnt dein Untergewand, weil er den Prozess gewonnen hat, dann sollst du nicht einfach zornig sein und dich voller Groll abwenden. Stattdessen gib ihm noch etwas dazu. Sei großzügig – das ist die Botschaft.
Dann im Vers 41 heißt es: Wenn jemand dich zwingt, eine Meile zu gehen, geh mit ihm zwei. Das ist auch interessant, denn damals war das eine übliche Praxis. Die Menschen hatten keine Autos oder Reihen, sondern gingen entweder zu Fuß oder ritten auf Pferden. Diejenigen, die zu Fuß gingen, waren oft Postboten, die in der Zeit der Römer die Post von einer Regierungsstelle zur anderen trugen. Dieses System begann schon bei den Persern, wurde von den Griechen übernommen und schließlich von den Römern weitergeführt.
Der Postbote hatte das Recht, jeden beliebigen Bürger zu nehmen, der die Last mit ihm für eine Meile tragen musste. Das war offizielles Recht. Und was Jesus ihnen sagt, geht darüber hinaus: Es wird nicht nur das verlangt, was offiziell von euch gefordert wird, sondern noch mehr. Seid großzügig – das ist die Botschaft von Jesus. Seid großzügig im Umgang mit Menschen, das soll euch als Christen auszeichnen.
Im ersten Korintherbrief 6 findet sich übrigens eine ähnliche Aussage von Paulus. Dort sagt er, wenn man es einmal nachlässt, also auf ein Gerichtsverfahren verzichtet, verliert man zwar ein bisschen Geld, aber es ist oft besser so. Manchmal kann das sogar klüger sein – nicht immer, aber manchmal.
Die Herausforderung der echten Nächstenliebe
Und dann sagt er im Vers 46: „Denn wenn ihr die liebt, die euch lieben, ja, welchen Lohn habt ihr? Tun das nicht auch die Zöllner? Und wenn ihr allein eure Brüder grüßt, ja, was tut ihr Besonderes? Tun das nicht auch alle von den Nationen?“
Das heißt, wenn Christen oft nur mit Christen unterwegs sind, was ist daran besonders? Das tun auch alle anderen. Wenn ich nur den grüße, der etwas in meiner Clique oder in meiner Gruppe ist, dann brauche ich kein Christ zu sein. Das kann auch bei den Jägern sein, bei den Fischern oder bei der Bergrettung – das ist egal, die tun dasselbe.
Jesus sagt: „Wenn du nur den grüßt, der dich grüßt, dann bist du ein super Steuereintreiber, mehr nicht.“ Das ist oft ganz witzig, sage ich nur so. Es ist eigentlich traurig, aber trotzdem witzig.
Als ich oft unterwegs bin zum Predigen, bin ich relativ früh und predige in zwei Gemeinden in der gleichen Stadt. Vormittags komme ich in eine Gemeinde, die eher ein bisschen steif ist, so wie bei uns, aber ganz lieb. Die verstehen sich echt gut, sie lieben sich untereinander und haben sich gern.
Da ist aber noch eine andere Kirchengemeinde, zwei Straßen weiter. Die sind ganz anders. Sie haben eine ganz andere Kultur, da geht es viel lauter zu. Sie hüpfen immer herum und so weiter. Da ist es nicht so andächtig. Über diese Gemeinde reden sie aber nicht ganz so gut, weil sie ein bisschen komisch sind. Aber sie haben sich ein Wochenende in den Gritzl.
Am Abend predige ich dann in der anderen Kirche, und da ist es ganz anders. Wie gesagt, da geht es laut zu, sie beten in Zungen, legen die Hände auf, singen laut und so weiter. Auch sie haben sich ein Wochenende, aber sie reden nicht so gut über die Gemeinde, in der ich vormittags war.
Und wisst ihr was? Das ist nicht das, was Christen auszeichnet. Es gibt nämlich zweitausend andere Vereine, wie einen Fußballklub oder einen Jägerverein. Die treffen sich auch, haben sich auch gern, aber sie reden nicht so gut übereinander.
Jesus sagt: Was ist dann der Unterschied? Wenn Christen so leben, dann braucht es keine Christen zu sein. Das tun auch die Zöllner.
Praktische Beispiele gelebter Nächstenliebe
Wisst ihr, wie christliche Nächstenliebe aussehen soll? Es gibt verschiedene Gemeinden, und das ist auch gut so. Diese Vielfalt macht die Gemeinde Jesu bunt und lebendig. Du gehst in eine Kirchengemeinde, der andere in eine andere, und man kann sagen: Ja, wir sind nicht in jedem Punkt einer Meinung, aber wir sind froh, dass es euch gibt. Wir sind dankbar, dass ihr an unserem Ort seid. Ihr seid unsere Geschwister in Christus. Wo können wir miteinander etwas teilen, und wo können wir voneinander lernen?
Die Kirchengemeinde sagt: Ja, wir sind auch froh, dass es euch gibt. Ihr seid zwar ganz anders als wir, habt eine andere Tradition und so weiter, aber wir sind froh, dass es euch gibt. Und dann geht man weiter und fragt: Wie können wir dem Fischerverein oder den Fußballern, die genauso an Gott glauben, helfen? Wie können wir ihnen sagen, dass Gott sie liebt?
Hier beginnt christliche Nächstenliebe, denn es geht darum, den anderen anzunehmen. Darin sollen sich Christen unterscheiden. Gerade hat uns vor etwa drei Monaten eine Freundin besucht, die Toos heißt und aus Holland kommt. Sie geht seit zwanzig Jahren jede Woche ins Rotlichtviertel und besucht die Prostituierten. Das tut sie, weil ihr diese Menschen am Herzen liegen.
Inzwischen hat sie eine Organisation gegründet. Viele der Frauen, die sich als Prostituierte verkaufen, kommen aus Rumänien, Polen und anderen Ländern. Es ist oft schwierig, ihnen zu helfen, aber Toos hat eine große Liebe für diese Mädchen. Ich kenne die Details nicht genau, wie sie ihnen hilft oder was sie tut, aber es ist fantastisch zu sehen, wie wertvoll ihre Liebe ist.
Letztes Mal war ein Freund, ein Pfarrer aus Toronto, auf einer Konferenz, bei der mehrere Pfarrer anwesend waren. Einer von ihnen war Pastor Carlos Otis aus Buenos Aires. Er leitet die am schnellsten wachsende Kirche dort. Sonntags kommen Tausende Menschen in seine Kirche. Doch gerade für die Schwachen gibt es viel zu tun.
Carlos Otis erzählte, dass er jahrelang jeden Sonntag predigte. Eines Tages öffnete er seine Bibel, wollte predigen und sagte nur: "Liebt einander." Dann setzte er sich wieder. Seine Frau meinte, das sei extrem peinlich gewesen. Nach ein paar Minuten stand er wieder auf, sagte erneut: "Liebt einander" und setzte sich wieder. Das wiederholte sich dreimal innerhalb von etwa zehn Minuten.
Es war nicht viel schneller als in anderen Kirchen, wenn dort jemand sagt: "Liebt einander" und sich dann wieder hinsetzt. Man sitzt da und schaut, wer alles im Raum ist. Carlos Otis erzählte weiter, dass nach seinem dritten Mal, als er sich wieder setzte, ein Mann unter den Tausenden Gottesdienstbesuchern begann, seinen Nachbarn zu fragen, ob er ihm irgendwie helfen könne.
Dann begann ein anderer zu sprechen, dann noch einer, und bald redeten Hunderte miteinander. Am Ende dieses Gottesdienstes hatten 28 arbeitslose Menschen durch diese Gespräche Arbeit gefunden. Alleinstehende Mütter erhielten Hilfe für ihre Kinder, damit sie arbeiten konnten.
Hätte der Pfarrer nur eine gute Predigt über Liebe gehalten, wären an diesem Morgen 28 Menschen arbeitslos nach Hause gegangen. Und wisst ihr, was das Tragische daran ist? Es hätte niemanden interessiert, es wäre allen egal gewesen.
Das Interessante erzählte Carlos Otis weiter: Drei weitere Sonntage erging es ihm genauso. Am nächsten Sonntag stand er wieder auf, sagte "Liebt einander" dreimal und setzte sich wieder hin. Nach drei Sonntagen verließen 300 Kirchenmitglieder seine Kirche.
Ich dachte mir: "Wir gehen an diesem Sonntag hierher und hören uns das mal an." Carlos Otis sagte dann: Das war das Beste, was uns passieren konnte. Denn diese 300 waren überhaupt nicht am christlichen Leben interessiert, sondern nur an guten Predigten.
Da muss man sich selbst fragen, woran man mehr interessiert ist: am christlichen Leben oder an guten Predigten. Genau darum geht es hier in Matthäus 5. Jesus sagt, an der Liebe sollen wir erkennbar sein – egal ob es dein Freund, dein Nachbar ist, ob er gläubig oder ungläubig ist, ob er wohlwollend ist oder dein Feind.
Liebe soll bestimmend sein. Das macht Christen aus. So werden Menschen neugierig auf Jesus Christus – nicht nur, weil jemand besonders klug oder gebildet ist, sondern weil er Liebe zeigt. Denn jeder hat genug Leid.
Vollkommenheit als Ziel christlichen Lebens
Und dann noch im letzten Vers, Matthäus 5,48, da sagt Jesus: „Ihr nun sollt vollkommen sein.“
Jetzt denkst du vielleicht: „Das schaut nicht gut aus. Wie vollkommen? Wie euer himmlischer Vater vollkommen ist?“ Denkst du jetzt: „This is lip free vollkommen“? Ja, wir sollen vollkommen sein, so wie Gott. Dann passt das.
Aber wichtig ist: In der ganzen Bibel wird das Wort „vollkommen“ im Sinne von „makellos“ nur auf Gott angewandt, nie auf Menschen. Vollkommen bist du und ich dann, wenn wir das sind, wofür wir geschaffen sind.
Geschaffen sind wir, um in Beziehung mit Gott und miteinander zu leben. Wenn wir das tun, dann sind wir vollkommen.
Ich vergleiche es so: Ich habe auch so eine Kletterhose. Ich wurde vor einem Bergführerkollegen ausgelacht, weil sie schon ziemlich ausgewaschen ist. Ihr sieht man den Dreck gar nicht mehr an, und Löcher hat sie auch. Aber wenn du mich fragst: „Wie ist deine Kletterhose?“ sage ich: „Warte mal, die ist vollkommen.“
Weil sie genau das tut, wofür sie gemacht ist – die beste Kletterhose, die es gibt. Zerrissen, ausgebleicht, aber vollkommen. Denn sie erfüllt den Zweck, für den sie geschaffen ist.
Und du und ich, wir sind dann vollkommen, wenn wir das tun, wozu wir geschaffen sind, nämlich in Beziehung mit Jesus zu leben und miteinander zu leben.
Dies ist die Bestimmung eines Christen, sagt Jesus in der Bergpredigt.
Schlussgebet
Damit möchte ich schließen und noch mit einem Gebet enden.
Lieber Vater, ich möchte dir von Herzen danken für die drei Abende, die du uns geschenkt hast. Wir durften gemeinsam ein bisschen mehr über dich, Herr Jesus, erfahren. Du bist in erster Linie der Herr. Du bist der Gott, der seine Feinde liebt. Du bist der Gott, der es regnen lässt über Gerechte und Ungerechte.
Du bist der Gott, der sich nach Gemeinschaft mit uns im Alltag sehnt. Du bist der Gott, der uns jeden Tag neu begegnen möchte. Du bist der Gott, der uns auch die Kraft gibt zu leben und zu lieben – das, was wir aus eigener Kraft nicht können, weil du ein lebendiger Gott bist.
So bete ich, dass, wenn irgendjemand in diesem Raum neu ist und dich noch nicht persönlich kennt, er heute einfach zu dir geht und sagt: „Da ist mein Leben. Mit dir möchte ich leben – den Rest meines Lebens und für ewig. Bei dir möchte ich immer sein.“
Herr, das wünsche ich mir, dass gerade in unserer Umgebung – Schlaming, Ramsar, Romus und überall dort, wo wir zu Hause sind – Menschen zum Glauben kommen und diese Liebe entdecken, die nur du bieten kannst.
Danke, Herr, für das Vorrecht, dir zu gehören. Danke, dass wir Menschen mit deiner Liebe lieben können.
In Jesu Namen bete ich diese Dinge. Amen.
