
Wir kommen nun zum zweiten großen Teil dieses Tages und setzen uns weiterhin mit dem faszinierenden und wirklich weltbewegenden Abschnitt auseinander, den der Apostel Paulus über das Volk Israel und sein Verhältnis zur Gemeinde Jesu Christi geschrieben hat.
Heute Morgen hatten wir bereits erwähnt, dass die Zeit es uns nicht erlaubt, jeden einzelnen Vers für sich auszulegen. Das wäre zwar eine sehr interessante Aufgabe, die unbedingt einmal erledigt werden müsste. Aber hier geht es darum, den Gedankengang des Paulus und seine Grundüberlegung zu erfassen. Was will er damit sagen? Was sind die großen Pflöcke, die er einschlägt?
Wenn wir diesen Überblick haben, ist es möglich, die Details für jeden Einzelnen weiter zu erkunden und zu studieren. Um den Gedankengang des Apostels deutlich zu machen, hatten wir heute Morgen Zettel verteilt.
Jetzt meine Frage: Wer von Ihnen hat den Zettel, den ich heute Morgen ausgegeben habe, noch nicht? Auf dem Zettel ist die Argumentation des Paulus in den Kapiteln 9 bis 11 dargestellt. Bitte melden Sie sich, wenn Sie den Zettel noch nicht haben. Eins, zwei, drei – es sind einige.
Sind von dem ursprünglichen Stapel noch ein paar Zettel übrig? Dann würde ich darum bitten, diese jetzt gezielt weiterzugeben. Wenn Sie sich einfach nur melden, bis Sie einen solchen Zettel bekommen haben, dürfen Sie den Hammer nicht runternehmen. Das wird sehr interessant werden.
Hier vorne ist noch eine Dame. Ich hoffe, Sie sind jetzt alle versorgt, denn es ist wichtig, den roten Faden, den großen Gedankengang und den Duktus mitzubekommen, den der Apostel Paulus hier vor uns entfaltet. Dann werden Sie sehen: Es ist zwar komplizierter Stoff, aber so schwer auch wieder nicht zu verstehen.
Sind alle versorgt? Prima!
Gut, dann sehen wir uns zunächst an, was der Prophet Jeremia im 31. Kapitel, Vers 37 geschrieben hat. Dieser Vers war Paulus natürlich auch aus dem Alten Testament bekannt. Dort schreibt der Prophet Jeremia, dass Gott durch ihn dem Volk Israel ausrichtet:
Wenn man den Himmel oben messen könnte und den Grund der Erde unten erforschen, dann würde ich auch das ganze Geschlecht Israels für all das, was sie getan haben, verwerfen.
Das heißt, bis ganz Israel als Volk verworfen werden würde, müsste es schon so weit kommen, dass man den Himmel oben messen und den Grund der Erde unten erforschen könnte. Damit wird deutlich gemacht, dass dies niemals ein Mensch können wird. Deshalb wird auch nie eintreten, dass Gott das ganze Geschlecht Israels verwerfen würde.
Das ist eine sehr starke Untermauerung der Treue Gottes zu seiner Verheißung gegenüber seinem auserwählten Volk.
Wir hatten heute Morgen gesehen, dass genau aus dieser Fülle der Verheißungen für Israel eine besondere Situation entsteht. Wenn man das Alte Testament durchliest und alle Verheißungen anstreicht, die Gott dem Volk Israel gegeben hat, dann entsteht eine sehr bunte Bibel, allein durch diese Markierungen.
Aus dieser Fülle erwächst für Paulus die große Not: Einerseits spricht er von den Verheißungen, andererseits sieht er den miserablen geistlichen Zustand, in dem sich das reale Volk Israel befindet. Wie passt das zusammen? Was wird aus der Zukunft Israels? Und noch wichtiger: Kann man sich überhaupt auf Gottes Verheißungen verlassen?
Steht Gott zu seinen Verheißungen, wenn wir all die Ankündigungen betrachten, wie zum Beispiel das große Friedensreich, in dem das Kind am Loch der Natter spielen wird und Schwerter zu Pflugscharen gemacht werden (Jesaja 2; Micha 4) sowie all die anderen Verheißungen in Jeremia 31 und Jesaja 36?
Wenn Paulus diese Situation vergleicht mit der Realität, die er vor Augen hat, stellt sich die Frage: Ist Gottes Verheißung zuverlässig?
Die erste Antwort, die Paulus darauf gibt, finden Sie auf Ihrem Zettel. Sie lautet: Ja, Gottes Verheißung ist zuverlässig. Denn Gott erwählt immer nur einen Ausschnitt.
Die Tatsache, dass nur ein kleiner Teil der Juden gläubig an den Messias Jesus Christus geworden ist, steht nicht im Widerspruch zu der Art, wie Gott mit seinen Verheißungen umgeht. Paulus zeigt das am Beispiel Abrahams, Isaaks und Jakobs.
Es war nie das ganze Volk Empfänger all des Segens, den Gott verheißene hatte. Stattdessen hat Gott immer eine bestimmte Auswahl getroffen – und zwar nicht nur bei der Verheißung des Heils, sondern auch bei anderen speziellen Segenszuwendungen. Ein Beispiel dafür ist der Vorrang, der Jakob gegenüber Esau eingeräumt wurde.
Und wenn das so ist, ergibt sich daraus – wie wir heute Vormittag sahen – zwingend eine zweite Frage: Wenn Gott in seiner Souveränität auswählt und bestimmte Menschen beschenkt, während andere nicht in gleicher Weise beschenkt werden, kann man dann trotzdem sagen, dass Gott gerecht ist? Ist Gott in seiner Souveränität gerecht?
Das war der zweite große Gedankengang. Dort hat der Apostel Paulus deutlich gesagt: Ja, Gott kann nicht ungerecht sein, denn bei Gott gibt es nur Gerechtigkeit oder Gnade, aber niemals Ungerechtigkeit. Wenn Gott gerecht ist, richtet er uns Sünder gemäß seines heiligen Zornes. Das ist recht und billig, angesichts des Zustandes, in dem wir als Sünder vor dem heiligen Gott stehen.
Wenn Gott gnädig ist, wendet er uns sein Erbarmen zu. Doch es geht immer um die Frage: Gnädig oder gerecht? Gott kann nicht ungerecht sein. Er ist der Heilige, dem alles gehört. Er ist ohne jeden Hauch von Sünde, Schuld und Fehler.
Darum sollten wir vorsichtig sein, wenn wir nach der Gerechtigkeit Gottes rufen. Denn wenn wir nach der Gerechtigkeit Gottes rufen, rufen wir zugleich nach Gottes Gericht.
Aber wenn das so ist, fragt Paulus weiter: Wenn es bei Gott nur Gerechtigkeit und Gnade gibt und Gott souverän entscheidet, kann der Mensch dann überhaupt zur Verantwortung gezogen werden?
Das war der dritte große Gedankengang, den wir auf den Fußspuren des Paulus hier miteinander verfolgt haben. Auch darauf hat Paulus eine ganz klare Antwort gegeben. Er sagte: Ja, der Mensch kann zur Verantwortung gezogen werden, weil Gott alle Menschen zum Glauben ruft. Er fordert alle auf, zu glauben. Er ruft: Kehre um, vertraue mir, ich rufe dich!
Wir hatten dann das Resümee, die Bilanz aus Kapitel 9, miteinander gesehen. Dort macht Paulus noch einmal deutlich, woran die Mehrheit Israels gescheitert ist – die Mehrheit seiner Zeitgenossen, die nicht gerettet wurde und den Weg zu Gott nicht fand.
Die Antwort des Paulus ist völlig klar: Er sagt, sie haben den Glauben verweigert. Sie haben nicht geglaubt. Gott ruft alle Menschen zum Glauben.
So weit waren wir heute Vormittag gekommen.
Und jetzt führt Paulus das noch einmal weiter aus. Er sagt: Okay, in Vers 10 kommt jetzt der große neue Einschnitt. Wenn das so ist, dass Gott alle Welt zum Glauben ruft, hat Israel dann den Ruf zum Glauben nicht gehört? Haben sie da etwas überhört oder etwas nicht mitbekommen? Hat Israel den Ruf zum Glauben etwa nicht gehört? Das ist die nächste Frage.
Wenn alle zum Glauben gerufen sind und Israel nicht zum Glauben gekommen ist, hat Israel dann möglicherweise den Ruf zum Glauben nicht gehört? Diese Frage stellt Paulus in den Versen 18 und 19.
Wenn man sich Römer 10 vornimmt, sieht man, dass Paulus in Vers 18 sagt: „Aber ich frage, haben Sie etwa nicht gehört? Haben Sie das Evangelium irgendwie nicht mitgekriegt?“ Und er gibt dann die Antwort mit einem Zitat aus dem Alten Testament, aus Psalm 19, Vers 4, wo es heißt: „Doch ja“, sagt Paulus. Und dann kommt das Zitat: „Die Schalle ist ja ausgegangen über die ganze Erde und ihre Worte bis an das Ende des Erdkreises.“
Also sagt Paulus: Doch, doch, das Evangelium ist ihnen schon verkündet worden. Durch die Apostel, durch Paulus selbst, durch viele Christen, die zu Jesus gefunden haben. Menschen, die Christen geworden sind und dann den Juden auch den Glauben bezeugt haben, den Juden, die noch ungläubig gewesen waren. Denn etliche Juden sind ja gläubig geworden, die Apostel waren ja alles Juden.
Paulus sagt also: Jawohl, sie haben es gehört. Und in Vers 19 nochmals: „Aber ich frage, hat Israel es nicht erkannt?“ Mit zwei Abschnitten aus dem Alten Testament, und zwar mit 5. Mose 32, 21 und Jesaja 65, 1, sagt er:
Schon Mose sagt: „Ich will euch zur Eifersucht reizen durch das, was kein Volk ist. Durch ein unverständliches Volk will ich euch erzürnen.“ Da kündigt Gott schon an, dass er Israel durch die Heiden aufrütteln wird. Das ist schon bei Mose angekündigt.
Und im Buch Jesaja, beim Propheten, wird es dann noch einmal gesagt: „Ich bin von denen gefunden worden“, sagt Gott, „die mich nicht suchten. Ich bin denen offenbar geworden, die ursprünglich nicht nach mir fragten“, nämlich den Heiden.
In Bezug auf Israel aber spricht er: „Den ganzen Tag habe ich meine Hände ausgestreckt nach einem ungehorsamen und widerspenstigen Volk.“
Verstehen Sie, das ist das Problem. Paulus sagt: Jeder ist zum Glauben gerufen. Und dann fragt er in der vierten Frage: Hat Israel den Ruf zum Glauben nicht gehört? Und er gibt selbst die Antwort: Doch, sie haben den Ruf gehört, aber sie haben sich trotzdem verweigert und verhärtet.
Wir haben es uns zur guten Praxis gemacht, dass ich Ihnen immer den Satz nenne, der in die Antwort hineingeschrieben werden muss. Diesmal sage ich Ihnen den schon ziemlich am Anfang.
Vierte Frage: Hat Israel den Ruf zum Glauben nicht gehört?
Antwort: Doch, aber sie haben sich trotzdem verweigert und verhärtet.
Wenn wir jetzt Zeit hätten, die wir nicht haben, um das zehnte Kapitel ausführlich miteinander zu betrachten, dann würden wir sehen, wie Paulus hier ein machtvolles Plädoyer für eine bibeltreue Evangelisation abliefert. In den ersten drei Versen macht er deutlich, dass Israel gegenüber dem Glaubensweg blind geblieben ist. Er sagt ganz freundlich in Vers 2: „Ich gebe Ihnen das Zeugnis, dass Sie Eifer haben für Gott.“
Viele Israeliten wollen schon mit Gott ins Reine kommen. Sie mühen sich, sie strengen sich an, aber sie machen es nicht richtig, nicht nach der rechten Erkenntnis, sagt er. Es gibt viele Menschen, die religiös sehr bemüht sind, die alle möglichen Exerzitien und sonstigen religiösen Praktiken ausüben und meinen, sie könnten dadurch dem heiligen Gott näherkommen. So, sagt Paulus, macht es auch die Mehrzahl seiner jüdischen Volksgenossen.
Er bescheinigt ihnen, dass sie Eifer haben, sie sind durchaus religiös – wie viele Menschen, die religiös sind. Aber das hilft ihnen nicht, sagt Paulus, wenn sie voller Eifer an die falsche Tür klopfen. Wenn sie voller Eifer an die falsche Tür klopfen, hinter der niemand ist, dann nützt ihnen ihr ganzer Eifer nichts. So ist es hier. Paulus sagt, sie haben sich bemüht, aber sie sind blind geblieben gegenüber dem Weg, den Gott ihnen so deutlich gewiesen hat, nämlich dem Glauben an den Messias Jesus Christus. Das ist ihr großes Problem.
Dann sagt Paulus in den Versen 4 bis 13: Dennoch bleibt das der einzige Rettungsweg. Es gibt keinen anderen Weg. Es gibt keinen religiösen Sondertrip für Leute, denen Jesus nicht genug ist. Wer den Sohn nicht will, hat vom Vater nichts mehr zu erwarten. Ich erinnere noch einmal an das Beispiel, mit dem wir heute Morgen unseren Vortrag begonnen haben: Wer den Sohn will, dem gibt der Vater alles, aber wer den Sohn ablehnt, der hat vom Vater nichts zu erwarten.
Liebe Leute, das in unserer heutigen Zeit zu bezeugen, in der sogenannten Postmoderne, wo der Dialog der Religionen so geführt wird, dass man sagt, jeder müsse einen Wahrheitsanteil beitragen, sind wir gefordert, diese Klarheit und Eindeutigkeit des Paulus auch zu praktizieren und deutlich zu sagen: An Christus vorbei gibt es keinen anderen Weg zum Heil. Das ist sehr wichtig.
Nun können Sie das Lesen in den Versen 4 bis 13, wie Paulus deutlich macht, und er beruft sich auf viele Stellen auch aus dem Alten Testament. Er zeigt, es gibt nur den Weg des Glaubens. Das ist schon im Alten Testament angekündigt. Und jetzt, wo Gott den entscheidenden Grund des Glaubens geschickt hat, den Messias, den er euch anbietet, durch den er euch ruft, da sind alle anderen Dinge nicht mehr genügend.
Dann sagt Paulus in Vers 8: „Das Wort ist dir nahe in deinem Mund und in deinem Herzen.“ Er zitiert aus dem Alten Testament und macht deutlich: Ihr müsst euch nicht esoterisch verrenken, ihr müsst nicht versuchen, das Wort aus dem Himmel zu holen oder euch irgendwelche geheimen Sonderlehren heranziehen. Die Dinge sind klar, sagt Paulus. Das Wort ist dir nahe in deinem Mund und in deinem Herzen. Das ist das Wort des Glaubens, das wir verkünden.
Mit anderen Worten: Christus ist nahe. Du musst nicht nach einem verborgenen Weg Gottes suchen. Und das ist es auch, was wir unseren Zeitgenossen zu sagen haben: Du musst nicht ewig der Gottsucher bleiben. Christus ist nahe. Er offenbart sich dir in seinem Wort. In den Evangelien ist ganz klar gesagt, wer Jesus ist, was er will und was er tut. Nun kehre dich zu ihm.
Paulus sagt: Dies ist das Wort des Glaubens, das wir verkünden. Vers 9: „Denn wenn du mit deinem Mund Jesus als den Herrn bekennst und in deinem Herzen glaubst, dass Gott ihn von den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet.“ Es geht darum, dass du dein Leben Christus anvertraust als dem Auferstandenen, als dem Sohn Gottes.
Paulus hat in den ganzen vorherigen Kapiteln deutlich gemacht, dass Christus als der Auferstandene auch bedeutet, zu glauben und darauf zu vertrauen, dass er am Kreuz für meine Schuld starb. Dass er Gottes Sühneopfer für meine Sünde ist – das hat Paulus ausführlich in all den Kapiteln vorher beschrieben.
Dann bekräftigt Paulus das noch einmal und sagt: Wenn man mit dem Herzen glaubt, um gerecht zu werden, und mit dem Mund bekennt, um gerettet zu werden. Das Bekenntnis des Glaubens ist nicht ein zusätzliches Werk, durch das wir unsere Rettung erst perfekt machen. Paulus macht deutlich: Wer zu Christus gehört und an ihn glaubt, der kann nicht anders, als ihn zu bezeugen. Er kann seinen Herrn nicht dauerhaft verleugnen.
Das heißt nicht, dass wir immer mutig sind. Jeder von uns hat mit Menschenfurcht zu kämpfen. Jeder kennt Situationen, in denen er hinterher sagt, er hätte den Mund aufmachen müssen und hat es nicht getan. Manchmal ist die Gelegenheit vorbei. Das erfährt jeder Christ von Zeit zu Zeit: Menschenfurcht lähmt uns oder wir sind nicht aufmerksam genug, um Situationen zu ergreifen, in denen wir Christus bekennen könnten.
Paulus meint nicht, dass er sagt, jeder müsse immer bekennen oder perfekt bekennen. Hier geht es darum, dass wer wirklich zu Christus als seinem Herrn gehört, nicht anders kann, als sich zu ihm zu stellen – trotz aller Schwäche, die wir an uns merken. Und der wird Christus immer wieder als seinen Herrn bezeugen, trotz aller Angst, trotz aller Schuld, die wir manchmal auf uns nehmen, und trotz aller verpassten Gelegenheiten. Er kann nicht anders, als zu sagen: Ich gehöre zu Christus, er ist mein Retter.
Wenn jemand ein wirklicher Christ ist und das dauerhaft verschweigt, dann wird ihn das in seinem Gewissen keine Ruhe lassen, bis er endlich wieder anfängt, Christus zu bezeugen.
Paulus sagt: Es gibt nur diesen einen Rettungsweg. Er macht dann noch einmal deutlich in Vers 12: Es ist ja kein Unterschied zwischen Juden und Heiden, also Juden und Griechen. Die Griechen stehen hier für die Heiden. Alle haben denselben Herrn, wenn sie Christen sind. Der Reich ist für alle, die ihn anrufen.
Dann wird nochmals aus dem Alten Testament zitiert, Joel 3: „Denn jeder, der den Namen des Herrn anruft, wird gerettet werden, ob Jude oder Heide, alle, alle durch Christus.“
Weil das so ist, weil der Glaube der einzige Rettungsweg bleibt, darum – und das sind die Verse 14 bis 17 – ist die Verkündigung des Glaubens so dringend.
Man könnte sagen: Römer 10,1-3 – Israel bleibt blind gegenüber dem Glaubensweg. Römer 10,4-13 – dennoch ist der Weg des Glaubens an Christus die einzige Rettungsmöglichkeit. Römer 10,14-17 – darum muss dringend verkündigt werden.
Dann kommen diese berühmten Sätze ab Vers 14, die wir alle kennen: „Wie sollen sie aber anrufen, an den sie nicht geglaubt haben? Wie sollen sie aber an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie aber sollen sie hören, ohne einen Verkündiger? Wie sollen sie aber verkündigen, wenn sie nicht gesandt werden?“ Wie geschrieben steht: „Wie lieblich sind die Füße derer, die Frieden verkündigen!“ Damit ist gemeint der Friede Gottes durch die Vergebung unserer Schuld.
Es muss verkündigt werden, liebe Leute, es muss evangelisiert werden. Wir haben gar keine andere Wahl, weil Leute nur glauben können, wenn sie hören. Und sie können nur hören, wenn gepredigt wird.
Deswegen ist es so wichtig, dass wir immer wieder predigen. Predigen meint nicht nur, sich auf eine Kanzel zu stellen, sondern jede Verkündigung des Wortes Gottes. Das kann man im Zug tun, in der Straßenbahn, an der Werkbank, im Hörsaal, in der Uni, an der Kasse bei Aldi oder Lidl – dass wir keine Schleichwerbung machen, sondern wo immer möglich Christus bezeugen als Retter, als Herrn. Da verkündigen wir.
Paulus fasst das noch einmal zusammen in Vers 16: „Aber nicht alle haben dem Evangelium gehorcht“, also nicht alle haben positiv darauf reagiert. Denn Jesaja spricht: „Herr, wer hat unserer Verkündigung geglaubt?“ Dann sagt Paulus: Demnach kommt der Glaube aus der Verkündigung.
In einer älteren Übersetzung heißt es: „Deswegen kommt der Glaube aus der Predigt.“ Wörtlich steht da eigentlich: „Deswegen kommt der Glaube aus der Botschaft“, die Aqueä, aus der gehörten Botschaft.
Daraus kommt der Glaube, dass Menschen die Wahrheit von Jesus erfahren. Nur die Wahrheit – denken Sie an gestern – die Dynamis Theu, das Evangelium ist die Kraft Gottes, die Menschenherzen auftun und die Ketten der Sünde wegsprengen kann.
Nur durch die Wahrheit des Evangeliums wird Glauben möglich. Der Glaube kommt aus der Aqueä, aus der Verkündigung der Wahrheit des Evangeliums. So sagt es Paulus hier.
Das ist einer der klassischen Verse, der uns zur Evangelisation auffordert. Die Aqueä aber kommt durch das Wort Gottes, durch das Wort Christi. Und so ist es bis heute.
Damit ist uns auch ganz klar der Weg gewiesen, wie wir zu evangelisieren haben. Wir müssen die Wahrheit des Evangeliums an die Menschen heranbringen.
Es hilft nichts, wenn wir unser Schwergewicht darauf setzen, die Leute zu unterhalten, sie zu belustigen oder ihnen alle möglichen Shows und Events zu bieten. Der Glaube entsteht nicht dadurch, dass wir den Menschen sagen: „Du hast viele Probleme, aber deine Angst, deine Unsicherheit, dein mangelndes Selbstbewusstsein, deine Partnerschwierigkeiten und so weiter – das wird alles besser, wenn du dich mal mit Jesus einlässt.“
Auch das ist noch nicht die Botschaft der Evangelisation. Der Glaube kommt aus der Verkündigung der Wahrheit des Evangeliums, die dem Menschen deutlich sagt, wie er vor Gott steht, nämlich als verlorener Sünder. Sie macht deutlich, dass er vor einem heiligen Gott Rechenschaft abzulegen hat. Wenn er keine Rettung und Hilfe bekommt, ist er hoffnungslos verloren für Zeit und Ewigkeit.
Christus allein hat die Strafe getragen, die ich und Sie verdient hätten vor dem heiligen Gott, durch seinen Opfertod am Kreuz. Deshalb ist er der einzige Retter, an den wir uns wenden können, um Vergebung unserer Sünde zu bekommen.
Wenn wir zu Christus kommen und ihn anrufen als unseren Erlöser, als unseren Retter, und uns vor ihm beugen als unseren König und Herrn, dann spricht er uns frei. Das ist das große Thema des Römerbriefs: Rechtfertigung allein durch den Glauben an Christus.
Er zieht uns in seine Nachfolge hinein und bringt uns sicher ans Ziel des ewigen Lebens. Am Ende gibt es nur die Alternative: Himmel oder Hölle, ewige Rettung oder ewige Verdammnis.
Das ist die Botschaft des Evangeliums, und die haben wir weiterzugeben – immer wieder neu erklärt, immer wieder neu gesagt.
Allein diese Wahrheit hat die Kraft, Menschenherzen zu verändern und Menschen, die von Gott fern sind und geistlich tot, aufzuwecken – schon jetzt zum lebendigen Glauben und in Ewigkeit zum ewigen Leben. So müssen sie nicht in der Hölle ewig verdammt sein.
Das ist die Botschaft, und sie ist uns anvertraut.
So kommt der Glaube aus der Predigt, die Predigt aber durch das Wort Gottes oder durch das Wort Christi.
Und dann macht Paulus wieder Stopp und stellt seine beiden Fragen: Haben Sie es nicht gehört? Doch, Sie haben es gehört. Und dann noch einmal: Hat Israel es nicht erkannt? Haben Sie es nicht verstanden? Die Antwort ist eindeutig: Nein, sie haben es nicht verstanden. Sie haben es gehört, aber sie haben sich trotzdem verweigert und verhärtet gegenüber diesem Weg der Rettung, den Gott ihnen zuruft. Gott präsentiert das Evangelium und fordert zur Buße und zum Glauben auf.
Das ist das zehnte Kapitel. Es ist sehr überschaubar und steht sehr logisch als Bindeglied zwischen der dritten und der fünften Frage. Paulus sagt, Gott ruft alle Menschen zum Glauben. Dann fragt er: Hat Israel den Ruf zum Glauben nicht gehört? Und er sagt: Doch, sie haben ihn gehört, aber sie haben sich ihm verweigert.
In diesem Kapitel über den Unglauben Israels beschreibt Paulus gewissermaßen den aktuellen Zustand dieses Volkes. Gleichzeitig macht er deutlich, was der Kern unserer evangelistischen Aufgabe bis heute ist. Er zeigt, wie allein Menschen für Zeit und Ewigkeit gerettet werden können.
An diesem Kapitel 10 wird noch einmal so deutlich, wie wichtig es ist, dass wir als Gotteskinder wirklich treu evangelisieren und unverkürzt die Wahrheit den Menschen sagen. Wir müssen sehen, dass die Evangelisation sehr angefochten ist. Die Gefahr zeigt sich immer wieder deutlich, dass das Evangelium verwässert, verschwiegen oder offen verfälscht wird.
Wir sehen, in welch schlimmer Weise das bis in die Kirchen hineingedrungen ist – und nicht nur in die Kirchen, sondern auch immer mehr in unsere eigenen evangelikalen Reihen. Ich bringe Ihnen ein kleines Beispiel aus den Landeskirchen in Hannover. Dort haben sich drei Gemeinden zusammengetan und bieten jetzt das Haus der Religionen an. Drei evangelisch-lutherische Kirchengemeinden laden ins Haus der Religionen ein.
Dort heißt es: Das Himmelreich ist wie eine Perle. Ein Stück vom Himmel, eine kleine Perle, wollen wir mit Ihrer Hilfe auch in der Athanasius-Gemeinde finden. Mit Hochtouren entsteht hier das Haus der Religionen, in dem Menschen aller Weltreligionen – Christen und Juden, Buddhisten, Muslime, Hindus und Bahai – ihre Perlen der Wahrheit und der Erkenntnis zeigen und austauschen wollen. Dazu lädt die evangelisch-lutherische Kirchengemeinde in Hannover ein.
Das ist ein Beispiel von vielen, mit dem Christus geleugnet, beleidigt und die Menschen in die Irre geführt werden.
Dann möchte ich auf eine Entwicklung hinweisen, die immer stärker auch die Evangelisation in den evangelikalen Kreisen aushöhlt und untergräbt. Diese Entwicklung wird immer bekannter. Es ist das Konzept der sogenannten Emerging Church oder Emergent Church. Ich weiß nicht, wie viele von Ihnen davon schon gehört haben. Dieses Konzept wird Schritt für Schritt in die evangelikalen Kreise hineingetragen. Es bedeutet so viel wie die aufkommende, neu entstehende Form von Kirche.
Beispielsweise gab es im November 2006 mit einem der Hauptprotagonisten dieser Bewegung, Erwin McManus, eine große Konferenz für Jugendleiter in Sankt Grischona. Ein Mitstreiter von McManus, der ebenfalls die Emerging Church propagiert, Brian McLaren, wird im November nach Marburg kommen und dort zu Studierenden des Theologischen Seminars Tabor und des Marburger Bibelseminars sprechen.
Die Emerging Church versucht, den Glauben, wie sie sagen, postmodern zu interpretieren. Das heißt, nicht mehr so streng nach dogmatisch grundlegenden Aussagen. In dieser sogenannten postmodernen Fassung des Christentums geht es darum, nicht mehr so deutlich zwischen richtig und falsch zu unterscheiden. Man begegnet den Menschen nicht mit festen, dogmatisch-biblisch vorgegebenen Wahrheiten, sondern sucht das Gespräch, den Austausch und informiert sich über unterschiedliche Aspekte. Man ist miteinander auf dem Weg.
Letztlich führt das dazu – ich habe beispielsweise eines der Bücher von McManus an vielen zentralen Stellen analysiert –, dass die grundsätzliche Vorgabe der Heiligen Schrift als Offenbarung der verbindlichen Wahrheit Gottes immer mehr aufgeweicht und außer Kraft gesetzt wird.
In einer der Publikationen dieser Emerging Church wird eine sogenannte Gottessucherin zitiert, eine Nanette Sawyer. Sie sagt dort: „Ich war immer auf der Suche nach der Begegnung mit Gott, um die lichthafte Gegenwart in meinem Leben zu spüren. Interessanterweise kann ich sagen, dass ich heute Christ bin wegen einer hinduistischen Meditationslehrerin. Sie lehrte mich einige Dinge, die die Christen mir nicht gesagt hatten. Sie brachte mir bei, wie man Gott liebt, was es mir erlaubte, Gottes Liebe zu mir zu erfahren. Sie hat mich auch gelehrt, Jesus zu verehren und wies mich darauf hin, dass Jesus mich belehren könne.“
Also wird Jesus gewissermaßen wie ein östlicher Weisheitslehrer dargestellt, der eine Gottessucherin belehrt, sodass sie dann auf neue Weise von der Liebe Gottes reden kann. Das ist typisch, auch in der Sprache und in der ganzen Gedankenführung, für dieses System der Emerging Church.
Dieses System bricht immer stärker in unsere eigenen evangelikalen Reihen ein, also in Kreise wie das Marburger Bibelseminar. Sie werden dem auch an vielen anderen Punkten begegnen – bei Freikirchen, bei Landeskirchen, in Gemeinschaftskreisen. Es ist eine dramatische Situation. Man fragt sich, wie das möglich ist. Wie können etwa die Leiter dieses Bibelseminars das zulassen? Kapieren sie nicht, was da läuft?
Meine feste Überzeugung ist, dass wir uns schon seit langem, seit vielen Jahren, in einem Prozess befinden, der die biblischen Grundwahrheiten immer mehr unterspült, aushebelt und in Frage stellt. Das geschieht dadurch, dass die Gemeinde sich immer weiter von einer gründlichen biblischen Lehre entfernt. Viele Christen kennen diese grundsätzlichen Zusammenhänge, wie sie auch etwa der Römerbrief zeigt, gar nicht mehr. Sie leben nicht mehr in diesen biblischen Denk- und Wahrheitszusammenhängen. Deshalb werden sie immer unfähiger, die Dinge, die ihnen begegnen, im Licht der Heiligen Schrift zu beurteilen.
Leider sind sehr viele Führer der evangelikalen Welt auch in diesen Strudel mit hineingezogen worden. Sonst wäre es zum Beispiel nicht denkbar gewesen, dass ein Konzept, das theologisch so dünn und an vielen Stellen so falsch ist wie Willow Creek, einen so großen Einfluss in evangelikalen Kreisen gewinnen konnte. Ebenso wenig wäre es denkbar, dass die Bücher von Rick Warren, die auf dieser Welle weiterschwammen, einen phantastischen Erfolg feiern konnten.
Viele Leute haben nicht gesehen – vielleicht auch nicht sehen wollen –, was man an diesen Veröffentlichungen nachweisen kann. Es ist gar nicht schwierig, bei Warren und anderen zu zeigen, dass das Evangelium verkürzt wird. Auch wenn viele fromme Worte darin vorkommen und scheinbar viel missionarischer Eifer dahintersteckt, werden fundamentale biblische Wahrheiten nach und nach abgeschwächt und schließlich außer Kraft gesetzt. Man verkauft den Menschen etwas als Evangelium, das nicht das ganze volle Evangelium ist.
Deshalb ist es ungemein wichtig, dass Tagungen wie diese hier in Bautzen stattfinden können. Hier geht es darum, das Wort Gottes miteinander zu studieren, geistliches Schwarzbrot zu sich zu nehmen und gründlich an diesen Punkten zu arbeiten.
Liebe Freunde, ich will Ihnen sagen: Das geht nicht ohne Arbeit, nicht ohne Mühe. Es geht nicht, ohne dass wir uns reinknien und dass es uns auch etwas kostet.
Deswegen freue ich mich so sehr über die große Hörbereitschaft, die hier in Bautzen herrscht, und darüber, dass so viele Menschen jeden Alters, auch viele Jugendliche, sich an diesen Tagungen beteiligen.
Es ist so wichtig, dass wir das Evangelium treu verkünden. Und der Herr nimmt uns auch durch dieses zehnte Kapitel des Römerbriefes in die Pflicht.
Ganz kurz, bevor die Pause beginnt, damit der Zusammenhang klar ist: Paulus sagt, dass ihr gerufen wurdet, euch aber trotzdem verstockt habt. Die große Frage, die am Ende bleibt, ist: Gibt es überhaupt noch Hoffnung und Zukunft für das Volk Israel? Gibt es noch eine Chance, nachdem sie das Evangelium Gottes von sich gestoßen haben und in dramatischer Weise die Ohren verschlossen und die Herzen verhärtet haben?
Nach der Pause wird Herr Trittmacher zunächst ein Statement dazu geben, danach folgt der letzte Teil des Vortrags. Nun ist Pause bis 16 Uhr.
Ich möchte noch einmal auf das hinweisen, was Herr Trittmacher einfügen wollte. Er wollte darauf aufmerksam machen, dass angesichts der immer enger zusammenrückenden Welt und der drängenden globalen Probleme viele sagen: Es kommt nur noch darauf an, dass wir einigermaßen friedlich zusammenleben. Deshalb dürfe es keine Auseinandersetzung um die Wahrheit mehr geben. Stattdessen müsse man sehen, wie man die Menschen in einer durch die Globalisierung immer mehr zusammenwachsenden Welt friedlich zusammenhält.
Das ist ein Grund, warum Menschen, die eindeutig evangelisieren, schnell mit dem negativen Begriff des Fundamentalismus belegt werden. Man sagt dann, wenn du darauf bestehst, dass es nur einen Weg zur Rettung gibt, bist du fast so schlimm wie militante Moslems.
Ein anderer Besucher wies darauf hin, dass auch das Antidiskriminierungsgesetz, das vor einiger Zeit beschlossen wurde, den Spielraum für die freie Meinungsäußerung einzuschränken beginnt. Das ist sicherlich noch nicht das Ende unserer Verkündigungsfreiheit, aber es zeigen sich Tendenzen, dass der Staat den Bürgern immer mehr vorschreiben will, was sie sagen dürfen und wozu sie öffentlich deutlich Stellung beziehen können – und wozu nicht.
In der Tat müssen wir uns darauf einstellen, dass die Zustände in unserer Demokratie für Christen auf Dauer nicht leichter werden. Das wird uns auch von der Heiligen Schrift her nicht verheißt. Es geht nicht darum, vorzeitig Katastrophenszenarien an die Wand zu malen, aber wir müssen sehen, dass Jesu Aufforderung, ihn und seine Wahrheit klar zu bekennen, für uns Christen eine ständige Herausforderung bleibt.
Wir wissen auch, dass in vielen anderen Ländern unsere Glaubensgeschwister schon seit Jahrzehnten einen hohen Preis dafür zahlen, wenn sie sich zum Herrn Jesus Christus bekennen.
Zu all dem, was ich jetzt gesagt habe, zum Stichwort Evangelisation in der Postmoderne und der Wichtigkeit, angesichts der vielen Fragestellungen – auch innerhalb unserer eigenen Reihen – zum klaren Evangelium deutlich Stellung zu beziehen und manche Zusammenhänge besser zu verstehen, möchte ich ganz uneigennützig auf mein Buch „Evangelisation in der Postmoderne“ hinweisen. Es ist ein Versuch, einige der markanten Streitfragen und gerade die Frage, was eigentlich der Kern des Evangeliums ist, deutlich zu machen – ein Kern, auf den wir nicht verzichten dürfen.
Außerdem möchte ich auf ein anderes Buch von Jakob Thiessen hinweisen, das gerade jetzt für den letzten Teil des Vortrags über das Verhältnis zwischen Israel und der Gemeinde sehr wertvoll ist. Es ist ein ausgesprochen wertvoller Beitrag, der sich um eine gründliche exegetische Argumentation bemüht. Thiessen betrachtet die Bibelstellen sehr genau und argumentiert meist aus dem griechischen Text, aber so, dass auch Leser, die kein Griechisch können, es verstehen.
Ich empfehle dieses Buch sehr für unseren Fragenkreis. Beide Bücher sind am Büchertisch erhältlich.
Nun wollen wir uns also an das elfte Kapitel wagen. Lassen Sie sich nicht dadurch irritieren, dass hier das Pult schwankt. Das liegt nicht an Ihren Augen, sondern daran, dass es noch sehr improvisiert hergestellt wurde, damit auch die hinten Sitzenden besser sehen können. Herzlichen Dank an alle, die das möglich gemacht haben. Wie gesagt, ich bemühe mich, hier oben festzustehen wie ein Seemann auf dem Schiff.
Es geht jetzt um die fünfte Frage: Angesichts der Tatsache, dass Israel zum Glauben gerufen wurde und es gehört hat, aber die überwiegende Mehrheit den Glauben nicht angenommen hat, sich verweigert hat und ihr Herz verhärtet hat, bleibt bei Paulus die große Frage am Ende: Gibt es überhaupt Hoffnung und Zukunft für Israel?
Paulus antwortet darauf in zwei Schritten. Er äußert sich zunächst zur Gegenwart in den Versen 1-10 und dann zur Zukunft in den Versen 11-32.
Zunächst fragt er für die Gegenwart: Hat Gott etwa sein Volk verworfen? Was ist jetzt, im ersten Jahrhundert nach Christus, wo die überwältigende Mehrheit des ethnischen Israels den Glauben an Christus verweigert? Können wir das so interpretieren, dass Gott sein Volk verworfen hat und der Segen Gottes an andere weitergegeben wurde? So wurde es in der Kirchengeschichte teilweise ausgelegt.
Es gibt etwa eine Aussage von Justin dem Märtyrer, der sagte, die Kirche sei das wahre Israel. Auch der Barnabasbrief aus der frühen Zeit vertritt im 14. Kapitel sinngemäß die Ansicht, dass das Alte Testament von den Juden missverstanden wurde und sie es deshalb für immer eingebüßt hätten. Barnabas schreibt, dass Mose es zwar empfangen habe, die Juden sich aber als unwürdig erwiesen hätten, während die Christen es empfangen hätten. Mose empfing es als Diener, der Herr aber gab es ihnen, damit sie das Erbvolk seien, in dem er sie duldete.
Barnabas vertritt die These, dass die Gemeinde gewissermaßen an die Stelle Israels getreten sei und dessen Verheißungen geerbt habe. Origenes, ein Kirchenvater des dritten Jahrhunderts, lehrte ebenfalls, dass die Juden keinen Anspruch mehr auf die Verheißungen des Alten Testaments hätten. Er meinte, dass die Verheißungen, die oft irdische Dinge betreffen, geistlich gedeutet und auf die Gemeinde übertragen werden müssten. Origenes übte Einfluss auf Augustin aus, und über Augustin wurden auch viele Reformatoren mit diesem Gedankengut vertraut, dem sie sich teilweise anschlossen.
Die Frage der Zukunft Israels war jedoch nicht das Hauptthema der Reformatoren. Sie mussten an anderen Fronten kämpfen und schlossen sich daher in der Eschatologie teilweise Augustin an.
Was sagt Paulus, der die Verheißungen gut kannte? Paulus sagt, in der Gegenwart hat Gott sein Volk nicht verworfen. Das sieht man an ihm selbst, denn er ist ein Israelit aus dem Samen Abrahams. Es gibt zu allen Zeiten gläubige Israeliten, sagt Paulus. Gott hat sein Volk nicht verworfen, das er zuvor ersehen hat.
Oder wisst ihr nicht, was die Schrift bei Elija sagt? Elija tritt vor Gott gegen Israel auf und klagt: „Herr, sie haben deine Propheten getötet und deine Altäre zerstört, und ich bin allein übrig geblieben, und sie trachten mir nach dem Leben.“ Und was sagt Gott zu Elija? Er antwortet, dass es siebentausend gibt, die ihre Knie nicht vor Baal gebeugt haben.
So gibt es immer wieder unter den Juden einen gläubigen Überrest, an dem deutlich wird, dass es Juden gibt, die dem wahren Gott glauben. Auch jetzt, sagt Paulus in Vers 5, ist ein Überrest vorhanden aufgrund der Gnadenwahl. Es sind Menschen da, die von Gott erwählt wurden, Juden, die an Christus glauben. In diesen Juden besteht das gläubige Israel fort.
Der lebendige Gott hat zu jeder Zeit und durch alle Jahrhunderte hindurch Juden, die seinem Messias Jesus Christus glauben.
Das ist die erste Antwort, die Paulus für die Gegenwart gibt, also für das erste Jahrhundert nach Christus. Er sagt, der Fall Israels ist nicht total, nicht alle sind gefallen. Gott hat sein Volk nicht verworfen. Seht mich und all die anderen gläubigen Juden, die Apostelkollegen und viele weitere Juden, die Jesus Christus als ihren Messias, Retter und Herrn bezeugen.
Deshalb sagt Paulus in den Versen 1 bis 10 ganz klar: Nein, Gott hat sein Volk nicht verworfen, denn es gibt einen Überrest in der Gegenwart.
Wenn Sie diese Zeile ausfüllen möchten, können Sie schreiben: Hat Gott sein Volk verworfen? Antwort: Nein, denn es gibt einen Überrest in der Gegenwart.
Nun bleibt die Zukunftsfrage offen: Was wird aus der Zukunft Israels? Paulus wendet unseren Blick nach vorn.
In Vers 11 stellt er die ernste Frage: „Sind sie denn gestrauchelt, damit sie fallen sollen, die Mehrheit Israels?“ Wird es keine Erfüllung der großen Verheißung für die Zukunft geben? Dass ein großer Teil Israels umkehrt, dass das große Friedensreich kommt, das zugesagt wurde? Was wird mit der großen Bekehrung Israels, die angekündigt wurde? Wird das alles nicht mehr geschehen? Ist das Volk als Ganzes für immer verloren?
Das ist die große Frage, die Paulus in Kapitel 11 ab Vers 11 stellt. Er macht zunächst die Wechselwirkung zwischen Israel und den Heiden deutlich. Er sagt: „Durch ihren Fall wurde das Heil den Heiden zuteil, um sie zur Eifersucht zu reizen.“
Als Israel im großen Stil Gott ablehnte, wurde der Weinberg – erinnern Sie sich an Markus 12 – den Heiden gegeben. Es entstanden viele Heidengemeinden, auch mit Juden, es gab Heidenchristen und Judenchristen. Das Evangelium kam zu den Heiden, nachdem die Juden es abgelehnt hatten. Eigentlich hätten die Juden die Heiden missionieren sollen, aber nachdem sie das nicht taten, wanderte das Schwergewicht der Gemeinde in die heidnische Welt.
Paulus sagt, so gibt es eine Wechselwirkung: Wenn ihr Fall der Reichtum der Welt, nämlich der Heiden, war und ihr Verlust der Reichtum der Heiden geworden ist, wie viel mehr wird dann die Fülle Israels Segen bringen? Wie viel mehr wird der große Glaube Israels bewirken, wenn es im großen Stil umkehrt? Was wird daraus für die Heiden für ein Segen erwachsen?
Paulus spricht von der künftigen Erneuerung und der Fülle (Vers 12).
Dann wendet er sich an die Heiden ab Vers 13 und sagt: „Zu euch, den Heiden, rede ich, weil ich Apostel der Heiden bin, bringe ich meinen Dienst zu Ehren, ob ich irgendwie meine Volksgenossen zur Eifersucht reizen kann.“
Je mehr Heiden sich zum lebendigen Gott bekennen, auch zum Gott des Alten Testaments, umso mehr hofft Paulus, dass er sein eigenes Volk Israel damit reizen kann. Sie sollen sagen: „Menschenskinder, die glauben dem Gott der Väter, da wollen wir doch nicht hinten anstehen.“
So sieht Paulus die Heidenmission als einen Weg, um auf diesem indirekten Wege das Volk Israel wieder wachzurütteln. Paulus sagt, Gott kann nur Gutes für die Zukunft Israels vorhaben. Wenn schon ihr Fall zum Segen geworden ist, wie viel mehr ihre geistliche Erneuerung.
Dann richtet Paulus eine Warnung an die Heiden ab Vers 13. Er mahnt: „Denn zu euch, den Heiden, rede ich, weil ich Apostel der Heiden bin, bringe ich meinen Dienst zu Ehren, ob ich meine Volksgenossen reizen könnte.“
Er macht deutlich: „Wenn aber die Erstlingsgabe heilig ist, so ist es auch der Teig, und wenn die Wurzel heilig ist, so sind es auch die Zweige.“
Das bedeutet: Wenn Gott mit Israel begonnen hat, wird er es auch zum Ziel bringen. Die Erstlingsgabe ist der erste Teil der Ernte. Wenn der erste Teil gut ist, wird auch der Teig am Ende gut sein. Die Wurzel war gut, dann werden auch die Früchte am Ende gut sein.
Paulus sagt: Glaubt nicht, dass ich mein Volk verworfen habe und diese Geschichte nicht sinnvoll und gnädig zum Ende bringe.
Dann wendet er sich erneut an die Heiden und sagt: „Wenn aber etliche der Zweige ausgebrochen wurden und du, du Heide, als ein wilder Ölzweig unter sie eingefügt wurdest und Anteil bekommen hast an der Wurzel und an der Fettigkeit des Ölbaums, so überhebe dich nicht gegen die Zweige.“
Gott sagt, die natürlichen Zweige sind die Juden. Sie wurden aufgrund ihres Unglaubens ausgebrochen. Du, der Heide, wurdest eingepfropft, damit du Teil hast an den Verheißungen Gottes, die uns das Alte Testament gegeben hat. Überhebe dich nicht und bilde dir nicht ein, etwas Besseres zu sein als die Juden.
Paulus sagt in Vers 19: „Die Zweige sind ausgebrochen worden, damit ich eingepfropft werde. Ganz recht, um ihres Unglaubens willen sind sie ausgebrochen worden. Du aber stehst durch den Glauben.“
Das ist das Dauerthema des Römerbriefs: Wir werden allein durch den Glauben an Jesus gerettet, und durch nichts sonst, ob Jude oder Heide.
Deshalb sagt Paulus: Du, lieber Heide, wirst allein durch den Glauben von Gott angenommen, durch nichts sonst. Du hast keinen Grund, dich über die Juden zu erheben oder auf etwas stolz zu sein, das du geleistet haben könntest. Das steht dir nicht zu.
Sei froh und dankbar, dass du zum Glauben an Jesus Christus gefunden hast. Sei froh und dankbar, dass sich das Evangelium der Heidenwelt zugewandt hat und auch dich erreicht hat. Du hast keinerlei Anlass, dich innerlich über die Juden zu erheben oder zu sagen, ihre Geschichte sei vorbei.
Bedenke: Dieser fette Ölbaum – du wurdest als später Zweig eingepfropft, obwohl du ursprünglich gar nicht dazugehört hast. Du darfst jetzt an den großen Verheißungen Gottes teilhaben und zu seinem Messias gehören. Sei demütig und maße dir nicht an, ein letztes Urteil über das Volk Israel zu fällen.
Paulus macht deutlich – Vers 20: „Sei nicht hochmütig, sondern fürchte dich, denn wenn Gott die natürlichen Zweige nicht verschont hat, könnte es sonst geschehen, dass er auch dich nicht verschont.“
Damit sagt er nicht, dass die wahrhaft Gläubigen in der Gemeinde abfallen könnten, sondern dass sich daran zeigen wird, ob du wahrhaft im Glauben stehst. Wenn du wahrhaft im Glauben stehst, wirst du dich nicht über Israel erheben. Wenn du wahrhaft im Glauben stehst, wirst du im Glauben beharren.
Ab Vers 22 richtet Paulus den Blick auf die Güte und die Strenge Gottes. Man könnte auch sagen: das Erbarmen und die Gerechtigkeit Gottes. Die Strenge gilt denen, die gefallen sind, die Güte aber gilt dir, sofern du bei der Güte bleibst – also sofern dein Glaube echt ist und du allein auf Jesus Christus als deinen Heiland, Retter und König vertraust.
Paulus fährt fort: „Jene dagegen, wenn sie nicht im Unglauben verharren, werden wieder eingepfropft werden.“
Das Verb, das er hier verwendet, drückt eine große Hoffnung aus. Das „wenn“ bedeutet nicht ein vages „vielleicht“, sondern ein stark hoffnungsträchtiges „es möge geschehen“, „es wird geschehen“, wenn sie zum Glauben finden.
Wenn sie sich allein auf Jesus Christus, den Messias, verlassen, werden auch sie in großer Zahl wieder eingepfropft werden, denn Gott vermag sie wohl wieder einzupfropfen.
Dann erhalten die Heiden noch eine kleine Nebenbemerkung: Wenn du aus dem von Natur wilden Ölbaum, deinem heidnischen Ölbaum, herausgeschnitten und gegen die Natur in den edlen Ölbaum eingepfropft wurdest, der eigentlich dem auserwählten Volk Gottes zusteht, wie viel eher können dann die natürlichen Zweige wieder in ihren eigenen Ölbaum eingepfropft werden?
Paulus macht klar: Es ist gar nicht so unwahrscheinlich, dass Israel wieder zum Glauben im großen Stil zurückfindet. Das ist die Wurzel ihrer Geschichte. Du, Heide, maße dir nicht an, ein Urteil über Israel zu fällen. Gott kann sie nach Hause bringen.
Es gibt viele Verheißungen, sagt Paulus, und wir Heiden dürfen froh sein, dass wir auch dazugehören.
Gerade in dieser Perspektive ist es wichtig, das zu hören, was gestern in Römer 8 deutlich wurde: Gott hat auch uns erwählt vor Grundlegung der Welt. Wir erhalten kein Heil zweiter Klasse als Heiden, sondern jeder, der sich zu Jesus Christus bekehrt, ist von Ewigkeit her dazu erwählt.
Paulus steigert sich nun und arbeitet auf die Zielgerade zu. Es geht um die letzten Fragen zu Israel: Was wird am Ende rauskommen? Wie geht es aus?
In den Versen 17 bis 24 mit dem Gleichnis vom Ölbaum macht Paulus deutlich: Du, es ist gar nicht unwahrscheinlich, dass Israel umkehrt. Überhebe dich nicht über die Juden, du Christ, du Heidenchrist.
Die große Frage am Ende lautet: Wie geht es aus, Paulus? Werden sie noch umkehren oder nicht? Hat Gott etwas offenbart? Kann man dazu etwas Sinnvolles sagen?
Paulus holt zum letzten Absatz aus, in Kapitel 11, Vers 25. Ich bitte um Konzentration, damit wir diesen letzten gewichtigen Abschnitt gemeinsam studieren. Sie sehen alle noch munter aus, wenn ich Ihnen so ins Gesicht schaue. Ich hoffe, wir bringen unseren Rundgang durch die Kapitel 9 bis 11 gut zum Abschluss und haben eine Perspektive, mit der wir die Dinge weiter erwarten können.
Ich lese nun die Verse 25 bis 32. Wenn Sie möchten, können Sie sie in Ihrer Bibel mitlesen, um die Argumentation des Paulus zu verstehen.
Es geht um die Frage: Wird Israel umkehren oder nicht?
Römer 11,25-32:
„Denn ich will nicht, meine Brüder, dass euch dieses Geheimnis unbekannt bleibt. Ihr sollt nicht euch selbst für klug halten. Israel ist zum Teil Verstockung widerfahren, bis die Vollzahl der Heiden eingegangen ist. Und so wird ganz Israel gerettet werden, wie geschrieben steht: ‚Aus Zion wird der Erlöser kommen und die Gottlosigkeiten von Jakob abwenden.‘ Das ist mein Bund mit ihnen, wenn ich ihre Sünden wegnehme.“
Paulus fügt hinzu: „Hinsichtlich des Evangeliums sind sie zwar Feinde um eureretwillen, hinsichtlich der Auserwählung aber Geliebte um der Väter willen. Denn Gottes Gnadengaben und Berufung können ihn nicht reuen.“
„Denn gleichwie auch ihr einst Gott nicht geglaubt habt, jetzt aber Barmherzigkeit erfahren habt um ihres Unglaubens willen, so haben auch sie jetzt nicht geglaubt, um der euch erwiesenen Barmherzigkeit willen, damit auch sie einmal Barmherzigkeit erfahren sollen.“
„Denn Gott hat alle miteinander in Verstockung verschlossen, damit er sich über alle erbarme.“
Die Verse sind nicht leicht zu verstehen, aber der Grundgedanke wird klar.
Israel ist zum Teil Verstockung widerfahren. Das „zum Teil“ bedeutet, dass es immer einen kleinen Rest gibt, der dem lebendigen Gott glaubt. Es kann auch heißen, dass die Verstockung nicht endgültig ist.
Wie lange dauert das? Bis die Vollzahl der Heiden eingegangen ist, also bis die Zeit der Heiden abgelaufen ist und alle erwählten Heiden zum Glauben gefunden haben.
Und dann wird, so heißt es, ganz Israel gerettet werden.
Dieses „und so“ ist wichtig. Es bedeutet nicht, dass durch die Fülle der Heiden Israel gerettet wird, sondern dass, nachdem die Fülle der Heiden eingegangen ist, als Folge auch ganz Israel zum Glauben findet.
Im Römerbrief 9 bis 11 ist mit Israel immer das Volk Israel gemeint, nicht die Gemeinde. Es wäre unlogisch, hier plötzlich die Gemeinde einzusetzen. In Vers 6 wird zwar zwischen zwei Israelen unterschieden, aber auch dort ist immer das Volk Israel gemeint, wobei nur der gläubige Teil das wahre Israel ist.
Martin Luther nahm in späteren Jahren an, dass die Verheißung Israels auf die Gemeinde übergegangen sei. Bei seiner frühen Auslegung des Römerbriefs interpretierte er diese Stelle jedoch so, wie wir es jetzt tun: Israel bedeutet das Volk Israel.
Wenn man den Text liest, käme man nie auf die Idee, hier die Gemeinde einzusetzen. Das erschließt sich nicht aus dem Text.
Paulus sagt also: Auf dem Weg, dass Gott die Heiden in ihrer Fülle einbringt, kommt die Geschichte zum Ziel, dass auch ganz Israel gerettet wird.
Dann zitiert er eine endzeitliche Aussage des Propheten Jesaja:
„Aus Zion wird der Erlöser kommen.“
Was meint Paulus mit „ganz Israel“? Dieser Begriff taucht häufig im Alten Testament auf und meint nicht jeden einzelnen Israeliten, der gerade lebt, sondern die Gesamtheit des Volkes.
In der jüdischen Tradition, etwa in der Mischna im Traktat Sanhedrin, heißt es, ganz Israel hat Anteil am zukünftigen Zeitalter. Dort werden einzelne Israeliten genannt, die keinen Anteil haben. Ganz Israel bedeutet also die Gesamtheit des Volkes, aber nicht jeder einzelne Israelit.
Auch im Alten Testament steht das öfter, zum Beispiel in 1. Samuel 25,1 oder 1. Könige 12,1. Es geht um die Gesamtheit des Volkes, aber nicht um jeden einzelnen.
Paulus redet offensichtlich von der Endzeit. Er zitiert Jesaja 59,20, und aus neutestamentlicher Perspektive wissen wir, dass hier die Wiederkunft Jesu Christi gemeint ist.
Wenn Christus wiederkommt, wird ganz Israel gerettet werden.
Der Prophet Sacharja sagt in Kapitel 12, Vers 10, dass Gott den Geist der Gnade und des Flehens über das Haus David und die Bewohner Jerusalems ausgießen wird. Sie werden auf den blicken, den sie durchbohrt haben, und über ihn wehklagen, wie man über den einzigen Sohn wehklagt.
Wenn Christus auf den Ölberg zurückkehrt, werden die überlebenden Juden ihn sehen als den, den sie durchbohrt haben. Christus wurde im Auftrag der Juden durch die Römer gekreuzigt.
Vorher wird sich die Lage der Welt zuspitzen. Der Antichrist wird seine Macht entfalten. Sacharja 13,8-9 beschreibt, dass zwei Drittel des jüdischen Volkes ausgerottet werden, nur ein Drittel bleibt übrig. Dieses Drittel wird durch Feuer geläutert und ruft dann den Namen des Herrn an.
Diese Ereignisse gehören zur Endzeit, wenn der Antichrist gegen Israel kämpft und ein großer Teil des lebenden jüdischen Volkes stirbt.
Ein Drittel wird überleben, und das ist ganz Israel, die Gesamtheit des lebenden Volkes, die gerettet wird, weil sie Christus als ihren Erlöser annehmen.
Israel wird durch den Glauben an den Erlöser gerettet.
Paulus macht in diesem letzten Vers deutlich: Sie waren im Unglauben verschlossen, aber Gott wird sich über sie erbarmen. Sie werden zum Glauben an Christus finden und so gerettet werden.
Es gibt keinen Sonderweg für die Juden der Endzeit, der an Christus vorbeiführt. Sie werden durch Christus gerettet, und alle Verheißungen, die mit der Zukunft Israels verbunden sind, werden erfüllt.
In Jesaja 45,25 heißt es: „In Jahwe wird der ganze Same Israels gerecht werden und sich rühmen.“ Das ist ganz Israel.
In Jesaja 54,13: „Alle deine Söhne werden Jünger Jahwes sein und großen Frieden haben.“
Diese Verheißungen erfüllen sich über ganz Israel, über die großartige endgültige Zukunft des Volkes Gottes.
Paulus macht deutlich, dass das nicht an Christus vorbeigeht, sondern durch Christus geschieht. Sie werden zum Glauben an ihn, den Herrn und Erlöser, kommen.
Paulus bringt die Sache schnell zum Schluss. In Vers 28 heißt es: „Hinsichtlich des Evangeliums sind sie zwar zurzeit noch Feinde, hinsichtlich der Auserwählung aber Geliebte um der Väter willen.“
Gott wird sein Volk nicht verwerfen. Er wird zu seinen Verheißungen stehen.
Das bekräftigt Paulus in Vers 29: „Denn Gottes Gnadengaben und Berufung können ihn nicht reuen.“
Überlegen Sie die Fülle der Verheißungen, die Gott für Israel im Alten Testament bereithält. Paulus macht deutlich: Gott nimmt diese nicht zurück.
Natürlich hat Gott nicht versprochen, dass jeder einzelne Israelit gerettet wird. Das steht nirgendwo, auch nicht im Alten Testament. Gott hat immer wieder ausgewählt, wem er seine Segnungen gibt.
Aber das, was dann ganz Israel genannt wird, das, was übrig bleibt, wird sich an Christus wenden und am Ende gerettet werden.
Dann werden sich all die Verheißungen erfüllen, die Gott diesem Volk endgültig gegeben hat.
Das ist die große Perspektive, die Paulus hier vor uns ausbreitet.
Interessant ist, dass die Stellen, die Paulus in diesem Zusammenhang zitiert, etwa Jesaja 27 und auch Ezechiel 36, viele weitere alttestamentliche Stellen, etwa Jeremia 31,23, ansprechen.
All diese Passagen machen deutlich, dass die endzeitliche Rettung Israels, die geistliche Erneuerung durch Annahme Christi, mit der Erfüllung der irdischen Verheißungen verbunden ist.
Das heißt, dass Gott dann auch den Besitz des Landes endgültig geben wird.
Deshalb sagt auch Sacharja, dass Jesus auf den Ölberg zurückkommen wird, um sein Reich hier auf der Erde aufzurichten.
Paulus beruft sich ausdrücklich auf die Väterverheißungen, in denen das deutlich wird.
Wir wissen nicht, wann Gott diesen Plan endgültig umsetzt. Aber wir sehen mit Staunen, dass es vor wenigen Jahrzehnten undenkbar gewesen wäre, dass das Volk Israel Schritt für Schritt in sein Land zurückkehrt und sich das Land äußerlich so entwickelt, wie man es sich kaum hätte vorstellen können.
Mark Twain schrieb 1867 in seinem Tagebuch: „Ein wüstes Land, eine Einöde, die von keiner Phantasie mit dem Glanz von Leben geschmückt werden könnte. Wir sahen auf dem ganzen Weg kein einziges menschliches Wesen, kaum einen Baum oder Strauch.“
Ein Reisender schrieb 1927: „Palästina ist ein Land der Ruinen. In fast keinem anderen Land sind die Ruinen so zahlreich. Das Land, das früher so eine große Bevölkerung ernährte, liegt nun völlig unfruchtbar da.“
Das war die Situation im 19. Jahrhundert. Heute sieht es in Israel ganz anders aus. Die Wüste blüht an vielen Stellen.
Natürlich ist das noch nicht die Erfüllung aller biblischen Verheißungen. Die überwältigende Mehrheit des Volkes Israel lehnt den Messias nach wie vor ab. Aber es gibt schon jetzt einen Überrest von Juden, die an Christus als den Messias glauben.
Paulus sagt in Römer 11, dass die Zeit kommen wird, in der ganz Israel, das dann lebende Israel, das durch die grausamen letzten Auseinandersetzungen der antichristlichen Zeit hindurchgegangen ist, gerettet wird.
Wir sehen aus dem Zusammenhang, dass sie durch den Glauben an Christus allein gerettet werden.
Damit haben wir unseren weiten Weg für heute abgeschlossen.
Ich fasse noch einmal zusammen und danke Ihnen, dass Sie so treu und geduldig bis zum Ende mitverfolgt haben.
Meine große Hoffnung ist, dass Sie jetzt einen Eindruck vom Gesamtzusammenhang Römer 9 bis 11 haben und ein Gefühl dafür bekommen, wie Paulus schildert, wie Gott mit seinem Volk zum Ziel kommt.
Am Anfang stand die Frage: Ist Gottes Verheißung zuverlässig? Die Antwort lautet: Ja, denn Gott erwählte immer nur einen Ausschnitt.
Dann die Frage: Ist das in seiner Souveränität noch gerecht? Die Antwort: Ja, denn bei Gott gibt es nur Gerechtigkeit oder Gnade.
Die dritte Frage: Kann der Mensch zur Verantwortung gezogen werden? Die Antwort: Ja, weil Gott alle Menschen durch Jesus Christus zum Glauben ruft.
Die vierte Frage: Hat Israel den Ruf zum Glauben nicht gehört? Die Antwort: Doch, aber sie haben sich verweigert und verhärtet.
Die große bedrückende Frage am Schluss: Gibt es dennoch Hoffnung und Zukunft für Israel?
Paulus beantwortet das für die Gegenwart: Hat Gott sein Volk verworfen? Nein, denn es gibt einen Überrest. Seht mich an, Paulus, und alle gläubigen Juden im ersten Jahrhundert, die zu Christus gehören. Gott hat sein Volk nicht verworfen.
Und für die Zukunft: Wird das Volk in seiner Gesamtheit vielleicht für immer verloren sein? Nein, das wird nicht geschehen. Ganz Israel wird gerettet werden, ganz Israel wird den Erlöser anrufen und ewigen Frieden finden.
Welch ein großer Bogen spannt Paulus vor uns auf!
Wenn wir das in den gesamten Römerbrief hineinnehmen, sehen wir erneut Gottes Grundprinzip: Er rettet Menschen durch den Glauben an Jesus Christus. Israel ist ein besonderer Fall, aber ein weiteres Beispiel dieses Prinzips.
Gott spricht menschengerecht und rettet verlorene Sünder allein durch den Glauben an Jesus Christus, der unsere Strafe getragen hat und uns mit dem Vater versöhnt.
Das ist die große Botschaft, die über allem steht.
So möchte ich schließen mit einer Jüdin. Eine Jüdin, die im zwanzigsten Jahrhundert lebte. Ihr Name war Marie Hajos. Sie wurde in Ungarn geboren, als Kind jüdischer Eltern. Noch bevor die Judenverfolgung begann, lernte Marie Hajos Jesus Christus kennen. Sie erkannte, dass er der versprochene Retter, der Messias ist, und betete Jesus Christus als ihren Gott und Herrn an.
Dann geriet sie, weil sie von Geburt an Jüdin war, in die Mühlen des Naziterrors. Sie erlebte, wie sie bewahrt wurde, wie der Herr Jesus Christus sie durchtrug und festhielt. 1959 kam sie nach Deutschland, um Menschen hier zu Jesus Christus einzuladen. Sie sagte: Auch ich als Jüdin weiß, es gibt keinen anderen Weg, keinen anderen Weg zur Rettung als den Versöhner Jesus Christus.
Viele Jahre später, als ihr Mann, der ebenfalls Christ geworden war, an Leukämie starb, wussten sie sich beide fest verankert in der Gewissheit, dass Christus sie durchtragen würde. Kurz vor seinem Tod sagte ihr Mann zu Marie: „Du sollst wissen, dass ich mit Freuden heimgehe.“ Als es dann so weit war, schrieb die Jüdin: In diesen Minuten erlebte ich, dass Jesus Christus mich, die ich ein ganzes Leben lang eine Sklavin der Todesangst gewesen war, davon völlig freimachte.
Diese Frau hat erfahren, was es heißt, zu Jesus Christus als dem Herrn und Retter zu finden. Sie gehört zu dem gläubigen Überrest, den es zu allen Zeiten gab. Es sind eben nicht nur Menschen aus den Heidenvölkern, sondern auch Menschen aus dem Judentum, die den Weg zu Christus als ihrem Herrn und Erlöser finden.
Gott sagt, auch die große Perspektive, auch die große Verheißung für sein Volk Israel wird sich noch erfüllen. So ist es unsere Verantwortung als Heidenchristen, aber auch als Judenchristen, für dieses Volk Israel zu beten. Wir sollen dafür beten, dass auch Juden zum Glauben an Jesus Christus finden. So wie wir auch dafür beten, dass Muslime, Hindus, vermeintliche Atheisten, postmoderne Hannoveraner und Bautzener zum Glauben an Jesus Christus finden. Ebenso beten wir für die Juden, dass der lebendige Gott seine großen Verheißungen an ihnen endgültig wahrmachen wird.
Er wird es tun und will auch uns diese Geborgenheit schenken, die es nur in Christus gibt. Diese Gewissheit, dass der Herr uns durchträgt bis zum Ziel, das wir gestern buchstabiert haben. Diese Gewissheit, dass nichts uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Jesus Christus ist, unserem Herrn.
Meine herzliche Bitte: Sollte jemand unter Ihnen sein, der diesen Schritt zu Christus noch nicht gegangen ist – wir gehen ja immer, wenn wir uns so treffen, mehr oder weniger selbstverständlich davon aus, dass die meisten von uns das getan haben. Wir reden und predigen hier als Christen. Das ist ja auch die Aufgabe dieser Tagung: eine Stärkung, eine Zurüstung der Christen zu sein für ihren Weg im Glauben und für ihren Dienst in dieser Welt.
Aber wir blicken einander nicht ins Herz, und das ist auch gut so. Nur Gott blickt uns ins Herz. Deswegen muss ich das auch überhaupt nicht wissen. Ich will nur sagen: Wenn jemand hier sein sollte, der das nicht von sich bekennen kann: Mein Leben gehört Jesus Christus, wenn er das nicht aus Überzeugung sagen kann, dass er an ihn als seinen Erlöser glaubt, ihm gehört sein Leben, ihm wird er folgen, er hält ihn fest und bringt ihn sicher ans Ziel – wenn Sie das so von sich nicht sagen können, dann verstehen Sie doch diese ganze Auslegung des Wortes Gottes auch als einen Ruf, mit dem Jesus Christus sich an Sie wendet.
Wir haben so oft darüber gesprochen, was es bedeutet, zum Glauben zu finden. Wir haben so oft darüber geredet, warum Christus sterben musste, um unsere Feindschaft, Ignoranz und unseren Unglauben gegenüber Gott wegzunehmen. Er trug die Schuld, die wir alle verdient hätten. Wenn Jesus nicht gekommen wäre, würden wir uns alle mit Sicherheit in der Hölle wiederfinden.
Aber er ist gekommen und hat sein Leben gegeben. Und er ruft auch Sie. Er ruft Sie und sagt: „Schau, was ich für dich getan habe. Wage es, dich mir anzuvertrauen. Gib zu, dass du meine Vergebung brauchst, und ich werde dich retten. Ich werde dich sicher nach Hause bringen. Und ich werde dich auch für all die Herausforderungen, die hier noch auf dich warten, wappnen. Ich werde bei dir sein, ich werde dich tragen.“
Christus verspricht uns nicht, dass er uns unbedingt vor allem Leid bewahrt. Aber er verspricht, dass er treu an unserer Seite steht. Dass er seine Leute nie mehr loslässt und dass auf Jesus Christus hundertprozentig Verlass ist.
Vertrauen Sie ihm! Er ist der Herr, er ist der König, Jesus Christus. Amen.