
Wie Gott den Siegeszug des Evangeliums in der Geschichte vorbereitet hat
Der Vortrag heute Abend trägt den Titel „Wegbereiter des Evangeliums“. Was genau damit gemeint ist, wird deutlich, wenn wir uns eine Bibelstelle anschauen. Diese finden wir in Galater 4,4. Dort heißt es: „Als aber die Fülle der Zeit kam, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau, geboren unter Gesetz, damit er die loskaufte, die unter Gesetz waren, damit wir die Sohnschaft empfingen.“
Für Paulus ist klar, dass Jesus Christus als Gott im Fleisch auf diese Erde kam, als die Fülle der Zeit erfüllt war. Das bedeutet, dass in der Geschichte alle Vorbereitungen abgeschlossen waren. Es war sprichwörtlich keine bessere Zeit denkbar, Gott im Fleisch aufzunehmen und eine Grundlage für die Verbreitung des Evangeliums zu schaffen.
Genau darum soll es heute Abend gehen: um die Frage, wie realistisch es eigentlich war, dass die Apostel – elf Männer, die Jesus über drei Jahre hinweg ausgebildet hatte – diesen gigantischen Auftrag, „Macht alle Nationen zu Jüngern“, erfüllen konnten.
War es nicht so, dass sie eigentlich keine gründliche Bildung hatten? Waren sie herausragende Persönlichkeiten? Besaßen sie in Politik und Kultur einflussreiche Hintermänner und Förderer? Nein, das war nicht der Fall. Manchmal vergessen wir, dass sogar die Apostel den Willen Gottes noch nicht vollständig erkannt hatten. Ein Beispiel ist Petrus, der erst auf dem Weg zu Cornelius lernen musste, dass Gott die Heiden mit in sein Reich aufnehmen will.
Schauen wir uns zudem an, wo die Apostel herkamen: aus einem Volk, das in einer untergeordneten Provinz am äußersten östlichen Ende des römischen Reiches lebte. Sind das die Voraussetzungen, um eine weltverändernde Botschaft innerhalb eines Jahrhunderts in die damals bekannte Welt zu tragen?
Menschlich gesprochen waren die Chancen für ihre Mission nahezu null. Doch es gab eine Chance. Und wir wissen aus der Geschichte, dass die Apostel das Evangelium gepredigt haben und dass das Evangelium seinen Weg in die Herzen der Menschen fand – und das innerhalb weniger Jahrzehnte im gesamten Mittelmeerraum.
Das Evangelium kam, als die Fülle der Zeit da war. Heute Abend soll es darum gehen, zu zeigen, in welcher Form Gott in der Geschichte gewirkt hat, um eine einzigartige Vorbereitung und eine einzigartige Grundlage für die Ausbreitung des Evangeliums in der Welt zu schaffen.
Dazu werden wir uns sechs Punkte anschauen. Meine Behauptung ist die, dass kein Abschnitt in der Geschichte der Menschheit geeigneter war, die junge Kirche aufzunehmen, als das erste Jahrhundert nach Christus.
Die historische Vorbereitung für die Ausbreitung des Evangeliums
Dass dies nicht völlig an den Fakten vorbeigeht, haben uns bereits die Kirchenväter aus dem zweiten Jahrhundert nach Christus mitgeteilt. So schreibt zum Beispiel Origenes rückblickend auf die Zeit, in der das Evangelium in die Welt kam, folgendes. Ich zitiere: „Gott bereitete die Völker zu für seine Lehre, damit sie unter einem römischen Herrscher waren. So machte nicht die unfreundliche Haltung der Völker zueinander, die durch das Vorhandensein vieler Königreiche verursacht war, es den Aposteln Jesu schwer, ihren Auftrag auszuführen. Es hätte die Verbreitung der Lehre Jesu in alle Welt gehindert, wenn es viele Reiche gegeben hätte. Und zwar nicht nur aus den erwähnten Gründen, sondern auch deshalb, weil die Menschen überall gezwungen gewesen wären, Kriegsdienst zu leisten und für die Verteidigung des Landes zu kämpfen.“
Origenes im zweiten Jahrhundert verstand sehr genau, dass Gott die Völker und die Geschichte zubereitet und vorbereitet hat. Gott legte die Grundlage für eine möglichst freundliche Aufnahme. Der erste Punkt, auf den er hinweist, ist der Friede, der damals herrschte. Dieser Friede gab den Menschen die Gelegenheit, nachzudenken, weil sie nicht zum Kriegsdienst herangezogen wurden.
Ich muss daran denken, wie das heute bei uns ist. Wir leben auch in einer Zeit des Friedens, und ich frage mich manchmal, inwieweit wir diese Zeit nutzen. Wir stehen nicht in der Gefahr, in einen Krieg hineinzuschlittern – zumindest nicht offensichtlich. So bleibt die Frage: Nutzen wir dieses Vorrecht? Sind wir solche, die die Zeit auskaufen, oder vertrödeln wir die Zeit? Sehen wir überhaupt, wie gewaltig positiv und wie freundlich das Leben und die Lebensumstände sind, in denen wir hier in Deutschland im Jahr 1999 leben?
Aber kommen wir zurück zu Origenes. Was betont er? Er betont meinen ersten Punkt, die sogenannte Pax Romana oder zu Deutsch der römische Friede. Wir können uns das heute kaum mehr vorstellen, aber die Ausbreitung des Evangeliums wäre kaum möglich gewesen, wenn Jesus, sagen wir mal, ein halbes Jahrhundert früher geboren worden wäre. Das Evangelium kam in eine Zeit des Friedens, und diese Zeit war beispielslos in der Geschichte. Die ganze damals bekannte Welt rund um das Mittelmeer war unter der Kontrolle einer einzigen Macht, nämlich unter der Kontrolle Roms.
Die politische und militärische Konsolidierung Roms als Voraussetzung
Das Römische Reich existierte in seinen Grenzen, das heißt rund um das Mittelmeer, schon früher – bereits einhundert Jahre vorher, genauer gesagt in der Mitte des zweiten Jahrhunderts vor Christus. Am Ende des Dritten Punischen Krieges, als die Römer Karthago zerstörten, war das Jahr 146 v. Chr. Damals war Rom zur beherrschenden Macht im Mittelmeerraum geworden. Es hatte nur 53 Jahre gedauert, um Rom die Alleinherrschaft in der damals bekannten Welt zu sichern.
Aber diesen äußeren Erfolgen folgten schnell blutige innere Unruhen. Nach dem Tod von Tiberius Gracchus, einem Reformer, kam es im Anschluss an den Sieg über Karthago zu einem jahrhundertlangen Bürgerkrieg. Vielleicht erinnert man sich an einige Namen aus dieser Zeit. Ich möchte sie kurz nennen: Marius, Sulla, Pompeius, Crassus und einer ist ganz besonders bekannt. Man kennt ihn zumindest aus Asterix und Obelix, nämlich Julius Caesar.
Mord für Mord in diesem Bürgerkrieg bewegte sich das römische Imperium trotz seiner Ausdehnung und Macht Stück für Stück auf den eigenen Untergang zu. Im Jahr 44 vor Christus wurde Julius Caesar durch Brutus und Cassius ermordet. Immer noch war kein Frieden in Sicht, der Bürgerkrieg ging weiter. Es wurde bis zum Schluss gekämpft, und zwei Männer blieben übrig: auf der einen Seite Marcus Antonius, auf der anderen Seite Octavian.
Im Jahr 31 vor Christus gewann Octavian die Schlacht von Actium, eine der bekanntesten Seeschlachten der Welt. Ein Jahr später siegte Octavian endgültig. Er nahm Alexandria ein, und Antonius sowie Kleopatra begingen Selbstmord. In diesem Moment hatte das Römische Reich einen einzigen Herrscher, und dieser Mann hieß Octavian – oder wie wir ihn später in der Bibel finden werden: Augustus.
Mit wirklich ehrlicher Dankbarkeit wandten sich Völker diesem Mann zu. In der Welt wurde er gefeiert als der Heiland der Welt. Die Dichter der damaligen Zeit sprachen von einem neuen Zeitalter. Noch heute können wir durch die Länder des ehemaligen Römischen Reiches rund ums Mittelmeer reisen und Inschriften einfacher Leute finden, die diesen Mann, Augustus, für den Frieden, den er ihnen gebracht hat, über alles loben, was wir sonst kennen.
Augustus brachte Frieden, und er war ein Mann, der diesen Frieden nicht nur brachte, sondern auch fähig war, ihn aufrechtzuerhalten. Selbstverständlich benutzte er dazu sein Heer. Das Heer bewachte die Grenzen, sodass nach außen keine Feinde in das Römische Reich eindringen konnten. Innerhalb der Grenzen war das Land befriedet.
In der Verwaltung war Augustus wirklich ein Fuchs. Die Verwaltung war so schlau durchdacht, dass die Gefahr eines Bürgerkrieges gebannt war und ein Jahrhundert Krieg zu Ende ging. Friede – aber Friede allein, auch wenn es einer der wichtigsten Punkte war, sollte nicht alles sein, was Augustus für das Evangelium und für die Verbreitung des Evangeliums getan hat.
Infrastruktur als Schlüssel für die Mission
Es gab einen zweiten Punkt, der eng mit dem ersten zusammenhängt. Wenn der Friede das Äußere darstellt, dann ist die Entwicklung eines ausgezeichneten Straßensystems ein weiterer wichtiger Aspekt, den wir nicht unterschätzen dürfen.
Augustus hatte ein besonderes Interesse an Straßen, weshalb die Entwicklung des Straßensystems zügig voranschritt. Er ging sogar so weit, dass die Unterhaltung der Straßen einem speziellen Ausschuss älterer Senatoren übertragen wurde. Wenn wir heute darüber nachdenken, verstehen wir, warum das wichtig war.
Er brauchte Straßen zunächst, um schnelle Truppenbewegungen durchführen zu können. Diese schnellen Bewegungen waren notwendig für Polizeieinsätze, wenn es irgendwo brannte, wenn militärisch schnell ein Aufstand niedergeschlagen werden musste oder wenn Feinde von außen heranrückten. In solchen Fällen mussten die Verteidigungskräfte des Landes rasch mobilisiert und an einem bestimmten Punkt der Grenze zusammengezogen werden.
Die römischen Straßen sind berühmt und werden bis heute genutzt. Man könnte sagen, die Römer waren vielleicht nicht besonders bekannt für sehr einfallsreiche Bauten, aber das, was sie gebaut haben, hielt meist fast ewig.
Ein weiterer Grund, warum man Straßen braucht, ist die Nachrichtenübermittlung. Erst unter Augustus wurde eine amtliche Post eingeführt. Natürlich konnte diese Post nur funktionieren, wenn es auch Wege gab, auf denen sich die Postboten vorwärts bewegen konnten.
Von Rom aus erstreckte sich das Straßensystem in alle Teile des Reiches. Durch dieses weit verzweigte Netz wurde der Handel gefördert und man könnte heute sogar von Tourismus sprechen. Es wurde plötzlich möglich, in einem Teil des Reiches etwas zu produzieren und es in einem anderen Teil zu verkaufen. Ebenso war es möglich, in einem Teil des Reiches aufzuwachsen und problemlos in einem ganz anderen Teil zu studieren.
Der vermehrte Kontakt der unterschiedlichen Bevölkerungsteile des Reiches führte dazu, dass die Kultur des Mittelmeerraumes zunehmend zu einer einheitlichen Kultur zusammengeschmiedet wurde. Wir wissen heute, dass die Christen der damaligen Zeit die Möglichkeit nutzten, sich schnell und sicher von einem Ort zum anderen zu bewegen, um das Evangelium zu verkünden.
Im Neuen Testament begegnen wir ganz selbstverständlich der Tatsache, dass Paulus lange Reisen unternahm. Vielleicht sind wir uns nicht immer bewusst, dass solche Reisen nach dem Niedergang des Römischen Reiches bis in unsere Zeit hinein nicht mehr möglich gewesen wären.
Damals konnte Paulus von Jerusalem über Antiochia durch die heutige Türkei bis nach Korinth und weiter nach Rom reisen. Er hätte sogar bis nach Spanien und einmal rund ums Mittelmeer reisen können, ohne auch nur ein einziges Visum zu benötigen.
Wenn er keine Waren mitgenommen hätte, hätte er neben einer geringen Steuer für die Straßennutzung überhaupt keine Abgaben leisten müssen. Er konnte einfach unbehelligt reisen.
Ein Vergleich der Reisegeschwindigkeit der damaligen Zeit mit der des Mittelalters zeigt sehr schnell, dass es, wenn man die Neuzeit außer Acht lässt, niemals in der Geschichte dieser Region eine höhere Reisegeschwindigkeit gab als im ersten Jahrhundert nach Christus.
Unser erster Punkt ist also: Augustus schuf den Frieden, einen wichtigen Wegbereiter des Evangeliums, um den Menschen die Ruhe und Gelassenheit zu geben, über das Evangelium nachzudenken.
Der zweite Punkt ist mindestens ebenso wichtig: Er schuf die logistischen Voraussetzungen für die Verbreitung des Evangeliums durch ein exzellentes, ausgebautes Straßensystem. Dieses war genau in dem Moment fertiggestellt, als die junge Kirche begann, die ersten Missionare auszusenden.
Die Bedeutung der griechischen Sprache und Kultur
Ein dritter Punkt ist die griechische Sprache. Sie ist ein sehr wichtiger Wegbereiter für das Evangelium. Man kann sagen, dass Griechenland mit dieser Sprache den bedeutendsten Beitrag zur Evangelisation der Welt geleistet hat.
In der damaligen Zeit war die griechische Sprache so weit verbreitet, dass man sie als allgemeinverständliche Umgangssprache bezeichnen konnte. Im Osten des Reiches wurde sie durch die Eroberung Alexanders des Großen zur allgemeinen Sprache. Im Westen geschah Ähnliches ab dem dritten Jahrhundert vor Christus, also etwa hundert Jahre später.
Wie lernten die Römer Griechisch? Hauptsächlich durch ihre Sklaven. Bei ihren Eroberungszügen hatten die Römer viele griechischsprachige und zum Teil hervorragend ausgebildete Sklaven gefangen genommen und nach Rom gebracht. Diese Menschen wurden schnell zu Lehrern, und man vertraute ihnen die Kinder an.
Verbunden mit einer gewissen Unwilligkeit, die eigene Sprache aufzugeben, machten sich diese griechischen Lehrer kaum die Mühe, Latein zu lernen. Stattdessen begannen die Römer, ihre eher ungehobelte Sprache gegen das in ihren Augen feinere Griechisch einzutauschen. Man kann das vielleicht mit der Vorliebe der Diplomaten im letzten Jahrhundert vergleichen, Französisch statt Englisch zu sprechen. Es war einfach fein und schick.
Wenn wir uns die frühen römischen Geschichtsschreiber anschauen, schreiben sie wie selbstverständlich in Griechisch. Viele offizielle römische Inschriften aus dem ersten Jahrhundert vor Christus waren ebenfalls in Griechisch verfasst. Cicero schreibt an einer Stelle: „Die ganze Welt spricht Griechisch und Latein. Tja, Latein spricht man eigentlich nur in seinem eigenen Land.“
Für uns mag es normal erscheinen, aber auch damals war es ganz selbstverständlich, dass Paulus an die Römer in Griechisch schrieb und nicht in Latein. Die Sprache war auch ein Merkmal der Herkunft und zeigte, ob man zum römischen Reich gehörte oder nicht. In Apostelgeschichte 21,37 fragt der Hauptmann Lysias den Apostel Paulus, den er gerade aus den Händen eines wütenden jüdischen Mobs befreit hatte: „Sprichst du Griechisch?“ Paulus antwortet deutlich mit „Ja“. Das zeigt: „Aha, dann kannst du nicht der Ägypter sein, der diesen Aufstand angezettelt hat.“
Eine gemeinsame Sprache war für die christliche Mission ein kaum zu überschätzender Vorteil. Man brauchte keine Missionssprachschulen. Die Menschen mussten sich nicht erst zwei, drei, vier oder fünf Jahre mühsam in eine neue Sprache einarbeiten, die vielleicht sogar an den nötigen Vokabeln mangelte.
Ich stelle mir vor, wie schwer es für einen Missionar auf Grönland war, zum Beispiel das Konzept eines Lammes zu erklären, wo es in diesem Land überhaupt keine Lämmer gibt und auch nie geben wird. Ganz anders war das mit dem Griechischen. Es war die Sprache eines unterworfenen Volkes. Man brachte sie weder mit dem Imperialismus der Römer in Verbindung, noch war sie irgendwie krude oder unbrauchbar.
Vielmehr war sie eine Sprache, die einfühlsam und anpassungsfähig war. Über Jahrhunderte hinweg hatten die größten Denker der Welt wirklich schwierige Gedanken genau in dieser Sprache ausformuliert. Es gab ein vorbereitetes philosophisches und theologisches Vokabular. Sie war einfach ideal geeignet, genau das weiterzugeben, was die Apostel sagen wollten: eine theologische Botschaft.
So war die allgemein verbreitete griechische Sprache der dritte wichtige Wegbereiter des Evangeliums.
Die geistige Vorbereitung durch griechisches Denken
Mehr noch als die Sprache kann man das Denken der Griechen in der damaligen Zeit als eine fast schon allgemeine Vorbereitung sehen. Die Dichter jener Zeit, insbesondere bei den Griechen, waren die Theologen des einfachen Volkes. Die Menschen leiteten ihre Vorstellungen von den Göttern und deren Handlungen aus den Sagen ab. So entstand in Griechenland der Götterhimmel des Olymp, eine Göttermythologie.
Wir wissen heute, wie diese Götter gelebt haben. Ihr Leben war geprägt von Ehebruch, Betrug und Lüge. Vielleicht denken wir, na ja, dann kam das Christentum, nahm sich dieses etwas groben Polytheismus an, und alle Menschen wandten sich Jesus zu. So gab es keine vielen Götter mehr. Doch das ist falsch.
Die Christen und auch die Evangelisten waren nicht die Ersten, die sich mit den Grausamkeiten der griechischen Götter beschäftigten. Gute Vorarbeit wurde durch griechische Philosophen geleistet. Platon war einer der Ersten, der das unwürdige Verhalten der herkömmlichen Götter scharf anprangerte. In seinen Fußstapfen folgten andere Menschen, sogenannte Sophisten.
Sophisten waren käufliche Lehrer, die man sich einkaufen konnte, um ein bisschen Spaß zu haben. Sie waren Menschen, die sehr gut reden konnten, sich witzig und gewählt ausdrückten und beißenden Spott verbreiteten. Eines ihrer häufigen Themen waren die Götter. Solche Menschen hatten natürlich einen riesigen Einfluss auf das einfache Volk.
Die christlichen Apologeten des zweiten Jahrhunderts nach Christus arbeiteten oft auf der Grundlage der griechischen Philosophen. Sie setzten die bereits begonnene Kritik fort, um die griechischen Götter zu widerlegen. Man kann sagen: Die Griechen konnten, weil sie ehrlich auf der Suche nach Wahrheit waren und gründliche Denker, ihre eigenen unwürdigen Götter nicht ertragen.
Zwei Beispiele, Platon und Aristoteles, zeigen, wie weit solche Denker bereits gegangen waren und wie sehr sie sich vom Polytheismus abgewandt hatten. Es geht hier darum, das griechische Denken der damaligen Zeit herauszustellen.
Vereinfacht gesagt besagt die Lehre Platons Folgendes – und ich weiß, das ist etwas kompliziert: Nach Platon ist die Welt, in der wir leben, also alles, was wir wahrnehmen können, eine Nachbildung von Ideen. Für Platon gibt es hinter der Welt einen Weltenschöpfer. Dieser Weltenschöpfer nimmt gestaltlose Materie und prägt ihr die Ideen auf.
Interessanterweise sagt Platon, dass er so die beste aller möglichen Welten schafft. In seinem Denken ist er an dieser Stelle nicht ganz konsistent und verändert häufig die Begrifflichkeiten. Für Platon ist die höchste Idee die Idee der Gottheit.
Was mich persönlich fasziniert, ist, wie weit Platon über diesen Weltenschöpfer nachdachte und wie er bereits zu dem Schluss kam, dass jede logisch oder intellektuell zurechtfertigende Gottesvorstellung von einem ethisch vollkommenen, unveränderlichen und sogar selbstgenügsamen Gott ausgehen muss.
Er schreibt über diesen Weltenschöpfer: „Er war gut, und das Gute hat nie zu irgendeiner Zeit eifersüchtige Gefühle gegen etwas. Deshalb wünschte er, dass alles möglichst so wurde wie er.“ Er schreibt den Schöpfungsakt der Güte Gottes zu. Das ist das, was ich eben vorgelesen habe.
In den Gedanken Platons musste Gott ein guter Gott sein. Auch Aristoteles neigte sehr zum Monotheismus. Er spricht im Blick auf unsere Welt von einem „ersten Beweger“, der die Welt durch sein Denken gestaltet.
Aristoteles weicht dem Polytheismus ganz bewusst aus. Er landet nicht bei einem persönlichen Gott, sondern bei einem unkörperlichen Gott, der sehr weit vom Menschen entfernt ist. Für Aristoteles ist Gott nur die Ursache aller Dinge, eine Wirkursache.
Eine Freundschaft zwischen Gott und Menschen ist für ihn undenkbar. In seinen Augen könnten wir Gott nie lieben, und Gott kann unsere Liebe auch nicht erwidern, weil er ja nur die Ursache, der erste Beweger, ist.
Doch was auch bei Aristoteles klar aus seinen Schriften hervorgeht, ist, dass er mit dem Polytheismus seiner Zeit nichts anfangen kann. Trotz aller Unterschiede zwischen dem Denken dieser griechischen Philosophen und unserem Gottesbild sehen wir, dass sie eine wichtige Vorarbeit geleistet haben.
Sie bewirkten in den Köpfen ihrer Zuhörer zumindest, dass der plumpe Polytheismus radikal infrage gestellt wurde. So bereiteten sie den Weg für ein Denken hin zu einem einzigen Gott. Und das waren die größten Denker ihrer Zeit.
Wie gesagt, die christlichen Apologeten, die Verteidiger des Glaubens, bedienten sich gerne der Einsichten griechischer Philosophen. Dabei gab es natürlich zwei Richtungen.
Die eine sagte: Nein, man darf das nicht, das ist falsch. Man darf keine Anleihen an die Welt machen. Viele Christen denken heute noch so. Die andere Richtung vertrat zum Beispiel Justinus Martyr, den wir schon in einem anderen Vortrag hatten.
Genauso handelte auch Origenes. Er schrieb als Verteidigung gegen den Vorwurf, dass er im Rahmen seiner Glaubensverteidigung immer wieder auf griechische Dichter und Philosophen zurückgreift. Er schrieb: Wenn wir an einigen Stellen dasselbe lehren wie die Dichter und Philosophen, heißt das ja, dass es im Christentum Lehren gibt, die ähnlich oder sogar identisch sind mit dem, was die Dichter und Philosophen der Griechen vorangegangener Jahrhunderte gelehrt hatten.
Also sagt Justinus Martyr: Wenn wir an einigen Stellen dasselbe lehren wie die Dichter und Philosophen, die ihr verehrt, und wenn wir an anderen Stellen vollständiger und göttlicher sind in unserer Lehre – das heißt, Justinus versteht sehr wohl, dass das Denken eines Platon zwar auf Gott hinweist und in einigen Punkten Recht hat, aber dass es nicht vollständig und schon gar nicht göttlich inspiriert ist.
Er fragt weiter: Wenn wir an anderen Stellen vollständiger und göttlicher sind in unserer Lehre und allen den Beweis für das liefern, was wir lehren, warum werden wir dann ungerechterweise mehr gehasst als alle anderen?
Das ist der Punkt, den er nicht versteht, und die Vorhaltung, die er seinen Gegnern macht: Warum verfolgt ihr uns? Wir lehren doch gar nicht so anders als Platon oder Aristoteles.
Er bringt Beispiele: Wenn wir sagen, dass alle Dinge von Gott geschaffen und zu einer Welt zusammengefügt wurden, lehren wir etwas Ähnliches wie die Stoiker. Wenn wir behaupten, dass die Seelen der Gottlosen, die auch nach dem Tod noch ein Empfindungsvermögen haben, bestraft werden und dass die Seelen der Guten frei von Strafe ein seliges Dasein genießen, sagen wir doch dasselbe wie die Dichter und Philosophen.
Und wenn wir behaupten, dass Menschen nicht die Werke ihrer Hände anbeten sollen, sagen wir genau das Gleiche wie der Lustspieldichter Menander.
Insofern griff die christliche Apologetik gerne auf die vorbereitenden Arbeiten der griechischen Philosophen zurück. Damit bewegte und gewann sie viele Menschen in den ersten beiden Jahrhunderten.
Somit wird das griechische Denken als ein Wegbereiter für das Evangelium gesehen. Wenn wir versuchen, in die damalige Zeit einzutauchen und mit dem Denken der Philosophen konfrontiert werden, können wir uns gut vorstellen: Es gab wenige Intellektuelle, die viel Freude an solchen Gedanken hatten.
Die religiösen Bedürfnisse der Menschen waren jedoch nicht wirklich befriedigt. Die Sehnsucht des Menschen nach einer religiösen Erfahrung ist etwas sehr Reales – auch bei uns, das dürfen wir nicht vergessen.
Diese Sehnsucht wurde weder durch die Staatsreligion noch durch die Anbetung von Hausgeistern, die im häuslichen Bereich praktiziert wurde, gestillt. Beides – Staatsreligion auf der einen Seite wie auch der Hausgeisterglaube – war nicht sehr gefühlsbetont.
Das brachte den Menschen keine Befriedigung und füllte nicht das Vakuum, das in ihrer Sehnsucht nach Gott vorhanden war. Das erleben wir heute auch.
Immer wenn das der Fall ist, sind Menschen offen für gefühlsbetonte Kulte oder Sekten. Was ist so ein Kult? Es ist eine Art Geheimklub. Nur wenn du zu diesem Klub gehörst, wenn du Anhänger des Kultes bist, wirst du in die Rätsel der Welt eingeführt.
Natürlich war es verboten, die religiösen Riten nach außen bekannt zu machen. Die griechisch-römische Welt der damaligen Zeit war von solchen Geheimkulten überzogen. Wir lesen davon auch im 1. Korinther 8,5.
Dort schreibt Paulus an die Korinther: „Denn wenn es auch sogenannte Götter gibt im Himmel oder auf Erden, wie es ja viele Götter und viele Herren gibt, so ist doch für uns ein Gott, der Vater, von dem alle Dinge sind, und wir zu ihm; und ein Herr, Jesus Christus, durch den alle Dinge sind und wir durch ihn.“
Paulus zitiert hier, dass es viele Götter und viele Herren gibt. Mit dem Wort „Götter“ bezeichnet er die Summe aller Götter des Olymp, also den griechischen Götterhimmel des Olymp. Diese Leute nannte man Götter.
Er schreibt weiter „wie es ja viele Götter und viele Herren gibt“. „Herren“ ist das Wort, das man für die Götter der Mysterienreligionen verwendete, also die Götter der Kulte, die bekanntesten.
Zum Beispiel die Kybele oder die Große Mutter in Kleinasien, Dionysos in Griechenland, Isis, Osiris und Serapis in Ägypten, oder den Mithraskult in Persien.
Das ist vielleicht ein bisschen witzig, aber in den Augen der Römer war auch das Judentum und später das Christentum ein Kult, eine Sekte.
Wie gingen die Römer mit solchen Kulten um? Im Allgemeinen ließ man die privaten religiösen Kulte gewähren, solange die Anhänger sich nicht gegen die Moral oder den Staat wandten.
Ich denke, die römischen Kaiser wussten sehr wohl, dass ein Kult für das einfache Volk eine Art Ventilcharakter hatte. Es war Begeisterung da, die Kulte wurden von Berufspriestern geleitet, die die Neulinge in die Bedeutung der Kulthandlungen einführten.
Es gab keine staatlichen Zuschüsse – das klingt ganz nach einer freikirchlichen Gemeinde – sondern alle lebten von dem, was ihre Anhänger beitrugen.
In den Kulten fanden sich sowohl die unteren als auch die oberen Schichten. Es gab Gemeinschaft, menschliche Kontakte auf Ebenen, die sonst nicht vorhanden waren. Man aß gemeinsam, tanzte gemeinsam, feierte gemeinsam.
Mindestens für Sklaven und Frauen gab es in diesen Kulten ein Mindestmaß an Freiheit. Das machte die Kulte attraktiv – dieses Gemeinschaftselement – und darüber hinaus drei weitere Punkte:
Die Lösung der Schuldfrage, die Suche nach Sicherheit und der Hunger nach Unsterblichkeit.
Diese drei existenziellen Bedürfnisse des Menschen wurden scheinbar durch die Kulte gelöst, und das machte sie anziehend.
Die religiöse Situation und die Rolle der Kulte
Kommen wir zur ersten Frage: der Lösung der Schuldfrage. Wir dürfen nicht annehmen, dass es in der damaligen Welt kein Empfinden für Sünde gegeben hätte. Seit dem fünften Jahrhundert vor Christus hatte sich der Begriff oder das Denken von Sünde im griechischen Denken etabliert. Es war klar, dass böse Taten bestraft werden müssen, dass Schuld gesühnt werden muss und dass Menschen für ihre Taten verantwortlich sind.
Man ging sogar so weit, die Bürgerkriege im Land als Strafe für das unwürdige Verhalten der Bürger und ihre religiöse Gleichgültigkeit zu deuten. In der Literatur finden wir bei einigen Schriftstellern, wie zum Beispiel Vergil oder Seneca, ein echtes Empfinden für Sünde.
Doch was machte der einfache Mann auf der Straße, der ebenfalls ein Schuldgefühl hatte? Wohin wandte er sich mit seiner Schuld? Er schloss sich einem Kult an. Man kann sich vorstellen, welchen bleibenden Eindruck beispielsweise der Einführungsritus im Kybele-Kult hinterließ.
Stellen Sie sich Folgendes vor: Es wird jetzt ein bisschen blutig, aber stellen Sie sich vor, Sie sind ein Eingeweihter. Sie sind neu dazugekommen und möchten, wenn Sie Ihre Schuld spüren, irgendwie davon loskommen. Man nimmt Sie und bringt Sie zu einem Rost. Sie werden unter diesen Rost gestellt, und oben auf den Rost legt man einen lebendigen Stier oder zum Beispiel auch einen Widder. Besonders eindrücklich ist es beim Stier. Dann schneidet man diesem Stier die Kehle durch, und das Blut läuft durch den Rost auf Sie herab. Sie werden mit Blut getränkt. Das ist ein Zeichen für die sühnende und auch für die stärkende Kraft des Tieres.
Der Mann, der unter dem Rost steht, kommt als Neuling heraus und ruft aus, er sei wiedergeboren in Ewigkeit. Stellen Sie sich vor, Sie haben das hinter sich und sind nun Teil dieses Systems. Man verspricht Ihnen, dass Ihre Schuld gesühnt ist. Das ist ein Bedürfnis, das jeder Mensch hat.
Ein zweites Bedürfnis ist die Suche nach Sicherheit. Damals, wie übrigens auch heute, glaube ich, dass wir uns diesen Zeiten immer mehr annähern, hatten die Menschen eine tiefe Angst vor bösen geistigen Mächten. Oft fühlten sie sich wie ein Spielball in der Hand eines unkontrollierbar scheinenden Schicksals.
Das hing auch damit zusammen, dass im ersten Jahrhundert vor Christus die Astrologie eine weite, wirklich sehr weite Verbreitung gefunden hatte. Man meinte, das Schicksal eines Menschen könne man am Stand der Gestirne bei seiner Geburt feststellen, und er sei daran gebunden. Kaiser wie Tiberius, Claudius und Nero standen richtig unter dem Bann von Astrologen.
Auch hier, wenn der Mensch meint, er sei an ein Schicksal gebunden, das er nicht beeinflussen kann, und er selbst nicht die Kraft hat, sich daraus zu lösen, bieten die Kulte einen Ausweg an. Die Vorstellung war, dass man sich mit einem Gott verbinden muss. In der Verbindung mit diesem Gott bringt die Vereinigung Sicherheit.
Wie diese Vereinigung geschieht, war sehr unterschiedlich. Sie konnte zum Beispiel beim Dionysos-Kult dadurch entstehen, dass man sich in eine rasende Ekstase steigerte. Es konnte auch, wie beim Serapis-Kult, einfach durch ein heiliges Essen geschehen. Das Ziel war jedoch immer dasselbe: eine Verbindung zwischen sich selbst und dem Gott herzustellen.
Dieser Gott war größer als das Schicksal. Demzufolge war man, weil man an diesem Gott hing, nicht mehr dem Schicksal ausgeliefert, das mit einem machen konnte, was es wollte. Man war sicher.
Das dritte, was diese Kulte den Menschen anboten, war Unsterblichkeit. Auch auf diese Frage hatte die Staatsreligion keine Antwort. Doch die meisten Mysterienkulte versprachen den Eingeweihten Unsterblichkeit, zum Beispiel der Kybele-Kult, Dionysos, Mithras oder Isis.
Diese Kulte bereiteten die Menschen vor, indem sie sie mit der Realität ihrer Schuld, der Realität ihrer Suche nach Sicherheit und mit der Realität ihres Traums und Hungers nach Unsterblichkeit konfrontierten.
In diese Zeit hinein kommt das Christentum und gibt auf diese drei Fragen eine Antwort, die weit über die Qualität der Kultantworten hinausgeht. Eine Antwort, die zutiefst befriedigt und eine wirkliche, echte Verbindung mit dem lebendigen Gott schafft – eine spürbare Verbindung.
So dass neben dem Frieden, dem römischen Straßensystem, der griechischen Sprache, dem griechischen Denken und den Kulten nun noch ein letzter Punkt behandelt werden soll.
Die Rolle des Judentums als Wegbereiter
Dieser letzte Punkt: Das ist das Judentum. Das Judentum gehört zu den Wegbereitern des Evangeliums. Inwiefern?
Das Judentum hatte sich schon Hunderte von Jahren vor Christi Geburt im gesamten Mittelmeerraum verbreitet. Man kann das sehr schön daran sehen, wenn man die Orte auf einer Karte einträgt, von denen die Pilger zum Pfingstfest nach Jerusalem kamen. Sie kamen aus der ganzen damals bekannten Welt.
Die Juden hatten sehr lange politisch keinen Kontakt zu Rom. Das änderte sich im Jahr 63 vor Christus, als Pompeius Jerusalem einnahm. Pompeius war entschlossen, in den Tempel einzudringen und nachzusehen, was sich im geheimnisvollen Allerheiligsten befand. Natürlich versuchte man, ihn daran zu hindern, aber er drang trotzdem ein, und sein brennendes Interesse wurde gestillt. Er schaute hinter den Vorhang, und man kann sich sein Erstaunen vorstellen.
Was war denn im Allerheiligsten drin? Rein gar nichts. Der Raum war leer. Für einen Römer war das etwas absolut Unverständliches. Sie erwarteten mindestens das Bild irgendeines Gottes. Von dieser Zeit an waren die Römer sich ganz sicher, dass Juden Atheisten seien. Denn wenn man kein Götterbild hat, hat man keinen Gott, und wenn man keinen Gott hat, dann ist man ein Atheist. Tacitus schreibt darüber, dass ihr Heiligtum leer war und ihre Geheimnisse ohne Bedeutung.
Pompeius nahm also Jerusalem 63 v. Chr. ein, und Tausende von Juden wurden nach Rom gebracht und als Sklaven verkauft. Aber sie waren eher unbequeme Sklaven, denn stellt euch vor, ihr habt einen Sklaven gekauft, der äußerlich attraktiv aussieht und arbeitet. Dann eines Morgens, wenn ihr ihn wecken wollt oder erwartet, dass er aufsteht, bleibt er liegen. Auf die Frage, warum er nicht weiterarbeitet, sagt er: "Heute ist Sabbat, ich werde heute nicht arbeiten." Oder stellt euch vor, ihr gebt eurem Sklaven etwas von eurem leckeren Abendbrot ab, und er sagt: "Nein, das esse ich nicht."
Relativ zügig wurden viele Sklaven aus der Sklaverei entlassen, und es bildete sich bald eine eigene Kolonie in der römischen Vorstadt Trastevere.
Der nächste Schritt auf dem Weg zur Anerkennung der jüdischen Religion war Julius Caesar. Die Juden hatten ihn mit Soldaten unterstützt, und zwar in einer ganz schwierigen Situation. Deshalb gewährte er amtlich festgesetzte Rechte. Diese waren wirklich umfangreich. Ich kann euch einige Beispiele nennen: Niemand durfte sie an der Durchführung der Opfer oder anderer religiöser Verpflichtungen hindern. Sie durften nicht gezwungen werden, den Sabbat zu brechen, selbst im Militärdienst nicht. Außerdem waren sie vom Militärdienst befreit.
Es wurde gewährleistet, dass der Hohepriester sein Amt ausüben durfte. Die Speisegesetze wurden geachtet, und in großen Städten hatten sie entweder einen eigenen Senat oder sogar eigene Gerichtshöfe. So finden wir zu Beginn des ersten Jahrhunderts eine weite Verbreitung der Juden sowie eine staatliche Anerkennung und Legitimierung ihrer Religion.
Darüber hinaus übten die Juden eine unglaubliche Anziehungskraft auf andere Völker aus. Worin lag diese Anziehungskraft? Ganz kurz in vier Punkten:
Erstens in ihrem Monotheismus. Sie verehrten den Schöpfergott, der der Richter aller Menschen sein würde, und das war extrem attraktiv. Es war nicht dieser halbherzige Monotheismus der griechischen Philosophen, den kaum jemand verstehen konnte.
Platon etwa schrieb, es sei eine schwere Aufgabe, den Erbauer und Vater des Weltalls zu finden, also über Gott nachzudenken. Und wenn man ihn gefunden hat, sei es unmöglich, ihn allen Menschen bekannt zu machen. Damit meint Platon, dass es unglaublich schwer sei, über Gott nachzudenken, und wenn man zu irgendeinem Schluss kommt, schafft man es kaum, anderen Menschen zu erklären, was man gefunden hat. Für einfache Menschen war der philosophische Ansatz Platons einfach nicht verständlich und nicht nachdenkbar.
Ganz anders die Juden. Schlichte, einfache Menschen konnten sich durch das Alte Testament belehren lassen. Sie konnten sich diesem einen wahren Gott anschließen, der sich in der Geschichte der Juden offenbart hatte. Dieser Gott hatte so einfache Regeln aufgestellt und reichte den Menschen sinnbildlich die Hand zur Versöhnung.
Der zweite Punkt ist die Septuaginta, die Übersetzung des Alten Testaments ins Griechische. Sie machte es nicht nur den Juden, sondern jedem, der es sich leisten konnte, möglich, das, was die Juden glaubten, relativ zügig zu verstehen. Da war nichts Geheimnisvolles dabei.
Dieser Monotheismus und die Übersetzung ins Griechische des Alten Testaments und damit der Zugang zu den Schriften der Juden wurden im dritten Punkt zusammengebracht: in einem regelmäßigen Gottesdienst.
Der Gottesdienst der Juden fand entweder in der Synagoge oder im Freien statt. Der Ablauf war immer ähnlich: Gebet, Singen – meistens Psalmen oder wahrscheinlich nur Psalmen –, Schriftlesung und Ermahnung. Die Ermahnung ging schon in Richtung Andacht.
Wer nahm an diesen Gottesdiensten teil? Zum einen die Juden selbst. Dann gab es Menschen, die von Geburt aus keine Juden waren, aber im Laufe des Lebens Juden geworden sind. Das ging so weit, dass sie eine Taufe über sich hatten ergehen lassen müssen, und die Männer mussten beschnitten werden. Diese Menschen nennt man Proselyten.
Neben Juden und Proselyten gab es immer auch die sogenannten Gottesfürchtigen. Das waren Menschen, die keine Juden waren und nicht zum Judentum übergetreten waren, aber sich eng an diese jüdische Gemeinschaft von ihrer religiösen Auffassung her angeschlossen hatten.
Man kann sich vorstellen, dass dieser Unterschied zwischen Juden, Proselyten und Gottesfürchtigen, wobei die Gottesfürchtigen – egal wie reich und angesehen sie in der Gesellschaft waren – innerhalb der religiösen Gemeinschaft bei weitem nicht den Stand eines Juden hatten, ein schwieriger Punkt war.
Als dann das Christentum kam und all diese Klassendifferenzen im Christentum plötzlich hinfällig wurden, wo auch die Speisegesetze weggefallen sind und die Beschneidung als zwingende Voraussetzung für die Bekehrung zum Judentum entfiel, wurde das Christentum natürlich sehr schnell sehr attraktiv. Besonders für jene Menschen, die so eng am Judentum lebten, sich aber nun gerne diesem neuen Glauben anschlossen, der ja eine Weiterentwicklung des schon bekannten jüdischen Glaubens war.
Ein letzter Punkt ist der der Mission. Die Juden waren irgendwie darauf aus, Proselyten oder neue Anhänger zu gewinnen. Es gab in der damaligen Welt keine andere Religion außer dem Judentum, die so intolerant gewesen ist. Alleine das Judentum beanspruchte für sich, die allein wahre Religion zu sein.
Alle anderen Religionen waren eher tolerant und hatten auch ein Stück weit Angst. Angst in der Form, dass die meisten Menschen damals glaubten: Wenn ich aus Versehen vielleicht die mächtige Gottheit eines anderen Volkes beleidige, dann bekomme ich mit dieser Gottheit Probleme. Deshalb waren sie eher tolerant. Das war das vorherrschende Denken.
Ganz anders die Juden, die sagten: Es gibt nur einen Gott. Und dieser eine Gott hat Himmel und Erde gemacht. Wir gehören zu diesem einen Gott. Deshalb waren die Juden in der damaligen Zeit auch bekannt für ihren Eifer, Proselyten zu machen. Viele Griechen wurden zum Judentum bekehrt, wirklich viele.
Ein bisschen lesen wir dazu in Matthäus 23,15, dort allerdings unter sehr negativen Vorzeichen, weil Jesus die Pharisäer angreift und ihnen folgenden Vorwurf macht: "Wehe euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, Heuchler, denn ihr durchzieht das Meer und das trockene Land, um einen Proselyten zu machen."
Da war ein Eifer dahinter. Vielleicht war es ein Eifer ohne Erkenntnis, aber es war Eifer.
Und wenn wir denken, wir seien die Ersten, die Traktate verteilt haben, dann stimmt das nicht. Bereits die Rabbinen der damaligen Zeit schrieben missionarische Traktate zum Weitergeben, um andere Menschen auf das Judentum hinzuweisen.
Natürlich änderte sich das mit Beginn der Judenverfolgung im Jahr 70 nach Christus und dann noch einmal stärker und endgültig mit der Niederwerfung des großen Aufstandes 135 nach Christus, diesem Aufstand unter Bar Kochba, dem falschen Messias.
Seit dieser Zeit haben sich die Juden zurückgezogen und ihren missionarischen Eifer verloren.
Aber unbestreitbar stellt das Judentum einen sechsten und letzten Wegbereiter für das Evangelium dar. Denn sie waren staatlich geschützt, und in diesem staatlichen Schutz konnte das Christentum gedeihen.
Das Judentum bereitete den Gedanken eines einfachen, auf das Alte Testament gegründeten Monotheismus vor. Es lieferte mit der Septuaginta die Übersetzung der Schriften, auch der christlichen Schriften, ins Griechische und damit die weite Verbreitung.
Es hatte durch die regelmäßigen Gottesdienste eine Vorform des christlichen Gottesdienstes geschaffen. Und der missionarische Eifer musste den Menschen nicht erst vermittelt werden, er war schon in ihrem Denken verankert, in dem Moment, wo sie das Evangelium hörten.
Zusammenfassung der sechs Wegbereiter
Und so möchte ich jetzt abschließen und noch einmal kurz die sechs Wegbereiter aufzählen.
Es sind der Friede Roms, das Straßensystem, die griechische Sprache, das griechische Denken sowie die Kulte und das Judentum.
Diese Faktoren haben in der damaligen Zeit auf einzigartige Weise zusammengewirkt. Sie trugen dazu bei, dass die Zeit wie keine andere in der Geschichte bereit war, die frohe Botschaft von Jesus Christus aufzunehmen.
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