Einführung in das Thema Grausamkeit und Leitvers
Markus hat das ja schon gesagt. Das Thema heute lautet Grausamkeit. Für alle Gäste ist es interessant zu wissen, dass wir im Kindergottesdienst jedes Jahr etwa zehn bis zwölf Themen behandeln. Diese Themen ziehen wir auch in den Hauptgottesdienst am ersten Sonntag im Monat mit ein. Wir probieren das einfach mal aus.
Das Thema Grausamkeit hat einen Leitvers, den ihr vorne auf dem Blatt findet. Tabea hat ihn freundlicherweise darauf geschrieben. Wenn ihr also einen Vers auswendig lernen wollt – was sich bei ethischen Themen immer anbietet, weil sie so praktisch sind –, dann wäre das der Vers. Man muss nicht etwas über die Endzeit lernen, sondern über etwas, das einen auch persönlich treffen kann.
Der Leitvers lautet: „Der Gerechte kümmert sich um das Wohlergehen seines Viehs.“ Damit sind Katzen, Kanarienvögel, Hunde und Ähnliches gemeint. Ihr könnt auch an Rinder, Schafe und anderes denken. Aber in unserem Kontext hier, in der Stadtbevölkerung, denkt an Katzen und nicht an Schafe, an Kanarienvögel und nicht an Rinder. Von der Idee her heißt es: „Der Gerechte kümmert sich um das Wohlergehen seines Viehs, aber das Herz der Gottlosen ist grausam.“
Grausamkeit hat Hochkonjunktur. Zum Glück nicht so, wie Thomas das letzte Woche vorgestellt hat, zur Zeit des Nationalsozialismus. Aber auch wenn wir keine Konzentrationslager in Deutschland haben, sehe ich, was an Horrorfilmen und Computerspielen herauskommt. Wenn man sich in der Videothek umschaut, sieht man viele Spiele mit der roten 18er-Freigabe. Da denkt man: „Boah, da möchtest du nicht mal sehen, was wirklich drin ist.“ Ich zumindest brauche mir das nicht mehr anzutun.
Grausamkeit zeigt sich natürlich auch ganz praktisch im Internetmobbing. Menschen begehen Selbstmord, weil ihre Bilder oder Nacktbilder ins Internet gestellt werden und sie diese einfach nicht mehr loswerden. Auch im Umgang von Eltern mit ihren Kindern, den wir oft bei Lehrerinnen und Lehrern beobachten, gibt es viel real existierende Vernachlässigung.
Grausamkeit ist also etwas, das man nicht einfach bei den anderen suchen kann. Wir leben in einer Gesellschaft, in der Grausamkeit irgendwie präsent ist. Und wir haben uns auch ein Stück weit daran gewöhnt.
Grausamkeit in biblischer Perspektive: 2. Timotheus 3 und Sprüche 11
Ich möchte mit euch einfach mal den Zweiten Timotheusbrief aufschlagen, und zwar Kapitel 3. Dort beschreibt Paulus die Zeit, in der wir jetzt leben. Er spricht von den letzten Tagen, und damit ist die Zeit gemeint, bevor Jesus wiederkommt.
Paulus beschreibt diese Zeit, und wenn ich ganz ehrlich bin, dann ist das so ein Vers, den ich gar nicht so sehr mag. Denn er hat recht, und irgendwie schmeckt mir das gar nicht, dass Paulus mir sagt: So, ich sag dir mal, wie die Zeit ist, in der du lebst.
2. Timotheus 3,1: „Dies aber wisse, dass in den letzten Tagen schwere Zeiten eintreten werden.“ Oder auch „böse Zeiten“, denn die Menschen werden selbstsüchtig sein, also Egoisten, geldliebend, prahlerisch – das heißt angeberisch –, hochmütig, lästerlich, den Eltern ungehorsam, undankbar, unheilig, lieblos, unversöhnlich, verleumderisch, unenthaltsam.
Und dann kommt das Wort, um das es mir geht: grausam. Wir leben in einer Welt, in der Grausamkeit irgendwie völlig normal ist. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns Gedanken darüber machen, was Grausamkeit eigentlich ist.
Um diesen Begriff für mich zu definieren, möchte ich mit euch ins Alte Testament einsteigen und einen Vers nehmen, der zwei Dinge gegenüberstellt, nämlich Sprüche 11,17. Dort geht es um Folgendes – ich lese mal vor:
Sprüche 11,17: „Es erweist der Gütige sich selbst Gutes, doch schneidet sich ins eigene Fleisch der Grausame.“
Zwei Dinge werden gegenübergestellt, und diese Gegenüberstellung wird immer wieder verwendet, weil sie einander bedingen oder definieren. So funktioniert das eben.
Auf der einen Seite steht der Gütige, der sich selbst Gutes erweist, und auf der anderen Seite der Grausame, der sich ins eigene Fleisch schneidet.
Wir sagen das heute auch noch: Wenn jemand sich ins eigene Fleisch schneidet, dann ritzt er sich. Das könnte man vielleicht denken, aber das Bild meint, dass jemand sich selbst schadet.
Der Gütige ist also jemand, der Gutes tut. Man könnte erst mal denken, ein Gütiger ist immer der Verlierer. Das ist jemand, der sich in andere investiert. Vielleicht ist das einer, der immer ein gutes Wort hat, wenn jemand einen braucht, der tröstet, wenn Trost gebraucht wird, der Zeit gibt, wenn jemand Zeit braucht, der Geld gibt, wenn jemand Geld braucht, der Mitgefühl zeigt, wenn jemand Mitgefühl braucht.
Wenn man das so durchdenkt, könnte man meinen: Der gibt und gibt und gibt, und am Ende hat er alles gegeben. Das kann sich doch nicht lohnen, gütig zu sein, oder?
Aber Salomo sagt: „Es erweist der Gütige sich selbst Gutes.“ Wenn man darüber nachdenkt, was jemand bekommt, der Gutes tut, ist es wirklich so, dass der Gütige immer nur als Verlierer dasteht?
Es stimmt einfach, was Salomo sagt. Nein, der Gütige ist nicht nur der Verlierer. Natürlich investiert er Zeit, Geld und Emotionen, aber er bekommt auch etwas dafür.
Er erhält zum Beispiel Anerkennung von Menschen, er bekommt Freude, Freunde, die ihn lieben, und etwas, das ganz, ganz wertvoll ist – nur heute nicht unser Thema: Er bekommt einen Charakter.
Ein Charakter ist immer das Produkt dessen, was ich tue. Der Gütige, der sich für andere investiert, ist jemand, der einen schönen Charakter bekommt. Das sollte man nie unterschätzen.
Also: Es erweist der Gütige sich selbst Gutes.
Jetzt kommen wir zum Gegenteil: „Doch schneidet sich ins eigene Fleisch der Grausame.“
Dem Gütigen, der einen Blick für den anderen hat, steht also der Grausame gegenüber.
Dieses Wort „Grausam“ kann man auch anders übersetzen, und es ist mir wichtig, dass ihr das mal gehört habt. Es kann auch „unbarmherzig“ heißen.
Das ist derselbe Begriff im Hebräischen, der manchmal mit „unbarmherzig“ oder „grausam“ übersetzt wird.
Das ist mir deshalb wichtig, weil wir den Begriff selten auf uns selbst anwenden.
Klar, es gibt Leute, die Tiere quälen, die Meerschweinchen aufspießen oder mit Feuerzeugen verbrennen, oder Folterknechte in Verliesen – die sind grausam.
Aber wenn ich jetzt fragen würde: „Bist du grausam?“ – „Nö, so grausam bin ich nicht. Ich hatte vielleicht mal einen schlechten Tag, aber richtig grausam? Nein.“
Ich glaube, keiner würde sagen: „Warst du letzte Woche so richtig grausam?“ – „Ja klar, fällt mir fünf Beweise ein!“ – Eher nicht.
Deshalb ist es wichtig, dass wir den Begriff aus dieser ultra-negativen Ecke herausholen, damit wir nicht denken, Grausamkeit betrifft nur fünf Leute auf der Welt, aber nicht uns.
Deshalb bringe ich jetzt einen zweiten Begriff, der sprachlich das ein bisschen aufweicht, aber als Übersetzung für den Originalbegriff taugt: „unbarmherzig“.
Das heißt: Die Bibel sagt, es gibt Menschen, die schlecht mit anderen umgehen, die grausam oder unbarmherzig sind.
Und eigentlich sagt die Bibel: Dieses Element, diese Bestie steckt in jedem Menschen drin, vielleicht nicht in jedem, aber in fast jedem.
Es braucht nur die richtigen Umstände, und dann kann man das auch rauskitzeln.
Für uns ist es wichtig zu verstehen, wo Grausamkeit oder Unbarmherzigkeit beginnt, damit wir uns bei so einem Vers über Grausamkeit nicht zu schnell einreden, das habe nichts mit uns zu tun.
Also: Wo beginnt Grausamkeit?
Von der Bibel her, vielleicht nicht von unserem Denken, aber da müssen wir umdenken: Grausamkeit beginnt da, wo ich gütig sein könnte, es aber nicht bin. Ganz einfach.
Der Gütige steht dem Grausamen gegenüber.
Grausamkeit ist also quasi Nichtgüte.
Das heißt: Da, wo ich eigentlich etwas Gutes tun könnte und es nicht tue, da fängt Grausamkeit an.
Ich werde das gleich noch einschränken, ihr müsst noch nicht erschrecken.
Ich will noch einmal das Wort „Unbarmherzigkeit“ etwas definieren.
Bei Barmherzigkeit geht es immer darum, dass einer stark ist, und es geht um die Frage, wie er mit einem Schwachen umgeht.
Oder: Einer ist mächtig, und wie geht er mit einem, der weniger mächtig oder weniger Einfluss hat, um?
Der Barmherzige ist der, der mildtätig, einfühlsam und gut mit dem anderen umgeht.
Der Grausame oder Unbarmherzige tut das gerade nicht.
Es spielt erst einmal keine Rolle, warum er das tut.
Es könnte sein, ich bin unbarmherzig, einfach weil mich der andere nicht interessiert – Desinteresse.
Es könnte genauso gut sein, ich bin bewusst grausam und lege es darauf an, den anderen fertigzumachen.
In beiden Fällen ist es dieselbe Sünde, nur ein anderer Grund, wie ich dazu gekommen bin.
Grausamkeit beginnt mit Unbarmherzigkeit, beginnt damit, dass ich einem anderen, den Gott mir zeigt, wo ich eigentlich eine Verantwortung für ihn habe, sage: Nein, die möchte ich nicht übernehmen.
Da fängt es an und endet an der Stelle, wo ich wirklich so zum Folterknecht oder Peiniger werde, der Spaß und Lust daran hat, wenn der andere in seinem Leiden zuckt und ich noch einen draufsetze.
Ihr erinnert euch an das Beispiel mit den Stromstößen, das ich letztes Mal gebracht habe, wo ich sage: „Und jetzt noch mal hundert Volt mehr!“
Ja, da endet es.
Wir gehen wieder an den Anfang zurück, denn selten stehen wir in der Situation, dass wir einen anderen quälen können in einem psychologischen Experiment.
Aber zurück: Wo ich Gutes tun kann, wo ich ...
Ich muss etwas sagen: Du bist nicht dazu berufen, diese Welt und das Leid dieser Welt zu lindern.
Das ist ganz wichtig, dass du das begreifst.
Du bist nicht für das Leid dieser Welt verantwortlich.
Du bist nur verantwortlich für den Bereich, in dem du selbst steckst, wo du auf Menschen mit einer konkreten Not triffst und in der Lage bist, dieser Not zu begegnen.
Also nicht, dass du denkst: „Boah, ich wache jeden Morgen auf und sehe diese kleinen schwarzen Kinder in Afrika verhungern.“
Wenn dich das anspricht, lass dich berühren, ja, aber du wirst wenig ändern können.
Es ist vielleicht interessanter, darüber nachzudenken, wo du heute auf Menschen triffst, denen du konkret begegnen kannst.
Erinnert ihr euch an den barmherzigen Samariter? Kennt ihr die Geschichte?
Einer zieht von Jerusalem Richtung Jericho. Unter einem Strauch liegt jemand. Wie kam der dahin? Na ja, er ist überfallen worden, halb totgeschlagen und liegen gelassen.
Jetzt kommt die Situation: Ich stehe da mittendrin und sehe den da liegen. Was mache ich jetzt?
Schaue ich auf die Uhr und sage: „Das gibt mein Terminplan nicht mehr her, mich um den zu kümmern“ und gehe weiter?
Obwohl ich ihn nur auf meinen Esel packen, in der nächsten Herberge abliefern und dem Wirt ein paar Euro in die Hand drücken müsste?
Ja, ist es das?
Das ist genau das Thema.
Ich habe da einen, dem ich – Jesus sagt – zum Nächsten werden kann.
Und diese Momente, in denen ich anderen zum Nächsten werden kann, sind die Momente, in denen ich verantwortlich bin, Gutes zu tun.
Und wo es anfängt, dass ich, wenn ich es nicht tue, grausam werde.
Grausamkeit als Verantwortungslosigkeit und Beispiele aus der Gesellschaft
Wir wollen uns heute nur über die Grausamkeit unterhalten. Der Gottlose ist derjenige, der dort, wo er helfen sollte, nicht hilft. Denn, wie es hier im Text heißt – Sprüche 11, oder war es Sprüche 12, Vers 10 – ist sein Herz grausam.
Da ist jemand, der hat ein Tier, zum Beispiel einen Kanarienvogel in einem Käfig. Du schaust hinein und denkst, er hat ein bisschen wenig Futter. „Oh, er hat noch Zeit“, sagst du dir. Dann geht er zum Kühlschrank, nimmt sein Frühstück und Mittagessen, schaut wieder in den Käfig – immer noch leer. Der Vogel hat immer noch zu wenig Futter, und der Besitzer hat immer noch Zeit. Am Mittag wird deutlich: Das Herz der Gottlosen ist grausam.
Sie tragen Verantwortung und sollten sich um andere kümmern, doch sie tun es nicht. Der Gerechte hingegen sorgt für das Wohlergehen seines Viehs. Aber das Herz der Gottlosen bleibt grausam.
Wenn wir eine konkrete Not sehen, sollen wir helfen. Tun wir das nicht, haben wir ein Problem. Im Inneren beginnt dann eine Fehlentscheidung. Deshalb stellt sich die Frage: Warum ist es eigentlich so schwer für Menschen, sich einfach um andere zu kümmern?
Wenn es heißt, dass der Gütige sich selbst Gutes erweist, müsste man doch denken: Wann immer ich jemanden finde, der unter einem Busch liegt, den ich auf meinen Esel laden und mitnehmen kann, oder wann immer ich etwas Gutes tun kann, müsste ich es doch sofort tun. Es fällt doch auf mich zurück. Warum tun es die Menschen dann nicht?
Vielleicht liegt die Antwort darin, dass wir im Grunde unseres Herzens uns selbst am nächsten sind. Dann kommen wir in eine Situation wie der barmherzige Samariter und fragen uns, ob wir helfen sollten. Irgendetwas in uns sagt, ja, das wäre richtig. Aber dann denken wir: „Boah, der Aufwand! Ich hatte mir den Tag ganz anders vorgestellt. Ich wollte meinen Esel nehmen und um drei Uhr bei meinen Kindern sein. Jetzt liegt der Kerl da unter dem Busch, und er riecht schon ein bisschen, weil er da schon länger liegt. Ich muss hingehen, ihn anfassen, und dann schlabber ich mich voll. Mein Esel stinkt danach, und ich weiß nicht, was noch alles passiert. Und das kostet auch noch Geld.“
Das ist genau das Problem der Güte. Wir neigen dazu zu sagen: Wir sind uns selbst der Nächste.
Es gibt, möchte ich sagen, eine natürliche Tendenz in einer Gesellschaft – in der ganzen Gesellschaft – sich von der Barmherzigkeit weg und hin zur Grausamkeit zu entwickeln. Oder man könnte auch sagen: hin zum Egoismus. Es ist erschreckend, wo man da überall hineinschauen kann.
Ich gebe euch mal drei ganz verschiedene, vielleicht etwas provokante Beispiele. Ihr wisst bestimmt noch viele andere, wenn ihr darüber nachdenkt.
Erstes Beispiel: vernünftige Tierhaltung. Wir alle wollen vielleicht ein Ei essen oder mal ein Stück Fleisch. Die natürliche Tendenz führt von einer vernünftigen Tierhaltung, wie man sie sich auf einem großen Bauernhof vorstellt, hin zur Massentierhaltung. Das einzelne Tier wird zum Objekt.
Wenn ihr dann Filme aus Legebatterien seht, in denen mehr oder weniger federlose „Zombie-Hühner“ ein Ei nach dem anderen in engen Käfigen legen, denkt ihr: „Boah, das ist doch nicht richtig.“ Man muss nicht Vegetarier werden, das will ich nicht sagen. Aber man muss erkennen, dass wir eine Grenze überschreiten. Es geht in eine Richtung, in der wir sagen: „Sorry, hier haben wir etwas verlassen. Das ist nicht mehr artgerecht.“ Da wird aus einem Tier, einem Geschöpf, eine Maschine gemacht. Und wenn die nicht mehr richtig funktioniert, wird sie einfach entsorgt.
Zweites Beispiel: Das mag jemanden erschrecken, wenn ich es anspreche. Aber ich wünsche mir, dass in einer Gesellschaft Menschen geholfen wird. Was daraus geworden ist, ist Hartz IV – ein System, das Menschen zu staatlichen Bettlern macht. Es nimmt die Besitzenden aus der Verantwortung heraus, weil „Papa Staat“ das regelt, wer auch immer dieser „Papa Staat“ sein mag.
Wenn man genau hinschaut, gibt der Staat zwar Geld an die Menschen, schadet aber ihrer Seele, ihren Familien und vor allem ihren Kindern. Es war ein guter Gedanke, aber am Ende entstand ein System, das viele Elemente von Menschenverachtung in sich trägt. Das war sicher nicht gewollt, aber es gibt einen Drift in diese Richtung. Und wir bewegen uns weiter darauf zu.
Drittes Beispiel: „Mein Bauch gehört mir“ – einer der Sprüche, die ich überhaupt nicht mag. Ein Slogan für das Recht auf Abtreibung. „Mein Bauch gehört mir.“ Ich frage mich immer, ob jemand mal die Frage gestellt hat: Wem gehört der Bauch des Kindes in diesem Bauch?
Ich lese in „Ideaspektrum“, einer christlichen Wochenzeitschrift, und dort heißt es: „Bis zum Ende der fünften Woche dieses Jahres werden in Deutschland nach offizieller Statistik etwa 10 Kinder im Mutterleib getötet worden sein.“ Wir sind erst in der fünften Woche, und es sind schon fünfstellig viele.
Ist das nicht irre? Entschuldigung, das ist eine Tendenz.
Was ich zeigen möchte, ist: Wir haben eine Tendenz zur Grausamkeit – ob wir sie sehen wollen oder nicht. Eine natürliche Tendenz in einer Gesellschaft hin zum Egoismus.
Deshalb ist die Bibel voll von Anweisungen, um dem entgegenzusteuern. Ich werde einen ganzen Blumenstrauß an Beispielen aus verschiedenen Bereichen bringen. Es ist, als würde Gott ständig sagen: „Nein, nein, nein!“ und uns immer wieder davon abhalten wollen.
Wenn man nicht genau weiß, wo diese Grausamkeit im Sinne von Unbarmherzigkeit beginnt – im Sinne davon, dass Menschen sich ihrer Verantwortung entziehen und sagen: „Nein, ich helfe dir nicht. Nein, ich kümmere mich nicht um dich. Nein, du kannst gerne verrecken, das ist mir egal.“ – dann ist das überall ein bisschen zu finden.
Gott hat viele Gebote gegeben, damit sich Unbarmherzigkeit in einer Gesellschaft nicht durchsetzen kann. Gott steht unglaublich für Mitgefühl und gegen Grausamkeit.
Ich möchte euch ein paar dieser Gebote zeigen. Vielleicht habt ihr einige davon noch nie gehört – das ist einfach so.
Gottes Gebote als Schutz vor Grausamkeit
5. Mose 22,6-7. Es geht mir darum zu zeigen, dass Gott wirklich ein Gott ist, der sagt: Ich bin dafür, dass du eine sensible Art erhältst. Verstehst du? Nein, du lebst hier nicht, um abgehärtet zu sein, um dich in Drachenblut zu baden und danach quasi gegen alles, was kommt, immun zu sein. Nein, du darfst feinfühlig sein. Du darfst sogar, wenn du Christ bist, feinfühliger werden.
5. Mose 22,6-7 – über diesen Vers habe ich noch nie gepredigt und werde es wahrscheinlich auch nie wieder tun. Wenn sich zufällig ein Vogelnest vor dir auf dem Weg findet, du gehst spazieren und siehst ein Vogelnest – auf irgendeinem Baum oder auf der Erde, mit Jungen oder mit Eiern – und die Mutter sitzt auf den Jungen oder auf den Eiern, dann darfst du die Mutter nicht wegnehmen. Du sollst die Mutter unbedingt fliegen lassen, die Jungen aber darfst du dir nehmen, damit es dir gut geht und du deine Tage verlängerst.
Jetzt denkst du dir vielleicht: Super Gebot! Also, wenn du mal spazieren gehst und irgendwo ein Gelege siehst – Eier, Vogel, Henne drauf – die Mutter musst du fliegen lassen, die Eier und Jungen darfst du nehmen. Warum? Man kann ein bisschen darüber nachdenken, das ist nicht ganz so offensichtlich. Aber wenn du es andersrum machst, wenn du die Mutter nimmst und die Jungen zurücklässt, was passiert mit den Jungen? Sie werden verhungern, ganz simpel. Es ist einfach nur grausam. Und Gott sagt: Ich bin gegen Grausamkeit.
Wenn du an der Stelle etwas haben willst, du kannst den Vogel essen, das ist kein Problem. Wir sind keine Vegetarier, du kannst dich bedienen. Aber die Mutter lässt du frei. Wenn ihr heutzutage überlegt, wir reden über Nachhaltigkeit beim Wirtschaften, das ist genau das. Wenn du mal ein Beispiel brauchst, warum Gott gegen Schleppnetze ist, das ist der Vers. Denn beim Schleppnetz ziehst du alles raus, was irgendwo da kreucht und fleucht, klein, groß und so weiter – einfach weg. Und wir wundern uns, dass nichts mehr übrig bleibt. Ja, logisch.
Aber heute geht es mir nicht um Schleppnetze, heute geht es mir darum, dass Gott sagt: Sei sensibel, wenn du so etwas machst. Sorge dafür, dass du nicht, ohne es zu wollen, vielleicht dafür verantwortlich wirst, dass ein kleines Küken verreckt. Das will Gott nicht. Du kannst das Küken essen, das ist okay. Aber du darfst es nicht verhungern lassen.
Eine andere Stelle, ebenfalls aus 5. Mose, ist 25,4 – auch so eine herrliche Stelle: Du sollst dem Ochsen nicht das Maul verbinden, wenn er drischt. Was bedeutet Dreschen? Dreschen heißt, dass man beim Getreide die Körner vom Stängel löst, an dem sie hängen. Wie kann man das machen? Man kann daraufhauen, draufstampfen oder einen Ochsen nehmen, dem hinten einen Schlitten ansetzen. Dann zieht der Ochse diesen schweren Schlitten immer wieder darüber.
Stellt euch so einen Ochsen vor: Es ist heiß, und er stapft auf einer Riesentenne, läuft in Kreisen, hat seinen Schlitten dahinter, stapft und stapft. Unter ihm liegt Getreide pur, logisch, alles feinstes Fressi. Und der Ochse stampft so. Hat der ein Recht darauf, mal reinzubeißen? Ja, logisch! Es ist einfach grausam, einem Tier, das den ganzen Tag arbeitet und Essen sieht, zu sagen: Du bekommst nichts davon. Und deswegen sollst du ihm das Maul nicht verbinden.
Wir schmunzeln darüber. Aber warum macht Gott das? Weil Gott tatsächlich, so verrückt es zunächst klingt, nicht möchte, dass wir uns angewöhnen, andere einfach auszunutzen – nicht einmal einen Ochsen. Wenn der Ochse seinen Job macht und die ganze Zeit das Fressen sieht, ist es doch kein Problem, ihm mal reinbeißen zu lassen. Du hast genug davon, du kannst fair mit deinem Ochsen umgehen.
Im Neuen Testament wird das dann auf Gemeindeleiter und Evangelisten übertragen. Gott ist ein Gott, der ein Interesse daran hat, dass wir mit den uns anvertrauten Menschen richtig gut umgehen. Im Alten Testament findet ihr interessante Regeln, wie man mit armen Leuten umgehen soll. Da heißt es zum Beispiel, alle sieben Jahre soll es einen Schuldenerlass geben. Irre, oder? Arme Leute, die sich verschulden müssen und nicht mehr herauskommen, erhalten alle sieben Jahre Schuldenerlass. Staatlich verordnete Mildtätigkeit – irre!
Schaut mal in 5. Mose 15,7: Wenn es einen Armen bei dir geben wird, irgendeinen deiner Brüder in einem deiner Tore, in deinem Land, das der Herr, dein Gott, dir gibt, dann sollst du dein Herz nicht verhärten und deine Hand vor deinem Bruder, dem Armen, nicht verschließen. Das ist bewusste Mildtätigkeit. Du sollst nicht einfach sagen: „Wenn jemand in Not ist, gib ihm was.“ Nein, du sollst ihm deine Hand weit öffnen und ihm willig ausleihen, was für seinen Mangel ausreicht.
Hüte dich davor, dass in deinem Herzen nicht der boshafte Gedanke entsteht, das siebte Jahr, das Erlassjahr, sei nahe. Klar, der hat Not und sagt: „Kannst du mir mal ein Hunni leihen?“ Und du denkst: „Könnte ich schon, aber nächstes Jahr kriegst du eh alle Schulden erlassen.“ Super, dann gebe ich dir dieses Jahr noch mal richtig viel, und nächstes Jahr kriege ich nichts zurück. So ist es. Wenn du hast – und wir reden hier nicht über Schmarotzertum, sondern über echte Not – dann gib ihm doch einfach.
Wir könnten vom Neuen Testament her noch viel deutlicher sagen: Es ist ja eh nicht dein Geld. Wenn du Überfluss hast – woher kommt der? Er kommt daher, dass Gott dir gegeben hat. Und dieses Kümmern um den Armen geht weiter. Alle 50 Jahre sollte eine Landreform durchgeführt werden, sodass dort, wo man Land verloren hatte, es wieder an die ursprünglichen Besitzer oder Familien zurückkam.
Man durfte von den armen Leuten keinen Zins nehmen. Man durfte die Felder nicht vollständig abernten, damit die Armen, die kein eigenes Feld hatten, nach der Haupternte noch etwas sammeln konnten. Es gab damals keine Mähdrescher, das heißt, die Ernte wurde von Hand gemacht, und manches blieb stehen. Die Armen durften dann noch einmal drübergehen und sich selbst etwas sammeln. Wer das Buch Ruth kennt, weiß, wie das aussieht. Sie ziehen einfach hinter den Schnittern her, also hinter denen mit den Sensen und Sicheln. Es ist irre.
Und es geht noch weiter. In 5. Mose 5, den Zehn Geboten, gibt es ein Gebot, das so klingt: „Sechs Tage sollst du arbeiten und all deine Arbeit tun. Aber der siebte Tag ist Sabbat für den Herrn, deinen Gott. Du sollst an ihm keinerlei Arbeit tun.“ Du, dein Sohn, deine Tochter, dein Sklave, deine Sklavin, dein Rind, dein Esel und all dein Vieh und der Fremde, der innerhalb deiner Tore wohnt, sollen ruhen, damit dein Sklave und deine Sklavin ruhen wie du.
Hammer! Ihr müsst euch das vorstellen: In einer Gesellschaft, in der Sklaven oft rechtlos waren, sagt Gott, damit wir nicht übertreiben mit dem Arbeiten: Sechs Tage sind genug, und einen Tag machen wir richtig schön Pause – einmal ausruhen für alle. Warum? Weil Gott dir sagen darf, wann genug ist. Du musst nicht andere Menschen, ein Rind, einen Esel oder ein Schaf auspressen, bis nichts mehr herauskommt. Ich habe wieder an meine Legebatterien gedacht.
Nächste Sache: Lex Talionis, im Prinzip „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Im Alten Testament bekommt der Richter die Anweisung, dass Strafe und Schuld einander entsprechen müssen. Hm, sagst du, ist das mildtätig, „Auge um Auge, Zahn um Zahn“? Ja, es ist mildtätig, weil es uns im doppelten Sinn vor Grausamkeit bewahrt.
Grausamkeit wirkt in zwei Richtungen. Es ist genauso grausam, wenn der Schuldige eine übertriebene Strafe bekommt, wie wenn der Geschädigte keine entsprechende Kompensation erhält. Auch das ist grausam. Dieses Prinzip ist simpel. In Deutschland haben wir das momentan, glaube ich, nicht mehr. Wenn dir etwas passiert, musst du ziemlich kämpfen, um deinen Schaden ersetzt zu bekommen.
Das Prinzip „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ ist so simpel und natürlich. Es geht nicht darum, dass du dein Auge gibst, wenn dir jemand deins ausgerissen hat. Eine Ersatzzahlung ist das Mittel der Wahl und auch üblich. Bei Sklaven ist es so, dass man sie freilassen muss. Die Idee ist, dieselbe Strafe oder die richtige Strafe zur richtigen Schuld.
Wenn wir in die Bibel schauen, was die erste Sünde nach dem Sündenfall ist, dann ist es Mord. Es beginnt mit Zorn, der dann tatsächlich zum Mord wird. Das Nächste, was uns begegnet, ist die Unterdrückung von Frauen. Dann kommt sofort Polygamie. Und kurz danach, in 1. Mose 4,23, hören wir von Lamech. Ich möchte nicht, dass mein Schwiegersohn jemals Lamech heißt.
Er hatte zwei Frauen, Ada und Zilla, und sagt: „Hört meine Stimme, Frauen Lamechs, horcht auf meine Rede! Für einen Mann erschlug ich, für meine Wunde; einen Knaben für meine Strieme. Wenn Kain siebenfach gerecht wird, so wird Lamech siebenundsiebzigfach gerecht.“ Merkt ihr was? Da ist jemand richtig durchgeknallt. Er sagt: Wenn du mir etwas tust, auch nur eine Kleinigkeit, dann mache ich dich platt.
Das ist die Idee dahinter. Und Lex Talionis, was erst mal so komisch klingt – „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ – ist das Gerechteste, was du dir vorstellen kannst. Gleichzeitig ist es das am wenigsten Grausame, weil alle zu dem Recht kommen, was ihnen zusteht.
Es gibt keine Lamech-Typen, die sagen: „Wenn du mir in die Quere kommst, mache ich dich kalt.“ Und es gibt keine, die sagen: „Ich kann mir alles erlauben, und niemand kann mich vor Gericht ziehen.“ Es gibt beides nicht. Es ist total fair und total gut. Genau das setzt Gott ein, damit diese Tendenz in einer Gesellschaft, wenn Unrecht und Böses wachsen und wir immer mehr die Barmherzigkeit verlassen und in Richtung Grausamkeit, Unrecht und Egoismus gehen, gut gewährt werden kann.
Persönliche Reflexion und Umgang mit Grausamkeit
Meine Sorge ist, dass das, was in einer Gesellschaft passiert – diese Tendenz zur Grausamkeit – auch in unserem Leben stattfinden kann. Dass also auch bei uns eine schleichende Verrohung Einzug hält. Vielleicht ist das, was uns vor zehn Jahren noch empört hat, wo wir gesagt haben: „Nein, damit möchte ich nichts zu tun haben“, heute weniger betroffen. Vielleicht sind wir gegenüber dem Leid anderer Menschen weniger mitfühlend und barmherzig geworden.
Damit das nicht passiert, möchte ich euch gerne zwei, drei, vier Tipps mitgeben, wie wir als Erwachsene mit dem Thema Grausamkeit umgehen können. Ich würde mich wirklich freuen, wenn wir darüber nachdenken, wo wir Grausamkeit in unser Leben hineingelassen haben.
Wie gesagt, diese Welt ist eine grausame Welt. Das kann sich zeigen durch Filme, Musik, Bilder oder Bücher, durch Gewaltfantasien. Es kann sein, dass Dinge, die du vor zehn Jahren noch abgelehnt hast, heute ganz normal in deinem Leben sind und du dir gar nichts mehr dabei denkst.
Der zweite Punkt betrifft unser Reden. Was in Gedanken beginnt, spiegelt sich in den Worten wider, die wir aussprechen. Lange bevor die Konzentrationslager für Juden geöffnet wurden, hat man sie beschimpft, verunglimpft, lächerlich gemacht und mit Worten entmenschlicht. Und dann kam das andere – die Gewalt – hinterher.
Die Frage lautet: Gibt es Menschen, über die du nichts Gutes sagen kannst? Gibt es solche Menschen in deinem Leben? Das wäre wirklich schade und ein Punkt, über den man nachdenken sollte.
Die dritte Sache ist: Wo kümmern wir uns nicht um Menschen, um die wir uns kümmern sollten? Noch einmal: Du musst nicht die Last der Welt und das Leid der Welt auf deine Schultern nehmen, das ist nicht möglich. Aber gibt es Menschen, bei denen du, wenn du darüber nachdenkst und auch im Gebet darüber nachdenkst, sagst: „Da hätte ich eigentlich eine gute Gelegenheit gehabt“? Menschen, die sich helfen lassen müssen, klar. Aber da ist auch eine Verantwortung, der ich im Moment nicht nachkomme.
Gibt es so etwas? Bin ich jemand, der anderen Menschen manchmal die kalte Schulter zeigt? Bin ich jemand, der sich vielleicht bei einer Aussprache verweigert, obwohl ich weiß, dass ich den ersten Schritt auf den anderen zu machen müsste? Gibt es irgendwo einen Egoismus, der sich eingenistet hat, sodass etwas Gutes zu tun nicht passiert, weil ich es nicht will?
An dieser Stelle fängt Grausamkeit an.
Zum Schluss möchte ich euch bitten, darüber nachzudenken: Wie kann ich eine Kultur der Güte und des Mitgefühls in meiner Familie, in meinem Leben schaffen? Es geht nicht nur darum, nicht grausam zu sein – das ist zu billig. Es geht darum zu lieben, also nicht nur das Falsche zu unterlassen, sondern das Richtige zu tun.
Manchmal muss ich erkennen, wo das Falsche ist, damit ich mich davon distanzieren kann. Aber die effektivste Methode, etwas Schlechtes loszuwerden, ist, es durch Gutes zu ersetzen.
Wenn wir also über Grausamkeit nachdenken und es stimmt, dass Grausamkeit dort beginnt, wo ich das Tun von Gutem übersehe oder unterlasse, dann lasst uns darüber nachdenken, was Jesus getan hat. Jesus hat uns dazu berufen, zu dienen, weil er es uns vorgemacht hat.
Gottes Wesen zwischen Barmherzigkeit und Gericht
Glaubst du, dass Gott grausam ist? Diese Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten. Wenn du jemals bei einem Bibelquiz gefragt wirst: „Ist Gott grausam?“, dann antworte am besten mit Ja und Nein.
Nein, Gott ist nicht grausam im Sinne von unbarmherzig. Er ist der Inbegriff von Barmherzigkeit. Gott stirbt am Kreuz für unsere Schuld. Er ist das absolute Beispiel für Liebe und Barmherzigkeit. Es ist ein starker Gott, der für uns schwach wird. Ein mächtiger Gott, der bereit ist, seine Macht auszusetzen, um uns zu dienen. Das ist beeindruckend! Das ist das Evangelium.
Gott schenkt uns im Überfluss seine Güte, sein Mitleid, sein Erbarmen und seine Erlösung. Das ist die eine Seite: Nein, Gott ist nicht unbarmherzig. Punkt.
Aber es gibt auch eine andere Seite. Die Barmherzigkeit Gottes hat ein Ende. Gott bietet Rettung an, aber er zwingt sie niemandem auf. Wenn du immer wieder sagst: „Nein, danke, hab schon, super, danke, nee, nee, lass gut sein, Gott brauche ich nicht“, wenn du immer wieder ablehnst, dann kommt der Punkt, an dem Gott nicht mehr als Retter, sondern als Richter vor dir steht.
Wenn Gott sich immer wieder abgelehnt fühlt und merkt: „Ich komme bei diesem Menschen nicht durch“, dann begegnet dieser Mensch Gott als Richter. In Jesaja 13,9 heißt es dazu:
„Siehe, der Tag des Herrn kommt grausam, mit Grimm und Zornglut, um die Erde zur Wüste zu machen, und ihre Sünder wird er von ihr austilgen.“
Dieser Tag ist ein grausamer Tag des Herrn, ein unbarmherziger Tag des Gerichts. An diesem Tag richtet Gott die Sünder. Er sagt: Wenn du meine Barmherzigkeit nicht annehmen willst, dann kommst du an den Punkt, an dem nur noch meine Unbarmherzigkeit übrig bleibt. Wenn du mich nicht als Retter haben möchtest, dann bekommst du mich als Richter.
Aber es war nie Gottes Absicht, dass das einem Menschen passiert. Das muss uns ganz klar sein. Gott setzt alles daran, dass dieser Moment niemals eintritt. Doch wenn ein Mensch sich immer wieder dagegen entscheidet, dann kann es einfach geschehen.
Deshalb steht jeder Mensch vor dieser Entscheidung: Möchte ich Gottes Barmherzigkeit in meinem Leben erfahren oder möchte ich Gottes Grimm?
Einladung zum Brotbrechen als Zeichen der Barmherzigkeit
Wir haben heute den ersten Sonntag im Monat und wollen gemeinsam das Brotbrechen feiern. Dabei geht es mir nicht darum, über den Grimm Gottes zu sprechen, sondern vielmehr über seine Barmherzigkeit.
Wenn wir einen Moment in der Geschichte suchen, in dem die Barmherzigkeit Gottes besonders sichtbar wird, dann ist es das Kreuz. Es ist der Moment, in dem Jesus unsere Grausamkeit und das, was wir angestellt haben, auf sich nimmt. Er trägt unseren Mangel an Güte, unsere Sünde und unser Versagen. Jesus lädt sich selbst mit diesem Sack voller Sünden, die eigentlich unsere sind, auf. Er lässt sich an ein Kreuz nageln und stirbt dort elendig, um für unsere Schuld zu bezahlen.
Wenn wir gemeinsam das Brotbrechen feiern, laden wir jeden herzlich ein, der ein Kind Gottes ist und das für sich weiß. Wer sagen kann: „Ja, Jesus ist in meinem Leben König und Herr“, ist eingeladen, teilzunehmen. Wir feiern das auf unterschiedliche Weise. Es gibt kleine Kelche mit Traubensaft, die bitte zum Platz mitgenommen und dort stehen gelassen werden können. Außerdem gibt es einen Kelch mit Rotwein und kleine Stückchen Brot, von denen sich jeder eins nehmen kann.
Das Brotbrechen als Gemeinde ist zunächst einmal ein Gedächtnismal. Wir essen zusammen und miteinander, weil wir uns gemeinsam an das erinnern wollen, was Jesus getan hat. Wir sind die Grausamen, und er ist der mit Mitgefühl, der für uns stirbt. So wie wir das Brot nehmen und zerkauen, hat er sich für uns zerkauen und kaputtmachen lassen. Wenn wir vom Kelch nehmen, sei es im Kleinen oder im Großen – das spielt keine Rolle – drücken wir aus, dass wir zu Jesus gehören. Wir sind ein Team, wir gehören zusammen.
Wir wollen, dass das, was am Kreuz passiert ist, tatsächlich in unserem Leben Realität wird. Ich weiß nicht, aus was für einer Woche ihr kommt, aber wir wollen uns ganz bewusst dafür entscheiden, nicht grausam zu sein. Jesus war nicht grausam, und wir wollen es auch nicht sein. Jesus war barmherzig, und wir wollen uns bewusst für Barmherzigkeit entscheiden. Wir wollen schauen, wo sich Grausamkeit eingeschlichen hat, und sie wieder rausschmeißen.
Das ist eine innere Entscheidung: Ich nehme teil und sage „Danke, Herr, dass du für meine Sünde bezahlt hast.“ Ich möchte, dass alle das sehen: Ich möchte dir nachfolgen, du bist mein Herr, ich gehöre zu dir, ich will dir dienen.
Wer das sagen kann, ist eingeladen, nach vorne zu kommen. Ich würde gern noch ein Gebet sprechen und dann Phil bitten, dass er beim Ersten mit dabei ist. Danach haben wir Zeit. Ihr könnt dann in Ruhe für euch beten und euch die Zeit nehmen, die ihr braucht.
Schlussgebet
Vater im Himmel, ich möchte dir danken, dass du ein barmherziger Gott bist. Das zeigt sich immer wieder in den verschiedenen Ordnungen, die du gegeben hast – von Vogelnestern über das bürgerliche Gesetzbuch für Israel bis hin zu deinem Kommen auf diese Erde durch deinen Sohn, der für unsere Sünden gestorben ist.
Ich danke dir, dass sich deine Barmherzigkeit immer wieder zeigt. Du hast es wirklich darauf angelegt, uns zu zeigen, wie wichtig es ist, zu lieben und zu dienen.
Herr Jesus, ich danke dir von Herzen dafür, dass du gestorben bist. Du weißt, wie wir uns fühlen. Manchmal fühlen wir uns überlegen, und manchmal geht es uns ganz schlecht. Doch im Angesicht des Kreuzes spielt das keine Rolle. Denn wir begegnen uns auf Augenhöhe – die Überflieger und die Underdogs. Wir sind, was wir in dir sind.
Herr, wenn du einem von uns seine Sünden nicht weggenommen hättest, wäre er verloren. Aber dort, wo das geschehen ist, sind wir gerettet und gehören zusammen. Dafür möchte ich dir danken. Ich danke dir, Herr, dass wir dich kennen dürfen.
In dieser Welt, die langsam aber sicher in Grausamkeit versinkt und in der gute Werte verloren gehen, dürfen wir mitten drin einen liebevollen Gott kennen. Dafür danke ich dir von Herzen.
Herr, ich bitte dich im Namen von uns allen, dass du unser Herz anrührst und uns ein klares, bewusstes Ja zu dir und deinem Anspruch an unser Leben schenkst. Wir wünschen uns, dass du dich über uns freuen kannst.
Ich wünsche mir auch, dass du uns das schenkst: Wenn wir Brot und Kelch teilen, sollen wir wissen, dass dieses Ja nicht von unserer Leistung abhängt. Wir kommen als Sünder, als Versager, als Halbfertige zu dir. Und du nimmst uns immer wieder in deine Arme, einfach weil du uns liebst. Dafür danke ich dir.
Herr, lass uns das tief begreifen: Wir sollen keine Spielchen voreinander spielen, nichts darstellen wollen und uns nicht stolz über andere erheben. Hilf uns zu sehen, was du getan hast, wie du schwach geworden bist und gedient hast. Lass uns dich zum Vorbild nehmen.
Hilf uns bitte dabei, Herr. Amen.
