Herzlich willkommen zur Bibelstunde! Dort oben sitzen einige Personen auf der Treppe. Wir würden ihnen auch gerne einen richtigen Platz anbieten. Vielleicht kann man in der Mitte noch ein bisschen zurutschen? Das ist der Sonntagssport in der Bibelstunde. Vielen Dank für die sportliche Betätigung!
Wir freuen uns, dass Herr Pfarrer Eisler und seine Frau heute zu uns gekommen sind und die Bibelstunde leiten. Zu Beginn wollen wir gemeinsam Lied Nr. 102 singen: "Jesus lebt, Jesus siegt!"
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen nun still werden und beten.
Herr, wir loben und preisen deinen Namen, du auferstandener König und Herr. Du hast dem Tod die Macht genommen. Wenn wir jetzt hier versammelt sind, gib uns offene Ohren für diese Osterbotschaft.
Nimm alle Müdigkeit von uns hinweg, räume unsere Gedanken beiseite und schenke uns ein Herz, das dir gehorsam ist. Wir warten auf dein Wort. Amen.
Der junge Alex und sein Glaube in der Schule
Vor der Peierstraße in Stuttgart, wo ich mit dem Auto vorbeifuhr, stand an die Wand gesprüht: „Alex, ich liebe dich.“ Ich dachte, das sei ein gutes Wort, das man dort hingesprüht haben könnte.
Alex ist ein Lieblingsname, ein Ostername, ein Gewissen. Eigentlich ist Alex die Abkürzung von Alexamenos. So hat er geheißen; heute würde man ihn Alexander oder eben Alex nennen. Wo er geboren wurde, wissen wir nicht genau. Es war im frühen Italien. Ob seine Eltern oder Freunde ihm von Jesus erzählt haben, wissen wir ebenfalls nicht. Jedenfalls kam er zum lebendigen Osterglauben.
Er schämte sich dieses Glaubens nicht. Ich schäme mich des Evangeliums nicht, nicht einmal auf dem kaiserlichen Internat in Rom. Dort bekam er einen Freiblatz, weil er ein kluger und aufgeweckter Bursche war. Gleich am ersten Abend seines Einzugs, mitten in einer krölenden Schülerbande, machte er sich etwas abseits. Er setzte sich in die Ecke des Schlafsaales, faltete die Hände, nahm sich stille Zeit, redete mit seinem Gott und hörte von Gottes Wort.
Brummt hatte er die Quittung. „Schau dir diese Oma an!“, schrie der Saal. Der Vorlauteste ging auf ihn zu und fragte: „Du, zu wem betest du denn? Zu Merkur oder Venus oder zum Mond?“ Und er sagte: „Du, ich bete zu Jesus, der in Bethlehem geboren, der auf Golgatha gestorben ist.“ Aber weiter kam er gar nicht. Alles brach in krölendes Gelächter aus: „Der betet doch einen Gehängten an, der betet doch einen Verurteilten an! Oh, schaut euch diese Oma an!“
Am nächsten Morgen hatte er die Gewitter in die Wand eingekratzt. Bis heute kann man auf dem Palatin in Rom ein Bild eines Gehängten mit einem Eselskopf besichtigen. Daneben sieht man einen Jungen, der kniet und betet, und darunter steht der berühmte Satz: „Alexamenos oder Alex betet seinen Gott an.“
Damit hatte er den Spitznamen weg: Esel. Es ist nicht leicht, Esel genannt zu werden. Das war ein schwerer Einstand in der Schule. Wenn er bei der Stange blieb, dann nur deshalb, weil er bei der Ostergemeinde blieb.
Das Zeichen des Fisches als Lebenszeichen
In freien Stunden stahl er sich davon und rannte durch die Stadt bis zu jenem Geheimeingang. Die Treppen führten hinunter. Dort war ein anderes Zeichen in die Wand eingekratzt – kein Esel, sondern ein Fisch. Wir wissen es: Der Fisch war das Geheimzeichen der Osterchristen. Jesus Christus, Sohn Gottes, der Heiland – das war das Geheimzeichen.
Es war gleichzeitig das Wegzeichen. Dort ging es hinunter zu den Katakomben, wo Osterchristen zusammen Gott lobten und priesen. Der Fisch war das Lebenszeichen dieses jungen Mannes. Vielleicht hat er es auch auf seine Mütze geklebt oder auf seinen Schulsack gemalt. Heute hätte er es an sein Mountainbike oder an sein Auto gemacht.
Alex – nicht der Esel, sondern Alex der Fisch.
Und, liebe Freunde, das ist mein Wunsch an diesem Mittag: dass wir alle im Zeichen dieses Fisches leben. Osterchristen, die sich Zeit nehmen, die sich dieser Botschaft nicht schämen und die bei jeder Gelegenheit – passenden und unpassenden – die Hände falten, dieses Wort aufschlagen und darauf hören.
Deshalb freue ich mich, dass Sie an diesem Ostertag hierher gekommen sind, an diesen gesegneten Platz, damit wir jetzt miteinander diese Bibel aufschlagen können.
Die Osterbotschaft im Johannesevangelium
Im Zeichen des Fisches und der Osterbotschaft lesen wir, so wie sie im Johannesevangelium im zwanzigsten Kapitel aufgezeichnet ist. Dort lese ich die Verse neunzehn bis dreiundzwanzig, also einen Osterbericht nach Johannes.
Dort heißt es: Am Abend aber dieses ersten Tages der Woche, als die Jünger versammelt waren und die Türen aus Furcht vor den Juden verschlossen hatten, kam Jesus und trat mitten unter sie. Er sprach zu ihnen: „Friede sei mit euch!“
Als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen seine Hände und seine Seite. Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen.
Jesus sprach abermals zu ihnen: „Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.“
Und als er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sprach zu ihnen: „Nehmt den Heiligen Geist! Welchen ihr die Sünden erlasset, denen sind sie erlassen; welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.“
Nun hat mir Schwester Barbara gesagt, dass ich auch noch einmal ein Lied singen lassen darf. Da ich weiß, dass die jungen Leute jetzt ohnehin schon schlafen, möchte ich bitten, dass wir jetzt miteinander noch einmal zur Erweckung der Seelen das Lied 105 singen.
Wer will, steht dazu auf und singt Lied 105 mit. Die ganz hinten da oben, die sind gleich gar nicht aufgestanden – die dürfen gleich weiterschlafen.
Ostern – mehr als Geschenke, Reisen und Blumen
Liebe Freunde, um welches Wort geht es denn an Ostern? Um welches Wort?
Die Antworten sind so bunt wie die Ostereier. Wer in den Katalog schaut, wird sich mit Ostergeschenken befassen. Eine Handtasche für die Frau, obwohl sie schon ein halbes Dutzend hat, eine Aktentasche für den Vater, obwohl er gar keine Akten trägt, und eine Judentasche für den ökologischen Sohn, obwohl der nur Plastiktüten benutzt.
Doch wenn schon dem Christkind die Ideen ausgegangen sind, wer will denn dem Osterhasen noch auf die Sprünge helfen?
Wer in den Katalog schaut, denkt, an Ostern geht es um Ostergeschenke. Und wer in den Prospekt schaut, wird sich mit Osterreisen beschäftigen. Ich habe es getan, extra in einem Reisebüro. Großartig: Interair offeriert zu Ostern ein schmackhaftes Hecht- und Forellenangeln in Irland. Wörtlich: Nachdem die Laichzeit vorüber ist, beißen die Fische wie verrückt.
Mexico Airlines verspricht einen strahlenden Osterhimmel über Acapulco. Bei 350 tropischen Sonnentagen im Jahr wird jede Sehnsucht nach Sonne und Hitze endgültig gestillt. Dieser Ostergnüller sei nahezu ausgebucht, wurde mir im Reisebüro gesagt.
Und Kenia-Flugreisen schließt „Schieß den Vogel ab“ ab: Ostereier suchen im feinsandigen Strand des Indischen Ozeans, selbstredend mit Safari gekoppelt. An Ostern geht es um Reisen, wer in den Prospekt schaut.
Und wer in den Garten schaut, wird sich mit den Osterblumen beschäftigen. Die Schneeglöckchen sind hinüber, die Fossilien auch bald, aber die Osterglocken stehen zur richtigen Zeit richtig gerade. Doch wer in den Garten schaut, wird es mit Osterblumen zu tun bekommen.
Liebe Freunde, grundsätzlich habe ich nichts gegen Ostergeschenke. Ich freue mich über jedes bunte Ei, auch wenn es faul ist. Ich habe nichts gegen Reisen, ich gönne jedem seine Reise nach Afrika mit Safari und Elefantengulasch. Doch ich gönne auch jedem den Blick in den Garten. Der ist schön, auch wenn ich persönlich ein Gartenmuffel bin und kaum eine Osterglocke von einem geschossenen Indisches-Blatt-Salat unterscheiden kann.
Sehen Sie, wenn wir jetzt wissen wollen, um welches Wort es an Ostern geht, dann dürfen wir nicht in den Katalog, nicht in den Prospekt und auch nicht in den Garten schauen. Wer wissen will, was an Ostern passiert, muss die Bibel aufschlagen. Er muss in die Bibel schauen, er muss die Bibel buchstabieren.
Und dort, in dem eben gelesenen Johannes-Text, steht gleich dieses Wort zweimal. Denn zweimal genäht hält besser. Dort steht dieses Wort: Friede, Friede. An Ostern geht es um Frieden.
Die Geschichte von Hino'o Onada – Ein Bild für den Frieden
Kennen Sie nicht Hino'o Onada? Sie schauen mich so an. Hino'o Onada müssen Sie kennen. Es ist gut, wenn man Schwester Berda kennt, auch Schwester Barbara und so weiter. Aber Sie müssen auch Hino'o Onada kennen.
Warum? Er war Leutnant der kaiserlich japanischen Armee im Zweiten Weltkrieg. Dieser Mann bekam den Auftrag, das kleine Eiland Lubang als Einzelkämpfer zu verteidigen. Dort, auf dieser kleinen Insel, wurde er abgesetzt.
Sofort nahm er Stellung, grub Schützengräben, machte Löcher, probierte seine Waffen aus und hielt sein Pulver stets trocken und in Bereitschaft. Das war seine Maxime.
Dann kam das Jahr 1945. Die Kriegsparteien trafen sich auf dem Schlachtschiff Missouri im Hafen von Tokio. Dort wurde die Kapitulation unterschrieben und Frieden wiederhergestellt.
Aber diese Friedensnachricht erreichte Hino'o Onada überhaupt nicht. Er war auf seinem Eiland, grub seine Grabensysteme, probierte seine Waffen aus und hielt Ausschau nach dem Feind.
Liebe Freunde, erst neunundzwanzig Jahre später, im Jahr 1974, kam zufällig ein Tourist nach Lubang und traf auf diesen standhaften Zinnsoldaten. Der erzählte ihm, dass schon lange Frieden herrsche.
Da wehrte der Leutnant energisch ab: "Das ist ein Märchen! Mit solchen Geschichten kann man bei mir nicht kommen. Das ist Propaganda. Auf solche Tricks falle ich nicht herein. Das ist Wunschdenken. Die Wirklichkeit ist eine völlig andere."
Höchst erregt fuchtelte er mit seinem Sommereisenschwert und verschwand wieder im kleinen Urwald.
Erst als es gelang, ihm ein Dokument, eine Friedensurkunde, nach Lubang zu bringen und er sie gelesen hatte, stand er stramm und übergab sein Schwert den Leuten.
Dschungelsoldat, Durchhaltekrieger, Pflichtoffizier – liebe Freunde, das sind viele. Irgendwo haben sie Stellung bezogen. Pflichtbewusst verschannten sie sich hinter ihren Aufgaben. Immer dienstbereit heißt ihre Losung.
Der Frieden von Golgatha und die Ablehnung der Friedensbotschaft
Und dann war das Jahr 33. Die Kriegsgegner trafen sich auf dem Hügel von Golgatha. Dort wurde die Kapitulation der Hölle unterzeichnet und der Friede in dieser Welt ausgerufen – ja, sogar wiederhergestellt.
Doch der Herr Jedermann bekam und bekommt davon überhaupt nichts mit. Täglich studiert und plant er, poliert seine Welt, als wäre auf Golgatha nichts geschehen. Wenn ihm Zeitgenossen die Friedensnachricht überbringen wollen, wehrt er sie energisch ab. Das sei doch das Märchen der Frommen. Ostern, das sei das Märchen der Frommen. Mit solchen Geschichten könnten sich denkende Menschen nicht beschäftigen. Das sei Propaganda der Kirche bis zum heutigen Tag – reine Propaganda.
Auf solche Tricks falle man nicht mehr herein. So zieht sich der Erregte in sein Grabensystem, in sein Denksystem zurück. Doch genau diesen Menschen – und vielleicht gehören sie irgendwo auch selbst dazu – wird heute diese Friedensurkunde gezeigt.
Das Neue Testament ist das Dokument eines gewonnenen Krieges gegen den Teufel. Genau diesen Menschen wird diese Friedensmeldung vorgelesen. Hören Sie es noch einmal: Johannes schreibt „Friede sei mit euch“. Er schreibt es, er schreit es in diese Welt hinein: „Friede sei mit euch!“
Genau ihnen wird das Johannesevangelium verkündigt. Merken Sie doch endlich: „Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.“ Friede!
Frieden und keine Angst – Die Situation der Jünger
Ungenauer Erstens Friede, und keine Angst – Friede und keine Angst.
Gehen Sie mit mir jetzt in Gedanken nach Jerusalem. Es ist Abend in der Stadt. Die Sonne verschwindet hinter den jüdischen Bergen, es wird dämmerig, still und kalt. In einem Schlupfwinkel der Altstadt haben sie sich zusammengefunden, so wie die Leute nach einer Messe bei Kaffee und Hefezopf.
Alle können nicht vergessen, was für ein treuer Herr das war, den sie bisher hatten. Was für ein treuer Herr, den sie hergeben mussten! Alle denken dasselbe Thema: Wie wird es denn werden ohne diesen Herrn und Meister? Wie wird der Weg aussehen, wie wird unsere Zukunft aussehen? Alle haben Angst!
Wenn sie uns jetzt aufspüren, wenn sie uns vorführen, wenn sie uns dann einmal aufhängen – was ist dann? Die Fenster sind verschlossen, die Türen verriegelt, die Schlösser zu, und ein Querbalken ist sogar an das Tor gelegt.
Dabei hatte dieser Sonntag so schön und munter angefangen. Die ganze Mannschaft war von Maria Magdalena aus dem Schlaf getrommelt worden: „Hallo Heda, der Lack ist ab, der Stein ist weg, das Grab ist leer, die Leiche ist fort, schaut es doch an!“
Aber Johannes und Petrus konnten diesem Weibergewäsch nicht glauben. Deshalb gingen sie selbst hinaus, um zu schauen, ob dies wirklich der Wahrheit entspricht. Keuchend und schwer atmend kamen sie draußen an. Sie schauten sich um – rätselhaft, dass alles so geordnet war, aber noch rätselhafter, dass die ganzen Objektschützer dort am Grab plötzlich verschwunden waren. Am rätselhaftesten war, dass der Leichnam wie vom Erdboden verschluckt war.
Ihre Vermutungen gingen in Richtung Grabschändung und Leichenraub. Kopfschüttelnd schlichen sie in ihre Verstecke zurück. Der Wettlauf war ein Leerlauf, ihr Ostergang war ein Metzgersgang. Aller Augenschein brachte überhaupt nichts ein. Sie waren ganz dicht bei Ostern – und dann haben sie dichtgemacht.
Ostergemeinde im Unterschlupf, Ostergemeinde im Untergrund, Ostergemeinde hinter Schloss und Riegel.
Liebe Freunde, nun frage ich: Sitzen wir hier in diesem so schönen Saal denn so viel anders beieinander als jene damals in der Altstadt von Jerusalem? Alle können wir nicht vergessen.
Wie war es damals, als die Mutter noch lebte? Wie war es damals, als der Mann noch neben mir ging und mit mir zur Stunde ging? Wie war es damals, als die Kinder noch bei uns wohnten und nicht im Kremhause waren? Wie war es damals?
Alle denken wir zurück, liebe Freunde, alle denken wir dasselbe Thema. Wer denkt nicht daran, wie es morgen weitergeht? Wie wird der Weg sein, den ich zu gehen habe? Wie sieht die Zukunft unseres Volkes aus?
Wir denken doch alle dasselbe Thema, und alle miteinander haben wir Angst. Doch wenn wir ehrlich sind, haben wir alle miteinander Angst – nicht nur Lebensangst, sondern auch Todesangst.
Deshalb haben wir verriegelt und dichtgemacht. Jeder von uns hat den Leichenschein in der Tasche, jeder, sogar mit sechzehn – nur das Datum ist noch nicht ausgefüllt. Das ist unsere Wirklichkeit: Alle haben wir Angst.
Und deshalb riegeln wir uns ab, wir schließen uns ein und lassen niemanden herein.
Ostergemeinde im Druck, im seelischen Tief, hinter verschlossenen Türen.
Jesus bringt Frieden in die verschlossenen Räume
Und ausgerechnet, ausgerechnet in dieses finstere Loch hinein trägt Jesus seinen Frieden. Er kehrt sich nicht von verrammelten Türen ab. Wer am Kreuzesbalken gelitten hat, für den ist ein Querbalken an einer Tür nur ein Knacks. Er kehrt sich nicht von verriegelten Schlössern ab. Wer die Todestür aufgeschlossen hat, der besitzt den Hauptschlüssel für alle verschlossenen Türen. Wer die Sonnenfinsternis am Karfreitag durchlitten hat, für den gibt es keine Finsternis mehr, die er nicht durchdringen könnte.
Jesus tritt in diese höhlende Angst und verkündet Schalom, Friede. Und, liebe Freunde, wenn er das damals getan hat, dann gibt es heute keinen Ort mehr, an dem er das nicht wieder genau so tun will. Er tritt durch diese Tür. Er tritt in diesem Augenblick auch in diesen Raum und sagt: Friede sei mit ihr.
Er sagt dies im Wohnzimmer, dort, wo zu Hause die großen Reibereien stattfinden und wo wir einfach nicht richtig zusammenfinden können. Dort will er sagen: Friede sei mit euch! Im Arbeitszimmer, dort, wo der Stress schon groß ist oder die Angst, ob ich meine Arbeitsstelle auch noch verlieren werde, dort sagt er: Friede!
Und im Kinderzimmer, dort, wo die sechzehnjährige Tochter einfach ausgezogen ist und ein eigenes Zimmer in dieser Stadt genommen hat und ich nicht mehr weiß, wie und wo sie denn richtig lebt, dort sagt er: Friede sei mit euch! Im Krankenzimmer, dort, wo die Schmerzen immer größer werden und die Ärzte hilflos davorstehen, dort will er sagen: Friede sei mit euch!
Und dort im Sterbezimmer, dort, wo einer die letzte Strecke angetreten hat, wo nur mattes Licht fällt, weil die Fenster zugezogen sind, dort will er sagen: Friede sei mit euch! Es gibt seither keinen Raum mehr, wohin ich mich verstecken könnte und wo er nicht eintritt und sagt: Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.
Wie ich es in diesem Augenblick im Auftrag dieses Herrn Ihnen und dir sagen darf: Dein Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht. Friede sei mit dir!
Einer hat ja diesen Begriff so umschrieben: Der Sturm wütete, das Meer schlug in gewaltigen, vernichtenden Wellen gegen den Felsen. Aber der kleine Vogel schlief fest in der Felsspalte. Sein Kopf lag ruhig unter seinem Flügel, er schlief einen tiefen, gesunden Schlaf. Das heißt Frieden: schlafen können mitten im Sturm.
Auch wenn sich damals die Lage nicht schlagartig veränderte, die Feindschaft der Menschen blieb, die Gefahren eher größer als kleiner wurden – dieses letztlich unbegreifliche Ostergeschenk für die Verängstigten ist wahr: Schalom, Lechem, Friede sei mit euch! Oder so, wie es vorher schon der Psalmist gesagt hat: Die Wasserbögen im Meer sind groß, aber der Herr ist größer. Das ist schon Osterbotschaft im Alten Testament (Psalm 93,4).
Die Wasserbögen im Meer sind groß, aber der Herr ist größer. Liebe Freunde, in Gottes Hand liegt die Welt – das ist unsere Weltlage, wissen Sie – und in Gottes Hand liegt mein Leben – das ist meine Lebenslage. Und wenn alles schreit und brüllt und ruft, die Not ist groß, die Verzweiflung ist groß, die Angst ist groß und die Schrecken sind groß, so weiß ich: Aber der Herr ist größer, aber der Herr ist größer.
Arbeiten und Ruhen, Wachen und Schlafen, Lachen und Weinen – mitten im Sturm: Friede und keine Angst, das ist das, was ich Ihnen sagen wollte.
Frieden und keine Schuld – Die Last der Vergangenheit
Und das Zwei: Friede und keine Schuld.
Gehen wir gemeinsam zurück nach Jerusalem. Es ist bereits Nacht in der Stadt, die Sonne ist längst hinter dem Horizont verschwunden. Dunkel ist es, rabenschwarz. Dort, in einem Versteck der Altstadt, vergräbt Petrus seinen Kopf in den Händen. An Schlaf ist überhaupt nicht zu denken. Er wagt es nicht aufzuschauen, immer wieder hört er das Kikeriki, diesen Ruf, diesen Hahnruf in seinem Gedächtnis.
Wie konnte ich nur wegen einer der hergelaufenen Mägde zu einer solchen Notlüge greifen? Wie konnte ich nur diesen Ausweg wählen? Wie konnte ich nur so ein Schwächling, Lügner und Verräter werden?
Auch die beiden Söhne des Zebedäus lassen die Köpfe hängen. Sie können die Frage Jesu nicht vergessen: "Könnt ihr nicht eine Stunde mit mir wachen?" Doch dann schliefen sie wie die Murmeltiere. Wie konnten wir eigentlich so niedergeschlagen sein, fragen sie sich. Wie konnten wir diese Bitte verschlafen? Wie konnten wir solche Schwächlinge, Lügner und Verräter werden?
Der ganze Elferrat ist am Boden. Keiner kann von sich behaupten: "Ich habe dem Herrn die Stange gehalten." Alle flohen sie vor den Schwertern und Stangen der römischen Grenadiere. Alle flohen. Wie konnten sie nur so feige sein? Wie konnten wir solche Angsthasen, Ausreißer und Fahnenflüchtige sein?
Keiner sah gut aus, jeder hatte Dreck am Stecken. Alle, wirklich alle waren schuldig.
Und jetzt meine Frage: Sitzen wir denn hier oben auf dem Podium oder hier vorne wirklich so anders beieinander als diese Jünger damals, in ihrem Versteck? Müssen wir nicht einen Augenblick auf diese dunklen Momente unseres Lebens zurückblicken, die wir einfach nicht loswerden?
Da war doch die Sache mit der Frau, die damals plötzlich ins Zimmer trat. Wie konnte ich nur? Da war doch die Sache mit dem Bittsteller, der etwas von mir wollte. Wie konnte ich nur? Da war doch die Sache mit dem Geld, ja, die Sache mit dem Geld. Wie konnte ich eigentlich nur?
Wir leben in einer Kraterlandschaft der Schuld, hat Mitschlich gesagt. Und: "Ich, ich als Einziger will schuldlos sein." Wir alle leben in einer glatten Leidenschaft der Schuld, und ich allein bin schuldlos. So sagten doch die Leute damals, die Pharisäer, die mit der weißen Weste von Jerusalem.
Sie hatten jene Frau untergehakt, stellten sie vor Jesus hin und sagten: "Herr, diese Frau ist auf frischer Tat ertappt, diese Frau ist schuldig."
Und Jesus? Er sagte nicht: "Ja, sie ist schuldig, Ehebruch." Jesus schaute zur Erde, und dann war es mäuschenstill. Dann schaute er auf und sagte zu der Menge: "Wer unter euch ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein."
Er schaute wieder hinunter, und als er aufschaute, waren sie alle weggegangen. Da war nicht einer, der im Angesicht dieses Herrn seine weiße Weste ohne Flecken sah. Da war nicht einer, der sein Leben ohne Schuld sah. Da war nicht einer, der Gutes tut, auch nicht einer.
Nun frage ich: Ist an diesem Osterfest 1994 eine einzige Person hier hereingekommen, die sagen könnte: "Herr, ich werfe den ersten Stein. Herr, ich bin nicht schuldig. Herr, schau mich an." Ist jemand hier, der so sagen könnte?
Musil hat in einem seiner Romane jene für mich so bedrückende Szene beschrieben, die ich immer wieder erzähle, weil sie mich damals tief getroffen hat: Ein Vater war gestorben, die Mutter war schon tot, und die beiden erwachsenen Kinder gingen daran, die Dinge aufzuräumen und auszuräumen. Eine traurige Angelegenheit, wenn man die Wohnung der Eltern räumen muss.
So kamen sie auch an den großen, alten Schreibtisch des Vaters. Plötzlich entdeckten sie an diesem Möbel ein Fach, ein Geheimfach hinten. Als sie es öffneten, erstarrten sie. Da kamen Bilder, Briefe und Zeitungsausschnitte zum Vorschein – der ganze Dreck eines Lebens ergoss sich über den Tisch. Im Text heißt es: Angesichts dieses Faches erstarb in ihnen die Liebe zu dem Vater.
Nicht jeder hat seine Sachen im Schreibtisch versteckt, aber jeder hat sein Fach, wo er die Dinge hineintut, die niemand sehen darf. Wenn das meine Freundin wüsste, wenn das meine Frau wüsste, wenn das mein Mann wüsste – jeder hat sein Fach!
Deshalb vergraben wir im Grunde unseren Kopf und sagen: Wie konnte ich nur? Wie konnte ich nur?
Das ist die Auferstehung der Schuld, unsere unbewältigte Vergangenheit. Paulus hatte Recht, als er sagte, wir sind allesamt Sünder und Mangelware des Ruhmes, den wir bei Gott haben sollen.
Und ausgerechnet in diese traurige Gesellschaft trägt Jesus seinen Frieden. Hören Sie: Er zählt nicht auf, er rechnet nicht ab. Er präsentiert keine Rechnungen.
Jesus zeigt seine durchschlagenen Hände – Zeichen von Schuld gewiss, aber von vergebener Schuld. Zeichen von Sünde gewiss, aber von vergebener Sünde. Zeichen von Brutalität, aber von vergebener Brutalität. So wie die hineingestanzten Löcher in einem Sparbuch die Zahlen darin ungültig machen, so machen die durchbohrten Hände Jesu unsere roten Zahlen vor Gott ungültig.
Für diese Entlastung musste er teuer bezahlen, sehr teuer sogar. Nicht mit D-Mark oder Dollar, sondern mit seinem Blut. Jesus hat es so lange fließen lassen, bis kein Tropfen mehr herauskam. Teuer sind wir ihm geworden, sehr teuer. Teuer sind Sie ihm.
Ihre Vergangenheit muss Sie jetzt nicht mehr kaputtmachen. Sie ist nicht mehr Ihr Schicksal.
Ein Leben in der Vergebung ist möglich. Hören Sie: Ein Leben in der Vergebung ist möglich, weil er zu den Schuldigen sagt: Friede sei mit euch und keine Schuld.
Frieden und keine Flucht – Die Jünger im Aufbruch
Auch das Letzte: Friede und keine Flucht, keine Flucht.
Es ist Morgen geworden in Jerusalem. Wir haben gehört, es war Abend, dann war es Nacht, und jetzt ist es Morgen. Die Sonne schießt die ersten strahlenden Strahlen hinter den Bergen in den Horizont. Es wird hell, warm, Tag, Helle.
Im Altstadtviertel zeigt sich plötzlich wieder Leben – aber nicht bei unserer Ostergesellschaft. Die rührt sich überhaupt nicht vom Fleck, von Aufbruchsstimmung keine Spur.
Vielleicht sagt Johannes: „Hier sitzen wir nebeneinander und halten uns schön warm.“ Vielleicht sagt Andreas: „Hier bleiben wir beieinander und stärken uns mit Liedern gegenseitig.“ Vielleicht sagt Jakobus: „Hier reden wir miteinander und machen es uns gemütlich.“
Alle elf Männer und die Frauen dazu sind sich darin einig: Wenn draußen ein solch scharfer und kalter Wind weht, dann bleiben wir drinnen in der warmen Stube. Osterchristen fliehen in die Windstille.
Und ich frage noch einmal: Sitzen wir denn so viel anders hier in unserem schönen Saal? Sitzen wir so viel anders beieinander in unserem Jugendclub zuhause? Ach, da ist es so warm!
In unserem Jugendwerk ist es richtig warm, und in unserem Frauenkreis donnerstags mittags ist es richtig gemütlich. In unserem Hauskreis reden wir miteinander – lauter freundliche und sympathische Gesichter. Auch unsere Festtage finden im Windschatten der Zeitstürme statt.
Hier lasst uns doch Hütten bauen! Und wenn man hier reinschaut in diesen Saal: Hier lasst uns doch Hütten bauen, hier lasst uns doch Wurzeln schlagen, hier lasst uns einfach ungestört fromm sein!
Und ausgerechnet in diese warme Runde hinein trägt Herr Jesus seinen Frieden und bläst sie an. Steht hier und bläst sie an. Nein, er blies keinen Kohleherd an, damit sie ihre Füße wärmen könnten. Er blies keinen Kachelofen an, damit sie abwarten und Tee trinken konnten. Er blies auch keinen Samowar an, damit sie jetzt daran ihre Hände wärmen konnten.
Jesus blies sie selber an, damit sie in der Kraft des Heiligen Geistes aufstehen, hinausgehen und an ihrem Platz zu Boden des Friedens werden.
Der Heilige Geist als stille Kraft
Weil heute so viel vom Heiligen Geist die Rede ist, möchte ich noch einmal das lesen, was der Theologe Hermann Betzel dazu erklärt hat.
Liebe Freunde, der Heilige Geist – und darum geht es hier, wenn Jesus bläst – ist nicht wie der Rausch eines Fieberkranken, auch nicht der Taumel der Unordentlichkeit oder ein Aufschrei falscher Geistlichkeit. So kommt es mir manchmal vor, wenn ich Bilder von diesen Geistgemeinden sehe: Taumel der Unabhängigkeit, Aufschrei falscher Geistlichkeit.
Der Heilige Geist ist die stille, friedsame Entschlossenheit, schreibt Betzel. Er ist die stille, friedsame Entschlossenheit, für Christus zu reden und zu arbeiten.
Liebe Freunde, wenn Jesus bläst, dann will er uns den Marsch blasen. Sein Atem will uns beleben, damit uns nicht die Luft ausgeht. Selbst in der Atemnot unserer letzten Stunde wird dann der Sauerstoff des ewigen Lebens zu einem seligen Sterben genügen.
Deshalb brechen wir doch auf, deshalb bekommen wir jene neue Luft. Und deshalb erhalten Christen jenen Fahrtwind, den ich bei einem Johannes Ziegenbalg beobachten konnte. Diese Leute waren für mich Vorbilder in der Geschichte.
Johannes Ziegenbalg war ein schwacher Schüler. In seinem Abschlusszeugnis der Schule stand, er sei schwach an Leib und Seele. Das war ein Gesamtdurchschnitt von fünf bis sechs. Doch Johannes Ziegenbalg stand auf, reiste nach Indien und schrieb die erste Grammatik für die Tamilen.
Oder Georg Müller, der nach Bristol ging und dort für Tausende von Waisen einfach Häuser errichtete, getrieben vom Wind des Heiligen Geistes.
Oder ein Wesley, der keinen Kirchturm-Horizont hatte. The world is my parish – die ganze Welt ist meine Parochie.
Der Stiftsgemeinde rund um die Stiftskirche ist meine Parochie. Ein Dekan sagt: Ganz Stuttgart ist meine Parochie. Der Prälat sagt: Die Prälatur ist meine Parochie. Der scheidende Bischof Sorg sagt: Die württembergische Landeskirche ist meine Parochie.
Wie klein kariert!
Christen sagen: The world is my parish – die Welt ist meine Parochie. Dort sind wir daheim, mit all diesen Christen, die jetzt hier nicht daheim bleiben, sondern im Aufbruch sind nach der Ewigkeit.
Schlussgebet
Deshalb, Christen, richtet euch auf zum neuen Morgen. Es muss doch alles gut werden, denn der Auferstandene sagt: Schalom Alechem, Friede sei mit euch, Friede sei mit euch!
Lasst uns die Hände falten und beten: Herr Jesus, du kennst unsere Angst, unsere Schuld und unsere Bequemlichkeit. Nun schenke auch uns durch dein Wort, dass wir unsere Ängste ablegen können, weil du uns Frieden zusagst.
Herr, schenke uns, dass die Schuld uns nicht mehr plagen darf, sondern dass du sie uns abnimmst, damit wir befreit wieder nach Hause gehen können.
Mach uns mobil für dein Reich. Stell uns auf die Füße und mach uns zu Friedensstiftern und Friedenskämpfern dort, wo wir unseren Platz haben.
Lass uns von Ostern her neu leben bis zu dem Tag, an dem wir dies alles schauen dürfen am letzten und großen Ostertag.
Herr, wir danken dir für dein Wort und bringen dir jetzt auch unsere Kranken, unsere Alten und unsere Sterbenden. Ich bringe dir dieses Haus, die Stätte des Segens. Gib du weiterhin Segen aus dieser Quelle! Amen.