
Es ist schön, dass Sie heute Nachmittag hierher gekommen sind, um sich mit dem Thema Prophetie auseinanderzusetzen. In der Welt, in der wir leben, wird Prophetie oft eher als Scharlatanerie oder Betrug angesehen. Da treten manchmal Taschenspieler bei Veranstaltungen auf und behaupten, sie wüssten, was die Zukunft der Menschen oder der Welt bringt.
Vielleicht sind heute an die Stelle der echten und falschen Propheten Prognosen von Wirtschaftsweisen, Politikern oder ähnlichen Personen getreten. Diese liegen jedoch genauso häufig daneben, wie sie richtig liegen. Das liegt einfach daran, dass sie nicht mehr wissen als wir. Meistens setzen sie gegenwärtige Trends in die Zukunft fort.
Wenn Sie vor zwei Jahren Prognosen zum Ölpreis gelesen hätten, dann hieß es, das Fass Rohöl werde bald 160 oder 200 Dollar kosten. Jetzt konkurrieren die Preise bei 30, 20, 10 Dollar oder sogar bei null Dollar. Wer weiß das schon genau?
Aber genau das bezeichnet die Bibel nicht als Prophetie. Es geht nicht um eigene Spekulationen oder Trendforschung. Prophetie bedeutet in der Bibel, dass Gott Menschen Dinge mitteilt. Dabei müssen es nicht einmal Dinge der Zukunft sein.
Prophetie im Alten und Neuen Testament meint, dass Menschen nicht nur weitergeben, was sie sich selbst überlegt haben. Sie geben weiter, was sie direkt von Gott empfangen haben. Wie müssen wir uns das vorstellen? Gott redet zu Menschen, meist akustisch wahrnehmbar, zumindest für diese Menschen. Und sie wissen sofort: Das, was sie hören, ist von Gott.
Das ist nicht irgendeine innere Stimme, nicht das Gewissen oder andere innere Eindrücke wie Wünsche, Befürchtungen oder Ängste. Es ist ganz deutlich erkennbar: Hier redet Gott. Das finden wir sowohl im Alten als auch im Neuen Testament.
Prophetie ist dabei nicht immer nur auf die Zukunft ausgerichtet. Sie kann auch die Gegenwart betreffen. Das sehen wir bei manchen großen Propheten des Alten Testaments. Diese machen von Gott Aussagen über den gegenwärtigen Zustand Israels. Sie geben dem jeweils Herrschenden Ratschläge und sagen: Gott hat gesagt, Gott teilt mit, oder wenn du das tust, dann wird das und das geschehen.
Manchmal ist in der Bibel Prophetie auch rückwärtsgewandt. So wird jemandem etwas offenbart, was schon lange geschehen ist. Beispielsweise wird Mose im Judentum und im Alten Testament als einer der größten Propheten bezeichnet. Wenn wir sehen, schreibt Mose in seinen fünf Büchern relativ wenig über die weitere Zukunft. Einige Aussagen sind zwar enthalten, aber insgesamt eher wenig.
Ich gehe davon aus, dass er vieles von dem, was er aufgeschrieben hat, aus einer Offenbarung Gottes erhielt. Das betrifft vor allem Ereignisse vor seiner Zeit, von Anbeginn der Welt an, von der Schöpfung an. Mose war ja nicht dabei, als Noah in die Arche stieg, und auch nicht, als Gott Adam und Eva schuf. Hier liegt eine prophetische Schau vor, eine Offenbarung Gottes zurück zu den Anfängen der Welt.
Genauso wie wir an anderen Stellen, zum Beispiel in der Offenbarung des Johannes, einen Blick in die weitere Zukunft erhalten – bis hin zur ewigen Herrlichkeit, zum himmlischen Jerusalem, zu dem Reich, das Gott einmal aufrichten wird.
Prophetie ist also von ihrem Wesen her eine Mitteilung Gottes. Und zwar des Gottes, der Himmel und Erde geschaffen hat, des Gottes, der der Vater Jesu Christi ist, des Gottes, der einmal wiederkommen wird in Jesus Christus. Vor ihm werden wir alle einmal stehen und Rechenschaft ablegen müssen. Die einen werden ewig bei ihm sein, die anderen ewig von ihm getrennt.
Wenn das wirklich stimmt, dann ist Prophetie in der Bibel und auch für uns heute eine sehr wichtige Angelegenheit. Denn in ihr finden wir das, was Gott den Menschen mitteilen will – nicht nur irgendwelche schönen Überlegungen von Theologen, Geistlichen oder Predigern. Diese können zwar gut sein, je nachdem, wo die jeweiligen Redner im Glauben stehen. Sie können uns ermutigen und weiterführen.
Gott kann auch heute diejenigen, die sich für ihn einsetzen, durch seinen Heiligen Geist führen, damit sie sagen, was gesagt werden soll. Prophetie ist aber noch einmal etwas anderes. Sie hat nichts damit zu tun, dass man sich selbst Gedanken macht, Systeme zusammensetzt oder Bibelverse auslegt und deutet. Das können wir auch unter Leitung des Heiligen Geistes heute tun.
Prophetie bedeutet vielmehr, dass Gott direkt zu einem Menschen spricht und ihm etwas mitteilt – in den meisten Fällen für andere. Und dieser Mensch soll das, was er von Gott gehört hat, anderen weitergeben.
Mein erster Teil soll sich damit beschäftigen, dass ich mit Ihnen hineinschaue und einige Beispiele erwähne, wo in der Bibel das Kommen von Jesus Christus, das erste Kommen, vorbereitet wird. Im Alten Testament finden wir zahlreiche Stellen, die ankündigen, was geschehen wird, wenn Gott seinen Messias, seinen Gesalbten, senden wird.
Ich möchte nun in den ersten Kapiteln des Matthäusevangeliums blättern und eine Textstelle genauer betrachten. Diese soll stellvertretend für viele andere Beispiele stehen, die wir in der Bibel finden. Das Matthäusevangelium wurde in erster Linie für jüdische Leser geschrieben. Der Kirchenvater Papias berichtet, dass es wahrscheinlich ursprünglich auf Hebräisch verfasst wurde. Wir haben zwar keine Abschriften davon, aber es wird gesagt, dass es relativ bald ins Griechische übersetzt wurde, damit auch andere es lesen konnten.
Vom Inhalt her passt das gut, denn wie kein anderes Evangelium richtet sich Matthäus so deutlich an jüdische Leser. Das zeigt sich unter anderem darin, dass Matthäus sehr häufig auf das Alte Testament Bezug nimmt. Im Vergleich dazu lesen wir bei Lukas mehr Bezüge zur griechisch-römischen Geschichte. Dort erfahren wir, wer gerade Prokurator, König oder Kaiser war, welche Gesetze erlassen wurden und wie die römische Armee aufgeteilt war. Diese Details sind bei Lukas sehr intensiv, bei keinem anderen Evangelium so ausgeprägt.
Doch bei keinem Evangelium wird so intensiv dargestellt, dass das Kommen Jesu eine Erfüllung des Alten Testaments ist wie bei Matthäus. Das fällt uns sofort auf, wenn wir im ersten Kapitel lesen. Dort finden wir beispielsweise das Geschlechtsregister, in dem die Abstammung Jesu aufgeführt wird.
In Matthäus 1,22 heißt es: "Dies alles aber ist geschehen, damit erfüllt würde, was der Herr durch den Propheten geredet hat: Siehe, die Jungfrau wird schwanger werden und einen Sohn gebären, und man wird ihm den Namen Immanuel geben, das heißt übersetzt: Gott mit uns."
Dies ist nur ein Beispiel von vielen Stellen im Matthäusevangelium, in denen Matthäus diesen Bezug für seine jüdischen Leser, aber natürlich auch für uns heute, deutlich macht. Er will zeigen, dass Jesus nicht nur irgendein jüdischer Wanderprediger ist, wie das heute manche Theologen an der Universität vermitteln. Dort wird Jesus oft als ein ganz normaler Mensch dargestellt – vielleicht nicht ganz normal, aber ähnlich wie viele andere Prediger seiner Zeit.
Ein bibelkritischer Theologe an der Universität, in der Landeskirche oder auch in immer mehr Freikirchen würde an dieser Stelle oft sagen: "Das kann ja so gar nicht geschehen sein." Vielleicht wissen Sie das auch: Die Stelle "Eine Jungfrau wird ein Kind gebären" ist heikel, denn wir wissen alle, dass Jungfrauen normalerweise keine Kinder bekommen.
Viele bibelkritische Autoren sagen dann, das könne gar nicht wörtlich gemeint sein. Maria könne keine Jungfrau gewesen sein, und deshalb werde die Stelle uminterpretiert. Statt "Jungfrau" werde dann "junge Frau" verstanden.
Dagegen möchte ich sagen: Theoretisch könnte das auch stimmen, aber dafür braucht es keine Prophetie. Junge Frauen bekommen häufig Kinder. Als wir unsere Kinder bekamen, war meine Frau auch eine junge Frau. Jetzt ist sie eine etwas ältere Frau, so wie ich auch. Ich bin zwar kein Frau, sondern ein Mann, aber auch ich werde langsam älter. Das wäre nichts Besonderes.
Wofür braucht es also eine Mitteilung Gottes, dass eine junge Frau ein Kind bekommt? Das weiß jeder: Das ist nichts Außergewöhnliches.
Das Besondere ist vielmehr, dass Gott mitgeteilt hat, dass es nur einmal in der Weltgeschichte passieren wird, dass eine Jungfrau, ohne mit einem Mann geschlafen zu haben, ein Kind bekommt. Das ist das Wunder. Es soll deutlich machen: Jesus ist eben Gott. Er kommt nicht nur von den Menschen. Er ist nicht einfach jemand mit Größenwahn.
Vielmehr soll klar werden: Gott macht das Unmögliche möglich. Wenn Gott durch ein Wort die ganze Welt schaffen kann, Adam und Eva erschaffen hat, wie sollte es für ihn ein großes Problem sein, eine Jungfrau schwanger zu machen?
Allerdings wird heute, wenn man einen akademischen Titel an der Universität erlangen will – und manchmal auch in evangelikalen Kreisen – oft gesagt, das könne man nicht glauben. Es sei naturwissenschaftlich unmöglich.
Wir müssen uns jedoch fragen: Warum? Wenn Gott vom Himmel reden kann, wenn er die Welt geschaffen hat und übernatürlich eingreifen kann, dann kann er natürlich auch ein solches Wunder tun.
Matthäus ist es hier ganz wichtig, das zu betonen. Diese Prophezeiung wurde schon lange vorhergesagt, und hier erfüllt sie sich an Maria.
Übrigens bedeutet das griechische Wort, das hier verwendet wird, "Parthenos", wörtlich "Jungfrau". Man kann es gar nicht anders übersetzen. Und genau das steht hier.
Darüber können wir uns freuen: Gott ist ein Gott, der Wunder tun kann – damals wie auch heute.
Wenn wir dann weiter lesen, geht es um die Weisen aus dem Morgenland. Ich wäre fast versucht, von den drei Königen zu sprechen. Aber als eifrige Bibelleser wissen Sie ja, dass es diese drei Könige so gar nicht gibt.
Ich finde das immer wieder amüsant: Gerade Anfang Januar ist der Dreikönigstag, der in einigen Gegenden ein Feiertag ist. Kleine Gruppen katholischer Jugendlicher ziehen dann oft von Haus zu Haus und sind verkleidet. Es sind meist drei Personen: einer ist schwarz, der andere etwas braun, und der dritte ist weiß. Diese sollen die verschiedenen Kontinente symbolisieren. Sie wissen sogar, wie die drei scheinbaren Könige heißen: Melchior, Kaspar und Balthasar.
Jetzt fragt man sich natürlich, woher das kommt. Ich kann Ihnen sagen: Das stammt nicht aus der Bibel. Es ist eine spätere Überlieferung, die einfach so zusammengestellt wurde. Einen vagen Anhaltspunkt gibt es: Es werden drei Geschenke erwähnt – Weihrauch, Myrrhe und Gold. Daraus hat man geschlossen, dass es wohl drei Weisen gewesen sein könnten, jeder mit einem Geschenk.
Theoretisch könnten es aber auch fünf gewesen sein, die das zusammengelegt und weitergegeben haben. Oder vielleicht waren es nur zwei. Wir wissen nur, dass es im Plural steht. Es waren keine Könige, sondern Wahrsager. Das griechische Wort dort lautet „margoi“ und bedeutet so viel wie Wahrsager, Weise oder Gelehrte. Vermutlich kamen sie aus dem Gebiet des heutigen Persien, also dem Iran oder der näheren Umgebung. Genau wissen wir es nicht.
Auf jeden Fall kamen sie aus dem Osten, und sie folgten einem Stern. Bis heute ist rätselhaft, was das für ein Stern oder Himmelszeichen gewesen sein könnte. Ich habe bei einigen Autoren verschiedene Theorien gefunden. Falls Sie später eine Antwort hören wollen, können Sie gerne zu mir kommen. Ich selbst habe viele Erklärungen gelesen, aber keine hat mich bisher ganz überzeugt.
Manche sagen, es sei eine Konjunktion verschiedener Planeten gewesen, etwa Jupiter und Mars. Allerdings bewegen sich Planeten ja, während die Weisen einem Stern folgten, der scheinbar fest am Himmel stand. Ein Fixstern kann es auch nicht gewesen sein. Eine Sternschnuppe wäre zu kurz sichtbar gewesen – sie brennt nur kurz und verschwindet dann. Wie Gott das gemacht hat, weiß ich nicht, und ich muss es auch gar nicht wissen.
Falls Sie aber eine schöne Antwort haben, sagen Sie es mir gerne. Ich lerne immer wieder gerne dazu. Auf jeden Fall hat Gott irgendein astronomisches Zeichen benutzt, um diese Weisen aus dem Osten – die weder gläubige Christen noch gläubige Juden waren – zu dem neugeborenen König zu führen. Das lesen wir in Matthäus 2,5.
Dort heißt es: „Sie aber sagten ihm, also dem König Herodes, in Bethlehem in Judäa, denn so steht geschrieben durch den Propheten: ‚Und du, Bethlehem im Land Juda, bist keineswegs die geringste unter den Fürstenstädten Judas; denn aus dir wird ein Herrscher hervorgehen, der mein Volk Israel weiden soll.‘“
Scheinbar kannten diese Weisen, auch wenn wir nichts über ihre jüdische Herkunft wissen, zumindest die Prophetien des Alten Testaments. Aufgrund dieser Prophetien und ihrer Beobachtungen machten sie sich auf den Weg nach Israel, besuchten Herodes und fanden später auch das Kind in der Krippe.
In Kapitel 3 wird erwähnt, dass Johannes der Täufer auftritt. Dort lesen wir in Matthäus 3,3: „Das ist der, von welchem geredet wurde durch den Propheten Jesaja, der spricht: ‚Die Stimme eines Rufenden ertönt in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn, macht seine Pfade eben.‘“
Dies sind nur einige Beispiele aus den ersten drei Kapiteln des Matthäusevangeliums. Wir erkennen, dass es nicht nur eine Aussage gibt: Jesus Christus wird als Messias Gottes kommen, hier auf der Erde als nicht normaler Mensch, als sündloser Mensch, als Erretter seines Volkes und aller Menschen, als der Schuldlose, der für die Schuldigen stirbt.
Das wird im Alten Testament häufig vorhergesagt. Einige sagen sogar, dass es schon eine Vorhersage nach der Vertreibung aus dem Paradies gibt. Dort heißt es: „Und dein Same wird ihr den Kopf zertreten.“ Gemeint ist die Schlange, und es wird gesagt, dass dieser Same über sie siegen wird.
Manche nennen das das Protoevangelium – einen ersten Hinweis darauf, dass ein Nachkomme von Eva den Satan besiegen wird. Satan hat hier zunächst scheinbar gewonnen, indem er Adam und Eva verführte und sie aus dem Paradies vertrieben wurden.
Eine Textstelle aus den ersten drei Kapiteln möchte ich jetzt etwas genauer lesen und erläutern. Es handelt sich um eine Stelle, die zeitlich gut in den Rahmen passt, in dem wir uns gerade befinden – zumindest vom Kirchenjahr her.
Zeitlich betrachtet weiß niemand genau, wann Jesus geboren wurde. Nimmt man jedoch die Tradition, die das Fest auf den 24. Dezember legt, dann wäre einige Tage danach – genauer gesagt 40 Tage später – Maria und Joseph im Tempel in Jerusalem. Im Lukasevangelium lesen wir, dass sie dorthin gingen, weil die Tage ihrer Unreinheit vorbei waren. Außerdem brachten sie ein Auslöseopfer für den Erstgeborenen dar. Jesus war ihr Erstgeborener, und im Alten Testament war vorgeschrieben, ein Auslöseopfer zu bringen.
Es wird erwähnt, dass sie zwei Turteltauben opferten, was darauf schließen lässt, dass Maria und Joseph zur armen Bevölkerungsschicht gehörten. Normalerweise hätte es ein kleines, fehlerfreies Schaf sein sollen. Wenn man jedoch nicht genug Geld hatte, durfte man stattdessen zwei Turteltauben opfern.
Danach kehrten sie nach Bethlehem zurück und blieben noch eine Weile dort. Dann kamen die Weisen aus dem Morgenland. Im Anschluss geschieht das, was wir hier lesen: Sie verlassen Bethlehem, aber nicht in Richtung Nazaret, sondern nach Ägypten. Dies möchte ich nun vorlesen:
Matthäus 2,13: „Als sie aber weggezogen waren“ – hier sind die Weisen gemeint – „erscheint ein Engel des Herrn dem Josef im Traum und spricht: Stehe auf, nimm das Kind und seine Mutter Maria und fliehe nach Ägypten! Bleibe dort, solange ich es dir sage, denn Herodes will das Kind suchen, um es umzubringen.“
Josef stand daraufhin auf, nahm das Kind und seine Mutter bei Nacht mit sich und floh nach Ägypten. Er blieb dort bis zum Tod des Herodes, damit erfüllt würde, was der Herr durch den Propheten gesagt hatte: „Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen.“
Als sich Herodes von den Weisen betrogen fühlte, wurde er sehr zornig. Er sandte Boten aus und ließ alle Knaben töten, die in Bethlehem und im ganzen Gebiet von zwei Jahren und jünger waren – nach der Zeit, die er von den Weisen genau erfragt hatte.
Damit wurde erfüllt, was der Prophet Jeremia gesagt hatte: „Eine Stimme ist in Rama gehört worden, viel Jammern, Weinen und Klagen. Rahel beweint ihre Kinder und will sich nicht trösten lassen, weil sie nicht mehr sind.“
Nachdem Herodes gestorben war, erschien ein Engel des Herrn dem Josef in Ägypten im Traum und sprach: „Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter zu dir, zieh in das Land Israel, denn die, die dem Kind nach dem Leben trachteten, sind gestorben.“
Josef stand auf, nahm das Kind und seine Mutter und ging ins Land Israel. Als er jedoch hörte, dass Archelaus anstelle seines Vaters Herodes über Judäa regierte, fürchtete er sich, dorthin zu gehen. Auf eine weitere Anweisung im Traum hin zog er deshalb in das Gebiet Galiläa. Dort ließ er sich in der Stadt Nazareth nieder, damit erfüllt würde, was die Propheten gesagt hatten: dass er ein Nazarener genannt werden würde.
Dies ist ein Ausschnitt dessen, was direkt nach der Geburt Jesu geschieht. Nachdem die Engel auf den Feldern erschienen waren und die Hirten zur Geburtskrippe kamen, nachdem die Weisen aus dem Morgenland da waren, geschieht das hier Beschriebene.
Zwischenzeitlich sind Maria und Josef, wie wir aus den biblischen Texten erkennen können, von einem Stall in ein Haus umgezogen. Vermutlich dauerte es nur eine kurze Zeit, um Platz zu schaffen, oder sie fanden bei Verwandten Unterschlupf.
Wie gesagt, sie warteten noch, bevor sie nach Nazaret zurückgingen, um im Tempel das Opfer zu bringen. Statt direkt zurück nach Nazaret zu gehen und von dort nach Jerusalem, was ein großer Aufwand gewesen wäre, machten sie es so.
Die Ankunft der Weisen muss eine beeindruckende Angelegenheit für Maria und Josef gewesen sein. Wie bereits erwähnt, gehörten sie eher zur armen Schicht der Gesellschaft. Plötzlich kamen Menschen aus fernen Ländern, sogar mit kostbaren und wertvollen Geschenken: Weihrauch, Myrrhe und Gold.
Man könnte sich natürlich fragen, warum sie diese Geschenke brachten. Es gibt viele Deutungen, da der Text selbst keine eindeutige Erklärung liefert.
Eine Möglichkeit ist, dass dadurch ausgedrückt werden sollte, dass Jesus ein König ist. Vielleicht sollte auch gezeigt werden, dass Jesus ein Priester ist, denn Priester hatten mit Weihrauch zu tun, Könige mit Gold. Das wäre eine mögliche Interpretation.
Vielleicht ist es aber auch ganz pragmatisch: Gott wusste bereits, dass sie später ins Ausland gehen müssen, um dort eine Zeit lang zu leben. Deshalb wollte er sie mit Reisefinanzen ausstatten.
Denn wie hätte diese arme Familie in Ägypten überleben sollen? Wie hätten sie überhaupt dorthin kommen können, wenn sie nichts gehabt hätten? Durch diese Geschenke hatten sie vielleicht ein Auskommen, das sie verkaufen konnten. Davon konnten sie eine Zeit lang leben, auch im Ausland.
Vielleicht war das die Motivation. Wir lesen es nicht hundertprozentig, aber verschiedene Deutungen sind möglich.
Nun, wenn ich diesen Text Stück für Stück durchgehe, fällt mir eine Sache auf, die mich hier gerade zu Anfang sehr herausfordert – oder eigentlich in dieser Geschichte dreimal herausfordert. Es sind diese Träume, die Joseph hat. Dreimal wird erwähnt, dass ein Engel ihm im Traum erschienen ist, um ihm zu sagen, was er zu tun hat: Gehe nach Ägypten, gehe zurück nach Israel, gehe nach Nazaret.
Dreimal erscheint also ein Engel im Traum. Und das ist nicht die einzige Situation in der Bibel, in der Gott auf übernatürliche Weise zu Menschen spricht. Wir lesen das immer wieder: Engel erscheinen, Menschen hören Stimmen direkt vom Himmel. Jetzt muss ich ehrlich gestehen: Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mir ist bisher noch kein Engel erschienen. Gott hat auch noch nicht im Traum zu mir gesprochen – zumindest nicht so, dass ich es mit Überzeugung sagen könnte.
Bei meiner Frau ist das etwas anders. Im Unterschied zu mir erinnert sie sich am nächsten Morgen an die meisten ihrer Träume. Bei mir ist es häufig so, dass ich morgens beim Aufwachen denke: „Jetzt habe ich auch mal was zu erzählen!“ – und ein paar Minuten später ist alles wieder vergessen. Ich denke dann: „Das war doch so spannend!“ Aber ich messe dem keine große Bedeutung bei. Manchmal sind das einfach nur wirre Geschichten von irgendetwas, keine Ahnung.
Bei meiner Frau ist das anders. Manchmal erzählt sie beim Frühstück, was sie geträumt hat. Wir hören alle gespannt zu, manchmal lachen wir darüber, manchmal rätseln wir darüber. Im Allgemeinen sind das jedoch keine Mitteilungen Gottes. Wir können ziemlich genau erkennen, dass die Träume mit den Gesprächen vom letzten Abend zusammenhängen oder mit dem, was ihr Sorgen macht oder was am nächsten Tag ansteht. Das taucht dann irgendwo im Traum auf – und das ist in 99 Prozent der Fälle so. Das war immer so.
Statistisch gesehen sagen Mediziner, dass jeder von uns jede Nacht träumt, wir uns aber nicht immer daran erinnern. Besonders in der sogenannten REM-Phase – Rapid Eye Movement, also der Phase, in der sich die Augen im Schlaf schnell bewegen – entstehen Träume. Meistens sind das Dinge aus unserem Unterbewusstsein.
Wenn ich meine Frau jetzt fragen würde, würde sie wahrscheinlich sagen, dass sie einmal im Leben meint, einen Traum von Gott bekommen zu haben. Sie ist in Paris in einer atheistischen Familie aufgewachsen. Als junges Mädchen hörte sie von einer Schulkameradin etwas vom Glauben. In dieser Phase, in der sie sich damit auseinandersetzte, träumte sie eines Nachts von der Kreuzigung Jesu.
Sie kann sich bis heute daran erinnern. Im Traum spricht Jesus zu ihr und sagt: „Ich bin für dich gestorben.“ Natürlich könnten wir sagen, dass das vielleicht daran liegt, dass sie sich gerade mit dem Thema beschäftigt hat. Das kann sein, und das will ich auch nicht leugnen. Aber zumindest ist deutlich, dass dieser Traum sie dazu gebracht hat, sich zu bekehren und zum Glauben zu kommen.
Hier würde ich sagen: Wer bin ich schon, um Gott Einschränkungen zu machen, wie er reden kann? Aber wie gesagt, im Leben meiner Frau war das nur einmal so. Bei den meisten Menschen ist das nicht so, bei Joseph aber schon: Dreimal in kurzer Zeit hat er solche Träume. Gott kann damals so zu Menschen sprechen. Er kann auch heute auf andere Weise in unser Leben hineinreden, damit wir wissen, was gerade dran ist und was wir tun sollen.
Wenn jemand zu mir kommt und sagt: „Gott hat zu mir gesprochen, ich habe das und das gehört“, dann bin ich meistens skeptisch. Das liegt einfach an meiner Erfahrung. Ich habe viele solcher Leute getroffen. In den meisten Fällen stellte sich hinterher heraus, dass es eher eigene Wünsche und Vorstellungen waren.
Manche erzählen, Gott habe ihnen gesagt, sie würden große Musiker werden und im Fernsehen berühmt. Solche Träume haben manche. Wenn man sich das stark genug einbildet, träumt man auch davon. Das heißt aber noch lange nicht, dass es wahr ist. Derjenige, der mir das erzählt hat, ist bis heute weder im Fernsehen noch ein großer Musiker, obwohl er damals fest daran glaubte.
Ich habe da meine Bedenken, denn viele Menschen interpretieren einfach ihre Tagträume, Wünsche, Vorstellungen und Ängste als Botschaften Gottes. Je nachdem, wie phantasiebegabt jemand ist, träumt er sogar manchmal am Tag, wenn er wach ist. Aber diese Träume haben normalerweise nichts mit dem Reden Gottes zu tun. Das sind völlig verschiedene Dinge.
Das erkennen wir schon daran, dass im Alten Testament Gott manchmal durch Träume zu Menschen spricht und diese sofort erkennen: Hier ist etwas ganz anderes. Denken wir an den Pharao in Ägypten, der Joseph ruft. Der Pharao hat häufig geträumt. Hat er denn während der ganzen Jahre, in denen Joseph im Gefängnis war, nie geträumt? Natürlich hat er geträumt. Aber er wusste genau: All diese Träume sind Schall und Rauch.
Doch diese Träume, die er jetzt hat, sind etwas ganz Besonderes. Dafür muss er eine Antwort bekommen. Bei Nebukadnezar ist es ähnlich. Er wusste: Diese Träume sind nicht das normale Zeug, das man so träumt. Wenn Gott sich mitteilt, ist demjenigen, der das hört, auch klar, dass Gott redet und dass es kein Phantasiegespinst ist.
Das war Joseph auch klar. Zum Glück, oder besser gesagt: Gott hat eingegriffen, damit es ihm deutlich wurde. Hätte Joseph nicht darauf gehört, wäre Jesus nach menschlichem Ermessen ermordet worden. Gott hätte auch anders eingreifen können, zum Beispiel indem er die Soldaten in ihrer Bewegung hemmte oder sie blind machte. Aber dazu hat Gott hier nicht gegriffen.
Stattdessen hat er Joseph deutlich gemacht, was zu tun ist. In dieser Hinsicht ist Joseph für mich ein Vorbild – und hoffentlich auch für die meisten von uns. Wo er den Willen Gottes erkannt hat, hat er nicht lange diskutiert, sondern sofort gehandelt. Er hat sich nicht hingesetzt und eine Strichliste gemacht oder lange überlegt: „Eigentlich gefällt mir Ägypten gar nicht, ich kenne Ägypten nicht, die Kultur gefällt mir nicht.“ Nein, er hat sein Zeug gepackt und ist auf die Berufung Gottes hin losgegangen.
Wenig später waren schon die Soldaten des Herodes da. Das ist eine Herausforderung – und ein Vorbild für jeden von uns. Ich würde sagen: Mach es genauso! An manchen Stellen weißt du ja, was Gott von dir will, auch ohne Träume. Du liest in der Bibel, sprichst mit anderen Christen, und Gott macht dir deutlich, dass du etwas verändern sollst.
Vielleicht sollst du zu deinem Nachbarn gehen und ihm das Evangelium erklären. Dann sagst du: „Das habe ich ja schon getan.“ Ja, vielleicht sollst du das zweite, dritte oder vierte Mal hingehen. Oft erlebe ich, dass Gott deutlich macht, dass in der Familie oder im Freundeskreis etwas geklärt werden muss, dass um Entschuldigung gebeten werden muss.
Dann schieben wir das auf. Manchmal höre ich: „Aber der andere war ja noch schlimmer, der muss zuerst kommen, um sich zu entschuldigen.“ Und dann sind wir offen, nicht wahr? Der andere denkt genauso: „Der muss zuerst kommen.“ So kommt keiner. Das passiert sogar in Gemeinden, wo über Jahre hinweg Vorbehalte nicht ausgesprochen und ausgeräumt werden. Keine Vergebung wird in Anspruch genommen, weil keiner den ersten Schritt machen will – aus Angst, das Gesicht zu verlieren oder aus anderen Gründen.
Manchmal macht Gott dir deutlich, dass sich beruflich etwas ändern soll oder dass du deine nächsten Ferien für einen Missionseinsatz in Kenia investieren solltest. Du denkst dann: „Kenia? Nein, mag ich nicht. Afrika? Ich bin lieber irgendwo am Strand.“ Das ist nicht böse oder sündhaft, erst mal woanders Urlaub zu machen. Aber wenn das dran ist, dann schiebe es nicht auf.
Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem Professor, der emeritiert war. Er sagte: „Jetzt kann ich offen über den Glauben sprechen. Vorher war das gefährlich für meine Karriere.“ Ich musste ihm sagen: „Ja, jetzt kannst du das tun, aber jetzt hört auch keiner mehr auf dich.“ Manche warten bis zur Pension, um dann etwas Großes zu machen. Wenn es dran ist, kann Gott das auch so machen. Aber manchmal gilt es auch schon vorher, Risiken einzugehen und zu sagen: „Ja, ich bin bereit, mich für Jesus Christus hinzustellen, auch wenn ich dann für andere wie ein Narr wirke.“
Wenn du weißt, dass etwas dran ist, was Gott in deinem Leben verändern will, dann tu es. Nimm dir Joseph zum Vorbild und schiebe es nicht auf die lange Bank. Du verlierst nichts, wenn du es sofort tust, sondern kannst nur gewinnen.
Das gilt auch für den, der zum ersten Mal zu Jesus Christus kommt. Derjenige, der vielleicht schon jahrelang mit dem Gedanken herumgeht: „Eigentlich weiß ich, die Bibel ist wahr, eigentlich weiß ich, Jesus ist von Gott.“ Aber der dann nicht die Konsequenz zieht, sondern sagt: „Irgendwann einmal, wenn ich mein Leben genossen habe, wenn ich richtig Spaß gehabt habe, dann werde ich mich bekehren.“
Lerne von Joseph: Schiebe es nicht auf! Es gilt auch für den, der schon lange Christ ist. Wenn Gott dir Dinge deutlich macht, zum Beispiel, dass du eine ordentliche stille Zeit einlegen solltest, statt immer nur zu sagen: „Das klappt nicht, das klappt nicht“, dann mach es. Greife es an!
Du wirst merken: Wo wir Gott gehorsam sind, führt er uns im Glauben weiter. Wir wachsen daran. Und häufig ist er – nein, nicht häufig, er ist immer mit dabei. Er hilft uns auch in schwierigen Situationen, dort, wo es Überwindung braucht.
Ich glaube, da können wir von Joseph an dieser Stelle viel lernen.
Und dann geht es hier ja weiter: Sie gehen nach Ägypten, und es steht, dass sie in Ägypten blieben bis zum Tod von Herodes. Hier muss ich ein kleines bisschen über Geschichte sprechen. Herodes, der hier gemeint ist, ist nicht der Herodes, den wir später noch einmal antreffen, bei der Hinrichtung Jesu. Jesus wird ja auch vor Herodes geführt – das war dann sein Sohn. Hier ist Herodes der Große gemeint.
Jetzt haben wir da historisch ein kleines Problem. Wenn Sie mit einem Lehrer, Historiker oder auch mit historisch-kritischen Theologen sprechen, fangen die gleich an zu lachen und sagen: „Ah, sehen wir doch mal wieder, wie unzuverlässig die Bibel ist.“ Denn wir wissen historisch, dass Herodes vier Jahre vor Christus gestorben ist. Wie geht das? Jesus flieht mit seinen Eltern vor Herodes, aber der ist schon vier Jahre tot. Was machen wir denn da?
Nun, das Problem ist eigentlich kleiner, als es sich erst anhört. Manche lassen dann gerne darüber ab. Das Problem ist viel, viel kleiner. Vermutlich ist Jesus nämlich vier Jahre vor Christus geboren. Das klingt jetzt lustig, weil wir ja unsere Zeitrechnung nach der Geburt Jesu machen. Aber diese Zeitrechnung wurde ja nicht von den Jüngern eingeführt, die eine Strichliste gemacht hätten – ein Jahr nach der Geburt, zwei Jahre nach der Geburt, drei Jahre. Sie stammt erst von mittelalterlichen Mönchen, die Jahrhunderte später zurückgerechnet haben.
So müssen wir heute, zumindest wie ich es meine und wie es wahrscheinlich war, davon ausgehen, dass diese Mönche genial gearbeitet haben, sehr gut. Aber jetzt versuchen Sie mal, mit den Mitteln, die Sie heute haben – also nicht einfach im Internet eingeben, sondern anhand von Dokumenten – 500 Jahre zurückzurechnen und ein Datum genau zu bestimmen. Das ist gar nicht so einfach.
Meine Vermutung ist, dass sie sich einfach um ein paar Jahre verrechnet haben. Das ist gar kein Problem: Jesus ist vermutlich vor Christus geboren. Jetzt nicht im theologischen Sinne, nicht dass Sie das falsch verstehen – also Jesus und dann Christus und so –, sondern wir könnten auch sagen „vor unserer Zeitrechnung“. Aber das klingt so atheistisch, so sagen ja meistens die Atheisten. Deshalb ist Jesus wahrscheinlich etwa vier, fünf Jahre früher geboren worden. Und dann ist er relativ kurze Zeit nachher gestorben, der Herodes.
Wir wissen nämlich auch von Josephus, dass Herodes gerade vor seinem Tod in den letzten Jahren einen vollkommenen Verfolgungswahn, eine Paranoia bekam. Es wird erwähnt, dass er mehrere seiner Söhne ermorden ließ. Damals gab es einen seiner Söhne, der in Rom war, und der sagte wörtlich: „Ich wäre lieber sein Schwein als sein Sohn.“ Das meinte er wörtlich, nicht übertragen. Warum? Weil als Schwein lebt man weiter – die Juden essen ja kein Schweinefleisch. Aber als Sohn war man damals nicht sicher vor Herodes.
Herodes war paranoid. Er ließ mehrere seiner Söhne ermorden, sogar eine seiner Frauen, aus Angst, sie könnten ihm den Thron streitig machen. Das passt genau in das Bild, das wir hier sehen: Ein neuer König in Israel wird ermordet. Das passt genau dazu.
Dass sie nur kurze Zeit in Ägypten waren, ziehe ich daraus, dass uns am Ende des Textes gesagt wird, dass die Menschen später sagen werden: „Er ist ein Nazarener.“ Normalerweise benannte man eine Person nach dem Ort, wo sie aufgewachsen ist. Das heißt, er muss dann auch in Nazaret aufgewachsen sein.
Das nehme ich auch aus der Aussage im Lukasevangelium. Dort wird erwähnt, dass Maria und Joseph nach dem Tempelbesuch zurück nach Nazaret gingen. Dort wuchs Jesus auf. Dann kommt die Geschichte vom zwölfjährigen Jesus im Tempel. Das deutet für mich darauf hin, dass Lukas dachte: Ach, dieser kurze Ausflug nach Ägypten ist nicht so wichtig. Den erwähnt ja Matthäus schon, da muss er nicht mehr darüber schreiben. Deshalb sagt Lukas einfach: „Sie gingen danach nach Nazaret“, weil sie zwischendurch nur kurz einmal woanders gewesen waren.
Jetzt könnten Sie sagen: „Das ist ja ungenau, das stimmt ja gar nicht.“ Das machen wir aber genauso. Wenn Sie für Ihren nächsten Arbeitgeber einen tabellarischen Lebenslauf schreiben und etwa in meinem Alter sind, also schon ein paar Jahre zurückblicken können, würden Sie zum Beispiel schreiben: „20 Jahre Bibelschule Brake.“ Aber Sie könnten auch sagen: „Heute war Michael Kotsch nicht in Brake, sondern in Haiga.“ Das müsste ich ja auch in meinem Lebenslauf erwähnen. Oder wo ich letztes Jahr im Urlaub war, für ein paar Wochen, oder wo ich Vorträge gehalten habe.
Macht das jemand? Natürlich nicht. Wir nennen die großen Blöcke, die viele Jahre umfassen. Besonders, wenn wir älter werden. Wenn wir jung sind und noch nicht viel zu erzählen haben, erwähnen wir vielleicht mal: „Ich war 14 Tage in Afrika, habe ein Praktikum gemacht oder ein halbes Jahr dort.“ Aber ab einem bestimmten Alter zählt man das nicht mehr auf, auch wenn man mal ein halbes Jahr irgendwo gewesen ist.
So ist das auch bei Lukas. Er sagt: geboren in Bethlehem, dann aufgewachsen in Nazaret. Nazaret tritt auf. Matthäus erwähnt den kurzen Aufenthalt in Ägypten dazwischen, aber dann geht Jesus nach Nazaret. Insofern glaube ich, das passt gut zusammen und auch geschichtlich durchaus zu dem, was wir lesen.
Diese Geschichte passt dazu. Nur die Berechnung der mittelalterlichen Mönche war nicht ganz korrekt. Jesus ist ein paar Jahre früher geboren worden.
Nun, sie sind dann in Ägypten, und hier kommt ein kleiner Einschub: Was in der Zwischenzeit in Bethlehem passiert – eine grausame Geschichte. Herodes schickt einige Soldaten nach Bethlehem und lässt alle männlichen Kinder unter zwei Jahren ermorden.
Jetzt stellt sich die Frage: Warum unter zwei Jahren? Jesus ist doch gerade erst geboren. Ich vermute, das liegt daran, dass Herodes nicht genau das Geburtsdatum kannte. Er wusste von den Weisen, dass das Kind irgendwann geboren sein muss. Vielleicht war es aber schon geboren, oder es würde noch geboren werden. Ganz genau war sich Herodes nicht sicher. Deshalb wollte er lieber etwas großzügiger und sicherer vorgehen.
Ich vermute auch, dass er psychologisch dachte: Wenn in dem Ort plötzlich das Gerücht die Runde macht, alle kleinen Neugeborenen werden getötet, würden die Eltern wahrscheinlich anfangen zu lügen. Sie würden sagen: „Nein, meiner ist schon zwei Jahre alt, der ist nur ein bisschen klein geraten.“ Auch wenn er so klein ist, ist er aber schon zwei Jahre alt. Warum? Klar, dann wird er nicht ermordet.
Da die Soldaten keine Hebammen waren und das Alter eines Kindes nicht genau bestimmen konnten, hat Herodes das großzügiger geregelt. Alles, was noch nicht läuft, also alles, was noch kleiner ist oder gerade läuft, wurde getötet.
Manche stellen sich einen riesigen Massenmord vor und wundern sich, warum die Geschichte nicht weiter erwähnt wird. In der Geschichtsschreibung, zum Beispiel bei Josephus, muss man sagen, dass es natürlich ein Massenmord war. Vermutlich waren es aber eher zwanzig, fünfundzwanzig, vielleicht dreißig Kinder, die getötet wurden. Bethlehem war damals nicht sehr groß, und auch nicht jede Familie hatte gerade ein männliches Kind, das getötet wurde. Immerhin ist das schlimm genug.
Manche fragen, warum das nicht erwähnt wird. Da müssen Sie nur auf heutige Zeitungen schauen: Wenn irgendwo in Afrika zwanzig Leute ermordet werden, berichtet kaum eine Zeitung darüber. Wenn aber fünf in Paris ermordet werden, dann schon. Wir merken in den Medien, auch bei Geschichtsschreibern, dass manche Menschen wichtiger sind als andere. Nicht objektiv bei Gott, aber für diejenigen, die es lesen wollen.
Im römischen Reich oder für den Kaiser interessierten ein paar Bauernkinder niemanden. Das war eine grausame Zeit, da starben Menschen ständig. Es interessierte niemanden, wenn ein König einige seiner Untertanen ermorden ließ, vor allem wenn es kleine Kinder waren. Deshalb schreibt Flavius Josephus nicht darüber. Er berichtet aber sehr wohl, dass Herodes in seinen letzten Jahren einige seiner Gegner ermorden ließ. Das passt genau in das Verhaltensmuster Herodes', das wir hier lesen.
Dann gehen wir etwas weiter. Joseph bekommt den Auftrag, zurück nach Israel zu gehen. Er macht das auch. Sie kommen nach Nazareth. Dort wird erwähnt, dass einer der Söhne des Achelaus anstelle seines Vaters über Judäa regierte. Er regierte nicht mehr das ganze Land Israel, sondern nur noch einen Teil. Die Römer hatten den anderen Teil für sich in Anspruch genommen, was wir später auch bei den Prokuratoren lesen.
Die letzte Prophezeiung in diesem Text sind drei Prophezeiungen allein in diesem Abschnitt: „Er, mein Sohn, habe ich aus Ägypten berufen.“ Dann die Stimme, die im Drama gehört wurde: „Rahel weint um ihre Kinder.“ Und schließlich: „Er wird ein Nazarener genannt werden“, lesen wir im letzten Vers, Vers 23.
Jetzt ist die Frage: Wenn ich in einer Jugendstunde wäre, würde ich fast fragen, wo das denn vorhergesagt wurde, dass er ein Nazarener genannt wird. Einige, die sich gut in der Bibel auskennen oder eine Parallelstelle angeben, sagen: Das ist in Jesaja 11,1. Wenn Sie aber Jesaja 11,1 nachschauen, werden Sie feststellen, dass dort gar nichts von Nazaret steht. Die Stadt Nazaret wird im ganzen Alten Testament gar nicht erwähnt. Sie können das gerne nachschauen.
Dort steht nur etwas Ähnliches, nämlich vom Spross, der aufwächst. Das klingt hebräisch ähnlich wie Nazareth, ja, könnte theoretisch sein. Hier haben wir eine Prophetie, bei der Matthäus keinen Namen nennt. An anderen Stellen sagt er: „Wie Jesaja gesagt hat“, „wie Jeremia gesagt hat“, „wie gesagt worden ist.“ Er nennt keine genaue Person.
Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass er sich hier auf mündlich überlieferte Tradition beruft. Er war ja viel näher dran, zweitausend Jahre näher. Dass Jesaja und Jeremia gestorben waren, war noch nicht so lange her. Ich kann mir vorstellen – ich weiß nicht, ob es so ist –, dass er sich entweder auf eine Bibelstelle des Alten Testaments bezieht, die er übertragen meint, wo nicht wortwörtlich „Nazarener“ steht, also „aus diesem Ort stammend“, weil es diesen Ort zur Zeit der alttestamentlichen Propheten noch gar nicht gab. Übrigens wird Nazaret hier zum ersten Mal erwähnt. Auch in säkularen Quellen finden wir Nazaret vorher nicht erwähnt, sondern hier das erste Mal.
Ich könnte mir auch vorstellen, dass es eine mündliche Überlieferung gab von Aussprüchen der Propheten, die damals sehr wohl bekannt waren, aber die wir heute nicht mehr kennen. Ich möchte mich da nicht festlegen, ich weiß es nicht genau. Irgendwo weiß Matthäus hier etwas, was mir nicht so unmittelbar klar ist.
Übrigens merken wir das manchmal bei Prophetien: Wenn wir hundert Jahre vor diesem Ereignis gelebt hätten und im Alten Testament gelesen hätten: „Eine Stimme ist in Rama gehört worden, viel Jammern, Weinen und Klagen, Rahel beweint ihre Kinder und will sich nicht trösten lassen, weil sie nicht mehr sind.“ Woran hätten wir wohl gedacht? Ich hätte ehrlich gesagt nicht daran gedacht, dass das eine Prophetie auf den Kindermord in Bethlehem ist.
Ich will nicht sagen, dass es keine ist. Doch, nur was ich sagen will, ist: Prophetie braucht manchmal auch eine Offenbarung Gottes, um sie richtig verstehen zu können. Bei der Jungfrauengeburt, wenn wir lesen, eine Jungfrau wird ein Kind bekommen, ist das ziemlich klar. Aber wenn gesagt wird: „Rahel weint über ihre Kinder“ im Alten Testament, würde ich erst mal sagen: Ja gut, Rahel weint über ihre Kinder, das ist es.
Dass das gleichzeitig auch eine Prophetie für den Kindermord in Bethlehem ist, wäre ich nicht so draufgekommen. Aber hier, inspiriert vom Heiligen Geist, hat Matthäus das so geschrieben. Da muss ich sagen: Dann ist es so. Das war eine Aussage aus dem Alten Testament, was historisch passiert ist, und gleichzeitig eine Aussage für die Situation des Kindermords in Bethlehem.
An diesem Beispiel will ich deutlich machen, dass Prophetie manchmal schwierig ist. Manchmal kann sie uns zu Spekulationen verleiten. Wir sollten besonders vorsichtig sein, nicht zu spekulieren. An dieser Stelle wären wir wahrscheinlich nicht darauf gekommen, hätte Matthäus es uns nicht geschrieben. Durch die Offenbarung Gottes wissen wir das.
Genauso kann es umgekehrt sein, dass wir manchmal geneigt sind, etwas in eine Prophetie hineinzulesen, was eigentlich nicht wirklich drinsteht. Dadurch ist in der Kirchengeschichte manches Unheil oder manche Irritation entstanden. Zum Beispiel gab es schon zur Zeit Luthers mehrere Propheten, wie die Zwickauer Propheten. Sie sagten: „Jetzt ist das Ende der Zeit, jetzt geht die Welt unter.“
Wir wissen sogar, dass sich zu Lebzeiten Luthers einige Fürsten in Brandenburg bei einem schweren Gewitter auf einen Burgberg zurückzogen, weil sie meinten, die Welt würde noch einmal durch Regen untergehen. Da muss man sagen: Ja, sie haben schlecht im Alten Testament gelesen. Gott hat doch versprochen, dass er die Welt nicht noch einmal durch eine Flut untergehen lassen würde.
Dann muss ich auch sagen: Wenn Gott eine Flut schickt, hilft das auf dem Burgberg auch nicht. Dann lebt ihr vielleicht einen Tag länger, aber das Wasser kommt da auch hin. Dann müsst ihr euch schnell noch ein Schiff bauen – das haben sie nicht getan. Letztendlich war beides falsch: Weder kam die Flut, noch war es das Ende der Welt. Es war einfach ein schweres Gewitter, und danach gingen sie wieder ins Tal, in ihre Stadt zurück.
Es gab auch Ärger, weil die hohen Ministerialen sagten: „Warum habt ihr uns nicht mitgenommen? Wollt ihr uns ertrinken lassen?“ Es gab große Auseinandersetzungen, aber letztendlich war es noch nicht so weit.
Ich bin überzeugt, wir sind in jedem Fall viel näher dran als zu Luthers Zeit. Das ist offensichtlich 500 Jahre näher. Aber ich glaube auch, dass wir sehr nah dran sind. Ich rechne nicht damit, dass es noch einmal 500 Jahre dauert, bis Jesus Christus wiederkommt und sein Reich aufrichtet. Ich könnte mir vorstellen, dass es nicht mal 50 Jahre sind.
Aber nehmen Sie das nicht als Prophetie, keine Prophetie, nur eine ganz persönliche Erwartungshaltung, Hoffnung und Sehnsucht. Wie Johannes in der Offenbarung sagt, sollen wir alle beten: Maranatha, Herr Jesus Christus, komm bald! Das sollte unser Anliegen sein. Im Vaterunser beten wir auch: „Dein Reich komme, dein Wille geschehe.“ Das meint er auch: Tritt dein Reich an, baue dein Reich auf, so wie wir es kennen, im tausendjährigen Reich und im himmlischen Jerusalem.
Ein kleines Augenmerk darauf: Wenn wir mit prophetischen Texten umgehen, sollen wir ihnen hundertprozentig vertrauen. Aber manchmal müssen wir auch vorsichtig sein. Wir brauchen Führung durch den Heiligen Geist, um sie richtig zu verstehen. So verhindern wir, dass wir falsche Dinge hineininterpretieren oder bestimmte Texte gar nicht als prophetisch erkennen, wie diesen hier, weil wir es von Gott nicht offenbart bekommen haben.
Neben diesen prophetischen Aussagen, also neben den Texten, die wir gerade gelesen haben, wenn wir das Ganze betrachten, handelt es sich bei all dem um Prophetie, die die Vergangenheit betrifft. Es ist Prophetie aus dem Alten Testament, die sich zur Zeit des Neuen Testaments erfüllt hat.
Ich glaube, obwohl die Zeit des Lebens Jesu auf der Erde längst vorbei ist, ist das trotzdem auch für uns heute eine sehr ermutigende Angelegenheit. Wenn wir sehen, dass Gott es mit seiner Prophetie selbst im Detail ganz genau nimmt, dann können wir davon ausgehen, dass er bei den wichtigen Zusagen, die er uns macht, erst recht sein Wort halten wird.
Bei manchen dieser Stellen – ich weiß auch nicht, ob ich allein darauf gekommen wäre – steht zum Beispiel in Vers 15: „Und er blieb dort bis zum Tod des Herodes, damit erfüllt würde, was der Herr durch den Propheten geredet hat, der spricht: Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen.“ Wenn das nicht im Matthäusevangelium stünde, wäre ich wahrscheinlich nicht darauf gekommen. Dann hätte ich vielleicht gedacht: Gott, hier hast du etwas vergessen, denn Jesus hätte ja aus Ägypten kommen müssen.
Für mich wäre das wahrscheinlich kein großes Glaubensproblem gewesen. Aber hier merke ich: Gott nimmt es selbst mit den kleinsten seiner Versprechungen genau. Selbst mit solchen Versprechen, wie dass er seinen Sohn aus Ägypten rufen wird, hält er sich an sein Wort.
Vielleicht sagen manche, ich sei da zu oberflächlich, wenn ich sage, dass mir letztendlich viel wichtiger ist, dass Jesus für meine Sünde gestorben und auferstanden ist, als dass er in Ägypten gewesen war. Aber bei Gott ist es nicht nur so, dass er auf die großen Dinge schaut, sondern auch auf die kleinen. Das gibt uns alle Hoffnung. Deshalb interessiert er sich ja überhaupt für uns.
Sonst könnten wir sagen: Auch die großen Linien der Weltgeschichte laufen ohne uns. Ich vermute, wenn die Welt noch zweihundert Jahre alt werden würde, würde wahrscheinlich keiner von uns in einem Geschichtsbuch auftauchen. Das müssen wir ja auch gar nicht unbedingt.
Und trotzdem ist Gott an dir interessiert, an deinem Leben und an den Entscheidungen, die du triffst. Für mich gibt es eine ungemeine Hoffnung, wenn ich sehe, dass Gott sich nachweislich selbst für seine kleinsten Versprechen eingesetzt hat. Dass sie erfüllt wurden, dass Jesus nach Ägypten kam, dass der Kindermord dort stattfand und dass er in Nazaret aufwuchs.
Wenn Gott zu diesen kleinen Aussagen steht, dann wird er auch zu seinen großen Aussagen stehen. Seine großen Aussagen sind zum Beispiel: Wenn du deine Sünde bereust, ist er treu und gerecht, dass er dir deine Sünden vergibt und dich reinigt von aller Ungerechtigkeit.
Das ist ein großes Versprechen, weil es viel mehr betrifft, als nur den Geburtsort oder den Wohnort anzugeben. Das ist ja das, worauf alle Christen bauen: Sie wissen, Jesus Christus ist für ihre Sünden gestorben, weil Gott es versprochen hat.
Wir können das nicht sehen, weil wir Sünde nicht sehen können. Wir können Vergebung auch nicht sehen. Aber wir glauben, dass es so ist, weil wir wissen, dass sich Gott an anderer Stelle ganz treu zu seinen Versprechen gestellt hat.
Deshalb glauben wir alle – oder ich glaube es zumindest –, dass der irdische Tod nicht das absolute Ende ist, sondern dass es nach dem Tod weitergeht. Sehen können wir das nicht. Keiner von uns kann die Seele eines Verstorbenen sehen. Und wenn jemand vorgibt, sie zu sehen, habe ich eher Bedenken, dass etwas Okkultes im Spiel ist.
Wir können es nicht sehen, und trotzdem sind wir fest davon überzeugt, dass wir auch nach dem Tod weiterleben. Dass wir zunächst im Totenreich sind und später bei Gott in der Ewigkeit.
Ich vertraue darauf, weil ich weiß, dass Gott sich auch an anderen Stellen, wo ich es überprüfen kann, treu zu seinem Versprechen gestellt hat. Er hat Dinge getan, die er vorher verheißen hat, wie diese erfüllten Prophetien, die drei, die wir in diesem Kapitel gelesen haben, aber auch die anderen, die ich zuvor gelesen habe – ein Kapitel vorher und ein Kapitel nachher –, mit dem Auftreten Johannes des Täufers und mit der Jungfrauengeburt bei Maria.
Auch das hat Gott erfüllt, und Zeugen haben es gesehen und konnten darauf aufbauen. Gott stellt sich zu seinen kleinen Versprechen, und sie sind historisch nachweisbar eingetroffen, wie wir hier lesen können.
Daraus können wir Zuversicht schöpfen, dass er auch bei seinen großen Versprechen – seiner Wiederkunft, unserem Leben nach dem Tod, der Vergebung der Sünden – genauso dazu steht und sie einhält.
Ein weiterer Punkt, den ich hier bereits hervorgehoben habe und von dem wir lernen können, ist, dass wir uns Josef als Vorbild nehmen sollten. Wenn du erkennst, dass du etwas tun sollst, dann tue es auch und setze dich dafür ein.
Eine dritte Sache, die ich aus dem Bericht, den wir hier lesen, hervorheben möchte, ist die tragische Geschichte mit den Kindern. Ich finde sie tragisch, weil ich auf der einen Seite lese und denke: Halleluja, Gott hält seine Versprechen. Doch wenn ich mich nur für einen Moment in die Lage der armen Eltern versetze, weiß ich nicht, ob sie wirklich getröstet waren. Keiner der Soldaten hat diesen Bibelvers genannt, und selbst wenn er es getan hätte – hier steht geschrieben: „Jetzt muss ich dein Kind töten“ –, wären die Eltern wahrscheinlich auch nicht froh gewesen. Wenn es mein Kind wäre, wäre ich auch nicht froh.
Manchmal, glaube ich, ist es in unserem Leben heute noch genauso. Gott lässt immer wieder Leid zu. Wer in christlichen Kreisen verspricht, Christen würden nie leiden oder nie krank werden, der ist ein Lügner. In der Bibel finden wir vielmehr das Gegenteil. Wenn du Jesus Christus nachfolgst, wirst du mit Leiden und Schwierigkeiten zu tun haben.
Nehmen wir zum Beispiel das Leben des Petrus. Zuvor lief sein Leben ziemlich glatt. Er war Kleinunternehmer am See Genezareth, hatte ein eigenes Fischereiunternehmen, eine Familie mit Ehefrau und Kindern, und alle kamen einigermaßen gut über die Runden. Dann kam Jesus in sein Leben hinein. Schon nach den ersten Monaten fragte er sich: Was bekomme ich eigentlich dafür, dass ich meine Familie verlassen und meinen Job aufgegeben habe? Das hat ihn etwas gekostet. Es war nicht nur ein Spaß, durch Israel zu reisen, sondern es hat ihn etwas gekostet.
Und genauso ist es heute auch: Wenn wir Jesus nachfolgen, sollten wir das nicht tun, weil wir große irdische Gewinnaussichten haben und denken, dass wir immer gesund und glücklich sein werden. Das wird nicht passieren. Wer so etwas verspricht, ist ein Bauernfänger. Genau das, was wir hier lesen, kann auch in unserem Leben passieren. Wir können Leiden erfahren, und manchmal werden wir nie erfahren, warum das so ist.
Manchmal bin ich froh, wenn ich etwas Schweres erlebt habe, weil mir im Nachhinein klar geworden ist, warum das so war. Aber manchmal merke ich, dass ich diese Antwort nie bekommen werde. Vor einigen Jahren war ich wegen Krebs im Krankenhaus. Ich war etwa ein Dreivierteljahr dort, hatte mehrere Operationen und drei Durchgänge Chemotherapie. Bis heute hat mir Gott nicht gesagt, warum das so war.
Manchmal habe ich im Krankenhaus geweint und schlaflose Nächte gehabt und mich gefragt: Warum passiert mir das? Am Anfang dachte ich auch: Ist das jetzt das Ende meines Lebens? Werde ich hier sterben? Was ja bei Krebs möglich ist. Bis heute habe ich keine Antwort von Gott bekommen.
Mancher hier heute Abend hat auch schon schwere Dinge erlebt und vielleicht keine Antwort bekommen. Vielleicht steht dir auch noch Schweres bevor. Dann denke daran: Wenn Gott dich in deinem Leben führt, gibt es nicht immer eine Antwort. Aber gib deshalb dein Vertrauen nicht auf. Bei Gott gibt es eine Antwort. Er weiß, warum er das zulässt, sagt es uns aber nicht immer.
So war es auch bei den Eltern damals. Gott hat ihnen nicht vorher gesagt, warum ihre Kinder getötet wurden. Es ist so passiert. Wahrscheinlich wird es diesen Eltern erst in der Ewigkeit klar werden. Vielleicht werden sie getröstet sein, wenn sie sehen, dass Gott doch dahintersteht.
Denken wir an den Blindgeborenen, als die Jünger fragten, wer gesündigt habe, er oder seine Eltern. Jesus antwortete, dass er blind geboren wurde, damit Gott verherrlicht werde. Rein menschlich gesehen, wenn ich der Blinde wäre, würde ich mich ironisch bedanken und sagen: „Danke, dass ich jetzt nach zwanzig oder dreißig Jahren blind sein musste, nur damit du mich jetzt heilen kannst.“ Er wusste es damals nicht, auch die Jünger nicht, nur Jesus sah tiefer.
So ist es manchmal auch mit unserem Leiden. Wir wissen nicht, warum es kommt, und Gott nimmt es nicht sofort weg. Es bleibt eine Zeit lang da. Aber ich möchte Mut machen, trotzdem nicht das Vertrauen auf Gott aufzugeben. Wir können fest überzeugt sein, dass Gott auch mit dem, was wir nicht verstehen, etwas vorhat. Es ist nicht nur Zufall oder ein Unglücksfall, dem Gott entglitten ist.
Manchmal kann dieses Wissen und Vertrauen im Leiden helfen, nicht total zu verzweifeln oder aufzugeben, sondern daran festzuhalten. Hier ist für mich eine Form des nicht verstehbaren Leids. Da kommt keine große Antwort, und es steckt nicht hinter allem etwas Tolles Geistliches, was die Eltern dadurch lernen konnten. Es war die Erfüllung alttestamentlicher Prophetie für das Leben Jesu.
An dieser Stelle würde ich sagen: Halten wir daran fest, gerade wenn solches Leiden kommt. Gott hat nicht versprochen, dass wir generell davon befreit sind.
Und noch vielleicht einen vierten und letzten Punkt, der uns für unser Leben weiterhelfen kann aus diesem Bericht, den wir hier im Matthäusevangelium lesen. Und zwar ist das folgender: Wenn heute immer wieder Leute kommen und sagen, du kannst der Bibel doch nicht vertrauen, weil da und dort hat die Wissenschaft doch etwas ganz anderes gesagt, dann würde ich sagen, können doch gerade diese Textstellen uns deutlich machen: Manchmal müssen wir nur warten, und dann kommen auch Antworten, von denen vorher nie jemand etwas geahnt hat.
Manchmal kommen dann nach Jahren oder Jahrzehnten plötzlich historische, medizinische oder sonstige neue Ergebnisse, die genau das bestätigen. Lassen wir uns Gottes Aussagen nicht einfach über Bord werfen, nur weil sie auf den ersten Blick seltsam klingen. Wie bei der Sache mit Herodes: Wenn Sie bei Wikipedia nachschauen und feststellen, Herodes sei vier Jahre vor Christus gestorben, dann sagen Sie vielleicht, das kann ich die Bibel ja vergessen. Aber vertrauen Sie der Bibel! Manchmal liegt der Fehler irgendwo ganz anders.
Hier liegt der Fehler in der falschen Berechnung der mittelalterlichen Mönche. Und plötzlich merken wir, ja, gar kein Problem, die Bibel stimmt ja schon. Deshalb sollten wir nicht so schnell den Ergebnissen der gegenwärtigen Historiker, Mediziner, Psychologen oder sonstiger Fachleute vertrauen. Denn manchmal liegen auch sie falsch.
Wir sollten nicht immer die Bibel neu uminterpretieren, nur weil irgendwelche Wissenschaftler gerade andere neue Erkenntnisse haben. Damit will ich diese Erkenntnisse gar nicht herabsetzen, sondern einfach sagen: Sie sind menschlich begrenzt. Wir sollten sie aber nicht über das stellen, was in der Bibel zu finden ist.
So habe ich neulich mit jemandem gesprochen, der gerade Pädagogik studiert. In einigen Universitäten ist es weit verbreitet, dass man sagt, Strafen sei absolut das Schlimmste und Böse, was man Kindern antun kann. Falls Sie gerade eine Ausbildung als Erzieherin oder Pädagogin gemacht haben, haben Sie so etwas vielleicht auch schon gehört. Nicht alle Professoren sagen das, aber viele.
Ich habe mit einer jungen Frau gesprochen, die gerade eine pädagogische Ausbildung an der Uni macht. Im Gespräch sagte sie, Strafen sei ganz, ganz schlimm, man dürfe das mit Kindern nicht mehr machen. Das sagt sie auch in ihrer Gemeinde. Da musste ich sie fragen: „Dann ist Gott im Irrtum.“ Denn Gott hat sein Volk Israel ganz häufig gestraft. Wir lesen sogar in der Bibel: „Wer sein Kind nicht züchtigt, der liebt es nicht.“
Da ist die Auffassung der Bibel vollkommen anders als die heutige. Da müssten wir sagen, ja, dann hätten die Autoren der Bibel besser den Psychologie-Professor der Gegenwart fragen müssen. Vielleicht hätten sie noch zwei, drei Tausend Jahre warten sollen, dann hätten sie es besser gewusst.
Was ich hiermit natürlich sagen will, ist: Ich kann ziemlich garantieren, warten Sie 50 Jahre, und dann werden genau diese Psychologen, falls sie noch leben, auch eingesehen haben, dass es ganz so nicht geht. Manchmal lernen sie es schon, wenn sie eigene Kinder haben. Dann merken sie, es läuft nicht ganz so.
Und da müssen wir sagen: Lasst uns der Bibel vertrauen, auch in Aussagen, wo sie scheinbar gegen die gegenwärtige Erkenntnis spricht. Denn Gottes Erkenntnis ist viel, viel höher, weiter und länger bewährt als die Ergebnisse, die wir heute haben.
Diese Ergebnisse will ich nicht schlechtreden. Sie sind eine Seite, ein Blickwinkel, und vorläufig. Das dürfen wir nie aus dem Blick verlieren. Ich habe manche Leute erlebt, gerade auch viele junge Leute, die im Studium oder in der Ausbildung sind, und sie glauben einfach alles, was der Professor ihnen sagt. Weil er so gut reden kann, weil er viele Fakten nennt, weil das auch im Fachbuch steht und Studien das belegen.
Aber ich würde auch fordern: Ja, wir sollten das anhören und uns ernsthaft damit auseinandersetzen. Aber bitte nicht alles glauben! Wissenschaftliche Erkenntnisse sind immer auch zeitbezogene, begrenzte Erkenntnisse. Das, was Gott uns mitteilen will, sind Erkenntnisse und Wahrheiten, die über alle Zeiten hinweg Gültigkeit beanspruchen.
Hier sind vier Punkte, die ich gerne mitgeben möchte, neben dem, was wir hier sehen: erfüllte Prophetie aus dem Alten Testament im Leben Jesu.
Erstens: Wenn du erkennst, dass du etwas in deinem Leben geistlich tun sollst – sei es zu Jesus Christus zu kommen, um die Sünde zu bekennen, dich vielleicht mit anderen Menschen zu versöhnen oder irgendetwas in Ordnung zu bringen – dann tue es bald. Lerne von Joseph.
Das Zweite, was ich hier gesagt habe, ist: Höre nicht gleich auf jede Neuerung, die es in der Wissenschaft gibt. Wenn dir manche Sachen in der Bibel komisch vorkommen, vertraue darauf. Nicht blind, aber denke daran, dass es vielleicht in der Zukunft noch einmal klarer wird. Erkläre die Bibel nicht gleich für falsch.
Drittens habe ich gesagt: Wenn wir merken, dass Gott selbst die kleinen Versprechen erfüllt, die kleinen Prophezeiungen – so wie hier dreimal – dann können wir darauf bauen, dass auch die großen Versprechen, die er uns gegeben hat, erfüllt werden. Dazu gehören die Vergebung unserer Schuld, das Leben nach dem Tod, seine Wiederkunft und die ewige Herrlichkeit bei ihm.
Und dann als Letztes: Wenn du mal in Phasen bist, in denen du gar nicht mehr ein- und ausweißt, in denen du im Leiden bist und keine Antwort bekommst, gib deinen Glauben nicht auf. Denke daran, dass es passieren kann, dass auch hier Gott nicht immer verpflichtet ist, uns eine Antwort zu geben. Es kann auch sein, dass wir als Christen mit Leid konfrontiert werden, ganz persönlich und intensiv, ohne sofort eine Antwort zu haben. Aber deshalb gib deinen Glauben nicht gleich auf.
An dieser Stelle möchte ich gerne mit Ihnen beten, und wer will, kann gerne mitbeten:
Vater im Himmel, vielen Dank für dein Wort und vielen Dank dafür, dass es uns einerseits historische Informationen gibt, andererseits aber auch wichtige geistliche Informationen. Darüber hinaus fordert es uns ganz persönlich heraus.
Vielen Dank, dass du durch dein Reden zu Menschen prophetisch gewirkt hast, sodass sie wussten, dass es nicht ihre eigenen Gedanken waren, sondern deine Worte. Danke dafür, dass sich das schon so häufig bestätigt und erfüllt hat in der Zeit des Neuen Testaments. Du hast das Kommen deines Sohnes, Jesus Christus, bis ins Detail angekündigt, und es hat sich genauso erfüllt.
Danke, dass uns das Mut machen kann und dass wir wissen: Jesus war nicht nur irgendein Mensch, sondern er war von dir. Er war der Messias, er war dein Sohn. Danke dafür.
Ich möchte dich bitten für all meine Geschwister und für die anderen Gäste, die heute Nachmittag hier sind, dass du ihnen nachgehst. Wenn du ihnen Dinge deutlich gemacht hast in ihrem Leben, dass sie das erkennen und du ihnen die Bereitschaft gibst, es zu tun und es nicht auf die lange Bank zu schieben.
Ich möchte dich bitten, dass diejenigen, die heute hier sind und manchmal Zweifel an deinem Wort haben, weil sie mit Erkenntnissen der gegenwärtigen Geschichte, Psychologie oder Medizin konfrontiert werden, ihr Vertrauen in dein Wort gestärkt wird. Dass sie sich nicht so schnell verführen lassen oder dein Wort über Bord werfen, wo sie es nicht verstehen.
Ich möchte dich bitten für uns alle, dass wir unser Vertrauen immer mehr und immer stärker auf dich setzen, weil wir wissen, dass du deine Versprechen hältst – anders als Menschen es tun. Du stehst zu deinem Wort, du machst das, was du gesagt hast, bis ins Detail. Danke dafür.
Und ich möchte dich auch besonders für diejenigen bitten, die in schwerem Leid sind, es hinter sich haben oder denen es noch bevorsteht. Sei ihnen ganz nahe, dass sie das Vertrauen nicht verlieren, dass sie deine Gegenwart und Unterstützung spüren, auch wenn sie keine Antwort haben, warum sie leiden.
Hilf du ihnen. Amen.