Einleitung: Die Bedeutung der Beziehung zu Christus
Kommen wir zu dem Text, der am besten zu diesem Lied passt: Kolosser 1,15-23 mit der Überschrift „Christus genügt“.
Nachdem Paulus seine persönlichen Gedanken mit uns geteilt hat – seine Begeisterung für die Gläubigen, seinen Dank und seine Fürbitte – beschreibt er, was er sich für sie wünscht: dass sie geistlich reife Christen werden. Danach stellt er uns Jesus vor.
Es klingt zunächst merkwürdig, dass ich als Christ anderen Christen Christus vorstelle. Dass ich zu ihnen gehe und sage: „Ich muss dir mal was über Jesus sagen.“
Ich bin sehr dankbar dafür, denn es gibt gar nicht so viele Stellen im Neuen Testament, an denen man so viel über Jesus hört wie hier. Ich bin dankbar, dass Paulus das gemacht hat. Trotzdem ist es ein ungewöhnlicher Gedanke. Müssen wir als Christen eigentlich immer wieder etwas über Jesus hören?
Die Antwort lautet: Ja. Wir müssen uns mit der Person des Geliebten beschäftigen, wenn wir dafür sorgen wollen, dass die Beziehung lebendig bleibt.
Das gilt zuerst einmal für jedes Ehepaar. Wenn wir aufhören, uns Gedanken über den Partner zu machen, dann geht etwas kaputt. Es ist einfach so. Wenn ich mir keine Gedanken mehr über meine Frau mache, wenn ich zulasse, dass sie für mich selbstverständlich wird, wenn ich denke: „Na ja, sie weiß doch, dass ich sie liebe. Ich habe ihr immerhin vor dem Standesbeamten das versprochen, das muss doch reichen“, dann wird etwas kaputtgehen.
Genauso ist es mit Christus. Wir müssen uns immer wieder mit ihm beschäftigen, diese Begeisterung, dieses Feuer der Leidenschaft am Knistern halten.
Und wir werden das nur schaffen, wenn wir das, was er ist, wenn wir seinen Charakter, seine Person – im Alten Testament wäre es sein Name – an uns heranlassen.
Paulus’ Absicht: Ein richtiges Bild von Christus vermitteln
Und genau das tut Paulus hier. Bevor er auf die eigentlichen Probleme eingeht, sorgt er dafür, dass die Kolosser ein richtiges Bild von Christus haben.
Denn wenn ich mich auf den Weg mache und mir die Frage stelle, ob ich in meinem geistlichen Leben mehr brauche als Christus – ob ich bestimmte Erfahrungen, Techniken oder spezielles Wissen benötige –, dann geschieht das nur, wenn ich vorher glaube, dass das, was ich habe, nicht ausreicht.
Um eine Analogie zur Ehe zu verwenden: Wenn ich restlos leidenschaftlich in meine Frau verliebt bleibe, warum sollte ich mich dann aufmachen, nach einer anderen zu suchen? Genauso ist es mit Christus: Wenn ich restlos leidenschaftlich in ihn verliebt bleibe, warum sollte ich nach einem Ersatz, einem Plus oder einem Mehr suchen?
Deshalb wollen wir uns anschauen, wie Paulus Jesus vorstellt.
Die Vorrangstellung Christi in der Schöpfung
Vers 15: Er ist das Bild des unsichtbaren Gottes. Niemand hat Gott jemals gesehen, heißt es in Johannes 1,18: Der eingeborene Sohn hat ihn kundgemacht.
Jesus ist wie eine zweidimensionale Ölgemälde-Landschaft auf Leinwand, die eine dreidimensionale Realität abbildet. So ist Jesus das Bild, die vollkommene Abbildung Gottes in Fleisch, in dreidimensionalem biologischem Material. Er ist das Bild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene aller Schöpfung.
Der Begriff „Erstgeborener“ drückt eine Vorrangstellung aus. Es geht nicht darum, dass er Teil der Schöpfung wäre oder in der Schöpfung geboren wurde. Lasst euch durch das Wort „geboren“ nicht verwirren. „Erstgeborener“ bedeutet zunächst einmal die Vorrangstellung.
Deshalb kann es in Psalm 89,28 auch heißen, über David – vielleicht lese ich den Vers mal vor, denn den braucht man, wenn man über diese Stelle mit den Zeugen Jehovas diskutiert: Psalm 89,28: „Von Ethan, dem Esrachiter, so will auch ich ihn zum Erstgeborenen machen, zum Höchsten unter den Königen der Erde.“
Hier wird deutlich, dass der Erstgeborene jemand ist, der eine Vorrangstellung hat, und dass man zum Erstgeborenen gemacht werden kann. Man muss also nicht zwingend in etwas hineingeboren werden. Man muss nicht Teil der Gruppe sein, um der Höchste in der Gruppe zu sein.
Und das ist bei Jesus genau der Fall. Er ist nicht Teil der Gruppe, nicht Teil der Schöpfung. Wie es in Vers 16 heißt: „Denn in ihm ist alles in den Himmeln und auf der Erde geschaffen worden, das Sichtbare und das Unsichtbare, es seien Throne oder Gewalten oder Herrschaften oder Mächte.“
In ihm – da sind wir wieder bei dem Wörtchen „in“ – ja, das bedeutet auch „durch ihn“. Er ist die Sphäre, in der alles geschaffen ist. Das ist viel mehr, als nur zu sagen, er ist der Schöpfer, aber es ist mindestens genau das.
Und weil er der Schöpfer ist, ist er nicht Teil der Schöpfung. Deswegen ist er Erstgeborener, nicht im Sinne von „das erste Geschöpf innerhalb der Schöpfung“, denn er steht von Anfang an außerhalb.
Gott macht ihn zum Erstgeborenen, gibt ihm die allerhöchste Vorrangstellung. Er ist die Nummer eins in der geschaffenen Welt. Alles ist durch ihn und für ihn geschaffen, schreibt Paulus.
Die zeitliche Vorrangstellung und Erhaltung der Schöpfung
Vers 17
Er ist vor allem. Ich persönlich glaube, dass es hier um eine zeitliche Vorrangstellung geht, also nicht nur um eine räumliche, sondern vor allem um eine zeitliche Vorrangstellung. Bevor irgendetwas anderes war, war Jesus da. Und nicht nur, dass er vorher da war – alles besteht durch ihn.
Dass überhaupt noch etwas ist, liegt nur daran, dass Jesus alles, was ist, in jedem Moment erhält. Das muss uns klar sein. Gott schafft aus dem Nichts. Wir haben uns so daran gewöhnt, dass das, was ist, nicht einfach wieder ins Nichts zurückfällt. Aber warum eigentlich nicht? Warum gibt es diesen Moment, in dem ich lebe?
Wenn Gott aus dem Nichts schafft, wäre doch die Logik, dass, wenn Gott aufhört zu erhalten, es einfach wieder nichts wird. Plopp! Das wird es aber nicht. Stattdessen gehe ich davon aus, dass ich diesen Vortrag zu Ende halte. Es ist so ein Selbstverständnis: Wir leben weiter. Warum?
Der Grund dafür, der einzige Grund, der einzige biblische Grund ist: Alles besteht durch ihn. Jesus sorgt dafür, dass das, was er geschaffen hat, Bestand hat. Ohne ihn würde alles einfach auseinanderbrechen, es wäre einfach nicht mehr.
Das ist die eine Seite. Jesus ist das Haupt, die absolute Nummer eins in der geschaffenen Welt.
Die Vorrangstellung Christi in der Gemeinde
Vers 18: Und er ist das Haupt des Leibes, der Gemeinde. Er ist nicht nur die Nummer eins in der Schöpfung, sondern auch das Haupt in der Gemeinde. Dort steht er ganz oben, und zwar, weil er der Anfang ist.
Jesus ist der Gründer einer neuen Menschheit. Er ist Anfänger in dem Sinne, dass er Mensch wird, ein vollkommenes Leben führt, am Kreuz für unsere Sünden bezahlt und uns jetzt einlädt: Möchtest du mein Leben teilen? Du hast jetzt die freie Wahl. Du kannst durch den Glauben aus deinem alten Leben herausspringen und in ein neues Menschsein hineinspringen.
Du kannst als einer, der unter der Flagge Adams gesegelt ist, quasi das Schiff wechseln. Du kannst sagen: Ich möchte jetzt unter der Flagge Christi segeln. Ich möchte die Zukunft Christi teilen. Ich möchte, wie er gestorben und auferstanden ist zu ewigem Leben, genau das Gleiche erleben. Möchtest du das?
Paulus würde sagen: Logisch, er ist der Anfang. Er ist derjenige, der uns das überhaupt erst möglich gemacht hat. Er ist der Erstgeborene aus den Toten. Ihr merkt, dass der gleiche Begriff „Erstgeborener“ hier einmal mehr mit dem Schwerpunkt Vorrangstellung gebraucht wird. Hier kommt ein zeitlicher Aspekt mit dazu: Er ist nämlich Erstgeborener im doppelten Sinn.
Er ist die Nummer eins, aber er ist uns tatsächlich in einem gewissen Sinn auch vorangegangen. Er ist nämlich als Erster aus den Toten auferstanden, damit er in allem den Vorrang habe. Es soll gar keine Frage sein, wer denn die Nummer eins ist. Wir brauchen diese Frage nicht, weil es nur einen gibt, der das gemacht hat.
Wir alle laufen hinterher. Wir sind alle, wie soll ich sagen, Spätberufene. Ja, es kommt alles dahinter, zuerst er. Und wir warten, bis dann von oben der Befehl kommt – und dann ist es für uns zu spät.
Die göttliche Fülle in Christus und die Versöhnung
Vers 19: Denn es gefiel der ganzen Fülle – gemeint ist die ganze Fülle der Gottheit, wie in Kolosser 2,9 zu sehen ist: „Denn es gefiel der ganzen Fülle, in ihm zu wohnen.“
In dem Moment, in dem Jesus geboren wird und vor uns steht, haben wir die ganze Fülle Gottes in einem Menschen. Das ist irgendwie ein komischer Gedanke. Ich finde es nach wie vor faszinierend, mir vorzustellen, wie es den Jüngern erging. Du läufst auf einem staubigen Pfad irgendwo durch Judäa, und neben dir läuft Jesus, in einem schlapperen Mantel, ganz normal. Du schaust ihn an und denkst: Gott, ich irre! Wie soll das gehen?
Aber genau das ist es: Gott wird Mensch und macht sich erkennbar. Wir neigen dazu, nur die äußere Hülle zu sehen. Gerade an Weihnachten neigen wir dazu, in dieses kleine Baby im Krippenstall mit lockigem Haar zu schauen – ihr wisst schon, dieses „Rrrr“, bei dem ich mir denke, das hat überhaupt nichts mit Jesus zu tun. Aber das ist die Gefahr: Wir sehen nur den menschlichen Aspekt von Jesus. Weil wir das Menschliche sehen, verschwindet das Göttliche. Wir sind nicht mehr ergriffen, nicht mehr betroffen, wir haben keine Angst mehr vor diesem Jesus.
Wir wünschen uns so einen Streichel-Jesus. Christsein wie im Streichelzoo: Alle haben mich lieb. Aber das stimmt nicht. In der Offenbarung des Johannes, Kapitel 1, begegnet Johannes nicht dem Streichel-Jesus, sondern er fällt wie tot zu Boden. Jesus muss sagen: „Fürchte dich nicht.“ Ich frage mich manchmal, warum Johannes sich fürchtet – er war doch der Lieblingsjünger und mit Jesus unterwegs. Nein, es gibt diesen Streichel-Jesus nicht. Jesus ist Gott im Fleisch, Jesus ist Gott. Gott ist zu fürchten, Gott ist ein verzehrendes Feuer.
Mit Jesus begegnen wir dem Richter der Welt. Es ist die Fülle der Gottheit, die sich in dieser Person, in Jesus, zeigt. Denn es gefiel der ganzen Fülle, in ihm zu wohnen und durch ihn alles mit sich zu versöhnen. Das ist ein ganz schwieriger Vers, denn man kann an dieser Stelle schnell dazu neigen, in Richtung Allversöhnung abzudriften.
Ja, okay, alles wird versöhnt. Dann heißt es noch ein Stück weiter unten: „Durch ihn sei, was auf der Erde und was in den Himmeln ist.“ Also offenbar wird alles im Himmel und auf der Erde mit Gott versöhnt am Kreuz. Das heißt, indem er Frieden gemacht hat durch das Blut seines Kreuzes. Bedeutet das, dass alle in den Himmel kommen, weil er ja alle versöhnt hat – alles im Himmel und auf der Erde?
Instinktiv würden wir sagen: Das kann irgendwie nicht sein. Niemand hätte grundsätzlich etwas gegen Allversöhnung. Allversöhnung ist eigentlich eine ganz nette Theologie. Sie ist zwar falsch, aber trotzdem nett, insofern als eine sehr entspannende Theologie. Das muss man nüchtern sagen: Es wäre super, man würde es sich fast wünschen. Es würde funktionieren, wenn Gott kein heiliger Gott wäre. Aber Gott ist heilig, und wir würden die Heiligkeit Gottes und noch ein paar andere wichtige Dinge verlieren.
Grundsätzlich kommt uns diese Vorstellung jedoch ein Stück entgegen. Solche Verse werden gerne genommen, um zu zeigen: „Na siehst du doch, er hat alles mit sich versöhnt – die guten Engel, die bösen Engel, die guten Menschen, die bösen Menschen.“ Das Problem ist hier, dass der Begriff Versöhnung qualifiziert wird durch diese Parenthese, durch den Einschub mit den Gedankenstrichen: „indem er Frieden gemacht hat durch das Blut seines Kreuzes.“
Wir werden in Kapitel 2 sehen, was dieses „Frieden machen“ in Kolosser 2,15 bedeutet. Dort geht es um dasselbe Ereignis. Im Hinblick auf die dämonische Welt steht dort, dass er die Gewalten und Mächte völlig entwaffnet und sie öffentlich zur Schau gestellt hat. Das ist der Aspekt der Versöhnung der himmlischen Welt.
Wir merken: Wenn wir das Wort Versöhnung lesen, denken wir sofort: „Haha, du kommst in den Himmel!“ Quatsch! Es gibt einen allgemeineren Begriff der Versöhnung, der gleichzusetzen ist mit Frieden machen. Das Bild, das dahinter steht, ist das einer einmarschierenden römischen Armee, die ein Land befriedet.
In dem Land gibt es zwei Sorten von Leuten: Die einen freuen sich darüber, dass die Römer kommen und endlich wieder Recht und Ordnung schaffen. Das sind die Christen. Wir haben uns über die Versöhnung, die am Kreuz passiert ist, gefreut.
Dann gibt es die Rebellen, die sich ärgern, weil sie diesen König nicht haben wollen. Sie unterwerfen sich widerwillig, knirschen mit den Zähnen, rollen mit den Augen. Das sind die Dämonen, denn sie wissen schon, dass sie verloren haben. Die anderen wissen das noch nicht. Das lesen wir dann in Philipper 2, dass sich jedes Knie beugen wird. Das kommt noch.
Aber die dämonische Welt weiß schon, dass sie entwaffnet ist, dass am Kreuz ein Sieg passiert ist, eine Versöhnung wider Willen geschehen ist, dass Gott Frieden gemacht hat. In dem Sinne, dass er seinen Christus genommen, ans Kreuz geheftet hat und der unsichtbaren Welt gezeigt hat, wer die Nummer eins ist, wer King of Kings ist, wer oben steht.
In diesem Sinn wird der Begriff Versöhnung hier verwendet. Für uns bedeutet Versöhnung zum Glück nicht nur, dass gegen unseren Willen Frieden gemacht wurde, dass wir quasi gegen unseren Willen besiegt worden sind, sondern für uns heißt das:
Vers 21: „Und euch, die ihr einst entfremdet und Feinde wart nach der Gesinnung in den bösen Werken.“
Wir waren Fremde, wir waren Feinde Gottes. Es muss einem immer klar sein: Jemand, der nicht mit Gott lebt, ist ein Feind Gottes. Und zwar zeigt sich das in seiner Gesinnung, in seinem Denken. Dieses Denken findet seinen Ausdruck in bösen Werken.
Die Bibel macht das ganz klar: Du bist das, was du lebst, nicht das, was du denkst zu sein. Das gilt auch für Christen. Du bist das, was du lebst. Wenn du ein Baum bist, der schlechte Frucht bringt, dann bist du ein schlechter Baum.
Bitte stell dich nie hin und sag: „Ja, in meinem Leben gibt es irgendwie Probleme, aber prinzipiell bin ich voll auf der richtigen Seite.“ Vergiss es, du bist das, was du lebst. Und nur das, was du denkst, sieht man in deinen Werken. Ich schaue mir deine Werke an, und ich weiß, wie du denkst. Es wird nie umgekehrt sein.
Es kann sein, dass du etwas anderes möchtest, so grundsätzlich, aber wenn du es nicht lebst, bist du es nicht. Deswegen spielen die Werke eine so eminente Rolle: Wir sind das, was wir leben.
Und obwohl unser ganzes Leben von der Idee der Rettung durchdrungen ist – obwohl du ein Lügner warst, ein Dieb warst, obwohl deine Gedanken bitteschön niemand wissen soll –, hat er uns dennoch versöhnt.
Vers 22: „Hat er aber nun versöhnt.“
Ach, fantastisch! Ich mag die griechische Sprache. Ich will euch nicht zu sehr quälen, aber an dieser Stelle noch einmal der Hinweis: Die Zeitform bedeutet ein ein für alle Mal Abgeschlossenes. „Hat er aber nun versöhnt“ – Amen, abgeschlossen!
Und zwar in dem Leib seines Fleisches. Man müsste es vielleicht einfacher übersetzen mit „durch den Tod“.
Gott hat eine Vision für dein Leben. Wusstest du das? Gott denkt sich nicht: „Ich mache das einfach so, weil ich nett bin.“ Das macht er auch, weil er nett ist, aber vor allem hat er eine Vision für dein Leben. Er möchte, dass du deine Berufung lebst.
Die Berufung des Menschen und das Ziel des Glaubens
Was ist die Berufung eines Menschen? Vorhin sagte ich: Gott erkennen. Aber warum Gott erkennen? Wozu hat Gott dich gemacht? Was denkst du, wenn du mit einem Begriff oder mit einem Satz ausdrücken wolltest, wozu Gott dich gemacht hat? Was wäre deine Antwort?
Die Antwort lautet: Zu seiner Ehre, ihn zu verherrlichen und zu leben. Er bekommt das zurück, was ihm als Schöpfer, Retter und als derjenige, der deine Gebete hört, dich errettet und begnadigt hat, zusteht. Gott hat alles für dich getan und verdient genau das. Wir sind zu seiner Ehre gemacht. Das steht hier nur mit anderen Worten, um euch heilig, tadellos und unsträflich vor ihn zu stellen.
Gott möchte dir begegnen. Er möchte in dein Leben hineinschauen und sagen: „Wow, was für ein Leben, gefällt mir.“ Vielleicht kannst du das noch nicht glauben, weil du am Anfang deines Glaubens stehst und sagst: Hier ist noch so viel aufzuräumen. Ja, dann räum 20 Jahre auf und freu dich darauf, Gott zu begegnen. Aber lass dir dieses Ziel nicht nehmen.
Du wirst das schaffen, sofern du im Glauben gegründet bist, festbleibst und dich nicht von der Hoffnung des Evangeliums abbringen lässt. Das ist unser Job. Wir müssen dranbleiben. Wir dürfen nicht sagen: „Naja, wir haben jetzt mal angefangen,“ und dann wieder abrutschen. Wir können das Ziel erreichen. Wir können vor Gott stehen und ihm begegnen. Gott kann dir sagen: „Ich freue mich so auf diesen Moment, ich freue mich auf den Moment, wenn Jesus mir gegenübersteht.“
Kannst du dir das vorstellen? Stell dir vor, du stehst Jesus das erste Mal von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Du weißt, alles, was du geglaubt hast, ist wirklich wahr. Das muss irre sein, das an sich schon. Stell dir vor: Die Auferstehung ist ja schon klasse. In dem Moment – ich meine, ich habe Höhenangst – hoffe ich, dass die Umwandlung des Leibes vorher passiert und nicht nachher. Das ist eine persönliche Angst von mir, weil sonst wird der „Flug“ nach oben doch ein bisschen komplizierter.
In dem Moment, in dem die Auferstehung passiert, weißt du, alles ist wahr. Alle Predigten, die du gehört hast, sind wahr. Du weißt in dem Moment: Falls du dein Leben nur für dich gelebt hast, war das alles blöd. Okay, jetzt gehst du nach oben.
Und du begegnest Jesus. Du weißt, dass du in irgendein Gericht kommst – dieses Preisgericht oder wie auch immer man es nennen mag. Wir schauen uns nochmal an, was da so war. Und Jesus begegnet dir.
Was soll Jesus dir sagen, wenn du ihm begegnest? Was möchtest du hören? Wisst ihr, was ich mir persönlich wünsche? Ich wünsche mir, dass Jesus mir begegnet, dass ich mir die Wundmale anschaue, die ihn und sein Leben kennzeichnen, und dass er zu mir sagt: „Du guter und treuer Knecht.“ Mehr möchte ich nicht.
Stell dir das vor: Du kannst auf ein Leben zurückblicken, und der König der Könige schreibt darüber: „Guter und treuer Knecht.“ Mann, ich kenne die dunklen Ecken meines Lebens. Ich schäme mich für bestimmte Sachen, von denen ich weiß, dass ich sie nicht mehr aus meiner Biografie rauskriege. Und ich ärgere mich über Sünden, die ich noch als Christ getan habe, bei denen ich denke: „Mann, das hätte nicht sein müssen.“
Aber ich will mir diese Hoffnung nicht nehmen lassen, dass die Berufung weiterhin gilt. Ich möchte dafür sorgen, dass ich im Glauben gegründet bleibe. Ich hatte euch vorhin gesagt: Glaube hat diese drei Aspekte – Akt, Inhalt und Leben.
Die Gründung im Glauben hat sehr viel damit zu tun, dass ich begreifen möchte, woran ich glaube, und dass ich gemäß dieses Wissens auch mein Leben führen will. Ich möchte festbleiben, darin verharren und mich von der Hoffnung des Evangeliums, die im Evangelium enthalten ist, einfach nicht abbringen lassen.
Und ich wünsche euch dasselbe.
Paulus’ Dienst und die Drangsale des Christus
Paulus kann das sagen, denn Kolosser 1,24 bis Kapitel 2, Vers 5 behandelt das Zentrum seines apostolischen Dienstes. Er hat dieses große Bild von Jesus. Für ihn ist Jesus die Nummer eins in der Schöpfung, die Nummer eins in der Gemeinde und die Nummer eins in seinem persönlichen Leben. Jesus ist der Fokus seiner Existenz, die Antwort auf die Frage: Wozu bin ich bitteschön hier? Was will ich erreichen, wenn ich abtrete? Wofür will ich bekannt sein? Seine Antwort lautet: Christus.
Und er kann das in Vers 24 so ausdrücken: „Jetzt freue ich mich in den Leiden.“ Er sitzt ja gerade im Gefängnis, aber es sind Leiden für euch. Ich ergänze: in meinem Fleisch, was noch aussteht von den Drangsalen des Christus für seinen Leib – das ist die Gemeinde.
Wir haben im Neuen Testament bei der Frage, was die Drangsale des Christus sind, immer ein bisschen Interpretationsspielraum. Ich will das mal so erklären: Das Neue Testament kennt einen Übergang vom Jetzt, von diesem Zeitalter, zu einem kommenden Zeitalter, zu einem späteren Zeitpunkt. Und dieser Übergang, ich habe heute, und ich habe das Zeitalter des Messias.
Dieser Übergang wird geprägt davon, dass der Messias selber wiederkommt. Bevor der Messias wiederkommt, kommen die Drangsale des Christus, die Wehen des Messias. Es ist die Summe der Schwierigkeiten, Versuchungen und Probleme, die die Gemeinde zu erleiden hat. Und diese Summe ist nicht beliebig groß, sondern sie ist begrenzt. Gott weiß, was er uns zumuten kann.
Paulus sagt: „Ich freue mich über die Schwierigkeiten in meinem Leben, und ich ergänze, was noch aussteht.“ Er weiß, dass die Drangsale des Christus, dass die Leiden, die kommen müssen, bevor der Christus kommt, für seinen Leib, für die Gemeinde, eine bestimmte Menge an Schwierigkeiten sind, die kommen wird. Und er freut sich darüber, wenn er einen Teil davon tragen kann, weil das, was er tragen muss, andere nicht tragen müssen.
Ich weiß nicht, ob du je so auf deine Leiden geschaut hast, ob du, wenn du durch Schwierigkeiten gehst, jemals gedacht hast: „Mann, bin ich froh, wenn ich es tragen muss, damit es ein anderer nicht tragen muss.“ Ich finde das einen ganz merkwürdigen Gedanken, den wir auch nur hier im Neuen Testament so klar formuliert finden. Aber es ist etwas, was mir persönlich Mut macht, wenn ich selber Schwierigkeiten habe.
Paulus als Diener der Gemeinde und Verkünder des Geheimnisses
Und wo Paulus bei der Gemeinde ist und seine Bereitschaft zeigt, für den Gemeindedienst zu leiden, findest du zahlreiche Anwendungen. Hier sind Anwendungen pur.
Bist du bereit, für die Gemeinde zu leiden? Bist du bereit, etwas zu tun, worauf du eigentlich keine Lust hast, für die Gemeinde? Paulus ist an deiner Seite. Er sagt über die Gemeinde in Vers 25: „Ihr Diener bin ich geworden nach der Verwaltung Gottes.“
Paulus ist ein Diener der Gemeinde und der Verwaltung Gottes oder des Verwaltungsamtes, könnte man auch sagen. Gemäß seines Apostelamtes ist ihm diese Verwaltung gegeben worden. Sie wurde ihm im Blick auf euch gegeben, um das Wort Gottes zu vollenden.
Man vollendet das Wort Gottes dadurch, dass man es überall verkündigt. Das ist sein Auftrag. Nun geht er einen Schritt weiter. Das Wort Gottes – und zwar der Aspekt, der durch den Apostel Paulus verkündigt wird – ist das Geheimnis, das von den Weltzeiten und von den Geschlechtern her verborgen war. Jetzt aber ist es seinen Heiligen geoffenbart worden.
Ein Geheimnis ist etwas, das man früher nicht wusste, und jetzt weiß man es. Man erkennt es nur als Geheimnis, weil man es weiß. Wenn man es nicht wüsste, wüsste man nicht, dass es ein Geheimnis ist, man wüsste nicht, dass es etwas gibt. Aber jetzt ist es da.
Paulus hat gesagt, dass ihm dieses Geheimnis offenbart wurde. Er wusste also, dass es vorher ein Geheimnis war. Dieses Geheimnis gibt er jetzt weiter.
Das Geheimnis des Glaubens: Christus in den Heiden
Worin besteht dieses Geheimnis? Besteht es darin, dass irgendwann einmal Heiden zum Glauben kommen werden? Was denkt ihr? Also, runter an euch: Ist das Geheimnis, von dem Paulus spricht, dass Heiden zum Glauben kommen werden?
Vorsicht, ich möchte immer Bibelstellen hören. Warum nicht? Ach super, Jesaja 12, ich weiß nicht genau, aber es gibt einige Stellen im Buch Jesaja, die davon sprechen. Super, ich hoffe, ihr wusstet das alle, das wäre schön. Ja, Jesaja spricht davon, dass die Heiden zum Glauben kommen werden: „Dass mein Licht sei bis an das Ende der Erde.“ Das ist die Verheißung für den Messias.
Ich habe eine andere Stelle auswendig gelernt, aber es könnte auch Jesaja 12 sein. Also, worin besteht jetzt das Geheimnis? Vers 27: „Ihnen wollte Gott kundtun, was der Reichtum der Herrlichkeit ist.“ Wir drehen das wieder um: Der herrliche Reichtum dieses Geheimnisses unter den Nationen sei. Herr, worin besteht jetzt bitte das Geheimnis?
Hm, nicht darin, dass Heiden zum Glauben kommen, sondern in der Art und Weise, wie Heiden zum Glauben kommen. Das Geheimnis besteht in diesem kleinen Christus in euch, der Hoffnung. Und jetzt markiert euch das: Hoffnung der Herrlichkeit – besser geschrieben „Hoffnung auf die Herrlichkeit“. Ich werde euch nicht mit Grammatik lähmen, aber an dieser Stelle wird es klarer, wenn man „auf die Herrlichkeit“ schreibt.
Das Geheimnis, das offenbart wird, besteht darin, dass ein und derselbe Messias in Juden wie Heiden Einzug hält und beide zu einem neuen Leib vereinigt. Wenn du einen Israeliten gefragt hättest, wie die Heiden gläubig werden, dann hätte er gesagt: Na ja, Jesaja sagt, der Messias ist auch für die Heiden da. Was war die Idee dahinter? Wie kann man als Heide gläubig werden? Ganz einfach: Du wirst Jude. Man nennt das Proselyt, ein Proselyt ist jemand, der sich zum Judentum bekehrt.
Das ist für Männer ein bisschen schmerzhafter als für Frauen, aber es ist möglich. Ihr lest die Apostelgeschichte und stellt fest, das ist tatsächlich eine Frage. Da habe ich in Antiochien plötzlich Griechen, und die fangen an, an Jesus zu glauben. Hm, was machen wir mit denen? Können die jetzt einfach zum Gottesdienst gehen? Oder müsste man ihnen nicht erst mal sagen: Lern mal hundert Bibelverse aus dem Alten Testament auswendig und so die ganzen Gebote?
Ja, und dann lerne mal, wie das mit den Festen ist. Arbeiten geht sowieso nicht. Also, was passiert da? Das wäre die alttestamentliche Idee: Wir führen das Volk Israel einfach weiter und ziehen alle so rein. Und jetzt kommt der neue Bund.
Die Kernidee des neuen Bundes ist, dass das neue Volk, das entsteht, nicht mehr in den ethnischen Grenzen Israels besteht. Sondern plötzlich ist die Eingangsvoraussetzung für alle gleich und heißt: Glaube. Plötzlich geht es um Glauben. Du machst einen Glaubensschritt und bist Teil dieser Familie – Familie Gottes, Reich Gottes, Kirche, Gemeinde, wie auch immer ihr das nennen wollt.
Schon komisch: Die Juden stehen draußen und stellen sich die Frage, was sie tun müssen, um da reinzukommen. Und die Antwort lautet: Glaube! Der Zwischenwand, die Umzäunung, wird abgerissen. Das, was Juden und Heiden getrennt hat, ist plötzlich weg.
Es wird ganz praktisch: So Dinge wie Sabbat werden wir nachher lesen, plopp, weg. Du darfst keinen Hasen mehr essen und kein Schwein mehr, plopp plopp, wird keine Rolle mehr spielen. Plötzlich geht es nur noch um diese eine Frage: Wie sieht es in deinem Herzen aus? Bist du wirklich gläubig? Wen hätte das vorher interessiert? Ich hatte jüdische Eltern, alles war gut.
Und jetzt plötzlich immer diese Betonung auf Echtheit, Wahrheit, neues Leben und persönliche Beziehung. Ja, das ist dieser neue Anfang: Christus in euch. Das Wörtchen „in“ drückt Beziehung aus, ihr erinnert euch. Ja, wie der Fisch im Aquarium: Wir leben im Christus, durch den Christus als Christen. Das heißt, wir leben in einer wirklichen Beziehung.
Es ist nicht dieses Orthodoxe: Wir haben das richtige Bekenntnis, wir gehen in eine bibeltreue Gemeinde. Das kannst du ja alles knicken, ich wünsche es dir, aber du kannst es trotzdem knicken. Denn es geht nicht darum, in welche Gemeinde du gehst. Es geht um die Frage, ob du in Christus bist, ob du eine lebendige, echte, wahre Beziehung zu Christus hast.
Und wenn du die nicht hast, dann fang heute damit an. Wenn du nicht sicher bist, ob du dieses Geheimnis auslebst, ob du wirklich eine Beziehung zu ihm hast. Wenn du merkst, mein Leben besteht nur aus einer frommen Show. Ich weiß, was man wann zu sagen hat, ich weiß, was man wann zu tun hat, aber im Hintergrund läuft ein ganz anderes Programm ab – der eigentliche Jürgen.
Ja, es gibt den Show-Jürgen, den man am Sonntag sieht, und wenn ich mit anderen Christen zusammen bin, dann gibt es den eigentlichen Jürgen. Ich bin seit drei Wochen auf Facebook – nee, zwei. Kommt mir schon viel länger vor. Und ich bin erschrocken, das eigentliche Ich mancher Geschwister zu sehen.
Ich sehe es in ihren Postings, das wollten die mir nie zeigen, keine Frage, aber ich sehe es. Denn das, womit du dich beschäftigst, wenn du freie Zeit hast, das, worum sich deine Gedanken drehen – das bist du. Oder um es mit John Owen zu sagen: Das, was du tust, wenn du mit Gott alleine bist, das bist du wirklich, und sonst bist du gar nichts.
Das, was du tust, wenn du mit Gott alleine bist, dass du hier jetzt fromm bist und artig nach vorne schaust, vielleicht auch ein paar Notizen machst, dir vornimmst, vielleicht einen Bibelvers auswendig zu lernen – das ist okay, das musst du auch. Stell dir mal vor, es wäre anders: Du würdest hier einschlafen oder mich, was weiß ich, mit Orangensaft bespritzen. Da würden alle sagen, das macht man nicht. Stimmt. Aber es ist nicht dein eigentliches geistliches Leben.
Ob du in Christus bist, ob du das Geheimnis Gottes lebst, das werden wir heute Abend sehen, wenn keiner mehr zuschaut, oder morgen früh, wenn du aufwachst und vor der grausamen Entscheidung stehst, ob du aufstehst und dich im Gebet auf den Gottesdienst vorbereitest – oder ob du dem Drängen deines Fleisches nachgibst, dich noch einmal umzudrehen.
Sorry, ich kenne den Kampf, er ist jeden Sonntag neu und wird bis zum Rest deines Lebens nicht weggehen, glaub mir. Wenn du darauf wartest, bis dein Fleisch schreit: „Mach Bibelstudium, geh endlich beten, hip hip hurra, lass uns ein paar Lieder singen“, das würde nie passieren. Also vielleicht einmal, ja, dann kannst du das im Kalender markieren, ja, dann ist gut. Aber so funktioniert geistliches Leben nicht.
Geistliches Leben ist eine Auseinandersetzung mit mir selbst. Die Frage ist: Christus in euch – habe ich diese lebendige Beziehung, die Hoffnung auf die Herrlichkeit? Nur wenn diese Beziehung da ist, haben wir diese Hoffnung als Grundlage für Glauben und Lieben. Ohne diese Beziehung kannst du das knicken.
Die Verkündigung und das Ziel der Gemeinde
Vers 28: Ihn verkündigen wir. Wir befinden uns mitten in der paulinischen Beschreibung seines Dienstes: Ihn verkündigen wir. Paulus sagt, dass wir das tun, indem wir jeden Menschen ermahnen und jeden Menschen in aller Weisheit lehren. Ziel ist es, jeden Menschen vollkommen in Christus darzustellen. Das ist viel Theologie für einen Vortrag.
Wie Paulus sagt, ist das Größte, was einem Menschen passieren kann, der ultimative Hauptgewinn im Leben, dass er in diese lebendige Beziehung mit Christus eintritt. Damit das geschieht, ermahnen und lehren wir jeden Menschen. Was uns begegnet, wird verbal angesprochen. Wir sagen es jedem. Warum? Weil wir etwas sehen können, was andere nicht sehen können.
Wir können davon träumen, jeden Menschen vollkommen in Christus darzustellen. Das Wort „darstellen“ wird an anderer Stelle, zum Beispiel in Kolosser 1, auch mit „hinstellen“ übersetzt. Dort geht es um die Frage, wie jemand vor Gott steht. Wir wissen, Gottes Idee ist, dass jemand heilig und tadellos vor ihm steht.
Stell dir vor, du würdest durch Lichtenau oder Ulm gehen. Heute Morgen war ich spazieren und traf eine Frau mit einem kleinen, etwas krummbeinigen Dackel. Jetzt stell dir vor, du siehst diese Frau an. Du kennst ihr Leben nicht. Und nun fängst du an zu träumen: Was wäre, wenn diese Frau Christus kennenlernen würde? Wenn ihr ganzes Leben, das sie bisher gelebt hat und das sie Stück für Stück immer tiefer in die Macht der Finsternis, Verzweiflung und Verlorenheit getrieben hat – denn das ist die Realität, egal wie es ihr geht – sich plötzlich mit einem Plopp umdrehen könnte?
Was wäre, wenn sie von Neuem anfangen würde, mit Jesus zu leben, ganz neu? Wenn die Kräfte des Himmels, das Reich des Lichtes in ihrem Leben anfangen könnten zu wirken? Wenn Altes abfallen könnte, schlechte Gewohnheiten zurückbleiben und zerrissene Beziehungen geheilt werden könnten? Wenn jemand, der nie ernsthaft seine Hände gefaltet hat, um Gott anzubeten, plötzlich den Gott des Himmels vor der sichtbaren und unsichtbaren Welt anbeten würde?
Stell dir das vor: Jemand entfaltet sich zu dem Menschen, zu dem Gott ihn immer gemacht hat. Wenn das, was an Herrlichkeit Gottes in ihm steckt, plötzlich herauskommt und nicht mehr von der Sünde zerdrückt, zerquetscht und kaputt gemacht wird – bis am Ende nur noch ein Schemen, eine Karikatur des Menschen übrig bleibt, den Gott sich gedacht hat.
Stell dir vor, jemand könnte vollkommen, also auch reif, vor Gott stehen. Wenn du diese Vision hättest, wenn du glauben könntest, dass das Evangelium diese transformierende Kraft ist, die aus jedem noch so zerschlagenen Sünder einen hell leuchtenden Stern, ein echtes Kind Gottes macht. Stell dir das vor.
Das ist es, was Paulus sagt: Das ist unsere Motivation. Deswegen verkündigen wir ihn.
Paulus’ Einsatz und die Kraft Gottes im Dienst
Vers 29, wozu ich mich auch bemühe und kämpfend ringe – und ihr merkt schon, diese Begriffe bringen Strapazen, Arbeit und körperliche Müdigkeit zum Ausdruck. Paulus muss noch einmal betonen, dass er das nicht aus eigener Kraft tut. Er ist nicht der große Apostel, der Elite-Student, der sowieso immer alles richtig macht und alles kann.
Wozu ich mich auch bemühe und kämpfe, geschieht gemäß seiner Wirksamkeit, die in mir wirkt, in Kraft. Ich bin das nicht. Ich habe diesen Traum. Ich kann nicht anders, als durch die Welt zu gehen, die Leute anzuschauen und mir vorzustellen, was wäre, wenn das ganze Potenzial in diesem kaputten Leben sich entfalten würde. Was wäre, wenn?
Wisst ihr, ich habe das russische Pärchen, das sich nachts um zwei bei mir unten an der Kreuzung streitet. Sie sind so laut, dass ich bei geschlossenem Fenster aufwache. Sie brüllen sich an, und ich denke mir: Wenn man diese Stimme für Evangelisation einsetzen könnte! Ja, ehrlich, das ist irre. Es gibt solche russischen Stimmen, die brauchen keinen Verstärker. Du kannst sie irgendwo hinstellen, und du hörst sie zwei Kilometer weit. Super, was da an Potenzial durch die Welt läuft.
Paulus sieht das und sagt: Ich wünschte mir, dass die Herrlichkeit Gottes, die wir mit unserem Leben ohne ihn verpassen, dass das, was Gott in uns an Gottes Ebenbildlichkeit, an Talenten, an Begabungen, an Kreativität, an physischer Kraft und an Vorstellungskraft hineingelegt hat, richtig herauskommen könnte. Dass es in den richtigen Bahnen fließen könnte und dass die Sünde, die das alles kaputt macht und immer wieder für sich nutzt, nicht mehr herankommt – vollkommen in Christus.
Paulus’ Sorge um die Gemeinde und die Erkenntnis des Geheimnisses
Kapitel 2, Vers 1: Paulus sagt, dass er möchte, dass ihr wisst, welch großen Kampf er um euch und die in Laodizea hat – um alle, die sein leibliches Angesicht nicht gesehen haben. Das soll euch bewusst sein. Für Paulus ist das keine kleine Sache.
Damit eure Herzen getröstet werden, sollen sie in Liebe vereint sein. So sollt ihr zu allem Reichtum an Gewissheit gelangen, zum Verständnis und zur Erkenntnis des Geheimnisses Gottes – das ist Christus. Paulus sagt: Ich arbeite, ich ringe und wünsche mir, dass ihr getröstet werdet.
Wenn ihr getröstet seid, sollt ihr vereint sein, und das soll in Liebe geschehen. Das, was euch als Gemeinde zusammenhält, soll Liebe sein. Aber nicht nur Liebe allein, sondern ein Reichtum an Gewissheit und Verständnis. Du musst etwas verstanden haben, du musst für etwas stehen. Das soll euch verbinden und dann führt es zur Erkenntnis des Geheimnisses Gottes – das ist Christus.
Vers 3: In ihm sind alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen. Du möchtest für dein Leben Weisheit finden. Ich hoffe, niemand hier sagt: „Weisheit interessiert mich keine Bohne. Ich habe meine Playstation, bei mir ist alles gut.“ Ich gehe davon aus, wir suchen alle Weisheit.
Wo finden wir Weisheit? Jetzt nähern wir uns langsam dem Problem der Kolosser. Sie wollen mehr. Christus allein reicht nicht. Wir brauchen Christus, ein bisschen Esoterik hier, in bestimmter Gottesdienstform da. Darf ich euch ein bisschen ärgern? Ein bestimmtes Liedgut dort – ja, wir brauchen immer noch etwas Besonderes obendrauf, damit wir richtig heilig sind.
Paulus beginnt schon zu sagen: Wenn ihr glaubt, was ich euch die ganze Zeit gesagt habe, dass Christus die Nummer eins im Universum ist, die Nummer eins der Gemeinde, die Nummer eins in meinem Leben und in meiner Verkündigung, dann sind alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis in ihm verborgen.
Verborgen heißt hier nicht versteckt, sondern aufgehoben – so, dass man sie bergen kann. Du möchtest ein Leben führen, das am Ende gelingt, in dem du nicht mit sechzig zurückblickst und sagst: „Na ja, schade irgendwie, hätte ich mir anders gewünscht.“
Ich rede jetzt nicht zu denen, die spät zum Glauben gekommen sind. Die ersten zwanzig Jahre meines Lebens waren auch ein bisschen merkwürdig, und bei anderen sind es dreißig, vierzig oder fünfzig Jahre, bis sie überhaupt zum Glauben kommen. Ich rede über den Zeitraum, in dem wir als Christen leben, für den wir wirklich verantwortlich sind, in dem uns das Evangelium in die Hand gegeben wurde.
Kannst du glauben, dass alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis in Christus verborgen sind? Dass er dir durch den Umgang mit ihm all das schenken kann? Dazu gehören Dinge, die wir kurz in der Pause angesprochen haben: das Leben im Glauben, in dem ich mich mit meinen Begabungen einbringe, wo Disziplin da ist, Ausharren, Frömmigkeit, Geschwisterliebe und Liebe.
Diese Dinge entfalten sich ganz normal dort, wo ich mit Jesus lebe, mit ihm rede und bete, wo ich auf ihn höre und sein Wort lese. Wo ich mich danach ausstrecke, zu erfahren, was er für mich hat, wo ich wirklich verstehen will, wie Gott ist.
Kannst du glauben, dass aus dieser Beziehung heraus alles an Weisheit und Erkenntnis fließt, was du brauchst? Paulus sagt: Tu es, denn es ist die Wahrheit.
Warnung vor Verführungen und Ermutigung zum Festbleiben
Und er sagt dies in Vers vier: „Dies sage ich aber, damit niemand euch verführe durch überredende Worte.“
Wann immer also jemand kommt und sagt: „Du brauchst Jesus, das ist schon richtig, aber das alleine reicht nicht. Du brauchst, was weiß ich, die richtige Bibelübersetzung. Du brauchst eine bestimmte Form von Gemeinde. Du brauchst eine bestimmte Form von Geistesgabe. Du brauchst eine bestimmte Form von Erfahrung, die irgendwie noch ins Leben mit dazukommen muss.“
Egal, was da jetzt kommt – und von Jahrhundert zu Jahrhundert ändern sich da ein wenig die Vorzeichen – aber es bleibt immer das gleiche Spielchen: Es ist immer so, Jesus alleine reicht nicht.
„Dies sage ich aber, damit niemand euch verführe durch überredende Worte.“
Die Realität ist, dass Menschen kommen werden, die sagen: „Jesus alleine reicht nicht. Du mit deinem komischen Nur-Jesus-Glauben, das kann doch nicht alles sein.“
Und ich kann euch sagen aus persönlicher Erfahrung: Es reicht. Es ist wirklich das, worauf es ankommt.
„Dies sage ich aber, damit niemand euch verführe durch überredende Worte. Denn wenn ich auch dem Leib nach abwesend bin, so bin ich doch im Geist bei euch, freue ich mich und sehe eure Ordnung und die Festigkeit eures Glaubens an Christus.“
An dieser Stelle noch mal: Es ist noch Ordnung und Festigkeit da. Die Gemeinde geht nicht gerade den Bach runter.
Der Kolosserbrief ist so eine Art – wie nennt man das im Fußball – wenn man im gegnerischen Strafraum schon angreift und den Ball ganz früh holt. Dankeschön!
Es ist dieses: Bevor der andere, bevor der Gegner kommt, bin ich schon gegen ihn.
Das ist das, was Paulus hier macht. Ich sehe ein Problem am Horizont, ich weiß, die werden kommen. Und bevor das kommt, gehe ich schon dagegen und nehme dem am besten schon den Ball ab.
Das passiert hier. Das ist der Kolosserbrief-Pressing.