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Warum zweifelst Du?

26.02.1991Matthäus 14,22-33

Stille und Kraft im Angesicht der Ungewissheit

Lassen wir uns einen Augenblick still werden, Herr, an diesem Tag, an dem uns Nachrichten und Worte in Atem gehalten haben. Wir wissen auch nicht, wie es weitergeht in dieser Welt – mit Krieg oder Frieden, mit Leid, Tränen und Tod.

Schenke uns noch einmal deine Botschaft, dein Wort. Herr, gib uns das Wort so, dass wir es verstehen können. Schenke uns an diesem Abend die Kraft, hinzuhören und es mitzunehmen.

Wir bitten dich, Herr, um dein Reden.

Heute nun die Frage: Wir haben derzeit eine kleine Reihe zum Thema „Fragen Jesu an uns“. Normalerweise stellen wir die Fragen „Warum, Gott?“. Hier sind Fragen zusammengestellt, die Gott an uns stellt.

Und heute nun die zweite Frage: Warum zweifelst du? Warum zweifelst du?

Die Geschichte vom Gang auf dem Wasser: Zweifel und Rettung

Und dazu jener Text, den Sie sehr wohl kennen, stammt aus dem Matthäusevangelium. Dort, im vierzehnten Kapitel, ist diese Geschichte direkt an die Erzählung von der Speisung der Fünftausend angeschlossen.

Es heißt in Vers 22: „Und alsbald trieb Jesus seine Jünger, in das Boot zu steigen und vor ihm hinüberzufahren, bis er das Volk gehen ließe.“

Als er das Volk hatte gehen lassen, stieg er allein auf einen Berg, um zu beten. Am Abend war er dort ganz allein.

Das Boot war schon weit vom Land entfernt und kam durch die Wellen in Not, denn der Wind stand ihnen entgegen.

In der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen und ging auf dem See. Als die Jünger ihn auf dem Wasser gehen sahen, erschraken sie und riefen: „Es ist ein Gespenst!“ und schrien vor Furcht.

Doch sogleich redete Jesus mit ihnen und sprach: „Seid getrost, ich bin’s, fürchtet euch nicht!“

Petrus antwortete ihm und sprach: „Herr, bist du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser!“

Jesus sprach: „Komm her!“ Petrus stieg aus dem Boot und ging auf dem Wasser, um auf Jesus zuzugehen.

Als er aber den starken Wind sah, erschrak er, begann zu sinken und schrie: „Herr, hilf mir!“

Jesus streckte sogleich die Hand aus, ergriff ihn und sprach zu ihm: „Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?“

Sie traten in das Boot, und der Wind legte sich. Die, die im Boot waren, fielen vor ihm nieder und sprachen: „Du bist wahrhaftig Gottes Sohn!“

(Matthäus 14,22-33)

Jesus als Gegenbild zum oberflächlichen Jubel

Liebe Freunde, fünftausend Menschen sind gespeist worden. Jubel, Trubel, Heiterkeit – Mann und Maus, Kind und Kegel sind satt geworden mit fünf Fischbrötchen. Die Wogen könnten nicht höher schlagen. Was für ein Wundermann, was für ein Strahlemann, was für ein Brötchengeber ist dieser Herr!

Und Jesus? Jesus trieb auf dieser Festwoge wie ein Fettauge ganz oben, die glückliche Stunde genießend und auskostend. Nein, er trieb nicht oben, er trieb seine Jünger ins Boot. Er trieb ihnen die Flausen aus dem Kopf, raus aus dem Daumel, rein ins Boot, ran an die Ruder. Ein kühler Nachtwind und harte Ruderarbeit werden sie wieder zur richtigen Besinnung bringen.

Jesus ist nicht jenes Fettauge, das immer oben schwimmt. Jesus ist doch der Schuhabputzer, an dem jeder seinen Dreck abputzt. Er will nicht auf der Starrparade ganz oben stehen, sondern er will am Kreuz ganz oben hängen. Die Schuldfrage muss gelöst werden.

Er wäre Licht für jene Listen gewesen, die wir heute aufmachen. Es gibt heute eine Bestsellerliste christlicher Bücher, die meistverkauften Top I. Oder, wie wir schon einmal erwähnt haben, eine Topliste der bestbesuchten Gottesdienste in ganz Deutschland. Bis auf 40 Plätze in dieser Tabelle ist abzulesen, wo die meisten Menschen in den Gottesdienst gehen.

Soviel ich weiß, rangieren wir an der Stiftskirche auf dem sechsten Platz, mit steigender oder abfallender Tendenz in den Toplisten. Jesus hätte sich geweigert, auf dieser Topliste zu stehen. Nicht oben sein, sondern unten sein – oben nur am Kreuz.

Liebe Freunde, wenn schon oben, dann nur am Kreuz.

Das doppelte Alleinsein Jesu und seine Bedeutung

Und während das Boot durchs Wasser getrieben wird, führt es Jesus wieder in die Einsamkeit – wie so oft. Allein auf einem Berg, so heißt es hier. Das waren die Berghöhen, die Anhöhen des Golan, des Golangebirges.

Allein ist hier doppelsinnig gemeint. Er ist allein, weil er von seinen Jüngern getrennt ist, und er ist allein, weil er von seinen Nächsten unverstanden bleibt. Dieses Alleinsein in doppeltem Sinne ist besonders beschwerlich.

Manche unter uns sind allein, leben allein und haben nur wenige Menschen um sich. Sie müssen ihren Weg alleine gehen. Andere wiederum haben viele Menschen um sich, manche sogar zu Hause. Doch mitten in dieser Gemeinschaft fühlen sie sich allein und unverstanden. Mitten in der Familie einsam zu sein – so wie der, der beides ist: allein und einsam, so wie dieser Herr.

Dieses doppelte Alleinsein hat ihn zu diesem Herrn getrieben, zu dem Wunsch, allein mit ihm zu sein. Es gibt keine andere Regel, an die wir uns heute Abend erinnern sollten, wenn uns das Alleinsein schmerzt. Wenn uns immer wieder die Einsamkeit überkommt, obwohl wir mitten in einer Gesellschaft sind – vielleicht in einer Bibelstunde mit zweihundert Leuten –, und wir uns trotzdem allein, unverstanden, übersehen fühlen, kaum gegrüßt werden und unser Name unbekannt ist.

Wenn Sie immer wieder an diesem Alleinsein leiden, dann tun Sie es diesem Herrn nach. Es trieb ihn, vor diesen Herrn zu treten.

Die vierte Nachtwache und das Erscheinen Jesu

Es ist die vierte Nachtwache. Damals teilte man die Nacht in vier Abschnitte ein: die erste von sechs bis neun Uhr, die zweite von neun bis zwölf, die dritte von zwölf bis drei und die vierte von drei bis sechs Uhr morgens. Die vierte Nachtwache, also die Zeit von drei bis sechs Uhr morgens, markierte den Beginn des neuen Tages.

In dieser Zeit herrschten Wind und Sturm, und zu allem Überfluss tauchte noch ein Gespenst auf. Die Menschen brüllten vor Angst. Jesus brach aus diesem Inkognito aus und gab sich zu erkennen: „Ich bin’s.“ Wir kennen die Geschichte.

Dann wagte Petrus den Ausstieg. Er lief übers Wasser, doch er sackte ab. Luther schrieb dazu auf seine Weise: Petrus wäre unter das Wasser fischen gegangen und hätte keine Fische mehr auf den Markt gebracht. So wäre es Petrus ergangen.

Jesus streckte seine Hand aus und fragte ihn. Dabei fragte er nicht: „Warum bist du so dumm? Petrus, du schipperst seit Kindheit auf dem Wasser und weißt, dass dieses Wasser keine Balken hat. Wenn das Boot rollt und schlingert, dann hält man sich an den Riemen fest und steigt nicht über die Reling. Warum bist du so dumm?“

Jesus sprach Petrus nicht auf seine Dummheit an. Er fragte ihn auch nicht: „Warum, Petrus, gibst du denn so an? Deine Kameraden haben dich doch längst durchschaut. Wieso willst du den Super-Wassermann spielen und hier eine große Schau abziehen? So ein Theater ist auf dem Wasser nicht gefragt.“

Nein, Jesus sprach ihn nicht auf seinen Hochmut an. Er fragte auch nicht: „Petrus, warum sticht dich eigentlich jetzt der Hafer? Warum juckt dich der Ausstieg? Du weißt doch, dass man auf dem Meer untergeht.“

Jesus sprach ihn nicht auf Übermut an. Er fragte ihn: „Petrus, warum zweifelst du?“

Zweifel als Ursache des Scheiterns

Nicht die Dummheit, nicht der Hochmut und auch nicht der Übermut lassen den Menschen untergehen, sondern der Zweifel. Liebe Freunde, der Zweifel ist der Grund für diese Katastrophe. Der Zweifel hat offenbar schwerwiegende Konsequenzen. Der Zweifel ist der Anfang vom Ende, er ist immer der Anfang vom Ende.

Wenn Sie heute Abend hierher gekommen sind und kein kalter Skeptiker sind, der die Frage nach Gott mit einem müden Lächeln beantwortet, und wenn Sie kein sturer Praktiker sind, der seine ungelösten Fragen als Vorwand für den Nichtglauben benutzt, sondern ein verwunderter Mensch, dem die Zweifel immer wieder die Seele zermartern, wenn Sie also immer wieder mit diesen Zweifeln zu tun haben, wie mit Fieber oder Schmerzen – und ich kenne auch unter uns zweifelnde Menschen – dann sind Sie auch an diesem Abend gefragt: Warum zweifelst du?

Wenn Sie kein unverbesserlicher Optimist sind, der nach jedem Dezember doch wieder einen Mai sieht und wittert, und kein hoffnungsloser Pessimist, der nur mit seinen Tiefs zu kämpfen hat, sondern ein nüchterner Realist, der über dieses grausame Weltgeschehen nachdenkt – an solch einem Tag, an dem 500 Ölquellen brennen, eine Stätte niedergemacht wird und es heißt, der Krieg geht weiter – wenn Sie all das berührt und wenn Sie diese Realität mit einer Gotteswirklichkeit vergleichen, wenn Sie von einem Gott wissen, der alles in Händen hält, der alles recht macht und alles richtig richtet, und der es auch in Ihrem Leben und in dieser Welt gut machen wird, dann sind auch Sie gefragt: Warum zweifelst du?

Und wenn Sie kein weltferner Träumer sind, der über den Wolken schwebt, und kein religiöser Schwärmer, der sich seine Illusionen ausspinnt, sondern ein Normaldenkender, der die Lebensereignisse in tiefe Zweifel gezogen hat, dann sind Sie gefragt: Warum zweifelst du?

Persönliche Frage Jesu und die Bedeutung des Zweifels

Reden wir heute Abend nicht philosophisch oder theoretisch über den Zweifel. Reden wir so, wie es hier gemeint ist: Jesus fragt dich persönlich. In diesem Moment sind alle anderen uninteressant.

Was ist mit deinen Zweifeln? Warum trägst du so schwer an ihnen? Warum zweifelst du?

Nun möchte ich Ihnen etwas sagen über die Voraussetzung des Zweifels. Außerdem möchte ich Ihnen etwas zum Grund des Zweifels und zur Überwindung des Zweifels sagen.

Das Erste ist die Voraussetzung des Zweifels.

Die Voraussetzung des Zweifels

Haben Sie bemerkt, dass Jesus nicht Herodes fragt? Herodes, der im Zorn Johannes umbringen ließ und auf Wunsch der Tochter der Herodias diesen Gottesmann um einen Kopf kürzer machte. Für diesen höfischen, für diese römische Hofschranze lag ja alle Macht beim Caesar. Nein, Jesus fragt gar nicht diesen Herodes nach seinen Zweifeln.

Interessanterweise fragt Jesus auch nicht Pilatus. Pilatus schwankte zwischen der Meinung des Pöbels und der seiner Frau hin und her, ging wie ein Pingpongball hin und her. Für diesen römischen Stiefellecker lag die Wahrheit ohnehin im Nebel. Jesus fragt nicht Pilatus, und Jesus fragt auch nicht Kaiphas.

Übrigens wurde dessen Grab erst vor wenigen Monaten entdeckt und wieder ausgegraben. Es sei sicher, dass es das Grab des Kaiphas sei. Wenn einige von Ihnen in nächster Zeit hoffentlich wieder nach Israel reisen können, dann werden Sie ganz bestimmt an das neu gefundene Grab des Kaiphas geführt.

Jesus fragt nicht Kaiphas, der als Kirchenführer diesen staubigen Bruder Jesus von der Landstraße nicht anerkennen konnte. Denn der Mann mit seinem glänzenden Messiasbild war überhaupt nicht in Einklang zu bringen. Nein, Jesus fragt nicht Kaiphas. Jesus fragt Petrus, der um seines Herrn willen seinen Verwandten Adieu sagte und seinen ganzen Beruf an den Nagel gehängt hat.

Jesus fragt Petrus, der als Vormann dieses Zwölferteams gesteuert hat. Als Vormann hat er manche heiße Schlacht geschlagen und auch für seinen Herrn gewonnen. Petrus, der nicht nur den Mut des Glaubens aufgebracht, sondern auch das Wagnis des Glaubens einging, indem er die sicheren Planken des Schiffes verließ, um über das Meer zu gehen und Jesus nahe zu sein.

Diesen Glaubenden fragt Jesus: Warum zweifelst du? Und jetzt der entscheidende Satz: Deshalb ist der Glaube die Voraussetzung des Zweifels.

Wenn Sie keine Zweifel haben und sagen, das alles sei für Sie nur ferner Glockenklang, dann frage ich, ob Sie jemals richtig geglaubt haben. Der Glaube ist die Voraussetzung des Zweifels. Nur der Glaubende kann zweifeln.

Ich weiß, und das wissen Sie auch, es gibt die Ansicht, dass der Mensch einen Glauben brauche, aber egal, was man glaube – Hauptsache, man glaubt eben. Der Kronzeuge dafür ist meistens und immer Wolfgang von Goethe. Einen Klügeren hatten wir nicht, und klugen Leuten muss man glauben.

Er schreibt: „Beim Glauben, sage ich, kommt es alles darauf an, dass man glaubt. Was man glaubt, ist völlig gleichgültig.“ Hauptsache, Sie haben einen Glauben, Hauptsache, Sie sind ein gläubiger Mensch.

So hören wir es doch immer wieder bei unseren Besuchen: „Herr Pfarrer, auch wenn Sie mich nie in der Kirche sehen, ich bin ein ganz gläubiger Mensch.“ Sie finden eher Gold im Nesenbach als einen Ungläubigen in Stuttgart. Ganz bestimmt sehen Sie: Hauptsache Glaube, gleichgültig an wen.

Dann ist nämlich der Glaube ein Potpourri netter Gedanken und Vorstellungen. Dann ist das alles eine Weltanschauung, aber bitte kein Glaube.

Glaube hat immer mit Vertrauen zu tun. Glaube ist immer mit Vertrauen verbunden. Ich glaube nicht an irgendetwas, sondern ich glaube jemandem. Das ist doch schon so dumm, wie es heißt: Hauptsache verheiratet, egal gegen wen. Das gibt es nicht. Hauptsache Glaube, egal an wen.

Im Glauben ist Vertrauen. Ich muss doch wissen, wem ich vertraue – ob Allah oder Mohammed oder Hindu oder einem Guru oder ob ich an das Schöne und das Gute im Menschen glaube, wie es heute immer noch ein paar ganz, ganz, ganz dumme Leute meinen.

Sehen Sie, ich las bei Klaus Mann in seinem Lebensbericht „Der Wendepunkt“ – und das schreibt er 1932 von einem jungen, sympathischen SS-Mann, den er kennengelernt hat – und ihn mit einem Satz so schildert: „Man könnte ihm alles glauben machen, da er an gar nichts glaubte.“

So ist es. Der, der an nichts glaubt, dem kann man alles glauben machen. Und der an alles glaubt, der glaubt schon gleich gar nichts. Wer an nichts glaubt, mag labil, haltlos, wankelmütig sein – ein Zweifler ist er auf jeden Fall nicht.

Die Voraussetzung des Zweifels ist, dass der Mensch das Wagnis des Glaubens eingeht, wie Petrus. Also der Nährboden des Zweifels ist der Glaube.

Vielleicht ist es bei Ihnen so, wenn Sie jetzt in diese Welt schauen und diese Bilder vom Krieg, vom Hunger, vom Erdbeben und von all den Dingen sehen. Dann fragt man sich doch immer wieder: Stimmt es denn, dass eine letzte Gerechtigkeit walten wird? Stimmt es denn?

Oder ist es bei Ihnen vielleicht nicht so, wenn Sie in die Welt schauen? Weil Sie schon gar nicht mehr in Ihren Fernseher schauen? Oder wenn Sie in Ihr Leben schauen, von dem Abschied, den Sie schon erlebt haben, von dem Schmerz, den Sie erleiden mussten, von der Sehnsucht, die Sie durchdringt? Und wenn Sie das alles durchwühlen und es Sie so quält – und dann vielleicht in jenen Nachtstunden, in denen man nicht schlafen kann, jene unheimliche Frage stellen, wie in Hagen: Stimmt's denn? Stimmt's denn, dass eine große Liebe in der Welt walten wird? Einer, der liebt und der auch mich kennt, kennt auch mich? Und hat mich lieb, stimmt's denn? Kennt auch mich und hat mich lieb? Ist es denn wahr?

Liebe Freunde, manche schauen nicht nur in die Welt, nicht nur ins Leben, sondern sie schauen in die Bibel. Und dann lesen sie und kommen in eine Wundergeschichte: Speisung der Fünftausend mit fünf Fischbrötchen – stimmt’s denn? Petrus, Jesus ging über das Wasser – stimmt’s denn? Offenbarung – stimmt’s denn?

Glaube und Zweifel sind blutsverwandt. Der Zweifel ist geradezu das Kind des Glaubens. Wer wie Petrus das Wagnis eingeht, auszusteigen aus dem Boot der Selbstgerechtigkeit und Selbstsicherheit und über den Abgrund zu ihm kommt, der wird es mit Zweifeln zu tun bekommen.

Ich möchte also denen unter uns, die von der Frage geplagt sind, ob sie denn, wenn sie mit solchen Zweifeln immer wieder zu tun haben, überhaupt glauben, sagen: Ist Zweifel nicht Unglaube? Ist Zweifel nicht Sünde? Wenn ich so zweifle, gehöre ich dann überhaupt zu denen, die er liebt und errettet hat?

Liebe Freunde, es ist umgekehrt: Gerade Ihre Zweifel zeigen, dass Sie dazugehören, dass Sie dieses Wagnis auf sich genommen und den Boden der Sicherheit verlassen haben. Gerade mit Ihren Zweifeln gehören Sie dazu.

Der Glaube ist die Voraussetzung des Zweifels.

Zweitens: Der Grund des Zweifels, ...

Der Grund des Zweifels

Sehen Sie, Jesus fragt nicht das Meer, das den Jüngern Angst machte: „Du ungestümes Meer! Warum lässt du diesen Mann einfach von der Bildfläche verschwinden?“ Das Meer ist nie aus der Schöpfermacht dieses Herrn entlassen. Jesus fragt auch nicht den Sturm: „Du böser Wind, warum bläst du so stark und haust diesen Mann einfach um?“ Nein, auch Stürme können nicht ohne Gottes Willen blasen.

Jesus fragt nicht die Nacht: „Du grässliche Dunkelheit, warum machst du alles so rabenschwarz?“ Auch Nächte haben Gott zu dienen. Jesus fragt den Petrus: „Warum zweifelst du?“ Meer, Sturm und Nacht sind nicht schuld an seinem Zweifel.

Luther sagt: Sie tun nur das, was ihre Art ist.

Ein ganz großer Trost liegt in dieser Feststellung. Wir machen ja für unsere schwierige Situation, für unsere Zweifel immer wieder die Umstände schuld. Wenn dieses Kind nicht so krank geworden wäre, dann könnte ich schon eher glauben. Wenn ich nicht diese Leute getroffen hätte, die so gegen den Glauben lebten, dann könnte ich glauben. Wenn nicht dieser entsetzliche Krieg ausgebrochen wäre, dann wären die Zweifel nicht aufgekommen, liebe Freunde.

Die Umstände sind nie schuld an unseren Zweifeln, überhaupt nie! Sie tun nur das, was ihre Art ist: Die Krankheit tut nur das, was ihre Art ist – sie plagt uns. Schmerzen tun nur das, was ihre Art ist. Sie sind nicht schuld.

Liebe Freunde, der Grund des Zweifels liegt nie außerhalb, sondern immer innerhalb der Jünger, innerhalb! Bei Petrus liegt der Schaden, in ihm hat sich etwas geändert.

Aber die Frage lautet: Was hat sich denn bei uns geändert, wenn wir so in Zweifel geraten?

Blenden wir noch einmal zurück: Sturm! Die Leute sitzen in ihrem Boot, hängen in ihrem Boot, kämpfen. Die Brecher kommen über Bord, und sie schreien und brüllen.

Erste Nachtwache: sechs bis neun Uhr, drei Stunden.
Zweite Nachtwache: neun bis zwölf Uhr, weitere drei Stunden.
Dritte Nachtwache: zwölf bis drei Uhr, weitere drei Stunden.
Zusammen neun Stunden Schrecken, Schreien, Brüllen, Gefahr.

Und bei uns ist schon Panik, wenn wir nach kurzer Zeit nichts von diesem Herrn hören.

Wenn Sie schon lange an etwas leiden, denken Sie daran: Es ist bei Ihnen vielleicht erst die zweite Nachtwache. Sie leben vielleicht erst in der dritten Nachtwache.

Aber eines kann ich Ihnen versichern, so wie damals: Die vierte Nachtwache in Ihrem Leben kommt gewiss. Die vierte Nachtwache in Ihrem Leben kommt gewiss.

Dass die Versuchung so ein Ende gewinnt, dass ihr es ertragen könnt, das stimmt und bleibt bestehen (1. Korinther 10,13).

In der vierten Nachtwache geschieht plötzlich etwas: Jesus geht auf dem Meer einige Kilometer weit. Die Bibel gibt der Sensationsgier nicht nach und macht auch keine näheren Angaben. Aber es kann doch gar kein Zweifel sein: Der, der fünf Menschen mit fünf Broten satt macht, der kann auch übers Wasser gehen.

Die Jünger rechnen schon gar nicht mehr mit ihm, und deshalb sehen sie Gespenster. Wer nicht mehr mit ihm in dieser Welt rechnet, der kann nur noch Gespenster und Schatten sehen.

Und dann, mitten in dieser Nacht, in der vierten Nachtwache, als alles unterzugehen droht, da sagt er plötzlich eines der schönsten Trostworte, die sie jemals in der Bibel finden konnten: „Seid getrost, ich bin’s!“

„Fürchtet euch nicht“ – jenes Wort, das zurückreicht bis zu Josua, dem Nachfolger von Mose, Mose, der Riese für ihn war, dessen Hosen ihm viel zu lang waren, in dessen Anzug er überhaupt nicht passte. Und als ihm gesagt wurde: „Sei getrost, ich bin’s, fürchte dich nicht.“

In ihrer zweiten, dritten oder vierten Nachtwache, wo dieser Herr noch nicht erschienen ist, wird dieses Wort sie ganz bestimmt erreichen: „Seid getrost, ich bin’s, fürchte dich nicht!“ Über allem, was sie bewegt: Fürchte dich nicht, ich bin’s.

Die Nähe Jesu als Antwort auf Zweifel

Und dann gibt Petrus das Herz auf. Er hört dieses Wort, erkennt den Herrn und will ihm ganz nahe sein. Echter Glaube drängt zur Nähe, so wie echte Liebe immer zur Nähe drängt. Er sagt: „Befehl, dass ich ganz nahe bei dir bin.“ Und Jesus sagt: „Komm, komm her zu mir! Komm her zu mir, du, der du meine Nähe suchst. Kommt her zu mir, ihr alle, die ihr meine Nähe sucht! Kommt doch alle zu mir her, die ihr in der vierten Nachtwache steht, kommt doch her zu mir!“

Petrus kommt, und er geht auf dem Wasser. Am Anfang läuft alles gut, doch es endet schlecht. Er erschrickt, singt und schreit SOS – „Save our soul“, rette meine Seele, rette mich! Was ist der Grund? Was ist jetzt der Grund, liebe Freunde?

In der Bibel heißt ein Zweifler „Die Psychos“. Das bedeutet ein Mensch mit zwei Seelen, ein Mensch mit zwei Leben. „Zwei Seelen wohnen ach in meiner Brust“ – man könnte auch sagen, ein Mensch, der ein Doppelleben führt, der zwei Leben in sich hat. Wir kennen das ja auch aus der Geschichte, etwa aus den Polizeiakten, besonders aus der langen Reihe der Stasi-Akten. Dort werden Menschen entdeckt, die ein Doppelleben führten: Tagsüber ein biedrer Beamter, nachts aktiv im Verrat eines anderen, nachts im Dienst des Sicherheitsdienstes.

Dr. Theolemann, Pfarrer aus Chemnitz, der am Wochenende hier war und drüben im Jugendgottesdienst gepredigt hat, berichtete uns, wie es heute aussieht mit all den Leuten, die bei ihnen an der Spitze sind. Einer, der sehr unter der Stasi zu leiden hatte, sagte bitter: „Ich traue überhaupt keinem mehr, ich traue überhaupt keinem mehr.“ So weit ist es gekommen.

Menschen mit Doppelleben sind die „Dipsichei“, die etwas zu verbergen haben und zweierlei tun. Liebe Freunde, Petrus war einer mit einem Doppelleben. Einerseits hatte er jenes Leben des Glaubenden, der diesem Herrn vertraute, der wusste, dass dieser Herr alles kann und den er allein sah. Gleichzeitig führte er ein anderes Leben, nämlich das eines ganz normalen Bootsmannes. Einer, der wusste: Wenn Winde blasen und Stürme gehen, kann man nicht sicher sein auf dem Wasser.

Ein Zweifler mit Doppelleben – oder ein Zweifler mit doppelter Sicht. Petrus sieht am Anfang nur seinen Herrn. Er sieht keine Kameraden, er sieht niemanden sonst, nur Jesus allein, der überall seine Wege und Stege bauen kann. Deshalb setzt er einen Fuß nach dem anderen aufs Wasser, und siehe, das Wasser trägt.

Dann aber geht der Blick hinab, weil die Wellen höher werden. Dann geht der Blick hinüber, weil die Winde stärker werden. Schließlich geht der Blick nach oben, weil die Wolken dunkler werden. Im selben Augenblick fällt Petrus ins Wasser. Er sieht Jesus und das Wasser, das Wetter und die Wolken. Er sieht Jesus nicht mehr allein.

Das ist der Zweifel. Das ist der Zweifler. Das ist der Grund des Zweifels.

Zweifler sind gespaltene Menschen. Sie sehen in zwei Richtungen. Zweifler haben den doppelten Blick. Wer Jesus sieht, dem alle Macht gegeben ist, und gleichzeitig die Mächte sieht, die uns übertölpeln und erdrücken könnten, der ist ein Zweifler.

Oder wer Jesus sieht, der Krankheiten heilt, und gleichzeitig die Krankheit sieht, die mich ja doch kaputt macht, der ist ein Zweifler. Wer Jesus sieht, der den Tod überwunden hat, und gleichzeitig den Tod respektiert, der uns ja doch alle einholen wird, der ist ein Zweifler.

Liebe Freunde, nicht Jesus ist der Zweifel – es sind die Menschen mit Doppelleben. Ich befürchte, dass wir es alle sind. Wir haben einen Glauben, aber daneben andere Wirklichkeiten, die nicht durchdrungen sind von diesem Glauben.

Zweifler sind wir. Darauf kommt es an: dass wir lernen, Jesus allein zu sehen. Nur seine Welt, nur ihm zu vertrauen, nur ihm zu gehören.

Liebe Freunde, wer das Doppelte sieht, der ist verzweifelt. Die Doppelsichtigkeit ist der Grund des Zweifels.

Die Überwindung des Zweifels durch das Gebet und die Gegenwart Jesu

Und deshalb zum Schluss das Einzige: die Überwindung des Zweifels.

Der Zweifel wird nicht dadurch überwunden, dass Petrus sich an seine Schwimmkünste erinnert oder daran, dass seine Kameraden ins Wasser springen, um ihn herauszuziehen. Nein, er weiß jetzt, dass nur eines hilft: Herr, hilf mir!

Wir erwarten die Überwindung des Doppellebens und der Doppelsichtigkeit durch unsere eigenen Bemühungen. Doch keiner kann sich selbst aus einer verzweifelten Lage retten. Der Zweifel wird allein im Schrei überwunden: Herr, hilf mir!

Mit diesem Gebet ruft der zweifelnde Petrus den Herrn bei seinem Namen an. Denn der Name Jesus bedeutet, dass Gott allein Helfer ist. Dann streckt er sich aus nach dem, der um Hilfe ruft.

Ihm entgegen streckt sich eine Hand, die den Untergehenden rettet. Das ist das Wunder der Barmherzigkeit Gottes. Nicht der Zweifelnde greift nach der rettenden Hand, sondern die rettende Hand greift nach ihm.

Liebe Freunde, wo uns diese rettende Hand heute ergreift, da ist es ganz allein dort, wo Jesus heute wieder sein Wort spricht. In der Bibelstunde, im Gottesdienst, im Abendmahl, dort, wo wir selbst unsere Hände falten – dort wird Gott handgreiflich.

Sie werden es erfahren und spüren, dass dort, wo sie jetzt alles andere aus dem Blick verlieren und rufen: „Herr, hilf mir, ich sehe nur noch dich allein!“ – dort wird dieser Herr seine Hand auch nach ihnen ausstrecken.

Er wird handgreiflich, sie erretten und ihnen wieder festen Boden unter die Füße geben.

Doch die Überwindung des Zweifels geschieht durch die handgreifliche, zupackende Gegenwart Jesu in seinem Wort. Wer von Jesu Wort gepackt wird, der ist gerettet.

Und wer heute Abend wieder von diesem Wort Jesu neu gepackt wird, der ist gerettet und kein Zweifler mehr.

Noch einmal die Frage: Warum zweifelst du? Warum zweifelst du? Warum? Amen!

Schlussgebet und Segenswunsch

Herr Jesus Christus, stell dich dort hin, damit wir dich sehen können, damit wir nur dich sehen können.

Gib uns wieder den Mut und die Stimme, zu dir zu rufen: Herr, hilf uns, rette uns, lass uns nicht versinken – auch nicht in unseren Zweifeln. Nimm diesen doppelten Blick von uns weg und gib uns ein Auge für deine Größe und dein Tun.

Herr, wir bitten dich an diesem Abend um Frieden. Wir bitten dich um neuen Mut und Kraft. Wir bitten dich um deine heilende Hand für unsere Kranken und Alten. Wir bitten dich, halte uns, wenn wir sinken. Wir wollen nur dich sehen, Herr, dich allein.

Und jetzt segne uns, behüte uns und bewahre uns auf unserem Wege! Amen!

Seien Sie von Herzen Gott befohlen und auf Wiedersehen!