Ein Wort, das im Glauben wächst
Grüßen Sie mit einem Bibelwort, das mir immer wichtiger wird! Es ist doch für jedes Jahr schön, älter zu werden, vor allem wenn man Erfahrungen mit der Bibel macht. Manche Leute sagen, es sind so viele alte Menschen in der Gemeinde. Aber wir Alten wollen doch auch noch in den Himmel kommen, nicht wahr? Wir brauchen auch noch einen „Sugar“, wie man auf Schwäbisch sagt.
Ich möchte Ihnen ein Wort sagen, das mir im 1. Korintherbrief besonders wichtig geworden ist, und zwar am Ende von Kapitel 3. Dort heißt es: „Ihr gehört Christus, aber Christus gehört Gott.“
Vielleicht ist Ihnen oder erfahrenen Bibellesern aufgefallen, dass hier ein Wort eingeschmuggelt wurde – ein Verb. Das „Ihr gehört Gott“ steht weder im griechischen Original noch in der Lutherübersetzung. Luther hat es so übersetzt: „Ihr seid Christi, Christus aber ist Gottes.“
Heute spricht niemand mehr so mit diesem merkwürdigen Genitiv, der Wessenform. Deshalb muss man das tun, was Luther an anderer Stelle auch gemacht hat, wenn dieser Genitiv auftaucht: Man fasst „Ihr des Christus“ einfach kompakt zusammen. So ähnlich wie in 1. Korinther 15, wo von denen gesprochen wird, die Christus gehören. Plötzlich hat Luther dieses schöne deutsche Verb „gehören“ hineingenommen.
Unser lieber und verehrter geistlicher Vater Otto Schmitz, Professor bei der Bekennenden Kirche und später Leiter des Johanneums in der Nachkriegszeit, hat einst seine Dissertation unter dem merkwürdigen Titel „Das Christusverhältnis des Paulus im Licht seines Genitivgebrauchs“ geschrieben.
Damit meinte er genau das: Wenn Paulus sagt „Ihr des Christus“ – kompakt – dann heißt das: Ihr gehört, ihr seid Eigentum Christi. Eigentlich kann man es kaum atemberaubender ausdrücken als in dieser kurzen griechischen Form: „Ihr seid des Christus“, ihr gehört Christus.
Die mystische Verbundenheit mit Christus
Albert Schweitzer, Arzt, Theologe und Orgelspieler, hat gesagt: „Das ist die Mystik des Apostels Paulus, das Mystische.“ Jesus lebt doch nicht mehr, davon war Albert Schweitzer überzeugt. Man könne doch mit ihm keine Verbindung aufnehmen, man könne ihm nicht gehören, man könne ihn zum Vorbild nehmen. Aber man könne ihm doch nicht gehören.
Oh, wie falsch! Natürlich kann man Jesus gehören. Und das hat nicht der Apostel Paulus erfunden, sondern er hat wortwörtlich den Herrn Jesus ernst genommen. Ich möchte euch sammeln, wie Jesus gesagt hat: wie eine Glucke, wie eine Henne, die ihre Küken unter ihre Flügel sammelt, ganz eng in seiner Wärme geborgen.
Wenn Jesus eingeladen hat: „Kommt her zu mir“, dann nicht zu meinem Glauben, nicht zu meinen Ideen, nicht zu meiner Theologie, sondern: Kommt doch zu mir! Er wollte nicht bloß Sympathie haben von denen, die für ihn sind, sondern wer mit ihm sammelt. Bis hin zu dem Wort, das uns jetzt in der Passionsgeschichte wieder wichtig wird: der Verbrecher, der in seinem Leben nichts mehr gutmachen konnte, in seinem Räuberleben. Und Jesus sagt: „Du wirst mit mir im Paradies, in der Welt Gottes sein.“
„Bleibt in mir und ich in euch, wie die Rebe keine Frucht bringen kann außer ich selbst. Sie bleibt im Weinstock, so auch ihr.“ Kommt doch in mich hinein! „Vater, ich bitte dich, wie du in mir bist, so sollen sie in mir sein.“ Eine ganz enge Verbundenheit.
Und all das, was Jesus eingesetzt hat, zielt an den Sakramenten darauf ab. Die Taufe, um die in der Christenheit so viel gestritten wird, geht um die Taufe auf den Namen Jesus Christus. Der Name Jesus Christus wird für mich bezeichnender und wichtiger als mein eigener Name, Rolf Schäffbuch. Auf diesen Namen darf ich abheben vom großen Konto Jesu. Ich bin verfügungsberechtigt.
Und beim Abendmahl bin ich nicht bloß für euch da, sondern ich will in euch eingehen, in euren Körper hinein, in euer ganzes Wesen. Das hat der Apostel Paulus aufgenommen, wenn er immer wieder betont hat: „In Christus freut euch, in dem Herrn.“ Alle Wege, nicht „freut euch wegen des Herrn Jesus“, sondern ihr könnt krank sein und Schmerzen haben, ihr könnt heulen müssen, und dann ist plötzlich die Atmosphäre Jesu um euch da, in ihm geborgen.
Fest gegründet und verwurzelt in Christus
Mögen unsere Leben von grenzenlosen Widrigkeiten geprägt sein, von Sorgen, die uns den Blick verstellen – Herr Jesus, du bist doch größer. Du bist der Rahmen meines Lebens.
Freut euch im Herrn allezeit! Das soll die Atmosphäre sein, in der wir leben.
Am Anfang des Epheserbriefs steht wie eine große Ouvertüre: In ihm, in Christus, hat uns Gott erwählt. In ihm haben wir die Erlösung durch sein Blut. In ihm sind wir zum Erbe gekommen.
Ich höre immer noch unseren alten Landesbischof Haug. Er konnte sogar phonetisch und rhetorisch wirken, wenn er nur den Text las. „In ihm hat er uns erwählt, in ihm ...“ – das geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Das ist, was Paulus uns wichtig machen wollte.
Wie die armseligen Küken, die schwäbischen Biberlern, geborgen sind bei der Glucke, geschützt – so sollen wir in Jesus Christus sein.
Im ersten Korintherbrief heißt es: „Ihr seid doch von Gott berufen zur Gemeinschaft mit seinem Sohn Christus Jesus“ (1. Korinther 1).
Im Philipperbrief wird ermahnt: „Ich ermahne euch, dass ihr euer Leben führt, wie es der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht“ (Philipper 2).
Das muss unserem menschlichen Denken so fremd sein, so ungewöhnlich, dass wir aus den Paulusbriefen immer wieder herauslesen, wie er versucht, uns mit allen Bildern und Vergleichen klarzumachen: „Das ist doch in eurer Welt normal!“
Wie ein Haus gegründet ist, so sollt ihr auch fest gegründet sein in ihm.
Bei uns ist um die Ecke ein neues Haus für die Kinderheime Kornthal gebaut worden. Kornthal hat einen etwas schwierigen Untergrund. Das Haus hat vier Wochen lang gewackelt, bis zwanzig Meter lange Pfähle in den Boden getrieben wurden als Fundament, damit das Haus feststeht.
Ihr sollt in ihm fest gegründet sein.
Ein Bild aus der Technik, aber auch aus der Schöpfung: Ihr sollt in ihm verwurzelt sein. Wie die Wurzeln sich festkrallen im Boden und selbst dem höchsten Baum, der seine Wipfel hinausstreckt, Halt im Boden geben, so sollt ihr in ihm verwurzelt sein – in ihm, in seiner Liebe gegründet.
Paulus macht noch weiter mit Bildern. Er sagt im Epheserbrief 5: Die Gemeinschaft mit Jesus ist eigentlich wie in rechten Ehen, wo es wahr wird, dass sie ein Fleisch sind – weit über das Körperliche hinaus.
Man entdeckt plötzlich: Das, was du gerade sagen wolltest, das wollte ich gerade sagen. Man denkt mit den gleichen Gedanken.
Die unauflösliche Zugehörigkeit zu Christus und Gott
Aber das Allerkühnste, was Paulus über die Gemeinschaft mit Christus gesagt hat, steht hier. So wie Christus Gott gehört – total, von Gott umfangen, von Gott geleitet, von Gott geprägt und durch Gott festgehalten – so sollt auch ihr dem Christus gehören. Genau so, nicht nur ähnlich. Ihr sollt so dem Christus gehören, so ist das eigentlich angelegt.
So wie Jesus wusste, dass nichts uns aus der Hand des Vaters reißen kann, so sollt ihr bei Christus wissen: Nichts kann mich aus seiner Hand herausreißen. Wir sollen in ihm ganz geborgen, gegründet und verwurzelt sein. Jesus wollte Anteil geben an dem, was selbst das eigentliche Wesen seines Lebens war. Diese engste Verbundenheit mit dem Vater sollten auch schwache Menschen bekommen.
Liebe Schwestern und Brüder, das Geheimnis der Passion, deren wir jetzt in diesen Tagen neu gedenken, ist doch, dass Jesus das todernst gemeint hat – todernst. Ich gehöre zu euch Sündern. Er ist nicht bloß in unsere Welt gekommen und hat Menschenart angenommen, nein, er ist bis auf den Richtplatz von Jerusalem gegangen, dorthin, wo die Mörder hingerichtet wurden.
Es war ja schon bewegend gewesen bei der Taufe am Jordan, als der Täufer Johannes sagte: „Entschuldigung, du Jesus von Nazareth, da gehörst du nicht hin. Das sind ja die Sünder, die auf die Taufe warten. Du müsstest eher mich taufen.“ Und Jesus sagt: „Nein, da gehöre ich nach Gottes Gerechtigkeit hin. Ich bin doch nach Gottes Plan der allerverachtetste.“
Da ist er mitten unter die Sünder getreten, und das hat er durchgehalten, nicht bloß symbolisch. Er hat sich nicht bloß gedanklich mit uns identifiziert, sondern dort, wo die Verachteten weggeschmissen werden, wo der Müll der Gesellschaft ist, da hat Jesus klargemacht: Zu dem einen Hingerichteten sagte er: „Du, ich gehöre auch zu dir, und du gehörst zu mir.“
Trost in der Gemeinschaft mit Jesus
Und wenn es sie einmal überfällt – ich wünsche es ihnen nicht –, aber es gibt solche heiligen Stunden, da sie plötzlich erkennen, wie viel sie im Leben versäumt haben. Wie oft sie falsch gehandelt haben, wo sie die Liebe zu Menschen verletzt haben und wo sie Gott vor der Tür ihres Lebens stehen ließen, wie den letzten Hausierer.
Wenn sie das einmal überfällt, dann soll sie der Gedanke trösten: Jesus, du bist bis in den Tod hinein zu Menschen gegangen, die es eigentlich nicht verdient haben. Nicht zu den Frommen, sondern du hast ihnen deutlich gemacht: „Ihr sollt einen Heiland haben. Ich gehe bis ans Ende der Gesellschaft!“ Damit wird klar: Stark ist meines Jesu Hand, und sie wird mich ewig fassen. Er hat zu viel an mich gewandt, um mich wieder loszulassen.
Wir sollen das Volk seines Eigentums sein. Wie oft hat Paulus das mit anderen Worten betont: „So ihr gehört Christus, ihr seid Volk des Eigentums, ihr sollt sein Lob bekannt machen.“ Das Wesen des Christseins ist nicht einfach eine Moral. Es ist schön, wenn Jesus uns hilft, mit manchen Versuchungen fertigzuwerden. Es ist großartig, wenn Jesus uns bewahrt vor unseren eigenen Torheiten.
Aber das Wesen des Christseins ist: Ich gehöre nicht mir selbst, auch nicht meinen Angehörigen. Ich gehöre auch nicht meinem Körper, ich gehöre nicht der Krankheit, ich gehöre nicht den Ärzten, ich gehöre nicht dem Fixiertsein auf den Tumormarker. Ich gehöre ihm.
Er ist doch der Herr, der die Verantwortung für mein Leben übernommen hat. Ihr gehört Christus.
Das Vertrauen in die unzerreißbare Hand Gottes
Lassen Sie uns zwei Verse singen aus dem Lied „Stark ist meines Jesu Hand“. Nein, jetzt haben wir gesagt: Ich stehe in meines Herren Hand, 375.
Sie merken immer wieder, wie viele Lieder auf dieses Thema abgestimmt sind. Auch das herrliche Lied „Herr, weil mich festhält deines starken Herrn“, 375, ich stehe in meines Herrn Hand, 1 und 3, 375. Also noch einmal: Ihr gehört Christus!
Was wäre das, wenn wir uns an diesem heutigen Tag so fest sagen würden, dass es gilt: Ich gehöre ihm. Dieses Bewusstsein zieht sich doch schon durch all die Berichte über das Leben unseres Herrn Jesus und durch die Gleichnisse. Es ist nicht so, dass Jesus nur dann handelt, wenn ein Schaf verloren ist und es sucht. Nein, vielmehr sagt er: Ich habe mein Schaf gefunden. Selbst in der Verlorenheit gehört es mir.
Ich habe eben ein kleines Büchlein gelesen, das von jungen Christen herausgebracht wurde, von modernen jungen Damen und Herren. Sie alle sagten: Selbst in den größten Zweifeln, in den größten Anfechtungen und Versuchungen meines Lebens, ich gehöre doch ihm. Das kann doch gar niemand trennen – ich gehöre ihm.
Die Freude Jesu über Zachäus: „Ich muss doch in dein Haus einkehren, Zachäus, mein Zachäus.“ Diejenigen, die ausgeschlossen werden, sind doch seine Leute. Man kann eigentlich überall dieses „Mein“ hineinnehmen, dann wird die Geschichte voll und prall und lebendig.
Jesus hatte nicht nur Mitleid mit der Krankheit, sondern er ist auch Abraham Sohn. Dieser Zachäus gehört doch mir. Die Freude Jesu an seinem Eigentum – wir sollen ihm gehören. Jesus will seine Ehre darin sehen, zu zeigen, was er fertigbringt, wenn er die Verantwortung für unser Leben übernommen hat.
Nichts ist der Glanz meines Lebens, als dass ich mich zum Glauben durchgerungen habe, sondern dass Jesus sagt: „Jetzt lass doch mal mich dran, du gehörst doch mir, lass mich wirken.“
Wir leben oder sterben – so sind wir des Herrn. Wir gehören dem Herrn. Ihr gehört Christus.
Die Prüfung Jesu und seine Angst vor der Trennung von Gott
Aber nun der andere Satz: So wie Christus Gott gehört, halten wir es für eine Binsenwahrheit. Ja, Jesus gehört zu Gott. Das war das Lebenselixier für Jesus. Er wollte kein Wort sprechen, das ihm nicht vom Vater gegeben war, keine Tat tun, hinter der nicht der Vater stand. In ihm war der Vater gegenwärtig.
Aber genau das wurde Jesus bestritten. Deshalb wurde er dieser unvorstellbaren Belastungsprobe ausgesetzt. Ist er Gottes Sohn? Gut, dann steigt er doch herunter. Das wollen wir mal sehen, ob er wirklich Gott gehört. Es war ein Testvorgang. Ich denke, die Dämonen haben den Atem angehalten. Was wird jetzt herauskommen? Gehört er wirklich Gott? Dann können wir einpacken.
Als Jesus in sein Leiden, in diese Belastungsprobe hineinging, stellte sich die Frage: Ist er wirklich Gottes Sohn? Gehört er Gott? Da hat Jesus seinen Jüngern gestanden: „Wie ist mir so bange!“ Der Sohn Gottes, dem nicht bange war, als die Brecher auf dem stürmischen See Genezareth ins Boot schlugen, der ohne Angst die Straße bei den Gergasenern ging – wo die Leute sagten, da kannst du nicht laufen, da sind ein paar dämonisch Besessene, die machen einen kaputt – ist Jesus entlanggegangen, ohne Sorge.
Das war doch keine angeborene Angst. Sonst wäre Jesus nicht ohne Zögern in jener Nacht dem Verhaftungskommando entgegengegangen, als sie mit Schwertern und Stangen kamen. „Wen sucht ihr?“ – „Jesus.“ – „Ja, ich bin’s.“ Da haben einige den Boden gehauen. So etwas hatten sie nie erlebt, dass der Gesuchte ihnen ohne Angst und ohne Flucht entgegenkommt.
Angst hatte Jesus nicht, Ängstlichkeit hat sein Leben nicht geprägt. Aber warum war dann die Seele Jesu betrübt bis an den Tod? Warum fing er an zu zittern und zu zagen? In der neuen Übersetzung heißt es: zu trauern und zu zagen. Hatte Jesus Angst vor dem Entehrtwerden, vor dem Angespucktwerden, vor dem Verachtetwerden? Das war ihm von Anfang an seiner Wirksamkeit begegnet. Das war Prophetenschicksal, ausgestoßen zu sein – schon in der Heimatstadt. Davor war Jesus nicht bange.
Wovor hatte Jesus so große Angst, dass er sagt: „Meine Seele ist betrübt bis an den Tod“? Wer von uns je von Schwermut geplagt war, weiß, was das heißt: betrübt bis an den Tod, dass man nicht mehr leben kann. Wovor hatte Jesus Angst? Haben Sie sich das schon einmal gefragt?
Wir nehmen manchmal die Geschichten des Neuen Testaments zu selbstverständlich. Die hören wir seit dem Kindergarten und seit dem Kindergottesdienst. Die Antwort steht im Evangelium: „Siehe, die Stunde ist da, dass des Menschen Sohn“ – Jesus meint sich selbst – „in die Hände der Menschen überantwortet wird.“ Er wird als der allerverachtetste und unwerteste dargestellt, wie in Jesaja 53 beschrieben.
„Er, der Sohn Gottes, von dem galt: ‚Du hast mich mit deiner Hand geborgen bei dir‘“, so heißt es bei Jesaja. „Unter dem Schatten deiner Hand hast du mich behütet.“ Der wird jetzt in die Hände der Menschen überantwortet. Nicht nur das: Wenn Sie die Passionsberichte lesen, ist es wie eine dauernde Steigerung – in die Hände der Menschen, in die Hände der Sünder, in die Hände der Heiden. „Bitte, Übergabe!“
Und die Frage Jesu war doch: Falle ich dann aus der Hand Gottes heraus? Beim König Saul war es so: Als er aus der Hand Gottes gefallen war, hatte er es nur noch mit Menschen und bösen Geistern zu tun. Als David in Schuld geraten war und vorgelegt wurde, was er lieber wolle – drei Jahre Hungersnot, drei Tage Verfolgung durch Feinde oder Pest – da schrie David: „Bloß nicht in die Hände von Menschen fallen!“ Lieber falle ich in die Hand des zornigen, strafenden Gottes.
Und ich denke, das verbindet uns alle. So viele Erfahrungen haben wir mit Menschen gemacht – mit Gehässigen, Bösartigen, Mitmenschen –, dass wir sagen: Bloß nicht den Menschen ausgeliefert werden. Überantwortet zu werden in die Hände der Menschen.
Damals, als Jesus klarmachte, dass er selbst zu den gehassten, verlogenen Menschen gehört, ja, sogar noch um einen Pilatus warb, hat das einen Preis gehabt. Die bange Frage war: Falle ich dann aus der Hand Gottes heraus? Ist das ein Entweder-oder? Entweder in der Hand Gottes oder in der Hand der Menschen? Eine ernsthafte Frage.
Wir meinen immer, wir könnten das kombinieren, so ein bisschen Mischmasch machen: „Lieber Gott, halt ein bisschen deine Hand auch dazwischen, aber sonst will ich schon selber mit meinen Händen die Welt gestalten. Und ein paar Freunde habe ich auch noch, die mir raten können: Hände der Menschen können auch gut sein, und meine eigenen Hände sind ausgezeichnet. Aber für die letzten drei Prozent, lieber Gott, greif du mit deiner Hand dazwischen. Oder wenn ich in Not komme, dann komm und pack mich geschwind.“
Nein, Jesus hat gewusst, es kann entweder das eine oder das andere sein. Wenn ich in den Händen der Menschen bin, dann ist mit der Hand Gottes nichts mehr. Und ihm wurde bange.
Die Dunkelheit der Sünde und die Treue Gottes
Wir hatten vor einigen Jahren den norwegischen Bischof Harkon Andersen bei einer unserer Pfarrertagungen und der Ludwig-Hofacker-Vereinigung zu Gast. Er hielt für uns Passionsmeditationen, die unvergesslich waren – bis hin zum Klang seiner Stimme.
Er machte uns deutlich, dass derjenige, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht wurde. Als das Leiden Jesu seinen Höhepunkt erreichte, mittags um zwölf, beim hellsten Sonnenschein, da verbarg die Sonne ihr Gesicht. So erzählte er es uns. Ich gebe hier seine Worte wieder: Die Sonne, die so viel Böses in unserer Welt sehen konnte, verbarg ihr Licht, als die ganze Last der Sünde auf Jesus gelegt wurde. Da brach Finsternis herein, und die Sonne verhüllte ihren Schein.
Die ganze Hölle offenbarte ihr Ausmaß. Die Finsternis dauerte drei Stunden. Bischof Harkon Andersen sagte uns, dass keine Menschenseele ermessen kann, was Jesus in diesen drei Stunden der Finsternis erlitt. Die Finsternis hatte die Welt immer stärker und umfassender ergriffen. Nun ergriff sie auch das Herz Jesu. Ihr folgte das ganze Heer des Bösen. Es stürmte auf Jesus ein – anders als die Besessenen einst auf ihn einstürmten.
Die ganze Sünde des Menschengeschlechts war zu einer pechschwarzen Finsternis geworden. Sie trennte den Erlöser von seinem eigenen Vater. Jesus konnte nur noch in das ganze Grauen der Sünde blicken, in die ewige Dunkelheit.
Bischof Andersen sagte, ein Zeichen dafür sei, dass Jesus in seiner großen Seelennot nicht mehr das vertraute „Abba, mein Vater“ rief, sondern „Eli, Eli“. Das ist distanziert: „Mein Gott, mein Gott“. In Württemberg wird es immer üblicher, dass manche Gottesdienste mit „Gott“ beginnen – so etwas Distanziertes gab es höchstens im Baalskult.
Wir rufen „Mein Vater, Abba, Vater des Herrn Jesus Christus, ehrwürdiger, ewiger Gott, Schöpfer von Ewigkeit, Herrlichkeit, du Wunderbarer, du Erbarmer“ – aber nicht einfach „Gott“. In diesem Augenblick der Not, als die Finsternis Jesus vom Vater schied, in der Gottverlassenheit, konnte er nur noch „Eli, Gott“ rufen.
„Jesus hatte keinen Boden mehr unter den Füßen“, sagte Bischof Andersen. Er hing zwischen Himmel und Erde, war aber auch von Gott verlassen. Diese Finsternis dauerte von der sechsten bis zur neunten Stunde.
Dann musste die Finsternis weichen. Wenn Gott befiehlt, muss auch das ganze Grauen der Hölle weichen. Alle Zeiten liegen in Gottes Händen – auch diese drei furchtbaren Stunden, als die Heere der Finsternis losgelassen waren und die Pforten der Hölle geöffnet waren.
Da war das Abendgebet Jesu um die neunte Stunde, mittags um drei: „Vater, aber!“ Wie geht es jetzt weiter? „In deine Hände befehle ich meinen Geist, du bist doch nahe! Deine Hände reichen bis auf den Galgenhügel von Golgatha, deine Hände reichen doch bis dorthin, wo die Pforten der Hölle sind, wo das Gericht stattfindet, die Entscheidungsschlacht zwischen Gott und Satan. Vater, deine Hände!“
Seit jener Stunde ist festgemacht, dass Christus auf Ewigkeit Gott gehört, Christus gehört dem Vater. Auch die tiefste Finsternis, auch die Schuld der Welt kann Jesus nicht von seinem Vater trennen. Nichts, nichts kann ihn aus den Händen des Vaters reißen.
Die unzertrennliche Liebe Gottes in Christus
Jetzt wissen Sie, warum Paulus im Römerbrief Kapitel 8 einen so großen Lobpreis singt. Er sagt: Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Fürstentümer noch Engel noch Gewalten, weder dämonische Mächte, weder jenseitige noch zukünftige Dinge, weder Geschaffenes noch Ungeschaffenes uns je trennen kann von der Liebe Gottes, die wir in Jesus haben.
Diese Liebe Gottes ist in den lebendigen Jesus hineingepackt, den Gott uns zurückgegeben hat. Jesus ist in Gottes Hände genommen worden und uns der Welt gegeben. Die Liebe Gottes ist in Christus. Christus gehört Gott, das hat Paulus jubilierend bekannt. Er ist damals neu in Kraft getreten in jener herrlichen Stunde, als Jesus rief: „Es ist vollbracht.“
Dieser Jesus gehört ganz und gar, hundertprozentig, unheilbar und unauflöslich in die Hand Gottes. Und jetzt sagt Paulus kühn: Und genauso, genauso gehört ihr dem Christus. So wie Christus Gott gehört, gehört ihr dem Christus. Das ist eine ganz neue geistliche Erfahrung mit tiefen Dimensionen.
Das Volk Israel hat auch Gott gehört. „Ich habe euch erwählt, ihr seid mein Eigentumsvolk.“ Mose und Abraham schon haben Gott gehört. Und auch in der babylonischen Gefangenschaft, nach der Zerstörung Jerusalems, ist Israel zugesagt worden, dass der Rest Israels „mein“ ist. Aber jetzt bei Jesus hat das Ganze noch einmal eine neue Tiefe bekommen.
Was „gehören“ bedeutet, ist, dass Gott sein Volk selbst noch aus der Hölle herausreißt. Du gehörst mir. Niemand darf dich aus meiner Hand nehmen. Denken Sie daran, wenn Krankheit über Sie kommt und Sie denken, Gott hat mich verlassen. Nein, ich gehöre ihm. Nicht weil ich getauft bin oder irgendetwas anderes, sondern weil es in der Bibel schwarz auf weiß steht: So wie Christus Gott gehört, sollen wir ihm, dem Herrn Jesus Christus, dem Erlöser, gehören.
Die Gemeinschaft, die Jesus mit dem Vater hat, ist das Urmodell wahrer Verbundenheit. So will Jesus seine Leute zu sich aufnehmen, und er will diese Gemeinschaft durchhalten. Ihr gehört Christus, so wie Christus Gott gehört. Herr Jesus, darüber können wir nur staunen.
Wir gehören dir nicht bloß durch Sympathie, ein bisschen Glauben, Zweifel, Kleinglauben, Eigensucht oder eigene Wege. Nein, dein heiliger, erlösender Wille steht dahinter. Das ist ein Rechtsverhältnis: Wir gehören dir. Jetzt lass uns das auch im Glauben annehmen und gelten lassen.
Wir gehören nicht dem, was unsere Phantasie uns vorschreiben will, nicht den Emotionen, dem Zorn oder der Ungeduld, die in uns erwachen. Wir gehören nicht den unguten Gedanken, nicht den schlechten Erfahrungen und Prägungen unseres Lebens. Wir gehören dir, im Leben und im Sterben. Sind wir und bleiben dein. Amen.
