Gott wird Mensch – Leben und Lehre des Mannes, der Retter und Richter, Weg, Wahrheit und Leben ist.
Episode 86: Ein Eifer, der verzehrt.
Einführung in die besondere Tempelreinigung bei Johannes
Bevor wir uns heute der ersten Tempelreinigung zuwenden, ein Hinweis: Johannes berichtet in seinem Evangelium fast ausschließlich von Ereignissen aus dem Leben Jesu, die seine Kollegen Matthäus, Markus und Lukas weggelassen haben. So stellt er sein Material zusammen.
Während die Synoptiker – das sind die Verfasser der ersten drei Evangelien im Neuen Testament – von einer Tempelreinigung berichten, die ganz am Ende von Jesu Dienst, kurz vor der Kreuzigung, stattfand, ist es Johannes besonders wichtig, auf eine weitere Tempelreinigung hinzuweisen. Diese fand nämlich ganz am Anfang statt.
Jesus sorgte also zweimal im Tempel für Aufruhr. Da für Matthäus, Markus und Lukas das erste Jahr im Dienst Jesu kaum eine Rolle spielt, berichten sie nicht von dieser ersten Tempelreinigung. Johannes hingegen erwähnt sie.
Der erste Auftritt Jesu im Tempel
Johannes 2,13
Und das Passa der Juden war nahe, und Jesus ging hinauf nach Jerusalem. Das ist zunächst nicht ungewöhnlich. Dreimal im Jahr sollte jeder jüdische Mann nach Jerusalem gehen und dort vor Gott feiern. Dazu gehörten das Fest der ungesäuerten Brote, auch Nachpassa genannt, dann Pfingsten, das auch Fest der Wochen genannt wird, und schließlich das Laubhüttenfest.
Wenn Jesus etwa dreißig Jahre alt war, als er seinen Dienst begann, dann war er den Weg nach Jerusalem schon oft gegangen. Es war an sich nichts Besonderes. Er war zunächst ein Pilger unter vielen. Man kann davon ausgehen, dass er schon oft im Tempel war und bereits erlebt hatte, dass dort ein Treiben wie in einer Markthalle stattfand.
Johannes 2,14
Und er fand im Tempel die Ochsen-, Schaf- und Taubenverkäufer sowie die Wechsler sitzen. Durch die großzügige Erweiterung des alten Tempelgeländes unter Herodes dem Großen war Platz für diese Verkäufer und Wechsler entstanden. Früher hatten die Kaufleute ihre Stände außerhalb des Tempels, im Kidron-Tal und an den Hängen des Ölbergs, doch jetzt boten sie ihre Waren und Dienste im Tempel an – im äußersten Tempelbezirk, dem sogenannten Vorhof der Heiden.
Die Tiere, die verkauft wurden, waren für die Opfer benötigt, und die Wechsler waren notwendig, um die Tempelsteuer zu bezahlen. Diese konnte nämlich nur in einer bestimmten Währung entrichtet werden. Wer also von weiter her zum Tempel kam, konnte sich dort ein Opfertier kaufen und Geld wechseln lassen. Dass die Kaufleute dabei ihre Monopolstellung ausnutzten und ordentlich Gewinn machten, darf man annehmen.
Jesu radikale Reinigung des Tempels
Johannes 2,15: Und Jesus machte eine Geißel aus Stricken und trieb alle aus dem Tempel hinaus – auch die Schafe und die Ochsen. Die Münzen der Wechsler schüttete er aus, und die Tische warf er um. Zu den Taubenverkäufern sagte er: „Nehmt dies weg von hier! Macht nicht das Haus meines Vaters zu einem Kaufhaus!“
Ich persönlich stelle mir die Situation als ziemlich merkwürdig vor. Irgendwann besorgt sich Jesus Stricke, dann noch einen Stock. Er knotet die Stricke an den Stock, und so entsteht eine Geißel – ein Stock mit Stricken dran. Dann geht er mit seiner Geißel in den Tempel und beginnt, die Schafe und Ochsen hinauszutreiben. Danach wirft er die Tische der Wechsler um und befiehlt den Taubenverkäufern: „Nehmt dies weg von hier!“
Es wirkt irgendwie komisch, dass sich niemand aufregt oder ihn aufhält, oder? Vielleicht war er einfach viel zu wütend. So wütend und aufgebracht, dass niemand es wagte, sich ihm in den Weg zu stellen.
„Macht nicht das Haus meines Vaters zu einem Kaufhaus!“ – das ist sein Vorwurf. Der Tempel war das Haus Gottes, ein Ort, um Gott zu begegnen. Er war nicht dazu da, Geschäfte zu machen. Als Sohn Gottes kann Jesus es einfach nicht ertragen, dabei zuzusehen, wie der einzige Ort, an dem Heiden den Gott Israels anbeten konnten, von blökenden Schafen, dem Gestank nach Taubenmist und dem Gefeilsche um einen möglichst guten Wechselkurs beherrscht wird.
Seine Lösung ist radikal: Er ist der Sohn, und der Sohn räumt das Haus seines Vaters auf. So, wie der Prophet Maleachi es vorhersagt, kommt der Herr – also Gott selbst – plötzlich zu seinem Tempel.
Die Reaktion der Jünger und die biblische Einordnung
Und seine Jünger? Zu diesem Zeitpunkt sind es wahrscheinlich zunächst Johannes, Andreas, Petrus, Philippus und Nathanael, der in den anderen Evangelien übrigens Bartholomäus genannt wird. Was machen sie? Sie stehen wohl daneben.
Man kann sich vorstellen, dass sie ein wenig betroffen sind, als sie ihren Meister wüten sehen. Dabei fällt ihnen eine Bibelstelle ein: Johannes 2,17. Dort heißt es: „Seine Jünger erinnerten sich daran, dass geschrieben steht: ‚Der Eifer um dein Haus verzehrt mich.‘“
Das ist ein Zitat aus Psalm 69,10: „Denn der Eifer um dein Haus hat mich verzehrt, und die Schmähungen derer, die dich schmähen, sind auf mich gefallen.“
Sie schätzen ihren Rabbi richtig ein: Der Eifer um das Haus Gottes verzehrt ihn. Jesus sieht die Zustände im Tempel nach Jahren der Tatenlosigkeit. Alle ärgern sich, doch sie ignorieren das Geschrei und den Gestank. Sie ertragen den Lärm und das Schachern. Aber irgendwann ist es genug.
Es kommt der Punkt, an dem Jesus sich entschließt, aufzuräumen. Der Moment, in dem er sich Stricke sucht, eine Geißel anfertigt, auf den ersten Ochsen zutritt und ihm eine überzieht, sodass dieser sich in Richtung Ausgang auf den Weg macht.
Der erste Tisch, an den Jesus herantritt, wird von ihm gepackt und umgeworfen. Der erste Taubenhändler erhält eine klare Ansage. Der Eifer um dein Haus hat mich verzehrt.
Reflexion über Jesu Radikalität und persönliche Konsequenzen
Frage: Wo bleibt da die Milde, die Geduld, die Liebe? Ist das nicht ein wenig übertrieben? Muss man gleich zu so drastischen Maßnahmen greifen? Jesus, wie wäre es mit einer Antiaggressionstherapie oder mit einem Wutsack zum Drauf-Einprügeln? Muss es wirklich gleich eine Geißel sein, so ein Aufruhr – wofür?
Es hat doch sogar Vorteile, wenn man im Tempel die Opfer kaufen und das Geld wechseln kann. Kurze Wege, Prozess optimiert. Jesus, denk doch mal ein bisschen pragmatisch.
Aber Jesus kann nicht pragmatisch denken. Er will nicht lieb sein. „Der Eifer um dein Haus verzehrt mich.“ Und ich kann das nicht hören und diese Radikalität nicht sehen, ohne mich selbst zu fragen: Wie ist das bei mir? Verzehrt mich der Eifer um Gottes Haus?
Im Neuen Bund ist das die Gemeinde – ein Haus aus lebendigen Steinen, von denen ich einer bin. Verzehrt mich der Eifer um das Haus Gottes? Und wenn nicht, wenn mein Terminkalender auch ohne Gemeinde schon voll ist? Wenn Gemeinde auf der Liste meiner Top-Prioritäten vielleicht nicht einmal auftaucht, weil so vieles anderes wichtiger ist?
Wenn die Bitte um Mitarbeit beim Büchertisch, beim Hauskreis oder in der Kinderkirche bei mir in einem Ohr rein- und im anderen gleich wieder rausgeht – keine Zeit, kein Interesse, ich habe Besseres zu tun.
Wenn es so ist, wäre es dann nicht einfach nur ehrlich, zuzugeben, dass wir keine Jünger Jesu sind, uns an ihm kein Vorbild nehmen und mit seinen Prioritäten – „Der Eifer um dein Haus verzehrt mich“ – nichts anzufangen wissen?
Einladung zur Selbstprüfung und Abschluss
Was könntest du jetzt tun? Du könntest dir die Frage stellen, welche Priorität das Haus Gottes in deinem Leben hat.
Hast du dich vielleicht schon länger nicht mehr im Gottesdienst blicken lassen? Bist du nur noch selten im Hauskreis, und Mitarbeit war ohnehin nie dein Ding?
Das war es für heute. Im Skript findest du noch Erläuterungen zur Tempelsteuer als Endnote.
Der Herr segne dich, erfahre seine Gnade und lebe in seinem Frieden. Amen.
