Gnade sei mit uns und Friede von dem, der da ist, der da war und der da kommt. Amen.
Wir hatten uns vorgenommen, in dieser Passionszeit über die Gegenstände der Passion zu sprechen. In alten Leidensbildern sieht man um das Kreuz herum den Spieß, den Schwamm und die Würfel. Offenbar spielte in der mittelalterlichen Vorstellung das Bewusstsein für diese Gegenstände eine große Rolle – und auch heute sind sie bedeutungsvoll.
Heute wollen wir über den Vorhang im Tempel sprechen. In Matthäus 27 heißt es: Jesus schrie laut auf und verschied. Und siehe da, der Vorhang im Tempel zerriss von oben bis unten in zwei Stücke.
Herr, heilige uns in deiner Wahrheit! Dein Wort ist die Wahrheit. Amen.
Ein unerwartetes Licht im Dunkel
Vor kurzem habe ich irgendwo, ich weiß gar nicht mehr genau wo, eine kleine, packende Geschichte gelesen.
Ein Mann kommt in eine fremde Stadt und ist nur einen Tag dort. Nachdem er sein Hotelzimmer bezogen hat, geht er am späten Nachmittag durch die Stadt. Dabei gerät er in ein Museum, in dem köstliche Schätze vereint sind. Weil er fremd ist, hat er keine Ahnung von den Schließzeiten. Er verpasst das Schlusszeichen und wird somit eingeschlossen.
Plötzlich findet er sich allein im großen, verlassenen Museumsgebäude wieder, während die Nacht früh hereinbricht. Zuerst sucht er lange nach einem Ausgang, einem Keller oder irgendeiner Möglichkeit, das Gebäude zu verlassen. Doch alles ist verschlossen. Schließlich gibt er resigniert nach, geht in einen der Säle. Es ist inzwischen völlig dunkel geworden. Er setzt sich auf eine der Bänke und döst ein.
Inzwischen wird er im Hotel vermisst, man sucht ihn. Jemand kommt auf die Idee, dass er sich im Museum befinden könnte. Man holt den Wärter, der aufschließt und den Hauptschalter betätigt, sodass es hell wird.
Diese kleine Szene hat mich sehr beeindruckt. Der Mann sitzt im Dunkeln und schläft. Plötzlich wird er vom Licht umgeben. Er fährt hoch und sieht sich gegenüber den faszinierendsten und eindrucksvollsten Bildern. Zunächst sieht er nichts, doch dann fällt sein Blick auf ein Bild, das ihn besonders anspricht. Er erkennt plötzlich den Maler und begreift dessen Werk.
Die Bedeutung des Kreuzes für den Glaubenden
Sehen Sie, so ähnlich geht es wirklichen Christen mit dem Kreuz Jesu Christi. Für den natürlichen Menschen ist das Kreuz Jesu Christi dunkel. Es bewegt die Welt. Doch was da vor zweitausend Jahren auf Golgatha geschehen ist, hat das mit unserer Lohnerhöhung, mit unserer Miete, mit unserer Steuererklärung oder mit unseren sexuellen Erlebnissen zu tun?
Für den natürlichen Menschen ist das Kreuz Jesu völlig dunkel. Er versteht es nicht, er kann nichts damit anfangen. Darum sehen Sie heute unter uns in Westdeutschland, wo man sich so rührend bemüht, christlich zu sein, ein Christentum ohne Kreuz. Man kann rührend den Satz hören: „Die Hauptsache im Christentum ist die Nächstenliebe.“ Das ist reiner Unsinn! Die Hauptsache im Christentum ist Christus, der Gekreuzigte – das könnte der Name schon sagen.
Aber von Bonn bis Freiburg können Sie hören: Christentum ohne Kreuz. Man versteht es nicht. Nächstenliebe kann ich verstehen, auch wenn ich der rabiateste Bursche bin, aber das Kreuz bleibt im Dunkeln.
Wenn der Geist Gottes, der Heilige Geist, uns Licht gibt, dann geht es uns wie dem Mann dort im nächtlichen Museum. Hier stand vor kurzem ein junger Inder und sagte so: Und dann wurde das Kreuz vor mich gestellt. Erst auf einmal wurde ich herausgerissen aus der ganzen Verwirrung und Dunkelheit meines Lebens.
Ein junger Mann, der zur Erkenntnis kam, sagte: „Als ich das Kreuz Jesu sah, verstand ich das ganze Evangelium.“ Ich wünsche Ihnen von Herzen, dass Ihnen dieser Lichtmoment geschenkt wird – dieser Moment, in dem Sie nichts sehen als Jesus, den Gekreuzigten, und wissen, dass nichts Sie so angeht, so dringend angeht wie das: Jesus starb für mich.
Es ist sehr richtig, dass ihm dieser Lichtmoment geschenkt wird, denn im Wort Gottes steht: Das Kreuz, das Wort vom Kreuz, ist dunkel, ist unverständlich für die, die verloren werden.
Gottes Anschauungsunterricht am Vorhang
Und sehen Sie, alles hängt davon ab, dass wir diese zentrale Tat Gottes verstehen, dass Gott der Welt seinen Sohn gegeben hat. Es kommt darauf an, dass wir das begreifen lernen. Deshalb gibt sich Gott selbst Mühe, uns das Kreuz verständlich zu machen.
Dabei handelt es sich um den lebendigen, großen Gott, der wie ein guter Lehrer vorgeht. Ein guter Lehrer theoretisiert nicht viel, sondern gibt Anschauungsunterricht. In unserem heutigen Text hören wir wieder lebendig, wie Gottes Schöpfer von Himmel und Erde uns Anschauungsunterricht über Jesu Kreuz erteilt.
Es geht in dieser Predigt von Anfang bis Ende nicht um Dogmatik oder um meine Theorien, sondern darum, dass Sie im Moment des Sterbens wissen, dass Sie zum Leben gehen. Dass Sie heute Gottes Heil finden. Wir überschreiben den Text mit: Gottes Anschauungsunterricht über das Kreuz.
Ich habe wie üblich drei Teile. Zuerst lernen wir, wer Gott ist. Sehen Sie, in der Schule fängt man auch beim ABC an und nicht bei XYZ. Man beginnt nicht mit höherer Mathematik, sondern mit 1 plus 1 ist 2. So macht es auch Gott.
Gottes Anschauungsunterricht beginnt damit, dass wir erfahren, wer Gott eigentlich ist. Jede Schule hat heute viel Anschauungsmaterial. Dort halten nicht nur Lehrer Vorträge, sondern die Kinder bekommen Filme gezeigt. Ein Lehrer – ich glaube, das ist so, und ich bitte anwesende Lehrerinnen, mich nicht allzu sehr auszulachen – hält also nicht einfach einen Vortrag über Kaninchen, sondern zeigt ein Bild oder ein Dia von einem Kaninchen. Oder sie geht mit den Kindern hinaus und zeigt ihnen ein echtes Kaninchen. Alles geschieht durch Anschauung.
Man nennt das Anschauungsmaterial. Gottes Anschauungsmaterial, wenn er uns Anschauungsunterricht über das Kreuz gibt, ist der große Vorhang, der vor dem Allerheiligsten im Tempel in Jerusalem hing.
Ich weiß nicht, ob Sie den Tempel in Jerusalem kennen. Dort gab es zuerst einen großen Vorhof, in den jeder gehen durfte – Kinder, Erwachsene, alle. Dann gab es ein Heiligtum, in das nur die Priester eintreten durften. Wenn sie ins Heiligtum traten, sahen sie einen gewaltigen Vorhang, der von der Decke bis zum Boden reichte. Durch diesen Vorhang durften sie nicht hindurchgehen. Er hing vor dem Allerheiligsten, dem Raum, in dem Gott wohnen wollte.
Dieser Vorhang ist Gottes Anschauungsmaterial. Er hängt vor dem Allerheiligsten, in dem Gott wohnen will.
Gottes Nähe und die Schranke der Sünde
Wer Gott ist, lernen wir, wenn wir das Kreuz verstehen wollen. Gott ist eine Person. Sehen Sie in diesem kläglichen Brief, geschrieben von einem sechzehnjährigen Schüler, wie fantastisch das ist. Da schreibt ein sechzehnjähriger Schüler: Sicher gibt es eine höhere Macht. Ein Christ wird sie Gott nennen. Man mag sie auch Schicksal, Natur oder Vorsehung nennen, Großmutter oder Omnibus nennen, nicht?
Verstehen Sie, das ist das moderne Heidentum unter uns, wenn man Gott zu einer unpersönlichen Naturmacht macht. Du kannst Schicksal, Vorsehung, Gott oder Natur sagen – das ist Heidentum. Die Heiden verehren diese Naturmächte. Und solange ein solcher Wortgebrauch von einem Sechzehnjährigen stammt, der es vielleicht von seinem Vater, der bestimmt Oberregierungsrat ist oder so, übernommen hat, ist das die Religion der Gebildeten heute. Das sind auch Reste aus der Nazizeit.
Lieber Freund, das ist pures Heidentum. Gott will unter uns wohnen. Das heißt: Er ist eine Person, eine ehrwürdige Person, die will und handelt, und nicht irgendein „Es“. „Ich will unter euch wohnen“, hat er gesagt. Und da wohnt er in dem Vorhang dort im Tempel. Wir lernen daraus, dass Gott nicht fern im Himmel ist, sondern mitten unter uns.
Sehen Sie, wenn ein Mann in Israel in den Tempel kam, wusste er: Der lebendige Gott ist unter uns. Es ist ein Irrglaube, dass Gott irgendwo im Himmel fern ist. Wo denn? Wie weit denn weg? Gott ist nicht emigriert. Er ist ganz nah bei euch. Da war der Vorhang: „Ich will unter euch wohnen.“
Meine Freunde, verstehen Sie, kein Mensch in Israel glaubte, dass Gott an diesen einen Platz am Vorhang gebunden ist. Im selben Israel, im selben Tempel, las man Psalm 139: „Von allen Seiten umgibst du mich.“ Er ist nicht fern von jedem von uns. Wenn Gott sagt, ich will da wohnen, ist das eine Demonstration. Dieser Vorgang zeigt, dass Gott nicht vernichtet ist, sondern eine Handbreit neben uns.
Hören Sie, was heute Nacht in der Welt gesündigt wurde, was in Essen gesündigt wurde, wurde in Gottes Augen gesündigt. Sie können laufen, wohin sie wollen, sie können sich in den Weltraum schießen lassen – er ist eine Handbreit neben ihnen. „Von allen Seiten umgibst du mich“ – Gottes Anschauungsunterricht.
Wir lernen vor diesem Vorhang noch etwas: Er, der unter uns ist, ohne den wir keine Sekunde leben können, er ist eine Person. Er hat sein Angesicht vor uns verhüllt. Er hat zwischen uns und sich einen Vorhang gezogen. Um unserer Schuld willen.
Es ist völlig gleichgültig, ob Menschen sagen: „Ich tue Recht, scheue niemand, ich bin kein Sünder“, oder ob sie ihre Schuld anerkennen. Das ist zunächst gleichgültig. Gott hat sie und mich ausgeschlossen. Er wird deutlich machen, was Schuld ist. Um unserer Sünde willen hat er einen Vorhang zwischen uns und sich gestellt. Das ist die Lage: Wir sind von Gott geschieden.
Sehen Sie, Gott ist nicht der große, gute, alte Großpapa. Das ist der dritte Aberglaube. So stellen unsere modernen Literaten ihn in allen Formen dar: Der Großpapa, der sagt: „Auch ihr lieben Menschenkinder, ich kenne ja eure Schwäche, aber gerade darum habe ich euch so lieb. Ich nehme das nicht so ernst, ich lächle weise darüber.“ Keine Rede davon! Der heilige Gott ist gerecht und schließt nicht Frieden mit einer ihrer Sünden.
Die Bibel sagt: „Deine Sünden scheiden dich und deinen Gott voneinander.“ Nehmen Sie es: „Deine Sünden scheiden dich und deinen Gott voneinander.“ Hören Sie, wenn einer von uns seine Schuld vor Gott wegtun könnte, dann könnte er einen Vorhang aufmachen, dann wäre er frei, dann könnten wir Kinder Gottes sein. Aber wer kann schon seine Schuld wegtun?
Ich habe als kleines Kind gelogen, Sie nicht? Sehen Sie, seitdem ist der Vorhang zu. Wer kann seine Schuld wegtun? Niemand. Und darum ist das die Lage, in der wir uns befinden.
Man muss von Jesu Kreuz absehen und sich klar machen: Gottes Anschauung und Unterricht sagt, ich bin Person, ich bin unter euch, aber ich bin geschieden von euch und ihr von mir. Und wenn sonst nichts geschieht, dann sind wir, wenn uns im Leben nichts geschieht, in Ewigkeit von Gott ausgeschlossen. Und das ist die Hölle.
Glauben Sie, es gibt eine Hölle? Natürlich gibt es eine Hölle. Eine Hölle ist nichts anderes, als in Ewigkeit mein Ich stirbt nicht, sondern ist in Ewigkeit getrennt von Gott, in Ewigkeit vor dem Vorhang. Ein eindrucksvoller Anschauungsunterricht Gottes.
Das Kreuz als Brücke zum Vater
Aber nun ein zweites Gottes Anschauungsunterricht. Wir sagten, sein Material, sein Anschauungsmaterial, ist der Vorhang im Tempel. Hier lernen wir, wer Gott ist. Hier lernen wir zweitens, das Kreuz Jesu zu verstehen. Wir kommen zur Hauptstunde. Gott gebe, dass der Mangel an Sauerstoff Sie nicht hindert, Ihren Geist anzustrengen, um zu verstehen. Es hängt Ihre Seelenseligkeit daran.
Wir lernen, das Kreuz Jesu zu verstehen. Ich sage: Gott macht es wie ein guter Lehrer. Er gibt Anschauungsunterricht über das Kreuz, nicht Theorien. Theorien machen wir Pfarrer. Gott gibt Anschauungsunterricht sehr drastisch, und ich wünsche uns, dass wir gelehrige Schüler sind.
Darf ich noch einmal die Situation vor dem Vorhang schildern? Der Vorhang im Allerheiligsten – da ist Gott, er, eine Person, geschieden von uns und unserer Sünde wegen. Der Vorhang der Schuld hängt davor, und er ist doch da, und wir werden ihn nicht los. Soll es denn in Ewigkeit so bleiben? So ist es doch bei den meisten von Ihnen. Seien Sie doch ehrlich! Sie wissen, dass Gott ist, aber Sie haben keinen Frieden mit Gott.
Seien Sie ehrlich: Sie leben vor dem Vorhang. Sie wissen, dass Gott ist. Manchmal sagen Sie, es wäre keine Sünde da, manchmal behaupten Sie, Gott sei Naturvorsehung, und Sie wissen, dass Gott da ist. Es geht dem Gericht entgegen, Sie wissen alles, und Sie haben keinen Frieden mit Gott. Warum braucht der Mensch so lange, bis er endlich die Wirklichkeit sieht? Verharmlosen Sie nicht Ihre Stellung vor Gott! Soll das ewig so bleiben?
Sehen Sie, wir sehnen uns ja so nach Frieden mit Gott, dass der Vorhang zerrissen wird – auch wenn wir es gar nicht wissen. Ich bin jetzt ein alter Pastor und habe mit unendlich vielen Leuten zu tun gehabt: mit Frechen, mit Gebildeten und mit Typen, die mich mit gelehrten Worten eindecken, und mit Gleichgültigen. Und man hat allmählich gelernt, nichts davon zu glauben. Dahinter ist die Menschenseele, die nach Frieden mit Gott schreit.
Darum kann ich in die DDR fahren und reden, weil ich Ihnen das nicht glaube, Ihren Freidenkertum, und ich glaube Ihr Christentum nicht. Ihr Herz aber schreit nach ganz realem Frieden mit Gott. Ist es so, sollen wir ewig vor dem Vorhang bleiben?
Hier ging vor ein paar Wochen auf dem Fischmarkt in Oslo, einem der größten Fischmärkte, eine Szene ab, die einfach qualvoll und schrecklich war! Ich gehöre nicht dem Tierschutzverein an, aber das ist heftig, was man da so sieht. Wissen Sie, wie in riesigen Körben diese noch lebenden großen Fische sind? Einmal springen sie hoch und zappeln, und dann sieht man, sie leben noch, atmen durch ihre Kiemen und zucken. Ja, so richtig – einmal springt einer aus dem Pflaster. Es ist etwas unheimlich Friedloses.
Ein Verlangen nach ihrem Element, nach ihrem Element, dem Wasser. Und ich habe den Eindruck, so ist unser Herz. Es schreit nach unserem Element, nach Frieden mit Gott. Wissen Sie, ob Sie Karneval feiern oder politisch etwas tun oder was auch immer mit Ihrer Frau – Sie sind wieder fest, der friedlos ist und nach seinem Element schreit, nach Frieden mit Gott.
Der Vorhang soll zerrissen sein. Wir sehnen uns nach Gott, und Gott sehnt sich nach uns. Es ist merkwürdig: Gott sehnt sich nach uns. Er möchte den Vorhang wegtun, und er kann es nicht, denn Gott ist gerecht. Er kann nicht mit unserer Sünde so umgehen, als wäre sie nicht geschehen.
Machen Sie Gott nicht zum Hampelmann! Gott ist gerecht! Unsere Sünde muss zur Sprache kommen, Schuld muss zur Sprache kommen. Wir werden gerichtet nach den Geboten. Gott richtet sich nicht nach Ihrer guten bürgerlichen Meinung. Gott sehnt sich nach uns, und wir sehnen uns nach ihm, und da ist der Vorhang der Schuld, und er kann nicht weg.
Sehen Sie Gottes Anschauungsunterricht: Da tritt der Mittler ein, der Sohn Gottes, Jesus. Es ist ein atemberaubender Vorgang, der alle Generationen Menschen und Rassen mit seinen Armen umfasst und sagt: Gut, dann will ich der Gerechtigkeit Genüge tun. Ich werde für alle die Schuld bezahlen, ich werde aller Schuld auf mich nehmen, das Gericht tragen.
Und dann lässt er sich ans Kreuz schlagen. Das ist der Vorgang von Golgatha, da trägt er die Schuld der Welt. Ich möchte ihn vor Ihnen malen: den Mann mit der Dornenkrone. Siehe, da ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt. Die Strafe liegt auf ihm.
Verstehen Sie, in dem Augenblick, wo Jesus ausgelitten hat und den letzten Schrei getan hat, da geschieht es: Gottes Anschauungsunterricht. Da zerreißt der Vorhang im Tempel von oben bis unten, und Gott macht deutlich: Nun ist der Schuldvorhang zerrissen, und der Weg ist frei ins Allerheiligste, zum Herzen des lebendigen Gottes, zum Herzen des Vaters Jesu Christi.
Herr Gott, gebe, dass Sie verstehen, wer von diesen gewaltigen Dingen reden will, so dass die arme Vernunft es verstehen könnte. Darf ich es noch einmal wiederholen: Gottes Anschauungsunterricht übers Kreuz. Da hängt der Sohn Gottes, da ist er in Finsternis: Mein Gott, warum hast du mich verlassen? Da tut ein Todesschrei auf. Sie fragen: Was bedeutet das? Ich verstehe es nicht.
Da zeigt Gott auf sein Anschauungsmaterial, auf den Vorhang im Tempel, und sagt: Das bedeutet, dass der Schuldvorhang zerrissen ist und der Weg zu mir frei ist. Und wer jetzt ein Kind Gottes werden will – und wer wollte es nicht? – darf es werden durch Jesus. Da zerreißt der Vorhang von oben bis unten.
Der Weg durch den geöffneten Vorhang
Wenn man lange Pfarrer ist, sieht man, dass der Mensch nicht unreligiös ist – auch Sie nicht. Er möchte so gern zum Herzen Gottes gelangen. Er sieht den Vorhang und sagt: „Ich will ihn zerreißen.“
Dabei versucht man oft, den Vorhang von unten nach oben mit guten Werken zu zerreißen. Machen Sie mal zwanzig Vaterunser, Prozessionen zu verschiedenen Heiligen, verzichten auf bestimmte Dinge, gehen an Weihnachten und Karfreitag in die Kirche, geben Opfer für die Jugendarbeit – all das soll helfen.
Doch das funktioniert nicht. Der Vorhang ist viel zu stark, um ihn von unten her zu zerreißen. Er wird von oben her zerrissen – von der Hand Gottes. Als Jesus alle Schuld der Welt getragen hat, riss der Vorhang von oben bis unten aus.
Vor kurzem las ich im „Weg“, dem Sonntagsblatt der Rheinischen Kirche, einen Leserbrief, der mich sehr beunruhigte. Da schrieb jemand: „Die Pfarrer erzählen uns immer vom Frieden mit Gott, und dass Jesus diesen Frieden gebracht hat, aber sie sagen uns nie, wie ich dazu komme. Wie komme ich dazu?“
Ich wurde einmal gefragt von einem Herrn Dijonsson, Direktor im Verwaltungsgebäude: „Was ist denn ein Christ?“ Das weiß ja keiner, antwortete ich. Ein Christ ist jemand, der sagen kann: „Ich glaube, dass Jesus Christus mein Herr ist. Er hat mich verloren geglaubten, verdammten Menschen erlöst, erworben und gewonnen mit seinem heiligen, teuren Blut und seinem unschuldigen Leiden und Sterben, damit ich sein Eigen sei.“
Da herrschte einen Moment Stille. Dann fragte der Mann erneut: „Wie komme ich dazu? Wie komme ich dazu?“
Das ist dieselbe Frage, die auch im Leserbrief im „Weg“ stand: „Wie komme ich dazu?“
Hören Sie, ich möchte, dass Sie selig werden. Als alter Mann hat man nicht mehr viel Ehrgeiz, aber eines wünsche ich mir: Dass einige von Ihnen in den Himmel kommen und jetzt schon frohe Kinder Gottes werden.
Darum will ich Ihnen sagen, wie man das schafft: Gehen Sie in die Stille, ganz allein mit Gott. Er ist da. Erkennen Sie Gottes Anklageschrift an. Sagen Sie es richtig: Der Vorhang der Schuld ist da. Ich habe gesündigt. Nennen Sie Ihre Sünden beim Namen. Gehen Sie die zehn Gebote durch und sprechen Sie es aus.
Dann schauen Sie auf Jesus, den Gekreuzigten, und glauben Sie, dass durch sein Sterben der Vorhang zerrissen ist. Sagen Sie: „Herr Jesus, ich fasse jetzt, dass du für mich bezahlt hast und die Strafe getragen hast. Ich glaube an deinen stellvertretenden Tod. Für mich ist dein teures Blut vergossen worden.“
Das glauben und fassen Sie. In dem Augenblick, in dem Sie das sagen, wissen Sie, was das bedeutet: Der Vorhang vor dem Angesicht Gottes ist von oben bis unten zerrissen. Und Sie sind mit freudigen Lippen und jubelndem Herzen im Allerheiligsten Gottes.
Der Entschluss zum Leben mit Gott
Lassen Sie mich noch kurz ein letztes sagen: Gottes Anschauungsunterricht. Wir erlernen, wer Gott ist, wir lernen, das Kreuz zu verstehen, und wir lernen namentlich, dass ein Entschluss gilt.
Drittens: Wir lernen, dass ein Entschluss gilt. Bitte lassen Sie sich heute Morgen nicht einfach nur religiös berieseln, um dann nach Hause zu gehen und bis zum ersten Weihnachtsfeiertag genug davon zu haben. So geht es nicht. Wenn Sie schon Gottes Anschauungsunterricht mitmachen, dann müssen Sie lernen, dass Kapreiter einen Schluss bedeutet.
Gottes verhülltes Angesicht wird freigelegt, als Jesus wird. Der Vorhang der Schulzerei ist weg, ist offen. Ja, meine Freunde, was hilft es denn nun eigentlich, wenn dann keiner ins Allerheiligste hineingeht? Es hat keinen Sinn, wenn man die Tür aufmacht und keiner kommt. Gott hat die Tür zu seinem Herzen aufgetan. Sie gehen doch verloren, Jesu Leiden war vergeblich, wenn Sie durch den offenen Vorhang nicht hindurchgehen.
Das nennt man Schluss: Von da an mit Gott leben, wie es heißt – in der Ehe, im Beruf, mit Kollegen, mit Gott, mit dem lebendigen Gott leben. Das ist ein Schluss, nicht wahr? Aber das ganze Leiden Jesu ist vergeblich für Sie, wenn Sie jetzt nicht nur den offenen Vorhang durchschreiten.
Sehen Sie, ich hatte einmal eine eilige Vortragsfahrt durch Schleswig-Holstein. Soll ich abends in Flensburg sprechen, fuhr mein Wagen, mit dem ich vom Chauffeur abgeholt wurde, mit ziemlichem Affentempo, weil es schrecklich spät war. Da kamen wir durch ein Städtchen, das hatte so einen ulkigen Namen. Das fiel mir einfach auf durch seinen komischen Namen. Dann hast du auch schon mal den Namen gehört.
Nun raste mein Wagen weiter, und kurz vor Flensburg fiel es mir ein: Ach, da ist ja ein Mann hingezogen, nach dem Städtchen mit dem ulkigen Namen, mit dem ich im Dritten Reich schrecklich viel erlebt habe. Den hatte ich aus den Augen verloren, ich hatte nur gehört, da ist er hingezogen.
Ach, wenn ich nicht so eilig gewesen wäre, hätte ich ihn besucht. Wir haben so viel zusammen erlebt, ich hätte doch sprechen müssen. Aber so ist das mit der Eile: Man ist vorbeigebraust.
Und da draußen stehen hundert Autos oder mehr und reden davon, was wir für ein eiliges Geschlecht sind. Also meins ist auch dabei, keine Aufregung. Wir reden davon, was wir für ein eiliges Geschlecht sind. Wir fahren mit unseren Autos und Mofas und auch zu Fuß vorbei an der offenen Tür zum Allerheiligsten.
Und am Ende ihres Lebens sind sie gerast und gerast und gerast, kommen gerade noch zu ihrer eigenen Beerdigung zurecht, um in die Hölle zu fahren, um in die Hölle zu fahren.
Liebe Freunde, Karfreitag ist ein Stoppzeichen Gottes: Halt, halt! Was soll ich tun, dass ich selig werde? Was soll ich tun, dass mein friedloses Herz endlich ganz real zum Frieden mit Gott kommt?
Jesus, der Gekreuzigte, sagt: „Ich bin die Tür.“ So sagt er es einmal, ich bin die Tür (Johannes 10). Ich bin die Tür, wer durch mich eingeht, wird selig werden.
Ich bitte Sie, ich bitte Sie, lassen Sie uns still werden und das hören: Jesus sagt, ich bin die Tür. Gehen Sie durch und werden Sie heute noch selig. Das heißt: ein Kind des lebendigen Gottes, das Vergebung der Sünden hat.
Abschluss und Gebet
Sehen Sie, wenn man eine Karfreitagspredigt gehalten hat, steht man oft unter dem starken Eindruck, dass nur der Geist Gottes Licht schenkt. Das Kreuz wird uns vor Augen gestellt, und dieses Licht kann ich nicht einfach weitergeben.
Wer kann schon wirklich vom Kreuz Jesu reden?
Darum möchte ich mit dem Bekenntnis Zinzendorfs schließen, von dem ich hoffe, dass es unser aller Bekenntnis wird. Ich bin durch manche Zeiten, ja sogar durch Ewigkeiten in meinem Geist gereist. Nichts hat mir das Herz so erfüllt wie der Moment, als ich auf Golgata angekommen bin. Gott sei gepriesen!
Wir beten: Herr, die Ewigkeiten sind erfüllt vom Lob des Lammes, das erwürgt ist. Gib, dass alle Räume unseres Herzens ebenfalls von diesem Lob und dieser Anbetung erfüllt werden.
Das Lamm, das erwürgt ist, ist würdig, Preis, Kraft, Ehre und Anbetung zu empfangen.
