Herr Präsident, hallo, einen wunderschönen guten Morgen euch allen.
Toll, dass ihr euch an diesem 9. Januar aufgemacht habt. Es ist ja noch recht früh im Jahr. Manche hatten Urlaub, manche kommen gerade aus den Ferien – was auch immer, es ist schön, dass ihr da seid.
Deborah, vielen Dank für dieses tolle Zeugnis. Wo ist sie denn? Gerade war sie doch noch da. Deborah, ich fand das super, und ich glaube, ganz viele von euch machen einen ähnlichen Prozess durch.
Die Suche nach dem Lebensweg und die Verantwortung des Glaubens
Darf ich mal eine kurze TED-Umfrage starten? Wer von euch weiß denn schon, hat eine Peilung oder eine Ahnung davon, was er in den nächsten zehn Jahren machen wird? Was habt ihr beruflich vor? Wer weiß das denn schon jetzt?
Darf ich mal die Seenflosse hochheben? Wer weiß das? Ja, schön, das sind etwa zehn Prozent. Das heißt aber, dass 90 Prozent von euch genauso ein bisschen am Bröseln sind. Ihr fragt euch: Wo soll es denn langgehen? Was will ich mit meinem Leben machen? Was will ich mit der Zeit anfangen, die Gott mir geschenkt hat? Was mache ich mit der Zeit, die vor mir liegt?
Das ist die ganz große Herausforderung dieser Generation. Zwischen 50 und 55 wissen es die meisten hoffentlich irgendwann. Aber zwischen 15 und 25 muss man irgendwie eine Spur für sein Leben finden. Und das ist unglaublich anstrengend. Das ist die große Herausforderung.
Man geht zu Arbeitsämtern, macht Berufsfindungstests, macht Gabentests, macht Persönlichkeitstests. Man testet endlos und weiß am Ende immer noch nicht, was jetzt eigentlich Sache ist.
Bei Christen verkompliziert sich die Frage noch, weil sie dann sagen: Was will denn Gott von mir? Was ist eigentlich der Wille Gottes für mein Leben? Ich weiß ja nicht mal, was mein eigener Wille für mein Leben ist, geschweige denn, was der Wille Gottes für mein Leben ist. Das macht das Leben sehr anstrengend.
Manchmal hofft man ja dann, dass man irgendein klares Zeichen bekommt, eine klare Anweisung, eine Stimme aus dem Off. Eine Stimme Gottes. Das kennt man aus den alten Hollywoodfilmen, zum Beispiel bei den Zehn Geboten. Da kommt eine Stimme aus dem Off: „Moses, ich befehle dir, geh nach Ägypten und befreie mein Volk.“
Und so hofft man, dass eine Stimme kommt: „Hans, Hans, ich sage dir, werde Elektrotechniker oder irgendwas.“ Und dann kommt in aller Regel so eine Stimme nicht. Es kommt kein Zettel vom Himmel.
Man hofft vielleicht irgendwann morgens, wenn das Auto noch mit Raureif bedeckt ist, dass eine unsichtbare Hand den Berufswunsch so auf die raureifbedeckte Windschutzscheibe schreibt: „Liebe Marion, mach das in deinem Leben!“
Und in aller Regel war es entweder der blöde kleine Bruder, der einen dann behumst hat, oder es passiert einfach nichts im Leben.
Die Verantwortung des Menschen und die biblische Perspektive auf Lebensentscheidungen
In der Regel funktioniert das ganz anders, und das hat auch seinen guten Sinn: Gott nimmt uns nicht aus der Verantwortung heraus. Der Wunsch nach einem Zettel vom Himmel, einer Stimme aus dem Off oder einer unsichtbaren Hand auf der Windschutzscheibe – das sind oft auch Wünsche wie: „Gott, nimm mir die Verantwortung ab. Ich habe keine Lust, selbst Verantwortung für mein Leben zu übernehmen, übernimm du es.“
Doch Gott macht das in der Regel nicht. Er lässt uns nicht aus dem Schneider.
Ich weiß nicht, ob euch schon einmal aufgefallen ist, dass die Frage „Herr, welchen Beruf soll ich wählen?“ oder „Was soll ich mit den nächsten Jahrzehnten meines Lebens anfangen?“ in dieser Form in der Bibel eigentlich gar nicht vorkommt. Wir schenken allen jungen Menschen, die gerade in der Berufsfindungsphase sind, oft Bibelverse aus Psalm 32, wie zum Beispiel „Herr, weise mir deinen Weg“ oder „Ich will dir den Weg weisen, den du gehen sollst“. Doch bei diesen Bibelversen geht es fast nie um Berufsfindung.
Berufswahl war in der Bibel ein geringeres Problem. In der Regel ergriff man damals den Beruf, den der Vater hatte. Für die Frauen war es einfacher: Man machte das, was die Mutter machte. Das ist bis heute in fast 70 Prozent der Welt immer noch so. Berufsfindung ist dort kein großes Thema. Bis vor hundert Jahren war das übrigens auch bei uns nicht so. Man musste nicht zum Arbeitsamt, um sich über seinen Job klar zu werden. Das war buchstäblich in die Wiege gelegt.
In der Bibel geht es meistens darum: Welche Lebensrichtung will ich eigentlich einschlagen? Nach welchem Lebenskonzept will ich leben? Nach welchen Werten, nach welchen Regeln will ich mein Leben ausrichten? Will ich mein Leben im Gehorsam gegenüber dem Wort Gottes und seinen Geboten leben oder nicht? Das ist die Frage, die hinter den Lebenswegen steht. Nach welchen Geboten, Gesetzen oder Regeln will ich mein Leben gestalten?
Die Führungsfragen, die wir heute stellen, gibt es in der Bibel relativ wenig.
Aber wie war das dann bei den Jüngern? Wie war das eigentlich bei den ersten Jüngern? Wie haben sie ihre Sendung gefunden? Wie sind sie aufgebrochen, um das Evangelium von Jesus Christus in alle Welt zu tragen? Wie haben sie die Orientierung für ihr Leben gefunden?
Uns fallen viele Berufungsgeschichten im Neuen Testament ein, zum Beispiel wie Petrus, Matthäus, Jakobus und Johannes berufen wurden. Diese Berufungsgeschichten sind wichtig, aber uns passiert das in der Regel nicht so. Das war damals so.
In unserem Leben läuft es meistens anders. Für uns ist eine andere Geschichte von höchster Bedeutung. Über diese möchte ich heute Morgen mit euch sprechen.
Die Begegnung mit dem Auferstandenen als Ausgangspunkt der Sendung
Ich möchte aus Johannes 20 die Begegnung mit dem Auferstandenen lesen. Es ist der Abend des ersten Ostertages, ein Tag voller chaotischer Meldungen und unbestätigter Gerüchte. Am Abend sitzt dieser verzagte, verwirrte Haufen von elf übrig gebliebenen Jüngern – oder waren es nur zehn? Der Thormeister hat es erst eine Woche später kapiert. Zehn Jünger sitzen in dieser Hütte und wissen nicht aus noch ein.
Dann heißt es im Johannesevangelium: Am Abend dieses ersten Tages der Woche, Sonntag, als die Jünger versammelt und die Türen verschlossen waren aus Furcht vor den Juden, kam Jesus und trat mitten unter sie und sprach zu ihnen: „Friede sei mit euch!“ Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und seine Seite. Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen.
Da sprach Jesus abermals zu ihnen: „Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.“ Am Anfang der Sendung dieser Jünger steht eine Begegnung – eine Begegnung mit dem Auferstandenen, mit dem Auferstandenen Jesus Christus.
Man muss sich das mal vorstellen, man muss sich da mal hineindenken in diesen ersten Ostertag. Diese Männer waren fertig, sie waren am Ende. Zwei Tage vorher, am Freitag, waren alle ihre Hoffnungen zerplatzt, alle ihre Träume waren zu Ende. Es war der Nullpunkt ihres Lebens, den sie erlebt hatten.
Diese Trauertruppe, die sich hier versammelt hat, kam nicht im Entferntesten auf die Idee, in alle Welt zu gehen, um das Evangelium zu verkünden. Nein, am Anfang stand keine Idee. Keine zündende Idee, am Anfang war kein Entschluss, keine Rücksprache, am Anfang gab es keinen Besuch beim Arbeitsamt, keine Berufsberatung, kein Bewerbungsverfahren. Am Anfang gab es auch keinen Gabentest, keinen Persönlichkeitstest.
Ganz am Anfang steht eine Begegnung – die Begegnung mit dem Auferstandenen, mit dem lebendigen Jesus Christus. Und es war diese Begegnung, die sie genötigt hat, die ihnen überhaupt keine andere Wahl ließ, als Boten zu werden.
Das ist das, was ich heute Morgen als allererstes festhalten will: Wir können uns gar nicht dafür entscheiden, Gesandte zu werden. Wir können uns nicht entscheiden, Boten zu werden. Man wird zum Boten, man wird zum Gesandten Jesu Christi immer genötigt – genötigt durch diese Begegnung mit dem auferstandenen Jesus Christus.
Entweder wir werden genötigt oder wir haben etwas falsch verstanden. Das Erste: Wir sind genötigt vom Auferstandenen.
Mitten in dieser Enttäuschung tritt der Auferstandene ein. Er kommt durch die verriegelten Türen und sagt: „Friede sei mit euch!“ Mit diesem auferstandenen Jesus Christus tritt eine neue Weltwirklichkeit diesen Jüngern vor Augen. Die Welt ist mit einem Schlag eine andere geworden.
Da verändert sich nicht nur die Situation, nicht nur die Gefühlslage, nicht nur das emotionale Gefühl – nein, die Weltsituation ist eine andere geworden. Versteht ihr? Wir verkürzen manchmal die Auferstehung Jesu Christi auf einen Impuls der Privaterbauung. „Ja, ich weiß, dass mein Erlöser lebt“ – das ist gut und wichtig.
Aber was die Jünger damals erlebt haben, war viel mehr. Das war nicht nur eine religiöse Erfahrung, wie man sie weltweit in allen Religionen machen kann. Es war die Offenbarung einer neuen Wirklichkeit, der Beginn einer neuen Weltzeit.
Der Tod hat keine Macht mehr. Es gibt Ewigkeit, es gibt Leben, neues Leben, ewiges Leben, es gibt Rettung. An diesem Abend hat der Auferstandene diesen Männern eine Einsicht aufgenötigt, die alles umgestürzt hat.
Gott ist persönlich da, er ist fassbar, er ist sichtbar, er ist ansprechbar. Der Auferstandene hat ihnen die Einsicht aufgezwungen, dass er – dass Jesus – die Schlüsselfigur der Weltgeschichte ist. Jeder lebt falsch, der an ihm vorbeilebt. Das Leben aller Menschen, aller Menschen – der Toten und der Lebenden – entscheidet sich an ihm.
Das wurde in einem Moment deutlich, als dieser Auferstandene durch die verriegelten Türen trat und sagte: „Friede sei mit euch!“ Da ist alles anders geworden.
Wir sollten dieses Wort auch nicht vorschnell so in unser Leben verindividualisieren, so nach dem Motto: „Mensch, wenn man richtig motiviert ist durch so ein Erlebnis, dann kann man ja überhaupt nicht mehr die Klappe halten.“
Nein, das ist nicht falsch, aber da geht es um etwas ganz anderes, um etwas viel Größeres. Diesen Männern ist ein Toter begegnet. Sie haben den gekreuzigten und gestorbenen Jesus von Nazareth getroffen. Ihnen wurde das Ende der Macht des Todes aufgezwungen und demonstriert.
Sie haben den getroffen, der wirklich buchstäblich alle Gewalt im Himmel und auf Erden hat. Das ist mehr als die Entdeckung Amerikas, mehr als die erste Mondlandung, mehr als die erste Kernspaltung – mehr als, was weiß ich.
Das war die Entdeckung der Weltgeschichte. Und da ging es nicht mehr um die Entscheidung, ob ich das jetzt weitersagen möchte oder nicht, ob ich motiviert genug bin. Man fühlt ja manchmal so seinen Puls: Bin ich motiviert genug? Bin ich mutig genug?
Das war überhaupt nicht die Frage. Das waren keine Helden damals, sondern es waren Leute, verzagte, angstbesetzte Menschen, die jetzt auf einmal gar nicht mehr anders konnten.
Die Kraft der Botschaft und das Bild der chilenischen Bergleute
Ich habe überlegt, wie ich euch deutlich machen kann, was da passiert ist. Im vergangenen Jahr haben wir die Geschichte der chilenischen Bergleute erlebt, die in der Atacama-Wüste verschüttet wurden. Ein riesiges Drama.
Ich weiß nicht, ob ihr euch erinnert: Am Anfang dauerte es eine ganze Weile, bis man überhaupt herausfand, dass noch 33 Männer in der Mine am Leben waren. Es hat zwei Wochen gedauert, bis man das überhaupt mitbekommen hat – dass sie noch leben.
Stellt euch nun diese zwei Wochen im Leben der Bergleute vor: Man sitzt 800 Meter tief im Schacht, ohne den geringsten Funken Hoffnung, wieder herauszukommen. Das ist der Inbegriff von Verlorenheit. 800 Meter tief lebendig begraben zu sein, unter der Erde, ohne zu wissen, ob oben überhaupt jemand merkt, dass man da unten sitzt. Ohne zu wissen, ob es da oben jemanden gibt, der sich noch für einen interessiert, jemanden, der sich um einen sorgt.
Das ist die Grundsituation der Menschheit. Wir sind genauso verloren wie diese 33 Bergleute in diesen zwei Wochen. Wir haben keine Chance, uns aus dieser Verlorenheit selbst zu befreien. Und wenn man ihnen jetzt sagen würde: „Fangt doch mal an zu graben, vielleicht kommt ihr ja irgendwie 50 Meter weit“, wäre das grotesk, fast bitter.
Was muss das für diese Leute gewesen sein? Irgendjemand muss als Erster erkannt haben, dass nach ihnen gesucht wird. Irgendjemand muss als Erster geschnallt haben, dass es da oben Menschen gibt, die noch nach ihnen suchen, die wollen, dass sie leben, die wollen, dass sie befreit werden.
Stellt euch diesen Moment vor, in dem der Erste kapiert: Da gibt es Leute, die nach uns suchen, die nach uns forschen und fragen. Das ist wie die Entdeckung, dass es einen Gott gibt, der nach uns fragt. Einen Gott, dem es nicht egal ist, wenn Menschen verloren gehen. Einen Gott, der anfängt zu graben, zu bohren, weil er möchte, dass wir leben.
Was macht dieser Erste in diesem Moment? Er überlegt doch nicht lange, ob er diese Wahrheit den anderen zumuten kann. Ob es vielleicht intolerant ist, wenn er ihnen seinen persönlichen Eindruck mitteilt, dass da jemand nach ihnen sucht. Nein, er wird geschrien haben: „Leute, sie suchen nach uns! Sie haben uns entdeckt! Sie haben gemerkt, wir leben noch!“ Da schreit man durch die Mine, da überlegt man nicht lange.
Genauso muss es den ersten Jüngern ergangen sein, als sie begriffen haben: In Jesus Christus ist Gott persönlich da. In Jesus Christus hat sich Gott – ich sage es mal im Bild der chilenischen Bergleute – durchgebohrt zu uns. Gott hat ein Loch zu uns in unsere Verlorenheit gebohrt, damit wir nicht ewig verloren gehen, sondern dass es Leben gibt. Und dieses Leben steht jetzt leibhaftig vor uns.
Dieses Leben ist da, und so wie er lebt, werden auch wir leben – in aller Ewigkeit. Das ist die Entdeckung, die Wahrheit, die der auferstandene Jesus Christus diesen zehn Männern aufgezwungen hat. Deshalb wurden sie genötigt, gezwungen, etwas zu entdecken, was sie zuvor nicht gesehen hatten.
Diese Entdeckung hat sie herausgetrieben. Wochen später standen sie in Jerusalem vor dem Hohen Rat. Das war das höchste Gremium des damaligen Judentums, etwas wie Bundestag und Bundesregierung in einem. Der Hohe Rat war nicht begeistert von ihrer Botschaft. Er war nicht erquickt, sondern eher verärgert über das Evangelium vom auferstandenen Jesus Christus.
Der Hohe Rat ließ sie verprügeln, richtig vertrimmen, und sagte dann: „Wir hören erst auf, euch zu schlagen, wenn ihr die Klappe haltet.“ Darauf antwortete Petrus: „Liebe Leute, das können wir gerne machen, aber wir können überhaupt nicht anders.“ Nicht, weil sie besonders mutig oder heldenhaft wären, nicht, weil sie von vornherein zu Märtyrern geboren wurden oder eine besondere Genstruktur hätten.
Sondern weil sie absolute Zeugen sind. Sie haben einen Toten gesehen, die Schlüsselfigur der Welt, und erkannt, dass er auferstanden ist. Sie haben gemerkt, dass der Tod entmachtet wurde. Deshalb können sie nicht schweigen. Sie können das nicht unter den Tisch fallen lassen.
„Wir können nicht anders, als von dem zu reden, was wir gesehen und gehört haben.“ Dabei geht es nicht um Heldentum, sondern um einen Druck, der raus muss. Der anderen weitergesagt werden muss. Die Welt ist an Ostern fundamental anders geworden.
Die Bedeutung der Auferstehung für den Glauben heute
Nun gibt es einen klaren Unterschied: Die Jünger damals haben Jesus leibhaftig als den Lebendigen bei seiner Auferstehung gesehen. Das haben wir nicht erlebt. Das können wir nicht von uns sagen. Ihr genauso wie ich wurden überwältigt von dem Zeugnis, dass Jesus auferstanden ist. Diese Botschaft wird seit zweitausend Jahren von einem Ort zum anderen weitergegeben: Jesus lebt! Deshalb sind wir heute Morgen hier.
Aber auch bei uns war es die Nachricht von der Auferstehung Jesu Christi, die uns zu Zeugen gemacht hat. Mir ist das heute Morgen unter einem ganz besonderen Aspekt wichtig. In unserer Gesellschaft spricht man manchmal leichtfertig und gedankenlos von engagierten Christen, von Christen mit einer tiefen Gewissheit über die Auferstehung Jesu Christi, und bezeichnet sie als Fundamentalisten. Damit sind Menschen gemeint, die sich einem nicht mehr nachvollziehbaren Gedankengebäude verschrieben haben, die sich eingeschlossen haben in ein System, das man nicht mehr hinterfragen kann, das völlig irrational und verrückt erscheint und mit dem man nicht mehr vernünftig reden kann.
Ich will es ganz persönlich formulieren: Ich möchte heute Morgen niemanden in Sippenhaft nehmen, aber ich glaube an eine Wahrheit in Person. An eine Wahrheit in Person, die die Grenzen von Raum und Zeit gesprengt hat, die die Grenzen des Todes überwunden hat. Ich bin Christ und Bote Jesu Christi geworden, weil Jesus in Raum und Zeit auferstanden ist. Diese Botschaft ist historisch glaubwürdig und zuverlässig, weil es Augenzeugen gab. Und weil sich der Auferstandene selbst mit seinem Wort in mein Leben hineingedrängt hat, stehe ich heute Morgen hier.
Ich kann begründen, warum ich glaube. Man kann mit mir über diese Gründe reden und diskutieren. Ich kann und werde nichts beweisen können – diesen Anspruch erhebe ich nicht. Aber ich kann bezeugen, was ich glaube und was ich erlebt habe mit dem auferstandenen, lebendigen Jesus Christus. Und ich erwarte, dass man die Bereitschaft mitbringt, sich diesen Texten zu stellen, zum Beispiel dem Text, den ich euch heute Morgen vorgelesen habe.
In der Theologie ist es Mode geworden, die Auferstehungsberichte des Neuen Testaments als Glaubenszeugnisse zu betrachten – nach dem Motto, dass Menschen subjektiv so wahrgenommen haben. Man spricht von Erscheinungen, die subjektiv erlebt wurden. Solche Erscheinungen gibt es bei religiösen Menschen weltweit, aber man muss das nicht verallgemeinern.
Die Texte des Neuen Testaments, das will ich heute Morgen sagen, haben einen ganz anderen Selbstanspruch. Bei Matthäus, Markus, Lukas, Johannes, Paulus und den anderen Autoren haben sie den Anspruch, Augenzeugenberichte zu sein. Alle Betroffenen gehen von realen, objektiven Vorgängen aus, nicht nur von subjektiven Erscheinungen oder psychischen Fata Morganas. Erinnerungen wurden festgehalten, die von Augenzeugen bezeugt wurden.
Im frühen Christentum gab es keine Missionspredigt und kein Glaubensbekenntnis ohne den Hinweis, dass Augenzeugen diese Ereignisse erlebt haben. Menschen, die das zusammen wahrgenommen haben, die Jesus erlebt haben, wie er durch verschlossene Türen tritt und "Friede mit euch" sagt. Sie haben ihn vielfältig gesehen in den vierzig Tagen nach der Auferstehung und vor der Himmelfahrt. Immer wieder ist er gekommen und hat mit ihnen gesprochen. Diese Augenzeugenberichte stehen hinter den Texten. Realer geht es nicht.
Ich bin nicht Bote, weil ich ein religiöser Mensch bin oder weil mich die Sache mit Jesus irgendwie religiös berührt hätte. Nein, ich bin Bote, weil es die logische und zwingende Folge meiner Begegnung mit dem auferstandenen Jesus Christus ist. Mein Glaube hat an Ostern seinen Ausgangspunkt. Ich weigere mich, diese Begegnung mit dem Auferstandenen bloß auf eine Idee zu reduzieren.
Nein, es ist die zwingende Folge meiner Begegnung mit dem Auferstandenen. Wenn es nur eine Idee wäre, wäre ich nur ein Ideologe – jemand, der Ideen hat. Ein Ideologe ist die Verkündigung, die nur Ideen verbreitet. Beim Evangelium ist das anders. Wir verbreiten nicht Ideen, sondern wir sind Zeugen einer neuen Weltsituation. Wir sind Zeugen, dass Gott diese Welt nicht egal ist.
Oder um es mit dem Bild der chilenischen Bergleute zu sagen: Wir sind Zeugen, dass sich Gott zu uns durchgebohrt hat, dass Gott einen Schacht zu uns gegraben hat und dass er uns durch diesen Schacht retten will. Es ist schon verrückt, dass sich heute Leute beklagen, nicht jeder bekomme seinen eigenen Schacht. Die chilenischen Bergleute haben das nicht getan. Sie haben sich alle durch denselben Schacht retten lassen.
Heute hat jeder den Anspruch, seinen eigenen Schacht zu bekommen – und den am besten selbst zu graben. Bitte schön, wer es mag. Man kann es auch mit Paulus beschreiben: Paulus sagt, Gott war in Christus, in diesem auferstandenen Jesus Christus, und hat die Welt mit sich versöhnt. Gott hat Frieden geschlossen, den Krieg beendet, die Feindschaft mit dieser Welt aufgehoben.
Und das muss jeder hören. Das ist es, was Paulus zum Gesandten und Apostel gemacht hat – dass das jetzt jeder mitbekommen soll. Hört mal her, Leute: Gott ist keiner von uns mehr Feind. Gott hat Frieden geschlossen mit jedem Menschen. Und jeder Mensch ist jetzt Kandidat für ein wunderbar neues Leben, ein wunderbar ewiges Leben.
Die Bedeutung der Gemeinschaft und der Auftrag der Gesandten
Vielleicht ist mancher heute Morgen hier, weil er schon immer bei der Yumiko war und weil es eine große Veranstaltung ist, bei der viel los ist. Man kann nette Bekannte treffen oder Leute, die man schon lange nicht mehr gesehen hat. Für manche ist es so etwas wie ein kleines Freizeitnachtreffen. Und das ist gut – freuen wir uns darüber.
Aber heute Morgen geht es nicht darum, dass junge Menschen einen schönen Tag erleben oder ihre Religiosität entfalten können. Das kann man auch machen, wir sind ja tolerant, nichts dagegen – jedem Tierchen sein Pläsierchen. Aber es geht uns um viel, viel mehr.
Es geht darum, dass ihr durch das Hören des Wortes Jesu Christi in eine Begegnung mit dem Auferstandenen kommt. Dadurch werdet ihr zu Zeugen, zu Gesandten.
Bei einem Familientreffen hat ein uralter Freund meines Vaters mich nach zwanzig oder fünfundzwanzig Jahren wieder gesehen – also nach einer Ewigkeit. Ich war Teenager, als er mich zuletzt gesehen hatte. Dann fragte er mich: „Und was ist denn aus dir geworden?“ Ich antwortete: „Ich bin Pfarrer geworden.“ Da fror ihm das Gesicht ein, er erstarrte zu einer Mumie. Nach etwa fünf Sekunden der Fassungslosigkeit rang er sich durch und sagte: „Ja, so Leute muss es auch geben.“ Ja, solche Leute muss es auch geben.
Aber nicht, weil wir in einer toleranten, offenen Gesellschaft leben, in der es religiöse Animateure für ältere Menschen geben muss, die Sonntagmorgen nichts anderes zu tun wissen, als in die Kirche oder zu Gottesdiensten zu gehen. Wir brauchen keine religiösen Animateure.
Wir brauchen Zeugen, wir brauchen Gesandte, die diese Welt über diese neue Weltsituation unterrichten. Denn diese Botschaft betrifft das Leben jedes Menschen. Es geht um alles, wirklich um alles.
Die Überwindung von Angst und Zweifel durch den Frieden des Auferstandenen
Nun werdet ihr vielleicht sagen: Mensch, Gagli, das ist ja gut, wenn das bei dir so war, aber ich bin so furchtbar schüchtern. Ich habe auch den Herrn Jesus lieb, aber ich bin so unendlich schüchtern. Und es ist irgendwie nicht mein Ding, zum Gesandten, zum Boten zu werden.
Ich kann euch trösten: Es war auch nicht das Ding der zehn Männer, die da versammelt waren. Das war wirklich nicht ihr Ding. Sie waren nicht weniger von Zweifeln, von Ängsten, von Fragen umgetrieben als ihr. Das waren keine frommen Helden, aber es waren Leute, die einen ganz starken Zuspruch bekommen haben: Friede sei mit euch.
Und das ist das Zweite: Wir sind getröstet vom Auferstandenen. Wir sind nicht nur überwältigt, genötigt, wir sind auch getröstet vom Auferstandenen. Die Begegnung mit dem Auferstandenen heißt nicht, dass alle Zweifel, alle Fragen, alle Rätsel unseres Lebens erledigt wären. Wir sind und bleiben Menschen, die bis zu unserem letzten Atemzug mit Angst und Zweifel, mit Furcht und Fragen zu ringen haben.
Das hängt nicht mit der Ungewissheit dieser Botschaft zusammen, sondern mit der Verzagtheit unserer Herzen. Unser Herz macht sich ständig in die Hose vor Angst und Verzagtheit. Und wenn wir den Auferstandenen mal nicht mehr vor Augen haben, dann wird das Herz schwach und verzagt.
Nun lässt sich der Auferstandene zwar nicht mehr sehen, aber er lässt sich hören. Seine Worte haben heute noch die gleiche Qualität, sie haben heute noch die gleiche Kraft wie damals, vor zweitausend Jahren, an diesem allerersten Ostertag.
Und so wie damals sagt er heute uns allen mitten in diesen Raum hinein: Du, ganz egal, was dich umtreibt, ganz egal, was du mitgebracht hast an Zweifeln, an Fragen, an Angst und an Enttäuschung – Friede sei mit dir!
Der Auferstandene begrüßt uns immer mit seinem Friedensgruß: Friede sei mit dir! Und dieser Friedensgruß ist nicht nur ein frommer Wunsch, sondern ein Machtwort. Wenn es der Auferstandene in unser Leben hineinspricht, dann wird Friede, dann kommt Friede – ganz gleich, wie es in deinem Leben momentan aussehen mag, ganz gleich, wie groß der Berg deiner Not sein mag, wie groß der Berg deiner Probleme sein mag.
Der Auferstandene begegnet seinen Jüngern nicht mit Argumenten, nicht mit langen Erklärungen, nicht mit einem wissenschaftlichen Vortrag, sondern mit dem Zuspruch des Friedens. Und in diesem Zuspruch findet eine Übertragung statt: ein Transfer von Frieden, ein Transfer von Lebensenergie, ein Transfer von Lebensqualität.
Wenn er dir zuspricht: Friede sei mit dir, dann wird etwas anders in deinem Leben. Das ist ein Wort weniger für deinen Kopf, es ist ein Wort für dein Herz. Ein Wort für deine Verzagtheit, ein Wort für deine Mutlosigkeit: Friede sei mit dir!
Es ist gut, es ist in Ordnung, wie es ist. Du musst jetzt nichts anderes tun, als dir das zusagen zu lassen: Friede in deinem Leben über all den Konflikten, über all den Streit, über die Probleme, über die Angst, über die Not, über alle Fragen – Friede.
Und dann kann Friede werden.
Die Kraft des Friedens und die Veränderung der Werte
Ein guter Freund von mir erzählte einmal Folgendes: Er war sechs Jahre alt und musste immer in den Keller gehen, um Getränke zu holen. Als Sechsjähriger hatte er große Angst davor, in den Keller zu gehen. Dort gab es eine steile Treppe – im Schwäbischen sagt man „Stiege“ – und das Problem war, dass der Lichtschalter erst unten angebracht war. Man musste also im Dunkeln die steile Treppe hinuntergehen. Für alle Nicht-Schwaben: Er hatte wirklich furchtbare Angst, diese Stiege hinunterzugehen.
Dann entwickelte er eine Strategie. Er überlegte sich: Was ist das Allerschlimmste, was mir passieren kann, wenn ich diese Stiege hinuntergehe? Er sagte sich als Sechsjähriger, das Schlimmste sei, dass er ausrutsche, die Treppe hinunterfalle, sich das Genick breche, tot sei und dann zu Jesus komme.
Daraufhin sagte er sich: „Okay, unter diesen Bedingungen kann ich es wagen.“ Wenn das Schlimmste, was dir in deinem Leben passieren kann, ist, dass du am Ende in den Armen des auferstandenen Jesus Christus in der Ewigkeit bist, dann kannst du alles wagen. Dann kannst du alles angehen und hast den Frieden in deinem Leben, den Jesus dir zuspricht. Dann bist du ergriffen von diesem Frieden, und diese Ergriffenheit verändert deine Werte.
Heute fragen wir sehr oft nach Werten. Eine ganze Gesellschaft fragt danach, die Politik fragt danach. Man meint, man könnte Menschen Werte irgendwie beibringen. Ich glaube nicht, dass wir uns Werte einfach aussuchen. Man setzt sich nicht abends am achtzehnten Geburtstag hin und überlegt sich: „Okay, mit welchen Werten will ich mein Leben garnieren?“ So funktioniert das nicht.
Wir können uns auch nicht gegenseitig Werte aufzwingen, nach dem Motto: „Nimm du meine Werte an, dann verstehen wir uns.“ Nein, von Werten wird man immer ergriffen, so wie die Jünger damals. Man wird ergriffen von der Begegnung mit dem Auferstandenen, und diese Begegnung schafft Werte. Man wird ergriffen von Werten. In dieser Begegnung verändert sich alles.
Deshalb habe ich aufgehört, Menschen mit frommen und moralischen Appellen zu bombardieren. Was ich stattdessen tue, ist eine Einladung: eine Einladung zur Begegnung mit dem Auferstandenen. Ich sage nicht, so wie bei den guten Vorsätzen zum neuen Jahr: „Hör auf zu rauchen, hör auf zu trinken, hör auf, ein schlechter Mensch zu sein, und werde ein besserer Mensch.“ Stattdessen möchte ich Menschen einladen, diese Begegnung mit dem auferstandenen Jesus Christus zu erleben.
Wer diesem Herrn begegnet, wird von ihm ergriffen. Und wer ergriffen wird, wird von neuen Werten ergriffen. Ich bin Vater von Teenagern. Wer Vater von Teenagern ist oder war, wird eines merken – oder hat es vielleicht schon gemerkt: Mit moralischen Appellen kommt man nicht weit. Man kann es vergessen, man kann den Rucksack packen und in die Pfeife rauchen. Vielleicht sitzt ein 15-jähriger Teenager da, und da bringt man mit moralischen Appellen nichts aus.
Was ich tue, ist, ich bete zu Jesus: „Tritt in das Leben dieser Menschen, tritt in das Leben meiner Teenager, tritt in das Leben aller Teenager.“ Die Begegnung mit dem auferstandenen Jesus Christus ergreift Menschen. Diese Ergriffenheit verändert Leben. Diese Ergriffenheit verändert Werte.
Friede sei mit euch – dieser Friede ergreift Menschen.
Gesandt sein als Folge der Begegnung mit dem Auferstandenen
Wir sind genötigt vom Auferstandenen, wir sind getröstet vom Auferstandenen, und ganz zum Schluss sind wir auch gesandt vom Auferstandenen. Wie mich mein Vater gesandt hat, so sende ich jetzt euch.
Wer dem Auferstandenen begegnet, der wird hinausgeschickt, der wird hinausgeschickt in eine Welt als Gesandter dieses großen Herrn. „Wir sind im Auftrag des Herrn unterwegs“, sagen die Blues Brothers. Ja, das stimmt für uns alle. Wir sind im Auftrag des Herrn unterwegs, wir sind seine Gesandten.
Und wenn über dieser Einheit die Frage steht: Sind wir schon auf Sendung? Dann kann man nur laut Ja schreien. Der Punkt ist, dass wir oft mehr Energie aufwenden, um unserer Sendung nicht zu folgen, als diese Sendung Wirklichkeit werden zu lassen in unserem Leben. Wir wenden oft mehr Energie auf, um diese Botschaft unter den Scheffel zu stellen, die uns eigentlich nötigt, als dass wir sie weitersagen.
Denkt an die chilenischen Bergleute: Was passiert, wenn sie merken, dass nach ihnen gesucht wird, dass da zu bohren angefangen wird? Das muss man weitersagen. Und manchmal bringen wir viel Energie auf, um es zu verschweigen, also um es nicht weiterzusagen.
Als gesandte Menschen brauchst du nicht kompetent zu sein, das wirst du automatisch durch den Auferstandenen gemacht. Als gesandte Menschen müssen wir nicht meinen, erst eine riesige Ausbildung machen zu müssen. Wenn du in einen auferstandlichen Dienst gehst, ist das hilfreich. Aber als Gesandter Jesu Christi bist du Gesandter, wenn du ihm begegnet bist.
Es gibt nicht die einen, die gesandt sind, und die anderen, die nicht gesandt sind. Wer diesem auferstandenen Herrn begegnet, der ist gesandt – in seiner Schulklasse, in seinem Jugendkreis, an seinem Ausbildungsplatz, in seine Familie hinein, in seine Verwandtschaft hinein. Der ist gesandt an seine Bushaltestelle, an die Straßenbahn, in den Zug. Wir sind überall Gesandte.
Das hat mit Hauptamtlichkeit oder Ehrenamtlichkeit oder Nebenamtlichkeit überhaupt nichts zu tun. Das sind alles Kategorien, die viel, viel später gekommen sind. Wir sind gesandte Menschen, wenn wir diesem Auferstandenen begegnet sind. Und wir sind immer als getröstete Menschen gesandte Menschen.
Und wenn du voll Angst dastehst, weil du dich überfordert fühlst als Bote dieses Auferstandenen, dann mach zuallererst wieder die Ohren auf – die Ohren auf für dieses gute Wort: Friede sei mit dir, Friede sei mit dir.
Am Ende wirst du in den Armen des Auferstandenen ewiges Leben finden. Was in aller Welt könnte dich in dieser Welt jetzt noch schocken? Gehen wir auf Sendung? Amen!
Abschlussgebet
Herr Jesus Christus, danke, dass du heute Morgen da bist. Danke, dass du als der Auferstandene uns selbst zusagst: Friede sei mit dir.
Danke, dass wir von einer Wirklichkeit reden, die keine Illusion ist. Danke, dass wir bei dir zuhause sind.
Nun bitten wir dich für uns alle: Schenke uns den Mut, den wir von dir brauchen. Gib uns die Fröhlichkeit, das zu tun, wozu du uns sendest.
Geh mit uns, lass uns an deiner Hand bleiben. Öffne uns die Türen, vor denen wir heute noch Angst haben.
Segne uns. Amen.
