Liebe Geschwister, meine Seele ist still zu Gott. Schon das schöne Vorspiel hat uns geholfen. Nun kann ich ruhig sein, ruhig sein in dir. Du gibst Geborgenheit, du kannst alles wenden. Gib mir ein festes Herz.
Auch das Terstegendlied, das wir gesungen haben, soll uns helfen, dass wir wirklich zu diesem Thema kommen, das über unseren stillen Tagen steht: stille zu Gott.
Wir wollen den Psalm miteinander lesen und auf das Wort Davids hören, in dem dies zweimal betont wird: Meine Seele ist still zu Gott. Es ist Psalm 62.
Ein Psalm Davids, vorzusingen für Jedutun. Das war auch sein Sangesmeister. David hat diesen Psalm geschaffen, damit dieser Sangesmeister, von dem wir im ersten und zweiten Buch der Chronik manche Notiz erhalten, eine Vorlage hatte.
Die Gewissheit in Gott trotz Bedrängnis
Meine Seele ist stille zu Gott, der mir hilft. Denn er ist mein Fels, meine Hilfe und mein Schutz, sodass ich gewiss nicht fallen werde.
Nun folgen einige Verse, die deutlich machen, weshalb David diese Gewissheit von Gott brauchte, dass er nicht fallen wird.
Wie lange stellt ihr alle einem nach? Wollt ihr ihn alle ermorden? So wie Saul ihn verfolgte? Wir kennen diese Bilder aus den Psalmen. David beschreibt sich wie ein Rebhuhn in der Wüste, wie ein Floh, den man zerdrücken will.
Er benutzt das Bild einer hängenden Wand und einer rissigen Mauer. Wie lange stellt ihr einem nach? Wollt ihn ermorden, als wäre er eine hängende Wand und eine rissige Mauer.
Wenn wir manchmal an solchen Gartenmauern vorbeikommen, die schon so geneigt sind, denken wir: „Jetzt gehe ich lieber am Rinnstein entlang.“ Wenn die Wand einstürzt, möchte ich nicht beschädigt werden.
David fühlt sich wie eine hängende Wand, wie eine rissige Mauer. Sie denken nur daran, wie sie ihn stürzen können. Sie haben Gefallen am Lügen. Mit dem Mund segnen sie, aber im Herzen fluchen sie.
Doch David sagt: Sei nur stille zu Gott, meine Seele, denn er ist meine Hoffnung. Er ist mein Fels, meine Hilfe und mein Schutz, sodass ich nicht fallen werde.
Bei Gott ist mein Heil und meine Ehre, der Fels meiner Stärke. Meine Zuversicht ist bei Gott.
Ermutigung zur Hoffnung und Vertrauen
Und jetzt ermutigt er dazu: Du, Jedo, tu es und sag es den Leuten weiter. Hofft auf ihn allezeit, liebe Leute, schüttet euer Herz vor ihm aus. Gott ist unsere Zuversicht.
Gerhard Meyer, mein Freund und unser früherer württembergischer Bischof, hat das Wort „Schüttet euer Herz vor ihm aus“ oft so ausgelegt: Wenn man eine Flasche frischen Apfelsaft von württembergischen Streuobstwiesen hat, setzt sich unten der Satz ab, oben ist der Saft. So dürfen wir unser Herz vor Gott ausschütten – bis zum Bodensatz, also bis ganz unten, wo Hass, Zweifel und Angst liegen.
Schüttet euer Herz vor ihm aus, denn Gott ist unsere Zuversicht. Aber Menschen sind nichts. Große Leute täuschen auch. Sie wiegen weniger als nichts, so viel ist ihr Sinn wert. Verlasst euch nicht auf Gewalt und setzt nicht auf Raub oder eitle Hoffnung.
Fällt euch Reichtum zu, so hängt euer Herz nicht daran. Das wäre ein Thema für eine eigene Bibelstunden-Reihe in unserer Wohlstandsgesellschaft. Ich habe viel mit älteren Leuten zu tun. Nebenan bei uns in Korntal ist ein Altenzentrum. Wie viel Hass kann sich dort bis ins Testament hinein festsetzen! Die Erben werden Augen machen, weil sie nichts bekommen. Doch manche sagen: „Ich gebe mein Geld dorthin.“ Da hängt man über den Tod hinaus sein Herz noch am Geld, an dem, was man hinterlässt.
Hängt euer Herz nicht daran! Jesus hat vor diesem Götzen, dem Mammon, gewarnt.
Gottes Macht und Gnade inmitten von Zweifel
Eines hat Gott geredet, und ich habe ein Zweifaches, ein Doppeltes dabei herausgehört. Das eine ist: Gott ist mächtig, das habe ich gehört. Und ich habe verstanden in zweierlei Hinsicht: Du, Herr, bist gnädig, und du vergiltst einem jeden, wie er es verdient hat.
Sie merken, bei David wird das aufgenommen, was wir gestern Abend angefangen haben. Es wird heute weiter vertieft. Wenn unsere Seele still wird zu Gott, dann geschieht dies, damit wir hören können. In der Stille hat David plötzlich etwas gehört: dass Gott mächtig ist. Er hat sogar ein Doppeltes herausgehört. Das ist die Vorgabe, der wir jetzt ein bisschen nachhören wollen.
Es war nicht selbstverständlich, dass die Seele Davids still geworden ist. Er war in große Unruhe versetzt worden. Die Geschichten von David schildern uns das. Ich habe vorher schon Stichworte genannt: wie ein Floh, wie ein Hund, den man wegjagt, wie eine Mücke, die man zerstört – so werde ich behandelt. Saul will mich loswerden. Er ist ein Widersacher, ein Konkurrent. Aber ich werde mit meinen starken Armeen fertig mit ihm.
Davids Mut und Vertrauen im Kampf gegen Goliath
Als der junge Hirtenknabe David einst seine Brüder besuchte, war Israel im Kampf mit den Philistern. David sollte im Auftrag seines Vaters seinen Brüdern Brot bringen, Heimatbrot, und dem Hauptmann noch ein zusätzliches Geschenk überreichen. Dabei hörte er, wie Goliath, der mächtige Philister, Israel und seinen Gott verspottete.
Goliath rief: „Was seid ihr für Memmen? Kommt doch, soll einer von euch mit mir kämpfen. Dann müssen nicht alle sterben, und wer siegt, für den hat das ganze Volk gesiegt.“ Israel stand gelähmt vor dem Geschrei des Riesen, des Titanen, dieses Giganten. Wer wollte schon gegen ihn kämpfen?
Der junge David sagte: „Lasst euch das gefallen, dass Gott geschmäht wird?“ Doch man entgegnete ihm: „Ruhig, du hast doch gar nichts zu melden, geh wieder heim.“ David meldete sich trotzdem und erklärte: „Ich möchte kämpfen!“
Selbst König Saul sagte zu ihm: „Du kannst nicht. Sieh mal, mein Panzer passt dir nicht, er ist dir zu schwer. Wie willst du, du kleiner Hirtenknabe, gegen den mächtigen Goliath kämpfen?“ Da antwortete David: „Der Gott, der mir geholfen hat, als ein Löwe in die Herde eingebrochen ist und auch der Bär, den ich erschlagen habe, wird mir jetzt helfen – in der Kraft Gottes.“
Als Goliath spottete: „Du kommst zu mir mit einem Stecken? Bin ich denn ein Hund?“ entgegnete David: „Du kommst zu mir mit Schwert, Speer und Schild, aber ich komme zu dir im Namen des lebendigen Gottes.“
Wie es ausgegangen ist, wissen wir: David konnte triumphieren. „Der Herr ist mein Fels, meine Hoffnung, ich werde nicht fallen“, war seine feste Gewissheit.
Stärkung in der Wüste und Gemeinschaft im Glauben
Und er wurde erschüttert, als er plötzlich bei Horescha in der Wüste Juda war, gejagt wie ein lästiger Straßenköter.
Hat Gott mich vergessen? Bin ich wirklich von Gott erwählt? Ist er wirklich mein Fels, meine Zuversicht, meine Hoffnung?
Da heißt es: „Und Jonathan, der Sohn Sauls, ging zu David in die Wüste nach Horescha und stärkte sein Herz in Gott.“ Solche Begegnungstage wie hier auf der langen Steinbacher Höhe sind dafür da, wenn wir selbst in unserer sogenannten stillen Zeit nicht still werden können, weil uns all das bewegt, was in uns ist.
In der Gemeinschaft mit Mitchristen, beim Mahl des Herrn und in der Gebetsgemeinschaft, wenn wir auf die Bibel lauschen, werden wir im Glauben gestärkt. Jonathan ging zu dem Königssohn, zu David in die Wüste, und stärkte sein Herz in Gott.
So konnte David wieder sagen: „Meine Seele ist still.“ Man könnte auch ergänzen: „stille geworden zu Gott, der mir hilft, der mein Fels, meine Hilfe und mein Schutz ist, sodass ich gewiss nicht falle.“
Ach, was sind denn die mächtigen Leute, die mich vorher angefochten haben? Sie sind doch nichts in den Augen Gottes. Meine Zuversicht ist bei meinem Gott.
Ermutigung in Zeiten der Anfechtung
Erschrecken Sie nicht, wenn Sie in Anfechtungen geraten, solche Anfechtungen, wie sie David erlebt hat. Wenn die Frage auftaucht: Ist Gott wirklich mein Fels? Wir haben einen Felsen, der unbeweglich steht und auch für mich da ist, wenn ich in Zweifel gerate. Gott bewahrt mich und hat Entscheidendes für mich vorgesehen.
Der Apostel Paulus sagt einmal im 2. Korinther 1: Am Anfang waren wir in solcher Not, dass wir es für beschlossen hielten, wir müssten sterben. Für uns war endgültig alles aus; Gott hat uns verlassen. Doch Paulus fährt fort: Das geschah deshalb, dass wir unsere Zuversicht nicht auf uns selbst setzten, sondern auf Gott, der von den Toten errettet.
Dies bezieht sich auf das, was Gott in Jesus getan hat: Er hat den Verachteten, den Vergrabenen, den ins Steingrab Versenkten herausgeholt und zu Ehren gebracht. Diesem Jesus möchte ich gehören. Deshalb setzen wir unser Vertrauen nicht auf uns selbst. Es ist nicht so, dass wir sagen: „Ich werde es schon wieder schaffen, es wird wieder anders, keine Sorge, bis jetzt war es eben nur eine kleine Depression, bald kommen wieder hellere Tage.“
Nein, wir setzen unser Vertrauen auf den Gott, der nicht nur schwache Leute rettet, sondern total zerbrochene Menschen, die denken: „Mit mir ist alles aus.“ Schreiben Sie sich das nicht nur hinter die Ohren, sondern ins Herz: Das geschah deshalb, weil wir lernen sollten, dass Zuversicht beim lebendigen Gott ist.
Erneuerung des Glaubens trotz äußerer Schwäche
Auch im 2. Korintherbrief Kapitel 4 nimmt Paulus dieses Thema auf. Er spricht von Trübsal, die wir erleben. Im Originaltext heißt es: "Wir werden nicht müde, sondern wenn unser äußerer Mensch verfällt."
Die Verfallserscheinungen beginnen oft schleichend. Man sagt zum Beispiel: "Ich bin dem begegnet, du weißt schon, wen ich meine, ich komme gerade nicht auf den Namen." Das ist schon eine erste Verfallserscheinung. Wenn man dann auch noch im Herzen jagen spürt und denkt: "Was ist denn los? Mein Magen schafft nicht mehr," ist das ein weiterer Verfall. Meine Frau sagt dann manchmal: "Früher hast du doch schöne Haare gehabt." Auch das ist eine Verfallserscheinung.
Paulus sagt weiter: "Wenn unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert." Unsere Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schafft eine ewige, über alle Maße gewichtige Herrlichkeit. Wenn unser äußerer Mensch verdirbt, soll es nicht mit dem Glauben weniger werden.
Als alter Mensch denkt man oft: "Wenn ich doch bloß hoffentlich im Glauben bleibe, wenn ich die Zuversicht erhalten habe." Paulus sagt: Wenn der äußere Mensch verfällt, wenn du alt wirst, soll dein Glaube zunehmen. Das soll es schaffen.
Meine Frau hat mich gefragt: "Wie ist denn bei euren Teilnehmern das Durchschnittsalter?" Da habe ich gesagt: "Das sind alles Leute, die es brauchen können, jetzt noch mal einen neuen Stoß, eine neue Ermutigung im Glauben, neues Erkennen, in die Bibel hineinwachsen."
Unsere Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schafft also etwas. Lassen Sie sich die Anfechtung, wenn sie kommt, wenn der äußere Mensch verfällt, wenn die Zweifel kommen – ist Gott wirklich meine Zuversicht? – nicht anfechten. Lassen Sie sich nicht den Glauben nehmen.
Wir sollen ja nicht in der Anfechtung fallen. So hat Jesus gesagt: Betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallt. Falsch wäre es, zu sagen, wir sollen nicht in die Anfechtung kommen. Vielmehr sollen wir in der Anfechtung sagen: "Jetzt, lieber Gott, bist du dran. Ich kann es kaum mehr glauben, dass du die Zuversicht bist. Ich kann es kaum mehr ernst nehmen, dass du mich meinst. Jetzt bist du dran, beweis dich."
Gottes Wort als Quelle der Kraft und Ruhe
Wie sah es dann bei David aus? Er berichtet uns davon, als er Gewissheit im lebendigen Gott fasste: „Er ist mein Fels, meine Hilfe, mein Schutz, ich werde gewiss nicht fallen.“ Plötzlich hörte er etwas, in Vers zwölf. Gott gab ihm ein Wort, und zwar dieses: „Gott allein ist mächtig.“
Unser Herr Jesus kann die Barrieren wegnehmen, die uns daran hindern, sein Wort zu hören. Es gibt viele solcher Barrieren: Geschäftigkeit, unsere Angst, Beleidigtsein, Neid, körperliche Schwäche oder das Ausgefülltsein mit dem, was den Tageslauf bestimmt. Das innere Telefon ist besetzt, sodass Gott gar nicht mehr mit uns reden kann. Es gibt viele Gründe, die uns abhalten, in die Stille zu kommen, um zu hören.
In den Evangelien wird ausführlich berichtet, wie es etwa bei Petrus war, dem Fischer vom See Genezareth. Er hatte die ganze Nacht gefischt, ohne auch nur eine Sardine zu fangen. Die Netze waren zerrissen – die Schleppnetze, die am Grund entlanggeschleppt wurden, waren von Steinen aufgeschlitzt, Muscheln hatten sie verfangen, und Tang war darin. Nach dieser Übernachtung müssen Sie sich Petrus mit geröteten Augen vorstellen, wie er die ganze Nacht über geschaut hat, wenn sie das Netz hochzogen. Sind denn nicht wenigstens ein paar Karpfen umsonst drin? Die ganze Enttäuschung lag in seinem Gesicht, ebenso wie die Müdigkeit.
Seine Schwiegermutter hat sicher gesagt: „Petrus, wie du heute aussiehst.“ Und dann mussten sie noch ihre Netze flicken. Während sie am Ufer saßen, kamen immer mehr Menschen zusammen. Sie scharten sich um den einen, dem sie zuhörten, der ihnen das Wort austeilte – diesen Propheten aus Nazareth. Ich kann mir richtig vorstellen, wie Petrus geknurrt hat: Diese Tagdiebe am Abend, und wir kleinen Leute müssen es schaffen. Nach dieser harten Nacht müssen wir jetzt noch Netze flicken. Ich habe doch keine Zeit für so einen Quatsch, dass da so ein Volksverführer mit den Leuten spricht.
Dann kommt plötzlich Jesus herüber und sagt: „Ich bitte Sie um einen Gefallen, Herr Petrus. Die Leute drängen mich am Ufer. Könnten Sie mich mit Ihrem Boot ein wenig hinausfahren, damit ich wie von einer Kanzel aus zu den Leuten sprechen kann?“ „Na ja, gut, dann machen wir auch noch das“, antwortet Petrus.
Dann rudert Herr Petrus hinaus, sitzt auf der Ruderbank und muss zuhören, was Jesus sagt – eine Stunde, zwei Stunden. Jetzt verstehen Sie, warum er später sagt: „Herr, wir haben die ganze Nacht gefischt und nichts gefangen, aber auf Dein Wort.“ Er wurde auf die Stille geführt, saß auf der Ruderbank, legte seine zerrissenen Netze beiseite, legte den Ruder zur Seite und hörte zu. Und plötzlich bekam er das Wort – auch dein Wort!
Der gleiche Petrus, der später sagte: „Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens.“ So wie der Herr Jesus Petrus auf eine merkwürdige Art und Weise in die Stille geführt hat, damit er hören konnte, konnte Herr Jesus auch bei uns das Wunder tun, dass wir geschäftigen und gehetzten Menschen zur Ruhe kommen.
Die Kraft der Stille in christlicher Tradition
Darf ich Sie bitten, im Grünen Gesangbuch das Lied 166 aufzuschlagen? Ihnen ist es wohl vertraut. Wir haben vorgestern Abend die neue Biografie über Dietrich Bonhoeffer gehört, und das Lied „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ ist dabei zu einem Lieblingslied geworden.
Früher war in der Christenheit das Lieblingslied „Sonne der Gerechtigkeit“. Dieses wurde längst von „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ abgelöst. Dieses Lied wird auch von Menschen, die sonst nicht viel mit Jesus am Hut haben, gerne bei Beerdigungen gesungen. Dort kommt wenigstens nichts direkt von Jesus vor, sondern etwas von guten Mächten – vielleicht sind ja die Engel gemeint oder so.
Es ist ein Neujahrslied, das Bonhoeffer seinen Angehörigen geschrieben hat. Die zweite Strophe lautet:
„Noch will das alte Jahr
unsere Herzen quälen,
noch drückt uns böser Tage schwere Last,
ach Herr, gib unseren aufgescheuchten Seelen
das Heil, für das du uns bereitet hast.“
Im Neuen Kirchengesangbuch wurde „aufgescheuchten Seelen“ abgeändert, weil man dachte, das sei zu schwäbisch. Im Württembergischen sagt man „scheuchen“. Man scheucht die Hühner oder verscheucht Fliegen, die uns stören. Nun heißt es dort „Gib unseren aufgeschreckten Seelen“. Mir persönlich gefällt „aufgescheuchten Seelen“ besser. Haben Sie manchmal auch aufgescheuchte Seelen?
Wenn man kein Wort mehr lesen kann, wenn der Brief und die Losung nicht mehr haften, wenn man gar nicht weiß, was man anpacken soll – dann ist unsere Seele aufgescheucht. Und dann wird oft das gesungen, was Bonhoeffer geschrieben hat:
„Gib unseren aufgescheuchten Seelen
das Heil, das du für uns bereitet hast.“
Doch Bonhoeffer schrieb es so, wie es hier steht: „für das du uns bereitet hast.“
Bei Helmut James Graf von Moltke, dessen Briefwechsel Sie sicher kennen, spürt man eine ähnliche Haltung. Nach der verheerenden Verhandlung im Volksgerichtshof vor Präsident Freisler, als Freisler ihn anschrie: „Von wem empfangen Sie eigentlich Ihre Befehle? Von Adolf Hitler oder von Jesus?“ – wurde Helmut James zum Tod durch den Strang verurteilt.
Er schrieb seiner Frau:
„Denkt nur, mein Liebes, dass sich Gott diese Mühe gegeben hat mit meinem Leben, dass es zu dieser Stunde gekommen ist, dass ich nicht als Gutsherr, nicht als Attentäter verurteilt werde, nicht als Gegner des Nationalsozialismus, sondern weil ich mich zu Jesus bekannt habe, dass mein Herr Jesus mich für diese Stunde bereitet hat.“
Hier zeigt sich, was auch Bonhoeffer meinte: „das Heil, für das du uns bereitet hast.“
Stellen Sie sich vor, wir sind im Mutterleib wunderbar bereitet worden – so heißt es auch einmal im Psalm: „Du hast mich wunderbar gemacht“, mit der Lunge, mit dem Herz. Selbst ein VW braucht nach so und so vielen hunderttausend Kilometern einen neuen Austauschmotor. Doch unser Körper läuft und tut, selbst in der Nacht schaffen die Nieren und die Galle, wunderbar gemacht.
Und jetzt entdecken Menschen in der Stille vor Gott das Heil, für das du uns erst recht noch bereitet hast. Nicht erst im Mutterleib, sondern jetzt bist du am Schaffen, du hast etwas mit mir vor.
David bereitet sich zur Stille vor, wie auch Helmut James Graf von Moltke. Aus der Situation der aufgescheuchten Seelen tritt er plötzlich in die Stille hinein, sodass er Gottes Wort hören kann.
Die Bedeutung der Stille für das Hören auf Gottes Wort
Bevor wir nun im Einzelnen auf die Verse zwölf und dreizehn hören, möchte ich noch einmal etwas vertiefen, was wir gestern Abend begonnen haben: „Du Wort des Vaters, rede du und stille meine Sinnen, sag an, ich höre willig zu“ von Johann Albrecht Bengel.
Gerade in den Chorälen der Christenheit wird das Thema „Stille zu Gott“ auf vielfältige Weise aufgenommen. Der Kirchenvater Augustin hat es einmal so ausgedrückt: „Unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet, o Herr, in dir.“
Ich möchte Ihnen einige dieser Verse vorstellen: „Lass mich so still und froh deine Strahlen fassen und dich wirken lassen.“ Dieses Lied wird morgens beim Abendmahl gesungen: „Gott ist gegenwärtig, da ist dies: Lass mich so still und froh sein.“ Es geht darum, einfältig, innerlich abgeschieden, ruhig und still in deinem Frieden zu sein.
Im alten württembergischen Gesangbuch gab es das Lied „Stille halten deinem Walten, stille halten deiner Zucht.“ Heinrich Vogel, einer der großen Theologen im Kirchenkampf des Dritten Reiches, hat uns das schöne Lied geschenkt, das inzwischen leider wieder in Vergessenheit geraten ist: „Nun werde still, du kleine Schar, zu Gott dem Helfer dein.“
Ein Adventslied lautet: „Er kommt, er kommt mit Willen voller Lieb und Lust all Angst und Not zu stillen, die ihm an euch bewusst.“ Überhaupt hat Paul Gerhard geschrieben: „Woll's wollt ihn auch der Tod aufreiben, soll der Mut dennoch gut und vor allem stille bleiben, unverzagt und ohne Grauen.“
Ein Neujahrslied von Eleonore, Fürstin zu Reuss, sagt: „Still geht das Jahr zu Ende, nun wird auch still mein Herz. Man lobt dich in der Stille, du Hocherhabner, zieh uns, Gott, zieh uns.“ Stille soll sich ausbreiten um Sorgen und Pein.
Von Rudolf Kögel stammt die Zeile: „Nur an einer stillen Stelle legt Gott seinen Anker an.“ In dein Erbarmen Hülle. Danach wollen wir es gemeinsam singen: „Mein armes Herz und mache es gänzlich stille in Freud und Schmerz. Weiß ich den Weg auch nicht, du weißt ihn wohl, das macht die Seele still und friedevoll.“
Christoph Zehentner beschreibt das Ankommen in der Stille. Sie merken, quer durch die Christenheit haben Menschen, die mit Gott leben, entdeckt: Meine aufgescheuchte Seele muss erst ruhig werden, bevor ich überhaupt das Wort vernehmen kann, das er für mich zugedacht hat.
Psalm 107,20 sagt: „Er sandte sein Wort.“ Das ist wieder das gleiche Wort vom Senden wie in Psalm 42. Wenn Gott sendet, können wir auf Sendung gehen – aber nur, wenn Ruhe da ist, keine Störung.
Beispiele für das Hören auf Gottes Wort im Leben
Ein paar Beispiele, wie es aussehen kann, wenn Gott uns das Wort zuteilt.
Bei Johann Albrecht Bengel, den ich mehrfach erwähnt habe, war es so, dass er zwanzig Jahre lang ein hochgelehrter Theologe und einer der fähigsten Bibelwissenschaftler war, die wir in Württemberg hatten. Dennoch wurde er bekümmert, weil Gott ihn in dem kleinen, finsteren Denkendorf hat sitzen lassen. Dort musste er elf- und zwölfjährige junge Burschen unterrichten. Das ist auch nicht viel anders, als wenn Bruder Wirtz beim Bibelunterricht gestern sagt, dass die jungen Leute ganz zappelig sind und nicht richtig zuhören. Dann fragt man sich: Lieber Gott, warum?
Und dann wird ihm das Wort zugeteilt. Es muss ja nicht immer ein Bibelwort sein, mit dem Gott spricht. Er kann auch sagen: Ich kann aus einer Handvoll dieser jungen Leute, aus einer Handvoll unter den mehreren Hundert, die du im Laufe von zwanzig Jahren begleitet hast, ein Gewürz machen für das ganze Herzogtum.
Und dann war es mehr als eine Handvoll, mit Hiller, Reus, Burg, Magnus Friedrich Roos – Menschen, die unser Land durchforstet haben bis hin zu Otto Stockmayr. Geprägte Leute vom Wort Gottes, geprägt durch das Wort, das ihm zugeteilt wurde.
Ein weiteres Beispiel ist die Jahreslosung vom kommenden Jahr, 2. Korinther 12,9: „Ich habe dreimal zum Herrn gebetet, er soll den Pfahl im Fleisch von mir nehmen, aber der Herr hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“
Dem Apostel ist dieses Wort zugeteilt worden. Wir wissen nicht, ob in ihm aufgewacht ist, dass das Wesen Gottes darin besteht, mit schwachen Leuten zu arbeiten und ihnen Kraft zu geben – etwa der armen Hannah, dem kleinen David, dem zerbrochenen Jeremia – oder ob er es wirklich gehört hat. Aber es ist ihm bewusst geworden: Das ist mir gesagt.
Ich habe es erlebt. Manche kennen die Geschichte schon, aber man trifft ja auch gern wieder einen alten Bekannten. Ich habe es mir zur Angewohnheit gemacht – und rate auch bei Krankenbesuchen dazu –, das Wort kurz zu halten. Ihr wisst nicht, wie schwach die Kranken sind. Sie können es gar nicht ertragen, wenn man lange sitzen bleibt.
Aber offenbar habe ich es bei einem Krankenbesuch zu kurz gemacht. Die Gemeindedienstfrau kam und sagte: „Beim Herrn Bierbaum fühlt er sich arg vernachlässigt, weil Sie so schnell wieder aufgestanden sind.“
Da bin ich mit zitterndem Herzen zu ihm gegangen und habe gesagt: „Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen.“ Er antwortete: „Ich war am Ende seelisch, wollte mir das Leben nehmen. An einem Samstagabend saß ich in meinem Trainingsanzug da und wollte mich vor den Zug werfen, da drüben.“
Da kam das Wort zum Sonntag, und ein katholischer Pater erzählte die Geschichte von Elija: „Nimm und iss, denn du hast noch einen weiten Weg vor dir.“
Und das ist mir hineingefahren: Vielleicht hat Gott auch einen weiten Weg für mich noch. Aber wo steht das? Ich will es in der Bibel nachlesen. Dabei habe ich gemerkt, dass er gar keine Bibel mehr hat.
Am Montagmorgen ist er als Erstes in die Buchhandlung Schmidt gegangen und hat eine Bibel gekauft. Als er mir das erzählte, dachte ich: Oh, lieber Mann, da hast du lange suchen müssen, bis du im ersten Buch der Könige diese Geschichte gefunden hast.
Er sagte: „Ja, ich habe lange geblättert, und dabei habe ich so viele Worte zugeteilt bekommen, mit denen ich jetzt leben kann.“ Vor allem war es das Wort: „In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“
Mitten in die Ängste, in die totale Verzweiflung, als er sich das Leben nehmen wollte, hat ihm Gott ein Wort zuteilen lassen – einen katholischen Priester benutzt und die Buchhandlung Schmidt dazu.
Es kann merkwürdig aussehen, wenn Gott sein Wort zuteilt.
Wenn man bei gesegneten Gotteszeugen nachgeht, war es oft ein Wort, das sie begleitet hat. Wilhelm Busch hat immer wieder erzählt, dass ein junger Leutnant an der Front gesagt hat: „Wir haben nur in Bacchus und der Göttin Venus gelebt.“ Und dann fiel plötzlich sein Kamerad neben ihm. Der Leutnant dachte: „Wenn jetzt der Splitter mich erwischt hätte, wäre ich in der Hölle. Kann ich überhaupt noch zu Gott kommen?“
Da hat ihn das Wort getroffen, das vielleicht auch das Geheimnis seiner Evangelisation war: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstossen.“ Ein Wort, das nachher das Geheimnis eines ganzen Lebens wurde: „Kommt doch zu Jesus! Wer zu ihm kommt, den stößt er nicht hinaus.“
Ich habe gestern Abend noch ein Lebensbild von Otto Stockmayr gelesen, der in unserem Europa viel in Bewegung gebracht hat. Er war lange in Unruhe, bis ihm ein englischer Pfarrer gesagt hat: „Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt.“
Wir müssen nicht fühlen. Stockmayr hat immer gedacht, er müsste es fühlen, den Frieden Gottes. „Alle Dinge sind möglich dem, der glaubt“ – das war für ihn das Geheimnis.
Bei Otto Funke, dem großen Volksschriftsteller, war das Wort „Willst du gesund werden?“ prägend.
Soll das Religiöse bloß eine Randerscheinung sein? Möchte ich wirklich mich gesunden lassen durch Jesus?
Für viele von Ihnen, bei vielen Mitchristen, ist der Konfirmationsspruch so ein zugeteiltes Wort. Aber wir leben davon, dass immer neu Wort zugeteilt wird.
Wir haben ja in unseren Gemeinschaftsstunden und auch bei uns in der Brüdergemeinde Korntal am Altjahrsabend oder am Neujahrsmorgen die Sitte, dass man sich selbst ein Bibelwort als Los für das neue Jahr ziehen kann.
Ich habe gehofft, am letzten Altjahrsabend ein Wort zu ziehen, mit dem ich einhergehen kann in der Kraft des Herrn. Als ich das Zettelchen las, stand da: „Selig sind, die reines Herzens sind.“
Da habe ich gedacht: Na ja, also so verdorben, wie viele, die dauernd am Samstagabend vor den etwas merkwürdigen Fernsehprogrammen sitzen oder die am Computer immer wieder gerne auf den falschen Knopf drücken, um Bilder in sich hineinzunehmen, die eigentlich in den Mülleimer gehören, bin ich doch nicht.
Gut, ich habe auch meine Phantasie, aber so schlimm?
Am Sonntag, also am Neujahrsmorgen, in der hanischen Gemeinschaft, da haben sie am Jahresmorgen gezogen. Ich habe das Los gezogen: „Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben.“
Da habe ich es: Jetzt mach mal was daraus! Kaum hatte ich darüber nachgedacht: „Selig sind die reinen Herzens sind.“
Gott kann ein Wort zuteilen, nicht bloß zur Tröstung oder Ermutigung, sondern auch zur Reinigung, wo Gott an uns feilt.
Aber wir müssen in die Stille kommen, damit er mit uns reden kann.
Gottes Macht und Geduld im Umgang mit der Welt
Ich eins hat Gott geredet, und ich habe gleich Doppeltes gehört. Jetzt lassen wir uns noch auf die Verse zwölf und dreizehn achten. Die Ausleger zerbrechen sich den Kopf darüber, ob Gott Doppeltes geredet hat und wie das zusammenpasst.
Dabei ist es ganz einfach: Gott ist mächtig.
Aber was ist mit Saul? Warum nimmt Gott ihn nicht weg, der mich verfolgt und dafür sorgt, dass ich wie eine hängende Wand bin? Lieber Gott, du könntest ihn doch wegwerfen, wenn du mächtig bist. An diesem Punkt zweifeln wir oft: Lieber Gott, warum lässt du in unserem Volk all das Durcheinander, das Bösartige, das Wüste, das Verderbliche und das Egoistische so ins Kraut schießen, wenn du mächtig bist?
Bei meiner persönlichen Bibellese bin ich dann auf ein Wort aus Römer 9 gestoßen, das wie ein Kommentar dazu ist. Da braucht man keine weitere Auslegung.
Römer 9,22 sagt: „Gott ist mächtig. Als er seine Macht kundtun wollte, hat er mit großer Geduld ertragen die Gefäße des Zorns, die zum Verderben bestimmt sind.“
Auch unsere Welt – unsere gottlose, egoistische Welt mit all der Pornografie, der Lüge und der Ohnmacht der Politik – wird von Gott in seiner Macht getragen. Diese Geduld bedeutet an einer anderen Stelle der Bibel, dass es doch hin und wieder Buße gibt, dass ein paar Menschen aufwachen, wenn Tsunamis kommen oder Fukushima passiert.
Gott könnte uns doch fallenlassen. Hoffentlich wachen ein paar auf. Gottes Macht zeigt sich darin, dass er jedem gibt, was er verdient – auch dem König Saul. Aber bisher trägt er in Geduld.
Es ist keineswegs so, dass Gott alles einfach laufen lässt. Am Ende wird deutlich werden, dass Gott nicht ewig in Geduld trägt. Aber bisher zeigt er seine Macht darin, dass er unsere ganze gottlose Welt, unser in Atheismus abgleitendes Volk, in Geduld trägt – in der Hoffnung, dass es Buße gibt.
Gottes Gnade und der Ruf zur Herrlichkeit
Gott ist mächtig, und, wie David erkannt hat, bist du gnädig. Immer wieder hat David im Laufe seines Lebens erkannt: Eigentlich könnte Gott mich auch verwerfen. Es ist nicht mehr so, dass Saul böse ist und ich gerecht. Du hast mir doch einst beim Kampf gegen Goliath geholfen. Ich bin ein Erwählter, und Saul ist ein Verworfener.
Nein, lieber Gott, du bist gnädig – auch mir, der ich in meinem Herzen, in meiner Phantasie, wenn ich die Tochter des Priesters baden sehe, denke: „Haha, das wäre etwas für mich.“ So ist mein Herz wie ein Zünder, der sofort aufwachen kann zu Unrechtem. Gott ist gnädig in seiner Macht.
Im Römerbrief Kapitel neun heißt es: Als Gott seine Macht zeigen wollte, hat er mit großer Geduld die Gefäße des Zorns getragen, die zum Verderben bestimmt sind. Damit er den Reichtum seiner Herrlichkeit und seiner Gnade kundtun kann an den Gefäßen der Barmherzigkeit, die er zuvor zur Herrlichkeit bereitet hatte. Paulus spricht nicht von Gefäßen der Sauberkeit oder des Erwählens, sondern von Gefäßen, über denen die Barmherzigkeit Gottes liegt, die Gott zur Herrlichkeit bereitet hat.
Ach, ich wünsche Ihnen und mir, dass Gott so an uns wirken kann, dass er uns zur Herrlichkeit bereitet. Dass wir Gefäße seiner Barmherzigkeit sind, in seinen Augen wertgeschätzt. Ich habe mit dir noch Großes vor. Ich, der meinte, ich sei verstoßen, ich sei wie eine bröckelnde Wand – stimmt es denn wirklich, dass du mein Fels, meine Zuversicht bist? Ja.
Ich habe gehört, du bist mächtig, und für mich habe ich gehört, du bist gnädig. Du bereitest mich zur Herrlichkeit. Ach, es wäre schön, wenn wir in diesen stillen Tagen so in die Stille hineingeführt würden, dass wir auch ein Wort unseres Herrn empfangen, mit dem wir neu leben können.
Herr Jesus, darum bitten wir dich für uns alle: Mach uns still, rede du zu uns und gib uns Pilgern aus der Quelle der Gottesstadt den frischen Trank. Lass über uns, der Gemeinde, Helle aufgehen – dein Wort zu Lob und Dank. Amen.
