Einführung in die Heilungsberichte und Berufungen im Matthäusevangelium
Wir wollen uns mit dem Matthäusevangelium beschäftigen. Gestern haben wir einen Einschnitt gemacht, und nun knüpfen wir daran an. Dabei betrachten wir die Berichte über die Heilung von zwei besessenen Garadänern – oder wie es in eurer Bibelübersetzung auch immer genannt wird. Diese Geschichte findet sich in Matthäus 8,28 und den folgenden Versen.
Im Kapitel 9 des Matthäusevangeliums lesen wir dann von der Heilung eines Gelähmten, dem Jesus sich zuwendet. Außerdem wird dort die Berufung von Matthäus, auch Levi genannt, erwähnt. Levi ist der Verfasser des Matthäusevangeliums. Das steht ab Matthäus 9,9.
Ab Vers 14 im selben Kapitel beschäftigt sich Jesus mit der Frage des Fastens. Es geht darum, ob man fasten soll, wie es die Pharisäer fordern. Jesus sagt dazu: „Jetzt ist der Bräutigam noch bei euch, bald wird er von euch gehen.“ Im Augenblick sei das Fasten deshalb noch nicht nötig.
Wir haben auch die Heilung der blutflüssigen Frau und die Auferweckung der Tochter des Jairus besprochen. Weiterhin berichtet Matthäus 9,27 von der Heilung von zwei Blinden und einem Stummen.
Dann folgt die Aufforderung Jesu, in die Ernte zu gehen beziehungsweise dafür zu beten, dass Menschen von Gott in die Ernte Gottes hineingesandt werden. Das steht in Matthäus 9,35 und den folgenden Versen. Dort finden sich die bekannten Worte: „Die Ernte ist groß, aber wenige sind der Arbeiter. Darum bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte sende.“
Hier wird deutlich, dass die Ernte die Menschheit meint, die Gott vorbereitet. Wir sollen darauf vertrauen, dass Gott vorbereitet. Es heißt nicht, dass es in manchen Gebieten keine Menschen gibt, die zum Glauben kommen wollen. Im Gegenteil, es gibt solche Menschen. Wir müssen bereit sein, uns auf Gott zu verlassen.
Was wir hier auch sehen, ist, dass das Handeln in erster Linie von Gott abhängig ist und nicht von uns. Es steht ja: „Ihr sollt den Herrn der Ernte bitten.“ Es geht nicht darum, jetzt eine große Sache vorzubereiten, etwa einen großen Evangelisationsfeldzug, der nach den neuesten Methoden der Massenmanipulation funktioniert. Das führt nicht dazu, dass Menschen zum Glauben kommen.
Vielmehr sollen wir zuerst Vertrauen zu Gott haben und ihn darum bitten, dass er wirkt. Gleichzeitig müssen wir selbst bereit sein, uns gebrauchen zu lassen. Aber wir sollen nicht versuchen, mit menschlichen Mitteln durchzusetzen, was Gott durchsetzen will.
Die Berufung und Aussendung der Jünger
In Kapitel zehn finden wir die Berufung der zwölf Jünger. Dort wird zum ersten Mal die Aussendung der Jünger beschrieben. Sie sollen hingehen, um zu predigen, Kranke gesund zu machen und Dämonen auszutreiben. Das steht in Kapitel zehn, Vers 5.
In Vers 16 gibt es den Hinweis, dass wir klug sein sollen wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben. Außerdem wird betont, dass wir, wenn wir treu zu Jesus stehen, verfolgt werden und uns für unseren Glauben rechtfertigen müssen. Auch das wird an dieser Stelle erwähnt.
In Vers 27 wird die Spannung zwischen Menschenfurcht und Gottesfurcht thematisiert. Dort finden wir unter anderem die bekannten Verse ab Vers 32: „Wer nun mich bekennt vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater.“ Und umgekehrt gilt: Wer das nicht tut, wird auch nicht bezeugt.
Es wird außerdem darauf hingewiesen, dass es durch die Nachfolge Jesu zu Entzweihungen oder Streitigkeiten kommen kann – sogar zwischen den engsten Bindungen, die wir auf der Erde kennen, wie zwischen Kindern und Eltern oder zwischen Mann und Frau.
Darüber hinaus finden wir den Hinweis, dass wer jemanden um Jesu Willen aufnimmt, Jesus selbst aufnimmt. Denn Jesus hat uns gesandt, und wir sind als seine Stellvertreter an seiner Statt. Dies wird in den Versen danach beschrieben.
Die Anfrage Johannes des Täufers und Jesu Antwort
Nun kommen wir zu Kapitel 11, und hier wollen wir etwas näher verweilen. Zuerst haben wir die Anfrage Johannes des Täufers, die ich bereits an einigen Stellen erwähnt habe. Johannes fragt: Bist du der Messias? Bist du derjenige?
Die Antwort Jesu bezieht sich auf das Alte Testament. Man merkt, dass Jesus hier für einen Juden antwortet. Für einen Heiden hätte diese Antwort wenig Bedeutung gehabt. Jesus antwortete und sprach zu ihm: „Gehe hin und sage, was ihr hört und seht: Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören, Tote stehen auf, und den Armen wird das Evangelium gepredigt. Unselig ist, wer sich nicht an mir ärgert.“
Hier ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass das Alte Testament erfüllt wird. Gleichzeitig erkennen wir die Funktion dieser großen Anzahl von Bekehrungen, die zur Zeit Jesu stattfinden. Von diesen Bekehrungen sind nicht alle in der Bibel überliefert. Sie dienen dazu, das Kommen und den Auftrag Jesu vor seiner Umwelt zu legitimieren.
Darüber hinaus gibt es das Zeugnis Jesu über Johannes den Täufer. Johannes ist derjenige, der das Reich Gottes und damit auch das Wirken Jesu vorbereitet.
Jesu Wehrruf über galiläische Städte: Leben mit und ohne Gott
Und da, wo wir nun etwas näher bleiben wollen, ist dann ab Vers 20. In manchen Bibelübersetzungen wird es mit „Jesu Wehrruf über galiläische Städte“ überschrieben. Tatsächlich befindet sich Jesus hier nördlich des Sees Genezareth. Wir lesen ja vorher, wo er ankommt, und dass er sich auf zwei Städte bezieht, die in dieser direkten Umgebung lokalisiert waren.
Da lesen wir zuerst in Vers 20: „Da fing er an, die Städte zu schelten, in denen die meisten seiner Taten geschehen waren. Denn sie hatten nicht Buße getan.“ Wenn wir die folgenden Verse betrachten – heute Morgen wollen wir Vers 20 bis Vers 30 anschauen – könnten wir sie überschreiben mit „Leben mit Gott und Leben ohne Gott“. Oder wir könnten auch sagen: „Leben zwischen Selbstsicherheit und Demut“ beziehungsweise „zwischen Ergänzungsbedürftigkeit und Übermut“.
Je nachdem beschreiben diese beiden Pole die Gruppen von Menschen, die Jesus in diesen zehn Versen anspricht. Es geht also um zwei verschiedene Verhaltensweisen gegenüber der Botschaft und dem Reden Jesu.
Zuerst sehen wir, dass Jesus hier „die Städte zu schelten“ beginnt. Wir wissen noch nicht, welche Städte das sind, aber sie werden gleich aufgezählt. Dabei wird erwähnt, dass er in diesen Städten viele Taten vollbracht hat – hier steht sogar, dass es die meisten seiner Taten waren. Er erwartet daraufhin eine Buße, eine Reaktion der Menschen.
Was wir hier deutlich sehen, ist: Da, wo uns Jesus begegnet, da, wo wir etwas mit Jesus in der Vergangenheit erlebt haben, dort erwartet Jesus auch eine Reaktion. Und eine Reaktion kommt, wie wir sehen. Wir werden uns die Frage stellen, wie diese Reaktion aussieht und inwiefern wir in der Gefahr sind, ähnlich zu reagieren wie die Menschen in diesen Städten.
Um das auf uns anwenden zu können, müssen wir natürlich erst einmal sehen, was sie denn eigentlich getan haben und um welche Städte es sich im Detail handelt.
Nun, was wir sehen: Jesus weist hier auf die Wundertaten hin. Im Matthäusevangelium sind diese Wundertaten immer mit einer Erklärung verbunden, das heißt mit der Predigt. Von daher können wir nicht den Schluss ziehen, dass allein ein wunderbares Erlebnis Menschen zu Gott führt oder zur Bekehrung. Vielmehr kommt der Glaube aus dem Wort, aus der Predigt, wie wir auch bei Paulus lesen.
Das lesen wir an einigen Stellen. Ich möchte nur zwei hervorheben. Zum Beispiel Matthäus 9, Vers 35, also wenige Zeit vorher: „Und Jesus ging ringsum in die Städte und Dörfer, lehrte in ihren Synagogen und predigte das Evangelium vom Reich und heilte alle Krankheiten und alle Gebrechen.“ Wir merken, das gehörte für Jesus immer zusammen.
Es gab nicht einen Wunderheiler, der nur umherging, um die Leute gesund zu machen, denn das war für Jesus kein Selbstzweck. Jesus verheißt und sagt selbst, dass jemand, der vom Tod erweckt wird oder seine Krankheit verliert, trotzdem einige Jahre später wieder sterben wird. Er wird also nicht ewig leben, nur weil seine Krankheit geheilt ist.
Deshalb ist das Eigentliche, was der Mensch braucht, das Heil bei Gott. Das lesen wir auch in Kapitel 11, Vers 5, zum Beispiel: „Blinde werden sehen, Lahme werden gehen“ usw. Ich habe das ja vorgelesen. Und am Abend wird das Evangelium gepredigt. Das gehört zusammen, denn Predigt und Tat sind bei Jesus immer untrennbar verbunden.
Das bedeutet auf der einen Seite, dass wir, wenn wir Jesus nachfolgen wollen, nicht nur Worte gebrauchen dürfen, sondern dass auch Taten damit verbunden sein sollen.
Es wäre die Frage, welche Taten hier gemeint sind. Einige Dinge, die Jesus gemacht hat, werden erwähnt. Andere finden wir dort, wo gesagt wird, wenn ihr die Armen speist oder die Gefangenen besucht, dann habt ihr das auch mir getan. Das sind also auch Taten, die damit gemeint sind.
Oder wie wir es im ersten und zweiten Johannesbrief finden: Man kann Tat und Wort nicht voneinander trennen. Der Glaube drückt sich immer auch in der Tat aus, sonst ist er nicht echt.
Die Städte Korazin, Bethsaida und Kapernaum im Fokus
Nun kommen wir zu Vers 21. Dort werden uns die Städte genannt, um die es insbesondere geht: „Wehe dir, Korazin! Wehe dir, Bethsaida!“ Während solche Taten in Tyrus und Sidon geschehen sind, wie bei euch geschehen sind, hätten sie längst in Sack und Asche Buße getan.
Dieses „Wehe dir“ drückt im griechischen Ausdruck einen starken Schmerz, eine Art Trauer und auch Zorn aus. Es beschreibt nicht unbedingt einen leidenschaftlichen Zorn, sondern eher etwas, das einen Menschen traurig macht. Ähnlich ist es bei Jesus, wenn er später über Jerusalem „Wehe“ spricht und dann darüber weint – über die Lage in Jerusalem und die Situation der Pharisäer.
Jesus freut sich nicht darüber, wenn Menschen ihn ablehnen oder es ihnen schlecht geht. Er will, dass Menschen errettet werden und zu ihm finden. Deshalb ist dieses „Wehe dir“ auch nicht so sehr ein Drohwort, wie wenn er sagen würde: „Wenn du jetzt nicht sofort umkehrst, werde ich dich bestrafen.“ Es ist eher ein Ausdruck der Trauer. So geht es auch Jesus uns gegenüber, wenn er uns ermahnt und zurechtweisen will. Wenn wir nicht auf das reagieren, was wir in unserem Leben mit ihm erlebt haben, ist er traurig darüber, weil er möchte, dass es uns gut geht.
Nun haben wir hier ein gewisses Problem in diesem Vers. Ich weiß nicht, ob euch das aufgefallen ist. Ihr seid ja Bibelkenner und lest regelmäßig in der Bibel. Wer kann mir denn ein paar der Wunder erzählen, die Jesus in Korazin oder in Bethsaida getan hat? Möglichst mit Bibelstelle, damit wir sie gleich nachlesen können.
Ja, aber das war der Teich Bethesda. Das war in Jerusalem und kommt später vor, aber das klingt nur ähnlich: Bethesda ist eben ein Teich mit einer lokalen Bezeichnung, der in Jerusalem liegt.
Andere? Ihr müsst keine Scheu haben, ihr macht nichts falsch, wenn ihr euch irrt.
Ja, ob es Wunder dort gab, wissen wir nicht genau. Zumindest lesen wir jetzt im Zusammenhang, dass Jesus gerade einige Wunder in Kapernaum tut. Daher kam ja Petrus ursprünglich auch. Wir können zurückblicken: Wir haben gerade vor einiger Zeit gelesen, wie Jesus die Schwiegermutter des Petrus heilt. Dort steht: Jesus kam in das Haus des Petrus und sah dessen Schwiegermutter. Und wir sehen gerade vorher, dass er in Kapernaum ist, beim Hauptmann von Kapernaum. Das ist Kapitel 8, Vers 14 und folgende. Er scheint also noch in derselben Stadt zu sein.
Ihr braucht euch nicht mehr melden, ich hoffe, ihr seid mir nicht böse, dass ihr den Eindruck habt, ich führe euch aufs Glatteis. Ich habe nachgeschaut und keine besondere Erwähnung dieser Orte gefunden.
Damit will ich nicht ausschließen, dass Jesus tatsächlich ein Wunder dort getan hat. Ja, gut, manchmal wird das nebenbei erwähnt. Aber sie werden nicht ausdrücklich mit einem bestimmten Wunder genannt. Das habe ich schon gedacht, ich hätte eines übersehen, als sich jemand gemeldet hat. Aber ich meine, tatsächlich nicht.
Jetzt stehen wir aber vor einem Problem: Jesus sagt, dass hier die meisten Wunder getan worden sind oder jedenfalls hätten die Menschen so viele gesehen. Im Vers 20 heißt es, die meisten seiner Taten seien in diesen Städten geschehen. Doch wir lesen nichts davon.
Was machen wir da? Ich glaube, uns wird hier nur einmal mehr vor Augen geführt, dass das, was wir im Evangelium niedergeschrieben haben, nur ein ganz kleiner Ausschnitt aus dem gesamten Wirken Jesu ist.
Wir merken, dass einige seiner größten Taten uns gar nicht berichtet sind, die nämlich in diesen Städten stattgefunden haben. Sie werden nur pauschal erwähnt – so wie es auch Bobby gesagt hat: Jesus zog umher, heilte viele und predigte viel. Unter anderem waren darunter auch große Taten, die er in diesen beiden Städten getan hat.
Wenn wir nachschauen wollen, lesen wir in Johannes 21, Vers 25 möglicherweise einen Vers, den ihr auch kennt. Dort heißt es: „Es sind noch viele andere Dinge, die Jesus getan hat. Wenn aber eins nach dem anderen aufgeschrieben werden sollte, so würde, meine ich, die Welt die Bücher nicht fassen, die zu schreiben wären.“
Hier sagt ein anderer Jünger Jesu deutlich, dass so viel mehr passiert ist, als aufgeschrieben wurde. Man hat nur eine kleine Auswahl getroffen, um vor Augen zu führen, was Jesus gepredigt und getan hat.
Ich denke, das sehen wir auch in diesen Versen: Es wird gesagt, dass viele große Taten dort getan wurden, so dass andere sündige Städte und Menschen umgekehrt wären. Aber wir finden keinen bewussten Bericht davon. Das heißt nicht, dass es nicht stattgefunden hat, sondern nur, dass es ein Ausschnitt ist von dem großen und weiten Handeln Jesu.
Nun wollen wir uns noch etwas näher anschauen: Wie ist das mit diesen beiden Städten? Es wird gesagt, wenn solche Taten in Tyrus und Sidon geschehen wären, wie bei euch geschehen sind, hätten sie längst in Sack und Asche Buße getan.
Hier stellt sich natürlich die Frage: Warum erwähnt Jesus gerade Tyrus und Sidon? Was ist mit diesen Städten? Hätte er nicht auch Detmold und Lemgo oder andere Orte nennen können, die ihm vertrauter waren? Nein, diese Städte sind bewusst ausgewählt.
Warum? Weil sie im Alten Testament als typisches Vorbild für Städte gelten, die von Habsucht, Hochmut und letztendlich Trennung von Gott geprägt sind. Hochmut bedeutet hier so viel wie: „Ich vertraue nur auf mich selbst, ich brauche Gott nicht.“ So galten sie als typisch für diese Haltung.
Wir lesen beispielsweise in Jesaja 23, Verse 8 und folgende, ein Gericht über Tyrus. Dort wird beschrieben, was das Problem bei ihnen ist:
„Wer hat solches beschlossen, dass es Tyrus, der Krone gehen soll, wo doch ihre Kaufleute Fürsten waren und ihre Händler die Herrlichsten auf Erden?“
So sahen sie sich selbst: „Wir sind die Krone, wir sind das Zentrum der Wirtschaft und haben die Sache in der Hand.“ Doch der Herr hat es beschlossen, das erniedrigt die Pracht und verachtet die stolze Stadt, die Herrlichsten auf Erden.
Der Stolz zeigt, dass sie sich unabhängig von Gott fühlen und sagen: „Wir können unser Leben allein in die Hand nehmen.“
In den Versen 16 und folgenden lesen wir weiter:
„Nimm die Harfe, geh in der Stadt umher, du vergessene Hure, mach’s gut auf dem Seitenspiel und sing viele Lieder, auf dass dein Widergedacht werde. Denn nach siebzig Jahren wird der Herr die Stadt Tyrus heimsuchen, und sie werden zu einem Hurenlohn kommen und Hurerei treiben mit den Königreichen auf Erden. Aber ihr Gewinn und ihr Hurenlohn wird dem Herrn geweiht werden. Man wird ihn nicht wie Schätze sammeln und anhäufen, sondern ihr Erwerb wird denen zufallen, die vor dem Herrn wohnen, dass sie essen und satt werden und wohlgekleidet seien.“
Hier merken wir: Das ist das, worum es ihnen geht. Sie stehen Gottes Volk entgegen, sie stehen Gott entgegen, und bauen nur auf sich selbst.
Deshalb habe ich am Anfang gesagt: Diejenigen, die ausschließlich auf ihre Selbstsicherheit vertrauen. Eine Zeit lang geht es gut, sie machen gute Geschäfte, bis schließlich das Gericht kommt, das hier angekündigt wird – siebzig Jahre nachdem Jesaja das aufgeschrieben hat.
Wir lesen im Detail, wie das Gericht an Tyrus vollzogen werden soll: Es wird gesagt, dass die Steine geschliffen und ins Meer geworfen werden sollen, dass nur noch Fischernetze dort ausgebreitet werden und so weiter.
Wenn wir die Geschichte verfolgen, sehen wir, dass sich das wortwörtlich erfüllt hat. Die Stadt Tyrus existiert heute nicht mehr, obwohl sie damals eines der wichtigsten wirtschaftlichen und politischen Zentren ihrer Zeit war.
Sidon geht es ganz ähnlich – ebenfalls zwei phönizische Städte. Sie stehen Gott entgegen und vertrauen nur auf ihre Selbstsicherheit. Deshalb wurden sie von Gott stark verurteilt.
Aber wie ist es bei euch? Ihr habt ja noch viel mehr gesehen als diese Städte, ihr habt viel mehr gehört, Gott war bei euch gewesen. Eigentlich müsstet ihr umkehren.
Symbolik von Sack und Asche und die Warnung an Kapernaum
Wenn hier steht „in Sack und Asche“, ist das tatsächlich wörtlich gemeint. Ihr kennt das wahrscheinlich auch: Wenn ein Jude in Trauer war, zerriss er zuerst seine Kleider. Danach lief er einige Zeit mit diesen zerrissenen Kleidern umher. Je nachdem, wie traurig er war, konnte das einige Tage oder sogar Wochen dauern. Das sollte ein offizielles Zeichen nach außen sein.
Darüber hinaus lesen wir das ja auch bei Hiob ausführlich. Wenn man sehr traurig war, hatte man zerrissene Kleidung an und zog darüber eine Art grobes Leinengewand, vergleichbar mit einem Kartoffelsack. Natürlich gab es damals in Israel noch keine Kartoffeln, aber das grobe Gewand bedeutete: „Ich bin nichts, und alle Herrlichkeit, aller Schmuck sind weg. Mit dem will ich nichts mehr zu tun haben.“
Dann nahm man regelrecht Asche, streute sie sich über den Kopf und rieb sie ins Gesicht, um zu zeigen: „Ich bin am Boden zerstört, ich bin ein Sklave, ich bin nichts wert.“ So demütigte man sich selbst vor Gott, in der Hoffnung, dass Gott jemanden wieder aufrichten kann.
Hier wird gesagt, diese Städte wären umgekehrt, obwohl sie das Sinnbild für Selbstsicherheit und Stolz gegenüber Gott sind. Und du, Kapernaum, wirst du bis zum Himmel erhoben werden? Nein! Du wirst bis in die Hölle hinuntergestoßen werden. Denn wenn in Sodom die Taten geschehen wären, die in dir geschehen sind, stünde es noch heute.
Hier merken wir, dass nun noch eine dritte Stadt hinzukommt. Zu Kapernaum könnten wir einiges sagen. Das ist ja immerhin eine besondere Stadt. Kapernaum ist die Stadt, von der Jesus sagt, dass es seine eigene Stadt ist. Er wohnte dort, nachdem er aus Nazareth ausgezogen war. Das lesen wir zum Beispiel in Matthäus 4,13: „Und er verließ Nazareth, kam und wohnte in Kapernaum, das am See liegt, im Gebiet von Sebulon und Naftali.“
Also zieht Jesus aus Nazareth aus und beginnt seinen Auftrag im Norden des Reiches Israel, in Galiläa, zu predigen. Deshalb wird hier Kapernaum besonders hervorgehoben und in eine Linie mit den anderen beiden Städten gestellt. Daraus müssen wir schließen, dass in den anderen Städten ungefähr ebenso viel passiert sein muss oder es zumindest ebenso offensichtlich war wie in Kapernaum.
Wenn wir uns diesen Vers durchlesen und uns an etwas erinnern, was wir vielleicht schon einmal in der Bibel gelesen haben, dann erinnert uns das an Jesaja 14,12-15. Dort finden wir nämlich eine ganz ähnliche Beschreibung. Ich lese das gerade einmal vor:
Jesaja 14,12-15: „Wie bist du vom Himmel gefallen, du schöner Morgenstern! Wie wurdest du zu Boden geschlagen, der du alle Völker niederschlugst! Du aber dachtest in deinem Herzen: Ich will in den Himmel steigen und meinen Thron über die Sterne Gottes erhöhen. Ich will mich setzen auf den Berg der Versammelten im fernen Norden. Ich will auffahren …“ und so weiter. Dann wird gesagt: „Du wirst in die tiefste Grube hinuntergestoßen werden.“
Hier sehen wir, dass Jesus sich sozusagen an die Formulierung aus Jesaja anlehnt. Direkt wird in Jesaja 14 auf Babylon Bezug genommen, das damals die größte Herrschaft und das größte Reich in der ganzen Umgebung war. Indirekt bezieht man es häufig auch auf die Situation des Teufels, der als Morgenstern oder Luzifer, der Lichtbringer, bezeichnet wird. Dieser wollte sich über Gott erheben und wurde niedergestoßen.
Wir können nicht hundertprozentig sagen, ob das damit gemeint ist, aber es ist naheliegend. Sonst wäre die Beschreibung von Babylon vielleicht etwas übertrieben, denn so hoch konnte Babylon natürlich gar nicht steigen, wie es dort beschrieben wird. So ähnlich wird das hier auch auf Kapernaum übertragen.
Kapernaum will bis zum Himmel erhoben werden. Warum? Was könnte darin stecken? Ich denke, vielleicht etwas von diesem Nationalstolz. Sozusagen: „Schaut her, der größte Profi Israels wohnt bei uns. Schaut mal, ihr könnt ja kommen, jeden Tag der Woche geschehen bei uns Wundertaten.“
Sie fühlten sich stolz und konnten mit stolz geschwellter Brust sagen: „In Kapernaum ist etwas los.“ Wir hören später, dass sogar Herodes Spione dorthin schickte, um zu erfahren, was in der Stadt geschieht. „Da hat er sein Haus, da kann man ihn treffen, wir kennen ihn, das ist unser Nachbar.“ Deshalb fühlten sie sich erhoben und herausgehoben von allen anderen Städten.
Dieser Jesus, dieser Prophet, hat ihren Ort ausgesucht, um dort zu leben. Aber hier wird deutlich gesagt, dass das eine falsche Einstellung ist, weil sie nicht so reagieren, wie sie es sollten. Sie erleben alles mit, aber sie tun keine Buße, sie kehren nicht um. Deshalb wird es ihnen schlechter ergehen als Sodom und Gomorra – beziehungsweise Sodom hier erwähnt.
Sodom gilt im Alten Testament als das typische Beispiel für eine moralisch verdorbene Stadt. Deshalb wird sie von Gott vernichtet. Tyrus wird durch weltliche Kräfte vernichtet, später unter anderem durch Alexander den Großen. Sodom wird durch den direkten Eingriff Gottes vernichtet – wir kennen die Geschichte.
Wir kennen heute noch den Ausdruck Sodomie für sexuelle Verfehlungen. Dort wird erwähnt, dass die Bewohner sich an den Engeln vergehen wollten, also homosexuelle Handlungen mit ihnen vollziehen wollten, als diese zu Lot kamen. Wir sehen also eine moralisch verdorbene Stadt, die gerichtet wird. Und hier wird gesagt, dass es Kapernaum schlimmer ergehen wird.
Tatsächlich hat sich das schon auf der Erde vollzogen, denn Kapernaum existiert heute als Stadt eigentlich nicht mehr. Es gibt noch genaue Berichte von Ausgrabungen, bei denen auch einige Unglücke passierten, als Leute versuchten, die Stadt freizulegen. Das könnt ihr in Reiseführern nachlesen, die sich mit der Geschichte Kapernaums beschäftigen.
Die Stadt wurde vernichtet, heute ist kaum noch etwas zu finden. Man hat einige Reste ausgegraben, wie die Überreste einer Synagoge mit einem Davidstern und einigen anderen Dingen. Aber generell ist es eine Stadt, die dem Erdboden gleichgemacht worden ist.
Doch ich sage euch: Es wird dem Land der Sodomer am Tag des Gerichts erträglicher ergehen als dir.
Jetzt stellt sich die Frage: Was hat Kapernaum eigentlich so Schlechtes getan? Waren sie so unmoralisch? Lesen wir davon, dass Jesus sie zurechtweisen muss? Dass sie ausschweifend oder betrügerisch in ihrer Stadt waren? Nein, davon lesen wir nichts Besonderes.
War es so, dass sie militärischen Widerstand gegen die Römer geleistet haben? Waren sie gotteslästerlich? Sind sie am Sabbat nicht in die Synagoge gegangen oder nicht zu den großen jüdischen Festen nach Jerusalem? Nein, all das nicht.
Sie waren keine Verbrecher, sie waren nicht unmoralisch, sie hatten keine anderen Götter angebetet. Was hatten sie getan? Ihre Sünde bestand darin, dass sie einfach vergessen hatten. Ein Vorrecht, eine Offenbarung Gottes, beinhaltet immer auch eine Verantwortung.
Sie werden nicht verurteilt für etwas, was sie nicht wissen konnten. Jesus war bei ihnen, und sie sind gleichgültig daran vorbeigegangen. Das heißt: Sie haben vergessen, was Gott ihnen gezeigt und gesagt hat.
Wir müssen uns auch die Frage stellen: Wenn Gott uns Wissen mitteilt, wenn wir seine Nähe erlebt haben, und wir daran vorbeigehen, es einfach vergessen, was Gott für große Taten getan hat, dann ist das auch Sünde.
Hier wird sogar gesagt, dass es schlimmer ist als die moralische Sünde Sodoms. Darüber hinaus steckt auch die Sünde der Gleichgültigkeit dahinter. Sie kümmern sich sozusagen gar nicht. „Na ja, Jesus ist hier, das ist schön, freuen wir uns darüber.“ Aber es hat keine Auswirkung in ihrem Leben.
Sie folgen Jesus nicht nach, sie jubeln ihm zu, wenn er Menschen heilt, aber sie tun keine Buße und kehren nicht um. Sie vertreiben Jesus nicht, sie zeigen ihm keine Geringschätzung, aber es ist ihnen gleichgültig.
Manchmal ist Gleichgültigkeit schlimmer als ein klares Nein. Stellt euch vor, ein Autor schreibt ein Buch oder ein Politiker hält eine Rede, und niemand nimmt es zur Kenntnis. Für einen Politiker ist das Beste, wenn die Medien positiv über ihn berichten. Das Zweitbeste ist, wenn sie negativ berichten. Das Schlimmste ist, wenn sie gar nicht berichten.
Wenn jemand in den Medien nicht vorkommt, dann gibt es ihn nicht. So ist es heute in der Öffentlichkeit. Oder ein Buch: Eine schlechte Rezension ist besser als keine. Denn dann hat es wenigstens jemand wahrgenommen. Wenn niemand es kennt, ist es unwichtig und braucht nicht beachtet zu werden.
So ist es hier: Sie nehmen keine Stellung gegen Jesus, aber auch nicht für ihn. Ihr Verhalten ihm gegenüber ist mehr oder weniger gleichgültig.
Das birgt natürlich eine gewisse Gefahr für uns. Sind wir vielleicht manchmal mitgerissen vom Geist der Toleranz und des Pluralismus? „Alles ist wahr, alles ist richtig. Du bist Muslim, du bist Buddhist, du bist Christ – das ist schön.“
„Ich habe nichts dagegen, sei, wie du willst. Aber mich geht das Ganze nicht so an. Ich habe mir meinen eigenen Gott aus ein bisschen von dem und ein bisschen von dem zusammengemixt, und danach kann ich gut leben.“ So sind viele Menschen heute.
Wir finden wenige, die ganz offen gegen Jesus sind. Die sagen: „Oh nein, Christ sein, das ist das Schlimmste.“ Das war vielleicht noch in der Zeit des Kommunismus so. Heutzutage sind die meisten Menschen großzügig – aber ihre Abwesenheit ist natürlich nicht ohne Folgen.
Wenn du sagst, nur durch Jesus kommt man zu Gott, dann bist du natürlich gegen ihre Toleranz, so urteilst du sie. Aber auch diese Gleichgültigkeit ist eine der Sünden, die sie haben.
Ihre Sünde ist – wir könnten auch sagen – „nichts tun“, Unterlassungssünden. Sie sagen vielleicht vor Jesus: „Ich habe nichts getan.“ Jesus würde antworten: „Ja, das ist gerade das Problem.“
Jesus hat dich herausgefordert. So geht es vielleicht auch manchem heute Morgen oder in den vergangenen Tagen, Wochen oder Jahren. Jesus zeigt dir etwas, und er will, dass du reagierst.
Wenn ihr von Jesus Christus gehört habt, wenn ihr wisst, dass er der Herr der Welt ist und über euer Leben zu bestimmen hat, dann muss eine Entscheidung getroffen werden.
Wenn keine Entscheidung getroffen wird, dann ist es so wie bei Chorazin und Bethsaida, so wie bei Kapernaum. Dort steht das Gericht Gottes darüber. Gott hat zu dir gesprochen, hat dir gezeigt, wer er ist, und du hast ihn gleichgültig beiseite stehen lassen.
Du musst nicht der geifernde Atheist sein, um verloren zu gehen. Es kann genügen, einfach gleichgültig zu sein.
Die andere Reaktion ist, dein Leben aufzuräumen und dich demütig vor Gott zu zeigen. Das wäre die Alternative. Und die finden wir dann in Vers 25.
Jesu Lobpreis des Vaters und die Offenbarung Gottes
Zu der Zeit fing Jesus an und sprach: „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du dies den Weisen und Klugen verborgen hast und es den Unmündigen offenbart hast.“
Hier sehen wir eine Art Gebet Jesu, ein öffentliches Gebet, bei dem andere zuhören. Zunächst stellt sich die Frage: Wer sind diese Weisen und Klugen, denen Gott etwas verborgen hat? Es scheint zunächst, als seien das diejenigen, die von Gott nichts wissen wollen. Wie ist es aber mit denen, die etwas von Gott wissen wollen?
Zuerst wirkt dieses Gebet wie eine Art Misserfolg. Jesus preist Gott dafür, dass die Leute nichts von ihm wissen. Das erscheint auf den ersten Blick seltsam. Es wäre vergleichbar damit, wenn wir nach einer Evangelisation sagen würden: „Gott, ich preise dich, dass keiner zum Glauben gekommen ist.“ So klingt es hier fast, nicht wahr? „Du hast es verborgen.“ Doch später lesen wir, dass es den Unmündigen offenbart wurde.
Was hier dahintersteckt, ist keine einfache Gegenüberstellung von Intellektuellen gegen Dumme, sondern eher von Hochmütigen gegen Unmündige. Intellektueller Hochmut ist schlecht, nicht aber die intellektuelle Fähigkeit an sich. Das finden wir an vielen Stellen im Alten und Neuen Testament. Denken wir nur an die Sprüche, in denen Weisheit hochgepriesen wird. Salomo wird gelobt, weil er sich als einziges wünscht, Weisheit von Gott zu erhalten, um sein Volk richtig zu führen.
Es geht nirgends in der Bibel darum, dass kluge Menschen ihren Verstand ablegen müssen. In manchen Gemeinden gibt es eine Art frommen Anti-Intellektualismus, der den Verstand ablehnt, doch das ist nicht gemeint. Der Verstand, der sich gegen Gott erhebt und meint, alles selbst begreifen und bestimmen zu können, ist schlecht.
Wenn sich der Verstand jedoch Gott unterordnet, kann er Gott dienen. Wir sollen Gott von ganzem Herzen, ganzer Seele und ganzem Verstand dienen. Paulus ist ein Beispiel für einen hochintellektuellen Menschen, der seine Fähigkeiten von Gott gebraucht sieht. Auch Daniel als Staatsminister oder Joseph in Ägypten sind Beispiele für kluge, intellektuelle Menschen, die gelobt werden.
Doch Klugheit kann zu Hochmut führen. Man kann denken: „Ich brauche Gott nicht, ich kann alles selbst erklären.“ Das ist falsch. Wir alle brauchen Hilfe und müssen uns Gott unterordnen. Dabei ist der Dumme nicht besser als der Kluge.
Es gibt Überlieferungen aus der jüdischen Umwelt Jesu, etwa von Rabbi Berukka Rurzar. Er erzählt, dass er einmal auf dem Markt gefragt wurde, wer am ewigen Leben teilhaben werde. Die Leute erwarteten, dass er Pharisäer und Schriftgelehrte nennt. Stattdessen zeigte er auf einen Kerkermeister und sagte, dieser sorge dafür, dass im Gefängnis alles ordentlich verläuft, dass jeder zu essen und zu trinken bekommt. Er bestraft die Schuldigen und wird deshalb ins Reich Gottes kommen.
Dann zeigte er auf einen Spaßmacher, der Menschen aufheitert und Streit besänftigt, obwohl er nicht so fromm wie andere ist. Das ist zwar kein Bibelvers, deutet aber darauf hin, dass die Juden sich Gedanken darüber machten, dass das Leben und Verhalten darüber entscheiden, ob jemand zu Gott kommt oder nicht. Nicht das fromme Reden zählt, sondern die Spuren, die es im Leben hinterlässt.
Wenn wir am Anfang lesen, dass Jesus sagt, er preist Gott, weil er das den Weisen verborgen hat, bezieht sich das auf seine Taten und Predigten. Jesus erzählt Gleichnisse, die die Klugen nicht verstehen, sondern erst erklärt werden müssen. Der Sinn seiner Taten und Worte ist den Klugen verborgen, weil sie nur nach menschlichen Maßstäben denken und handeln.
Das haben wir auch bei den Seligpreisungen gesehen: Wenn man sie jemandem erzählt, klingt das oft verrückt oder kaputt. Oder wenn man sagt, Gott habe die Welt geschaffen, antworten manche: „Das wissen wir heute besser, die Evolution hat das erklärt.“
Im 1. Korintherbrief lesen wir: „Die Weisheit Gottes ist eine Torheit vor den Menschen.“ Das ärgert viele. Wir müssen intellektuell demütig werden und anerkennen, dass Gott klüger ist als wir.
Das Vorbild der Unmündigen, der Kinder, wird in Kapitel 3, Vers 18 und Kapitel 5, Vers 3 genannt. Kinder haben vollständiges Vertrauen zu Gott, ohne alles intellektuell hinterfragen oder erklären zu wollen.
In Vers 26 heißt es: „Vater, denn so hat es dir wohlgefallen.“ Wohlgefallen erinnert an Weihnachten, wo von den Menschen deines Wohlgefallens die Rede ist. Was hat Gott wohlgefallen? Das wird gleich danach erwähnt.
Das Handeln Jesu, auch das Heilshandeln, ist letztlich von Gott abhängig. Es heißt hier: „Dir hat es so wohlgefallen“, nicht: „Ich habe mir einen guten Weg überlegt.“ Gott handelt. Ohne Gott können wir die Schrift nicht richtig verstehen.
Calvin sagte, dass es das innere Zeugnis des Heiligen Geistes braucht, um die Bibel richtig zu verstehen. Nur wenn Gott es wohlgefällt und handelt, können wir zu ihm kommen und sein Wort verstehen.
In Vers 27 lesen wir: „Alles ist mir übergeben von meinem Vater, und niemand kennt den Sohn als nur der Vater, und niemand kennt den Vater als nur der Sohn, und wem es der Sohn offenbaren will.“
Hier wird deutlich, dass alle Macht Jesus übergeben ist. Interessanterweise geschieht das nicht erst irgendwann in der Zukunft, sondern bereits in der Gegenwart.
Wir erinnern uns an die Versuchung Jesu, bei der der Teufel ihm Macht über die Welt versprach, wenn er niederfällt. Jesus hätte die Herrschaft über die Welt aus eigener Kraft antreten können. Er hat die Macht, die Pharisäer, die ihn anklagen, sofort zu bestrafen. Er hat das Erbe Gottes schon erhalten, nicht erst im tausendjährigen Reich.
Matthäus 28 bestätigt: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.“ Das ist bereits jetzt so.
Dann folgt eine Aussage, die wir erst verstehen müssen. Es handelt sich um einen logischen Zirkelschluss: „Niemand kennt den Sohn als nur der Vater“ – das heißt, um den Sohn zu kennen, muss man den Vater kennen. Aber „niemand kennt den Vater als nur der Sohn“ – also um den Vater zu kennen, muss man den Sohn kennen.
Wie lernen wir also den Vater kennen? Wie lernen wir den Sohn kennen? Wo fangen wir an?
Am Ende steht: „Und nur dem, dem ich es offenbaren will.“ Die Erkenntnis Gottes hängt nicht in erster Linie von intellektueller Klugheit ab, sondern von der Offenbarung Gottes.
Wenn Gott es offenbaren will, können wir diesen intellektuellen Zirkel durchbrechen. Sonst bleiben wir darin gefangen. Das merken wir auch, wenn wir mit Menschen sprechen und versuchen, ihnen zu beweisen, dass es Gott gibt. Das führt oft zu einem Kreis.
Die Reihenfolge ist wohlüberlegt: Niemand kennt den Sohn als nur der Vater. Das Geheimnis des Unbekannten ist der Sohn.
Im Römerbrief lesen wir, dass Menschen wissen, dass es einen Gott gibt. Sie haben ihn nicht verleugnet, sondern andere Götter an seine Stelle gesetzt. Durch die Schöpfung und das Gewissen haben Menschen die Überzeugung, dass es einen Schöpfer gibt. Doch sie haben Gott nicht als den Vater Jesu Christi und als ihren eigenen Vater erkannt.
Dieses Geheimnis kann nur Gott offenbaren. Es ist nicht durch Gewissen, Naturbeobachtung oder logisches Nachdenken erfahrbar. Logisches Nachdenken kann nur den Schöpfer erkennen, nicht aber den Vater.
Jesus sagt zu Johannes dem Täufer: Schau dir die Zeichen an, dann erkennst du ihn. Das geschieht nur durch die Offenbarung des Vaters, durch die Menschen, denen er es offenbart.
Das Geheimnis Jesu, dass Jesus der Sohn Gottes ist und uns durch seinen Tod errettet, können wir nicht selbst erfahren, sondern nur durch Gottes Offenbarung.
An anderer Stelle sagt Jesus: „Wer mich sieht, sieht den Vater.“ Das ist eine Parallele zu dieser Aussage. Wir können Gott als Vater nur erkennen, wenn wir Jesus als unseren Erretter akzeptieren. Dann wird Gott unser Vater.
Das steht im Gegensatz zu den Gnostikern, einer religiösen Gruppe der damaligen Zeit, die glaubten, es gäbe zwei Götter – einen guten und einen bösen. Für sie war Gott unverständlich und verborgen.
Außerdem müssen wir bedenken, dass das Wort „erkennen“ oder „kennen“ im Alten Testament auch „auserwählen“ bedeutet. Es geht nicht nur um intellektuelles Wissen, sondern um eine innige Gemeinschaft.
Zum Beispiel heißt es, dass Adam Eva erkannte – das meint eine enge, eheliche Beziehung. Gott kennt Israel, wie in Amos 3,2: „Euch allein kenne ich vor allen Geschlechtern der Erde.“ Das bedeutet keine bloße Kenntnis, sondern eine intensive Beziehung.
Im Neuen Testament lesen wir in Galater 4,9 und 1. Korinther 8,2, dass wir Gott nur erkennen können, wenn er uns erkennt. Diese Beziehung geht weit über intellektuelles Wissen hinaus.
Galater 4,9 sagt: „Nachdem ihr aber Gott erkannt habt, ja vielmehr von Gott erkannt seid, wie wendet ihr euch wieder den schwachen und dürftigen Mächten zu, denen ihr von neuem dienen wollt?“
Der Anfang des christlichen Glaubens wird hier beschrieben: Wir haben Gott erkannt, besser gesagt, Gott hat uns erkannt. Das bedeutet, dass Gott uns in den tiefsten Tiefen unserer Persönlichkeit kennt.
Was ist mit den Menschen, die Jesus kennen wollen und denen Gott das offenbart hat? Wir dürfen uns nicht verstecken und sagen: „Mir hat Gott das nicht offenbart.“ Sobald du durch die Bibel davon hörst, ist es dir offenbart.
Gott spricht durch sein Wort. In Vers 28 heißt es: „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.“
Hier ist das Angebot der Gnade. Gott macht sich zugänglich, wenn wir erkennen, dass wir mühselig und beladen sind. Die meisten wissen, wo sie ihr „Paket“ schleppen.
Hier ist der Mensch angesprochen, der verzweifelt einen gnädigen Gott sucht. Luther, der Mönch wurde, suchte verzweifelt nach einem gnädigen Gott. Nächtelang betete er vor dem Altar und rang um Gnade. Er lag auf dem kalten Steinboden, um Demut zu zeigen.
Manchmal fällt es uns schon schwer, uns im Gebet niederzuknien oder uns vor Gott auf die Erde zu legen. Für Luther war das selbstverständlich. Er wusste, dass er Gnade braucht.
Wenn wir ohne Gott sind, wissen wir das auch. Wenn wir mit Gott sind, müssen wir immer wieder zu Jesus kommen und ihm unser Herz übergeben.
Menschen, die müde und verzweifelt sind, haben eine Sehnsucht nach einem erfüllten Leben, nach Ruhe und nach Gott. Sie sind beladen durch die Lasten der strenggläubigen Juden.
In Matthäus 23, wo Jesus sich mit den Pharisäern auseinandersetzt, lesen wir deutlich, welche Lasten sie den Menschen aufbürden, sodass sie erdrückt werden.
Ein Kommentar beschreibt eine arme Witwe, die ein kleines Stück Land bewirtschaftet. Ein Pharisäer sagt ihr, sie müsse die Ränder stehen lassen für die Armen, den Zehnten dem Priester geben und vieles mehr. Am Ende bleibt nichts übrig. Die Witwe will ihr Feld gegen eine Ziege eintauschen. Der Pharisäer nimmt ihr auch die Ziege, sodass sie nichts hat.
Diese Geschichte zeigt, wie die Gesetze die Menschen unterdrückten.
Auch heute gibt es gesetzliche Menschen, die anderen Lasten auferlegen und sagen: „Wenn du Christ wirst, musst du dies und das tun, dann findest du Gnade.“ Das ist falsch.
Im Galaterbrief lesen wir, dass wir die Rettung von Gott erhalten haben und nicht wieder unter das Gesetz zurückkehren sollen. Wenn ihr versucht, durchs Gesetz gerettet zu werden, werdet ihr verloren gehen, weil ihr das Gesetz nicht einhalten könnt.
Wir müssen die Gnade Gottes allein in Anspruch nehmen. Das ist entscheidend.
Die Last, unter der die Menschen leiden, wird hier angesprochen. Jesus sagt: „Ich will euch erquicken. Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig, so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen.“
Das Gegenteil von Hochmut ist das Leben eines Menschen, der demütig ist und sich Gott unterordnet.
Das Joch als Symbol für Gottes sanfte Führung
Nehmt auf euch mein Joch – eine kurze Erklärung, was ein Joch ist.
Ein Joch gibt es für Menschen. Es handelt sich dabei um eine Art Balken, den man über die Schultern legt. Rechts und links sind daran Eimer befestigt, sodass man schwere Lasten tragen kann. Das ist leichter, als wenn man die Last nur mit den Armen trägt, weil das Joch auf den Schultern aufliegt und das Gewicht besser verteilt.
Außerdem gibt es ein Joch auch bei Pferden. Dieses wird meist um den Hals geschnallt. Bei Ochsen wird das Joch meistens vor die Brust gelegt, da sie mit der Brust ziehen. Ein Joch ist also grundsätzlich etwas, das Tieren und Menschen hilft, Lasten zu tragen.
Natürlich drückt ein Joch, besonders wenn es falsch angepasst ist. Früher wurden in Israel Joche aus Holz gefertigt, manchmal mit Leder überzogen. Wenn das Holz kantig ist und man den ganzen Tag darauf Last trägt, entsteht Druck. Dadurch können Geschwüre entstehen, weil das Joch auf der Haut reibt. Das ist mühsam und schmerzhaft.
Hier wird also gesagt: Das falsche Joch drückt dich nieder und macht dich kaputt. Manche Christen sind frustriert, weil sie denken, es müsste alles anders laufen und sie kommen unter eine Gesetzlichkeit – das ist das falsche Joch. Jesus aber will uns befreien und helfen.
Was wir noch im Kopf haben sollten, ist, dass Jesus bis zu seinem dreißigsten Lebensjahr Zimmermann war – so war das damals üblich als Sohn seines Vaters. Ich habe extra in einem Lexikon zur Umwelt des Neuen Testaments nachgeschaut. Dort steht, dass Zimmermänner durchaus auch Joche herstellten.
Das ist eine interessante Verbindung. Jesus wusste also genau, wovon er sprach – nicht nur aus der Anschauung, sondern vielleicht hat er sogar selbst zusammen mit seinem Vater Joche hergestellt. Mit etwas Fantasie könnten wir uns sogar vorstellen, dass über der Werkstatt Jesu stand: „Jesus macht die besten Joche.“ Wahrscheinlich hat er sie jedenfalls selbst angefertigt.
Diese Joche wurden sorgfältig bearbeitet, zum Beispiel mit Schmirgelpapier, um sie genau an das Tier anzupassen. Denn jedes Tier und jeder Mensch ist unterschiedlich. Deshalb wurde für jeden Menschen individuell ein Joch angepasst.
Hier sagt Jesus: „Kommt zu mir!“ Dabei ist das keine Werberede für seinen Betrieb – denn das ist ja vorbei, er ist jetzt als Prediger unterwegs. Er sagt: „Kommt zu mir, denn mein Joch passt genau.“ Es ist genau auf euch zugeschnitten. Ihr bekommt genau das, was ihr braucht.
Jesus macht nicht 08/15-Joche, bei denen jeder dasselbe trägt und die unterdrücken. Sein Joch ist sanft und genau passend für das, was ihr braucht. Aber ihr müsst euch erst demütigen. Ihr müsst erkennen, dass ihr das braucht. Ihr müsst zu ihm kommen und anerkennen, dass ihr es nicht allein schafft.
Denn sein Joch ist sanft und seine Last ist leicht. Das Wort „sanft“ (griechisch: krestos) bedeutet angenehm, gut sitzend und genau angepasst. So könnte man es beschreiben.
So ist es auch bei Gott: Wenn wir vor Gott still werden, wenn wir zu ihm kommen, kann er uns Ruhe geben. Denn es heißt: „Ich werde euch Ruhe geben für eure Seelen.“ Diese Ruhe meint nicht nur das Ausruhen, sondern auch die Stille vor Gott.
Wir sind nicht mehr umhergetrieben, alles selbst erledigen zu müssen. Gott übernimmt das für uns.
In diesen Versen sehen wir also zwei Arten, wie wir Gott gegenübertreten können. Die eine Haltung ist die Selbstsicherheit: „Gott ist da, aber es kümmert mich nicht.“ Wir sind gleichgültig oder sogar ablehnend gegenüber Gott, wie es in Sodom und Gomorra war.
Dann wird das Gericht über uns kommen, wie Jesus es deutlich sagt. Dieses Gericht erfahren wir schon auf der Erde in der Gottferne. Dort tragen wir ein schweres Joch, versuchen alles selbst zu schaffen und scheitern daran.
Wenn wir aber zu Jesus kommen und sagen: „Ich bin nicht der Kluge, ich kann nicht alles erklären, ich weiß nicht alles und ich stehe nicht über Gott. Ich brauche Gott“, dann wird Jesus uns den Vater offenbaren.
Er wird uns zeigen, wer der Vater ist, und wir werden erkennen, dass Jesus unser Erlöser ist. Wir bekommen sein sanftes Joch, das genau auf uns zugeschnitten ist. Wir müssen keine Last tragen, die über unsere Kräfte geht.
Jesus steht an unserer Seite und trägt mit uns. Er teilt die Last so ein, dass wir sie tragen können. Er gibt uns eine Erkenntnis von Gott, die wir selbst nie hätten erfahren können.
Für uns heute ist die Herausforderung, die richtige Haltung gegenüber Gott und Jesus zu finden und uns entsprechend zu verhalten. Nicht gleichgültig durch den Tag zu leben.
Je nachdem, wo du stehst, solltest du nicht weiter gleichgültig an Jesus vorbeigehen. Wenn du dir selbst ein Joch aufgelegt hast oder eine schwere Last trägst, wirst du sie nicht schaffen. Du wirst vor dem Gericht Gottes stehen, auch als Christ, wenn du es versuchst.
Im Galaterbrief lesen wir deutlich: Entweder unter der Gnade Jesu oder durch eigene Gesetzlichkeit – beides geht nicht. Wenn du es nach dem Gesetz versuchst, wirst du von Gott verurteilt werden, weil du es nicht einhalten kannst.
Also geh unter die Gnade, dann wirst du erkennen, dass das Gesetz dem guten Willen Gottes entspricht. Gott wird dir durch den Heiligen Geist Kraft geben, diese Dinge entsprechend zu leben.
Das ist eine Möglichkeit, sich selbst klar zu werden: Wie ist deine Haltung gegenüber Gott?
Wir wollen gemeinsam beten und dazu aufstehen.
