Einführung und Begrüßung des Gastredners
Ja, auf Jesus warten wir, und wir sind felsenfest davon überzeugt, dass Jesus wiederkommen wird. Ob Volker Gekle vorher noch hier hoch bis aufs Podium kommen wird, das wollen wir zumindest hoffen. Es wird Zeit, dass wir gemeinsam den Mann begrüßen dürfen, der aus dem nördlichen Schwarzwald kommt, in Calw wohnt und in Bad Liebenzell das theologische Seminar als Direktor leitet. Herzlich willkommen, Volker Gekle!
Auch du hast während deines Theologiestudiums im sogenannten Tübinger Albrecht-Bengel-Haus gewohnt, das ja auch hier auf der Missionsausstellung mit einem Stand vertreten ist. Was verbindet dich mit dieser sogenannten Institution des schwäbischen Pietismus damals und heute?
Ja, hallo, guten Morgen zunächst einmal. Ich wollte euch noch ein gesegnetes und behütetes neues Jahr wünschen, das wollte ich am Anfang noch sagen. Und jetzt sind wir bei den Werbeblocks, da mache ich doch gern mit.
Das Albrecht-Bengel-Haus – damit verbinde ich sechzehn Jahre Studium und dann zehn Jahre als Dozent. Das ist eine Geschichte der Geduld und des Wartens, wo Menschen etwas investiert haben, damit langfristig eine gute Botschaft, ein gutes Evangelium in unseren Kirchen verkündigt wird.
Damit verbinde ich Arbeit mit Studenten, Arbeit an theologischer Lehre und Arbeit daran, dass Gottes Reich hier in Baden-Württemberg und weltweit wächst.
Als Student und später, wie du schon gesagt hast, als Studienassistent und Studienleiter im Bengelhaus hast du aber parallel auch an einer ganz normalen Universität, nämlich der LMU in München, promoviert und wurdest bis zum Doktor der Theologie befördert. Das klingt jetzt nach viel Kopfarbeit.
Doch wenn man auf die Homepage des Liebenzeller Seminars schaut, dann darf ich dich jetzt da mal zitieren: Du schreibst, dass dir auch das Ergriffensein von Jesus ganz wichtig ist. Das möchtest du den Studenten in Liebenzell auch als Anliegen mitgeben – dass wirklich Hirn und Herz zusammenfinden müssen, um im rechten Sinne Theologe zu sein.
Persönliche Glaubenserfahrung und Familie
Wann war ein Moment, in dem du selbst von Jesus ergriffen wurdest?
Ich bin jemand, der durch den ganz schlichten Konfirmandenunterricht so richtig zum Glauben gekommen ist. Ich grüße alle, die einen guten Konfi erlebt haben und die dadurch einen Impuls bekommen haben. Ich halte nach wie vor einen guten, ordentlichen Konfirmandenunterricht für eine missionarische Aktion in unserem Land. Wenn man ihn gut macht, kann enorm viel dabei herauskommen.
Bei mir sind es jetzt immerhin 95 Kilo geworden, die da aus einem guten Konfi herausgekommen sind. Ich möchte alle ermutigen, in der Konfi-Arbeit eine Chance zu sehen und diese auch anschließend gut aufzubauen, damit es weitergeht und Jugendrunden daraus entstehen. Irgendjemand hat mir ausgerechnet, dass 85 Prozent aller Christen vor dem siebzehnten Lebensjahr zum Glauben kommen. Tja, da lohnt sich das Engagement gleich vierfach. Also immer ran an den Speck, hier ein Konfi!
Wenn man an den Ringfinger deiner rechten Hand schaut, kann man sehen, dass du verheiratet bist – ein verheirateter Mann und Vater von drei Kindern. Ein kurzes Wort zu deiner Familie: Wie trägt und erträgt sie es, einen so vielbeschäftigten Mann als Ehepartner und Vater zu haben? Und welche Rolle spielt Geduld in deinem und eurem Familienleben?
Wir haben eine Familie, die das erträgt. Das ist immer so: Wenn man viel zu tun hat, müssen es alle anderen ertragen. Aber sie spüren auch etwas davon. Es ist bei uns wenig Zeit da, das ist immer so. Wir müssen viel organisieren, wir müssen viel absprechen. Aber meine Familie spürt auch, was es heißt, im Dienst eines anderen Herrn zu stehen, der Anspruch auf unsere Zeit hat – auf die Stunden unseres Lebens, die nicht nur uns selbst und nicht nur unserer Familie gehören.
Wir planen aber auch sehr viel Zeit als Familie ein, damit viel übrigbleibt für solche Veranstaltungen wie heute. Heute ist zum ersten Mal mein älterer Sohn dabei. Das ist dann auch ein Vorrecht: Er darf bis ins Parkhaus mitfahren und muss nicht mit der S-Bahn anreisen. Also er hat auch etwas davon, so mal etwas gesehen zu haben.
Geduld ist eine Grundkomponente jeder Familie. Wer mit Kindern lebt, braucht Geduld. Ich meine, man könnte aus der Haut fahren: Man kann Dinge zehnmal erklären, und sie funktionieren noch nicht. Dann denkt man, der Kerl ist jetzt so und so alt, der müsste das doch wissen. Bis einem dann selber einfällt, wie viel Geduld die eigenen Eltern mit einem hatten, bis man irgendetwas kapiert hat.
Das ist auch ein Thema, das ich nachher ansprechen möchte: Wir brauchen Geduld mit anderen Menschen, und das lernt man am allerersten in der Familie.
Die Bedeutung des Wartens im Leben und Glauben
Ja, vielen Dank. So haben wir schon einen Einblick bekommen, was dich auch beschäftigt und bewegt. Jetzt ist eure geduldige Warterei erst einmal vorbei. Wir freuen uns auf den Vortrag von Volker Gekle. Dankeschön! Ich würde mal sagen, das sind ja alles Premieren hier. Die machen das alle zum ersten Mal. Danke, dass ihr hier einsteigt.
Wir waren jetzt schon alle richtig geduldig an diesem Tag, und jetzt ist er da: die Jugendmissionskonferenz. Ich freue mich, dass die Hütte hier auf dem Messegelände wieder voll ist. Für mich ist das immer eine unglaubliche Ermutigung, dass dieser Tag mit diesen Themen so viele junge Menschen anzieht.
Warten ist eine fundamentale Herausforderung unseres Lebens. Ich weiß nicht, ob ihr euch schon einmal klargemacht habt, dass der Großteil unseres Lebens eigentlich aus Warten besteht. Wir warten etwa 97 Prozent unserer Lebenszeit auf irgendetwas – wir sind Wartende.
Wenn man noch so klein ist, wartet man darauf, in die Schule zu dürfen. Ich weiß nicht, ob ihr euch an diesen Moment noch erinnert: Da waren die Großen mit den Schultüten in der Hand, und man wollte immer dazugehören, auch mal eine Schultüte haben. Nicht nur wegen der Süßigkeiten, sondern weil man jetzt richtig an die Schule herangehen darf.
Dann wartet man, bis man wieder aus der Schule raus darf. Danach wartet man, bis das richtige Leben losgeht: bis man einen Job lernen kann, bis man einen Beruf hat, bis man vielleicht studiert. Hat man das erreicht, wartet man vielleicht darauf, endlich heiraten zu können, bis der große Moment kommt und das möglich wird.
Dann wartet man vielleicht auf Kinder, auf Karriereschritte, auf irgendwelche Titel oder Beförderungen – was auch immer. Wir warten. Ein ganzes Leben lang. Selbst wenn man 80, 85 oder 90 Jahre alt ist, hört das Warten nicht auf. Wir warten auch noch bis zum letzten Tag unseres Lebens.
Wir sind erwartungsvolle Menschen, eigentlich. Das Warten nehmen wir oft gar nicht bewusst wahr. Wir spüren es nicht immer, dass wir Wartende sind, aber wir sind es ein Leben lang. Das Leben besteht aus Warten – und das in vielerlei Hinsicht.
Auch der Glaube an Jesus Christus besteht aus Warten. So sehr wir das rechte Reden üben müssen, das richtige Handeln für Jesus lernen müssen, so sehr müssen wir auch das Warten lernen. Das war in den beiden Zeugnissen schon sehr deutlich geworden. Das Warten gehört genauso zum Leben mit Jesus Christus dazu wie das Reden und Handeln.
Ich möchte heute Morgen mal ein bisschen über das Warten sprechen. Wenn nachher jemand sagt: „Also hör mal her, Gäckle, hast du das nicht ein bisschen unterbelichtet, dass wir auch was tun müssen?“, dann sage ich: vollkommen richtig. Aber heute Morgen möchte ich mal über das Lassen sprechen, über das Warten.
Warten gehört zum Glauben. Warten gehört auch zur Mission dazu. Auch das wurde schon mehr als überdeutlich herausgestrichen: Im Einsatz für Jesus ist das Warten eine Grundkompetenz. Mission hat nicht nur etwas mit Dynamik, mit Leidenschaft und mit Einsatz zu tun – das wird an diesem Tag auch noch sehr deutlich werden – sondern Mission hat sehr viel mit Warten zu tun.
Geduld als Lernprozess in der Mission und im Alltag
Ich arbeite jetzt seit dreieinhalb Jahren bei der Liebenzeller Mission und mit all unseren Missionaren. Dabei habe ich gelernt, dass es eine wichtige Aufgabe ist, bei allen unseren Mitarbeitern und Studierenden das Warten zu lernen. Es braucht viel Zeit, bis Gott jemanden dort einsetzen kann, wo er ihn einsetzen möchte.
Manchmal kommt man in Kulturen, in denen das Zeitverständnis ganz anders ist als bei uns. Du warst in einer solchen Kultur und wirst wahrscheinlich wieder in eine Kultur gehen, die ein ganz anderes Zeitverständnis hat. Wir schauen ständig auf die Uhr. Einige unserer Missionare arbeiten in Papua-Neuguinea. Dort sagte man einem Missionar einmal, er sei ein Götzendiener. Er fragte: „Wieso ich Götzendiener? Ich komme aus Bad Liebenzell, aus einem frommen Schwarzwald und war in einem frommen Jugendkreis.“ Die Antwort lautete: „Ja, du bist ein Götzendiener.“ Warum? „Weil du nicht auf das Kreuz schaust, sondern immer auf deinen Arm. Immer wenn du auf dieses Ding an deinem Arm schaust, veränderst du dein Verhalten. Plötzlich verlierst du die Gemütlichkeit, reagierst hektisch, stehst auf und verabschiedest dich sehr unhöflich. Das machen nur Götzendiener.“
In fast allen Kulturen dieser Welt haben Menschen mehr Zeit als wir, und das muss man lernen. Das kann man nicht einfach per Knopfdruck verändern. Wir leben heute in einer Kultur, in der das Warten uncool geworden ist. Ich habe das einmal so vor Augen geführt: Wir lernen täglich in unserer modernen Medienwelt mit den technischen Kommunikationsgeräten, dass wir nicht mehr warten müssen.
Wir können jederzeit mit einem Handy an jeden Ort der Welt telefonieren. Wir müssen nicht mehr warten auf Gespräche oder Begegnungen. Mit einem Mausklick am PC können wir fast alles auf der Welt bestellen, und es ist morgen da. Eine Buchhandlung, die morgen das Buch nicht hat, das ich heute bestelle, ist übermorgen weg vom Fenster. Das sind die Regeln unserer Kultur.
Wir schaffen das Warten in unserer Kultur ab. Wir meinen, dass es in der Geschäftswelt so schnell gehen muss. Ich erlebe mittlerweile das Phänomen, dass ich Mails bekomme, und wenn ich sie nicht innerhalb von drei Stunden beantworte, folgt nach drei Stunden ein Anruf: „Hast du meine Mail nicht bekommen?“ So drängen wir andere zu immer mehr Eile und werden selbst davon angesteckt. Wir sind in einer solchen Hektik, dass wir es immer weniger aushalten zu warten.
Wir leben in einer Kultur, die uns das Warten langsam aber sicher abgewöhnt. Ganz entsprechend lautet das Lebensmotto vieler Kinder und Jugendlicher heute – und jeder, der in Schule oder Kindergarten tätig ist, weiß das. Dieses Lebensmotto besteht aus drei Begriffen: Ich, alles und sofort. Es geht um mich, ich will alles und zwar sofort.
Wenn ich das nicht bekomme, mache ich so viel Stress und Ärger, dass du es nicht noch einmal wagst, mir etwas vorzuenthalten. Das ist das Lebensmotto vieler Kinder und Jugendlicher heute: „Ich will nicht mehr warten, ich will alles und zwar jetzt und sofort.“ Wir leben in der Luxusillusion, dass wir uns alle Wünsche unmittelbar erfüllen können und müssen.
Diese Kultur des Nicht-mehr-Wartens bringt eine Charakterkatastrophe nach der anderen hervor. Sie führt zu Menschen, die sozial unverträglich sind. Es führt zu Menschen, die eine sehr geringe Frustrationstoleranz haben. Wenn etwas nicht sofort klappt, schmeißt man hin, macht nicht mehr mit oder ist beleidigt. Das nennt man geringe Frustrationstoleranz.
Menschen, die nicht warten können, sind unglaublich schnell frustriert und resignieren sehr schnell. So tun wir immer mehr Dinge zu früh. Wir ziehen uns immer mehr Dinge zu früh rein, zu einem Zeitpunkt, der noch nicht gut für unser Leben ist. Wir meinen, was im Online-Handel geht, müsste auch in Beziehungen so funktionieren, dass alles schnell geht. Deshalb gehen viele schnell miteinander ins Bett, obwohl der Zeitpunkt noch nicht gut für ihr Leben ist.
Das Gleiche gilt, wenn man erwachsen ist: Man kauft sich Dinge, die man sich eigentlich noch nicht leisten kann. Easy Credit ist das Gebot der Stunde. Ich kaufe mir Dinge, die ich mir eigentlich noch nicht leisten kann. Das ist ein Lebensstil der Ungeduld. Ich warte nicht mehr, bis ich das Geld habe, sondern leiste es mir einfach.
Die Freiheit nehme ich mir. Die ganze Weltfinanzkrise, in der wir momentan stecken, beruht auf der Ungeduld vieler Menschen, zum Beispiel vieler Amerikaner, die sich Häuser und Autos gekauft haben, für die sie eigentlich noch kein Geld hatten. Und die ganze Welt muss heute die Suppe dieser Ungeduld auslöffeln. Ungeduld kann richtig viel Geld kosten – nicht nur das eigene, sondern auch das der anderen.
Die Wahrheit ist eine ganz andere: Wer das Warten nicht lernt, wird nie normal im Leben. Nicht die Ungeduld ist das Normale, sondern das Warten und die Geduld sind eine Normalität des Lebens. Das gehört automatisch zum Leben dazu. Es gehört zu einer gesunden Persönlichkeitsentwicklung, dass ich das Warten lerne, dass ich Spannungen aushalten lerne und dass ich lerne, dass die Dinge nicht von heute auf morgen gehen.
Das haben mittlerweile sogar Leute verstanden, von denen man es nicht erwartet hätte. Die Oberfeministin Alice Schwarzer sagte jüngst in einem Interview, dass sie finde, junge Menschen gingen zu früh miteinander ins Bett. Man höre und staune! Denn, sagt sie, Mädchen würden dadurch nicht zu Persönlichkeiten und zu richtigen Feministinnen. Deshalb sollte man warten, um ideologisch fähig zu werden.
Wir brauchen fürs Leben eine Reife. Für alle Dinge des Lebens brauchen wir eine bestimmte Reife. Ich brauche soziale Reife, damit ich halbwegs unfallfrei mit anderen leben kann. Vielleicht studierst du, ziehst in eine WG ein: Um dort halbwegs sozialverträglich leben zu können, braucht man soziale Reife, damit man sich nicht ständig an den Kragen geht.
Diese soziale Reife braucht man auch in einer Ehe oder Beziehung, sonst ist sie schnell vorbei. Aber es braucht noch etwas anderes: emotionale Reife. Was ist das? Emotionale Reife ist die Fähigkeit, mit Niederlagen umgehen zu können. Das Leben ist voller Niederlagen, Tiefschläge, Rückschläge und Frust. Um das auszuhalten, brauche ich emotionale Reife.
Bevor ich diese soziale und emotionale Reife nicht habe, sollte ich die großen Projekte des Lebens nicht angehen, sondern warten, bis ich reif genug bin. Wer nicht warten kann, wird keine starke Persönlichkeit. Wer nicht warten kann, bleibt ein Leben lang eine schwache Persönlichkeit.
Umgang mit dem Warten: Resignation, Zwang und Annahme
Was die Herausforderung des Wartens angeht, haben wir immer drei Möglichkeiten.
Die erste Möglichkeit ist, dass ich resigniere. Ich gebe die Hoffnung auf, gebe das Warten auf, schreibe meine Erwartungen in den Wind. Dann werde ich zu einem resignierten Menschen, zu einem erwartungslosen Menschen. Vielleicht schaffe ich die Schule nicht, erreiche meine beruflichen Ziele nicht und gebe auf. Ich denke: „Rutscht mir alle den Buckel runter!“ Ich ziehe mich in mein Schneckenhaus zurück, in meine Nische, und mache nicht mehr mit. So wie Kinder, die frustriert sind und nicht mehr mitspielen wollen.
Das ist die erste Möglichkeit, die ich habe. Ich kann zum Spießer werden, zum Zyniker. Ich kann meine Mitmenschen, die noch engagiert sind, mit bissigem Zynismus überschütten und mit ausdrucksloser Resignation bestrafen. Ich mache nicht mehr mit, und wer mitmacht, ist selber schuld – basta. Dann habe ich keine Erwartungen mehr an das Leben, keine Erwartungen mehr an Jesus, keine Erwartungen mehr daran, dass diese Welt verändert wird.
Man kann auch zum Saboteur der Hoffnung für andere werden. Man macht anderen die Hoffnung madig und wird nur noch zerstörerisch. Das ist die erste Option.
Die zweite Möglichkeit ist, dass ich versuche, das Erwartete, worauf ich warte, mir zu erzwingen oder mir zu nehmen. Die Freiheit nehme ich mir einfach. Man wird seines Glückes eigener Schmied und nimmt sich, worauf man nicht mehr warten will. Das gilt für das Thema Sex genauso wie für das Thema Geld – ob es nun gut ist oder nicht.
Im Grunde ist jeder kriminelle Akt, der bei unseren Gerichten verhandelt wird, eine Form der Ungeduld. Jeder, der eine kriminelle Handlung begeht, ist ein ungeduldiger Mensch. Er tut etwas, nimmt sich etwas oder macht etwas, was er eigentlich noch nicht darf und was er mit anderen Mitteln nicht erreichen kann.
Die dritte Möglichkeit – und um diese geht es heute Morgen – ist, dass ich das Warten bewusst annehme. Ich sage: Ja, ich muss warten. Ja, ich habe das, was ich gern möchte, noch nicht, aber ich behalte es im Auge. Ich fokussiere meinen Blick auf das, worauf ich warte, halte daran fest und will die Spannung aushalten, bis ich es erlebe.
Wenn ich lerne, die Spannungen des Wartens auszuhalten, dann werde ich reif. Das ist es, was Reife in unserem Leben auslöst. Etwas zu wollen, es aber noch nicht bekommen zu können und trotzdem dran zu bleiben – das macht uns zu Persönlichkeiten, das macht uns zu Menschen mit Profil.
Geduld als Lebensprinzip – Biblische Beispiele
Ich habe drei Punkte. Erstens: Wir brauchen Geduld für unser Leben. Das Warten gehört zum Leben dazu. Ungeduld hingegen macht das Leben kaputt. Dazu gibt es viele Geschichten in der Bibel. Von den Persönlichkeiten der Bibel können wir lernen.
Ein Beispiel ist Abraham. Er musste auf seinen Sohn warten, bis er hundert Jahre alt war. Das wünsche ich niemandem von euch. Er musste so lange warten, bis endlich ein Nachkomme da war. Man würde sich fragen: „Meine Güte, Kinder sind schön, aber warum so lange warten?“ Man muss verstehen: Für Abraham lag in einem Sohn die Ewigkeitsperspektive. Sein Leben ging weiter in seinen Kindern. Die hatten noch nicht die Ewigkeitshoffnung, die im Neuen Testament mit der Auferstehung Jesu Christi sichtbar wird. Deshalb war dieser Sohn für Abraham so wichtig. Sein Leben endet nicht sinnlos, sondern es geht weiter in diesem Sohn.
Doch Abraham konnte auch nicht warten. Irgendwann sagte er sich: „Das muss doch schneller gehen!“ Wer die Geschichte kennt, weiß, was dann passiert. Vielleicht dachte Abraham, Gott könnte gemeint haben, er könnte auch mit seiner Magd Hagar einen Sohn zeugen. Rechtlich wäre dieser Sohn dann auch sein Sohn, und juristisch der Sohn seiner Frau, auch wenn sie nicht die Mutter war. Also stieg Abraham mit seiner Sklavin Hagar ins Bett und zeugte einen Sohn. Doch das war nicht das, was Gott gemeint hatte. Die Verheißung galt ihm und seiner Frau Sarah.
Aus Abrahams Ungeduld entstand viel Leid – für seine Frau, für die Sklavin Hagar, für deren Sohn und für ihn selbst. Erst als Abraham gelernt hatte, sehr lange zu warten, begann Gott, sein Leben durch diesen Sohn zu segnen.
Ähnlich ist es bei Mose. Der junge Mose war ein ungeduldiger Mensch. Er sah, wie sein Volk unterdrückt wurde, und sein Ärger wuchs. Er sah, wie ein Ägypter einen Hebräer schlug, und er rastete aus. Er schlug zurück, so heftig, dass der Ägypter tot war. Jede kriminelle Handlung ist eine Form der Ungeduld, und so war es auch bei Mose. Er wollte etwas tun, wollte nicht warten, wollte seinem Volk helfen. Doch in seiner Ungeduld tat er das Falsche.
Was machte Gott? Mose musste fliehen. Der ungeduldige Revolutionär, der sein Volk befreien wollte und in seiner Ungeduld Mist gebaut hatte, wurde von Gott vierzig Jahre in die Wüste geschickt. Dort hütete er Schafe. Mose war ein Heißblutdynamiker, und Gott setzte ihn 40 Jahre in die Wüste zum Schafehüten – das beste Ausbildungsprogramm für Geduld.
So zeigt sich, was Gott für Mose vorgesehen hatte und was er für seine Aufgabe brauchte. Mose wusste nicht, dass er einmal sein Volk aus der Gefangenschaft führen sollte. Er wusste nicht, dass er der große Befreier seines Volkes werden würde. Aber Gott schickte ihn 40 Jahre zum Schafehüten in die Wüste.
Wir hätten ihn vielleicht auf Führungs- und Leitungsakademien geschickt oder in die Politik. Doch Gott schickte ihn zum Schafehüten – ein wunderbares Ausbildungsprogramm für Geduld. Erst als Mose das absolviert hatte, rief Gott ihn, um sein Volk aus Ägypten zu führen.
Ungeduld bringt Leid. Das sieht man auch an Amnon, einem Sohn Davids. Amnon war Hals über Kopf verliebt – seine Hormone spielten verrückt. Er war in seine Halbschwester Tamar verliebt. Damals war eine solche Verwandtschaftsbeziehung kein Hindernis für eine Ehe.
Amnon überlegte, wie er Tamar für sich gewinnen könnte. Er hatte eine Idee: Er stellte sich krank, schmachte, keuchte und hustete. Dann sagte er zu König David: „Papa, ich bin krank.“ David antwortete: „Ja, mein Sohn, das sehe ich.“ Amnon bat um eine Krankenschwester, und David stimmte zu. Schließlich bat Amnon um Tamar, seine Halbschwester, die gute Kuchen backte. Ob Kuchen wirklich bei der Genesung half, ist fraglich, aber David schickte Tamar.
Tamar war ein gehorsames Mädchen und kam. Doch Amnons Hormone spielten verrückt, und er fiel über sie her. Tamar sagte klug: „Stopp! Es ist nicht so, dass ich dich nicht möchte. Es ist nicht so, dass ich dich hässlich oder unsympathisch finde. Aber, lieber Amnon, lass uns bitte die Reihenfolge einhalten. Frag erst Papa David, dann lass uns heiraten, und dann läuft der Rest.“ Doch Amnon wollte das nicht. Er vergewaltigte Tamar.
Durch seine Ungeduld zerstörte er das Leben von Tamar und sein eigenes. Er zerstörte die Liebe, die Beziehung und die Zukunft von Tamar und sich selbst. Ein Bruder wird ihn wegen dieser Tat töten.
Ein kleiner vertraulicher Tipp: Lasst euch niemals auf Menschen ein, die nicht warten können. Ihr werdet immer nur Glück mit Menschen finden, die gelernt haben, im Leben zu warten.
Gottes Zeit und die Bedeutung des geduldigen Wartens
Gott ist ein Gott, der Zeit hat. Denkt an Abraham und Mose. Bei uns geht es vielleicht um Jahre, bei ihnen um Jahrzehnte. Ihr werdet größer und stärker werden durch das Warten.
Gott hat Zeit. Nur dumme Menschen meinen, keine Zeit zu haben. Geduldiges Warten ist ein zentraler und wichtiger Ausdruck des Glaubens. Somit ist das Warten ein Grundkurs des Lebens.
Aus diesen Geschichten lernen wir noch etwas anderes: Wenn Gott nicht sofort zu allem Ja sagt, heißt das nicht, dass er Nein sagt. Meistens sagt Gott in unserem Leben: noch nicht. Wir hören bei einem „noch nicht“ oft nur ein Nein, aber das hat Gott nicht gesagt. Wenn er „noch nicht“ sagt, dann ist das nicht Nein, sondern eigentlich Ja – aber eben jetzt noch nicht, sondern erst in einiger Zeit, in einigen Jahren. Das ist das, was Gott sagt, und wir hören immer nur Nein.
Gott kennt den richtigen Zeitpunkt für die Dinge. Er weiß, wann Dinge gut sind. Wenn wir Dinge nehmen, die eigentlich gut sind, zu einem Zeitpunkt, an dem sie nicht gut sind, dann werden Dinge, die gut sind, auf einmal schlecht.
Im Alten Testament gibt es den Prediger, der nur „Prediger“ heißt. Wahrscheinlich war es Salomo, wir wissen es nicht genau. Er hat einmal diesen klugen Satz gesagt: „Alles hat seine Zeit im Leben.“ Es gibt einen klugen Zeitpunkt für fast alle Dinge des Lebens. Auch das Reifen hat seine Zeit, und die Erfüllung hat ihre Zeit. Aber eben alles zu seiner Zeit – dann wird es gut.
Das gilt auch für das Thema Ausbildung und Beruf. Wenn ich mir und Gott nicht die Zeit gebe, mich auf einen Beruf und auf eine Berufung richtig vorzubereiten, dann ist es nicht so, dass Gott mich nicht gebrauchen könnte. Nein, das schon. Aber in aller Regel und aller Wahrscheinlichkeit kann Gott dich mehr und besser gebrauchen, wenn du ihm Zeit zur Ausbildung gibst.
Wir haben heute viele Jungunternehmer in unseren Gemeinden, junge Menschen, die sehr schnell viele Dinge hochziehen möchten – die Macher sind. Das ist toll, das ist gut. Aber wir merken es an den beiden Zeugnissen hier: Wenn man Gott die Zeit gibt, einen ausbilden zu lassen, kann man mehr erreichen, als wenn man ihm diese Zeit nicht gibt.
So eine Übersetzungsarbeit, eine Bibelübersetzungsarbeit, braucht viel Know-how. Man wird nachher dankbar sein für Dinge, die man gelernt hat, wenn man sie braucht. Indem du Gott die Zeit gibst, dich ausbilden zu lassen, lässt du dich zurüsten für eine Berufung.
Ich wohne jetzt im Schwarzwald in Calw, und der berühmteste Sohn von Calw ist Hermann Hesse. Nun gehört Hermann Hesse vielleicht nicht zu den Kirchenvätern, aber er hat manches Kluge gesagt. Da ist mir ein Zitat in die Finger gekommen, das ich richtig gut finde. Da muss ich sagen, hat er etwas Kluges gesagt:
„Geduld ist das Schwerste und das Einzige, was zu lernen sich lohnt. Alle Natur, alles Wachstum, aller Friede, alles Gedeihen und Schön auf der Welt beruht auf Geduld. Braucht Zeit, braucht Stille, braucht Vertrauen.“
Dazu kann man nur Ja und Amen sagen. Das könnte auch ein Mensch der Bibel geschrieben haben. Warten und Geduld sind die Grundbedingungen des Lebens.
Geduld im Umgang mit anderen Menschen
Ein zweites
Wir brauchen Geduld mit anderen Menschen. Etwas vom Erstaunlichsten in den Evangelien ist für mich die Geduld, die Jesus mit seinen Jüngern hat.
Da gibt es diese Szene ganz im Norden von Israel, in Caesarea Philippi. Jesus fragt seine Jünger, was die Leute von ihm halten. Er hat sie zuvor ausgesandt, und nun möchte er wissen, was sie zurückberichten. Die Jünger antworten, dass manche sagen, Jesus sei ein Prophet, andere meinen, er sei sogar der Elija, der wiederkommt. Dann fragt Jesus seine Jünger direkt: „Und ihr, wer glaubt ihr, dass ich bin?“ Petrus antwortet, aber darauf will ich jetzt nicht näher eingehen.
Was mich an dieser Geschichte fasziniert, ist, dass Jesus sich zwei Jahre Zeit gelassen hat, um diese Frage zu stellen. Er hat nicht nur sich selbst zwei Jahre Zeit gegeben, sondern auch seinen Jüngern. Zwei Jahre waren sie mit ihm unterwegs, sind durch dick und dünn gegangen, Tag und Nacht mit ihm zusammen. In dieser Zeit durften sie herausfinden, wer Jesus wirklich ist und was er tut. Erst nach zwei Jahren verlangt er von ihnen eine verbindliche Antwort.
Jesus drängelt nicht, das lerne ich aus dieser Geschichte. Er manipuliert nicht. Und wenn Jesus es sich leisten konnte, seinen Jüngern Zeit zu lassen, dann sollten auch wir uns diese Geduld leisten können. Jeder Mensch, besonders jeder junge Mensch, hat das Recht, Zeit zu haben, um eine Antwort auf die Frage nach Jesus zu finden. Niemand sollte wegen dieser Frage gedrängt werden.
Wir sollten nicht denken, dass Jesus diese Geduld leichtgefallen wäre. Er hat gelitten, weil seine Jünger oft begriffsstutzig waren. Mit den Emmaus-Jüngern unternahm er einen etwa elf Kilometer langen Spaziergang – eine Art Wanderbibelschule. Er ließ sie erst einmal ihre Enttäuschung ausdrücken: Sie hatten gehofft, er sei derjenige, der Israel erlösen würde. Nach etwa zwei Kilometern sagt Jesus dann zu ihnen: „Ihr tauben Holzköpfe, ihr seid träge im Herzen“ – Luther formuliert das etwas schwülstig, aber man könnte auch sagen: „Ihr begriffsstutzigen Schwachköpfe, ihr kapiert es immer noch nicht.“
Jesus hat darunter gelitten, dass seine Jünger so langsam verstanden. Doch er ließ ihnen Zeit. Den Emmaus-Jüngern gab er elf Kilometer Zeit und ein gemeinsames Abendessen, bis sie endlich begriffen, worum es ging. Jesus hat unter dieser Geduld gelitten, aber er hatte sie.
Indem Jesus mit seinen Jüngern Geduld hatte, hat er sie zu dem gemacht, was er später brauchte. Als er auf dem Berg zu ihnen sagte: „Geht hin in alle Welt und macht zu Jüngern alle Völker“, waren es Menschen, die Geduld gelernt hatten.
Man muss sich das einmal vorstellen: Sie waren elf Jünger, und dann sollten sie zu allen Völkern gehen. Damals wussten sie noch nicht einmal, dass es Amerika gab. Für sie endete die Welt kurz vor Indien. „Wir sind schon elf, wenn wir uns beeilen, sind wir vielleicht in drei Jahren fertig“, so hätten sie vielleicht gedacht. Die Aufgabe, alle Völker zu Jüngern zu machen, war riesig. Das hält man nur aus, wenn man Geduld gelernt hat. Diese Geduld hatte Jesus mit seinen Jüngern, und diese Geduld hat er ihnen beigebracht. Er hat Vertrauen investiert.
Mission ist immer eine Frage der Geduld. Das gilt auch für die Jugendarbeit vor Ort, für eure Jugend- und Gemeindearbeit. Du wirst deinen Jugendkreis oder Hauskreis niemals mit einer Revolution voranbringen. Du wirst sie nicht voranbringen, wenn du eine Bombe unter den Sessel legst und auf eine geistliche Explosion hoffst. Du wirst sie auch nicht voranbringen, wenn du dich nur müde in den Sessel setzt.
Worum es immer geht, ist eine Reformation der Gemeinde, nie eine Revolution. Ich habe großen Respekt vor Menschen, die mit großer Geduld Jugendarbeit machen. Jugendarbeit kann eine frustrierende Angelegenheit sein. Nach drei Jahren kann man immer noch am Anfang stehen. Nach drei oder vier Jahren sitzt man vielleicht immer noch mit einem kleinen Haufen von fünf oder sechs Teenagern zusammen.
Jetzt kann man zwei oder drei Dinge tun: Man kann resignieren und sagen, es hat keinen Wert, es macht keinen Sinn, man schmeißt den Bettel hin und sagt: „Leute, ihr seid zu träge, zu müde, rutscht mir den Buckel runter und geht wieder heim.“ Dann hat man alles weggeschmissen.
Man kann auch ungeduldig werden und die Menschen bedrängen: „Freunde, heute Abend bekehrt ihr euch, und wenn nicht, dann mache ich euch so zur Sau, dass ihr kleinlaut wieder rausgeht.“ Das ist die Form der Revolution, der Ungeduld.
Oder man sagt: „Okay, wir machen diesen Club jetzt vier Jahre, und es sind immer noch die gleichen fünf oder sechs wie am Anfang. Sie sind genauso untreu wie vorher, kommen mal, kommen mal nicht. Es geht mir furchtbar auf die Nerven. Aber ich will Jesus danken, dass sie immer noch da sind. Ich will Jesus danken, dass sie noch ein Ohr für eine Andacht haben. Ich will Jesus danken, dass vielleicht der eine oder andere heute sogar mit auf die Jugendfreizeit gegangen ist. Und ich will das noch mal vier Jahre machen.“
Wenn Mose 40 Jahre beim Schafehüten in der Wüste ausgehalten hat, will ich es auch 40 Jahre aushalten. Und wenn am Ende immer noch diese fünf oder sechs in einem etwas verstaubten Hauskreis zusammen sind, will ich Gott auch dafür danken.
Das ist die Perspektive des Reiches Gottes: Ich habe Geduld mit Menschen, weil ich mich vielleicht gelegentlich daran erinnere, dass Gott auch Geduld mit mir hatte – Geduld mit mir und meiner Trägheit.
Geduld in der Mission und im gesellschaftlichen Kontext
Das gilt auch für die Mission.
Heute wird oft der schlechte Ruf von Missionaren und von Missionsmethoden kritisiert, die mit dem Dampfhammer Menschen bekehren wollten. In einem amerikanischen Missionsbuch habe ich einmal gelesen: Einen Menschen zu Jesus zu führen, ist nicht viel anders, als ihm eine Waschmaschine zu verkaufen. Solche Missionare haben dann auch das Image von Waschmaschinenverkäufern – und genau das kommt dabei heraus.
Wenn es darum geht, dass ihr Menschen für Jesus Christus begeistern wollt, braucht ihr viel Zeit und Geduld. Wir Menschen sind oft auf schnelle Ergebnisse fokussiert und reagieren dann häufig überproportional stark auf Enttäuschungen. Doch das, was Gott tut, geschieht meistens sehr langsam und sehr leise.
Dafür brauche ich neue Augen, erleuchtete Augen des Herzens, damit ich das, was Gott leise und langsam tut, sehen kann und nicht über die langsamen Ereignisse frustriert werde. Ein guter Freund hat einmal einen treffenden Satz gesagt: „Weißt du, ein Baum, der fällt, macht mehr Krach als ein Wald, der wächst.“
Noch einmal: Ein Baum, der fällt, macht mehr Krach als ein Wald, der wächst. Beim Wind, beim Sturm – wie zum Beispiel bei Orkan Lothar vor zehn Jahren – hat man krachende Bäume gesehen und dann gesagt: „Dieser Wald ist kaputt.“
Doch wir haben selten die Augen dafür, dass gleichzeitig ein ganzer Wald stetig wächst. Vielleicht betrachtest du mal deinen Jugendkreis und deine Gemeinde unter diesem Blickwinkel. Ja, da gibt es fallende Bäume, Menschen, die dich enttäuschen, Menschen, die dich frustrieren, Menschen, die den Glauben wegwerfen.
Und gleichzeitig gibt es vielleicht viele Menschen, die nicht sehr spektakulär auftreten, bei denen aber ein ganzer Wald ganz langsam und leise am Wachsen ist. Fang an, Gott dafür zu danken, und du wirst Geduld lernen.
Geduld für die Welt und gesellschaftliche Verantwortung
Ein Drittes
Wir brauchen Geduld für diese Welt. Die drei Möglichkeiten, von denen ich immer wieder gesprochen habe, gelten auch für die Not dieser Welt. Diese Welt ist zum Aus-der-Haut-Fahren, sie ist von einer erbärmlichen Not geschüttelt.
Ich habe wieder die drei Möglichkeiten: die der Resignation, die der Revolution oder die der Reformation.
Ich kann zum Zyniker werden und sagen: Diese Welt ist halt, wie sie ist. Solange ich meine Sportscham in der Chipstüte in der Hand habe, kratzt mich diese Welt nicht. Wenn ich mich in den Sessel setze und die Welt mir egal sein lasse, dann resigniere ich. Dann werde ich keine Frucht bringen in dieser Welt.
Ich kann zum Revolutionär werden. Im Grunde steckt hinter jedem jungen islamischen Terroristen ein ungeduldiger Mensch. Es gibt leidenschaftliche Muslime in dieser Welt, die die Welt verändern wollen. Manchmal kann man sie in mancher Hinsicht auch verstehen. Aber sie haben keine Geduld.
Nun gibt es glücklicherweise viel friedlichere christliche Terroristen, die ebenfalls keine Geduld haben. Sie wollen etwas zwanghaft gewaltsam verändern und kommen damit auch nicht durch.
Einer, der sich nicht mit den Dingen abfinden wollte, wie sie waren, war vor 500 Jahren Thomas Münzer. Ich weiß nicht, ob ihr mal von ihm gehört habt. Er war ein Zeitgenosse von Martin Luther, ging aber einen ganz anderen Weg als dieser.
Münzer kam aus einer bettelarmen Familie, ist mit Hunger und bitterer Armut aufgewachsen. Er hat am eigenen Leib erfahren, wie ungerecht die Welt war. Feudalherren hatten unglaubliche Reichtümer, während er nicht das Nötigste zum Essen hatte. Menschen verhungerten.
Er litt unter dieser zum Himmel schreienden Ungerechtigkeit. Schließlich platzte ihm der Kragen über diesen Mangel. Er begann, wie Mose, die Ägypter zu erschlagen – nicht die Ägypter, sondern reiche Menschen.
Er sah sich vom Heiligen Geist zum Vollstrecker des göttlichen Gerichts berufen. Am Ende predigte er nicht mehr das Evangelium, sondern nur noch Hass und Gewalt. Er führte die fanatisierten Bauern in den Bauernkriegen an.
Münzer konnte das Warten nicht mehr ertragen. Er wurde zum frommen Terroristen. Er hielt die Dunkelheit dieser Welt nicht mehr aus. Doch das Reich Gottes hat er damit nicht vorangebracht. Es war wie bei Mose: Seine Ungeduld war untauglich für das Reich Gottes.
Man kann auch als Christ zum Terroristen werden. Ob das geschieht, hängt davon ab, ob ich das Warten gelernt habe.
Karl Popper hat einmal gesagt: Die, die den Himmel auf Erden errichten wollen, haben immer nur die Hölle errichtet. So war es bei vielen, auch bei Münzer.
Sein Zeitgenosse Martin Luther sah die gleichen Umstände und die gleiche Not dieser Welt. Aber er entschied sich nicht für die Revolution, sondern für die Reformation.
Die Tatsache, dass wir heute hier sitzen, ist eine Folge seiner Reformation. Sie ist eine Folge davon, dass er die Geduld hatte, Menschen mit dem Wort Gottes etwas aufs Ohr zu geben und Geduld mit ihnen zu haben. Er glaubte daran, dass sich etwas durch das Wort Gottes im Leben von Menschen verändert.
Wir sind meistens, ich eingeschlossen, Menschen, denen die Revolution näherliegt als die Reformation. Wir sind ungeduldig und wollen eigentlich lieber ganz schnell etwas erneuern, ganz schnell etwas bewegen, ganz schnell etwas aufbauen. Am besten wären wir gestern schon fertig.
Für uns ungeduldige Revolutionäre ist es immer ein bitteres Lernen, bis wir begreifen, dass die Dinge, die vor Gott Bestand haben, die Dinge, die einmal in der Ewigkeit wiedergefunden werden, immer aus einer Reformation entspringen und nicht aus einer Revolution.
Die Dinge wachsen manchmal leise und langsam, wie ein Wald. Aber am Ende werden sie in Gottes Ewigkeit wiedergefunden.
Wir brauchen einen langen Atem für das Reich Gottes.
Die Belohnung des Wartens – Hoffnung und Erfüllung
Und noch ein Letztes zum Schluss: Wer warten kann, der wird belohnt.
Das merkt man übrigens an den Weihnachtsgeschichten der Bibel, die gerade in der Weihnachtszeit uns oft auf die Ohren gegeben werden. Beim Warten auf Jesus kann man das lernen.
Es gab damals im Judentum drei Gruppen, die auf den Messias warteten. Da waren die Sadduzer, die sich mit den Verhältnissen dieser Welt arrangiert hatten. Sie hatten resigniert. Dann gab es die Pharisäer, die sagten: Wenn ganz Israel, wenn alle Juden an einem Sabbat alle 613 Gebote und Verbote des Alten Testaments halten, dann kommt der Messias. Jetzt müssen wir alle dazu bringen, gehorsam zu sein, damit der Messias kommt.
Und schließlich gab es die Zeloten, die zu Terroristen und Revolutionären wurden. Sie wollten mit Terror das Reich Gottes herbeizwingen. Bei all diesen Gruppen hat das nicht funktioniert – es waren kriminelle Akte der Ungeduld.
Dann gab es diesen Simeon, diesen alten, zittrigen Mann, von dem in der Bibel steht, dass er fromm und gottesfürchtig war und wartete. Simeon war ein Wartender auf den Trost Israels. Es heißt weiter, dass der Heilige Geist mit ihm war.
Dieser wartende Simeon, der alte, tattrige Mann, erlebt die Erfüllung seines Wartens. Irgendwann kommt ein junges Ehepaar in den Tempel. Sie haben ein frisch geborenes Kind auf dem Arm. Dann geht Simeon, schwankend und zittrig, auf das Ehepaar zu. Er nimmt der jungen Mutter das Kind aus dem Arm und hält es in seinen Händen. Plötzlich beginnen seine Augen zu leuchten und zu strahlen.
Dann sagt er: „Jetzt, jetzt haben meine Augen dein Heil gesehen. Jetzt sehe ich das, worauf ich ein langes Leben gewartet habe. Meine Augen haben dein Heil gesehen.“
Wer warten kann, der wird sehen. Wer warten kann, wird Erfüllung erleben. Wer im Leben warten kann, wird das Heil Gottes in seinem Leben sehen. Er wird das Heil Gottes in seiner Gemeinde entdecken und auch in dieser Welt, wie das Reich Gottes langsam und stetig wächst und groß wird.
So etwas werden nur Menschen sehen, die warten können.
Schlussgebet
Ich danke euch für euer geduldiges Zuhören. Ihr habt lange gewartet. Nun möchte ich ein Gebet sprechen.
Herr Jesus Christus, wir sind ungeduldige Menschen. Wir sehnen uns danach, dass sich etwas in unserem Leben verändert, in unseren Jugendkreisen und Gemeinden. Wir wünschen uns, dass sich auch in dieser Welt etwas verändert.
Doch dann führst du uns auf einen Weg des Wartens. Das tut weh und ist anstrengend.
Wir wollen dich um Kraft bitten. Wir wollen dich um Geduld bitten. Wir bitten dich, dass du uns an die Hand nimmst und uns zu Menschen formst, die zu deiner Ehre handeln. Menschen, die zum rechten Zeitpunkt das Richtige tun und geduldig warten können, bis diese Zeit gekommen ist.
Gebrauche uns, schule uns, rüste uns aus und schenke uns die Geduld dazu. Amen.