
Immer wieder stoßen wir in unserem Alltag auf Vermisstenanzeigen. Bei uns im Dorf geht es dabei meistens um Katzen. Man geht spazieren durch das Dorf und sieht dann an einer Laterne einen Zettel, der einfach mit Tesafilm provisorisch aufgehängt ist. Darauf ist ein Bild von einer Katze, eine Handynummer, und es wird deutlich: Hier vermisst jemand seine Katze.
Viel dramatischer werden Vermisstenanzeigen, wenn es um Menschen geht. Ich kann mich noch erinnern: Vor einiger Zeit war ich in Texas und bin in einen Walmart gegangen. Am Eingang war eine große Wand mit verschiedenen Bildern von Leuten, die vermisst werden. Das macht einen schon betroffen, wenn man so etwas sieht.
Es gibt ganz unterschiedliche Arten von Vermisstenanzeigen, aber eines haben sie alle gemeinsam: Vermisstenanzeigen wollen nicht einfach nur über das Vermissen informieren, sondern sie bitten um Handlung.
Heute stellt der Apostel Paulus in unserem Predigttext der Gemeinde in Korinth eine Vermisstenanzeige aus. Es gibt etwas in Korinth, das Paulus schmerzlich vermisst, und das ist ihre geistliche Reife. Dementsprechend lautet das Thema meiner heutigen Predigt: Vermisst geistliche Reife.
Wir sind im ersten Korintherbrief in meiner Predigtreihe, in Kapitel drei angekommen. Eigentlich wollte ich das komplette Kapitel predigen, alle 23 Verse. Das wäre für mich persönlich attraktiv gewesen, weil ich so in meiner Reihe schneller vorankommen würde. Wir haben ja noch ein paar spannende Themen vor uns im ersten Korintherbrief. Erst kürzlich kam eine Schwester aus der Gemeinde auf mich zu und wollte wissen, was ich denn zu Kapitel elf zur Kopfbedeckung sagen werde. Vielleicht wollte sie mir auch sagen, was ich sagen soll – ich weiß es nicht.
Aber im Laufe der Vorbereitung ist mir zunehmend klarer geworden: Nein, ich werde nicht das ganze Kapitel predigen. Ich beschränke mich auf die ersten vier Verse, in denen es um geistliche Reife geht. Denn wir als Gemeinde brauchen dieses Thema dringend.
Wir wachsen zwar stark zahlenmäßig, aber was wir so dringend brauchen, ist auch Wachstum in die Tiefe. Was wir so dringend brauchen, ist geistliches Wachstum, Wachstum in der Reife. Damit spreche ich heute nicht nur Neubekehrte an. Diese Predigt ist vielleicht sogar noch mehr für die „alten Hasen“ – ich sage es jetzt mal ganz liebevoll –, damit sie sich auch mal die Frage stellen: Wie sieht es denn mit meinem Wachstum aus?
Ich lese den Bibeltext für heute einmal am Stück vor, und dann arbeiten wir uns wieder Vers für Vers durch.
1. Korinther 3,1-4:
Da schreibt der Apostel Paulus an die Christen in Korinth:
„Und ich, Brüder – die Schwestern sind genauso gemeint –, konnte nicht zu euch reden als zu Geistlichen, sondern als zu Fleischlichen, als zu Unmündigen in Christus. Ich habe euch Milch zu trinken gegeben, nicht feste Speise, denn ihr konntet sie noch nicht vertragen. Ihr könnt es aber auch jetzt noch nicht, denn ihr seid noch fleischlich. Denn wo Eifersucht und Streit unter euch ist, seid ihr da nicht fleischlich und wandelt nach Menschenweise? Denn wenn einer sagt: ‚Ich bin des Paulus‘, der andere aber: ‚Ich des Apollos‘, seid ihr da nicht menschlich?“
Ich möchte in meiner heutigen Predigt auf drei Punkte eingehen, die dieser Text hergibt:
Erstens sprechen wir über die Feststellung der fehlenden Reife,
dann über die Symptome der fehlenden Reife
und am Ende, im dritten Punkt, über die eigentliche Ursache der fehlenden Reife.
Wir kommen zunächst zum ersten Punkt, der Feststellung der fehlenden Reife. Paulus schreibt: „Und ich, Brüder, konnte nicht zu euch reden, als zu Geistlichen, sondern als zu Fleischlichen, als zu Unmündigen in Christus.“
In den vorherigen Versen spricht Paulus über den geistlichen Menschen, also den, der den Geist empfangen hat. Diesen Geist erhalten wir alle bei der Wiedergeburt, nicht irgendwann später als zweites übernatürliches Ereignis. Dadurch haben wir jetzt eine geistliche Antenne und können geistliche Wahrheiten verstehen. Ein Mensch ohne diese geistliche Antenne kann das nicht.
Dennoch konnte Paulus zu den Korinthern nicht wie zu geistlichen Menschen sprechen. Obwohl sie Christen sind, konnten sie Geistliches irgendwie noch nicht verstehen. Er bezeichnet sie hier als fleischliche Menschen, als Unmündige in Christus. Das heißt, er schreibt ihnen das Heil nicht ab. Sie sind in Christus, aber sie sind Unmündige in Christus. Sie sind schon geheiligt. Es handelt sich um die gleiche Personengruppe, die er in Kapitel 1 als Heilige anspricht, aber sie sind immer noch unmündig.
Schaut mal: Der erste Korintherbrief beginnt mit viel Zuspruch, aber jetzt verpasst Paulus den Korinthern eine kalte Dusche. Das hier ist eine Schocktherapie für die Korinther, die viel von sich selbst gehalten haben. Paulus bewertet die Sache anders. Er sagt: „Ihr seid Unmündige in Christus.“
Als Unmündige werden Kinder bezeichnet, und im Griechischen gibt es mehrere Begriffe, um ein Kind zu beschreiben. Hier wird ein Begriff verwendet, der ein Kleinkind meint. Paulus sagt also, ihr seid Kleinkinder im Glauben. Mit anderen Worten: Geistlich gesehen seid ihr nicht auf dem Reifestand, auf dem ihr längst sein solltet.
Jetzt müssen wir natürlich festhalten: Es ist normal, dass es in einer gesunden Gemeinde immer geistlich unterschiedliche reife Christen gibt. Gerade wenn neue Leute zum Glauben kommen, gibt es auch immer die Neubekehrten, und das macht das Ganze ja so erfrischend.
Paulus gesteht sehr wohl auch solche Situationen ein. Er geht davon aus, dass die Menschen in der Gemeinde in der Regel einen unterschiedlichen Reifegrad haben. Zu den Christen in Rom schreibt er zum Beispiel in Römer 14,1: „Den Schwachen im Glauben nehmt an.“ Das heißt, die Starken im Glauben in der Gemeinde sollen sich um die Schwachen im Glauben kümmern.
Aber in Korinth sagt er das hier der ganzen Gemeinde. Das ist der entscheidende Unterschied. Paulus sagt das pauschal. Er sagt nicht, dass es da Reifeunterschiede gibt, sondern er sagt: Ihr seid alle, alle immer noch Kleinkinder.
Bei den Thessalonichern sieht Paulus auch noch Wachstumsbedarf, wenn er schreibt in 1. Thessalonicher 3,10: „Wobei wir Tag und Nacht aufs Inständigste bitten, euer Angesicht zu sehen und das zu vollenden, was an eurem Glauben mangelt.“
Interessanterweise kritisiert Paulus das jetzt aber nicht im Hinblick auf die Thessalonicher. Warum nicht? Die Umstände waren ganz anders als in Korinth. Paulus hat die Gemeinde in Thessalonich gegründet und musste dann ganz plötzlich aufgrund von Verfolgung in einer Nacht-und-Nebel-Aktion fliehen. Das heißt, sie waren erst drei Wochen oder so im Glauben, und Paulus musste weg. Es ist verständlich, dass er hier schreibt: Ich will so gerne noch mal zu euch kommen, um euch weiterzuhelfen im Glauben.
In Korinth war die Situation aber eine ganz andere. Paulus war 18 Monate in Korinth. Stellt euch das mal vor: eineinhalb Jahre Jüngerschaftskurs mit Paulus persönlich. Jeden Tag Bibelstudium mit Paulus – das ist ein geistliches Privileg, das die Korinther genossen haben.
Zu der Zeit, zu der Paulus den ersten Korintherbrief schreibt, ist es drei Jahre her, dass er aus Korinth weg war. Er war 18 Monate dort, das heißt, die Gemeinde ist viereinhalb Jahre alt. Das kann man ziemlich genau historisch datieren.
Die Christen, an die er jetzt schreibt, sind also mindestens viereinhalb Jahre im Glauben – drei bis viereinhalb Jahre. Paulus erwartet nach drei Jahren Christsein eine geistliche Reife. Er sagt, eigentlich müsstet ihr schon weiter sein.
Immer wieder stellt er im ersten Korintherbrief die Frage: Wisst ihr nicht? Nach dem Motto: Ihr solltet es eigentlich wissen, ich war bei euch, wisst ihr denn nicht?
In 1. Korinther 13,11 sagt Paulus: „Als ich ein Kind war, redete ich wie ein Kind, dachte wie ein Kind, urteilte wie ein Kind. Als ich ein Mann wurde, tat ich weg, was kindlich war.“
Das Problem ist, die Korinther haben immer noch nicht das weggetan, was kindlich war.
Nicht nur im ersten Korintherbrief, auch im Hebräerbrief finden wir eine ähnliche Anklage. Schaut mal in Hebräer 5,11: „Darüber haben wir viel zu sagen, und es lässt sich schwer darlegen, weil ihr im Hören träge geworden seid. Denn während ihr der Zeit nach Lehrer sein solltet, habt ihr wieder nötig, dass man euch lehrt, was die Anfangsgründe der Aussprüche Gottes sind.“
Das ist ziemlich ähnlich. Der Hebräerbriefschreiber sagt: Eigentlich müsstet ihr schon Lehrer sein. Ihr solltet diejenigen sein, die sich um die Neugläubigen kümmern. Aber ihr braucht wieder das ABC. Ihr seid selbst auf dem Stand eines Neubekehrten – und das nach vielen Jahren.
Genauso ist es auch in Korinth. Paulus vermisst hier schmerzlich die geistliche Reife.
Bevor wir im Text weitermachen, möchte ich einen kleinen Exkurs anführen und einige Klarstellungen zum Thema geistliche Reife machen.
Zunächst müssen wir festhalten, dass geistliche Reife nicht automatisch mit dem geistlichen Alter verbunden ist. Nur weil jemand schon zehn Jahre Christ ist, bedeutet das nicht automatisch, dass diese Person auch geistlich reif ist. Das sehen wir auch bei den Korinthern. Sie sind schon länger Christen, aber dennoch nicht reif. Geistliche Reife ist kein Automatismus und geschieht nicht einfach so.
Das bedeutet, dass durchaus jemand in der Gemeinde, der erst fünf Jahre im Glauben ist, reifer sein kann als eine Person, die schon zwanzig Jahre im Glauben ist. Geistliche Reife ist also nicht automatisch an das geistliche Alter gebunden. Sie sollte zwar damit einhergehen, doch die Realität zeigt, dass das nicht immer der Fall ist.
Weiterhin ist geistliche Reife nicht abhängig vom biologischen Alter. Natürlich geht geistliche Reife häufig mit dem biologischen Alter einher. Im Titusbrief werden zum Beispiel die älteren Schwestern der Gemeinde ermutigt, sich um die jüngeren Schwestern zu kümmern, auch altersmäßig jüngere Schwestern. Warum? In der Regel sind ältere Schwestern reifer als jüngere, aber das ist nicht automatisch so.
Paulus sagt zum Beispiel zu Timotheus, der jung war, dass er auch die älteren Brüder und Schwestern in der Gemeinde ermahnen soll, wenn diese unreif handeln. Timotheus war ein geistlich reifer Mann, ein junger Pastor in Ephesus. Das zeigt, dass es möglich ist, dass ein junger Mann oder eine junge Frau Anfang zwanzig geistig viel reifer sein kann als eine fünfzigjährige Person.
Geistliche Reife ist also nicht abhängig vom biologischen Alter und auch nicht einfach gleichzusetzen mit Lebenserfahrung. Ebenso ist geistliche Reife nicht dasselbe wie Bibelwissen oder theologische Erkenntnis.
In Korinth gab es zum Beispiel geistliche Erkenntnis, wie wir später in 1. Korinther 8 sehen. Die Korinther hatten geistliche Erkenntnis und pochten darauf, ohne Rücksicht auf das Gewissen anderer Geschwister, wenn es um das Götzenopferfleisch ging. Die geistliche Erkenntnis war offenbar vorhanden, aber die geistliche Reife fehlte. Diese hätte sich darin gezeigt, dass sie liebevoll gehandelt hätten.
Geistliche Reife darf auch nicht mit geistlicher Begabung verwechselt werden. Das sind zwei verschiedene Dinge. Geistliche Reife hat erst einmal nichts mit geistlicher Begabung zu tun. Die Korinther waren sehr begabt, und Paulus dankt ihnen dafür, dass sie viele Geistesgaben empfangen haben. Dennoch muss er sie in 1. Korinther 13 darauf hinweisen, dass sie diese Geistesgaben in Liebe ausüben sollen. Hier hätte sich geistliche Reife gezeigt – in der Liebe.
Geistliche Begabung betrifft unser Können, unsere Kompetenz sozusagen. Geistliche Reife betrifft hingegen unseren Charakter. Oswald Sender schreibt in seinem Buch „Zur geistlichen Reife“: Was wir sind, ist viel bedeutender als alles, was wir leisten. Gott geht es vor allem um unsere Charakterentwicklung, um die Christusähnlichkeit in uns.
Und damit kommen wir nun zu einer Definition: Was ist geistliche Reife? Geistliche Reife ist das Ergebnis eines Heiligungsprozesses und zeigt sich in einem Christusähnlichen Charakter. Das ist geistliche Reife. Einen reifen Menschen erkennst du daran, dass dich vieles an ihm an Jesus erinnert. Das ist ein geistlich reifer Mensch.
Aber geistliche Reife ist auch immer das Ergebnis eines längeren Prozesses. Dieser Prozess umfasst sowohl Gottes veränderndes Handeln in unserem Leben als auch unsere aktiven Entscheidungen.
Schaut mal: Wenn geistliche Reife nur Gottes Sache in unserem Leben wäre und wir selbst gar nicht gefragt wären, dann dürfte Paulus den Korinthern ja gar nicht vorwerfen, dass sie nicht geistlich reif sind. Aber er wirft es ihnen vor, weil es auch in ihrer Hand liegt. Es sind ihre Fehlentscheidungen, ihre falsche Haltung, die dazu führen, dass sie auch nach Jahren immer noch nicht im Glauben gewachsen sind – und das ist ein Problem.
Ich kann mich noch gut daran erinnern, als unsere Kinder sehr, sehr klein waren, dass wir dann zu den ganzen Untersuchungen beim Kinderarzt mussten. Die U1 wird ja direkt bei der Geburt gemacht, dann ein paar Tage später die U2, dann kommt die U3, die U4 und so weiter. Eine Sache macht der Kinderarzt bei jeder Untersuchung: Er wiegt das Kind und misst es. Eine wichtige Frage für den Arzt ist: Wächst das Kind? So soll ausgeschlossen werden, dass das Kind unterernährt ist oder eine Krankheit vorliegt.
Wächst das Kind? Wachstum ist der Normalfall. Wenn über Wochen und Monate kein Wachstum geschieht, wenn das Kind immer noch so klein bleibt, dann wissen wir alle, dass in der Kinderarztpraxis alle Alarmglocken läuten, weil Wachstum der Normalfall ist.
Aber mal ehrlich: Ich habe den Eindruck, dass wir uns als Christen manchmal viel zu schnell damit zufrieden geben, dass wir nicht wachsen. Dass wir Stillstand in unserem Glaubensleben erleben. Kann es sein, dass du schon einige Jahre Christ bist, aber in den letzten Jahren kaum gewachsen bist? Vielleicht gibst du dich damit zufrieden, schaust auf andere, die auch nicht wachsen, und sagst: So schlecht ist das mit mir ja doch nicht.
Ich muss klarstellen: Keiner von uns erlebt nur stetiges Wachstum. Das wäre schön. Bei keinem Christen geht es so steil bergauf, dauerhaft bis zu seinem Tod, bei niemandem. Wir alle erleben geistliche Dürrephasen, Zeiten der Stagnation und sogar Rückschritte in unserem Glauben.
Aber meine Frage ist: Wenn du mal die Makroperspektive einnimmst und auf deine letzten Jahre oder Monate schaust, kannst du sagen, dass es insgesamt deutlich nach oben ging – oder nicht? Das ist die Frage.
Und das betrifft nicht nur Neubekehrte. Schau mal: Anders als beim biologischen Wachstum sind wir beim geistlichen Wachstum nie irgendwann erwachsen, sodass wir nicht weiter wachsen müssen. Sogar ein geistlich reifer Mann wie Timotheus, der inzwischen Pastor geworden ist, sagt Paulus im 1. Timotheusbrief: „Lass dein Fortschreiten im Glauben allen offenbar werden.“ Das heißt, die Gemeinde sollte sogar an ihrem Pastor sehen, dass er geistlich wächst und Fortschritte macht. Jeder von uns ist gefragt.
Die Frage ist: Kannst du das gerade von dir sagen, dass es geistlich gesehen in die richtige Richtung geht?
Weißt du, ich möchte dich heute einladen, wenn das nicht so ist, dir das einzugestehen und aufzuhören, dich für einen so tollen Christen zu halten, nur weil du vielleicht viel Dienst hier in der Gemeinde leistest. Hab keine Angst davor, dich dieser traurigen Realität zu stellen, dass es in den letzten Monaten und vielleicht Jahren bei dir kein Wachstum gab.
Hab keine Angst davor, dich dieser schmerzhaften Realität zu stellen. Weißt du warum? Jesus liebt dich trotzdem. Jesus liebt dich trotzdem, und an seiner Annahme ändert das nichts. Aber du darfst nicht stehenbleiben, du darfst dich nicht damit zufrieden geben.
Am Ende meiner heutigen Predigt werde ich dir einige sehr praktische Schritte zeigen, wie du dich wieder auf einen Weg des geistlichen Wachstums begeben kannst.
In Korinth hat dieser Reifeprozess nicht wirklich stattgefunden. Aber woran macht Paulus das eigentlich fest? Er kann es ja nicht einfach so vorwerfen. Nein, Paulus nennt hier einige Symptome, einige Indikatoren für die fehlende Reife. Das bringt uns zum zweiten Punkt: die Symptome der fehlenden Reife.
Das erste Symptom, das Paulus hier nennt, ist ein begrenztes geistliches Aufnahmevermögen. Daran macht Paulus fest, dass sie nicht reif sind. Er sagt: „Ich habe euch Milch zu trinken gegeben, nicht feste Speise, denn ihr konntet sie noch nicht vertragen. Ihr könnt es aber auch jetzt noch nicht.“ Es ist ein sehr einleuchtendes Bild für uns alle, das kaum erklärt werden muss.
Paulus benutzt hier ein Bild aus der Ernährung. Säuglinge bekommen Milch, weil sie noch keine feste Nahrung essen können. Warum nicht? Weil ihre kleinen Mägen dafür noch nicht ausgelegt sind, sie können es noch nicht ertragen. Deshalb steht auf Babynahrung auch immer drauf, ab welchem Alter man sie füttern darf. Ein Säugling, ein Baby, braucht Milch.
Dieses Prinzip lässt sich auf das geistliche Wachstum übertragen. Am Anfang, als neugeborener Christ, kann man auch nicht alles verstehen – und das erwartet auch niemand. Da ist es wirklich wichtig, dass die Grundlagen gelegt werden, dass man Milch zu trinken bekommt. Darauf ist Rücksicht zu nehmen. Man kann nicht direkt Schwarzbrot geben.
Aber genauso unnatürlich, wie wenn ein Fünfjähriger immer noch aus der Milchflasche trinkt, ist es auch, wenn ein langjähriger Christ nur geistliche Milch trinkt. Er müsste längst Schwarzbrot essen.
Im Hebräerbrief finden wir eine sehr interessante Parallele zu unserem Korinthertext. Dort heißt es in Hebräer 5,12: „Denn während ihr der Zeit nach Lehrer sein solltet, habt ihr wieder nötig, dass man euch lehrt, was die Anfangsgründe der Aussprüche Gottes sind. Und ihr seid solche geworden, die Milch nötig haben und nicht feste Speise. Denn jeder, der noch Milch genießt, ist richtiger Rede unkundig, denn er ist ein Unmündiger. Die feste Speise aber ist für Erwachsene, die infolge der Gewöhnung geübte Sinne haben zur Unterscheidung des Guten wie auch des Bösen.“
Auch hier haben wir, wie in unserem Korinthertext, diese Gegenüberstellung von Milch und fester Speise. Das ist natürlich Bildersprache. Paulus hat den Korinthern ja nicht tatsächlich Milch von der Kuh gegeben; es ist ein geistliches Bild, das er hier verwendet.
Aber was möchte Paulus auf Sachebene damit deutlich machen? Einige Christen denken, die Milch sei das Evangelium, und die feste Speise seien dann die Anweisungen, wie wir als Christen zu leben haben. Ehrlich gesagt habe ich auch lange so gedacht, aber das ist falsch.
Das Evangelium ist nicht nur das ABC der Gemeinde. Das Evangelium beinhaltet die Milch, also die Grundlagen des Glaubens, und das Evangelium selbst. Die feste Speise meint die Implikationen und Schlussfolgerungen für das christliche Leben, die sich aus dem Evangelium ergeben.
Beides – sowohl Milch als auch feste Speise – sind immer gefüllt mit dem Evangelium. Das eine sind die Grundlagen, das andere die vertieften Implikationen aus dem Evangelium.
Der Autor Michael Horton schreibt dazu: „Das Evangelium ist nicht nur die Eingangstür ins christliche Leben, sondern der Weg des christlichen Lebens. Es ist nicht nur das Starthilfekabel, um das christliche Leben in Gang zu bringen, sondern der Motor, der das christliche Leben antreibt. Alles hängt mit dem Evangelium zusammen. Es gibt keine Lehre, die über das Evangelium hinausgeht. Keine gesunde Lehre, alles hängt immer mit dem Evangelium zusammen.“
Das eine sind die Grundlagen, das andere die vertieften Implikationen aus dem Evangelium.
Kann ich mal gerade was zu trinken haben? Danke dir.
Bei den Korinthern fand ich das komisch. Ist wirklich komisch, oder? Wenn ein erwachsener Mann aus einer Babyflasche trinkt. Mein Sohn kam gerade zwischen den Gottesdiensten zu mir und sagt: „Papa, mach das bitte nicht noch mal.“
Aber weißt du, genauso komisch – und jetzt werden wir mal wieder ernst – genauso komisch, wie wenn ein Prediger auf der Kanzel aus einer Babyflasche Milch trinkt, genauso komisch sollte es eigentlich sein, wenn du schon seit Jahren Christ bist, aber nur Milch verträgst.
Wenn du kaum im Wort bist, wenn du geistliche Wahrheiten nicht näher verstehst, wenn dir eine Predigt ganz schnell zu lang wird, wenn du maximal den Vers des Tages morgens liest, mehr aber auch nicht – dann kannst du es nicht vertragen.
Findest du dich da wieder? Weißt du, das Ganze hat eine Wechselwirkung. Weil du dich nur von geistlicher Milch ernährst, wächst du nicht. Aber weil du auch nicht wächst, kannst du nur geistliche Milch vertragen. Das Ganze hat eine gefährliche Wechselwirkung.
Trifft das auf dich zu?
Am Ende der Predigt möchte ich dir Schritte zur geistlichen Reife aufzeigen.
Es gibt aber noch ein weiteres Symptom für die fehlende Reife. Paulus begründet seinen Vorwurf mit dem Verweis auf zwischenmenschliche Konflikte. Das ist das weitere Symptom, wovon er schließt, dass sie unreif sind.
Warum? Es gibt Streitigkeiten in Korinth. Paulus sagt: „Denn ihr seid noch fleischlich. Wo Eifersucht und Streit unter euch ist, seid ihr dann nicht fleischlich und wandelt nach Menschenweise?“
Die Spaltungen in eurer Gemeinde, die Streitigkeiten, diese Eifersucht – sie zeigen Paulus, dass die Christen dort noch Kinder im Glauben sind.
Streitigkeiten hängen ja immer mit persönlichen Forderungen zusammen, richtig? Ich will unbedingt, dass du mir das gibst. Und wenn du mir das nicht gibst, haben wir ein Problem miteinander.
Das kennen wir aus dem Kinderzimmer, oder? Wer hatte das Spielzeug zuerst?
Die ganze Sache ist aber die: Das zeigt sich auch in Ehen und in unseren Beziehungen. Ich erwarte von dir etwas, eine persönliche Forderung in meinem Herzen, und daher rühren die Streitigkeiten. Du gibst mir nicht das, was ich unbedingt haben will.
Diese Ichbezogenheit, die den Streitigkeiten zugrunde liegt, zieht sich durch den ganzen ersten Korintherbrief.
In Kapitel 6 sehen wir, dass Christen aus der Gemeinde gegeneinander vor Gericht gehen. Warum? Weil jemand sein persönliches Recht nicht bekommen hat.
Im ersten Korintherbrief Kapitel 8 sehen wir, dass sie überhaupt keine Rücksicht auf das Gewissen der anderen nehmen. „Meine Erkenntnis, meine Agenda, und ich ziehe durch.“
Wir sehen es in Kapitel 11 beim Abendmahl: Die hauen sich schon die Bäuche voll und warten nicht mit dem Essen, bis die anderen da sind.
Diese Ichbezogenheit führt zu den Konflikten. Paulus sagt: Anhand dessen kann ich sehen, dass ihr noch so unreif seid.
Also kann man folgern: Eine Person, die ständig mit anderen Personen Probleme hat, ist geistlich nicht reif.
Wenn wir uns heute Morgen also die Frage stellen: Bin ich reif? Gibt es eine gewisse geistliche Reife in meinem Leben? Dann schau mal auf deine Beziehungen.
Wie ist deine Beziehung zu deinen Kindern gerade? Wie reagierst du, wenn eines deiner Kinder sich anders verhält, als du willst? Reagierst du mit Zorn?
Wie reagierst du im Straßenverkehr, wenn dir jemand die Vorfahrt nimmt? Wie reagierst du, wenn dein bester Freund oder deine beste Freundin einen Termin so plötzlich absagt?
Wie reagierst du als Ehefrau, wenn dein Mann euren Hochzeitstag vergessen hat oder wenn er dich einfach nicht versteht?
Du wünschst dir etwas, du bekommst es nicht von deinem Mann, deine Reaktion sagt sehr viel über deine geistliche Reife.
Kann es sein, dass du so viel Bitterkeit in dir trägst?
Einen reifen Christen erkennt man immer an geklärten Beziehungen, so viel an ihm liegt.
Weißt du, mit einem reifen Christen ist es unkompliziert, zusammen zu sein. Warum? Weil er Jesus ähnlich ist, und es ist unkompliziert, mit Jesus zusammen zu sein. Da streitet man sich nicht.
Einen reifen Christen erkennt man daran, dass man sehr gerne in seiner Gegenwart ist.
Einen reifen Christen kann man mit einem reifen Pfirsich vergleichen: Selbst unter Druck kommt es zu einer süßen Reaktion.
Wisst ihr, ich schätze dieses christusähnliche Aroma so sehr in unserem Pastorenteam.
Wenn ich mir mal die Frage stelle: Warum sind das meine Lieblingssitzungen in der Woche – und ich bin in einigen Sitzungen –, warum freue ich mich am meisten auf diese Sitzung? Da liegt die Antwort darin: Ich darf mit sieben anderen sehr geistlich reifen Männern zusammen sein.
In ihrer Gegenwart ist es einfach schön. Es ist schön, mit Leuten zusammen zu sein, die geistlich reif sind.
Ich gebe euch mal einen ganz kurzen Einblick, was wir in den Pastorensitzungen teilweise machen.
Wir besprechen immer am Mittwoch die Predigt, die am Sonntag gehalten wird. Das heißt, der Prediger muss bis Dienstag seine Predigt uns allen schicken.
Dann nehmen wir die Predigt, die Sonntag gepredigt wird, alle zusammen auseinander. Wir nehmen kein Blatt vor den Mund.
Ein Beispiel: Da ist ein Daniel Siemens, der heute nicht da ist, deswegen kann ich über ihn reden. Unser Daniel – liebe Grüße in den Livestream – er ist unser dienstältester Pastor.
Er reicht seine Predigt ein, und wir als jüngere Pastoren sagen ihm: „Nee Daniel, das kannst du so nicht predigen, ich würde das so und so machen.“
Daniel sitzt da und sagt: „Boah, danke Männer“, und er ändert es. So eine Demut! Und die zeigt sich in vielen anderen Dingen.
Deswegen ist es so schön, mit geistlich reifen Menschen zusammen zu sein.
Je reifer ein Christ ist, desto mehr genießt man die Gemeinschaft mit ihm.
Paulus hat hier zwei Symptome aufgezeigt, anhand derer er die fehlende Reife festmacht. Aber die Symptome zeigen ja wiederum nur ein Problem auf, das tiefer liegt.
Und dazu kommen wir jetzt im letzten Punkt: die Ursache der fehlenden Reife.
Ich lese noch einmal Vers 3: Denn wo Eifersucht und Streit unter euch ist, das ist das Symptom an der Oberfläche.
Jetzt gehen wir eine Etage tiefer. Paulus sagt: Seid ihr da nicht fleischlich? Das heißt, die eigentliche Ursache für die Symptome, die es in Korinth gibt, ist eine fleischliche Gesinnung. Die Korinther handeln nicht nur fleischlich, sie sind es von ihrem ganzen Wesen her. Ihre Gesinnung, ihre Lebensausrichtung, ihre Werte – das, wofür ihr Herz schlägt und was ihr Herz höher schlagen lässt – sind fleischlich.
Deshalb ist auch ihr Charakter und ihr ganzes Wesen davon geprägt. Eine fleischliche Gesinnung ist das Gegenteil von einer geistlichen Gesinnung. Eine fleischliche Gesinnung ist das Gegenteil von einer christusähnlichen Gesinnung. Die Korinther orientieren sich die ganze Zeit, nachdem sie Christ geworden sind, immer noch einfach an menschlichen Maßstäben, nicht an geistlichen, sondern an fleischlichen.
Paulus stellt sich hier in Kontrast in 1. Korinther 2,16 und sagt: Wir aber haben Christi Sinn. Paulus sagt: Ich und meine Mitarbeiter wollen so denken wie Jesus. Wir haben die Brille auf und schauen auf andere Menschen, wie Jesus sie sehen würde. Die Korinther haben nur eine fleischliche Brille auf, eine weltliche Brille.
Das ist der eigentliche Grund, warum sie immer noch Babys sind. Ihr Denken ist geprägt von weltlicher Weisheit, von Liebe zu menschlicher Rhetorik und zu einem tollen Auftreten. Sie lieben das, was die Welt liebt. In ihrem Leben gibt es eigentlich keinen Unterschied zu einem Nichtchristen. Das zeigt sich in ihrer aktuellen Lebensweise.
Das heißt: Wer die Dinge dieser Welt liebt und sich nach ihnen ausstreckt, der wird nicht geistlich reif. Da will ich dir heute eine ganz ehrliche Frage stellen: Lebst du für ein Jetzt oder lebst du für ein Dann?
Weißt du, wenn du dich nur um dich selbst drehst, dich selbst verwirklichen willst und Anerkennung von Menschen suchst, geistlich aber total auf der Strecke bleibst und dich gar nicht in dein geistliches Leben investierst, dann wirst du wirklich geistlich unreif bleiben.
Ist dein Herz mehr mit der Frage beschäftigt, wie du ein schönes Leben haben kannst? Oder geht es dir wirklich darum, auch wenn es hart wird: Ich will das Reich Gottes bauen, ich will über den Durchschnitt leben, ich will vielleicht sogar den Ort hier verlassen, um eine Gemeinde zu gründen? Ich will für ein Dann leben, nicht für ein Jetzt.
Ich möchte kein laues Christsein führen, ich möchte mich nach Jesus ausstrecken. Wenn du einen Großteil deiner Zeit nur damit verbringst, deine Lebensvorstellungen zu verwirklichen, dann wirst du geistlich nicht weiterkommen.
Ich möchte am Ende dieser Predigt nun sehr praktisch werden und dir einige Schritte vorschlagen. Insgesamt sind es sechs Punkte, die du gehen kannst.
Diese Schritte führen zur geistlichen Reife. Die Frage lautet: Wie werde ich geistlich reif?
Diese Liste ist nicht vollständig, aber ich hoffe, sie ist für dich hilfreich.
Erstens: Erkenne deine geistliche Not.
Vielleicht überrascht dich dieser Punkt, aber weißt du: Der größte Killer von Veränderung ist die Zufriedenheit mit dem Status quo.
Die Korinther waren aufgeblasen, das sehen wir immer wieder. Paulus muss ihnen sagen: „Rühmt euch nicht selbst!“ Sie haben sich ständig auf die Schulter geklopft und waren mit sich zufrieden.
Es beginnt damit, dass du, wenn du geistlich reif werden willst, an dir selbst verzweifelst. Du lässt eine heilige Unzufriedenheit in dir zu über den Status quo. Ortlund schreibt dazu: „Wenn du nicht in Christus wächst, könnte ein Grund dafür sein, dass du von der gesunden und heilsamen Übung abgekommen bist, an dir selbst zu verzweifeln.“
Wachstum als Christ bedeutet unter anderem, ein wachsendes Empfinden dafür zu bekommen, wie armselig und ohnmächtig wir aus eigener Kraft sind. Damit beginnt es.
Wenn du merkst, du denkst über dich: „Ich bin eigentlich ganz okay“, dann will ich dir heute ein Gebet vorschlagen. Fangen wir an zu beten: „Herr, bitte zeig du mir die ganze Sündhaftigkeit in meinem Herzen auf. Zeig du mir meine geistliche Not, damit ich jeden Tag zu dir komme wie ein Bettler und dich so dringend brauche.“
Damit beginnt es. Aber da solltest du nicht stehen bleiben bei dieser Verzweiflung. Deswegen kommt Schritt zwei direkt hinterher: Wachse in der Erkenntnis des Evangeliums.
Das hört sich jetzt vielleicht erst einmal abstrakt an. Ihr habt ja eine To-do-Liste von mir erwartet. Aber wisst ihr, Paulus antwortet auf die Unreife der Korinther, indem er ihnen ständig das Evangelium noch einmal vor Augen führt.
Der Weg zur geistlichen Reife beginnt nicht mit einer To-do-Liste. Er beginnt damit, dass wir geistliche Wahrheiten tiefer verstehen.
Habt ihr mal die Gebete von Paulus im Neuen Testament gelesen? Was betet er? Ganz ehrlich, wir beten häufig für die Prüfung nächste Woche, für das Vorstellungsgespräch oder für Gesundheit. Dafür dürfen wir auch beten.
Wenn ich mir die Gebete von Paulus anschaue, dann bete er, dass sie in der Liebe wachsen, dass sie Christi Liebe immer mehr erkennen, dass die geistlichen Augen geöffnet werden und sie als Christen immer mehr verstehen, wie gut das Evangelium ist.
Warum? Weil das die Triebfeder für das geistliche Leben ist.
Dan Ortlund, ich möchte ihn noch einmal zitieren, sagt: Bei unserer Bekehrung gehen wir aus dem Gerichtssaal heraus, wir sind freigesprochen. Aber während unseres Lebens in der Jüngerschaft leiden wir an Evangeliumsamnesie. Das heißt, wir vergessen das Evangelium und kehren deshalb ständig wieder in den Gerichtssaal zurück.
Kennst du das von dir? Du hast es so gut gemeint, du wolltest all in gehen für Jesus, dann fällst du. Und was passiert dann, nachdem du gefallen bist? Das ist eine ganz, ganz wichtige Frage.
Bleibst du einfach liegen und sagst: „Ich bin sowieso ein Versager“? Oder verstehst du in dem Moment wirklich, was es bedeutet, dass er dich für gerecht erklärt hat – richterlicher Beschluss, ein für allemal? Dann fließt du zurück zum Kreuz, nicht in deine Scham. Und das gibt dir Mut, vorwärtszugehen.
Wenn du wirklich verstehst, was es bedeutet, dass Jesus dich angenommen hat – brutto –, dann musst du nicht mehr Annahme von Menschen suchen.
Merk dir: Es ändert so vieles, wenn wir das Evangelium wirklich verstehen und wie gut es ist. Wachse darin und beschäftige dich als Christ immer wieder mit dem wunderbaren Evangelium.
Drittens: Sei begierig nach Gottes Wort.
Das Lesen der Bibel ist unsere geistliche Ernährung.
Ich habe zwar am Anfang gesagt, dass Bibelwissen nicht gleichzusetzen ist mit geistlicher Reife. Das stimmt. Aber ohne Bibellesen gibt es keine geistliche Reife. Das funktioniert nicht. Natürlich hängt es auch mit unserer Herzenshaltung zusammen. Lesen wir einfach nur aus Gesetzlichkeit, um den Haken zu machen? Lesen wir, um Argumente für eine Debatte zu haben? Oder lesen wir mit der Haltung: Rede, Herr, dein Knecht hört?
Petrus schreibt den Christen im ersten Petrusbrief Kapitel 2, Vers 2: „Und seid begierig nach der vernünftigen, lauteren Milch wie die neugeborenen Kindlein, auf dass ihr durch sie wachset zum Heil.“
Jetzt müssen wir verstehen, dass Petrus hier das Bild der Milch etwas anders verwendet als Paulus. Paulus setzt die Milch in Kontrast zur festen Speise, und dort ist die Milch eher negativ. Petrus möchte jedoch einen ganz anderen Punkt machen. Bei ihm geht es nur um die Begierde nach dem Wort. Deswegen nutzt er das Bild anders und sagt: Wenn ein Säugling Hunger hat, schreit er, er will es haben. Und genauso sollen wir schreien, lechzen nach dem Wort Gottes.
Jerry Bridges schreibt in seinem Buch „Das Streben nach Heiligkeit“: „Wir benötigen jeden Tag eine festgelegte Zeit zum Lesen oder zum Studium der Bibel. Jeder Christ, der Fortschritte in der Heiligkeit macht, ist ein Mensch, der diszipliniert lebt, so dass er regelmäßig Zeit in der Bibel verbringt. Daran führt kein Weg vorbei.“
Satan wird uns immer an dieser Stelle bekämpfen. Er wird versuchen, uns einzureden, dass wir am Morgen zu schläfrig sind, während des Tages zu beschäftigt und am Abend zu müde. Kennt ihr das? Scheinbar gibt es niemals den passenden Zeitpunkt für das Wort Gottes.
Das bedeutet, dass wir Disziplin aufbringen müssen, um entsprechende Zeiten in unserem Tagesablauf einplanen zu können. Wenn du geistlich wachsen willst, mach das!
Ich möchte an dieser Stelle Werbung machen für die neue Studienbibel, das passt sehr gut. Die neue Elberfelder Studienbibel ist erschienen. Es ist die ausführlichste Studienbibel, die es zurzeit in Deutschland gibt. Ganz neu herausgekommen.
Und wenn du sagst, mein Bibelstudium würde angeregt werden, vielleicht durch eine neue Studienbibel – Weihnachten steht vor der Tür –, dann kannst du gerne nach dem Gottesdienst mal einen Blick hineinwerfen. Ich lege sie dort hin. Sie kann dein Bibellesen enorm anregen und dir helfen zu wachsen.
Viertens: Harre aus in Schwierigkeiten.
Gott stellt in unserem Leben Schwierigkeiten bereit, und diese will er nutzen, damit wir geistlich reif werden. Ähnlich wie im Fitnessstudio, wo du schwere Gewichte stemmen musst und es weh tut, um stärker zu werden, braucht auch unser geistliches Leben manchmal Herausforderungen, um zu wachsen.
Die Bibel spricht immer wieder vom geläuterten Gold, das durchs Feuer gereinigt wird. Heute haben wir in dem Lied von Edelsteinen gesungen, die geschliffen werden. So wird auch unser Charakter durch Schwierigkeiten geschliffen.
Oswald Sanders schreibt in seinem Buch „Zur geistlichen Reife“ über Gottes Erziehungsmittel Folgendes: Er wendet immer die Mittel an, die am besten dazu beitragen, das Endziel zu erreichen. Werden diese Mittel in der rechten Weise angenommen, ist eine reiche Ernte sicher.
Unser Verhalten im Blick auf Familienprobleme und Geldnöte, auf Leiden und Enttäuschungen, auf unbelohnten Ehrgeiz und getäuschte Erwartungen ist dabei überaus wichtig. Der Glaube an die Souveränität Gottes ist hier etwas sehr Kostbares.
Vielleicht gehst du gerade durch Schwierigkeiten in deinem Leben und fragst dich: Warum ist das mit meinen kleinen Kindern so kompliziert? Weißt du was? Gott hat dir genau die Kinder gegeben, durch die er an deinem Charakter arbeiten will. Das ist eine neue Perspektive.
Wenn du gerade durch Ängste und Depressionen gehst und denkst: Warum das? Das kann ich gerade gar nicht gebrauchen, das hindert mich doch in der Nachfolge. Nein, es muss dich nicht in der Nachfolge hindern.
In deinem Leben, liebes Kind Gottes, läuft nichts aus dem Ruder. All die Schwierigkeiten, die du erlebst, sind Chancen für dein geistliches Wachstum.
Dieses Jahr war bisher ein besonders schweres Jahr für mich persönlich. Durch verschiedene Umstände ist es ehrlich gesagt eines der schwersten Jahre, seitdem ich Pastor bin. Ich bin so dankbar, dass ich jetzt schon auf so viel geistlichen Segen zurückblicken kann.
Manchmal heißt es einfach nur ausharren und darauf vertrauen: Gott ist gut, auch wenn sich nichts ändert. Gerade in diesem Ausharren wirst du geistlich reif.
Weißt du, du kannst immer zwei Wege wählen. Unser natürlicher Reflex ist, durch Schwierigkeiten hindurchzugehen, um dann zu fliehen. Aber ich möchte dich heute einladen, mal Ja zu den Schwierigkeiten in deinem Leben zu sagen – nicht im fatalistischen Sinne, sondern indem du sagst: Gott, ich gehe da rein, ich will nicht fliehen, ich harre aus, und du genügst mir.
Das sind ganz kostbare Zeiten, durch die du geistlich reif wirst. Harre aus in Schwierigkeiten.
Fünftens: Töte die Lieblingssünden.
Töte die Lieblingssünden!
Lieblingssünden folgen immer einem ähnlichen Muster: Sie bieten Trost und Belohnung. Das gilt unabhängig davon, ob es um Alkoholmissbrauch, Drogenmissbrauch, Nikotin, ungesundes Essverhalten oder Pornografie geht. Lieblingssünden funktionieren stets nach dem Prinzip von Belohnung und Trost.
Zum Beispiel sagt man sich: „Ich habe schon so lange ausgehalten, und außerdem mache ich wirklich viel in der Gemeinde. Jetzt kann ich mir auch wieder etwas gönnen.“ Das ist die Belohnungsseite.
Genauso gibt es die andere Seite, den Trost: „Ich gehe gerade durch eine schwere Zeit, meine Frau versteht mich nicht.“ Was macht dann mancher Mann? Er flieht in die Pornografie, um dort Trost zu suchen.
Wisst ihr, was das Fatale an Lieblingssünden ist? Sünden haben viele fatale Konsequenzen. Doch Gott bringt Schwierigkeiten in dein Leben, um dich zu einem reifen Mann oder einer reifen Frau zu machen. Wenn du jedoch in deine Lieblingssünde fliehst, verpasst du diesen Reifeprozess.
Ich hatte schon Männer bei mir im Büro, 50 Jahre alt und seit Jahrzehnten pornosüchtig. Und ich habe oft den Eindruck, mit einem 15-Jährigen zu sprechen. Süchte und Lieblingssünden haben dramatische Auswirkungen auf unser ganzes Leben. Oft sind sie uns gar nicht bewusst, aber wir verpassen dadurch einen wichtigen Reifeprozess.
Deshalb auch aus diesem Grund: Töte die Lieblingssünden!
Jerry Bridges schreibt dazu: „Ohne die Kraft des Heiligen Geistes gibt es kein Töten, aber ohne unser Arbeiten aus seiner Kraft gibt es auch kein Töten.“
Deswegen ist das eine Aufforderung, eine Einladung und ein dringender Appell: Wenn es etwas gibt, ganz gleich welcher Art, das dich immer wieder zu Fall bringt, erkenne deine geistliche Not. Nimm alles an, was in deiner Macht steht, um diese Sünde zu töten.
Gleichzeitig möchte ich dich ermutigen, lieber Bruder, liebe Schwester: Sieg über die Sünde ist möglich, und Jesus will dir dabei helfen.
Wir kommen zum letzten Punkt: Lass dich von reifen Menschen prägen.
Wenn du im Glauben wachsen möchtest, suche die Gemeinschaft mit Christen, die reifer sind als du. Das ist so wichtig, dass wir hier voneinander lernen können. Ja, es ist entscheidend, dass wir Freunde haben, auch im gleichen Alter und in ähnlichen Lebenssituationen.
Vor allem an die junge Generation möchte ich hier sagen: Es ist sehr wichtig, dass wir als Teenager und Jugendliche zusammenkommen. Doch ich möchte dich ermutigen, bleib nicht nur unter Gleichaltrigen.
Eine gute Gelegenheit bietet die Gebetsscheune, die dienstags um 19 Uhr stattfindet. Dort kommen wir als Männer zusammen, knien vor dem Herrn und beten. Wir laden bewusst auch die vierzehnjährigen Teenies ein. Es ist schön zu sehen, wie vierzehnjährige Jungs beten und knien. Ich habe den Eindruck, dass sie oft reifer sind als manch ein Dreißigjähriger, weil sie früh lernen zu beten und Gemeinschaft mit anderen zu pflegen.
Deshalb: Wenn du ein Mann bist, komm dienstags um 19 Uhr in die Gebetsscheune. Das ist nur eine Möglichkeit von vielen. Wir haben auch das Gebetsshelter in Gummersbach, und bald wird es eine Gebetsscheune in Ostheim geben – daran arbeiten wir.
Wenn du eine junge Frau bist, lass dich von älteren Schwestern prägen. Geh auf sie zu, lade sie zum Frühstück ein und sag: „Ich möchte von dir lernen.“ Geh einmal im Monat zu „Frauen am Brunnen“. Dort treffen sich reifere Frauen, um gemeinsam in die Bibel zu schauen. Nutze diese Möglichkeiten.
Lies gute christliche Bücher. Letztendlich ist ein gutes christliches Buch auch eine Art Austausch mit einer reifen Person – dem Autor. Du hast so Gemeinschaft mit einer reifen Person und lernst ihre Gedanken kennen.
Begib dich also konkret auf den Weg, von anderen zu lernen. Ich möchte uns allen Mut machen, dass wir uns ganz bewusst und mit allem, was in unserer Macht steht, für diesen Weg entscheiden.
Es ist so schön, wenn wir in ein paar Jahren sagen können: „Nein, ich bin noch nicht da, wo ich gerne wäre, aber ich bin nicht mehr dort, wo ich einmal war.“
In diesem Sinne: Gott helfe uns dabei. Amen.