
Wir wollen beten. Lieber Vater, wir danken dir für diesen Abend. Wir danken dir, dass du zu uns reden willst – auch durch dieses Lebensbild, durch das, was du durch dein Wort und deinen Geist im Leben von Johann Onken gewirkt hast.
Wir bitten dich, dass wir aufmerksam sind und hörbereit bleiben. Dass wir in unserem Leben lernbereit sind. Dass wir nicht einfach durch unser Leben stolpern, dass unser Leben nicht irgendwie abläuft oder nach eigenem Gutdünken und eigenen Maßstäben verläuft. Wir bitten, dass wir uns nicht treiben lassen, sondern uns an dir und deinem Wort orientieren.
Dafür danken wir dir – für diese Tage hier und auch für diesen Abend. Amen.
Wenn wir uns die heutige kirchliche Situation in Deutschland anschauen, sehen wir auf protestantischer Seite zunächst die großen Kirchen. Dazu gehören die evangelisch-lutherische, die reformierte und die unierte Kirche. Daneben gibt es einen breit gefächerten Teppich an vielen verschiedenen religiösen Gemeinschaften.
Einerseits sind das die sogenannten landeskirchlichen Gemeinschaften, die größtenteils in einem Verband zusammengefasst sind. Andererseits gibt es eine große Zahl von Freikirchen, die heute in Deutschland aktiv sind. An der Spitze stehen zahlenmäßig die Baptistengemeinden. Mit etwas über 80.000 Mitgliedern sind sie die größte evangelische Freikirche in Deutschland. Im Vergleich zu amerikanischen Verhältnissen ist das zwar wenig, aber in Deutschland ist diese Zahl führend.
Die nächstgrößeren Gemeinden sind die freien evangelischen Gemeinden, die knapp 45.000 Mitglieder zählen. Das ist etwas mehr als die Hälfte der Baptistengemeinden, aber mit deutlichem Abstand. Darüber hinaus gibt es zahlreiche weitere Gemeinden und Gemeinschaften.
Bekannt sind zum Beispiel die Brüdergemeinden mit ihren verschiedenen Ausprägungen. Diese arbeiten teilweise mit den Baptisten zusammen, sind aber zum Teil auch unabhängig. Außerdem gibt es zahlreiche andere Gemeinden und Gemeinschaften, darunter die freien evangelischen Gemeinden (FIG), die ich bereits erwähnt habe.
Dieser Zustand, den wir heute kennen, ist im 19. Jahrhundert entstanden. Das bedeutet, dass fast alle Gemeinden und Gemeinschaften, die wir heute sehen – mit Ausnahme der Mennoniten und der evangelischen Kirche – in dieser Zeit ihre heutige Form erhielten.
Auch viele der großen freien Werke, die am Rande der Kirche entstanden sind, haben ihre Entstehungszeit im 19. Jahrhundert. Beispiele sind Sankt Grischona mit dem Grischoner Gemeinschaftsverband, Bad Liebenzell oder die Burdeschwing’schen Anstalten. Manche christlichen Werke, die heute nicht mehr existieren, hatten im 19. Jahrhundert ihre Blütezeit. Ein Beispiel dafür ist der Bertelsmann Verlag.
Der Bertelsmann Verlag gibt es zwar bis heute, doch nur wenigen ist bekannt, dass er in den ersten fünfzig Jahren ein Verlag der Erweckungsbewegung in Deutschland war. Karl Bertelsmann war ein frommer Mann, der sich unter der Predigt von Pastor Volkening in der Minden-Ravensberger Erweckungsbewegung bekehrt hatte. Während seines Lebens veröffentlichte er fromme Gesangbücher, christliche Schriften über die Weltmission und Ähnliches.
Später übergab er das Unternehmen an seinen Schwiegersohn. Dieser erkannte, dass sich mit weltlichen Romanen mehr Geld verdienen ließ als mit Gesangbüchern, und steuerte den Verlag entsprechend um. Heute ist es den Mitarbeitern des Bertelsmann Verlags eher peinlich, dass das Unternehmen eine so fromme Geschichte hat.
Vor einigen Jahren habe ich einen Aufsatz darüber geschrieben und in den Archiven recherchiert. Dabei spürte ich eine gewisse Distanz zu dieser Vergangenheit – so nach dem Motto: „Das ist ein bisschen peinlich, diese fromme Geschichte.“ Früher war das anders, heute sei man weltoffen. Heute ist der Bertelsmann Verlag das größte Medienunternehmen Europas. Er besitzt mehrere Fernsehsender, verschiedene Zeitschriften und allein zehn verschiedene Verlagshäuser.
Die Anfänge dieses großen Medienunternehmens liegen in der Erweckungsbewegung des 19. Jahrhunderts. So erkennen wir, dass zahlreiche Werke – manche noch fromm, andere längst untergegangen oder neu orientiert – im 19. Jahrhundert ihren Anfang nahmen.
Wenn wir am Ende des 18. Jahrhunderts gelebt hätten, hätten wir einen großen Pessimismus gegenüber dem christlichen Glauben erlebt. Denn zu dieser Zeit dominierte die Aufklärung. Der Prophet dieser Epoche war Immanuel Kant. Er war zwar nicht atheistisch, sondern verstand sich als Christ – allerdings eher als deistischer Christ.
Das heißt, Kant ging davon aus, dass es Gott gibt. Er hielt die Bibel für das Beste, was wir von Gott wissen können, betrachtete sie aber eher bildlich. Er akzeptierte die Existenz Gottes und die Zehn Gebote, doch die Vorstellung, dass Jesus sterben musste, die Sünde, Himmel und Hölle – all das galt als überholt. Man war ja aufgeklärt.
Die Aufklärung war die prägende Strömung jener Zeit, und Immanuel Kant war ihr bekanntester Vertreter im deutschsprachigen Raum. Gleichzeitig ging der Pietismus stark zurück, und die pietistischen Kreise schrumpften. Wer damals etwas auf sich hielt, gehörte zur Aufklärung. Das galt als Fortschritt. Viele Theologen wollten aufgeklärte Theologen sein.
In dieser Zeit predigten einige Theologen von ihren Kanzeln eher darüber, wie man die Schulbildung verbessern kann, wie man die Viehfütterung optimiert oder sich gesund ernährt. Das waren die Themen der Zeit – man wollte die Menschen aufklären.
Der Höhepunkt der Aufklärung – oder man könnte auch sagen der Tiefpunkt – war die Französische Revolution. Dort zeigte sich, wohin der aufgeklärte Mensch und der aufgeklärte Geist führen können. Man setzte eine Schauspielerin in die Kirche Notre Dame de Paris, um sie als Göttin der Vernunft zu verehren. Man wollte den Kalender umstellen, eine Zehntagewoche anstelle der biblischen Siebentagewoche einführen und alle Monatsnamen umbenennen.
Man begann, das Jahr seit der Revolution zu zählen, statt seit Jesus. Außerdem wurden zehntausende Geistliche ermordet, Klöster enteignet, Christen und politisch orientierte Menschen getötet. Am Ende entstand ein Blutbad, aus dem Napoleon als Diktator hervorging.
Daran sieht man, wohin es den gottlosen Menschen führt. Viele waren zunächst begeistert, dann aber erschüttert darüber, was durch die wortgetreue Umsetzung der Aufklärung geschehen kann: Es gibt keinen Gott mehr, und der Mensch bestimmt allein, was Gültigkeit hat und was nicht.
In dieser Krisenphase begannen manche Menschen wieder, nach Gott zu fragen und zu suchen – auch in Deutschland. Napoleon eroberte damals Deutschland, was eine große Krise auslöste. Plötzlich stand das Land unter starkem Einfluss Frankreichs.
In dieser Situation entstanden erste Aufbrüche der Erweckungsbewegung. Diese prägte dann den Großteil des neunzehnten Jahrhunderts. Die Erweckungsbewegung bildet die Wurzeln der meisten Gemeinden und Gemeinschaften, die wir heute noch kennen. Viele von uns gehören diesen an oder fühlen sich darin heimisch.
Deshalb ist es meiner Meinung nach sinnvoll, einen Blick auf die Entwicklungen des neunzehnten Jahrhunderts zu werfen, um zu verstehen, was Gott dort gewirkt hat. Es handelt sich dabei nicht nur um einzelne Menschen oder Bewegungen. Vielmehr erkennen wir darin das Handeln Gottes, der Menschen berufen hat – manchmal sogar solche, denen es nicht in die Wiege gelegt war, große geistliche Taten zu vollbringen.
Und einer von ihnen ist Johann Gerhard Omken. Er wurde geboren – hier haben wir wieder ein rundes Datum, das sich leicht merken lässt – und starb 1884. Er wurde also 84 Jahre alt, was für das 19. Jahrhundert eine geradezu unglaubliche Lebenslänge ist.
Im 19. Jahrhundert, geprägt von der industriellen Revolution, großer Armut und hoher Seuchengefahr auch in Deutschland, lag die durchschnittliche Lebenserwartung eher bei etwa 45 Jahren. Deshalb ist es fast ein Wunder, dass er dieses Alter erreichte – ein Segen Gottes, könnte man sagen.
Geboren wurde er unter prekären sozialen Bedingungen, in einem sozialen Brennpunkt. Man könnte sagen, in einer Patchwork-Familie, auch wenn dieser Begriff damals noch nicht verwendet wurde. Seine Mutter war nicht gläubig und nicht religiös engagiert, ebenso wenig der Vater.
Der Vater war ein junger Mann, der stark politisch engagiert war. Weil er sich politisch sehr exponierte, wurde in Deutschland ein Haftbefehl gegen ihn erlassen. Er floh deshalb schnell nach England und ließ sich dort nieder. Zuvor hatte er jedoch mit seiner Freundin zusammengelebt, sodass sie schwanger war, als er sie allein zurückließ.
Damals war das ein Makel, den man sein Leben lang nicht mehr loswurde. Man nannte das ein uneheliches Kind. Ich betone das deshalb: Wenn man heute in der Schule – ich habe auch einige Jahre als Lehrer gearbeitet – Jugendlichen von unehelichen Kindern erzählt, schauen sie einen oft seltsam an und fragen sich, was das Problem sei. Denn heutzutage ist Ehe etwas Exklusives, und uneheliche Kinder sind eher die Regel als die Ausnahme.
Aber damals war das gesellschaftlich ein absolutes No-Go und wurde nicht akzeptiert. Der Staat war nicht christlich geprägt, die Eltern nicht religiös, und der Vater war nicht anwesend. Johann Gerhard Omken wuchs deshalb zum großen Teil bei den Großeltern auf.
Der Großvater war Perückenmacher in Varel in Norddeutschland, wo Omken aufwuchs. Die Familie war arm. Die Mutter arbeitete als Servierkraft in einem Restaurant, um etwas Geld zu verdienen. Von der Mutter hatte er wenig Unterstützung. Der Großvater starb, als Omken noch ein Kind war. So blieben nur noch die Großmutter und die Mutter.
Die Mutter hatte später, etwa acht Jahre später, eine Affäre mit einem zweiten Mann und bekam ein weiteres uneheliches Kind von ihm – eine Patchwork-Familie, wie man heute sagen würde. So wuchsen die beiden Jungen ohne Vater und ohne richtige Familie auf.
Schon als Zwölfjähriger musste Omken zum Familieneinkommen beitragen, indem er als Kegeljunge arbeitete. Das funktionierte damals so: In der Gastwirtschaft, wo getrunken und geflucht wurde, stand er bis spät abends am Ende der Kegelbahn und stellte immer wieder die Kegel auf, wenn sie durch die Kugeln umgestoßen wurden.
Es gab nicht viel Geld, aber zumindest ein kleines bisschen, und das brauchte die Familie.
Und hier greift Gott ein, so könnte man sagen, ohne dass Johann Gerhard Onken es zunächst bemerkt und ohne dass der, der gebraucht wird, es merkt.
So kommt ein schottischer Kaufmann, Herr Walker-Anderson, in die kleine Stadt mit ihren verwickelten Geschäften und kommt ins Gespräch mit dem jetzt schon 14-jährigen oder noch 14-jährigen Jungen. Er bietet ihm an, ihn als Lehrling mitzunehmen.
Ich weiß nicht, wenn Sie Kinder haben, stellen Sie sich vor: Mit 14 Jahren mit einem fremden Kaufmann ins Ausland zu gehen, und die Mutter hat nichts dagegen. Sie ist froh, denn sie hat einen Esser zu Hause weniger, also weniger für ihn zu sorgen. Und so geht er in die Ausbildung.
Er geht nach Schottland, in die Nähe von Edinburgh, und wohnt dort eine Zeit lang. Hier ist es die Mutter des Kaufmanns, die fromm ist. Sie nimmt den kleinen Johann Gerhard, eben mit 14 Jahren, mit in eine Gemeinde.
In der Gemeinde schenkt ihm ein Gemeindeglied ein Buch, das damals in England relativ bekannt war. Es handelte von verschiedenen Grabinschriften. Diese wurden als kleine Andachten genutzt, also als Ausgangspunkt für Andachten. Das ist eine originelle Sache, die ich heute nicht mehr kenne. Es wäre vielleicht eine Idee, die deutschen Friedhöfe abzugrasen und zu sehen, was dort alles steht und ob es erbaulich ist.
Jedenfalls liest Johann Gerhard das Buch und ist davon tief beeindruckt. Früher hatte er wenig mit Frömmigkeit zu tun gehabt, und das berührt ihn tief.
Das hält allerdings nur eine kurze Zeit an. Wenig später kommt er mit seinem Lehrherrn nach London. Plötzlich will er von Kirche und Gemeinde nichts mehr wissen. Er genießt das Großstadtleben. Er wohnt in einer Pension, in der viele andere junge Leute sind. Er geht feiern und tanzen.
Plötzlich passiert ihm ein Unfall: Er stürzt aus einer Kutsche, damals ein öffentliches Verkehrsmittel, und verletzt sich schwer. Dabei wird ihm bewusst, dass er auch tot hätte sein können.
Das führt zu einem neuen Nachdenken: Er erkennt, dass er doch in der Hand Gottes ist. Die Pensionswirtin, also die Leiterin der Pension, ist fromm und nimmt ihn wieder mit in eine Gemeinde.
Durch sie lernt er Leute kennen, die eine Methodistengemeinde in London besuchen. Dort bekehrt er sich.
Als er mit 22 Jahren mit seinem Lehrherrn nach Hamburg kommt, um dort wieder Geschäfte abzuwickeln, entscheidet er sich, nicht mehr als Lehrling oder Handelsreisender unterwegs zu sein, sondern sich ganz in den Dienst Gottes zu stellen.
Er hat in England Kontakte aufgebaut, unter anderem zu Spurgeon, den wir ja auch kennen, einen baptistischen Prediger in London, und auch zur Continental Society, einer britischen Missionsgesellschaft. Diese hatte, wie der Name schon sagt, das Ziel, das Evangelium auch auf dem Kontinent, also in Europa, von England aus zu verbreiten.
So sehen Sie diesen jungen Mann, 22 Jahre alt, der sich kurz zuvor bekehrt hatte, Deutscher ist und Kontakte nach Deutschland hat. So kommt er nach Hamburg.
Johann Gerd ist begeistert vom Lesen der Bibel. Er liest intensiv darin und schreibt plötzlich an seine Mutter, dass auch sie in der Bibel lesen soll. Ebenso schreibt er an seine Großmutter und ermutigt sie, die Bibel zu prüfen und zu entdecken, wie sie das Leben bereichert.
Dann schreibt er auch von Hamburg. Er sagt, Hamburg sei ein zweites Sodom. Dort gehe jeder nur seinem Vergnügen nach, und die Unmoral sei allgegenwärtig. Das trifft ihn tief im Herzen. Er möchte diese Hamburger für Jesus Christus gewinnen.
Johann Gerd ist ein 22-jähriger junger Mann, begeistert von Jesus Christus und von der Bibel. Zuerst sucht er nach örtlichen Gläubigen. Er besucht eine kleine englische Gemeinde, die eher freikirchlich organisiert ist. Dort findet er Kontakt zu einigen Mitgliedern der Erweckungsbewegung in Hamburg. Besonders wichtig sind der lutherische Pfarrer Rautenberg und Johann Hinrich Wichern.
Wer die Kirchengeschichte kennt, weiß, dass Wiechern der Gründer des Rauhen Hauses war – einer sozialdiakonischen Einrichtung, die bis heute in Hamburg existiert. Er gilt als Begründer der Inneren Mission in Deutschland. Zwar war er mehr in der Landeskirche tätig, doch hier gab es keine Probleme, denn Onken dachte etwas freikirchlich. Die beiden arbeiteten zusammen und gründeten in Hamburg die erste Sonntagsschule.
Diese Sonntagsschule entstand in der eher sozial bedürftigen Vorstadt Sankt Georg, damals ein Slumgebiet von Hamburg. Dort lebten viele Arme, die nichts hatten. Viele Jungen hielten sich auf der Straße auf, ohne dass sich jemand um sie kümmerte. Sie waren zwar keine Waisenkinder, doch ihre Eltern waren arm oder Alkoholiker. Niemand kümmerte sich um sie.
Schulbildung gab es damals staatlich noch nicht. Die Schulpflicht wurde in Hamburg erst viel später eingeführt. Deshalb boten die Frommen Schulunterricht an. Die Sonntagsschule war damals eine Schule, allerdings am Sonntag. Warum am Sonntag? Weil diese Kinder in der Woche entweder auf der Straße herumhingen oder arbeiten mussten, um die Familie zu unterstützen.
Am Sonntag bekamen sie ein wenig Bildung: Lesen, Schreiben, Rechnen. Gleichzeitig wurde ihnen der Glaube vermittelt. Man verband soziales Engagement mit der Verkündigung des Evangeliums. Hier arbeitete Onken einige Zeit mit Johann Hinrich Wichern und Pastor Rautenberg in der Vorstadt Sankt Georg zusammen.
Nach einiger Zeit begann Onken, eigene Versammlungen durchzuführen. Er veranstaltete Schiffsgottesdienste und Gottesdienste in seiner Privatwohnung. Diese Treffen erhielten bald fast legendären Charakter. Es gab zuvor Volksaufläufe, und manchmal musste die Polizei eingreifen, weil sich so viele Leute vor seinem Geschäft oder seiner Wohnung versammelten.
Nicht alle waren am Evangelium interessiert. Viele wollten einfach die Action erleben. Es geschah etwas, es gab Aufruhr. Schließlich musste die Polizei eingreifen. In späteren Jahren wurde es sogar so, dass ihnen verboten wurde, religiöse Veranstaltungen durchzuführen.
Für mehrere Jahre mussten sie Eintrittskarten für den Besuch der Gottesdienste ausstellen, damit diese erlaubt waren. Stellen wir uns vor, heute lädt man zu einer evangelistischen Veranstaltung ein, und man muss Eintrittskarten vorzeigen, um teilnehmen zu dürfen. So versuchte man ihnen viele Steine in den Weg zu legen.
In dieser Zeit wuchs langsam die Gemeinschaft derer, die sich bekehrten und interessiert waren. In dieser Zeit heiratete Onken auch zum ersten Mal. Er war dreimal verheiratet, allerdings ganz legal und biblisch erlaubt. Seine erste Frau starb, seine zweite Frau starb ebenfalls.
Wer zu viel Agatha Christi gelesen hat, könnte sich fragen, ob Gift im Spiel war. Nein, kein Gift. Beide starben auf natürliche Weise. Mit 84 Jahren wurde Onken sehr alt, denn die normale Lebensdauer war damals wesentlich kürzer.
Seine erste Frau hieß Sarah Mann. Sie war Engländerin und kam aus der Gemeinde von Spurgeon in London. Dort hatte Onken Kontakte. Sie heirateten, und sie kam mit nach Deutschland.
Mit 29 Jahren wurde seine erste Tochter geboren. In diesem Zusammenhang stellte sich für ihn eine ganz neue und existenzielle Frage: die Frage der Taufe. Bisher war er im Rahmen der evangelischen Kirche tätig gewesen, doch nun stellte sich die Frage, ob die Kindertaufe wirklich biblisch legitim sei.
Nach intensivem Bibelstudium kam er zu dem Eindruck: Nein, in der Bibel findet sich nichts zur Kindertaufe. Deshalb unterließ er es, seine Tochter zu taufen. Er kam mehr und mehr zur Überzeugung, dass er als Gläubiger eigentlich selbst noch einmal getauft werden müsse.
Er suchte jemanden, der ihn taufen könnte, doch in Hamburg gab es niemanden, der das tun wollte oder davon überzeugt war. Ein Pastor aus England schrieb ihm, dass er ihn wohl taufen könne, aber er müsse dafür nach England kommen und die Kosten selbst tragen. Das wollte er nicht.
So versuchte man, Kontakte herzustellen. Schließlich ergaben sich über einen amerikanischen Seemann, der in der Hafenstadt war, Kontakte zu einem baptistischen Theologieprofessor namens Barnet Sears. Dieser sollte im nächsten Jahr zu einem Studienaufenthalt nach Deutschland kommen.
So kam Barnet Sears nach Deutschland und taufte ihn sowie die ersten Mitglieder der ersten baptistischen Gemeinde in Hamburg. Die Gründung der Baptisten in Deutschland wird meist auf diese erste Taufe in der Elbe, in der Öffentlichkeit, im Jahr 1834 zurückgeführt. Dieses Datum gilt als Gründungsdatum der Baptisten in Kontinentaleuropa, insbesondere in Hamburg und Deutschland.
In den ersten Jahrzehnten wurden die meisten Taufen im Freien durchgeführt. Die Gemeinschaft nannte sich zunächst nicht Baptisten, sondern „Gemeinschaft getaufter Christen“, so der offizielle Name. Dies führte häufig zu Problemen.
Bei einer der ersten Taufen kam es zu einem Vorfall: Ein Fischer, der sah, wie am Ufer getauft wurde, fuhr mit seinem Boot ans Ufer, ging hin, schlug den Ältesten zusammen und spuckte den Täufling an. So muss man sich vorstellen, dass es nicht immer gesittet und ruhig zuging. Die Leute waren aufgeregt. Wie könne man erwachsene Menschen taufen? Das sei doch sektiererisch, wenn es nicht im Rahmen der Kirche geschehe.
Man muss sich vorstellen, dass religiöse Veranstaltungen außerhalb der Kirche damals staatlich verboten waren. Es gab keine religiöse Großzügigkeit, wie wir sie heute kennen. Die einzige legitime Veranstaltung fand unter der Leitung eines Geistlichen, eines Pfarrers, statt.
Infolgedessen trennte sich Onken von der Continental Society, die eher landeskirchlich geprägt war. Er schloss sich der Edinburgher Bibelgesellschaft an, der schottischen Bibelgesellschaft. Dann begann er, in Hamburg Traktate und Schriften selbst zu drucken und zu verbreiten.
Er gründete eine kleine Buchhandlung und eine Druckerei. Später, als der Baptistenbund die Arbeit übernahm, wurde der Verlag, der daraus entstand und bis heute existiert, nach ihm „Onken Verlag“ genannt. Dieser Verlag entstand damals durch seine eigene Initiative in Hamburg.
Den Ort, den er auswählte, wählte er fast provokativ: Er mietete ein kleines Ladenlokal direkt gegenüber der Sankt Michaeliskirche. Wer Hamburg kennt, weiß, dass die Sankt Michaeliskirche die repräsentative Hauptkirche Hamburgs ist – der Sitz der stolzen Bürger lutherischer Herkunft.
Direkt gegenüber gründete er mit Schriften der Edinburgher Bibelgesellschaft und der Gemeinschaft getaufter Christen seine Gemeinderäume, sodass es jeder sehen konnte. Das regte viele auf. Viele Pastoren kritisierten ihn heftig und forderten mehrfach, ihn einzusperren. Onken kam wegen seiner religiösen Veranstaltungen mehrfach ins Gefängnis. Das war nicht ohne.
Die Gemeinde entwickelte sich langsam. Nach etwa zehn Jahren zählte sie ungefähr achtzig Mitglieder. Das Wachstum war mühsam und erforderte viel Einsatz. Doch je länger er predigte und je treuer er war, desto schneller wuchs die Gemeinde.
Schritt für Schritt wurde er auch eingeladen, in anderen Teilen Deutschlands zu predigen. Eine zweite Gemeinschaft entstand wenige Jahre später in Bremen. Ab den 1840er Jahren ging es dann Schlag auf Schlag.
Jedes Jahr entstanden ein bis zwei Baptistengemeinden in Deutschland, die sich sehr rasch ausbreiteten. Die Menschen, die dazugehören wollten, wussten, dass es etwas kostete. Es war nicht einfach bequem, Mitglied dieser Gemeinden zu werden.
Man war sich bewusst, dass man soziale Verbindungen verlieren und vielleicht in der Familie oder im Umfeld geächtet werden konnte. Deshalb waren die Mitglieder mit voller Überzeugung dabei und setzten sich engagiert ein.
Dies ist sicherlich ein Geheimnis für das rasche Wachstum der Baptistengemeinden in Deutschland ab den 1840er Jahren.
Einen regelrechten Durchbruch gab es im Jahr 1842. In diesem Jahr ereignete sich der große Stadtbrand von Hamburg. Ein Drittel der Altstadt wurde zerstört, 20 Menschen wurden obdachlos, und viele kamen dabei ums Leben.
Die ersten Baptisten reagierten darauf sehr offen. Als sie den Brand sahen, gingen sie mit Karren zu den Gemeinderäumen, die etwas außerhalb des Brandgebiets lagen. Dort verteilten sie Decken und Nahrungsmittel an die Betroffenen. Sie öffneten die Gemeinderäume, um Menschen aufzunehmen, und nahmen auch in ihren Privatwohnungen Hilfesuchende auf.
Ab diesem Zeitpunkt war der große Widerstand in der Öffentlichkeit eigentlich gebrochen. Kein Pfarrer konnte mehr behaupten: „Das sind die bösen Sekten.“ Stattdessen wusste man, dass diese Menschen geholfen hatten. Der Pfarrer war nicht da, aber der Baptist, der vor Ort war, hatte geholfen.
Die Baptisten trafen dann eine weitere wichtige Entscheidung. Als die Hamburger ihre Stadt wieder aufbauen wollten, wurden Tausende von Arbeitern aus dem Umland angeworben. Aus ganz Schleswig-Holstein und darüber hinaus kamen Arbeiter nach Hamburg, die dort niemanden kannten.
Die Baptisten boten ihnen Häuser und Wohnungen an. Sie gaben ihnen Gemeinschaft und luden sie ein: „Kommt zu uns, wir helfen euch, bei uns findet ihr Gemeinschaft.“ Viele dieser Arbeiter bekehrten sich. Nachdem sie in Hamburg gearbeitet hatten, kehrten sie in ihre Heimatdörfer zurück und brachten den Glauben mit.
Dort entstanden schließlich auch Baptistengemeinden.
Bevor das im Jahr 1842 so war, gab es allerdings zunächst einige negative Entwicklungen. So setzte der Hamburger Polizeipräsident durch, dass Bonken wegen unerlaubter religiöser Versammlungen festgenommen wurde. Er erhielt eine Haftstrafe von vier Wochen.
Bonken saß dann vier Wochen im Gefängnis zusammen mit den Ältesten der Gemeinde. In dieser Zeit sangen sie Lobgesänge und erinnerten sich an Paulus und Silas, die ebenfalls im Gefängnis waren. Sie wollten es ihnen gleich tun. Währenddessen betete die Gemeinde für sie, da sie das Vorgehen als Angriff des Teufels deuteten.
Die Baptisten in England schickten ein Bittschreiben an den Senat in Hamburg mit der Bitte, Bonken freizulassen. Der Hamburger Senat reagierte jedoch nicht darauf. Schließlich sammelte die Gemeinde in England Geld, weil Bonken nicht nur eingesperrt worden war, sondern die Hamburger Polizei auch eine Bearbeitungsgebühr für den Prozess von ihm verlangte. Diese Gebühr entsprach umgerechnet etwa sechstausend Euro Kaufkraft, was vollkommen überhöht und ungerecht war – auch aus heutiger Sicht. Das Geld hatte Bonken gar nicht.
Die Absicht dahinter war wahrscheinlich, die Gemeinde wirtschaftlich zu ruinieren. Hier halfen Geschwister aus England, die Geld sammelten. Ein Teil davon gab man an Bonkens Frau, da die Familie ja weiterleben musste, während der Mann im Gefängnis saß. Ein weiterer Teil wurde verwendet, um die Strafgebühr zu begleichen. So zeigt sich, dass es in dieser schwierigen Lage auch internationale Unterstützung gab.
Wenig später unternahm Onken eine Predigtreise nach Preußen. Dort wurde er festgenommen und inhaftiert. Daraufhin schickten die englischen Baptisten ein Bittschreiben an den preußischen Botschafter in London. Dieses Schreiben zeigte Wirkung. Der Botschafter informierte den Monarchen Preußens, Friedrich Wilhelm IV., der zu dieser Zeit regierte und fromm war.
Der König ordnete an, dass Onken sofort freigelassen werden müsse. Er gewährte Onken sogar eine Privataudienz im Schloss in Berlin. Dort sicherte der preußische König ihm zu, dass die Baptisten in Preußen nun frei predigen dürften. So benutzte Gott das, was zunächst böse gemeint war, am Ende sogar für etwas Gutes.
In dieser Zeit stießen zwei der engsten Mitarbeiter Onkens zu ihm. Zum einen war es der jüdischstämmige Däne Julius Köbner, der die ersten Baptistengemeinden in Dänemark gründete und ein enger Mitarbeiter Onkens in Deutschland wurde. Er hat zahlreiche Lieder gedichtet, die bis heute im baptistischen Gesangbuch enthalten sind.
Zum anderen war es Wilhelm, der ursprünglich aus Hamburg kam. Er bekehrte sich in Ostfriesland und gründete später die erste Baptistengemeinde in Berlin. Außerdem half er bei der Gründung einiger anderer Gemeinden. Diese beiden unterstützten Onken gerade in den ersten Jahrzehnten ganz besonders intensiv.
In dieser Zeit wurde die Literaturarbeit ausgeweitet. Es wurden einige eigene Bücher aus dem Englischen übersetzt, eigene Traktate verfasst und gedruckt. Onken war in dieser Zeit auch immer stärker unterwegs, was natürlich auch für die Familie belastend war. Die Frau musste sich allein um die Kinder kümmern.
Durch seine Arbeit breitete sich der Baptismus aus. Es entstanden Gemeinden in Österreich, in der Schweiz, in Polen, in den Niederlanden und in Frankreich. Seine Reisen führten ihn sogar bis nach Russland. Dort hatte er ein sehr straffes Programm. Zum Beispiel druckte und verteilte er in nur zwei Wochen zehntausend Traktate in Wien. Wien war damals rein katholisch, selbst die evangelische Kirche wurde dort als Sekte angesehen. Trotzdem hatte Onken den Mut, dorthin zu gehen, die Traktate in der Fußgängerzone zu verteilen und sich danach ausweisen zu lassen, in der Hoffnung, dass Gott diese Arbeit nutzt und dadurch Menschen angesprochen werden.
In Russland predigte er insbesondere in Mennonitenkolonien. Viele Mennoniten waren nach der Reformationszeit zuerst in die Niederlande, dann nach Ostpreußen und schließlich nach Russland ausgewandert, weil ihnen unter Katharina der Großen Religionsfreiheit zugesichert worden war. Im 19. Jahrhundert waren die meisten Mennoniten jedoch sehr verkirchlicht und lebten ihre Religion nur noch als Tradition.
Onken berichtet, wie er diese ehemals deutschsprachigen Mennonitenkolonien in der heutigen Ukraine besuchte – einem Gebiet, das heute stark umkämpft ist, ebenso wie Teile Russlands. Er stellte fest, dass diese Gemeinden zwar formal Mennonitisch waren, moralisch aber auf einem sehr niedrigen Niveau standen. Bekehrung spielte dort keine Rolle mehr. Onken predigte Bekehrung und es kam zu einem Aufbruch und einer Erweckung unter den Mennonitengemeinden.
Die meisten der russlanddeutschen Gemeinden, die wir heute in Deutschland kennen oder die noch im russischsprachigen Gebiet existieren, haben ihren Ursprung in dieser Zeit. Dabei war Onken nicht allein. Es gab zwei weitere Aufbrüche: Zum einen durch einen württembergischen Prediger namens Wüst, der ebenfalls dazu beitrug. So entstanden vor etwa 150 Jahren die Mennoniten-Brüdergemeinden.
Zum anderen entstand in der Petersburger Erweckungsbewegung die Gruppe der Evangeliumskristenbaptisten. Eine der Wurzeln der Erweckung der deutschsprachigen Mennoniten in Russland geht also auf Onken und seine Missionsreisen zurück. Er besuchte die Mennoniten, predigte ihnen Bekehrung und Umkehr und es entstanden neue, erweckte Gemeinschaften.
Diese Gemeinschaften sind zum Teil heute wieder in Deutschland zu finden. Viele von ihnen waren unter Stalin nach Sibirien, Kasachstan und andere Regionen vertrieben worden und kehrten ab den 1970er- und 1980er-Jahren wieder nach Deutschland zurück. Auch hier spielte Onken eine wichtige Rolle.
Es entsteht eine Zeitschrift, die später die Gemeinde genannt wird. Früher hatte sie noch andere Namen, zum Beispiel hieß sie in der Anfangszeit Zionsbote. In dieser Zeit wurde regelmäßig über theologische Fragen berichtet. Es wurden Predigten veröffentlicht und auch Berichte von Missionsreisen, unter anderem von Oncken.
Eine Missionsreise führt ihn beispielsweise nach Amerika, und zwar Anfang der 1950er Jahre. Dort wird er von Baptistengemeinden eingeladen, um zu berichten, wie es in Deutschland läuft. Wir kennen einige Details am Rande, die zeigen, dass das nicht ganz ohne war.
Oncken fährt mit einem Vertreter der amerikanischen Baptisten von New York nach Boston mit dem Zug. Privatautos gab es damals nicht, Pferdekutschen waren zu teuer, daher reisten sie mit dem Zug. Auf dieser Fahrt ereignet sich ein folgenschwerer Eisenbahnunfall, der in die Geschichte eingegangen ist, weil viele Menschen ums Leben kamen.
Über einem Fluss bricht die Eisenbahnbrücke zusammen, und der gesamte Zug stürzt in den Fluss. Oncken überlebt knapp. Er führt das später auf eine Führung Gottes zurück. Warum? Er steigt in den Zug ein und setzt sich auf einen Platz, der eigentlich für Schwarze, also für Afroamerikaner reserviert war. Die Rassentrennung in Amerika war damals üblich, was er aus Deutschland natürlich nicht kannte.
Sein amerikanischer Kollege sagt, dass sie in den anderen, viel luxuriöseren Teil des Zuges wechseln sollten. Doch Oncken beharrt darauf, bei den Farbigen sitzen zu bleiben. Nach dem Unfall stellt er fest, dass alle, die im weißen Abteil saßen, ums Leben gekommen sind. Durch seine Entscheidung, sich dort hinzusetzen, hat Gott ihm das Leben gerettet.
Später setzt er sich auch für die Sklavenbefreiung in den USA und für die Gleichberechtigung der Schwarzen ein. Er übersetzte einige Schriften ins Deutsche und engagierte sich in diesem Bereich.
Nebenbei ereignete sich dieser Unfall. Oncken war mehrere Wochen im Krankenhaus, denn obwohl er überlebte, war er schwer verletzt. Dennoch überlebte er, und man sieht darin ein deutliches Eingreifen Gottes.
In Deutschland hatte er engen Kontakt zu anderen Vertretern der Erweckungsbewegung. Als beispielsweise in Wuppertal die erste Baptistengemeinde gegründet wurde, bestand auch Kontakt zum Evangelischen Brüderverein.
Der Evangelische Brüderverein ist der Vorläufer der Brüdergemeinden, die wir heute kennen, sowie der Freien Evangelischen Gemeinden. Beide entstanden in Wuppertal und trennten sich im Wesentlichen nur aufgrund der Frage der Taufe. Wären diese Unterschiede nicht gewesen, wären die Brüdergemeinden und die Freien Evangelischen Gemeinden wahrscheinlich zusammengeblieben.
Damals war es so, dass viele der gläubig gewordenen Mitglieder der evangelischen Kirche angehörten und als Kinder getauft worden waren. Die Brüdergemeinden forderten jedoch eine erneute Taufe, die sogenannte Glaubenstaufe. Die Freien Evangelischen Gemeinden vertraten damals – und tun dies bis heute – die Auffassung, dass die Kindertaufe als Glaubenstaufe anerkannt wird. Wer also als Kind getauft wurde, muss sich nicht noch einmal taufen lassen, um Mitglied der Gemeinde zu werden.
Dies war einer der Hauptunterschiede, die damals zur Trennung der Brüderbewegung führten. Beide Bewegungen entstanden aus dem Evangelischen Brüderverein, doch die Brüderbewegung und die Freien Evangelischen Gemeinden gingen getrennte Wege.
Ong sprach mit Hochachtung von ihnen, war begeistert und freute sich über ihre Arbeit. Dennoch sah er nicht denselben Weg wie sie. So entstanden die drei verschiedenen Gemeindebewegungen, die heute unabhängig voneinander existieren und sich unterschiedlich entwickelt haben.
Ab den 1950er Jahren organisierte er in Hamburg eine Ausbildung für zukünftige Prediger. Später entstand daraus das Predigerseminar der Baptistengemeinden. Dieses befand sich viele Jahre in Hamburg-Horn und wurde in den 1990er Jahren nach Berlin, genauer gesagt nach Elztal, verlegt. Dort hat es bis heute seinen Sitz. Zum ersten Mal war das Ganze mehr privat organisiert.
Junge Männer, die sich ausbilden lassen wollten, wurden zu Onken eingeladen. Sie wohnten dort privat und erhielten Privatunterricht. Diese jungen Männer sollten die zukünftigen Ältesten der Gemeinden werden. Voll angestellte oder bezahlte Prediger gab es damals bei den Baptistengemeinden so gut wie gar nicht. Der Baptismus war damals in erster Linie eine Laienbewegung.
Er bemerkte jedoch, dass viele Gemeinden, die neu zum Glauben gekommen waren, zu wenig geistliche Substanz hatten. Deshalb wollte er einige junge Männer verstärkt ausbilden, damit sie die Gemeinde leiten konnten. Besonders wichtig war ihm dabei die Predigt von der Bekehrung, die Predigt der Glaubenstaufe sowie die Predigt von der Urzeitlosigkeit und absoluten Wahrheit der Bibel.
Er übersetzte zahlreiche Werke und veröffentlichte sie als Pflichtlektüre für seine Studienanfänger. Unter anderem war das Werk von Henri Garcon aus der Schweiz dabei, der über die Inspiration der Bibel geschrieben hatte. Dieses Werk war Pflichtlektüre. Ihm war die Bibel als absolute Grundlage sehr wichtig, ebenso die Taufe des Gläubigen und die Bekehrung. Durch die Bekehrung kommt der Mensch zu Gott und kann dann auch Gemeindeglied werden.
Die Lehre der Baptisten bis heute besagt, dass man erst mit der Taufe Gemeindeglied wird, nicht bereits durch die Bekehrung. Durch die Taufe wird man Gemeindeglied. Gemeindeglied zu sein, hatte damals keine staatliche Bedeutung. Die Gemeinden waren nicht als eingetragene Vereine organisiert, sondern ganz privat.
In diesen Jahren wurde auch nach England eingeladen. Dabei ist eine denkwürdige Begebenheit überliefert, wie er dem Professor Guthrie begegnete. Guthrie, dessen Name bis heute für eine ganze Theologenfamilie und Dynastie in England steht, fragte ihn: „Herr Ongken, wie viele Missionare haben Sie eigentlich in Deutschland?“
Er antwortete, dass er die Zahlen nicht mehr ganz genau im Kopf habe, schätzte aber ungefähr 5000. Guthrie fragte erstaunt: „Wie geht das? Wie können Sie das bezahlen?“ Daraufhin kam die denkwürdige Antwort, die später fast legendenhaft wurde: „Bei uns ist jeder Baptist ein Missionar.“
Es waren also nicht nur 5000 Gläubige, sondern tatsächlich 5000 Missionare. Das entsprach der Realität. In England waren die Baptisten schon etabliert und verkirchlicht. Es gab dort bezahlte Pastoren, und die Gemeinden waren nicht mehr so lebendig und begeistert. In Deutschland hingegen war, wie bereits erwähnt, jeder Baptist überzeugt und mit ganzer Überzeugung dabei. Sie waren auch bereit, für ihre Sache zu leiden, wenn es darauf ankam.
So wird berichtet, dass in Memel im Osten Deutschlands die Gemeinde die Erlaubnis erhielt, ein Gemeindegebäude zu errichten. Allerdings durften sie es nicht mit einem Kirchturm versehen, damit man den Unterschied zu einer normalen Kirche erkennen konnte.
Es wird weiter erzählt, dass ein evangelischer Geistlicher spöttisch auf die Baptisten zugekommen sei und gefragt habe: „Was ist das für eine Kirche? Warum habt ihr keinen Kirchturm?“ Sehr schlagfertig antwortete der Baptist: „Wir brauchen keine Glocken, um die Leute zum Gottesdienst zu rufen. Die kommen auch so.“
Diese Antwort zeigt, dass die Situation nicht so schlimm war, wie sie vielleicht schien. Natürlich wissen wir alle, dass der Segen der Kirche nicht vom Kirchturm abhängt. Dennoch traten viele Baptisten selbstbewusst auf, weil ihnen ihre Glaubensüberzeugung viel bedeutete und sie ganz hinter ihrer Sache standen.
Die erste Baptistengemeinde mit einem eigenen Gebäude – zuvor versammelte man sich in Privathäusern oder angemieteten Räumen – entstand in Hamburg in der Böhmkenstraße Mitte der 1860er Jahre. Zu dieser Zeit hatte die Gemeinde bereits etwa 600 bis 700 Mitglieder.
Als Festprediger wurde damals Spurgeon eingeladen. Er hielt die erste Festpredigt in der ersten eigenständig gebauten Baptistengemeinde in Hamburg. Dabei lobte er das missionarische Engagement und die Bibelorientierung der Baptistengemeinden.
Die deutschen Baptisten hatten damals eine enge Bindung nach England, insbesondere zur Gemeinde von Spurgeon, die als besonders fromm galt. Man orientierte sich in Deutschland stark an diesem Vorbild und an dem Prediger aus England.
In der Zeit des Aufblühens und gegen Ende des Lebens von Onken hatten die Baptisten etwa 40 Mitglieder. Das ist bereits eine beachtliche Zahl. Innerhalb einer Lebenszeit wurden zahllose Gemeinden und Missionswerke gegründet.
Gegen Ende seines Lebens kam es noch einmal zu einer Krise, die deutlich zeigt, dass manche Menschen auch mit zunehmendem Alter nicht mehr ganz so flexibel sind oder ihre eigenen Grenzen nicht mehr richtig erkennen und beachten können. Im höheren Alter dachten einige Brüder der Hamburger Gemeinde daran, eine zweite Gemeinde zu gründen. Mit 600 bis 700 Mitgliedern wurde die bestehende Gemeinde langsam zu groß, und es war nicht mehr möglich, die Menschen persönlich zu begleiten.
Viele der Hamburger Baptisten stammten ursprünglich aus dem Ausland. Das klingt zunächst seltsam, denn mit Ausland war Schleswig-Holstein gemeint. Hamburg war damals ein eigener Stadtstaat, und Deutschland existierte noch nicht als einheitlicher Staat. Diese Mitglieder wollten deshalb auch vor den Toren Hamburgs, also in ihrem ursprünglichen Heimatgebiet, eine eigene Gemeinde gründen.
Onken stellte sich jedoch quer und sagte, dass es an jedem Ort nur eine Baptistengemeinde geben dürfe. Anders sei das nicht möglich. Daraus entstand ein großer Streit, der sich über Jahre hinzog. Onken wollte die Brüder aus den Baptistengemeinden ausschließen, da sie sich gegen ihn gewandt hatten. Es kam zu Auseinandersetzungen und Kämpfen um Schriften, was dem Baptismus sehr schadete. Auch das missionarische Engagement der Gemeinde wurde dadurch stark gelähmt.
Am Ende wandten sich die Neugründer, die eigentlich treue und liebe Menschen waren, an die amerikanischen und englischen Unterstützer. Diese bestätigten, dass es keine biblische Aussage gebe, die nur eine baptistische Gemeinde an einem Ort zulasse. Onken empfand dies als schweren Verrat. Er fragte sich, wie sie das nur tun konnten.
Infolgedessen wurde Onken aus den Finanzausschüssen der amerikanischen und englischen Unterstützer ausgeschlossen. Das traf ihn sehr tief. Zugleich führte dies dazu, dass er immer weniger Einfluss in den Baptistengemeinden hatte. Er durchlebte eine Phase des Beleidigtseins. Er war verletzt und fragte sich, wie man ihm, dem Gründer der Baptisten, so etwas antun konnte.
Die Brüder suchten dennoch die Verständigung mit ihm. Während dieser Zeit zog Onken mit seiner dritten Frau, die er zwischenzeitlich geheiratet hatte, nach Zürich. Sie hatte Verwandte dort. Onken erlitt in dieser Zeit mehrere Schlaganfälle, und es ging ihm gesundheitlich schlecht. Er wollte sich nicht mehr mit der Sache beschäftigen und zog sich nach Zürich zurück. Einige der Hamburger Baptisten besuchten ihn dort.
Es wird berichtet, dass der Streit schließlich ausgeräumt werden konnte, allerdings erst nach jahrelanger Auseinandersetzung. Letztlich entstanden in Hamburg zahlreiche Baptistengemeinden. Es zeigt sich, dass Onken nicht mehr in der Lage war, diesen nächsten Schritt zu sehen oder mitzugehen. Er konnte das Wachstum der eigenen Gemeinde nicht mehr neu organisieren oder annehmen. Er war verbittert, was der Bewegung der Baptisten Schaden zufügte.
Man muss jedoch deutlich sagen, dass der Segen Gottes dadurch nicht verloren ging. Die Bewegung blühte rasch weiter auf. Die Baptisten erlebten weiterhin einen starken Aufschwung, besonders bis in die 1920er Jahre. Anfang der 1930er Jahre hatten sie etwa 80 Mitglieder erreicht und blieben seither in etwa auf diesem Niveau.
Während des Nationalsozialismus in den 1930er Jahren kam es zu einer Lähmung. Ein Teil der Brüdergemeinde wurde zwangsweise in den Baptistenbund aufgenommen, da Hitler die Brüdergemeinde verbieten ließ. Die Brüdergemeinde entschied sich dafür, Mitglied der Baptisten zu werden, da diese weiterhin erlaubt waren, und blieb dort.
Nach dem Zweiten Weltkrieg verließen einige Brüdergemeinden den Baptistenbund wieder, während andere dort blieben. Besonders diejenigen, die sich an Wiedenest orientieren, sind noch im Bund. Das Forum Wiedenest und die Bibelschule Wiedenest repräsentieren die Arbeitsgemeinschaft der Brüdergemeinden im Bund der evangelisch-freikirchlichen Gemeinden (EFG).
Diese Konstruktion ist speziell: Weltweit heißen die Baptisten Baptisten, nur in Deutschland nennt man sie nicht so, sondern Evangelisch-Freikirchliche Gemeinden (EFG). Das liegt daran, dass ein Teil des EFG-Bundes aus Brüdergemeinden besteht. Diese haben einige Sonderrechte und Sonderorganisationen, die historisch gewachsen sind.
Ein anderer Teil der Brüdergemeinden orientiert sich an Dillenburg und bildet den freien Brüderkreis. Daneben gibt es noch die exklusiven Brüder, die eigene Verlage, Zentren und Ähnliches haben. So existieren drei Spaltungen innerhalb der Brüdergemeinden. Einer dieser Teile ist heute im Baptistenbund integriert.
Wenn wir jetzt zurückblicken auf das Leben von Johann Gerhard Onken, dann sehen wir mehrere Dinge. Wenn ich nur drei davon heraushebe, die man gut mitnehmen und überdenken kann, dann würde ich als Erstes sagen: Gott beruft nicht nur entsprechend den Voraussetzungen der eigenen Herkunft, sondern Gott beruft, wen er will.
Vielleicht könnte ich es so ausdrücken: Bei der Berufung Davids sieht Gott nicht, was vor Augen ist, sondern er sieht das Herz an. Und hier sieht er im Herzen dieses kleinen, unehelich geborenen Jungen das Potenzial, eine ganze Gemeindebewegung in Deutschland ins Leben rufen zu können – nicht durch den gut ausgebildeten Theologen, nicht durch denjenigen, der schon von Kindheit an Rhetorik gelernt hatte oder aus einem reichen Elternhaus kam, sondern durch einen Jungen, der aus den schlechtesten sozialen Hintergründen stammte, die man sich damals vorstellen kann.
Das heißt nicht, dass wir jetzt alle darauf achten müssen, dass unsere Kinder oder wir möglichst schlecht aufwachsen, um dann gebraucht werden zu können. So ist das nicht gemeint. Vielmehr sollen wir uns nicht auf unsere eigenen Fähigkeiten einbilden. Wenn wir denken, wir hätten wenig Begabungen, sollten wir auch nicht glauben, dass Gott uns deshalb nicht gebrauchen kann. Gott kann sowohl den gebrauchen, der viele Begabungen hat und aus einem guten Hintergrund kommt, als auch den, dem das eigentlich nicht in die Wiege gelegt ist. Niemand hätte dem kleinen Jungen gesagt, dass er einmal ein wichtiger Mann für die Erweckungsbewegung in ganz Deutschland werden würde.
Also: Wir sollten nicht so stark auf die eigenen Voraussetzungen schauen, sondern nach dem Auftrag Gottes suchen, den er in jedem von uns hat, und versuchen, diesen treu auszuführen.
Eine weitere Sache, zu der ich Mut machen möchte, ist, nicht auf die öffentliche Anerkennung zu achten, sondern möglichst treu bei Jesus Christus zu bleiben. Gerade das ist heute eine große Herausforderung, weil wir das gerne wollen. Wir leiden darunter, wenn wir gesellschaftlich geächtet werden. Keiner von uns möchte gern ins Gefängnis geworfen werden, nur weil er die Bibelstunde besucht. Manchmal ist es ja schon schwer genug, die Bibelstunde zu besuchen, obwohl es gar keine Gefängnisstrafe dafür gibt.
Stellen wir uns vor, man müsste sagen: „Du kommst zu uns in die Bibelstunde, dafür gehst du aber ins Gefängnis.“ Dann würde gar keiner mehr kommen. Aber gerade diese Herausforderung zeigt, wie wichtig das Wort Gottes ist. Folge ich ihm, obwohl es öffentliche Blöße bedeutet? Obwohl ich dadurch lächerlich gemacht werde? Obwohl es persönliche Nachteile zur Folge hat?
Das ist etwas, was wir von Onken lernen können. Er hat nicht so stark auf die Anerkennung seiner Zeitgenossen geschaut, sondern mehr darauf, was vor Gott richtig ist. Das genügte ihm, und daran hielt er fest – über Jahrzehnte hinweg. Das war kein Kurzläufer, der nur kurz begeistert von einer Predigt ist und dann nach ein paar Monaten wieder einknickt, sondern jemand, der jahrzehntelang daran festhielt.
Obwohl es keine Ehre oder Anerkennung gab, sondern im Gegenteil Strafgelder, Gefängnisaufenthalte und öffentliche Misshandlungen. Das war alles nicht angenehm. Und ich glaube, davon können wir heute lernen – gerade weil der Wind in Deutschland rauer zu wehen beginnt gegen evangelikale Christen.
Wenn man sich heute als evangelikaler Christ outet, ist das für die meisten keine positive Sache mehr. Es führt zu Naserümpfen: „Bist du auch so? Bist du auch so ein Intoleranter? Bist du jemand von gestern? Bist du ein Fundamentalist, fast wie die islamischen Fundamentalisten?“ Heute sind Worte wie „Mission“ oft ein Unwort. Wenn man mehr als einmal im Jahr zum Gottesdienst geht, gilt man schon als religiöser Fanatiker – zumindest für manche Menschen. Religion wird tabuisiert.
Sie können heute am Arbeitsplatz über ihre sexuelle Orientierung diskutieren. Aber wenn Sie sagen, Sie sind Mitglied einer freien Gemeinde und Jesus ist für Ihre Sünden gestorben, dann können Sie eine Verwarnung vom Chef bekommen. Manche Dinge sind wirklich seltsam.
Ich merke, dass manche Christen sich davor scheuen und immer weniger Stellungnahmen für ihren Glauben abgeben. Viele sagen nur noch: „Na ja, ich lebe als Christ, aber ich sage es nicht mehr.“ Regelmäßig frage ich dann zurück: „Und wie viele haben sich durch dein Leben schon bekehrt?“ Die Antwort ist oft ernüchternd.
Es ist klar: Wir können als Christen leben, aber das merkt keiner. Vielleicht merken die Leute, dass wir liebe und nette Menschen sind. Aber es gibt auch ungläubige Atheisten, die liebe und nette Menschen sind. In der Bibel steht eindeutig: Der Glaube kommt durch die Predigt. Damit ist nicht nur die Sonntagspredigt gemeint, sondern unser Zeugnis von Jesus Christus. Was wir im Alltag von Jesus sagen, ist gemeint.
Es ist klar: Nur dadurch, dass ich ehrlich und anständig bin, weiß niemand, dass Jesus für seine Sünden gestorben ist. Das muss ich sagen, das muss ich weitergeben.
Das ist heute oft nicht angesehen. Es gibt Probleme. Hier sind wir aufgefordert, uns nicht durch die Gesellschaft mundtot machen zu lassen, aus Angst, dass uns jemand schlecht und böse anschaut. Sondern wir sollen treu zu Jesus stehen, auch wenn es Widerstände und Probleme bedeutet.
Hier ist Johann Gerhard Onken eine wichtige Herausforderung für uns. Er hat in besonderer Weise gelebt, zu Jesus zu stehen, auch wenn es persönliche Nachteile bedeutete.
Eine dritte Sache möchte ich herausheben, und die betrifft gerade das Älterwerden: zu sehen, welche Verantwortung wir noch übernehmen sollen und wo wir sagen müssen: Ich gebe es ab. Das ist ein Problem überall, auch in vielen christlichen Werken.
Bei manchen christlichen Werken, die ich kenne, war es ein Segen, dass der Leiter endlich gestorben ist. Das klingt brutal, nicht? Und ich sage das von Leuten, die ich liebe und schätze. Zum Beispiel hatte ich meine erste Ausbildung an der StH Veta, damals Staats- und Heimliche Theologische Hochschule, unter Professor Samuel Kühling, den ich sehr schätze. Aber er hat nicht gemerkt, wann es zu spät war. Sein Werk war kurz davor unterzugehen. Erst als er gestorben war, konnte es weiterexistieren, weil der Nachfolger notwendige strukturelle Veränderungen eingeführt hat.
Manchmal merken wir es selbst nicht mehr. Ich habe vor ein paar Jahren eine Gemeinde über anderthalb Jahre beraten, die eine tiefe Krise hatte. Der Gründer und Leiter war schon über achtzig und meinte, er sei der Einzige, der den Überblick habe. Er weigerte sich, andere Älteste zuzulassen, weil „die noch nicht so weit seien“. Die Brüder, die er meinte, waren Mitte fünfzig und schon seit zwanzig Jahren im Dienst.
Ich sagte ihm: „Wie lange willst du noch warten? Wann sind sie so weit?“ Er antwortete: „Noch ein paar Jahre.“ Die Brüder in der Gemeinde sagten mir: „Das sagt er schon seit zehn Jahren.“
Ich schätze diesen Bruder sehr, kenne ihn seit vielen Jahren und weiß, dass er im Dienst gesegnet ist. Aber er hat einfach nicht mehr gesehen oder sehen können, wann es notwendig ist, Verantwortung abzugeben – auch wenn das bedeutet, dass die jüngeren Brüder mit Mitte fünfzig vielleicht anders entscheiden, als er es tun würde.
Ich glaube, irgendwann sind wir alle daran. Deshalb sage ich mir das auch regelmäßig: Wenn ich mal so alt werde und es nicht merke, dann soll mich jemand darauf hinweisen. Dann bin ich dankbar dafür.
Was hilft es, wenn wir etwas, das wir im Segen aufgebaut haben, dadurch schädigen, dass wir nicht erkennen, wann es Zeit ist, Verantwortung abzugeben? Manche gesegnete Gottesmänner haben im Alter Dinge wieder beschädigt, die sie zuvor aufgebaut hatten. Dafür brauchen wir Gottes Weisheit.
Das heißt nicht, dass jemand mit 80 oder 90 keinen Dienst mehr im Reich Gottes hat. Doch, den hat er. Aber vielleicht nicht mehr als Leiter oder in Hauptverantwortung, weil er nicht mehr die Kraft, den Überblick oder die Flexibilität hat. Oft merken andere das eher als wir selbst, weil wir es uns nicht eingestehen wollen.
Deshalb würde ich jedem sagen: Egal wie alt du bist, in jedem Alter hat Gott einen Dienst für dich. Aber wir müssen immer fragen: Welcher ist es? Wenn wir an einem Dienst festhalten, den wir über Jahrzehnte gut gemacht haben, kann das der Gemeinschaft schaden.
Bei Onken habe ich gesehen, dass er gegen Ende seines Lebens nicht mehr erkannte, dass er nächste Schritte braucht. Plötzlich interpretierte er Dinge als unbedingt geistlich, die mehr seine persönliche Tradition oder Ansicht waren.
Diese drei Dinge hoffe ich, dass Sie mitnehmen können: Egal, welche Herkunft Sie haben, woher Sie kommen oder welche Prägung Sie mitbringen – Gott kann und will Sie gebrauchen.
Es ist ganz wichtig, danach zu fragen, egal ob jemand theologisch begabt ist oder aus schwierigen familiären Hintergründen kommt. Gott hat uns alle im Blick, so wie Johann Gerhard Onken als uneheliches Kind aus einem ungläubigen Elternhaus.
Die zweite Sache, die ich betont habe, ist, keine Scheu zu haben, auch wenn wir als Christen zunehmend kritisch betrachtet werden oder Nachteile durch das Bekenntnis zum Glauben erfahren. Wir sollen daran festhalten. Wenn wir das aufgeben, geben wir das Wesentlichste und Wichtigste in unserem Leben auf – und auch das Wichtigste, was wir der Gesellschaft geben können.
Soziale Aktionen sind gut, aber die kann jeder in der Gesellschaft machen und tut es auch. Wir sollten sie ebenfalls unterstützen. Aber das Wesentliche, was kein anderer den Menschen in Deutschland geben kann, ist das Evangelium von Jesus Christus – das Evangelium von der Vergebung der Schuld und vom ewigen Leben.
Das kann kein anderer geben. Wenn wir es nicht tun, gehen die Menschen am Wichtigsten in ihrem Leben vorbei.
Und die dritte Sache ist, zu erkennen, wann es gut ist, Verantwortung abzugeben. Nicht an Dingen festzuhalten, wenn eigentlich von Gott aus die Zeit ist, andere Aufgaben zu übernehmen und Verantwortungen an andere weiterzugeben.
Damit möchte ich gerne schließen und auch gleich dafür beten, dass Gott uns hilft, das umzusetzen. Denn eine Sache ist, das zu hören, eine ganz andere ist, zu sehen, was das für unser eigenes Leben bedeutet.
Ich bete:
Herr Jesus Christus, ich danke dir für Menschen wie Johann Gerhard Onken. Immer wieder, wenn ich mich mit ihnen auseinandersetze, begeistert mich das, weil ich merke, dass es Menschen gibt, die sich von dir gebrauchen lassen. Durch dein Wirken haben sie viel bewegt, vielen Menschen zum Heil verholfen und Deutschland bis heute geprägt.
Danke, dass die Baptistengemeinden entstehen konnten und durch das Gute, das du über die Jahrzehnte hinweg durch sie bewirkt hast. Wir bitten dich auch für den Baptistenbund heute, dass du ihn richtig führst. Besonders bitten wir für diejenigen, die Verantwortung tragen, dass sie die richtigen Entscheidungen treffen und sich kein Traditionalismus oder eine Gewöhnung breitmacht – wie das häufig bei Gemeinden mit langer Geschichte der Fall ist.
Vor allem aber möchte ich dich bitten, uns allen zu helfen, nicht nur die Lebensdaten von Onken zu behalten, sondern auch die Herausforderung zu erkennen, die sich daraus für uns selbst ergibt. Wir wollen die positiven Dinge sehen, die uns begeistern und von denen ich glaube, dass sie für uns alle wichtig sind. Hilf uns, den Platz zu erkennen, den du für uns haben willst – unabhängig von äußeren Voraussetzungen, Diplomen, Anerkennung oder Herkunft.
Hilf uns zu erkennen, an welchem Platz du uns gebrauchen willst, und gib uns den Mut, das auch zu tun.
Ich möchte dich auch bitten, uns Kraft und Mut zu geben, trotz gesellschaftlicher Ächtung bei dir zu bleiben und an dir festzuhalten. Hilf uns, uns nicht durch Anerkennung oder Ablehnung bestimmen zu lassen, sondern danach zu leben, wie wir bei dir sind und ob du es als richtig ansiehst oder nicht.
Gib uns auch die Weisheit, rechtzeitig zu erkennen, wann wir Verantwortung abgeben müssen und anderen übergeben sollten, damit wir nicht Dinge schaden, die wir eigentlich fördern wollen.
Herr Jesus, gib uns Weisheit und Unterstützung durch Geschwister. Danke für deinen Heiligen Geist, der uns führt, an das erinnert, was du willst, und uns Einsicht und Kraft gibt, es auch zu tun.
Amen.