Einführung in die Glaubensentscheidung und Theologie
Dem Glauben der Jünger und im Wort ihrer Verkündigung ist der Jesus der Bibel zum Himmel aufgefahren und sitzt zur Rechten Gottes. Von dort wird er kommen, um die Lebenden und die Toten zu richten.
Das sind Gegensätze, die sich ausschließen. Jeder muss sich entscheiden, welchen Jesus er wählt. Er soll aber wissen, dass der Jesus der Bibelkritik nicht zu retten vermag. Wer den Sohn hat, hat das Leben. Wer aber den Sohn nicht hat, hat das Leben nicht.
Wir müssen uns auch entscheiden, welche Theologie wir wollen: eine Theologie in der Nachfolge Jesu, auf dem Grund der Apostel und Propheten, oder aber eine Theologie in der Nachfolge von Denkern und Dichtern, auf dem Hypothesengrund der sogenannten Wissenschaft. Dort lauert jede einzelne Gefahr.
Eines dürfen wir jedoch nicht vergessen: Der historisch-kritische Theologe sitzt in jedem von uns. Und das ist das Fleisch. Wie Sie wissen, streitet das Fleisch gegen den Geist. Wir sind also nicht in der Position, von oben herab auf diese Leute zu schauen. Wer aber da steht, der hüte sich, dass er nicht falle.
Man kann auch ohne historisch-kritisch zu sein in irgendwelche Fährnisse geraten. Es gibt nur einen Weg, um sicher zu wissen: Der Herr ist unsere Weisheit, und er gibt uns Weisheit. Wenn wir uns auf uns selbst verlassen, dann sind wir verlassen. Deshalb wollen wir das lieber gar nicht tun.
Überblick zum Hebräerbrief und Verfasserfrage
Und nun kommen wir zum Hebräerbrief. Ich habe eine Abhandlung geschrieben mit dem Titel „Wiederaufnahmeprozesse in Sachen des Hebräerbriefes“. Davon bekommen Sie jetzt eine Kurzfassung. Wer also mehr wissen möchte, kann das Original nachlesen. Dort sind auch die Beweise enthalten, die hier fehlen, weil man nicht in so kurzer Zeit alles unterbringen kann.
Im Unterschied zu den anderen Briefen des Neuen Testaments nennt der Hebräerbrief nicht den Namen seines Verfassers – er ist anonym. Wer den Standpunkt vertritt, dass das Neue Testament den Namen nicht nennt und man ihn deshalb nicht wissen muss, hat damit recht. Niemand ist verpflichtet, sich Gedanken darüber zu machen oder eine Position einzunehmen und zu sagen, wer den Hebräerbrief geschrieben hat. Man kann es dabei belassen, und daran ist nichts Falsches.
Kritische Theologen haben es jedoch nicht dabei bewenden lassen. Sie haben über die Verfasserfrage spekuliert und dadurch die Autorität des Hebräerbriefes beeinträchtigt. Deshalb ist es nötig, heute erneut die Frage zu stellen: Wer ist der Verfasser des Hebräerbriefes, obwohl das Neue Testament darüber schweigt? Hätten die kritischen Theologen nicht daran spekuliert, könnten wir uns das alles sparen. Aber da diese Spekulationen nun einmal in der Welt sind, müssen wir das entsprechende Gegengift liefern.
Bis zum Jahr 200 galt der Hebräerbrief ganz allgemein als Paulusbrief. Damals, als man den Fakten noch nahe war, gab es keine Zweifel. Heute, im Jahr 2000, stimmen selbst Bibeltreue höchstens noch in die Pseudoformulierung des Origenes ein. Origenes war ein Kirchenvater aus dem zweiten und dritten Jahrhundert. Er sagte: „Wer aber den Brief geschrieben hat, weiß wahrhaftig Gott.“ Damit weicht man einer klaren Stellungnahme aus.
Diese Formel wirkt wie ein Nebelvorhang, der verhindert, dass die Argumente gegen die Abfassung des Hebräerbriefes durch Paulus in ihrer Unzulänglichkeit erkannt und endgültig zurückgewiesen werden. Hassen, Mu und Morris – das sind die Verfasser einer etwa tausendseitigen Einleitung ins Neue Testament. Sie teilen mit: Die letzte große Verteidigung der Verfasserschaft des Hebräerbriefes wurde vor mehr als einem halben Jahrhundert geschrieben. Heute würde praktisch niemand diesen Versuch wiederholen.
Linnemann ist diejenige, die nach mehr als einem halben Jahrhundert den Versuch wagt, zu zeigen, dass es keinen Grund gibt, den Hebräerbrief Paulus abzusprechen. Dafür habe ich kräftig Kritik bekommen – von meinen evangelikalen Brüdern. Man könnte meinen, dass Fragen wie die nach Pseudepigraphie oder dem Synoptikon die Leute aufregen. Aber erstaunlicherweise hatte gerade das Aufzeigen, dass es keinen Grund gibt, Paulus die Verfasserschaft des Hebräerbriefes abzusprechen, eine Wirkung wie das ungeschickte Entfernen eines Wespennestes.
Meine Brüder waren sehr aufgebracht. Ich weiß nicht warum, aber so war es. Als ich diesen Vortrag vor lieben evangelikalen Brüdern hielt, die alle im Neuen Testament arbeiten, haben sie mir hinterher nicht einmal mehr die Hand gegeben. Nun ja, es geht ja um den Herrn Jesus und um sein Wort – und das ist das Entscheidende.
Notwendigkeit eines Wiederaufnahmeverfahrens und handschriftliche Bezeugung
In Bezug auf den Hebräerbrief hat ein illegitimes Verfahren stattgefunden, das aus einem einmal Verdächtigten einen für immer Verurteilten macht. Dabei wird nicht berücksichtigt, dass die Indizien, die zur Anklage geführt haben, entkräftet worden sind. Billigerweise hätte am Ende des Verfahrens ein Freispruch erfolgen müssen – nicht mangels Beweises, sondern wegen erwiesener Unschuld.
Deshalb ist es an der Zeit, ein Wiederaufnahmeverfahren in Sachen des Hebräerbriefes durchzuführen, bei dem die Fakten neu gesichtet und gewichtet werden.
Zunächst zur handschriftlichen Bezeugung: Ich erspare Ihnen die Einzelheiten; diese kann, wer es will, in dem Aufsatz nachlesen, der in Fundamentum abgedruckt ist. Aber eines ist klar: Bereits um 200 n. Chr. ist der Hebräerbrief nicht nur zitiert, sondern wir finden ihn auch in einem Papyrus, dem Papyrus 46. Dort steht er nach dem Römerbrief. Die Reihenfolge lautet: Römer, Hebräer, die Korinther, Epheser, Galater – also sind die Briefe nach ihrer Länge geordnet.
Man könnte einwenden: Warum das, schließlich ist der Hebräerbrief ja kleiner als der erste Korintherbrief? Aber wer wollte denn die beiden Korintherbriefe auseinanderreißen? Der Hebräerbrief steht in der Länge zwischen dem ersten und dem zweiten Korintherbrief. Er hätte also entweder hinter beide Korintherbriefe gestellt werden müssen – dann hätte die Länge nicht gestimmt – oder vor die Korintherbriefe.
Eine Handschrift, in der nicht nur ein Brief oder ein Teil eines Briefes enthalten ist, sondern in der gleich fast alle Paulusbriefe aufgeschrieben sind und die um 200 n. Chr. entstanden ist, das ist etwas ganz Besonderes. So etwas gibt es nur einmal.
Man muss wissen, dass diese Handschrift auf Papyrus geschrieben wurde. Die Blätter wurden aus einer Pflanze zusammengeleimt, und das hält sich nicht so lange. Papyrus ist viel vergänglicher als unser heutiges Papier. Stellen Sie sich vor, ein Blatt Papier, auf dem heute etwas gedruckt ist, und wie das in 2000 oder 1800 Jahren aussehen wird – das kann man dann nicht mehr finden. Deshalb ist diese Handschrift schon etwas ganz Besonderes.
Abgesehen davon steht der Hebräerbrief noch in einer ganzen Reihe von alten Handschriften. Er ist also wirklich so gut bezeugt wie der Römerbrief.
Ist es denkbar, dass eine Schrift, deren Verfasser unbekannt, umstritten oder nachweislich kein Apostel gewesen wäre, Aufnahme in den Kanon des Neuen Testaments gefunden hätte – und obendrein eine derart ausgezeichnete handschriftliche Bezeugung?
Nun kommen wir zum Zeugnis der Kirchenväter.
Zeugnis der Kirchenväter und Überlieferungslage
Eine Überlieferung über den Verfasser des Hebräerbriefs, die sich durch alte Einstimmigkeit und schwer erfindliche Originalität mit den Traditionen über die Verfasser der übrigen neutestamentlichen Schriften vergleichen ließe, gibt es nicht, urteilt Zahn. Dieses Urteil ist schwerwiegend und stellt die Echtheit des Hebräerbriefs infrage. Doch zunächst sollten wir die Fakten prüfen.
Erstens: Der Hebräerbrief ist anonym geschrieben. Das müssen wir uns stets vor Augen halten. Daher dürfen wir nicht erwarten, dass viel über den Verfasser gesagt wird. Außerdem hat der Brief eine abweichende Struktur. Er ist kein Gemeindebrief, aber auch kein Brief an eine Einzelperson. Man darf nicht vergessen, dass die eigentlichen Adressaten des Briefes zu dem Zeitpunkt nicht mehr vorhanden sind.
Wir werden später sehen, dass man die Adressaten in Jerusalem suchen muss, in der Urgemeinde unter denen, die so fleißig waren, das Gesetz zu erfüllen, obwohl sie an den Herrn Jesus glaubten. Jerusalem wurde im Jahr 70 nach dem Ersten Jüdischen Krieg zerstört. Zwischen 133 und 135 gab es noch einmal den Bar-Kochba-Aufstand. Doch zu diesem Zeitpunkt war von der Urgemeinde nichts mehr zu finden. Sie hatte vor der Belagerung im Jahr 67 Jerusalem verlassen und war nach Pella gegangen. Nach dem Jüdischen Krieg, der im Jahr 70 mit der Zerstörung Jerusalems endete, war die Urgemeinde nicht mehr existent.
Wir haben es hier also mit einem Abbruch von Tradition zu tun. Das ist eine Besonderheit, die man nicht außer Acht lassen darf.
Das Unternehmen, dem Hebräerbrief anstelle von Paulus anderen Autoren zuzuschreiben, blieb zunächst eine Episode. Das finden wir bei Clemens von Alexandrien, der sagt, einige meinen, der Brief sei von Clemens, andere wiederum sagen, er sei von Lukas. Einen dritten Autor nennt Clemens von Alexandrien nicht; dieser taucht erst bei Tertullian auf.
Es gab also Überlegungen von Clemens, die alle einmal aufkamen. Doch bei Clemens von Alexandrien war die Frage eher provokativ. Er fragte seine Studenten: „Was meint ihr, wer könnte den Brief geschrieben haben?“ So erhielt er viele verschiedene Antworten von klugen Köpfen. Wirkliche Traditionen gab es jedoch nicht.
Clemens von Alexandrien spekulierte, dass der Hebräerbrief von Paulus stamme. Er wusste genau von seinem Lehrer Bantenus an der Katechetenschule, der um 200 gestorben war, dass der Brief von Paulus sei. Doch er bemerkte, dass der Stil viel besser sei als das griechische Paulus, und so wurde die erste Zweifelssaat gelegt.
Die Gedanken seien zwar von Paulus, aber vielleicht habe Lukas geschrieben. Diese Diskussion setzte sich bei Origenes fort, der zu den „Arabius Theologorum“, den klugen Köpfen, gehörte, die sich immer wieder neue Erklärungen ausdachten. Eine schlimme Seuche, aber sie war nun einmal vorhanden.
Alle diese Überlegungen, die in Gang gesetzt wurden, setzten sich auch bei Tertullian fort. Er schrieb dem Hebräerbrief Barnabas zu. Darüber wird demnächst noch ein Aufsatz von mir im Fundamentum erscheinen. Das ist die These von Rainer Riesner, und ich werde dort in allen Einzelheiten darauf eingehen. Das kann man also demnächst nachlesen, hoffentlich schon in der nächsten Ausgabe. Hier möchte ich das nicht weiter vertiefen.
Solche Dinge blieben Episoden. Vor und nach der Zeit dieser Theologen und teilweise auch zu ihren Lebzeiten wurde daran festgehalten, dass Paulus der Verfasser des Hebräerbriefes sei.
Hieronymus (345–420) stellte bereits fest, dass der Brief nicht nur von den Kirchen des Ostens, sondern auch von allen Schreibern der griechischsprachigen Kirche als Brief des Paulus aufgeführt wurde. Zwar meinten viele, er sei entweder ein Brief von Barnabas oder Clemens, doch die Kirche als Ganzes hielt daran fest, dass Paulus der Verfasser war.
Im vierten und fünften Jahrhundert hielten offenbar alle, die in der Kirche Rang und Namen hatten, den Hebräerbrief für paulinisch – abgesehen von Ausnahmen. Die wichtigste Ausnahme war der Theologe Augustin. Im Osten, also in der griechischsprachigen Kirche, war man sich ohnehin einig. Der Sektierer Montanus hatte möglicherweise schon die Idee, der Hebräerbrief sei von Barnabas. Abgesehen von den Alexandrinern, die ihre Spezialideen hatten, war man sonst der Überzeugung, dass der Brief von Paulus stammt.
Im Westen jedoch war das nicht so verbreitet. Dort galt der Hebräerbrief zunächst als anonymer Brief. Dann kam Tertullian, der in seiner Zeit bereits Montanist, also Sektierer, war. Er behauptete, der Brief sei von Barnabas geschrieben worden. Die extremen Sekten, wie die Novatianer und Donatisten, folgten ihm darin gerne. Das passte ihnen gut.
Doch auch im Westen kam die Gesamtkirche in einer Synode in den 90er Jahren des vierten Jahrhunderts und später in einer Synode in Rom gegen Ende des fünften Jahrhunderts zu der Überzeugung, dass der Hebräerbrief von Paulus sei. Dies war der Standpunkt der gesamten Kirche bis zum Einsetzen der historisch-kritischen Theologie.
Aufgrund der Untersuchung der Aussagen der Kirchenväter zum Hebräerbrief und der Prüfung der anschließenden Argumente hat sich ergeben, dass kein ausreichender Grund besteht, Paulus den Hebräerbrief abzusprechen. Deshalb hat man kein Recht, länger bei der Aussage von Origenes zu bleiben, der meinte, allein Gott wisse, wer den Brief geschrieben habe. Die Versuche, alternative Autoren zu benennen, sollten endgültig als erledigt betrachtet werden.
Leider ist das nicht geschehen. Herr Riesner unternahm noch den Versuch, statt Paulus Barnabas als Verfasser des Hebräerbriefes hinzustellen. Die kritischen Annahmen einzelner Theologen, der Hebräerbrief sei nicht von Paulus, sondern von Barnabas, Clemens oder Lukas verfasst worden, wurden zwar treu überliefert. Sie haben jedoch das Gesamturteil der Kirche nicht beeinflusst.
Insgesamt hat die alte Kirche stets daran festgehalten, dass Paulus der Verfasser des Hebräerbriefes war.
In der historisch-kritischen Theologie haben sich allerdings die Gewichte verschoben. Nicht das Urteil der Gesamtkirche, sondern die kritischen Unterstellungen einzelner wurden zur Grundlage gemacht. Das ist typisch. Man argumentiert: „Ja, es hat ja schon der eine und der andere gesagt“, wobei man auch nicht vergisst, dass Origenes ein Irrlehrer war. Tertullian war ebenfalls ein Irrlehrer.
In der Zeit, als Tertullian behauptete, Barnabas sei der Verfasser des Hebräerbriefes, war er Montanist. Er kehrte nie vom Montanismus zurück. Die Schrift, in der Barnabas als Verfasser des Hebräerbriefes genannt wird, stammt aus dem Jahr 209 und fällt damit eindeutig in seine montanistische Zeit.
Auch in der historisch-kritischen Theologie wurden die kritischen Unterstellungen einzelner zur Grundlage gemacht. Selbst bei den Evangelikalen wurde diesen Annahmen zu viel Gewicht beigemessen. Man bemühte sich sogar redlich, sie durch neue Argumente zu verstärken.
Stil und Sprache des Hebräerbriefes im Vergleich zu Paulusbriefen
Nun zum Stil des Hebräerbriefes. Clemens von Alexandrien hatte bereits gesagt, dass der Hebräerbrief eine bessere, gehobenere griechische Sprache als die paulinischen Briefe habe, ohne jemals einen Beweis dafür vorzulegen. Das ist eine Pauschalbehauptung, und bis in unsere Zeit wurden immer wieder solche Aussagen gemacht.
Erst vor einigen Jahren hat ein historisch-kritischer Theologe namens Attritsch sich die Mühe gemacht, das zu überprüfen. Er verglich die gehobene Sprache des Paulus mit der des Hebräerbriefes und zeigte einzelne Stilfiguren im Hebräerbrief auf, die angeblich diese gehobenere Sprache belegen sollten.
Nachdem nun endlich einmal Einzelheiten bekannt wurden, konnte man sich damit auseinandersetzen. Es zeigte sich, dass keines der charakteristischen Merkmale der gehobenen griechischen Sprache des Hebräerbriefes in den übrigen Paulusbriefen fehlt. Ich bin das durchgegangen. Wer will, kann das in meinem Aufsatz im Fundamentum nachlesen – Stück für Stück. Ich weiß nicht genau, wie viele Einzelheiten es waren, 23 oder 25, irgendetwas in der Größenordnung.
In der Regel lassen sich die Stilfiguren in gleichem Umfang bereits im Römerbrief nachweisen. Der Römerbrief steht zeitlich dem Hebräerbrief am nächsten. In ein oder zwei Fällen fand ich solche Stilfiguren nur im ersten oder zweiten Korintherbrief. Jeder Schriftsteller braucht ja nicht alle Stilmittel in jedem Schreiben zu verwenden.
Vielleicht habe ich auch nicht ganz genau nachgesehen. Ich konnte ja keine halbjährige Studie machen. Das musste auch schnell gehen und sollte fertig werden. Aber ich habe keine einzige Redefigur gefunden, die es bei Paulus nicht gegeben hätte.
Es stimmt also nicht, dass der Hebräerbrief eine gehobenere Sprache hat als die, die Paulus liefern kann. Natürlich ist es auch ein Unterschied, unter welchen Umständen man schreibt. Wenn Paulus beim Zeltmachen seine Briefe diktierte und sein Team dabei saß, konnte es schon mal vorkommen, dass Paulus aus der Satzkonstruktion fiel. Das nennt man Anakolut.
Im gesamten Corpus Paulinum gibt es acht Anakolute. Es gibt dreizehn Paulusbriefe, und acht Mal fällt Paulus aus der Satzkonstruktion. Ausgerechnet ein evangelikaler Theologe, der durch Diffamierung zeigen will, dass der Stil des Hebräerbriefes anders sei als der von Paulus, behauptet, Paulus verliere ständig den Faden seiner Argumentation.
Wenn ich in einem Satz aus der grammatischen Konstruktion falle, verliere ich damit nicht den Faden der Argumentation. Man muss ja davon ausgehen, dass Paulus seine Briefe diktiert hat, zumindest die vor dem Hebräerbrief. Er schreibt zum Beispiel im Galaterbrief: „Diese schreibe ich euch mit meiner eigenen Hand.“ Das heißt, am Schluss schreibt er selbst, vorher hat er also diktiert.
Klar, er musste ja auch noch das Brot für sein Team verdienen, durch Zeltmachen. Die Umstände, unter denen man schreibt, wirken sich also durchaus auf die Qualität der Sprache aus. Wenn man etwas schnellflüchtig schreiben muss, ist das etwas anderes, als wenn man am Federhalter sitzt und sorgfältig schreibt.
Nun muss es aber gut sein. Als Paulus in der Privatwohnung in Rom war, wo er natürlich bewacht wurde und die Wohnung nicht verlassen durfte, hatte er ganz andere Möglichkeiten, sich auf sein Schreiben zu konzentrieren.
Abschließend ist festzustellen: Nachdem es möglich wurde, zu verifizieren, wodurch das Griechisch des Hebräerbriefes im Vergleich zu dem der Paulusbriefe besser qualifiziert sein soll, ließ sich die Behauptung der gehobeneren Sprache des Hebräerbriefes widerlegen. Wenn sie nicht auf einer besseren Grundlage basiert, hält sie einer Nachprüfung nicht stand.
Vokabular und sprachliche Besonderheiten
Nun zum Vokabular des Hebräerbriefs. Gegen eine paulinische Verfasserschaft werden unter anderem auch die Unterschiede im Vokabular angeführt, ohne dass konkrete Tatbestände genannt werden, die das rechtfertigen würden. An die Stelle von Behauptungen sollen deshalb Fakten treten.
Der Wortschatz des Hebräerbriefs umfasst 1.039 Worte. Davon kommen 718 Wörter, also 69,10 %, auch im Vokabular der Paulusbriefe vor. Dabei ist zu beachten, dass jeder der dreizehn Paulusbriefe mit dem gesamten Vokabular vertreten ist.
Ist das ein Beweis dafür, dass der Hebräerbrief nicht von Paulus stammen kann? Keineswegs. Es ist lediglich das Ergebnis einer Vorentscheidung.
Das Vokabular der Paulusbriefe wurde erfasst, indem man den Wortschatz der dreizehn paulinischen Briefe zusammenfügte. Jedes Wort wurde dabei nur einmal gezählt. Alle Worte, die separat im Römerbrief, im ersten Korintherbrief oder in anderen Briefen vorkommen, sind im paulinischen Wortschatz enthalten, auch wenn sie manchmal nur in einem einzelnen Brief erscheinen.
Das Separatvokabular des Hebräerbriefs wurde dabei nicht berücksichtigt. Für die Worte, die nur im Hebräerbrief vorkommen, gilt das nicht.
Um den Hebräerbrief mit dem Vokabular der Paulusbriefe zu vergleichen, müssen wir deshalb zunächst die 321 Worte, die nur im Hebräerbrief erscheinen, zu den 2.645 Worten des Vokabulars der dreizehn Paulusbriefe hinzufügen. Nur so erhalten wir realistische Werte.
Der Vergleichswert beläuft sich somit auf 2.966 Worte. Darauf ist der Wortschatz des Hebräerbriefs mit 1.039 Worten voll anzurechnen. Sein Anteil am paulinischen Vokabular beträgt 35,03 %.
Nach dieser Berechnung beträgt der Anteil der allgemein anerkannten Paulusbriefe am paulinischen Vokabular beispielsweise für den Römerbrief 35,94 % und so weiter. Diese Werte können Sie nachlesen.
Der Anteil des Hebräerbriefs am paulinischen Vokabular entspricht annähernd dem des Römerbriefs, dem er auch im Wortschatz am nächsten kommt. Dabei ist zu beachten, dass der Hebräerbrief im Umfang zwischen dem ersten und zweiten Korintherbrief einzuordnen ist, und zwar näher am zweiten Korintherbrief.
Der Römerbrief weist unter den Paulusbriefen die größten Gemeinsamkeiten mit dem Hebräerbrief auf, obwohl er dessen Umfang um 2.143 Worte, also fast um die Länge des Hebräerbriefs, übersteigt.
Nun zu den Einzelbefunden im Hebräerbrief.
Einzelbefunde zur Verfasserfrage
Anonymität des Hebräerbriefes
Erstens: Anonymität. Gasry, ein englischer Theologe, wendet gegen die Verfasserschaft des Paulus in Bezug auf den Hebräerbrief ein, dass Anonymität nicht dem Stil des Paulus entspreche. Dieses Argument ist fragwürdig. Ist Anonymität wirklich eine Stilfrage? Gab es jemals Autoren, deren Stil es war, anonym zu schreiben?
Welches Recht hätte man zu der Annahme, dass es der Stil von Barnabas, Apollos, Clemens oder Lukas gewesen wäre? Die Frage kann doch nicht nur für Paulus gestellt werden. Dennoch arbeitet die wissenschaftliche Theologie sozusagen „wissenschaftlich“ nur an Paulus. Dabei wird überhaupt nicht bedacht, dass man dieselbe Frage auch an die anderen angegebenen Verfasser stellen müsste – und nicht nur an Paulus.
Merkwürdigerweise macht sich darüber niemand Gedanken. Nur Paulus wird deshalb die Verfasserschaft des Hebräerbriefes abgesprochen. In Wahrheit ist Anonymität keine Frage des Stils, sondern eine Frage der Notwendigkeit. Wer anonym schreibt, hat dafür Gründe. In der Regel schreibt Paulus nicht anonym, das ist wahr. Aber keine Regel ist ohne Ausnahme nach dem Gesetz der Logik.
Gab es Gründe, die ausnahmsweise dazu nötigten, den Hebräerbrief anonym zu schreiben? Diese Frage ist nicht nur in Bezug auf Paulus zu stellen, sondern gilt für jeden, den man zum Verfasser des Hebräerbriefes erklärt. Es ist inkonsequent, dass keiner der Kritiker, die Paulus wegen der Anonymität den Hebräerbrief absprechen, jemals einen Grund angegeben hat, warum Barnabas, Apollos, Clemens oder Lukas ihn anonym verfasst haben sollten.
Nur unter der folgenden Voraussetzung macht ein anonymer Brief Sinn:
a) Die Adressaten sind nicht willig, ein Schreiben aus der Hand des Absenders in Empfang zu nehmen. Es kann ihnen nur zugespielt werden, indem man den Absender verschweigt.
b) Der Verfasser erkennt an dem Ort einen oder mehrere Empfänger, die einen Brief aus seiner Hand annehmen und durch die er ihn den eigentlichen Adressaten zuschreiben kann.
Wir müssen also unterscheiden zwischen dem Adressaten und dem Empfänger des Briefes. Eine derartige Situation ist weder für Barnabas, Apollos, Clemens noch Lukas nachweisbar. Für Paulus aber war sie eindeutig gegeben.
So urteilt auch Clemens von Alexandrien. Er erklärt das Fehlen eines paulinischen Preskripts – das ist eine Art Einführung – indem er sagt, dass Paulus für Hebräer schrieb, die ein starkes Vorurteil gegen ihn entwickelt hatten. Deshalb ließ er seinen Namen weg.
Der Adressat des Hebräerbriefes ist in Jerusalem zu suchen. Für die Abfassung des Briefes kommt nur ein einziger Ort und eine genau bestimmte Zeit in Frage, nämlich Rom, zur Zeit, als Paulus in seiner Privatwohnung gefangen gehalten wurde.
a) In Jerusalem gab es nach den Angaben des Jakobus und der Ältesten viele Tausende Juden, die gläubig geworden waren und alle Eiferer für das Gesetz, siehe Apostelgeschichte 21,18-21. Das erfuhr Paulus kurz vor seiner Gefangennahme im Tempel. Obwohl es theoretisch möglich gewesen wäre, dass wenigstens einige davon seine Rede an das Volk (Apostelgeschichte 22,1-21) hören konnten, fehlt jeder Hinweis darauf, dass sie ihre Einstellung geändert haben.
b) Angesichts seiner Einstellung in Römer 9,3, dass er lieber selbst verloren gehen wollte, wenn er sein Volk damit retten könnte, ist es unwahrscheinlich, dass Paulus den Versuch unterlassen hat, auch diesen Menschen das Evangelium von der Gnade Gottes zu bringen. Er wollte ihnen klarmachen, dass niemand durch Gesetzeswerke gerecht wird.
Ein Judenchrist, der in Jerusalem ein Eiferer für das Gesetz war, bemühte sich vor allem, die Vorschriften zu erfüllen, die mit dem Tempelkult verbunden waren. Entsprechend wird bei den Adressaten des Hebräerbriefes vorausgesetzt, dass sie zum Tempelkult eine lebendige Beziehung hatten.
d) Von Caesarea aus konnte Paulus diese Adressaten nicht erreichen, denn ein dort abgefasster Brief hätte schwerlich anonym bleiben können. Der Abstand von Jerusalem nach Rom war groß genug, dass eine derartige Aktion verborgen bleiben konnte.
Von Rom aus konnte jederzeit ein Brief nach Jerusalem mitgegeben werden. Dort gab es in der Gemeinde sicher auch einige Menschen, die bereit waren, einen Brief des Paulus zu empfangen und den Inhalt im Wortlaut, aber ohne Nennung des Verfassers, an die ins Auge gefassten Adressaten weiterzugeben.
Solche Empfänger, die von den Adressaten des Briefes zu unterscheiden sind, setzt Hebräer 13,18-25 voraus.
f) Es ist kein Einwand gegen die paulinische Verfasserschaft, dass der Verfasser in dem Brief keinen Anspruch auf seine apostolische Vollmacht erhebt. Dies ist vielmehr die notwendige Konsequenz aus der Anonymität des Schreibens.
Hätte er gesagt „Apostel“, wäre der Brief nicht mehr anonym geblieben, denn dann käme praktisch nur er selbst als Verfasser in Frage. Damit ist auch das Fehlen weiterer Hinweise erklärt, die es möglich machen würden, ihn als Verfasser zu identifizieren.
Die Anonymität des Hebräerbriefes spricht nicht gegen die Echtheit des Briefes. Für Paulus hatte sie sich als sachlich notwendig erwiesen. Barnabas, Apollos, Lukas oder Clemens hätten dagegen keinen Grund gehabt, ein derartiges Schreiben anonym abzufassen.
Die Anonymität des Hebräerbriefes spricht gegen ihre Verfasserschaft. Nur bei Paulus macht sie einen Sinn.
Fehlen der charakteristischen geistlichen Erfahrung
Zweitens fehlt jeder Hinweis auf die charakteristische geistliche Erfahrung. Nach Gasry ist ein gewichtiger Einwand die Abwesenheit der geistlichen Erfahrung des Paulus, also seiner Bekehrung. Es fehlt jeglicher Hinweis darauf, dass der Verfasser von einer geistlichen Krise beherrscht wird, die mit der Damaskuserfahrung vergleichbar wäre.
Als Folge fehlt die für Paulus typische Spannung. Im Römerbrief fehlt ebenfalls jeder Hinweis auf die Damaskuserfahrung. In 1. Korinther 15,9 wird sie nur kurz gestreift, in 2. Korinther wird sie nicht erwähnt. In Galater 1,11-24 wird ausführlich darüber berichtet. Der Epheserbrief schweigt darüber, der Philipperbrief deutet sie in 3,7-8 für den Wissenden kurz an, der Kolosserbrief erwähnt sie nicht, ebenso wenig der erste Thessalonicher. Im zweiten Thessalonicher steht kein Wort davon, und auch in den drei Pastoralbriefen sucht man sie vergebens. Im Philemonbrief ist sie ebenfalls nicht zu finden.
Nur der Galaterbrief berichtet, was in Damaskus geschehen ist, allerdings nicht als persönliche Erfahrung des Paulus, sondern als Gottes Tat, ohne Nennung von Ort und Umständen. Galater 1,15 ist jedoch Teil einer Argumentationskette, die bis Vers 24 reicht. In 1. Korinther 15,9 wird die Erscheinung des auferstandenen Paulus im Zusammenhang mit allen Erscheinungen Jesu erwähnt. Im Philipperbrief III thematisiert Paulus aus gegebenem Anlass seine Biografie.
In vier der sieben unbezweifelten Paulusbriefe fehlt jeder Hinweis auf die Damaskuserfahrung. Es entspricht nicht den Prinzipien wissenschaftlicher Arbeit, den Hebräerbrief allein an diesem weit hergeholten Maßstab zu messen, dem auch andere Paulusbriefe nicht genügen würden.
B. Die für Paulus so charakteristische Stimmung wird weder definiert noch in den Paulusbriefen nachgewiesen. Wie soll man ihre Abwesenheit im Hebräerbrief verifizieren? Gasry hebt seine „damaging objections“ hervor – wie kann man diese wiedergeben? Es handelt sich um zerstörende Einwände oder Widerstände. Anschließend wird jedoch selbst wieder festgestellt, dass der persönliche Hintergrund nicht in jede Schrift eines Autors hineingebracht werden müsse. Damit hat sich erledigt, was ein schwerwiegender Einwand sein wollte.
Das bedeutet: In Bezug auf die anderen Briefe, in denen die Erfahrung fehlt, heißt es, dass sie nicht in jedem Brief vorhanden sein muss. Aber dort, wo man es als Einwand gebrauchen würde, lautet die Argumentation: „Ja, das ist hier aber nicht drin, also kann das nicht von dem Verfasser sein.“ So wissenschaftlich ist die angeblich wissenschaftliche Theologie leider nicht – und das betrifft nicht nur die historisch-kritische Theologie, sondern auch die Brüder, die ebenfalls wissenschaftlich sein wollen. Nein, das ist leider das Elend.
Als Ersatz liefert Gasry den neuen Vorwurf, dass dieser Autor sich nicht in seine Schrift hineinprojiziert habe, wie Paulus das gewöhnlich tue. Dabei übersieht er, dass ein Autor, der sich in einen anonymen Brief selbst hineinprojiziert, die Anonymität wieder aufhebt und damit deren Zweck verfehlt.
Fehlende paulinische Themen
Dann drittens fehlen zahlreiche paulinische Themen. Die entsprechenden Themen werden nicht genannt, ihre Anzahl wird nicht erwähnt, und noch weniger wird die Zahlenrelation der fehlenden Themen zur Gesamtzahl der Themen in den paulinischen Briefen angegeben.
Dabei ist offensichtlich, dass man in jedem der Paulusbriefe Themen vergeblich suchen würde, die in anderen Briefen dominieren. Einige Beispiele aus den unbestrittenen Paulusbriefen mögen das verdeutlichen.
Das Thema Gerechtigkeit Gottes fehlt im 1. Korinther, Galater, Philipper, 1. Thessalonicher und Philemon. Freiheit sucht man in Philipper, 1. Thessalonicher und Philemon vergeblich. Das Thema Fleisch im Gegensatz zum Geist findet sich nicht nur in den Pastoralbriefen nicht, sondern auch in Philipper, 1. Thessalonicher und Philemon vergeblich.
Das Zentralthema Kreuz findet man in Römer, 2. Korinther, Galater und Philemon nicht. Vom Leib Christi ist im 2. Korinther, Galater, 1. Thessalonicher und Philemon keine Rede. Der Sohn Gottes wird immerhin im 1. Thessalonicher und Philemon nicht erwähnt.
Die Hohen Priesterschaft Christi spielt keine große Rolle in den paulinischen Briefen. Das Thema der Gerechtigkeit Gottes kommt nur in zwei Paulusbriefen vor.
Hebräer 2,3 und die Identifikation des Verfassers
Der Hebräerbrief ist ausschließlich an Judenchristen gerichtet, insbesondere an jene, in deren Stadt der Tempel steht. Die übrigen Briefe richten sich dagegen an Heidenchristen oder an gemischt heidenchristlich-jüdische Gemeinden.
Hebräer 2,3 wird oft als Argument gegen Paulus als Verfasser des Hebräerbriefes angeführt. Dort bezeichnet sich der Verfasser als Schüler von Jüngern Jesu, wodurch Paulus als Autor ausgeschlossen werden soll. Es ist jedoch fast unmöglich zu glauben, dass Paulus sich selbst als jemanden identifiziert hätte, der das Evangelium nicht direkt vom Herrn, sondern nur von dessen Jüngern gehört hat.
Es ist erstaunlich, wie weit verbreitet diese Fehlinterpretation von Hebräer 2,3 ist und wie lange sie sich halten konnte. Die zweite Hälfte von Hebräer 2,3 ist eine Apposition zu dem Begriff „große Errettung“. Diese Errettung hat ihren Anfang genommen und wurde vom Herrn verkündigt. Ergänzt wird die Feststellung, dass sie von denen gehört und gefestigt wurde, die vom Herrn selbst gehört haben. Die griechische Formulierung setzt dies voraus.
Das Verb „befestigen“ (griechisch: bebaioun) bezieht sich auf die vom Herrn verkündigte große Errettung – nicht auf die „Wir“, zu denen sich der Schreiber des Hebräerbriefes zählt. Es bedeutet nicht lehren oder zu Schülern machen, sondern bestätigen, verbürgen. Die Jünger, die vom Herrn gehört haben, bestätigen die Verkündigung der großen Errettung. Dies macht die „Wir“, denen diese Bestätigung gilt, nicht zu deren Schülern.
Wenn sich der Verfasser des Hebräerbriefes nicht zu den Jüngern zählt, die Jesus nachgefolgt sind und seine Verkündigung gehört haben, entspricht das genau der Situation des Paulus. Wer würde Paulus, den Apostel, deswegen zu einem Christen der zweiten Generation zählen? Welches Recht hat man dann, allein aufgrund von Hebräer 2,3 den Verfasser vom Paulus zu unterscheiden?
Hebräer 2,3 schließt zwar einen unmittelbaren Jünger Jesu als Verfasser des Hebräerbriefes aus – also hätte Petrus diesen Brief nicht schreiben können – aber nicht den Apostel Paulus, der kein unmittelbarer Jünger Jesu gewesen ist. Was dort zu lesen ist, steht auch nicht im Widerspruch zu dem, was Paulus in Galater 1,16 mitteilt.
Paulus selbst beruft sich an anderer Stelle auf das, was er zuvor empfangen hat, zum Beispiel in 1. Korinther 15,3, wo es um die Erscheinung des Auferstandenen geht. Gott hat Paulus seinen Sohn unmittelbar geoffenbart. Das bedeutet nicht, dass dem Apostel alles, was Jesus gesagt und getan hat, unmittelbar von Gott geoffenbart wurde. Wenn er davon einiges empfangen hat, macht ihn das nicht zu einem Christen der zweiten Generation. Er hatte eine unmittelbare Begegnung mit dem Herrn.
Zum Thema Zitierung des Alten Testaments: Der Verfasser des Hebräerbriefes zitiert das Alte Testament stets nach der Septuaginta, während Paulus öfter auch aus dem Gedächtnis zitiert. Das ist jedoch kein Argument gegen Paulus als Verfasser. Würde Paulus sonst nie nach der Septuaginta zitieren, könnte man das allenfalls gelten lassen.
Die durchgehende Korrektheit beim Zitieren sowie das gepflegte Griechisch lassen sich durch die Umstände erklären. Wenn Paulus beim Zeltmachen diktierte, hatte er den Text nicht immer zur Hand und konnte nicht erwarten, die Schriftrollen vollständig im Gedächtnis zu haben. Es ist auch kaum vorstellbar, dass er die ganzen Schriftrollen mit sich herumtrug. Es wäre wie eine ganze Bibliothek zu Fuß durch das Gelände zu schleppen – zudem waren die Schriftrollen sehr teuer. Der reiche Mann aus Abessinien zum Beispiel kaufte sich beim Tempelbesuch eine Schriftrolle.
Man muss also die realen Verhältnisse berücksichtigen.
Zur pluralischen Selbstbezeichnung: Es werden einige Stellen genannt, in denen der Verfasser den Plural verwendet, und andere, in denen der Singular gebraucht wird. Das Verhältnis ist etwa sechs zu drei. Daraus sollte man keine weitreichenden Schlüsse ziehen. Außerdem ist der schriftstellerische Plural Paulus keineswegs fremd; er lässt sich allein im Römerbrief neunmal nachweisen.
Trotzdem wird oft behauptet, Paulus benutze diesen Plural sonst nicht. Das ist eine unbelegte Behauptung, da der sprachliche Gebrauch aller Paulusbriefe nicht flächendeckend untersucht wurde. Ich habe den Römerbrief einmal griechischsprachlich durchgesehen und dort sogar öfter Beispiele für den schriftstellerischen Plural gefunden als im Hebräerbrief.
Zum Gebrauch der Namen in Bezug auf Jesus: Der Name, den der Verfasser des Hebräerbriefes verwendet, unterscheidet sich von dem Paulus’. In seinen früheren Briefen bezeichnet Paulus den Herrn als „Jesus Christus“, in späteren Briefen ist die Kombination umgekehrt: „Christus Jesus“. Paulus nennt ihn selten nur „Jesus“. Drei Stellen aus 1. Korinther, Philipper und 1. Thessalonicher werden genannt.
Der Verfasser des Hebräerbriefes nennt den Herrn wiederholt nur „Jesus“. Dreimal gebraucht er die Kombination „Jesus Christus“ und nur einmal „Herr Jesus“. Die Kombination „Christus Jesus“ fehlt jedoch im Hebräerbrief.
Die Behauptung, dass Paulus diese Kombinationen anders verwendet und das ein Argument gegen seine Verfasserschaft sei, ist ein altes Märchen der Kritik, das bereits von Bultmann vertreten wurde. Es erweist sich als unhaltbar, wenn man die Befunde untersucht.
So steht im Römerbrief, dem spätesten der Paulusbriefe, neunmal „Christus Jesus“ und dreizehnmal „Jesus Christus“. Das zeigt, dass die Theorie nicht stimmt. Im ersten Thessalonicherbrief, dem frühesten Paulusbrief, kommt „Jesus Christus“ kein einziges Mal vor, „Christus Jesus“ jedoch zweimal.
Solche Behauptungen sind oft unreflektierte Wiederholungen. In der Regel sind die Kombinationen „Jesus Christus“ und „Christus Jesus“ in den Paulusbriefen etwa gleichgewichtig verteilt. „Jesus Christus“ fehlt allerdings im ersten Thessalonicherbrief.
Die Bezeichnung „Kyrios Jesus Christos“ kommt weder im Hebräerbrief noch im ersten Thessalonicherbrief vor. Der Name „Jesus“ kommt zwar im Hebräerbrief am häufigsten vor, aber auch die sechs Vorkommen im 2. Korintherbrief fallen innerhalb der paulinischen Briefe aus dem Rahmen.
Die Variationsbreite im Gebrauch der Namen und Würdebezeichnungen ist so groß, dass ihr Gebrauch oder Nichtgebrauch keinen Hinweis darauf liefert, ob Paulus den Hebräerbrief geschrieben hat.
Ich gehe nicht auf die angeblichen theologischen Differenzen zwischen Hebräerbrief und paulinischen Briefen ein, ebenso wenig auf die versuchten religionsgeschichtlichen Ableitungen. Diese sind ebenso wenig überzeugend wie die zuvor genannten Argumente.
Zur Frage, ob die Empfänger des Briefes Judenchristen in Jerusalem sein können: Viele antike Kommentatoren und einige moderne Forscher nehmen an, dass die Adressaten in Palästina lebten, vielleicht sogar in Jerusalem.
Die Stärke dieser Ansicht liegt im wiederholten Bezug auf den Kult. Allerdings schwächt das vollständige Schweigen vom Tempel und der Bezug auf die Stiftshütte diese Theorie etwas ab, wie in der Einleitung von Carson und Mouren-Morris ausgeführt.
Für jeden Juden, der am Tempelkult in Jerusalem teilnahm, bestand eine geistliche Identität zwischen dem Tempel und der von Gott verordneten Stiftshütte. Andernfalls wäre es sinnlos gewesen, im Tempel Opfer zu bringen, wenn man sagen wollte, dass dies etwas anderes als die Stiftshütte sei.
Der Tempel war zwar ein massives Gebäude, doch darin befanden sich das Allerheiligste, der Vorhang, das Heilige, die Schaubrote, der siebenarmige Leuchter und Ähnliches. Das ist das Wesentliche.
Der Hohepriester betrat einmal durch den Vorhof das Allerheiligste. Man konnte also mit einem Juden in Jerusalem zur Zeit des Paulus durchaus von der Stiftshütte sprechen und sich dabei auf den Tempel beziehen.
Für den Verfasser des Hebräerbriefes bestand ein ausreichender Grund, von der Stiftshütte zu schreiben und nicht vom Tempel als ihrem temporären Ersatz. Nur die Stiftshütte hatte ein Urbild im Himmel, und er wollte sagen, dass Jesus in das ein für alle Mal gültige himmlische Urbild eingegangen ist.
Die Epistel ist in glänzendem Griechisch verfasst, und keines der alttestamentlichen Zitate und Anspielungen beruht zweifellos auf Hebräisch oder Aramäisch. Daraus muss man schließen, dass entweder der Autor keine semitische Sprache verstand oder seine Leser, falls in Jerusalem, griechischsprechende Ausländer waren, die sich in Jerusalem oder Umgebung niedergelassen hatten.
Für Paulus als Verfasser trifft die zweite Möglichkeit zu.
Bei einem anonymen Brief muss man zwischen den Adressaten und den Empfängern unterscheiden. Waren die Adressaten Gemeindeglieder, die eifrig bemüht waren, das Gesetz Mose zu erfüllen und deshalb den Heidenapostel ablehnten, liegt es nahe, dass die Empfänger griechischsprechende Diasporajuden waren, die sich in Jerusalem niedergelassen hatten und dort Christen geworden waren.
Ein allgemeines Schreiben an Judenchristen im gesamten römischen Imperium hätte nicht anonym geschrieben werden müssen. Wo Paulus in den von ihm gegründeten Gemeinden auf das Problem stieß, dass man eifrig die Vorschriften des Gesetzes erfüllte, konnte er in Briefen darauf eingehen, da er unter seinem Namen schrieb.
Auch in seinem Brief an die römische Gemeinde, die er nicht gegründet hatte, scheute er sich nicht, auf dortige Probleme einzugehen. Paulus war allgemein anerkannt und konnte sich das leisten.
Anders war es in Jerusalem. Dort gab es Tausende, die nicht gewillt waren, die Autorität des Heidenapostels gelten zu lassen (Apostelgeschichte 21,20-21).
Sollte ausgerechnet ein Brief nach Jerusalem in einer gepflegten griechischen Sprache geschrieben und die Schriftzitate daraus aus der Septuaginta entnommen werden?
Bei einem anonymen Hebräerbrief muss man zwischen den Adressaten, denen der Brief gilt, und den unmittelbaren Empfängern unterscheiden, an die sich Hebräer 13,18-25 besonders wendet. Diese Letzteren könnten Christen gewesen sein, die ursprünglich in Jerusalem als Diasporajuden lebten.
Bei ihnen ist weniger damit zu rechnen, dass sie versuchten, den Glauben an Jesus Christus mit Gesetzeseifer zu verbinden.
Die Ältesten waren ratlos gegenüber dem Gesetzeseifer der Tausenden, die an Jesus gläubig geworden waren (Apostelgeschichte 21,22). Für die Vermittlung der Botschaft des Apostels Paulus kamen sie nicht in Frage. Dazu eigneten sich nur Christen, die bereits gewiss waren, dass die Rechtfertigung ohne Gesetzeswerke allein durch den Glauben geschieht.
Solche waren eher unter den Christen aus den Jerusalemer Diasporajuden zu finden. Da ihre Bibel die Septuaginta war, lag es nahe, Schriftzitate daraus zu entnehmen. Mit einem gepflegten Griechisch erreichte man sie besser als mit Hebräisch oder Aramäisch.
Es gibt keine Befunde, die eine religionsgeschichtliche Platzierung in Richtung Gnosis, Apokalyptik oder alexandrinisch-hellenistisches Judentum für den Hebräerbrief nötig machen, die Paulus als Verfasser ausschließen würden.
Nun zur Argumentationskette im Hebräerbrief:
Weil Jesus der ist, durch den Gott am Ende dieser Tage geredet hat, der Abglanz seiner Herrlichkeit und durch den Gott die Welten gemacht hat, und der sie durch das Wort seiner Macht recht und hocherhaben über die Engel gestellt hat, müssen wir uns umso mehr vor Zielverfehlung hüten.
Wenn schon das durch die Engel verkündigte Wort fest war und jeder Ungehorsam gerechte Vergeltung empfing – damit ist das Wort des alten Bundes gemeint, wie auch Paulus in Galater 3,19 sagt – werden wir nicht entfliehen, wenn wir eine so große Errettung missachten, die den Anfang ihrer Verkündigung vom Herrn selbst genommen hat.
Denn Jesus, dem der zukünftige Erdkreis unterworfen ist, hat größere Autorität als die Engel. Er wurde zwar für kurze Zeit unter die Engel erniedrigt, um durch Leiden vollkommen gemacht zu werden, aber gerade dadurch hat er viele Söhne zur Herrlichkeit geführt. Er wurde ein treuer Hoherpriester vor Gott, um die Sünden seines Volkes zu sühnen.
Der Apostel und Hohepriester Jesus hat größere Herrlichkeit als Moses. Sein Haus sind wir, wenn wir die Freimütigkeit und den Ruhm der Hoffnung bis zum Ende standhaft festhalten.
Deshalb verhärtet eure Herzen nicht, habt kein böses Herz des Unglaubens durch den Betrug der Sünde. Denn wir sind Genossen Christi geworden, wenn wir die anfängliche Zuversicht der Vergebung der Sünden und der Rechtfertigung durch sein Blut standhaft festhalten.
Die Israeliten konnten wegen ihres Unglaubens nicht in die verheißene Ruhe eingehen. Hüten wir uns, dass nicht jemand von uns, dem gleichfalls eine frohe Botschaft verkündigt ist, genauso geht.
„Gottes Ruhe“ ist seine Ruhe von den Werken am siebten Schöpfungstag. Wer in seine Ruhe eingegangen ist, ist von seinen Werken ausgeruht, wie auch Gott von seinen.
Lasst uns eifrig sein, in jene Ruhe einzugehen, damit nicht jemand nach demselben Beispiel des Unglaubens falle. Wer nicht in diese Ruhe eingeht, hat ein böses Herz des Unglaubens im Abfall vom lebendigen Gott.
Das ist die Botschaft des Hebräerbriefes, die sich von der des Römerbriefes nicht unterscheidet, denn wir urteilen, dass der Mensch gerecht werde allein durch den Glauben, ohne Gesetzeswerke.
Der Eifer, in diese Ruhe einzugehen und am Bekenntnis festzuhalten, wird gestärkt. Gottes Wort wird vor Augen geführt und als Richter der Gedanken und Gesinnungen des Herzens dargestellt.
Jesus, der Sohn Gottes, wird als Hoherpriester vorgestellt, der Mitleid mit unseren Schwachheiten haben kann.
Darauf wird aufgefordert: Lasst uns nur mit Freimütigkeit hinzutreten zum Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zur rechtzeitigen Hilfe.
„Zutritt erhalten haben durch den Glauben zu dieser Gnade, in der wir stehen“ (zum Vergleich Römer 5,2).
Durch Hebräer 5,1-10 wird weiter dazu ermutigt, indem ausgeführt wird, was bereits in 4,13 über den Hohenpriester gesagt wurde.
Hebräer 5,11-14 stellt fest, dass die Leser die Belehrung darüber eigentlich nicht mehr nötig haben sollten.
Worauf es ankommt, ist, dass jeder von ihnen die volle Gewissheit der Hoffnung bis ans Ende erweise.
Gott hat alles getan und sich mit einem Eid verbürgt, damit wir, die wir die vorhandene Hoffnung ergreifen, einen starken Trost hätten.
Unsere Hoffnung ist im Allerheiligsten des Heiligtums im Himmel verankert, denn dort ist Jesus, unser Vorläufer, eingegangen, der nach der Ordnung Melchisedeks Hoherpriester in Ewigkeit geworden ist.
Das Hohepriestertum Jesu ist über das levitische erhaben, denn aufgehoben wird das vorhergehende Gebot seiner Schwachheit und Nutzlosigkeit wegen.
Das Gesetz hat nicht zur Vollendung gebracht. Eingeführt wird eine bessere Hoffnung, durch die wir Gott nahen.
Jesus, der Hohepriester, der sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones der Majestät, ist Mittler eines besseren Bundes, der aufgrund besserer Verheißungen gestiftet worden ist (vgl. Römer 10,4).
Es hatte zwar auch der erste Bund Satzung des Dienstes und das irdische Heiligtum, Christus aber ist gekommen als Hoherpriester und ist durch das größere vollkommene Zelt, das nicht von dieser Schöpfung ist, mit seinem eigenen Blut ein für alle Mal in das Allerheiligste eingegangen und hat eine ewige Erlösung bewirkt.
Darum ist er der Mittler des neuen Bundes.
Christus ist in den Himmel selbst hineingegangen, um jetzt vor dem Angesicht Gottes für uns zu erscheinen.
So wird auch Christus, nachdem er einmal geopfert worden ist, um viele Sünden zu tragen, zum zweiten Mal ohne Bezug zur Sünde denen zum Heil erscheinen, die ihn erwarten.
Das Gesetz hat nur einen Schatten der zukünftigen Güter; unmöglich kann das Blut von Stieren und Böcken Sünden wegnehmen.
Dieser hat ein Schlachtopfer für Sünden dargebracht und sich für immer gesetzt zur Rechten Gottes.
Da wir nun, Brüder, durch das Blut Jesu Freimütigkeit haben zum Eintritt in das Heiligtum (vgl. Römer 5,1 ff.), so lasst uns hinzutreten mit wahrhaftigem Herzen in voller Gewissheit des Glaubens.
Lasst uns das Bekenntnis der Hoffnung unwandelbar festhalten.
Hat jemand das Gesetz Moses verworfen, stirbt er ohne Barmherzigkeit auf zwei oder drei Zeugen hin.
Wie viel ärgere Strafe meint ihr, wird der verdient, der den Sohn Gottes mit Füßen tritt, das Blut des Bundes, durch das er geheiligt wurde, für gemein erachtet und den Geist der Gnade schmähte?
Werft eure Zuversicht nicht weg, die eine große Belohnung hat.
„Mein Gerechter wird aus Glauben leben.“
„Wir aber sind nicht von denen, die zurückweichen zum Verderben, sondern von denen, die durch den Glauben zur Errettung der Seele gelangen.“
Was Glaube heißt und was er bewirkt, wird in Kapitel 11 definiert und beschrieben.
Deshalb lasst auch uns, da wir eine so große Wolke von Zeugen um uns haben, mit Ausharren laufen.
Züchtigung kommt Söhnen zu und ist heilsam.
Darum richtet auf die erschlafften Hände und die gelähmten Knie.
Jagt dem Frieden mit allen nach und der Heiligung, ohne die niemand den Herrn sehen wird.
Denn ihr seid ja gekommen zum himmlischen Jerusalem und zu Jesus, dem Mittler des neuen Bundes.
Deshalb lasst uns, die wir ein unerschütterliches Reich empfangen, dankbar sein, wodurch wir Gott wohlgefällig dienen, ohne Scheu und Furcht.
Denn auch unser Gott ist ein verzehrendes Feuer.
Kapitel 13,1-6 mahnt zur Bruderliebe, zur Gastfreundschaft und dazu, der Gefangenen zu gedenken, zur ehrlichen Treue und zu einem Verhalten, das frei von Geiz ist.
Außerdem wird zum rechten Verhalten gegenüber den Leitern aufgefordert sowie zur Fürbitte für den Verfasser der Epistel und seine Mitarbeiter.
Kapitel 13,20-21 folgt der Segenswunsch und unter anderem Grüße.
Werden die entscheidenden Glieder der Argumentationskette deutlicher herausgestellt, sind die Gemeinsamkeiten mit den anderen Paulusbriefen unverkennbar.
Ohne Anspruch auf Vollständigkeit habe ich deshalb auf einige Parallelstellen im Römerbrief hingewiesen. Wer die Paulusbriefe kennt, dem sind die Erinnerungen an andere Aussagen von Paulus stets gegenwärtig.
Zum Urteil:
Nach einem halben Jahrhundert wurde die Verteidigung der paulinischen Verfasserschaft des Hebräerbriefes wiederholt. Sämtliche Anklagepunkte wurden geprüft, und es zeigte sich, dass den Anklagen nicht stattgegeben werden kann.
Behauptungen allein reichen für eine Anklage nicht aus, die Indizien halten einer Überprüfung nicht stand.
Sämtliche Verdächtigungen wurden zu Unrecht erhoben. Der Angeklagte ist somit freizusprechen; er geht aus der Untersuchung als unbescholtener Verfasser hervor.
Die handschriftliche Bezeugung des Hebräerbriefes lässt nichts zu wünschen übrig. Die Zeugnisse der Kirchenväter liefern keinen ausreichenden Grund, Paulus die Verfasserschaft abzusprechen.
Wenn an die Stelle von Behauptungen die Untersuchung von Gegebenheiten tritt, zeigt sich, dass der Stil des Briefes sich keineswegs so sehr von dem der Paulusbriefe unterscheidet, dass Paulus nicht sein Verfasser sein kann.
Im Gegenteil: Sämtliche stilistischen Eigenheiten des Hebräerbriefes lassen sich bei Paulus nachweisen. Im Regelfall liefert bereits der Römerbrief ausreichende Belege.
Ebenso wenig spricht das Vokabular des Hebräerbriefes gegen eine paulinische Verfasserschaft, sondern bestätigt sie sogar, wie Detailstudien gezeigt haben.
Auch die Einzelargumente können nicht beweisen, dass der Hebräerbrief nicht von Paulus ist.
Die Anonymität lässt sich hinreichend erklären, wenn Paulus der Verfasser ist. Die Damaskuserfahrung wird auch in anderen Paulusbriefen nicht erwähnt.
Das Fehlen von paulinischen Briefen im Hebräerbrief ist ebenso der Normalfall wie das Vorkommen von einzelnen Themen, die in anderen Briefen fehlen. Das lässt sich für alle Paulusbriefe demonstrieren.
Die Annahme, dass durch Hebräer 2,3 Paulus als Verfasser ausgeschlossen sei, beruht auf einer eingebürgerten Fehlinterpretation des Verses.
Die Zitierung des Alten Testaments nach der Septuaginta stellt ebenso wenig ein Problem dar wie der Gebrauch der Namen Jesu.
Die angeblichen theologischen Differenzen zwischen dem Hebräerbrief und den paulinischen Briefen haben keinen Beweis dafür geliefert, dass Paulus als Verfasser ausgeschlossen ist.
Die Versuche, durch religionsgeschichtliche Platzanweisungen eine Verfasserschaft des Paulus auszuschließen, erwiesen sich als willkürlich und ohne Wahrheitsanspruch.
Die Darstellung der Argumentationskette im Hebräerbrief stellt dessen Nähe zu den Paulusbriefen, besonders zum Römerbrief, deutlich heraus.
Für die Anschuldigung, dass der Hebräerbrief nicht von Paulus geschrieben worden sei, ja mehr noch, gar nicht von ihm geschrieben sein könne, gibt es keinen ausreichenden Grund.
Sie ist nichts als eine Behauptung, die nicht an Wahrheitsgehalt gewinnt, nur weil sie wiederholt vorgebracht wird – aus unterschiedlichen Motiven.
Hätte der Hebräerbrief wirklich Eingang in den Kanon des Neuen Testaments finden können, und hätten alle Theologen ihn zum Trotz nicht seinen Platz darin bewahrt, wenn er nicht der Brief des Apostels gewesen wäre?
Diese Überzeugung teile ich und vielleicht auch manche von uns.
Ergänzend möchte ich noch sagen: Ich habe auch den Schluss des Hebräerbriefes gelesen, und das ist mir ebenfalls einleuchtend.
Erstens musste Paulus anonym schreiben, weil er bei den Hebräern keinen guten Ruf hatte – das wissen wir alle – und sie ihn als Apostel oft gar nicht akzeptieren wollten.
So hat er es sicherlich auf diese Weise gemacht.
Am Schluss grüßt er ja auch in Hebräer 13, Vers 23: „Wisset, dass unser Bruder Timotheus wieder frei ist; mit ihm, wenn er bald kommt, will ich euch sehen.“
Das fällt auf, weil in den Briefeingängen meist „Paulus und Timotheus, die Brüder, grüßen euch“ steht.
Das wäre auch ein Argument, das Sie vielleicht auch erwähnt haben.
Außerdem wird Italien erwähnt, was mir heute zum ersten Mal aufgefallen ist.
Man entdeckt immer wieder einen neuen Reichtum im Wort Gottes.
Am Schluss heißt es: „Grüßet alle eure Lehrer und alle Heiligen; es grüßen euch die Brüder aus Italien.“
Das könnte gut in der Gefangenschaft in Rom erklärt werden.
Vielleicht noch ein Hinweis: Was Petrus schreibt im 2. Petrusbrief: „Die Geduld unseres Herrn erachtet für eure Rettung, wie auch unser lieber Bruder Paulus nach der Weisheit, die ihm gegeben ist, euch geschrieben hat.“
Davon spricht er in allen Briefen, in denen einige Dinge schwer zu verstehen sind, die Unwissende und Leichtfertige verdrehen, wie auch andere Schriften zu ihrer eigenen Verdammnis.
Ich denke, dass gerade der Hebräerbrief durch sein Gewicht und das eigentlich schwere Verständnis sehr gut zum Römerbrief passt.
Man muss ziemlich scharf nachdenken und alles mitverfolgen können. Das weist auch Paulus an.
Gerade im Hebräerbrief gibt es ja das 2. Petrus Kapitel 3, Verse 15 und 16.
Es ist ja auch die Rede von Milch und fester Speise, dass man hier zu schwierigeren Dingen fortschreitet.
Das passt genau zu 2. Petrus Kapitel 3, Verse 4 und 5.
Auch der zweite Korintherbrief erwähnt die Milch und die feste Speise: „Ihr habt heute noch keine feste Speise vertragen, denn ihr seid unmündig; bei euch kommt sogar Eifersucht vor.“
Das deute ich ganz freundlich an.
Gibt es dazu noch Rückfragen?
Ich habe verstanden, dass der Hebräerbrief im Grunde an zwei Gruppen gerichtet ist: Erstens an die Adressaten, an die Paulus anonym bleiben musste, aus Gründen der Ablehnung durch die Hebräer.
Zweitens an die Empfänger, das heißt die Judenchristen, die, wie Sie sagten, in Jerusalem weilten und einen griechischen Bildungsstand hatten, sodass Paulus mit der Sprache ihnen entgegenkam.
Ja, die ersten zwölf Kapitel sind an die eigentlichen Adressaten in Jerusalem gerichtet, die trotz ihres Glaubens noch eifrig das Gesetz Mose erfüllen.
Paulus konnte ihnen den Brief nicht direkt schicken, sondern musste ihn über Leute weitergeben, die auch in Jerusalem lebten.
Es gab viele Diasporajuden, die im griechischsprachigen Umfeld aufgewachsen waren und später nach Jerusalem zogen, um dort beerdigt zu werden oder am Tempelkult teilzunehmen, nachdem sie Christen geworden waren.
Ja, so gab es viele Rentner und andere, die aus verschiedenen Gründen nach Jerusalem kamen.
Es gab hellenistische Synagogen in Jerusalem.
Als Paulus nach seiner Bekehrung erstmals nach Jerusalem kam, diskutierte er in einer solchen Synagoge.
Man verfrachtete ihn jedoch schnell nach Tarsus, weil eine weitere Verfolgung drohte; die Gemeinde hatte gerade die Ereignisse um Stephanus hinter sich und wollte nicht, dass Paulus die Arbeit störte.
Das entsprach aber Gottes Plan, der schon vorher mit Paulus darüber gesprochen hatte.
Am Schluss, bei den ethischen Ermahnungen, die wir oft bei Paulus finden, hat er seine Empfänger im Sinn, an die der Brief geschickt wird.
Sie wissen, wovon die Rede ist, und in Hebräer 13, Vers 17 heißt es zum Beispiel: „Gehorcht euren Führern und fürchtet euch vor ihnen.“
Das hatte einen bestimmten Anlass.
Im Jahr 62 war Jakobus auch Märtyrer geworden.
Das heißt, es gab einen neuen Leiter in der Gemeinde.
Die Autorität war nicht leicht zu klären; es gab viele Meinungen, wer geeignet wäre.
Da kam es leicht zu Unmut darüber, wer die Leitung übernehmen sollte.
Die Ermahnung, den Leitern zu gehorchen und für sie zu beten, macht nur Sinn, wenn die Gemeindemitglieder wissen, für wen sie beten sollen.
Grüße kann man nur an Leute schicken, die man kennt.
Solche Briefe wurden persönlich überbracht und enthielten oft am Ende Hinweise auf den Absender, etwa Paulus.
Die Empfänger mussten die Botschaft wahrscheinlich ohnehin umsetzen und weitergeben.
Ich habe noch eine interessante Frage zu einer Anmerkung in Ihrem Vortrag: Sie hatten Augustinus erwähnt, aber nur sehr kurz.
Augustinus gehörte offenbar zu den Kritikern des Hebräerbriefs, soweit ich verstanden habe.
Warum das so war, haben Sie nicht näher erläutert.
Das kann man in „Fundamentum“ nachlesen.
Ich bin gar nicht auf die einzelnen Kirchenväter eingegangen, weil Augustin eine sehr unterschiedliche Stellung hatte.
Gegen Ende seines Lebens änderte sich seine Haltung.
Aber jedenfalls kann man ihn unter die Kritiker zählen.
Das ist typisch für gelehrte Theologen, die viel Philosophie konsumiert haben und oft geneigt sind, ihren eigenen Kopf durchzusetzen.
Das war auch bei Augustin so, ebenso bei Eugenis.
Solche Theologen haben oft Schwierigkeiten, sich von philosophischen Vorstellungen zu lösen.
Das ist dokumentiert, und Einzelheiten finden sich in meiner Abhandlung.
Wer mehr wissen will, kann dort nachlesen.
„Fundamentum“ ist die Zeitschrift der staatsunabhängigen Hochschule in Basel.
Dort wird demnächst ein Beitrag zum Hebräerbrief erscheinen, der sich mit Rainer Riesner auseinandersetzt.
Riesner hat versucht, mich herabzusetzen.
Frau Linnemann tut dies und jenes, aber wenn er geschwiegen hätte, wäre er weise gewesen.
Er versucht nun die These aufzustellen, der Hebräerbrief sei von Barnabas verfasst worden.
Wie er darauf kommt, weiß ich nicht.
Er hat über fünfzig Jahre lang niemandem gewagt zu sagen, dass der Hebräerbrief von Paulus sei.
Wenn man das sagt, ist man bei den historisch-kritischen Wissenschaftlern und denen, die wissenschaftlich sein wollen, natürlich unten durch.
Barnabas hat den Vorteil, dass man ihn als Apostel gelten ließ.
Die Alexandriner haben einen Vorstoß in diese Richtung gemacht.
Es gab einen anonymen Brief, den sie Barnabas zuschrieben.
Einen echten Brief des Barnabas gibt es nicht, aber etwas Schriftliches, das man ihm zuschreiben könnte.
Dieser anonyme Brief ist ziemlich gesetzlich und unterscheidet sich völlig vom Hebräerbrief, der die Botschaft der Gnade ist.
Der apokryphe Barnabasbrief wurde so ausgegeben.
Sie sagten „55 Jahre“ – wenn man zurückrechnet, wäre das 1947.
Die Wirkung von Bultmann, seiner Schule und allen Anhängern begann jedoch schon früher, in den 1920er und 1930er Jahren.
Die Ablehnung von Paulus als Autor ist also schon länger verbreitet.
Paulus war für Bultmann und seine Schüler dennoch eine Autorität.
Man muss sich vorstellen, dass jemand, der vor mehr als fünfzig Jahren schrieb, heute wohl eher auf über hundert Jahre zurückblicken würde.
Man darf die Zeitangaben also nicht wortwörtlich nehmen.
Ich schätze, dass im 20. Jahrhundert kaum jemand mehr war, der Paulus als Verfasser des Hebräerbriefs annahm.
Wir schreiben jetzt das 21. Jahrhundert.
Ich hatte das im Moment nicht bedacht, als ich das übernommen hatte.
Fünfzig Jahre sind zwar ein langer Zeitraum, aber man muss tief durchatmen.
Dann kommt jemand und stellt die Frage.
Und es wird noch schlimmer.
Wenn niemand angreift, müsste ich als Kanzler ernst genommen werden, wenn ich nach hundert Jahren das Erste mache.
Die Reaktion eines evangelikalen Bruders, als ich das gelesen hatte, war Empörung.
So ist es.
Aber wenn man kritisiert wird, ist man oft bestraft, weil man sich selbst rechtfertigt.
Jemand könnte auch jemand anderes als Verfasser vorschlagen.
Ich nehme an, dass damals Rainer Riesner nicht da war.
Dann hat man es wohl auch so gesagt: „Schau mal, was Linnemann sagt.“
Dann hat er sich hingesetzt.
Ein Bruder sagte: „Wenn ich das schriftlich in die Hand bekommen hätte, hätte ich den ersten Aufsatz mit dem Wiederaufnahmeprozess schon geschrieben.“
Als ich das Ganze hörte, dachte ich, einige Punkte könnte man berücksichtigen.
Das war die Reaktion.
Niemand hat mir die Hand gegeben.
Wir können uns vorstellen, dass Paulus den Brief vielleicht diktiert hat.
Ich glaube aber nicht, dass er den Hebräerbrief diktiert hat.
Es ist natürlich möglich, dass Lukas oder jemand anderes geholfen hat.
Früher musste Paulus Zelte machen und diktieren.
Was soll's, er konnte ja nicht gleichzeitig predigen, lehren und so viel an Zelten arbeiten.
Pluralische Selbstbezeichnung
Auch die pluralische Selbstbezeichnung des Schriftstellers wird diskutiert. Dabei werden einige Stellen genannt, die diesen Plural verwenden. Gleichzeitig werden aber auch drei Stellen im Singular genannt, da das Verhältnis sechs zu drei beträgt. Dieses Verhältnis von zwei zu eins sollte jedoch nicht zu weitreichenden Schlussfolgerungen führen.
Überdies ist der schriftstellerische Plural bei Paulus keineswegs fremd. Er lässt sich allein im Römerbrief neunmal nachweisen. Dennoch werden solche Behauptungen oft in die Welt gesetzt, ohne dass sie flächendeckend überprüft wurden.
Wenn man sagt, Paulus benutze diesen Plural sonst nicht, müsste man eigentlich den sprachlichen Gebrauch sämtlicher Paulusbriefe detailliert untersuchen. Das ist jedoch nicht geschehen. Stattdessen reicht oft eine bloße Behauptung, ein gewisser Eindruck oder die subjektive Meinung, um zu sagen, Paulus tue das nicht.
Anstatt dem nachzugehen, wurde dies meist nicht weiter verfolgt. Ich meine, das war nicht der Hauptgegenstand meiner Untersuchung. Dennoch habe ich mir den Römerbrief einmal näher angesehen – natürlich unter Berücksichtigung der griechischen Sprache. Dabei bin ich häufiger fündig geworden als im Hebräerbrief.
Im Hebräerbrief finden sich sechs Stellen, an denen der schriftstellerische Plural verwendet wird. Im Römerbrief sind es neun. Trotzdem wird oft argumentiert, weil der Hebräerbrief den schriftstellerischen Plural verwendet, könne er nicht von Paulus sein.
Ein weiteres Argument betrifft den Gebrauch der Namen in Bezug auf Jesus.
Gebrauch der Namen in Bezug auf Jesus
Der verwendete Name in Bezug auf Jesus im Hebräerbrief unterscheidet sich von dem bei Paulus. In seinen früheren Briefen bezeichnet Paulus den Herrn als Jesus Christus, während in den späteren Briefen diese Kombination umgekehrt erscheint. Paulus nennt ihn Christus Jesus und schreibt daneben selten einfach nur Jesus.
Dabei werden drei Stellen aus 2. Korinther, Philipper und 1. Thessalonicher genannt. Im Gegensatz dazu nennt der Verfasser des Hebräerbriefs den Herrn wiederholt bei seinem Namen Jesus. Dreimal gebraucht er die Kombination Jesus Christus, und nur einmal sagt er „Herr Jesus“. Dem Hebräerbrief fehlt jedoch die Kombination Christus Jesus.
Die Behauptung, die auch die Kombinationen Jesus Christus und Christus Jesus einschließt, ist ein altes Märchen der Kritik, das man schon von Bultmann hören konnte. Sie erweist sich als unhaltbar, wenn man den Befund genau untersucht. Das habe ich dann gemacht, und es zeigt sich zum Beispiel, dass im spätesten der Briefe, etwa im Römerbrief, zwar neunmal Christus Jesus steht, aber dreizehnmal Jesus Christus. Schon das allein zeigt, dass die ganze Theorie nicht stimmt.
In den früheren Briefen hielt Paulus es eben so, zum Beispiel im 1. Thessalonicher, der wohl wirklich der früheste Brief ist: Dort steht Jesus Christus kein einziges Mal, Christus Jesus jedoch zweimal. Das sind also solche Märchen der Kritik, die irgendeiner in die Welt setzt und die dann alle nachbeten.
In der Regel sind die Kombinationen Jesus Christus und Christus Jesus mehr oder weniger gleichgewichtig auf die paulinischen Briefe verteilt. Die erstere Kombination fehlt allerdings im 1. Thessalonicher, der ältesten Paulus-Schrift, in der man sie aufgrund der Behauptung vor allem erwarten sollte. Die letztere Kombination findet sich nicht nur im Hebräerbrief, sondern auch im 2. Korinther.
Die Bezeichnung Kyrios Jesus Christos ist nicht nur im Hebräer, sondern auch im 1. Thessalonicher nicht zu finden. Der Name Jesus kommt zwar im Hebräer am häufigsten vor, aber auch die sechs Vorkommen im 2. Korinther fallen innerhalb der paulinischen Briefe aus dem Rahmen.
Die Variationsbreite des Gebrauchs der Namen beziehungsweise Würdebezeichnungen ist so groß, dass ihr Gebrauch oder Nichtgebrauch keinen Hinweis darauf liefert, ob Paulus den Hebräerbrief geschrieben hat.
Adressaten des Hebräerbriefes und Kontext
Nun gehe ich nicht auf die theologischen Differenzen zwischen dem Hebräerbrief und den paulinischen Briefen ein, die angeblich existieren sollen. Ebenso wenig werde ich auf die versuchten regionsgeschichtlichen Ableitungen eingehen. Diese sind ebenso wenig überzeugend wie das, was wir zuvor gehört haben.
Kommen wir nun zu der Frage: Können die Empfänger des Briefes Judenchristen in Jerusalem gewesen sein? Viele Kommentatoren der Antike und einige moderne Gelehrte vertreten die Ansicht, dass die Adressaten in Palästina lebten, vielleicht sogar in Jerusalem. Die Stärke dieser Ansicht liegt im wiederholten Bezug auf den Kult.
Allerdings schwächt das vollständige Schweigen über den Tempel, im Gegensatz zur Erwähnung der Stiftshütte, diese Theorie etwas ab. So wird es auch in der Einleitung von Carson Mouren-Morris dargestellt. Für jeden Juden, der am Tempelkult in Jerusalem teilnahm, bestand eine geistliche Identität zwischen dem Tempel und der von Gott verordneten Stiftshütte. Andernfalls wäre es sinnlos gewesen, im Tempel zu Jerusalem Opfer zu bringen. Man hätte sagen können: „Na ja, was soll das, das ist ja etwas anderes als die Stiftshütte.“
Tatsächlich galt geistlich alles, was für die Stiftshütte gesagt wurde, auch für den Tempel. Ich meine, dass es dort nun einmal massive Gebäude gab. Das sagt aber nichts über die geistlichen Qualitäten aus, sondern dass dort das Allerheiligste mit dem Vorhang, das Heilige mit den Schaubroten, der siebenarmige Leuchter und Ähnliches waren. Das ist doch das, worauf es ankommt, und dass der Hohepriester einmal durch den Vorhof ging.
Man konnte also mit einem Juden in Jerusalem zur Zeit des Paulus sehr wohl von der Stiftshütte sprechen und sich dabei auf den Tempel beziehen. Für den Verfasser des Hebräerbriefes bestand ein ausreichender Grund, von der Stiftshütte zu schreiben und nicht vom Tempel als ihrem temporären Ersatz. Nur die Stiftshütte hatte ein Urbild im Himmel, und er wollte sagen, dass Jesus in das ein für alle Mal gültige Urbild im Himmel eingegangen ist.
Die Epistel ist in glänzendem Griechisch verfasst, und keines der altertümlichen Zitate und Anspielungen beruht zweifellos auf Hebräisch oder Aramäisch. Daraus müssen wir schließen, dass entweder der Autor keine semitische Sprache verstand oder seine Leser, falls sie in Jerusalem lebten, griechisch sprechende Ausländer waren, die sich in Jerusalem oder Umgebung niedergelassen hatten.
Für Paulus als Verfasser trifft die zweite Möglichkeit zu. Bei einem anonymen Brief muss man zwischen den Adressaten und den Empfängern unterscheiden. Waren die Adressaten des Briefes Gemeindeglieder, die eifrig bemüht waren, das Gesetz Mose zu erfüllen und deshalb den Heidenapostel ablehnten, dann liegt es nahe, dass die Empfänger unter den griechisch sprechenden Diaspora-Juden zu suchen sind, die sich in Jerusalem niedergelassen hatten und dort Christen geworden waren.
Ein allgemeines Schreiben an Judenchristen im gesamten römischen Imperium hätte nicht anonym verfasst werden müssen. Wo Paulus in den von ihm gegründeten Gemeinden auf das Problem stieß, dass man eifrig war, die Vorschriften des Gesetzes zu erfüllen, konnte er in Briefen darauf eingehen, da er unter seinem Namen schrieb. Auch in seinem Brief an die römische Gemeinde, die er nicht gegründet hatte, scheute er sich nicht, auf dortige Probleme einzugehen. Paulus war allgemein anerkannt und konnte sich das leisten.
Anders war es in Jerusalem. Dort gab es Tausende, die nicht gewillt waren, die Autorität des Heidenapostels gelten zu lassen (Apostelgeschichte 21,20-21). Sollte ausgerechnet ein Brief nach Jerusalem in einer gepflegten griechischen Sprache geschrieben und die Schriftzitate daraus aus der Septuaginta entnommen werden?
Bei einem anonymen Hebräerbrief muss man zwischen den Adressaten, denen der Brief gilt, und den unmittelbaren Empfängern unterscheiden, an die sich Hebräer 13,18-25 besonders wendet. Die Letzteren können zu den Christen gehört haben, die ursprünglich in Jerusalem wohnende Diaspora-Juden waren. Bei ihnen ist weniger damit zu rechnen, dass sie versuchten, den Glauben an Jesus Christus mit Gesetzeseifer zu verbinden.
Die Ältesten waren ratlos gegenüber dem Gesetzeseifer der Tausenden an Jesus gläubig gewordenen Juden (Apostelgeschichte 21,22). Für die Vermittlung dieser Botschaft des Apostels Paulus kamen sie nicht in Frage. Dazu eigneten sich nur Christen, die bereits gewiss waren, dass die Rechtfertigung ohne Gesetzeswerke allein durch den Glauben geschieht. Solche waren eher unter den Christen aus den Jerusalemer Diaspora-Juden zu finden.
Da ihre Bibel die Septuaginta war, lag es nahe, Schriftzitate daraus zu entnehmen. Mit einem gepflegten Griechisch erreichte man sie besser als mit Hebräisch oder Aramäisch. Es gibt keine Befunde, die es nötig machen, eine religionsgeschichtliche Platzierung in Richtung Gnosis, Apokalyptik oder alexandrinisch-hellenistisches Judentum vorzunehmen. Paulus als Verfasser wird dadurch nicht ausgeschlossen.
Kommen wir nun zur Argumentationskette im Hebräerbrief.
Argumentationskette im Hebräerbrief
Weil Jesus derjenige ist, durch den Gott am Ende dieser Tage geredet hat, der Abglanz seiner Herrlichkeit und durch den Gott die Welten gemacht hat, können Sie mitlesen. Er ist durch das Wort seiner Macht recht und hocherhaben über die Engel. Deshalb müssen wir uns umso mehr vor Zielverfehlung hüten.
Wenn schon das durch die Engel verkündigte Wort fest war und jeder Ungehorsam gerechte Vergeltung empfing – damit ist das Wort des alten Bundes gemeint –, so redet auch Paulus in Galater 3,19 davon. Wir werden nicht entfliehen, wenn wir eine so große Errettung missachten, die den Anfang ihrer Verkündigung vom Herrn selbst genommen hat.
Denn Jesus, dem der zukünftige Erdkreis unterworfen ist, hat größere Autorität als die Engel. Er wurde zwar für kurze Zeit unter die Engel erniedrigt, um durch Leiden vollkommen gemacht zu werden, aber gerade dadurch hat er viele Söhne zur Herrlichkeit geführt. Er wurde ein treuer hoher Priester vor Gott, um die Sünden seines Volkes zu sühnen.
Der Apostel und hohe Priester Jesus hat größere Herrlichkeit als Mose. Sein Haus sind wir, wenn wir die Freimütigkeit und den Ruhm der Hoffnung bis zum Ende standhaft festhalten. Deshalb verhärtet eure Herzen nicht und habt kein böses Herz des Unglaubens durch den Betrug der Sünde.
Denn wir sind Genossen Christi geworden, wenn wir die anfängliche Zuversicht der Vergebung der Sünden und der Rechtfertigung durch sein Blut standhaft festhalten. Die Israeliten konnten wegen ihres Unglaubens nicht in die verheißene Ruhe eingehen. Hüten wir uns, dass nicht jemand von uns, dem gleichfalls eine frohe Botschaft verkündigt ist, genauso geht.
„Gottes Ruhe ist seine Ruhe von den Werken am siebten Schöpfungstag. Wer in seine Ruhe eingegangen ist, ist von seinen Werken erlöst, wie auch Gott von den seinen erlöst ist. Lasst uns eifrig sein, in jene Ruhe einzugehen, damit nicht jemand nach demselben Beispiel des Unglaubens falle.
Wer nicht in diese Ruhe eingeht, der hat ein böses Herz des Unglaubens im Abfall vom lebendigen Gott.“ Das ist die Botschaft des Hebräerbriefes, die sich von der des Römerbriefes nicht unterscheidet. Denn wir urteilen, dass der Mensch gerecht werde allein durch den Glauben, ohne Gesetzeswerke.
Der Eifer, in diese Ruhe einzugehen und am Bekenntnis festzuhalten, wird gestärkt. Gottes Wort wird vor Augen geführt und als ein Richter der Gedanken und Gesinnungen des Herzens dargestellt. Jesus, der Sohn Gottes, wird vorgestellt als hoher Priester, der Mitleid haben kann mit unseren Schwachheiten.
Darauf wird aufgefordert: Lasst uns nur mit Freimütigkeit hinzutreten zum Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zur rechtzeitigen Hilfe. Zutritt erhalten haben wir durch den Glauben zu dieser Gnade, in der wir stehen – zum Vergleich siehe Römer 5.
Durch Hebräer 5,1-10 wird weiter dazu ermutigt, indem ausgeführt wird, was bereits in 4,13 über den Hohen Priester gesagt wurde. Hebräer 5,11-14 stellt fest, dass die Leser die Belehrung darüber eigentlich nicht mehr nötig haben sollten.
Worauf es ankommt, ist, dass jeder von ihnen die volle Gewissheit der Hoffnung bis ans Ende erweise. Gott hat alles getan und sich mit einem Eid verbürgt, damit wir, die wir die vorhandene Hoffnung ergreifen, einen starken Trost hätten.
Unsere Hoffnung ist im Allerheiligsten des Heiligtums im Himmel verankert, denn dort ist Jesus, unser Vorläufer, eingegangen. Er ist nach der Ordnung Melchisedeks der hohe Priester geworden – in Ewigkeit.
Das hohe Priestertum Jesu ist über das levitische erhaben. Denn aufgehoben wird das vorhergehende Gebot seiner Schwachheit und Nutzlosigkeit wegen. Das Gesetz hat nicht zur Vollendung gebracht.
Eingeführt wird eine bessere Hoffnung, durch die wir Gott nahen. Jesus, der hohe Priester, der sich zur Rechten des Thrones der Majestät gesetzt hat, ist Mittler eines besseren Bundes, der aufgrund besserer Verheißungen gestiftet worden ist. Man vergleiche dazu Römer 10,4.
Es hatte zwar auch der erste Bund Satzung des Dienstes und das irdische Heiligtum. Christus aber ist gekommen als hoher Priester und ist durch das größere, vollkommene Zelt, das nicht von dieser Schöpfung ist, mit seinem eigenen Blut ein für alle Mal in das Allerheiligste eingegangen und hat eine ewige Erlösung erwirkt.
Darum ist er der Mittler des neuen Bundes. Christus ist in den Himmel selbst hineingegangen, um jetzt vor dem Angesicht Gottes für uns zu erscheinen.
So wird auch Christus, nachdem er einmal geopfert worden ist, um viele Sünden zu tragen, zum zweiten Mal ohne Beziehung zur Sünde denen zum Heil erscheinen, die ihn erwarten.
Das Gesetz hat nur einen Schatten der zukünftigen Güter. Unmöglich kann das Blut von Stieren und Böcken Sünden wegnehmen. Dieser hat ein Schlachtopfer für Sünden dargebracht und sich für immer gesetzt zur Rechten Gottes.
Da wir nun, Brüder, durch das Blut Jesu Freimütigkeit haben zum Eintritt in das Heiligtum – man erinnere sich an Römer 5,1 folgende –, so lasst uns hinzutreten mit wahrhaftigem Herzen in voller Gewissheit des Glaubens. Lasst uns das Bekenntnis der Hoffnung unwandelbar festhalten.
Hat jemand das Gesetz Moses verworfen, stirbt er ohne Barmherzigkeit auf zwei oder drei Zeugen hin. Wie viel ärgere Strafe meint ihr, wird der verdient, der den Sohn Gottes mit Füßen getreten, das Blut des Bundes, durch das er geheiligt wurde, für gemein erachtet und den Geist der Gnade geschmäht hat?
Werft eure Zuversicht nicht weg, die eine große Belohnung hat. „Mein Gerechter wird aus Glauben leben.“ Wir aber sind nicht von denen, die zurückweichen zum Verderben, sondern von denen, die durch den Glauben zur Errettung der Seele gelangen.
Was Glauben heißt und was er bewirkt, wird in Kapitel elf definiert und beschrieben. Deshalb lasst auch uns, da wir eine so große Wolke von Zeugen um uns haben, mit Ausharren laufen.
Züchtigung kommt Söhnen zu und ist heilsam. Darum richtet auf die erschlafften Hände und die gelähmten Knie. Jagt dem Frieden mit allen nach und der Heiligung, ohne die niemand den Herrn sehen wird.
Denn ihr seid ja gekommen zum himmlischen Jerusalem und zu Jesus, dem Mittler des neuen Bundes. Deshalb lasst uns, die wir ein unerschütterliches Reich empfangen, dankbar sein, wodurch wir Gott wohlgefällig dienen, ohne Scheu und Furcht.
Denn auch unser Gott ist ein verzehrendes Feuer.
In Kapitel 13,1-6 wird gemahnt zur Bruderliebe, zur Gastfreundschaft und dazu, der Gefangenen zu gedenken. Es wird zur ehrlichen Treue und zu einem Verhalten, das frei von Geiz ist, aufgerufen. Ebenso zum rechten Verhalten gegenüber den Leitern und zur Fürbitte für den Verfasser der Epistel und seine Mitarbeiter.
Kapitel 13,20-21 folgt mit dem Segenswunsch und unter anderem Grüßen.
Werden die entscheidenden Glieder der Argumentationskette deutlicher herausgestellt, sind die Gemeinsamkeiten mit den anderen Paulusbriefen unverkennbar.
Ohne Anspruch auf Vollständigkeit habe ich deshalb auf einige Parallelstellen im Römerbrief hingewiesen. Wer die Paulusbriefe kennt, dem hat sicherlich immer wieder das Erinnern an andere Aussagen von Paulus im Ohr geklungen.
Nun kommen wir zum Urteil.
Schlussurteil zur Verfasserfrage
Nach einem halben Jahrhundert wurde die Verteidigung der paulinischen Verfasserschaft des Hebräerbriefes erneut aufgenommen. Sämtliche Anklagepunkte wurden geprüft, und es zeigte sich, dass den Vorwürfen nicht stattgegeben werden kann.
Behauptungen allein reichen für eine Anklage nicht aus, und die vorgelegten Indizien halten einer Überprüfung nicht stand. Alle Verdächtigungen wurden zu Unrecht erhoben. Der Angeklagte ist somit freizusprechen und geht aus der Untersuchung als unbescholtener Mensch hervor.
Die handschriftliche Bezeugung des Hebräerbriefes lässt nichts zu wünschen übrig. Auch die Zeugnisse der Kirchenväter liefern keinen ausreichenden Grund, Paulus als Verfasser abzusprechen. Wenn an die Stelle von Behauptungen die Untersuchung von Tatsachen tritt, zeigt sich, dass sich der Stil des Briefes keineswegs so sehr von dem der Paulusbriefe unterscheidet, dass Paulus nicht sein Verfasser sein kann.
Im Gegenteil: Sämtliche stilistischen Eigenheiten des Hebräerbriefes lassen sich bei Paulus nachweisen. Im Regelfall liefert bereits der Römerbrief ausreichende Belege. Ebenso wenig spricht das Vokabular des Hebräerbriefes gegen eine paulinische Verfasserschaft, sondern bestätigt sie sogar, wie Detailstudien gezeigt haben.
Auch die Einzelargumente können nicht beweisen, dass der Hebräerbrief nicht von Paulus stammt. Die Anonymität des Briefes lässt sich hinreichend erklären, wenn Paulus der Verfasser ist. Die Damaskuserfahrung wird auch in anderen Paulusbriefen nicht erwähnt.
Das Fehlen von direkten Verweisen auf paulinische Briefe im Hebräerbrief ist ebenso der Normalfall wie das Vorkommen einzelner Themen, die in anderen Briefen fehlen. Dies lässt sich für alle Paulusbriefe demonstrieren.
Die Annahme, dass Paulus als Verfasser des Hebräerbriefes durch Hebräer 2,3 ausgeschlossen sei, beruht auf einer weit verbreiteten Fehlinterpretation dieses Verses. Auch die Zitierung des Alten Testaments nach der Septuaginta stellt kein Problem dar, ebenso wenig wie der Gebrauch der Namen Jesu.
Die angeblichen theologischen Differenzen zwischen dem Hebräerbrief und den paulinischen Briefen liefern keinen Beweis dafür, dass Paulus als Verfasser ausgeschlossen ist. Versuche, durch religionsgeschichtliche Argumente eine Verfasserschaft des Paulus auszuschließen, erwiesen sich als willkürlich und erheben keinen Wahrheitsanspruch.
Die Darstellung der Argumentationskette im Hebräerbrief zeigt dessen Nähe zu den Paulusbriefen, besonders zum Römerbrief, deutlich auf.
Für die Anschuldigung, dass der Hebräerbrief nicht von Paulus geschrieben worden sei, ja sogar gar nicht von ihm geschrieben sein könne, gibt es keinen ausreichenden Grund. Diese Behauptung hat nicht an Wahrheitsgehalt gewonnen, nur weil sie wiederholt vorgebracht wurde – und das aus unterschiedlichen Motiven.
Hätte der Hebräerbrief wirklich Eingang in den Kanon des Neuen Testaments finden können? Und würde er bis heute seinen Platz darin bewahren, wenn er nicht der Brief des Apostels Paulus gewesen wäre?
Diese Überzeugung hat mich überzeugt und vielleicht auch manche von uns.
Ergänzende Beobachtungen und Diskussion
Ich möchte ergänzend sagen, dass ich auch den Schluss des Hebräerbriefs gelesen habe, und das ist mir einleuchtend. Erstens, Paulus musste anonym schreiben, weil er bei den Hebräern keinen guten Ruf hatte. Das wissen wir alle. Sie wollten ihn als Apostel oft gar nicht akzeptieren. Deshalb hat er den Brief sicherlich auf diese Weise verfasst.
Am Schluss grüßt er ja auch in Hebräer 13, Vers 23: „Wisset, dass unser Bruder Timotheus wieder frei ist; mit ihm, wenn er bald kommt, will ich euch sehen.“ Das fällt uns auf, weil in den Briefeingängen immer steht: Paulus und Timotheus, die Brüder grüßen euch usw. Das ist ein weiteres Argument, das Sie, glaube ich, auch erwähnt haben.
Außerdem wird hier Italien erwähnt, was mir heute zum ersten Mal aufgefallen ist. Man entdeckt immer wieder einen neuen Reichtum im Wort Gottes. Am Schluss heißt es: „Grüßet alle eure Lehrer und alle Heiligen; es grüßen euch die Brüder aus Italien.“ Das könnte man sehr gut mit der Gefangenschaft in Rom in Verbindung bringen.
Vielleicht kann man auch noch das anfügen, was Petrus im zweiten Petrusbrief schreibt. Er erwähnt die Geduld unseres Herrn, die für eure Rettung zu erachten ist, so wie auch unser lieber Bruder Paulus nach der Weisheit, die ihm gegeben ist, euch geschrieben hat. Davon redet er in allen Briefen, in denen einige Dinge schwer zu verstehen sind und die Unwissenden und Leichtfertigen verdrehen, wie auch die anderen Schriften zu ihrer eigenen Verdammnis.
Ich denke, dass gerade der Hebräerbrief durch sein Gewicht und das eigentlich schwere Verständnis sehr gut zum Römerbrief passt. Man muss ziemlich scharf nachdenken, um alles mitverfolgen zu können, wie Paulus es auch weist.
Gerade im Hebräerbrief gibt es ja den Bezug zu 2. Petrus 3,15-16. Es ist auch die Rede von Milch und fester Speise, dass man hier zu schwierigeren Dingen fortschreitet. Das passt genau zu 1. Korinther 3,1-2. Wir sehen, es gibt einige Hinweise.
Übrigens kommt der Vergleich von Milch und fester Speise auch im 1. Korintherbrief vor, wo Paulus sagt: „Ihr habt noch keine feste Speise vertragen, denn ihr seid unmündig; bei euch kommt sogar Eifersucht und Streit vor.“ Das deute ich Ihnen auch ganz freundlich, Frau Böhm.
Gibt es dazu gleich noch Rückfragen?
Ich wollte fragen: Habe ich es richtig verstanden, dass der Hebräerbrief im Grunde an zwei Gruppen gerichtet ist? Erstens, wie Sie sagten, an die Aggressaten, also an jene, bei denen Paulus anonym bleiben musste, wegen der Ablehnung durch die Hebräer gegenüber Paulus als Apostel. Zweitens an die Empfänger, das heißt an die Judenchristen, die, wie wir vermuten, in Jerusalem wohnten und einen griechischen Bildungsstand hatten, sodass Paulus mit der Sprache ihnen entgegenkam.
Die ersten zwölf Kapitel sind also an die eigentlichen Adressaten gerichtet, nämlich an diejenigen in Jerusalem, die, obwohl Christen, noch immer fleißig sind, das Gesetz Mose zu erfüllen. Aber Paulus konnte ihnen das nicht direkt schicken, er musste es ihnen unterjubeln. Das konnte er durch Leute, die es auch in Jerusalem gab.
Es gab viele Diasporajuden, die im Kontext der griechischen Kultur aufgewachsen waren und die dann im Alter nach Jerusalem zogen, weil sie dort gerne beerdigt werden wollten. Wenn sie aus dem Erwerbsleben ausschieden, kamen sie nach Jerusalem und konnten am Tempelkult teilnehmen. Mittlerweile waren sie Christen geworden.
So gab es viele Rentner, aber natürlich auch andere, die aus verschiedenen Gründen nach Jerusalem kamen. Es gab ja hellenistische Synagogen in Jerusalem. Als Paulus nach seiner Bekehrung zum ersten Mal nach Jerusalem kam, diskutierte er in einer solchen Synagoge. Doch man verfrachtete ihn schnell nach Tarsus, weil eine weitere Verfolgung drohte. Die Gemeinde hatte gerade das Martyrium des Stephanus hinter sich und wollte nicht, dass Paulus die Arbeit wieder zum Erliegen bringt. Das entsprach aber Gottes Plänen, der schon vorher mit Paulus darüber geredet hatte.
Am Schluss des Hebräerbriefs, bei den Schlussermahnungen, die zum Teil ethische Ermahnungen sind, wie wir sie oft bei Paulus finden, hat er seine Empfänger im Sinn, an die der Brief wirklich geschickt wird.
In Hebräer 13, Vers 17 heißt es zum Beispiel: „Gehorcht euren Führern und seid ihnen untertan, denn sie wachen über eure Seelen.“ Das hatte einen bestimmten Anlass. 62 n. Chr. war Jakobus ja auch Märtyrer geworden. Es gab also einen neuen Leiter in der Gemeinde.
Wir haben nicht so leicht eine klare Autorität, wie einen Apostel oder Herrenbruder, die allgemein anerkannt sind. Oft gibt es viele Leute, die sich fragen, wer geeignet ist, und es entsteht leicht ein gewisses Gemurre, dass gerade diese Personen die Leitung haben sollen.
Hier die Ermahnung: „Gehorcht und fürchtet euch euren Führern und betet für sie.“ Das hat nur Sinn, wenn die Leute wissen, für wen sie beten sollen. Und Grüße kann man nur an Leute schicken, die man kennt. Solche Briefe wurden persönlich überbracht. Auf dem letzten Stück der Rolle stand oft noch etwas von Paulus und so weiter. Die Empfänger mussten den Brief wahrscheinlich sowieso umsetzen, um ihn den Leuten in Jerusalem zu verklickern, sei es ganz oder in Teilen.
Ich habe noch eine interessante Frage zu einer Anmerkung in Ihrem Referat. Sie hatten Augustinus nur sehr kurz erwähnt, und Augustinus gehörte wohl zu den Kritikern des Hebräerbriefs, soweit ich verstanden habe. Warum war das so? Das hatten Sie nicht näher erläutert.
Das können Sie im Fundamentum nachlesen. Ich bin ja gar nicht auf die einzelnen Kirchenväter eingegangen, weil Augustin eine sehr unterschiedliche Stellung hatte. Gegen Ende seines Lebens war das anders als vorher. Man kann ihn aber auch unter die Kritiker rechnen. Das ist oft so bei gelehrten Theologen, die viel Philosophie konsumiert haben und dann leicht geneigt sind, ihren eigenen Kopf aufzusetzen. Das ist das Problem.
So war es bei Augustin, so war es bei Eugenis und bei allen, die zu viel Philosophie geschluckt haben und sich nicht davon bekehrt haben. Das ist schriftlich belegt. Einzelheiten finden sich in meiner Abhandlung, die jeder nachlesen kann, der mehr wissen möchte.
Fundamentum ist die Zeitschrift der staatsunabhängigen Hochschule in Basel. Dort wird demnächst noch ein Beitrag über den Hebräerbrief erscheinen, der sich mit Rainer Riesner auseinandersetzt. Riesner hat versucht, mich von oben herab zu kritisieren. Frau Linnemann tut dies und das, aber wenn er geschwiegen hätte, wäre er weise gewesen.
Er versucht nun die These aufzustellen, der Hebräerbrief sei von Barnabas verfasst worden. Wie kommt er darauf? Ich weiß es nicht genau, aber er gewinnt damit an Boden. Über fünfzig Jahre lang hat niemand gewagt zu sagen, der Hebräerbrief sei von Paulus. Wenn man das behauptet, ist man bei den historisch-kritischen Theologen und denen, die wissenschaftlich sein wollen, natürlich unten durch.
Barnabas hat den Vorteil, dass man ihn auch als Apostel gelten ließ. Die Alexandriner haben einen Vorstoß in diese Richtung gemacht. Es gab einen anonymen Brief, den sie Barnabas zuschrieben. Es gibt eigentlich keinen Brief, aber etwas, das vom Barnabas geschrieben sein könnte. Doch da lief ein anonymer Brief herum, ziemlich gesetzlich orientiert, völlig anders als der Hebräerbrief, der die Botschaft der Gnade enthält. Dieser wurde von den Alexandrinern als Barnabasbrief bezeichnet, der apokryphe Barnabasbrief.
Sie sagten, vor 55 Jahren, also 1947, sei das Thema aufgekommen. Die Wirksamkeit von Bultmann, seiner Schule und allen Anhängern begann jedoch schon früher, in den Zwanziger- und Dreißigerjahren. Die Ablehnung von Paulus als Autor verbreitete sich also schon damals.
Paulus war für Bultmann und seine Schüler dennoch eine Autorität. Man muss sich vorstellen, dass derjenige, der das schrieb, mehr als fünfzig Jahre zurückblickte, wenn er in Amerika evangelikal war. In Deutschland rechnet man eher mit mehr als hundert Jahren.
Diese Zeitangaben darf man also nicht wortwörtlich nehmen. Ich schätze, dass im zwanzigsten Jahrhundert niemand mehr war, der Paulus als Autor des Hebräerbriefs akzeptierte – und wir schreiben bereits das einundzwanzigste Jahrhundert.
Ich hatte das im Moment nicht bedacht, als ich die 50 Jahre übernommen habe, denn das ist schon ein gewaltiger Zeitraum. Da muss man tief durchatmen – und dann kommt da nicht so eine Frau und macht das Ganze noch schlimmer.
Wenn aber jemand angegriffen wird, dann braucht es auch Verteidiger. Der Kanzler hat mich ernst genommen, sodass ich vielleicht nach hundert Jahren das Erste mache. Die Reaktion eines evangelikalen Bruders war empört, als ich das las.
So ist es, wenn man sich selbst rechtfertigt und zu dieser Argumentation kommt, dass es auch jemand anders gewesen sein könnte. Ich nehme an, damals war Rainer Riesner nicht da. Vielleicht haben sie ihm gesagt: „Schau mal, was Linnemann sagt.“ Dann hat er sich hingesetzt.
Ein Bruder meinte: „Wenn ich das schriftlich in die Hand bekommen hätte, hätte ich den ersten Aufsatz mit dem Wiederaufnahmeprozess schon vorbereitet. Aber als ich das Ganze hörte, gab es vielleicht einige Dinge, die wir einbeziehen könnten.“ Das war seine Reaktion. Niemand hat mir die Hand gegeben.
Wir können uns vorstellen, dass Paulus den Brief vielleicht auch diktiert hat. Ich glaube jedoch nicht, dass er den Hebräerbrief diktiert hat. Es ist natürlich möglich, dass zum Beispiel Lukas dabei war.
Früher musste Paulus ja Zelte machen. Da musste er diktieren. Er konnte ja nicht gleichzeitig predigen, lehren und so viel an Zelten arbeiten. Was soll's.