Vorbemerkungen zur Predigt und Gemeindeinformationen
Bevor ich zur Predigt komme, möchte ich noch auf zwei Dinge hinweisen.
Das eine betrifft eine Information für dich, Christian. Diese war schlecht formuliert, deshalb gebe ich sie noch einmal weiter: Das Heft für die Predigt- und Hauskreis-Serie soll tatsächlich nur von den Hauskreisleitern mitgenommen werden. Es ist aber für den ganzen Hauskreis gedacht. Das heißt, jeder, der in einem Hauskreis ist, bekommt ein solches Heft.
Wir wollten nur nicht, dass jeder Einzelne eines mitnimmt und der Hauskreisleiter dann noch fünf weitere. Sonst haben wir am Ende nicht genug Hefte für jeden. Also ist jeder Hauskreisleiter herzlich eingeladen, für jedes Mitglied seines Hauskreises jeweils ein Heft mitzunehmen. Die Hefte liegen hinten außen, ihr könnt sie beim Rausgehen mitnehmen.
Zum anderen hat Christian gerade für die Kinder in den unteren Räumen gebetet. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, noch einmal darauf hinzuweisen: Wir haben Kellerräume, in denen sich viele Kinder treffen. Manche wissen das vielleicht nicht, weil sie heute zum ersten Mal hier sind oder während des Gottesdienstes noch nie nach unten gegangen sind.
Deshalb eine Information an alle Eltern, die vielleicht relativ neu in der Gemeinde sind: Sie können ihre Kinder dort unten abgeben. Die Kinder werden gut betreut und biblisch unterrichtet. Das betrifft alle Altersklassen, beginnend mit Babys.
Es gibt eine Babybetreuung, und auch dafür laden wir herzlich ein, sie in Anspruch zu nehmen. Es ist gut, dafür zu beten und daran zu denken: Wir haben auch Kinder in dieser Gemeinde. Wir wollen dafür beten, dass Gott sie schon früh zum Glauben bringt.
Gebetsbitte vor der Predigt
Und jetzt möchte ich für die Predigt und unser Hören auf Gottes Wort beten.
Lieber himmlischer Vater, danke, dass wir zu dir kommen dürfen. Danke, dass du ein Gott bist, der redet. Wir wollen in aller Demut jetzt auf dein Wort hören.
Ich bitte dich, dass du uns wirklich bereit machst. Lass uns nicht mit unseren eigenen Vorstellungen kommen und von vornherein selbst festlegen, was du uns sagen darfst und wo du uns nicht ins Leben sprechen darfst. Nein, gib uns die Demut, zu hören, was auch immer du uns sagen willst.
Gib mir deinen Geist, damit ich nur das sage, was du uns sagen willst. Hilf mir, nicht meine eigenen Gedanken hier zum Ausdruck zu bringen.
Danke, dass du bei der Predigtvorbereitung dabei bist und danke, dass du auch in der Verkündigung deines Wortes deine Hand darüber hältst.
So bitte ich dich: Rede du nun zu uns. Amen.
Rückblick auf die letzte Predigt und Einführung ins Thema
Wir haben in der letzten Woche eine Predigt gehört zu einem Gleichnis, nämlich dem Gleichnis vom ungerechten Richter und einer bittenden Witwe. Es ist ein seltsames Gleichnis, und ich hatte versucht, uns zu zeigen, was genau dahintersteckt und warum Jesus uns durch dieses Gleichnis dazu aufruft, im Gebet auszuharren. Er fordert uns auf, darauf zu vertrauen, dass der Herr sein Kommen nicht verzögert, um gerecht zu richten.
Dabei habe ich einige Dinge erwähnt, die diese Aufforderung nicht bedeuten. Unter anderem habe ich gesagt, worum es Jesus hier nicht geht: Es geht nicht darum, dass wir so lange beten, bis Gott seinen Willen ändert. Das hat bei einigen Leuten Fragen aufgeworfen. Dürfen wir denn nicht beten gegen das, was wir zunächst als Gottes Willen erkennen? Das heißt: Darf ich nicht zum Beispiel beten, wenn ich krank bin? Ich erkenne, dass Gott souverän ist und dass Gott das irgendwie zugelassen hat. Darf ich dann nicht für Genesung beten?
Doch natürlich darfst du das. Tu es bitte! Du kannst sogar zu den Ältesten kommen und darum bitten, dass sie dich mit Öl salben und für dich beten, entsprechend Jakobus 5. Nein, der Wille Gottes ist komplex. Mir ging es um die Dimension des Willens Gottes, die manchmal als der Ratschlusswillen Gottes beschrieben wird – also etwas, was sich Gott vor aller Zeit vorgenommen hat. Das ist uns oft nicht offenbar, aber manchmal bekommen wir durch die Schrift offenbart, was Gott vorhat, was sein Wille ist.
So ist es in diesem Gleichnis ganz offensichtlich: Es geht um das Wiederkommen Jesu. Die Schrift verkündet das in aller Klarheit und sagt, Gott wird es nicht verzögern. Deshalb meinte ich, dagegen brauchen wir nicht anzubeten. Darum geht es in diesem Gleichnis nicht.
Ich werde auf die Komplexität des Willens Gottes etwas genauer eingehen – im Rahmen eines Artikels, den ich für den Gemeindebrief schreiben werde. In zwei Wochen, so Gott will, könnt ihr das noch einmal etwas genauer durchdenken.
Ich wollte das noch einmal richtigstellen, weil einige Fragen gekommen sind. Mir ging es also um das, was Jesus in diesem konkreten Gleichnis nicht tut. Was uns dieses Gleichnis in der letzten Woche zeigen sollte, ist, dass unsere Gebete offenbaren, was wir glauben und wonach wir streben.
Einführung in das neue Gleichnis: Demut im Gebet
Und heute kommen wir zum direkt darauf folgenden Gleichnis, wiederum im Lukasevangelium, Kapitel 18, Verse 9 bis 14. Auch hier geht es um Gebet. Allerdings will Jesus uns weniger zeigen, was wir über Gott glauben sollten oder inwieweit unsere Gebete unser Gottesbild widerspiegeln.
Vielmehr sollen wir darüber nachdenken, was wir über uns selbst glauben und in welcher Haltung wir vor Gott treten sollten. Dieses Gleichnis, das wir jetzt betrachten, ist vor allem ein Aufruf zu einer Haltung der Demut im Gebet.
Ich möchte uns das Gleichnis aus dem Lukasevangelium, Kapitel 18, Verse 9 bis 14 vorlesen. Wer mitlesen möchte, findet es auf Seite 95 im hinteren Teil.
Er sagte aber zu einigen, die sich anmaßen, fromm zu sein, und die anderen verachten, dieses Gleichnis:
Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner.
Der Pharisäer stand für sich und betete so: »Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die anderen Leute: Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner. Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme.«
Der Zöllner aber stand ferner, wollte auch die Augen nicht zum Himmel erheben, sondern schlug an seine Brust und sprach: »Gott, sei mir Sünder gnädig!«
Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener.
Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden, und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.
Soweit dieser Text.
Aufbau der Betrachtung des Gleichnisses
Wir wollen diesen Text in drei Abschnitten betrachten. Dabei wird der erste Punkt der kürzeste sein, der dritte hingegen der längste.
Es sollte also nicht der Eindruck entstehen, dass wir heute in nur zehn Minuten fertig sind, nur weil der erste Punkt so kurz ist. Sonst seid ihr später vielleicht enttäuscht oder überrascht.
Der erste Punkt umfasst nämlich nur den ersten Vers, Vers neun. Diesen einleitenden Vers wollen wir uns genauer anschauen und dabei bedenken, an wen sich die Worte von Jesus richten.
Anschließend betrachten wir das Gleichnis selbst. Dabei wollen wir vor allem überlegen, wie dieses Gleichnis für die ursprünglichen Hörer geklungen haben muss. Wir wollen uns in sie hineinversetzen.
Zum Schluss wollen wir anhand der Worte Jesu aus Vers 14 überlegen, was dieses Gleichnis überhaupt mit uns zu tun hat. Dabei geht es konkret darum, wovor es uns warnt und wozu es uns ermutigt.
Ganz einfach: Vers 9, dann Vers 10 bis 13 und schließlich Vers 14.
Die Zielgruppe des Gleichnisses
Neun ist wirklich die Hinführung zu dem Gleichnis. Wir lesen dort: Es sagte aber er, Jesus sagte aber zu einigen, die sich anmasten, fromm zu sein, und verachteten die anderen, dies Gleichnis.
Diesen Satz könnte man, wenn man so durch das Lukasevangelium liest und Kapitel 8 sich vornimmt, mal als eine Art Übergangssatz verstehen. Wir hatten das eine Gleichnis, jetzt kommt das andere. Irgendwie baut Lukas hier eine Brücke, damit wir von dem einen zum anderen kommen. Eigentlich liest man darüber hinweg. Aber dieser Satz ist wichtig, denn hier macht Jesus deutlich, wen er konkret anspricht – oder Lukas macht deutlich, wen Jesus hier anspricht.
Dabei ist die Übersetzung der Lutherbibel, die wir hier typischerweise benutzen und die auch hier ausliegt, nicht besonders klar. Eigentlich sind alle anderen deutschen Übersetzungen an diesem einen Vers besser. Ich bin sonst durchaus ein Fan von Luther 84. Hier ist es hilfreich, auch mal eine andere Bibel zur Hand zu nehmen.
Zum Beispiel haben die Elberfelder Übersetzung oder die Schlachter Übersetzung fast wortgleich im Vers neun Folgendes stehen, und das kommt dem Originaltext, dem Ursprungstext, näher: Er sagte aber auch zu etlichen oder zu einigen, die auf sich selbst vertrauten, dass sie gerecht seien. Er sagt aber zu etlichen, die auf sich selbst vertrauten, dass sie gerecht seien und die übrigen verachteten.
Dieses Gleichnis richtet sich an diese Leute – Menschen, die auf sich selbst vertrauen, dass sie gerecht seien, die sich für gerecht halten und die andere Menschen verachten.
Okay, das waren also die Zuhörer. Nun stellt sich für uns konkret die Frage: Was hat das denn mit uns zu tun? Was bedeutet das für dich und für mich? Betrifft uns dieses Gleichnis vielleicht gar nicht? Können wir darüber hinweggehen? Oder sind wir vielleicht angesprochen als interessierte Zuhörer?
Wie geht Jesus denn mit solchen Leuten um? Vielleicht denkt der eine oder andere: Na ja, das kann ja schon mal hilfreich sein, weil mit solchen Leuten habe ich auch ab und zu zu tun, und dann weiß ich, was ich denen sagen kann. Also ich zumindest, der ich regelmäßig Gottes Wort lehre, kenne die Versuchung, Gottes Wort zu hören, für andere zu lesen und zu sagen: Ah ja, das ist gut, guter Hinweis, Jesus, so muss ich mit denen reden, das muss der doch auch mal verstanden haben. Vielleicht kennst du das auch.
Also die Frage stellt sich für uns: Ist dieses Gleichnis wirklich nur für andere? Können wir uns auf eine reine Beobachterposition zurückziehen? Auf diese Frage möchte ich am Ende zurückkommen.
Das Gleichnis im Kontext der damaligen Zuhörer
Lasst uns jetzt das Gleichnis anschauen und überlegen, wie es für die ursprünglichen Hörer geklungen haben muss.
Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten: der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. Der Pharisäer stand für sich und betete so: „Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die anderen Leute – Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner. Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme.“
Der Zöllner aber stand weiter entfernt, wollte auch die Augen nicht zum Himmel erheben, sondern schlug an seine Brust und sprach: „Gott, sei mir Sünder gnädig.“
Interessantes Gleichnis. Wir sehen hier zwei Protagonisten, zwei Menschen, auf die hier geschaut wird. Sie haben erst einmal etwas gemeinsam: Sie sind nämlich beide zum Tempel unterwegs oder in den Tempel gekommen, um zu beten. Aber diese beiden Männer könnten nicht unterschiedlicher sein.
Der eine ist ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. Und dieser Kontrast zwischen diesen beiden Menschen wird uns vielleicht im ersten Moment gar nicht so ganz deutlich, weil wir „Pharisäer“ anders lesen, als die Menschen es damals verstanden haben würden.
Wir lesen „Pharisäer“ und sagen: „Ach, waren das nicht die, die mit Jesus immer Zoff hatten? Waren das nicht so die Scheinheiligen?“ Dann packen wir sie in die Kategorie der Bösen. Und dann haben wir die bösen Pharisäer und die Zöllner, von denen wir wissen, dass sie auch nicht besonders gut waren.
Aber das ist ja überhaupt nicht so. Natürlich gab es diese Pharisäer, die mit Jesus Probleme hatten, aber erst einmal muss man anerkennen: Pharisäer waren die Top-Leute, besser ging es nicht. Das waren Menschen, die es zu etwas gebracht hatten, die ihren Glauben sehr konsequent lebten und wirklich fromm waren. Sie genossen weithin Anerkennung.
Ich glaube, wenn wir verstehen wollen, wie die Menschen damals Pharisäer verstanden haben – und das auf unsere Zeit übertragen wollen –, dann könnte man sagen: Das waren so Leute wie Christian Stadt oder ich.
Der Zöllner hingegen war das komplette Gegenteil. Die Zöllner hatten sich der römischen Besatzungsmacht verkauft. Sie lebten davon, im Auftrag der Römer ihr eigenes Volk auszubeuten, ihnen Steuern und Abgaben abzuknöpfen – so viel wie möglich. Und sie waren zu Recht verhasst. Das war der Abschaum der Gesellschaft.
Um das auch noch einmal in unsere Zeit zu übertragen: Das wäre vielleicht ein bisschen so wie ein Drogendealer oder ein Zuhälter.
Es ist wichtig, dass wir diesen Kontrast vor Augen haben – zwischen dem ehrenwerten Pharisäer und dem verachteten Zöllner.
Die Gebete der beiden Männer im Vergleich
Jetzt schauen wir, wie die beiden beten. Der Pharisäer wird uns zuerst mit seinem Gebet beschrieben: „Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die anderen Leute – Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner. Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme.“
Wie findest du das Gebet? Also, der Pharisäer – ich möchte uns einfach dahin bringen, dass wir ein bisschen verstehen, wie die Menschen das damals gehört haben müssen. Wir haben manchmal unseren eigenen Filter, weil wir das oft genug gehört haben und die Pointe irgendwie kennen. Aber wir müssen erst einmal hineinkommen, das hören und sagen: Okay, also erst einmal preist der Pharisäer sich selbst oder dankt er Gott? Er dankt Gott. Das ist ja gut.
Er sagt Gott Dank für das, was er ist: Gott, dass er kein Räuber ist, kein Betrüger, kein Ehebrecher und auch kein Abzocker wie dieser Zöllner. Ist das wirklich so ein schlechtes Gebet? Hättest du gezuckt, wenn ich vorhin gebetet hätte: „Gott, ich danke dir, dass du mich davor bewahrt hast, kriminell zu werden. Lieber Vater, ich danke dir, dass du mich davor bewahrt hast, meiner Frau untreu zu werden. Ich danke dir, dass ich hier Pastor bin und nicht Zuhälter geworden bin.“ Ist das wirklich so schlecht?
Und mal ganz ehrlich: Wenn ich vorhin gesagt habe, Christian Stadt und ich sind ein bisschen so wie die Pharisäer – also ehrenwerte Leute –, na ja, hier sind viele ehrenwerte Leute, oder? Das ist doch eine ganz schöne Gemeinde, lauter angesehene, ehrenwerte Menschen. Und dann beginnt der Pharisäer, Gott oder vielleicht eher den Zuhörern, die dort im Tempel sind, in seinem Gebet seine Meriten aufzuzählen: „Okay, jetzt wird es ein bisschen kritischer vielleicht, ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme.“
Aber mal ganz ehrlich, das ist auch nicht so schlecht, oder? Was ich gerade tun will, ist, uns davor zu warnen, in eine gedankliche Haltung zu geraten, die uns dazu bringt, zu beten: „Danke, Gott, dass ich nicht so bin wie der Pharisäer.“ Lasst uns nicht mit dem Finger auf den Pharisäer zeigen, sondern anerkennen, dass dieser Mann vielleicht viel frömmer gelebt hat als du oder ich, dass er vielleicht treuer seinen Zehnten gegeben hat als so mancher unter uns.
Das ist das Gebet des Pharisäers. Und dann sehen wir das Gebet des Zöllners. Der Zöllner aber stand fern, wollte auch die Augen nicht zum Himmel erheben, schlug an seine Brust und sprach: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“
Der Zöllner erkennt richtig an, dass er Gott nichts zu bieten hat. Er schämt sich. Und ich denke, wir würden alle sagen: zu Recht. Er traut sich nicht mehr, seinen Blick Richtung Himmel zu richten. Er weiß, dass es eigentlich nur eine Hoffnung für ihn gibt. Er bittet Gott um Gnade.
Wie mag das für die Zuhörer geklungen haben, zu denen Jesus dort spricht? Ich kann mir vorstellen, wie sie vielleicht zugehört haben und gesagt haben: „Okay, was will er uns jetzt damit sagen?“ Vielleicht haben sie gesagt: „Das Gebet des Pharisäers – den kannten sie ja vielleicht –, sie haben gesagt: Ja, das ist wirklich ein frommer Mann, und der gibt großzügig, sehr großzügig. Dieser Mann lebt vorbildlich und dankt Gott dafür, sehr demütig das anzuerkennen.“
Und dieser Zöllner, der mich gerade gestern wieder abgezockt hat – was bildet der sich eigentlich ein? Spinnt der? Der soll sich erst mal ein bisschen bessern, der soll mal aufhören mit dem Mist, und dann, ja, vielleicht dann kann er auch mal um Gnade betteln. Das wäre ja ein bisschen einfach.
Vielleicht war es ungefähr so. Das war vielleicht die Haltung, die die Menschen damals hatten. Und so ganz überraschend sollte uns das nicht sein. Vielleicht ist unsere Herzenshaltung manchmal gar nicht so ganz anders.
Jesu Urteil über die beiden Männer
Sondern in diese Situation hinein spricht Jesus jetzt sein Urteil über die beiden Protagonisten seines Gleichnisses.
Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden, und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.
Ich bin mir fast sicher, dass die ersten Worte von Jesus für die Menschen dort eine völlige Überraschung waren. „Ich sage euch, dieser“ – und er zeigt gedanklich auf den Zöllner, den er gerade erwähnt hat, mit den Worten: „Gott, sei mir Sünder gnädig“ – „dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus.“
Der Zöllner? Er geht gerechtfertigt, also von Gott als gerecht anerkannt, nach Hause? Das ist doch ganz offensichtlich kein gerechter Mensch.
Und so richtig schockierend wird es dann in den nächsten beiden Worten. Sie handeln jetzt vom Pharisäer: „Nicht jener.“ Der verachtete Zöllner kann bestehen, und der ehrenwerte Pharisäer nicht? Wie kann das sein?
Nun, dazu müssen wir uns klar machen, auf welcher Basis Menschen vor Gott bestehen können, auf welcher Basis ein Mensch vor Gott überhaupt gerecht sein kann.
Ich denke, den meisten unter uns ist das völlig klar, aber ich möchte uns das noch einmal vor Augen führen.
Die Grundlage der Rechtfertigung vor Gott
Der Pharisäer hat durchaus anerkannt, dass Gott eine Rolle in seinem Leben spielt. Er hat offenbar anerkannt, dass Gott ihm die richtige Starthilfe gegeben hatte. Immerhin war er Pharisäer und eben kein Zöllner, und dafür dankt er Gott.
Doch wenn wir nur diese Starthilfe bräuchten, wenn wir nur ein wenig Bewahrung benötigten, dann hätte Gott seinen Sohn Jesus Christus gar nicht in diese Welt senden müssen. Unser Problem liegt viel tiefer. Es besteht darin, dass wir weit mehr brauchen als nur Starthilfe.
Unser Problem ist, dass wir von Herzen alle Sünder sind, alle in Not, von Gott mit Gnade empfangen zu werden. Jesus selbst hatte schon früh im Lukas-Evangelium erklärt, für wen er konkret gekommen war. In Kapitel 5, Vers 32 sagt er: „Die Gesunden bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken. Ich bin gekommen, die Sünder zur Buße zu rufen und nicht die Gerechten.“
Später erklärte er, dass er gekommen war, um sein Leben als Lösegeld für viele zu geben. Er machte deutlich, dass wir Menschen ein Kernproblem haben, das in unseren Herzen liegt. Wir brauchen nicht nur ein bisschen Starthilfe, sondern eine komplette Veränderung unseres Herzens. Wir brauchen Gnade und Vergebung.
Deshalb ist Jesus nicht nur gekommen, um uns ein paar Tipps zu geben, damit wir den richtigen Weg gehen. Nein, er ist gekommen, um sein Leben am Kreuz zu geben. Er nahm unsere Schuld und Sünden auf sich und bezahlte dafür. So können wir nicht aufgrund unserer Werke vor Gott bestehen, sondern allein aufgrund seiner Gnade.
Er nimmt unsere Schuld auf sich und rechnet jedem, der im Glauben zu ihm kommt, seine Gerechtigkeit zu. Der Zöllner kann gerechtfertigt nach Hause gehen, weil ihm Gottes Gerechtigkeit zugerechnet und geschenkt wird. Er kommt zu Gott und bittet: „Sei mir gnädig!“
Das ist es, was Gott für jeden tut, der zu ihm kommt. Wenn wir anerkennen, dass wir seine Gnade und Vergebung brauchen, eine Rechtfertigung und Gerechtigkeit, die wir nicht in uns tragen, dann wird Gott sie uns geben.
Aber wenn wir kommen und meinen, wir bräuchten nur ein wenig Hilfe, dann finden wir bei ihm keine Annahme. Der Zöllner geht gerechtfertigt nach Hause, nicht der Pharisäer. Denn der Pharisäer hat einfach nicht erkannt, wie sehr er auf Gottes Gnade angewiesen ist.
Die Herzenshaltung des Pharisäers und des Zöllners
In seinem Gebet tritt er nicht einfach nur in dankbarer Demut vor Gott. Er dankt Gott zwar, doch sein Gebet zeigt letztendlich, worauf er sich verlässt. „Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme.“ Er rühmt sich selbst, anstatt Gott die Ehre zu geben. Dadurch raubt er Gott die Ehre, die ihm gebührt.
Der Zöllner tut das nicht. Er erkennt an, dass er Sünder ist, Gottes Gnade braucht und allein von Gottes Gnade leben kann.
Dietrich Bonhoeffer schreibt in seinem Buch Gemeinsames Leben: „Christ ist der Mensch, der sein Heil, seine Rettung, seine Gerechtigkeit nicht mehr bei sich selbst sucht, sondern bei Jesus Christus.“
Das ist ein gutes Zitat: Christ ist der Mensch, der sein Heil, seine Rettung, seine Gerechtigkeit nicht mehr bei sich selbst sucht, sondern bei Jesus Christus. Christ ist, wer nicht auf sich selbst schaut, sondern allein auf Gott.
Also, wo suchst du deine Gerechtigkeit? Auf wen verlässt du dich? Lass uns Jesu Worte hören: „Wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden, und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.“
Diese Erkenntnis sollte unsere Gebete prägen, denn unsere Gebete offenbaren letztendlich, was wir von uns selbst denken.
Selbstreflexion und Ermutigung
Hast du Gott schon einmal in schweren Zeiten gefragt: Warum ich? Und hast du dann daran gedacht, was du alles für Gott getan hast und wie sehr du dich abgemüht hast, ein guter Christ zu sein?
Mal ganz ehrlich: Hast du noch nie daran gedacht, dass vielleicht jemand anderes gewisse Schwierigkeiten oder Leid verdient hätte – nur du natürlich nicht? Hast du dich noch nie in deinem Denken vor Gott über andere erhoben?
Ich bin mir sicher, ich bin nicht der Einzige, der auf diese Weise schon gesündigt hat. Beim Nachdenken über dieses Gleichnis wurde mir wirklich schmerzhaft bewusst, dass mich die Worte Jesu darin ansprechen.
Mir wurde deutlich: Matthias, das ist keine Botschaft, die du nur anderen weitergibst. Nein, mir wurde klar, Jesus sagt: Matthias, ich rede hier mit dir. Und ich hoffe, er darf auch mit dir reden.
Ich glaube, wir alle neigen dazu, zu viel von uns zu denken und dann mit einer falschen Herzenshaltung vor Gott zu treten. Und doch enthält dieses Gleichnis, dieser Text, eine wirklich frohe Botschaft.
Denn nachdem mir klar wurde: Jesus spricht hier mit mir, spricht hier in meinem Leben, da habe ich einen Satz in diesem Gleichnis noch einmal ganz anders gehört – den Aufruf um Gnade: „Gott, sei mir, deinem Sünder, gnädig!“ Und dann die Zusage von Jesus: Dieser ging gerechtfertigt in sein Haus hinab.
Was für eine Befreiung, wenn ich erkenne: Ja, Jesus spricht mich hier an, er fordert mich ganz persönlich heraus. Dann darf ich wissen, er lässt mich jetzt nicht in meinem Erkennen meiner Schuld allein.
Nein, er hebt mich hoch. Er sagt: „Sieh her, das ist der Weg. Geh auf die Knie und sag: Okay, Herr, ich habe gesündigt, ich habe mich über andere erhoben, ich habe dir Ehre geraubt, die allein dir gebührt. Ich habe zu viel von mir selbst gehalten und zu wenig von dir.“
Bring all das vor ihn und lass dir zusagen: Wer das erkennt, wer das vor Gott anerkennt und um Gnade bittet, der wird Gnade empfangen.
Umgang mit Dankbarkeit und eigener Leistung
Von daher möchte ich uns ermutigen, dankbar zu sein – ja, wirklich dankbar – für alle Bewahrung, so wie es der Pharisäer tat. Das dürfen wir. Wir dürfen Gott danken für alles, was er uns geschenkt hat.
Und ganz ehrlich: Wir dürfen natürlich manchmal auch die Dinge betonen, die wir geleistet haben. In dieser Welt ist das erlaubt, manchmal sogar notwendig. Aber wir sollten dabei immer wissen, dass wir das mit Gottes Hilfe getan haben.
Es geht hier nicht darum, dass ich mich nicht positiv darstellen darf – zum Beispiel in einer Bewerbung –, um zu zeigen, was ich geleistet habe und was ich kann. Vielmehr geht es um die Herzenshaltung, mit der ich vor Gott trete.
Wenn wir wirklich glauben, dass alles, was wir haben und sind, von Gott kommt, dann werden wir uns anderen gegenüber nicht mehr erheben. Dann beten wir mit der Erkenntnis unserer eigenen Schuld und dem Bitten um Gnade – und eben nicht stolz und mit dem Gefühl, Gott sei uns etwas schuldig.
Daher vielleicht eine kleine Warnlampe, die man sich selbst aufstellen kann – die ich mir selbst aufstellen möchte: Sobald ich anfange, nur auf mich zu schauen und in irgendeiner Weise zu denken, ich könnte vor Gott meine Verdienste aufzählen und damit einen Anspruch geltend machen, sobald ich nicht mehr demütig bitte und auf Gottes Gnade hoffe, sondern fordernd werde, ist es Zeit, in mich zu gehen und mich zu hinterfragen.
Was können wir schon vor Gott vorbringen? Womit können wir ihn beeindrucken? Wenn wir uns vergleichen wollen, dann sollten wir uns mit dem vergleichen, der dasselbe spricht: Jesus Christus. Lass ihn dein Maßstab sein, denn ihm sollst du ähnlicher werden.
Wenn Jesus dein Maßstab ist – wenn er mein Maßstab ist –, dann bleibt kein Raum für Stolz. Jesus als Maßstab macht demütig, denn ich erkenne, wo ich noch nicht so bin wie er, und ich erkenne, wie sehr ich auf seine Gnade angewiesen bin.
Abschluss und Ausblick
Wir werden zum Abschluss dieses Gottesdienstes das Lied „Amazing Grace“ singen. Das Lied wurde von John Newton geschrieben. John Newton hat eine große Wandlung durchgemacht – von jemandem, der ein schlimmer Sünder war, hin zu jemandem, der ein großer Diener Gottes wurde.
Dieses Lied „Amazing Grace“ ist die Frucht der Veränderung, die Gott in ihm gewirkt hat.
Am Ende seines Lebens ließ sein Gedächtnis nach. Er konnte sich an vieles nicht mehr erinnern, vielleicht war er dement. Es gibt jedoch ein gut überliefertes Zitat von ihm. Er sagte: „Ich weiß nicht mehr viel.“ Aber am Ende seines Lebens, nach vielen, vielen Jahren als Christ mit einem segensreichen Dienst, sagte er zwei Dinge, die er ganz gewiss wusste: „Ich weiß, dass ich ein großer Sünder bin und dass Christus ein großer Retter ist.“
Jeder, der das weiß, darf wissen, dass Gott den Sündern gnädig ist. Dann dürfen wir mit leeren Händen kommen und erwartungsfroh unseren himmlischen Vater bitten.
Ja, nur so können wir vor ihm treten – mit leeren Händen und der Anerkennung, dass er uns nie eine Bringschuld hat, sondern dass er ein Vater ist, der großzügig gibt, aus der Gnade heraus.
Möge Gott unsere Herzen transformieren, damit wir immer mehr so vor Gott treten.
Schlussgebet
Ich möchte mit uns beten.
Himmlischer Vater, danke für deine große Gnade. Danke, dass du uns in deinem Wort herausforderst.
Ich weiß nicht, wie jeder Einzelne diese Predigt aufgenommen hat. Ich bete, dass niemand von uns verärgert ist, weil er mit dem Pharisäer verglichen wurde. Ich bete, dass wir alle in Demut anerkennen, dass wir deine Gnade jeden Morgen aufs Neue brauchen.
Danke, dass du ein Gott bist, der uns einlädt, unsere Herzen zu prüfen und unsere Schuld zu bekennen. Du versprichst, dass du in deiner Treue und Gerechtigkeit denen vergibst, die dir ihre Schuld bringen. Wir dürfen darauf vertrauen, dass du unsere Ungerechtigkeit auf dich genommen hast und uns deine Gerechtigkeit allein aus Gnade schenkst.
Danke, dass ich dir bekennen darf: Ja, Herr, ich habe mich an dir und an Menschen versündigt. Ich komme mit leeren Händen. Herr, sei du mir Sünder gnädig. Danke, dass du mir zusagst, genau das zu tun.
Dafür preise ich dich. Amen.
Gemeinsames Lied zum Abschluss
Lasst uns aufstehen und gemeinsam aus dem Blauen Liederbuch das Lied Nr. 373 singen: „Jesus, zu dir kann ich so kommen, wie du bist.“