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Seelsorge - Hilfe, die wir brauchen und geben sollen

Man kann bei der Seelsorge die unterschiedlichsten Erfolge haben. Ich möchte euch von dem Versuch eines Pfarrers erzählen, der endlich seelsorgerlich predigen wollte – und zwar anhand eines anschaulichen Beispiels.

Er hatte verstanden, dass man gegen den Missbrauch von Alkohol etwas tun müsse. Deshalb dachte er sich Folgendes aus und ging damit auf die Kanzel. Er hatte zwei Gläser dabei – richtig schöne, klare, durchsichtige Wassergläser. Beide waren mit einer klaren Flüssigkeit gefüllt.

Dann sagte er: „Liebe Freunde, liebe Gemeinde, ich habe hier zwei Gläser. Ihr könnt äußerlich gar nicht unterscheiden, was in den Gläsern drin ist. In dem einen ist quellfrisches Wasser, und im anderen ist Schnaps. Beide sehen schön klar aus, äußerlich sind sie nicht zu unterscheiden. Nun werde ich euch zeigen, wie unterschiedlich das wirkt.“

Er hatte einen Regenwurm mitgebracht und wollte diesen zunächst in das quellfrische Wasser tun. Er ließ ihn vor aller Augen hinein. Der Wurm wand sich dort munter und bewegte sich lebendig, fast wie ein Fisch. „Seht, wie ihm das Wasser bekommt. Das ist lebensfördernd.“

Dann nahm er den Wurm heraus und tat ihn in das andere Glas mit dem Schnaps. Der Wurm fiel in das Schnapsglas hinein und sackte sofort betäubt und fast tot auf den Grund des Glases.

„Seht ihr, liebe Gemeinde, so verderblich ist der Alkohol. Lebensfrisches Wasser ist etwas anderes.“

Als der Gottesdienst zu Ende war und er sich von der Gemeinde verabschiedete, kam zum Schluss ein altes Mütterchen zu ihm und fragte: „Herr Pastor, was war das für eine Marke? Ich habe es auch so mit der Wörner.“

Seelsorge ist nicht immer so wirksam, wie man sich das vorgestellt hat.

Die umfassende Bedeutung von Seelsorge

Nun, Susanne, der Ausdruck Seelsorge ist insofern verführerisch, als er uns glauben macht, in der Seelsorge ginge es nur um seelische Probleme. Das stimmt jedoch nicht. Der biblische Begriff der Seele ist ganz anders zu verstehen.

Wenn die Bibel von der Seele spricht, meint sie das Ich des Menschen, die ganze Person. Vom Zentrum her verstanden war der Mensch eine lebende Seele. Im Alten Testament, im hebräischen Denken, bedeutet das, dass der Mensch der ganze Mensch ist, der durch den Geist Gottes zur Person im Gegenüber zu Gott gemacht wurde.

Die Seelsorge hat es deshalb nicht nur mit seelischen Problemen, Gefühlsproblemen oder Triebproblemen zu tun, sondern mit dem ganzen Menschen. Der ganze Mensch ist aber auch kein isoliertes Etwas. Es gibt den Menschen gar nicht isoliert; Isolation ist immer der Tod. Du wärst gar nicht alleine, wenn es nur dich gäbe. Du wärst gar nicht zum Leben gekommen. Wenn du nach deiner Geburt isoliert worden wärst, wärst du sofort gestorben. Keiner kann für sich allein leben, es gibt den Menschen nicht an sich.

Insofern habe ich nie verstanden, warum die Leute sich so abgrenzen. Der Satz von Karl Marx, den er in seinen Thesen über Feuerbach schon in den Vierzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts schrieb, lautet: Der Mensch ist das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse, das Zusammenspiel der verschiedenen Verhältnisse.

Wer du bist, kann man an deinem Verhältnis zu deinen Eltern ablesen, an deinem Verhältnis zum Geld, an deinem Verhältnis zur Freizeit, an deinem Verhältnis zum Autor, an deinem Verhältnis zu allem Möglichen. Wir leben in Beziehungen. Die alten Griechen haben gesagt, dass der Mensch ein soziales Wesen ist, ein zoon politikon, ein politisches Wesen. Er lebt nur in Beziehungen. Es gibt ihn gar nicht allein. Nicht einmal die Leiche ist allein, sie braucht nur ihren Leib.

Ich kann das natürlich nur so schematisch darstellen. Es gibt alle möglichen Wechselbeziehungen mit Menschen, mit anderen Dingen und Gegenständen. Wir leben in einem Geflecht. Die Dinge wirken auf uns ein, die Personen, und wir wirken auf sie ein. Das ist ein nicht aufzudröselndes Wechselspiel.

Das Wesen des Menschen, das unverwechselbare Wesen des Menschen im Unterschied zu aller anderen Schöpfung, ist sein besonderes Verhältnis zu Gott. Nun kann ich das grafisch nicht angemessen darstellen, und man darf sich davon nicht verführen lassen. Aber seine Gottesbeziehung ist die wesentliche, grundlegende Lebensbeziehung seines Lebens.

Wenn man den Menschen also beschreiben will, dann muss man sagen: Er ist ein Ich, das sein Leben durch die Beziehung zu Gott hat oder durch den Bruch dieser Beziehung verliert. Sein Leben gestaltet er in einer Fülle von Wechselbeziehungen zu anderen Menschen, Dingen, Ereignissen und Verhältnissen. Das ist der ganze Mensch.

Dieses Flechtwerk von Beziehungen, das ich erlebe von einem Zentrum aus, von meinem Ich aus, ist die Sorge um den Menschen. Seelsorge im biblischen Sinne ist das Sich-Kümmern um diesen ganzen Menschen. Das heißt sofort: Es gibt nichts in diesem ganzen Leben, keinen Pflasterstein und kein Fünfmarkstück, keinen Haarausfall und keinen Kleiderkauf, der nicht zugleich auch in einem Verhältnis zu Gott stünde.

Die besondere Aufgabe der Seelsorge und ihre Abgrenzung

Das ist das Besondere der Seelsorge im Unterschied zur säkularen Lebensberatung und zur psychologischen Beratung. Der Psychologe beschäftigt sich seinerseits mit den Wechselbeziehungen, in denen der Mensch lebt, und mit deren seelischen sowie lebensgeschichtlichen Auswirkungen. Dabei schließt er die Gottesbeziehung aus.

Wir leben in dieser problematischen Trennung und halten sie für wissenschaftlich klug. Den Schaden erleidet der Mensch, denn wenn Gott Wirklichkeit ist, kann man diese Beziehung nicht ohne Schaden einfach ausklammern. Das funktioniert nicht. Das ist sehr unklug, aber hier liegt die besondere Aufgabe der Seelsorge.

Es gibt eigentlich gar keine speziellen Fragen, weshalb ich das Thema ein wenig schwierig finde. Es gibt nicht nur bestimmte Themen der Seelsorge, sondern man muss sagen: Es gibt kein Thema auf der Welt, das mein Leben betrifft und beschäftigt, das nicht Gegenstand der Seelsorge werden kann.

Und zwar immer aus der Grundbeziehung heraus, dass ich in der Beziehung zu Gott lebe oder dass diese Beziehung gestört ist. Wie sind diese Dinge aus der Beziehung zu Gott heraus zu gestalten? Und wie kann ich helfen, dass diese Gottesbeziehung in Ordnung kommt und dadurch die richtigen Beziehungen zur Welt gestaltet werden?

Die Gabe der Seelsorge und die Verantwortung aller Christen

Das ist das eine.

Zum zweiten Gesichtspunkt: Ich trage hier einfach Mosaiksteine zusammen. Ich kann euch keine ausführliche Lehre der Seelsorge im Einzelnen geben.

Das Zweite, was ich sagen möchte, knüpft an die vorherigen Tage an, als wir über die Geistesgaben gesprochen haben. Nach biblischem Verständnis ist nicht der Hirte der Seelsorger. Wir sagen zwar oft „Hirte“ oder „Hirtenamt“, aber das ist nicht ganz korrekt. In der Bibel ist das Hirtenamt ein Leitungsamt. Im Alten Testament ist der Hirte der König oder Politiker.

Die Seelsorge ist eigentlich fast fächerübergreifend, also sie umfasst verschiedene Elemente. Wenn man sie aber einer der im Neuen Testament genannten Gaben zuordnen möchte, dann ist es die Gabe der Ermahnung und Ermutigung, wie sie in Römer 12 beschrieben wird. Im engeren Sinne ist das die Gabe der Seelsorge.

Nun ist es sicherlich so – und zum Glück –, dass laut Römer 12 nicht jeder alle Gaben haben muss oder hat. Es gibt vielmehr Menschen, die mit einer Schwerpunktbegabung des Heiligen Geistes ausgestattet sind. Ich würde von mir selbst nicht sagen, dass ich besonders die Gabe der Seelsorge habe. Ich habe andere Gaben; die Gabe der Seelsorge ist nicht so sehr meine.

Gut ist, dass es von Gott ausgestattete Seelsorger gibt. Ohne sie könnte man kaum leben – darauf komme ich noch zurück.

Die Sache ist nur: Man darf die speziellen Gaben nicht so überdehnen, dass man sagt, es gibt nur noch Spezialisten. Genauso wenig wie es nur Evangelisten gibt, so hat doch jeder Christ die Verantwortung, missionarisches Zeugnis zu geben. Niemand kann sagen: „Das habe ich überhaupt nicht mit zu tun, dafür haben wir unsere Experten.“

Ähnlich ist es mit der Seelsorge. Sicher gibt es besonders beauftragte und vom Geist Gottes ausgestattete Menschen für die Seelsorge. Aber wir alle tragen irgendwie Verantwortung füreinander. Wir sollen uns umeinander kümmern, einander bei Fragen und Problemen helfen und uns in unserer Beziehung zu Gott und zur Welt unterstützen.

In dieser gegenseitigen Hilfe kann man an Punkte kommen, wo man selbst nicht mehr weiterkommt. Dann wird deutlich, wie wichtig es ist, dass Gott besonders begabte Seelsorger gegeben hat, die helfen können, wenn man selbst nicht mehr helfen kann.

Aber versteht diese Spezialisierung nicht so, dass wir uns völlig aus der Verantwortung stehlen dürften.

Die zentrale Bedeutung von Beichte und Vergebungszusage

Und jetzt will ich einfach mal einen Kopfsprung machen und den, wie ich meine, tiefsten Ausdruck seelsorgerlichen Handelns vorwegnehmen. Der tiefste Ausdruck oder die stärkste Form seelsorgerlichen Handelns ist die Beichte und der Zuspruch der Vergebung der Sünden.

Da ich sowieso nicht alles besprechen kann, will ich mich auf einige wesentliche Dinge beschränken. Für mich ist das das Wichtigste.

In Johannes 20, in der Begegnung des Auferstandenen, so ab Vers 19, tritt Jesus am Ostersonntag in den Kreis seiner Jünger. Er bringt ihnen den Frieden vom Kreuz mit den Worten: „Friede euch!“ Die Jünger freuen sich, dass sie den Herrn sehen. Dann sagt er ihnen noch einmal „Friede“, als wollte er sagen: Die erste Portion ist für euch selbst, die zweite zum Weitergeben.

Dann folgt die Ausstattung. Ihr könnt das ja nachschlagen, falls ihr es nicht auswendig wisst. Johannes 20, Vers 21 lautet: „Nehmt hin den Heiligen Geist! Welchen ihr die Sünden vergebt, denen sind sie vergeben; welchen ihr die Sünden behaltet, denen sind sie behalten.“ Das ist unheimlich wichtig. Jesus stattet am Auferstehungstag seine Jünger mit dieser speziellen Vollmacht aus.

Noch bevor das eigentliche Pfingstereignis, die Ausgießung des Heiligen Geistes, geschieht, gibt er eine Sonderlektion in Sachen Zuspruch der Vergebung der Sünden.

Wir können davon ausgehen, dass Jesus sich dabei etwas gedacht hat. Oft hört man die Frage: Muss man eigentlich jemand anderem seine Sünden bekennen? Reicht es denn nicht völlig aus, wenn man sie Gott bekennt? Man sollte die Sache nicht gleich wieder umdrehen, als wollte Gott hier Straßenverkehrsregeln aufstellen.

Was Jesus hier tut, ist eine ungeheuer wichtige Hilfe seiner Barmherzigkeit zu geben. Denn er kennt uns und weiß genau, dass wir in Sachen Gewissheit der Vergebung der Schuld oft ins Schleudern kommen.

Wahrscheinlich weiß jeder, dass man in Situationen kommen kann, in denen man in denselben Dingen immer wieder rückfällig wird. Man hat Jesus die Sünden bekannt und um Vergebung gebeten. Irgendwann kommt man an den Punkt, an dem man sagt: „Mensch, das ist doch unmöglich. Ich mache hier doch nur eine eigene Rechenaufgabe. Ich addiere meine Sünde und die Vergebung und rechne selbst gleich null aus.“

Man fragt sich: Wer sagt mir eigentlich, dass das stimmt? Das ist doch alles Einbildung. Ich sündige hier auf Teufel komm raus und mache dann so eine Art religiöse chemische Reinigung. Das ist doch ein billiges Unternehmen, da kann doch etwas nicht stimmen.

Dann schleicht sich der Zweifel ein. Man versucht zu beten, hört auf die Schrift, aber die Ungewissheit und der Zweifel sind nicht zu überwinden. Man kommt nicht mehr klar. Jeder erlebt das in seinem Leben als Christ.

Deshalb ist es unheimlich wichtig, dass Jesus diese Hilfe eingerichtet hat. Er hat seine Leute bevollmächtigt, als Zeugen Jesu zu fungieren. Nicht nur, um Informationen über die Liebe Gottes weiterzugeben und Einladungen auszusprechen, sondern dass sie als Bevollmächtigte Jesu durch den Heiligen Geist die Vergebung der Sünden im Namen Jesu zusprechen dürfen.

Ich erzähle das unter zwei Gesichtspunkten. Erstens als herzliche Bitte, dass jeder prüfen möge, ob er für sich nicht den Weg der Beichte suchen sollte.

Ich beobachte, dass viele Christen an der Vergebung der Sünden überhaupt keine Freude haben. Vergebung der Sünden ist für sie nur ein theologischer Lehrsatz, etwas ganz Alltägliches, das keinen vom Stuhl reißt. Irgendwie ist das Thema verschlissen.

In meinem eigenen Leben habe ich festgestellt, dass die Erneuerung der elementaren Freude an der Vergebung Gottes besonders groß wurde, wenn ich den Weg zu einem Menschen gefunden habe, vor dem ich als Zeuge meine Sünde ausgesprochen habe.

Wir haben gemeinsam im Gebet Gott diese Sünde bekannt, er hat mir die Vergebung zugesprochen, und ich konnte sie in einem Dankgebet annehmen. Da wurde die strahlende Wirklichkeit der Vergebung zur größten Freude, die man im Leben haben kann – eine ganz elementare Freude.

Ich denke, da könnte mancher wirklich zu einer neuen Freude kommen, wenn er nicht aus falsch verstandenem Stolz heimlich herumkrepst und meint, man dürfe nicht ans Licht kommen.

Zweitens sage ich das auch unter dem Gesichtspunkt, dass man als Mitarbeiter darüber informiert sein sollte, dass man selbst nicht nur bei anderen beichten und den Zuspruch der Vergebung empfangen darf, sondern dass man von Jesus instand gesetzt ist, selbst solche Sündenvergebung zuzusprechen.

Es ist schade, wenn andere Leute zu dir kommen, dir von ihrem Versagen und ihrer Sünde erzählen, und du beginnst, mit ihnen zu beraten, wie man aus den Schwierigkeiten herauskommen könnte. Du gibst nette, liebevolle Tipps.

Aber das ist in diesem Augenblick gar nicht das, was nötig ist. Jetzt geht es nicht um weise Ratschläge, die kann man vielleicht später noch geben oder zusätzlich. Jetzt geht es darum, dass du sagst: „Lass uns diese Schuld, die du jetzt ausgesprochen hast, im Gebet vor Jesus bekennen!“

Dann betet ihr miteinander, vielleicht kniet ihr nieder. Es wird konkret ausgesprochen, nicht nur allgemein „Wir sind alle Sünder“, sondern die Sünde wird mit Namen genannt: „Herr, wir sind offen vor dir.“

Dann betest du für deinen Freund und dich, und er betet mit eigenen Worten und sagt Jesus die Sünde. Danach kannst du ihm zusprechen, vielleicht so: „Ich sage dir im Namen Jesu, dir sind deine Sünden vergeben.“

So wie Jesus für dich gestorben ist und in seinem Wort sagt: „Wenn wir unsere Sünden bekennen, ist Gott treu und gerecht, dass er uns unsere Sünden vergibt und uns von aller Ungerechtigkeit reinigt“ (1. Johannes 1,9).

Es ist hilfreich, den Zuspruch der Vergebung im Namen Jesu mit einem Wort der Schrift zu verbinden, das die Vergebung ausdrückt, wie zum Beispiel Jesaja 43,25: „Ich tilge deine Übertretungen um meinetwillen und gedenke deiner Sünden nicht“, oder ein anderes Schriftwort, das die Vergebung zuspricht.

Ich frage dann meistens: „Willst du das annehmen?“ Er sagt „Ja“. Es geschieht das Wunder, dass in dieser Situation Jesus das Wort des Menschen gebraucht und zu seinem eigenen Wort macht. So redet es hinein in das Gewissen des anderen, und er weiß in dem Augenblick: Jesus selbst spricht zu mir.

Dietrich Bonhoeffer hat das einmal so formuliert: „Der Christus im Wort des Bruders ist stärker als der Christus im eigenen Herzen.“ Das klingt vielleicht missverständlich, aber richtig verstanden ist es groß.

Diese Hilfe, dass das Wort von außen kommt, mir von außen zugesprochen wird, vom Kreuz her durch den Bruder, macht mir klar, dass das Wort nicht auf meinem eigenen Mist gewachsen ist. Es ist kein Produkt meiner Gefühle, auch nicht meiner frommen Gefühle.

Es geht nicht darum, Vergebungsgefühle zu haben, sondern die Wirklichkeit der vollzogenen Vergebung am Kreuz, juristisch vollzogen, wird im Wort des Bruders mir zugesprochen und schafft eine neue Wirklichkeit.

Ich sage dann meistens: „Lasst uns miteinander danken, denn wer uns das schenkt, dem wollen wir ausdrücklich danken.“ Im Dank nehme ich das Geschenk an.

Dann beten wir noch einmal miteinander. Er sagt ausdrücklich: „Ich danke dir, Herr, dass du für mich gestorben bist und alle meine Sünden, die ich dir bekannt habe, weggenommen hast. Hilf mir jetzt zu neuem Gehorsam.“

Diese Beichte oder der Zuspruch der Vergebung ist eine solche Wohltat, dass ich mir nicht vorstellen kann, dauerhaft fröhlicher Christ zu bleiben, ohne dieses Geschenk, das Jesus macht, zu gebrauchen.

Es ist doch nicht gut, wenn man kostbare Geschenke ins Haus geschickt bekommt und sie unausgepackt irgendwo in der Ecke liegen lässt.

So kommen mir viele Christen vor – mit vielen Dingen, aber gerade auch mit dem Paket Beichte und Bekenntnis. Man weiß zwar theoretisch, dass Jesus dieses Geschenk auch für einen hat, aber man hat es noch nicht ausgepackt und nie in Gebrauch genommen.

Es steht auf dem Speicher, an mich adressiert, sauber verschnürt und unbenutzt. Und unten leben wir leider ohne dieses Geschenk mehr schlecht als recht.

Ja, lasst uns das mehr nutzen, vielleicht auch auf diesem Kongress. Ich finde das so selbstverständlich, so ganz undramatisch.

Oft ist es nötig, dass man mal kurz zu jemandem hingeht. Das kann fünf Minuten dauern. Man hat nicht immer die Möglichkeit, ein stundenlanges Gespräch zu führen.

Aber es kann wie eine Befreiung sein und der Beginn eines wirklich entlasteten Lebens, wenn man irgendwo reinschauen kann zu jemandem und sagt: „Du, ich komme nicht weiter. Lass uns vor dir und vor Gott ein paar Dinge aussprechen. Lass uns miteinander beten.“

Dann betet man miteinander, es wird die Vergebung der Sünden zugesprochen, man dankt dafür und geht weiter als ein fröhlicher Mensch.

Das ist so selbstverständlich. Deshalb hat Jesus es so wichtig genommen.

Passive und aktive Seelsorge im Alltag

Anderer Gesichtspunkt

Ich möchte jetzt einmal vom Standpunkt der Mitarbeiter aus unterscheiden und dabei willkürlich zwischen passiver und aktiver Seelsorge begrifflich unterscheiden.

Passive Seelsorge verstehe ich so, dass ich als Seelsorger nicht auf jemanden zugehe, sondern angesprochen werde von jemandem, der Seelsorge sucht. Wenn du Jugendgruppenleiter bist oder Verantwortung trägst, dann ist es natürlich das Schönste und ein gutes Zeichen für das geistliche Klima in eurer Gruppe, wenn jemand zu dir kommt und dich um seelsorgerliche Hilfe bittet. Das schafft eine offene Atmosphäre für das Gespräch.

Ich möchte aber auch eine Lanze brechen für die Form der aktiven Seelsorge. Das bedeutet, dass ein verantwortlicher Mitarbeiter in einer Jugendgruppe auch mal von sich aus auf Leute zugeht, die ihn gar nicht angesprochen haben. Das kann unter missionarischem Gesichtspunkt geschehen oder aus seelsorgerlich weiterführendem Blickwinkel. Verantwortliche Leiter einer Gruppe oder Gemeinde sollten immer wieder jemanden im Mitarbeiterkreis ansprechen und sagen: „Ich würde mich freuen, wenn wir mal darüber sprechen könnten, wie deine Erfahrungen gerade sind. Wie läuft es mit dem Bibellesen? Hast du überhaupt noch die regelmäßige Stille vor Gott?“

Das merkt ja niemand, wenn jemand plötzlich ausfällt. Der Mitarbeiter wirkt weiterhin aktiv, aber nach einem halben Jahr distanziert er sich plötzlich mit vorgeschobenen Gründen. Wenn man dann ins Gespräch kommt, stellt sich oft heraus, dass er schon seit einem halben Jahr nicht mehr betet und die Bibel liest. Es hat sich eine Entfremdung und Verkrustung des Gewissens eingeschlichen. So lange lief alles noch, aber jetzt wird ihm alles zu viel, er liebt die Gemeinschaft mit Jesus nicht mehr.

Da wäre es doch gut gewesen, wenn jemand zwischendurch mal angefragt hätte: „Lass uns nochmal darüber sprechen. Wie geht es dir eigentlich im Gebet?“ Manchmal kann man das auch auf gut Glück machen, ohne genau zu wissen, ob es nötig ist. Besonders wichtig wird das, wenn man merkt, dass jemand Probleme hat.

In der Jugendgruppe, in der ich zum Glauben gekommen bin, beobachtete ein Mitarbeiter, dass ich meiner Mutter gegenüber nicht richtig war und einen etwas frechen Ton hatte. Er fasste sich ein Herz und sprach mich darauf an. Ich hatte keine Seelsorge gesucht und fand mein Verhalten ganz normal. Trotzdem kam er auf mich zu und sagte: „Das ist nicht recht, wie du mit deiner Mutter redest.“

Ich war zunächst verärgert und fühlte mich in meine persönlichen Dinge eingemischt. Doch dann merkte ich, dass er Recht hatte. Er schickte mich zu meiner Mutter, um mich zu entschuldigen und unser Verhältnis zu verbessern. Das war Seelsorge.

Dieser Mitarbeiter war kein großer, begnadeter Seelsorger, der ständig in einer Seelsorgekabine saß. Er war ein Junge, ein halbes Jahr älter als ich, und kaum ein Vierteljahr vor mir zum Glauben gekommen. Trotzdem hatte er gesehen, dass ich falsch lebte und sich um mich und meine geistige Entwicklung sorgte. Er sagte, wenn ich zu Hause so mit meiner Mutter umging, konnte ich mich im Verhältnis zu Jesus nicht entwickeln. Jemand musste darauf ansprechen. Das war gute Seelsorge.

So gibt es vieles, worum wir uns unter Christen kümmern sollten. Aber auch unter evangelistischen Gesichtspunkten stellt sich die Frage: Was passiert eigentlich in euren Jugendgruppen? Ich hoffe, ihr kommt aus Gruppen, in denen nicht nur Christen untereinander sitzen, sondern auch fröhliche Nichtchristen dabei sind. Sonst sollte die erste Frucht des Jugendkongresses sein, dass ihr alles tut, damit in eurer Jugendgruppe ein paar Nichtchristen dabei sind.

Wer keine Kontakte mehr zu Nichtchristen hat, lebt im Ghetto. Das ist schlimm. Es ist bedrückend zu sehen, dass es hier und da fromme christliche Gruppen gibt, die theoretisch ein starkes evangelistisches Anliegen haben, aber keine Fähigkeit besitzen, Kontakt zu einem einzigen Nichtchristen herzustellen. Sie haben keine nichtchristlichen Bekannten und schauen oft verkniffen weg, wenn sie einem Nichtchristen begegnen.

Man muss Kontakte haben und knüpfen, und es können gar nicht genug sein. Man sollte Nichtchristen in die Gruppen einladen. Das ist klar.

Wie funktioniert das? Ich beobachte es bei unseren offenen Gruppenabenden mit Spiel- und Sportprogramm: Dort wird ein missionarisches Wort gesprochen, evangelistische Verkündigung, sieben Minuten Lieder gesungen und so weiter. Im Sonntagsprogramm wird es dann deutlich ernster, mit fröhlicher Einladung und klarer Sprache. Manchmal so, dass der Mensch merkt, dass er gemeint ist. Manche brauchen allerdings eine Weile, bis sie das wirklich verstehen.

Doch oft ist es so, dass das, was in der Gruppe gesagt wird, wie Regen von oben auf den Menschen niederprasselt. Über seinem Kopf ist eine unsichtbare Ölhaut, die alles auffängt. Wenn du dann nach der Gruppenstunde an der Pommesbude oder unter der Laterne stehst und sich zwischen zwei Bissen Currywurst eine Gelegenheit zum Gespräch ergibt, kannst du sagen: „Sag mal, wie siehst du das, was vorhin gesagt wurde? Dass man wirklich eine lebendige Erfahrung mit Christus machen kann? Kannst du dir vorstellen, so etwas zu erleben?“

Dann ist der Effekt oft so, als ob du das über seinem Kopf aufgestaute Regenwasser von unten anstichst, genau da, wo er steht. Jetzt wird er wirklich nass. Erst jetzt setzt er sich persönlich mit dem Gehörten auseinander.

Nichts ist so wichtig wie das persönlich seelsorgerlich-missionarische Gespräch. Das kann durch offizielle Verkündigung nicht ersetzt werden. Glaubt mir, ich glaube an die Selbstwirksamkeit des Wortes Gottes. Sonst würde ich mir nicht die Lunge und das Herz aus dem Leibe predigen. Aber ich bin gleichzeitig überzeugt, dass nichts so wichtig ist wie die persönlich überbrachte Einladung und die missionarische Seelsorge.

Manchmal denke ich, warum in manchen Gruppen keine Leute zum Glauben kommen, obwohl evangelistische Verkündigung stattfindet. Es liegt daran, dass bei einem Programmpunkt evangelistisch gesprochen wird, aber danach andere Themen behandelt werden. Im privaten Gespräch geht es um etwas anderes. Alle wesentlichen Dinge des Lebens werden ja im Gespräch geklärt.

Denkt mal über diese Form der aktiven Seelsorge nach. Natürlich braucht es Taktgefühl. Man kann niemandem ein Gespräch aufzwingen. Wenn jemand unterwegs ist und das Gespräch nicht will, muss man nicht unhöflich sein und sagen: „Jetzt musst du dich entscheiden, sonst kriege ich das Kotzen und Jesus auch.“ Das ist nicht hilfreich. Wenn jemand das Gespräch nicht will, sei so nett und lass ihn gehen.

Denkt an den reichen jungen Mann, dem Jesus sagt, er soll alles verkaufen und den Armen geben. Er wurde sauer und ging traurig weg. Jesus hat ihn nicht am Ärmel festgehalten. Die Liebe respektiert auch, wenn der andere nicht will.

Ja, das ist zur passiven und aktiven Seelsorge gesagt. Diese Ausdrücke sind allerdings missverständlich. Ihr könnt sie nur mit sehr großem Vorbehalt verwenden.

Wichtige Hinweise für den Umgang mit Seelsorge

Was soll ich noch sagen? Ich möchte noch drei kurze Bemerkungen machen.

Bitte nicht die Seelsorger gegeneinander ausspielen. Es gibt eine furchtbare Sitte oder Unsitte, dass die Leute mit ihren seelsorgerlichen Problemen hausieren gehen. Das ist das andere Extrem zu dem, dass die Leute zu stolz sind und sagen: „Ich mache das alles alleine, was geht die anderen mein Kram an?“ Das andere Problem ist genau das Gegenteil.

Wenn der eine Seelsorger einem etwas gesagt hat, was einem nicht gepasst hat, dann geht man so lange mit seinem Problemchen von einem zum anderen, bis man jemanden gefunden hat, der einem am Munde redet. Das ist nicht gut. Wenn du spürst, dass du selbst dazu neigst, dann achte darauf. Wenn du merkst, dass ein anderer mit seinen Problemen hausieren geht, dann muss man deutlich werden und sagen: „Gespräch mit mir? Nein, danke.“ Man muss auch mal ganz klar sagen: „Ich bin keine Adresse für dich, es sei denn, du hörst auf das, was dir vorher gesagt worden ist.“ Es ist nicht hilfreich, dass du von einem zum anderen gehst.

Die zweite Bemerkung zum Schluss: Niemand darf zu stolz sein, selbst Seelsorge zu empfangen. Das ist das Wichtigste. Keiner ist in der Lage, wirklich Seelsorge zu üben, der nicht bereit ist, auch selbst an sich Seelsorge üben zu lassen. Das ist ganz wichtig. Wir brauchen einander. Keiner kann alleine leben.

Hoffentlich geschieht Seelsorge nicht nur im persönlichen Gespräch. Es gibt auch eine seelsorgerliche Form der Verkündigung. Seelsorge hat viele Gestalten. Aber auch das persönliche Gespräch, wo ich den Bruder oder die Schwester suche, ist wichtig.

Wenn ich das so sage, den Bruder oder die Schwester suchen, möchte ich gleich deutlich machen, dass es absolut sinnvoll ist, dass Jungs zu Jungs gehen und Mädchen zu Mädchen. Das ist unseriös, wenn Jungs sich hemmungslos offenbaren, als würden sie sich an der Mutterbrust ausweinen dürfen. Das gehört für mich zur Mystifizierung der Erotik, von der ich ja gestern schon irgendwann gesprochen habe. Das ist nicht hilfreich.

In diesen Dingen sollte man die Geschlechtergrenze respektieren. Wer ganz heiß darauf ist, bei einem Leiter zu beichten, zu jeder Zeit und zu jedem Anlass, den verweise ich an eine reife Mitarbeiterin. Und wenn man gar keine Lust hat zu beichten, dann sollte man das Beichten lieber lassen. Das ist nämlich dann eine Form von geistlichem Exhibitionismus.

Lassen Sie mich das offen ansprechen, damit man hier nicht mit vorgehaltener Hand spricht: Es gibt unter Christen nichts, was es nicht gibt, auch ganz verbogene Sachen. Die sind am allerschlimmsten, wenn sie unter frommem Deckmantel geschehen. Nichts ist so schön wie sexuelle Sünden einem Partner des anderen Geschlechts zu beichten. Das macht Spaß.

Ich sage das noch einmal in Deutlichkeit und Härte: Das ist eine Sauerei und hilft überhaupt nicht. Seid nüchtern an diesem Punkt. Die Geschlechtergrenze sollte man hier respektieren.

Praktische Formen der Seelsorge: Begleitung und Einübung

Dritte und letzte Anmerkung ist, dass man in der Seelsorge manchmal gar nicht mit einem Wort Rat und Tat geben kann. Stattdessen kann man jemanden nur einladen, etwas miteinander einzuüben.

Ich möchte euch zwei Beispiele dazu nennen.

Das erste Beispiel: Ein junger Mann, der nach drei Jahren als Christ plötzlich große Schwierigkeiten mit dem Bibellesen hat. Er schafft es einfach nicht mehr, morgens die Regelmäßigkeit durchzusetzen. Wir haben miteinander gesprochen und darüber geredet, was man machen kann, aber es wollte nicht richtig gelingen. Er hat keine Freude daran, es sagt ihm nichts, und es ist eher eine Quälerei. Mir fielen auch keine weiteren Ideen ein, was man sagen könnte. Deshalb beschlossen wir gemeinsam, uns in den nächsten 14 Tagen jeden Morgen um sieben Uhr vor der Arbeit bei mir zu Hause zu treffen und zusammen die Bibel zu lesen. Danach sollten wir jeweils fünf Minuten darüber sprechen, was Jesus uns deutlich gemacht hat, und dann gemeinsam beten.

Wir haben also nicht mehr theoretisch über das Bibellesen geredet, sondern einfach zusammen die Bibel gelesen. Nach 14 Tagen hatte er wieder große Freude am Bibellesen und konnte dann auch alleine weitermachen.

Ich weiß aus unserer Jugendarbeit, dass viele Mitarbeiter und junge Christen, die auf Freizeiten zum Glauben gekommen sind, auf diese Art und Weise den Einstieg in die regelmäßige stille Zeit erleichtert haben. Sie haben sich ein- bis zweimal pro Woche zum gemeinsamen Bibellesen verabredet.

Das zweite Beispiel: Da kommt jemand mit einem akuten Problem der Angst. Er hat den Tod eines Freundes, eines ehrenamtlichen Jugendgruppenleiters, der vor einiger Zeit an Krebs gestorben ist, nicht verkraftet. Der Freund war zehn Monate an Knochenkrebs erkrankt, und dieser junge Mann hat ihn treu besucht und miterlebt, wie hoffnungslos die Situation war – der Freund wusste das auch. Nun war er gestorben, und wir standen erschüttert da. Wir suchten unseren Trost bei Jesus und haben diese schwere Zeit gemeinsam durchgestanden.

Dann kam dieser junge Mann zu mir und sagte: „Ich kann nicht anders, mein Vertrauensverhältnis zu Jesus hat einen Riss bekommen. Ich habe Angst, dass ich dieselbe Krankheit habe. Ich habe Symptome, Schmerzen.“ Der Psychotherapeut hatte ihm zwar geraten, aber das war für ihn nicht hilfreich. Was sollte man da viel sagen?

Wir haben uns einfach verabredet und uns über lange Zeit fast täglich fünf Minuten getroffen, um gemeinsam zu beten. Wir sagten nur: „Herr, du kennst unsere Angst, du bist der Arzt von Leib und Seele. Wir fliehen zu dir, erbarme dich. Ich danke dir für diesen Tag. Gib mir Kraft für die restlichen Stunden.“ Dann gingen wir weiter, bis das Problem bewältigt war und auch andere Schwierigkeiten durchgestanden wurden. Die Geborgenheit war wieder da.

Es gibt also in der Seelsorge nicht nur die Form, in einem beratenden Gespräch Tipps zu geben oder tiefe Einsichten zu vermitteln. Man lädt auch ein, etwas miteinander zu tun, Schritte gemeinsam zu gehen – zum Beispiel gemeinsam zu beten. Es können aber auch andere Dinge sein, die man miteinander tut, um so einzuüben, was der andere gerade an Hilfestellung braucht.

So breche ich hier einfach mal ab. Zur Seelsorge müsste noch viel mehr gesagt werden, aber die Zeit ist um.