Einführung: Das Thema im Licht der Jahreslosung
Am Nachmittag möchte ich heute dieses Thema weiterführen, und zwar im Licht einer Bibelstelle, die uns allen in diesem Jahr gut bekannt ist. Es handelt sich um die Jahreslosung.
Ich möchte das Thema „Mann sein – überleben zwischen Familie, Beruf und Gemeinde“ einmal von der Jahreslosung her betrachten. Und es funktioniert wunderbar. Dort heißt es im 2. Korintherbrief, Kapitel 12, Vers 9: „Dass Christus zu diesem Apostel Paulus spricht: ‚Meine Gnade sei mit dir, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.‘“
Wir haben heute Morgen über die Überforderungen des Lebens gesprochen. Dieser Vers, diese Jahreslosung, wird auf den ersten Blick gar nicht so einsichtig. Man muss den Zusammenhang lesen, um zu verstehen, dass er auch in eine Überforderung hinein spricht. Paulus fühlt sich überfordert. Schon relativ fremd klingt es, dass sich so ein Mann überfordert fühlen kann. Doch ob er sich überfordert fühlte, ist nicht die Frage.
Es ist nicht das Dreieck zwischen Familie, Job und Gemeinde, das ihn belastet, sondern die Spannung zwischen Apostelamt und Gesundheit. Das kriegt er nicht mehr hin, das kann er nicht mehr meistern. Paulus, der Vielbeschäftigte, der Unermüdliche, der Topmissionar, ist an eine Grenze gelangt. Das heißt, er ist an eine Krise geraten.
Hier wird etwas von einer Krise sichtbar und spürbar in dieser Jahreslosung. Es ist ein Wort in die Krise eines Mannes in den mittleren Jahren hinein. Unsere Jahreslosung ist eine Losung für Männer in den mittleren Jahren – so gilt sie auch für den Apostel Paulus hier.
Der Mann ist krank. Eine Krankheit droht ihm den Rest zu geben. Sie schränkt seinen Dienst mehr und mehr ein und droht, diesen Dienst sogar unmöglich zu machen. Wir wissen nicht genau, was Paulus hatte. Paulus spricht von einem „Pfahl im Fleisch“. Was auch immer mit dieser Metapher, mit diesem Bild gemeint ist – möglicherweise ist ein stechender Schmerz gemeint.
Was weiß ich, hatte er Migräne oder etwas anderes, das ihn richtig, richtig lahmgelegt hat? Was auch immer es war, es hat ihn stark beeinträchtigt.
Überforderung und Gebet als Antwort
Paulus fühlt sich überfordert. Er denkt: „Ich kann nicht Apostel sein mit so einer Krankheit. Das geht nicht.“ Das ist völlig unvorstellbar. Wie soll ich diesen Dienst, der mich durch die komplette antike Welt führt, mit so einer Krankheit bewältigen? Wie soll ich das überleben?
Deshalb betet er. Zwei Verse vorher heißt es: „Ich habe dreimal zum Herrn gefleht.“ Er fleht darum, dass diese Krankheit weggenommen wird.
Das ist das, was ich an den Anfang dieses Nachmittagsreferats stellen möchte: Machen Sie aus Ihren Nöten ein Gebet. Machen Sie ein Gebet daraus. Beten ist nicht nur in Grenzsituationen gut, aber dort eben auch.
Das kann man immer wieder in der Bibel beobachten. Gottes Männer – ich betone jetzt mal die Männer – kommen an ihre Grenzen. Dann beten sie in den spannungsvollen Lagen, in den ungeklärten Lebensfragen, in den aussichtslosen Sackgassen: „Bitte den Herrn, bitte den Herrn!“
Das hat Jesus seinen Jüngern beigebracht. Und wenn Paulus es tut, dann tut er es nicht nur, weil er als Jude das gewohnt war, sondern weil Jesus es seinen Nachfolgern gelehrt hat: Wenn man an die Grenzen kommt – und nicht nur da –, bitte den Herrn.
Jesu Reaktion auf Überforderung und Burnout-Gefahr
Es gibt eine weitere berührende Geschichte in den Evangelien, und zwar in Matthäus 9. Dort wird erzählt, wie Jesus selbst an eine Grenze gelangt.
In Matthäus 9 heißt es, dass Jesus das Volk sieht. Dieses Volk jammert ihn an, es macht ihn fertig und berührt ihn im tiefsten Innersten. Denn es heißt dort: Sie waren verschmachtet und zerstreut wie Schafe, die keinen Hirten haben. Es ist eine Notsituation, eine bedrängende Lage.
Daraufhin spricht Jesus zu seinen Jüngern: „Die Ernte ist groß, aber wenige sind die Arbeiter.“ Es ist eine Burn-out-Situation. Solche Situationen kennen wir aus unseren Betrieben, Familien und anderen Verhältnissen. Eine riesige Ernte, viel Arbeit, aber wenige Arbeiter. Das ist eine verheerende Lage, in der man sagt: „Da müssen halt die wenigen ran, auf geht's, packen wir es an!“ So fangen Erschöpfungsdepressionen an.
Aber nicht bei Jesus. Während wahrscheinlich 95 Prozent der Chefs dieser Welt jetzt gesagt hätten: „Also Männer, Überstunden ran, wir sind wenige, aber wir packen das!“ – und vielleicht auch: „Können wir das schaffen? Ja, das schaffen wir!“ – macht Jesus es anders.
Er sagt nicht: „In die Hände spucken und loslegen.“ Stattdessen sagt er: „Darum bittet den Herrn der Ernte.“ Nicht ohnmächtig reinhauen, sondern den Herrn der Ernte bitten, dass er Arbeiter in seine Ernte sendet. Damit die wenigen, die da sind, nicht auch noch kaputtgehen.
Jesus sieht die Not, dass Menschen ohne Führung und Leitung vor die Hunde gehen. Aber er sagt zu seinen zwölf Männern, die ihm in der Nachfolge treu sind: „Macht ihr’s!“? Nein, er sagt: „Faltet die Hände, bittet den Herrn, dass er nach Lösungen schaut.“ Er verfällt nicht diesen burn-out-gefährdeten Kurzschlussreaktionen, sondern er sagt: „Bittet den Herrn der Ernte!“ Das ist der, der alle Macht hat im Himmel und auf Erden, der unendlich viele Möglichkeiten hat. Der muss diese Not lösen – nicht du.
Die Not in Familie, Beruf und Gemeinde: Gebet als erster Schritt
Jesus sieht das Problem, und er reagiert anders als wir. Es gibt sicher viele Männer, Väter oder Mitarbeiter, die heute sagen könnten: „So geht es mir auch.“ Wenn ich meine Ehe, meine Familie, meinen Betrieb oder meine Gemeinde betrachte, dann erfüllt mich das mit Kummer. Denn sie sind zerrüttet und kaputt – wie eine Gemeinschaft, die keine Mitte und keinen Zusammenhalt mehr hat.
Auch hier ist der erste Schritt nicht: „Packen wir es an!“ Der erste Schritt ist vielmehr, den Herrn der Familien zu bitten, den Herrn der Ehen, den Herrn der Betriebe und den Herrn der Gemeinde. Bringt ihm diese Not, die uns gerade überfordert. Überfordert euch selbst nicht noch mehr.
Genau das hat auch Paulus getan. Er betet und sagt, dass er dreimal zum Herrn gefleht hat, die Krankheit wegzunehmen. Heute Morgen haben wir intensiv über die Krise in der Mitte des Lebens gesprochen. Ich hoffe, dass zumindest eines deutlich geworden ist: Wir können diese Krisen unseres Lebens nicht mit ein paar Lebenshilfetipps in wenigen Tagen lösen.
Geistliche Bewältigung von Lebenskrisen
Nichts spricht gegen Lebenshilfetipps. Man kann viel von ihnen lernen, viele gute Bücher lesen. Viele sind wirklich hilfreich und eine echte Entlastung. Deshalb ist es eine warme Empfehlung, sich auch mit Lebenshilfetipps auseinanderzusetzen.
Aber das Problem unserer Überlastungs- und Überlebenskrisen ist ein geistliches. Ich werde es nicht mit irgendeinem Handwerkskoffer an Tipps lösen können. Wir werden diese Krise nur geistlich bewältigen können – durch ein neues Hören und eine neue Begegnung mit Gott.
Deshalb ist der erste Schritt immer das Eintreten in ein neues Gespräch mit Gott. Dabei kann es sein, dass wir auch neue Formen des Gesprächs brauchen. Jedes Lebensalter hat seine Form der Begegnung mit Gott, jedes Lebensalter hat seine Ausdrucksformen des Glaubens.
Ich habe bisher in meinem Dienst sehr viel Jugendarbeit gemacht, das war super toll. Ich hatte zehn Jahre die Ehre, einen großen Jugendgottesdienst zu leiten – mit all dem Schwung, all dem Pep, all der Musik. Das hat super gutgetan. Auch im CVJM erlebte ich ein Leben mit vielen Jugendgottesdiensten, Jugendverbänden, Freizeiten und so weiter. Das war klasse.
Heute bin ich 47 Jahre alt und merke, dass mir die Formen junger Menschen ganz langsam fremd werden. Nicht, dass diese schlecht sind – überhaupt nicht. Aber es sind nicht mehr meine Formen. Meine Frömmigkeit ist nicht mehr die der jungen Menschen. Sie ist nicht schlechter als ihre, und meine ist nicht besser oder schlechter als ihre. Sie ist anders.
Meine stille Zeit hat sich verändert. Ich komme aus der Gemeinschaftsbewegung und bin im Pietismus groß geworden. In unserer Bewegung ist es eine große Stärke, dass wir frei beten lernen. Das freie Gebet ist ein großer Schatz.
Aber in meiner persönlichen Frömmigkeit hat sich in den letzten Jahren das Bedürfnis bemerkbar gemacht, in meinem Beten eine neue Tiefe zu suchen. Seither sammle ich Gebete von Kirchenvätern, von Glaubensmännern aus der Kirchengeschichte – aus der Gegenwart und der Vergangenheit. Ich sammle Gebete anderer und mache sie zu meinen eigenen. So habe ich in diesem Beten mit den Worten anderer Menschen eine neue Tiefe in meinem Gebet kennengelernt.
Andere Menschen lernen andere Formen kennen. Unsere Beziehung zu Gott, die Ausdrucksformen dieser Beziehung, verändern sich. Auch meine Predigten verändern sich. Es geht hier nicht um besser oder schlechter, aber jedes Lebensalter hat seine Ausdrucksformen.
Ich werde mich hüten, die Formen anderer schlecht zu machen. Ich hüte mich auch davor, unseren Studierenden hier meine Frömmigkeitsformen aufzuzwingen. Dazu habe ich kein Recht. Aber ich habe mich verändert, und mit mir verändern sich auch die Formen, in denen ich Gemeinschaft mit Gott habe, in denen ich mit Jesus rede. Das muss ich in Anschlag bringen – das kann sein.
Ich kann nur ermutigen, sich mutig auf den Weg zu machen. Ganz egal wie – machen Sie aus Ihren Nöten ein Gebet. Fangen Sie diesen Dialog mit Gott wieder ganz neu an.
Paulus hat das gemacht. Er hat dreimal zum Herrn gefleht. Bemerkenswerterweise wurde er nicht erhört – beziehungsweise nicht auf eine Weise, wie er es sich vorgestellt hatte. Von Jesus bekommt er eine merkwürdige Antwort: "Lass dir an meiner Gnade genügen."
Die Kraft Gottes in der Schwachheit
Das ist mein zweiter Punkt: Wenn es für Gott genug ist, dann ist es für mich auch genug. Wenn es für Gott genug ist, ist es für mich ebenfalls genug.
Genau genommen sagt Jesus hier nicht: „Lass dir an meiner Gnade genügen“, sondern wörtlich übersetzt heißt es: „Meine Gnade genügt dir.“ Meine Gnade wird reichen – auch mit deiner Krankheit am Hals, lieber Paulus. Meine Gnade wird reichen mit diesem Pfahl im Fleisch. Was immer du auch hast, meine Gnade reicht für dein Amt, meine Gnade reicht für dein Apostolat, meine Gnade reicht für deinen Job, meine Gnade reicht für deine Aufgaben, für alle deine Aufgaben, die ich dir in den Weg lege. Sie wird reichen.
Und dann sagt Jesus ihm noch dieses andere große Wort: „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ Wörtlich übersetzt heißt es: „Meine Kraft kommt in Schwachheit zur Vollendung.“ Es ist dieser Satz, der eine ganze antike Welt auf den Kopf stellt. Es ist dieser Satz, der auch ein ganzes modernes, ja sogar postmodernes Denken umkehrt.
In der antiken Welt und in unserer heutigen Welt gilt: Das Große ist gut, das Kleine ist schlecht. Das Starke ist gut, das Schwache ist schlecht. Das Reiche ist gut, das Arme ist schlecht. Das sind die Maßstäbe unserer antiken Welt – und dieser Satz stellt sie alle auf den Kopf.
Im Ergebnis bedeutet das, dass alle Schwachheiten und alle Begrenzungen des Lebens – seien es Begrenzungen der Begabung, der Intelligenz, der Gesundheit, der individuellen Freiheit, der finanziellen Ressourcen oder irgendwelcher Umstände – alles, was Grenzen hat in unserem Leben, alle Schwachheit zu einem Offenbarungsort der Kraft Jesu Christi werden kann. Für diese Kraft gibt es in unserem Leben keine Grenzen.
Auch wenn wir uns noch so sehr als ungenügend empfinden aufgrund der Begrenzungen unseres Lebens, kann Gottes Kraft sich in all unseren Grenzen offenbaren, zum Wirken kommen und in unserem Leben ihre Kraft entfalten. Das ist ein Wort für die zweite Lebenshälfte, liebe Männer!
Gott löst unsere Probleme nicht so, dass er uns immer mehr Kraft zuschießt, sodass wir nur so vor Kraft strotzen. Nein, Bodybuilding-Weltmeister sind selten über dreißig. Gott löst unsere Kraftprobleme nicht, indem er immer weiter die Grenzen verschiebt, sondern indem er uns in den eng gesteckten Grenzen unseres Lebens seine Kraft entfalten lässt. Seine Kraft offenbart sich in unseren Grenzen und in unseren Schwachheiten – und mit diesen baut er sein Reich, auch wenn ich 80, 90 oder 100 Jahre alt bin und kaum noch quasseln kann.
Das heißt nicht, dass Gott nicht auch mit einer glänzenden Karriere, einem hohen Einkommen, einer harmonischen Ehe und Familie oder einer strotzenden Gesundheit sein Reich baut und dort gegenwärtig ist. Aber er kann auch gegenwärtig sein und sich offenbaren, wenn all das nicht der Fall ist.
Der äußere Glanz ist kein Kriterium mehr für die Güte Gottes im Leben eines Menschen. Man müsste also nicht sagen, der Reiche sei besonders von der Gnade geküsst und der Arme viel weniger. Nein, überhaupt nicht! Hier wird eine ganze Welt auf den Kopf gestellt, ein ganzes Denken wird umgemodelt.
Grenzen und Schwächen als kein Hindernis für Gott
Wenn das aber so ist, dann bedeutet das noch etwas anderes.
Es heißt, wenn ich Gott mit irgendetwas garantiert nicht im Wege stehe, dann sind es meine Schwachheit und meine Grenzen. Wenn ich Gott mit irgendetwas nicht im Wege stehe, dann sind es meine Defizite.
Meine Grenzen sind für Gott niemals ein Problem. Sie sind für mich ein Problem. Vielleicht sind sie ein Problem für meine Familie, für meinen Arbeitgeber oder meinen Chef. Möglicherweise auch für meinen Gemeindeleiter, meinen Pfarrer oder meinen Prediger – für wen auch immer. Für Gott jedoch sind meine Grenzen kein Problem.
Das Einzige, womit ich Gott vielleicht im Wege stehen könnte, ist meine Sünde – nicht meine Schwachheit, nicht meine Grenzen. Wenn ich Gott im Weg stehe, dann liegt das nicht an meinem fehlenden Vermögen, sondern vielleicht an meinem Hochmut, meinem Übermut oder meinem Kleinmut. Es ist mein Stolz, mein Ungehorsam, meine Unreinheit, meine Gier und mein Unglaube – aber nicht meine Grenzen oder mein Unvermögen.
Qualifikationen für geistliche Leiterschaft: Was wirklich zählt
Für mich war es immer wieder spannend, als ich mir einmal ganz genau die Qualifikationen für einen Bischof durchgelesen habe. Paulus schreibt im ersten Timotheusbrief ein ganzes Kapitel darüber, welche Qualifikationen ein Bischof, ein Diakon und so weiter mitbringen müssen.
Das Erhellende daran ist, dass er dort wenig über Fähigkeiten schreibt, die solche Gemeindeleiter unbedingt besitzen müssen. Vielmehr geht es um Dinge, die sie nicht tun sollten. Es geht weniger um Kompetenzen, die sie haben müssen, sondern vielmehr um Verhaltensweisen, die sie sich abgewöhnen sollten.
Ein Bischof soll tadellos sein, Mann einer Frau – also nicht Mann vieler Frauen, das ist hier der Kontext. Er soll nüchtern und maßvoll sein, kein Säufer, nicht streitsüchtig und nicht geldgierig. Es geht also um viele Dinge, die Männer unterlassen sollten, nicht unbedingt um Dinge, die sie zusätzlich beherrschen müssen.
Psalm 1 sagt: „Wohl dem, der nicht wandelt im Rat der Gottlosen.“ Hier bestimmt Gott, was einen rechten Mann ausmacht – nicht danach, was ein Mann kann, sondern danach, was ein Mann nicht tut.
Ich möchte es ganz konkret und auf den Punkt gebracht sagen: Wenn wir es schaffen, ohne Alkoholsucht, ohne Drogensucht, ohne Pornographiesucht und ohne Arbeitssucht durchs Leben zu kommen, sind wir gute Männer. Ich muss nicht alles können. Wenn ich viele Dinge nicht tue, bin ich schon ein guter Mann.
Ermutigung: Gnade als Grundlage für Selbstwert und Veränderung
Es ist am Ende dieses Tages mein großer Wunsch, dass möglichst viele begreifen, dass die eigenen Grenzen, Schwächen und Defizite kein Hindernis für das Wirken Gottes in unserem Leben sind. Nicht für das Wirken Gottes im Blick auf unsere Ehe, nicht im Blick auf unsere Familie, nicht im Blick auf unsere Arbeit, unsere Vereinsaktivitäten oder im Blick auf unsere Gemeinde.
Wenn Gottes Kraft bei Paulus in Schwachheit, in Begrenzungen und in den Spannungen und Krisen des Lebens zur Vollendung kommt, warum dann nicht auch bei uns? Und schließlich: Wenn seine Gnade genügt, dann habe ich auch volle Genüge. Wenn seine Gnade genügt, dann habe ich volle Genüge.
Dieser Vers steht ja in einem Zusammenhang, in dem sich Paulus verteidigen muss. Er muss sich verteidigen für das, was er ist, und für das, was er tut. Er wird von seinen Gegnern regelrecht gemobbt, er wird angeklagt, man macht ihn fertig, man macht ihn runter, man möchte ihn vom Sockel stoßen. Und jetzt zwingt man ihn, sich zu verteidigen. Man macht ihn zum Verlierer.
Mich hat das heute Morgen berührt, diese Frage: Ich fühle mich als Verlierer. Paulus ist auch ein Machtmensch geraten, und das ist etwas, was viele von uns kennen. Vielleicht kennen wir das aus unserer Arbeit, vielleicht sogar aus der Gemeinde oder Gemeinschaft, vielleicht aus unserer Familie, vielleicht auch aus unserer Ehe, dass wir gemobbt werden, dass wir angeklagt werden.
Das macht uns fertig, uns Männern. Ich habe heute Morgen gesagt: Wir haben ein leistungsbezogenes Selbstwertgefühl. Das heißt, uns geht es dann gut, wenn wir die Erwartungen anderer erfüllen – die Erwartungen unserer Chefs, die Erwartungen unserer Kinder, unserer Eltern.
Uns geht es dann gut, wenn eine Frau zu uns sagt: „Mensch, toll gemacht, klasse, ich liebe dich.“ Dann geht es uns gut. Und uns geht es umgekehrt schlecht, wenn uns dieser Nachweis nicht gelingt. Uns geht es dann schlecht, wenn die Menschen, mit denen wir in Beziehung stehen, uns nicht loben, sondern tadeln. Wenn wir Erwartungen enttäuschen, ob zu Recht oder nicht, dann geht es uns schlecht.
Es geht jetzt in diesem Vers nicht darum, dass uns die Erwartungen aller anderen egal sein sollen. Nein, darum geht es nicht, das wäre ein Missverständnis. Aber es geht darum, dass die Erwartungen unserer Chefs, unserer Kinder, unserer Eltern und auch die Erwartungen unserer Frauen wichtig sind. Aber sie sind nicht die letzte Instanz. Die Erwartungen anderer Menschen, wie nah sie uns stehen mögen, sind nicht die letzte Instanz unseres Lebens. Nicht!
Wenn die letzte Instanz dieses Universums, der Schöpfer dieser Welt und der Vollender dieser Welt, zu mir sagt, dass mir seine Gnade genügt, dann muss ich keine Minderwertigkeitskomplexe mehr haben. Wenn die letzte Instanz dieser Welt Ja zu mir sagt: „Meine Gnade genügt in deinem Leben, und meine Kraft kommt in deinen Grenzen, in deinen Schwachheiten zur Vollendung“, dann muss ich keine Minderwertigkeitskomplexe mehr haben.
Wenn Christi Gnade genügt, muss ich mich nicht mehr schämen. Ich muss mich nicht mehr schämen für das, was ich war, für das, was ich bin oder für das, was ich kann. Wenn diese Gnade genügt, muss ich mich nicht mehr schämen für meine Grenzen und Begrenzungen.
Wenn seine Gnade genügt, kann ich mir einen aufrechten Gang leisten – auch wenn ich arbeitslos bin, auch wenn ich geschieden bin, auch wenn ich gescheitert bin. Wenn seine Gnade genügt, kann ich aufrecht gehen.
Wenn seine Gnade genügt, dann muss ich mich nicht mehr schämen für das, was ich bin oder für das, was einmal war. Und wenn seine Gnade genügt, dann kann ich zu meinen Fehlern stehen. Dann kann ich zu meinem Aussehen stehen, meiner Begabung stehen, dann kann ich zu meinen Fehlern stehen und auch zu meiner Schuld.
Und wenn ich dazu stehen kann, mit einem selbstbewussten Ich Ja zu mir sagen kann, nicht mehr mich schämen muss, dann kann ich mich sogar verändern. Dann kann ich mich sogar verändern. Dann muss ich nicht mehr bleiben, der ich bin.
Dann kann ich aufrecht mit dem strahlenden Angesicht eines Menschen, der von der Sonne Jesus Christus erleuchtet wird, mich verändern. Wenn seine Gnade genügt, dann habe ich genug. Dann habe ich genug zum Überleben zwischen Familie, Beruf, Gemeinde und Verein.
Vielen Dank. Amen.