Eingeschrieben ist, dass wir uns die Menschen etwas vor Augen malen können, an die dieser Brief gerichtet ist. Wie leben sie? Mit welchen Fragen und Problemen haben sie zu tun? Wie sieht möglicherweise ihr Alltag aus?
Wir haben einen Blick auf die Geschichte der Stadt Ephesus geworfen und uns angeschaut, was typisch für diese Stadt war. Zudem haben wir betrachtet, was in der Bibel über Ephesus berichtet wird. Paulus war dort auf seiner zweiten und dritten Missionsreise. Johannes, der Jünger Jesu, wirkte dort als Missionar und war einige Zeit wahrscheinlich auch Gemeindeleiter. Sehr wahrscheinlich wohnte auch die Mutter Jesu mit ihm in Ephesus.
Johannes schrieb im höheren Alter die Offenbarung, ebenfalls auf der Insel Patmos, die sich in der Nähe von Ephesus befindet. Das war das, was wir gestern gehört haben.
Wir haben auch schon eine kleine Übersicht durchgegangen, welche Themen im Epheserbrief angesprochen werden. Gestern habe ich gesagt, dass ich den ersten Teil heute Morgen noch dazu verwenden möchte, uns einige Daten und Gedanken vor Augen zu führen, die den Hintergrund des Briefes betreffen, um dort abzuschließen.
Das wollen wir jetzt tun. Anschließend wollen wir einen weiteren Teil aus dem Epheserbrief etwas näher behandeln.
Hintergrund und Entstehungszeit des Epheserbriefes
Zuerst stellen wir uns die Frage: Wann wurde dieser Brief eigentlich abgefasst? Wir wissen, dass es nach dem Tod von Jesus und nach Paulus’ Missionsreisen war, aber wann genau?
Wenn wir den Epheserbrief genauer betrachten und ihn mit anderen Briefen vergleichen, die im Neuen Testament vor und nach ihm angeordnet sind, fällt uns auf, dass es bestimmte Ähnlichkeiten gibt. Der Epheserbrief ist thematisch und sprachlich eng verwandt mit dem Kolosserbrief, dem Philipperbrief und dem Philemonbrief.
Paulus schrieb den Epheserbrief mit großer Wahrscheinlichkeit von Rom aus. Dort war er am Ende seiner Missionsreisen, wie auch am Ende der Apostelgeschichte beschrieben, gefangen. Wir erinnern uns: Paulus war in Israel, wo aufgebrachte Juden ihn festnehmen und anklagen wollten. Er sollte ausgepeitscht werden, berief sich jedoch auf sein Recht als römischer Staatsbürger. Dieses Recht schützte ihn davor, einfach so geschlagen zu werden, und verlangte, dass er vor den Kaiser gebracht wird.
So wurde Paulus per Schiff durch das Mittelmeer transportiert und kam schließlich nach Rom. Da der römische Kaiser jedoch viele andere Angelegenheiten zu regeln hatte, wurde Paulus zunächst gefangen genommen und blieb voraussichtlich mehrere Jahre in Haft.
Soweit wir wissen, war Paulus zwar gefangen, aber unter relativ milden Bedingungen. Er hatte eine eigene Wohnung und konnte dort sogar Besuch empfangen. Dennoch war er ständig an einen römischen Soldaten gekettet.
Wie Paulus den Brief unter diesen Umständen schreiben konnte, wissen wir nicht genau. Möglicherweise diktierte er ihn. Aus der Gemeinde in Rom kamen immer wieder Christen, die ihm in dieser Situation halfen.
Im Epheserbrief selbst erkennen wir Hinweise auf seine Gefangenschaft. So schreibt Paulus in Epheser 3,1: „Ich, der Gefangene Christi Jesu“. Auch in Epheser 4,1 fordert er die Gläubigen auf, „würdig des Rufes zu wandeln, mit dem ihr berufen seid“. Diese Formulierungen zeigen, dass Paulus sich seiner Situation bewusst war.
Die Apostelgeschichte endet mit Paulus in Rom, doch sie berichtet nicht über seinen Tod. Die Kirchengeschichte gibt Hinweise darauf, dass Paulus möglicherweise noch einmal freigelassen wurde. Später wurde er wohl erneut gefangen genommen und während der großen Nero-Verfolgung in Rom hingerichtet.
Es gibt sogar Hinweise aus der Kirchengeschichte, dass Paulus nach Spanien gereist ist, um dort zu missionieren. Wer den Römerbrief kennt, weiß, dass Paulus dort seinen Plan beschreibt, nach Rom zu kommen. Danach wollte er weiter nach Spanien reisen, um auch dort das Evangelium zu verkünden.
Es ist also durchaus möglich, dass Paulus den Epheserbrief in seiner zweiten Gefangenschaft schrieb. Sicher können wir das nicht sagen, aber die einzige Gefangenschaft, die in der Apostelgeschichte erwähnt wird, ist die in Rom.
Die Überbringer des Briefes und die Gefangenschaft des Paulus
Was danach geschah, berichtet uns die Apostelgeschichte nicht mehr.
Dass dieser Brief zu den sogenannten Gefangenschaftsbriefen gehört, erkennen wir auch daran, dass im Epheserbrief, nämlich in Epheser 6,23, der Überbringer des Briefes genannt wird. Dort lesen wir: „Damit aber auch ihr die Umstände wisst, wie es mir geht, eben in der Gefangenschaft, wird Tychikus, der geliebte Bruder und der treue Diener im Herrn, euch alles berichten.“
Dieser gleiche Tychikus wird auch im Kolosserbrief erwähnt. Er soll ebenfalls die Briefe überbringen. Daraus können wir schließen, dass Tychikus der Privatbote des Paulus war. Paulus schrieb einige Briefe, und dann machte sich Tychikus auf den Weg, um sie zu überbringen.
In der Antike gab es keine deutsche Bundespost, bei der man einfach eine Briefmarke aufkleben konnte, um einen Brief zu verschicken. Wenn jemand Briefe verschicken wollte, musste er sich selbst einen Boten besorgen oder einem Händler mitgeben. Ob das sicher ankam, war nicht garantiert.
So schickte Paulus einen Freund los. Dieser ging zu den Ephesern, dann zu den Philippinern und zu den Kolossern und überbrachte jedem einen Brief. Das zeigt, wie eng die Briefe miteinander verbunden sind.
Paulus war in den Jahren 61 und 62 nach Christus in Gefangenschaft. Der Brief wurde eher gegen Ende dieser Zeit geschrieben. Das erkennen wir auch daran, dass Paulus im Philemonbrief, der ebenfalls zu dieser Zeit entstand, in Philemon 22 erwähnt, dass er hofft, die Gefangenschaft bald zu beenden.
Wir wissen also, dass dieser Brief vermutlich gegen Ende von Paulus’ Gefangenschaft geschrieben wurde. Er entstand voraussichtlich im Jahr 62 in Rom, während seiner Gefangenschaft.
Empfänger des Briefes und Fragen zur Authentizität
Ein Problem haben wir mit dem Empfänger des Briefes. Uns ist klar, dass in jeder Bibelübersetzung „Brief an die Epheser“ steht. Das ist eindeutig, also handelt es sich doch um einen Brief an die Epheser. Im ersten Vers lesen wir sogar am Ende, dass er an „die in Ephesus sind“, also an die Heiligen in Ephesus, gerichtet ist.
Das einzige Problem dabei ist jedoch: In den ältesten Handschriften, die wir heute haben, fehlt dieser Hinweis „die in Ephesus sind“. Die Überschrift, die bei uns steht, wurde sowieso erst viel später hinzugefügt. Deshalb stellt sich die Frage, woher wir überhaupt wissen, dass dieser Brief an die Epheser geschrieben wurde.
Viele kritische Theologen an den Universitäten nutzen genau diesen Umstand und sagen, dass dieser Brief möglicherweise weder von Paulus geschrieben noch an die Epheser gerichtet wurde. Es gibt viele verschiedene Hypothesen darüber, was für ein Brief das sein könnte.
Mit diesen Hypothesen möchte ich euch heute Morgen nicht belasten. Wer sich gerne damit auseinandersetzen möchte, kann nach der Stunde zu mir kommen. Ich werde dann diese verschiedenen Hypothesen vorstellen und auch die Gründe nennen, warum ich meine, dass sie nicht zutreffend sind.
Es gibt gute Gründe dafür, davon auszugehen, dass dieser Brief doch an die Epheser geschrieben wurde – dass die Bibelherausgeber sich also nicht geirrt haben. Zwar fehlen die Hinweise in den allerältesten Dokumenten, aber in den zweitältesten Manuskripten finden sich die meisten Hinweise darauf.
Man könnte sagen, das könnte ein Irrtum sein. Doch einer der gewichtigsten Gründe ist ein anderer: Die Kirchenväter, die direkt nach den Aposteln lebten, also schon im ersten Jahrhundert, etwa um das Jahr 80 oder 90, schrieben ebenfalls Briefe an Gemeinden, die wir aus dem Neuen Testament kennen.
Es gibt nicht nur den Epheserbrief hier; zum Beispiel schrieb Ignatius einen Brief an die Epheser. Dieser Brief ist nicht in der Bibel, weil er nicht von den Aposteln stammt. Das Interessante an diesen Briefen ist jedoch, dass sie sehr früh aus der Bibel zitieren.
So wird in Ignatius’ Brief an die Epheser auch der Brief des Paulus zitiert. Dieser Kirchenvater schreibt: „Wie euch schon Paulus geschrieben hat“ und zitiert dann Passagen daraus.
Das zeigt uns, dass die Zeitgenossen der Apostel, die damals lebten – Johannes lebte zu dieser Zeit noch in Ephesus –, das hätten überprüfen und nachweisen können, wenn es nicht wahr gewesen wäre.
Wir wissen also, dass dieser Brief zu dieser Zeit geschrieben wurde. Der Kirchenvater erwähnt und zitiert aus dem Epheserbrief und sagt, Paulus habe ihn an die Epheser geschrieben.
Aus der Geschichte der frühen Kirche wissen wir, dass viele Kirchenväter wie Irenäus, Tertullian, Ines, Basilius, Hieronymus und andere aus diesem Brief zitierten und erwähnten, dass er von Paulus an die Epheser geschrieben wurde.
Das gilt zwar nicht für alle Kirchenväter, denn nicht alle weisen explizit darauf hin, dass es sich um ihre Originalhandschrift handelt. Auch diese Schriften wurden wie die Schriften des Neuen Testaments abgeschrieben und weiter überliefert.
Zum Teil haben wir jedoch auch Originalhandschriften oder solche, von denen wir annehmen können, dass sie Originalschriften sind. Deshalb ist das ein guter Beweis und ein starker Hinweis darauf, dass es sich um einen zuverlässigen Brief von Paulus handelt, der an die Epheser geschrieben wurde.
Verfasserfrage und sprachliche Besonderheiten
Bei der Verfasserschaft gibt es natürlich auch kritische Theologen, die das leugnen. Doch machen wir es uns einfach und schauen in den Brief hinein. Was lesen wir in Kapitel 1, Vers 1? „Paulus, Apostel Jesu Christi.“ In Kapitel 3, Vers 1 heißt es: „Deswegen bin ich Paulus Gefangener.“ Er erwähnt es also an mehreren Stellen selbst.
Wir haben keinen Grund anzunehmen, dass Paulus diesen Brief nicht geschrieben hat. Ich habe bereits erwähnt, dass selbst die frühesten Kirchenväter bestätigen, dass Paulus der Verfasser dieses Briefes ist. Deshalb müssen wir sagen, es gibt keinen Anlass, daran zu zweifeln.
Natürlich findet ein kritischer Theologe an der Universität manchmal einen Anlass, auch wenn es keinen gibt. Dann heißt es zum Beispiel: „Wir haben mit dem Computer eine Statistik gemacht und festgestellt, dass es bestimmte Worte im Epheserbrief gibt, die Paulus in seinen anderen Briefen nicht benutzt.“ Hier muss man sagen: In den anderen Briefen, die diese Theologen für echt halten. Denn wenn dieser Brief echt ist, müsste Paulus die Worte ja auch dort verwenden. Wenn sie aber sagen, diese Worte seien etwa nicht im Römerbrief oder im Korintherbrief zu finden, dann wird zum Beispiel angeführt, Paulus nennt den Teufel normalerweise „Diabolos“, hier aber „Satanas“, also ein anderes Wort für den Teufel.
Das stimmt zwar, allerdings müssen wir uns dann die Frage stellen: Wenn wir jemanden haben, der halbwegs intelligent ist, können wir ihm nicht zutrauen, dass er, wenn er Briefe an verschiedene Menschen schreibt, mit unterschiedlichen Themen und im Abstand von mehreren Jahren, auch mal andere Worte benutzt?
Wenn ich beispielsweise die Briefe nehme, die ihr in eurer Jugend an eure Oma geschrieben habt, und diese analysiere, um euren Sprachwortschatz zu bestimmen, und dann einen Bewerbungsschreiben von euch finde, in dem ganz andere Worte stehen, würde ich sagen: „Das kann nicht euer Brief sein, das hat jemand anders geschrieben.“
Es muss aber nicht so dramatisch sein. Ich kann auch einen Brief nehmen, den ihr als Ehemann eurer Ehefrau schreibt, während ihr auf einer Geschäftsreise seid, und ihn mit einem Memo vergleichen, das ihr für euren Betrieb verfasst, etwa an euren Chef. Wenn ich dann sage, das sind vollkommen andere Worte und ein ganz anderer Stil, dann kann das auch nicht derselbe Mensch sein, der beides geschrieben hat.
So merken wir, wie kurzschlüssig solche Argumentationen sind. Warum sollte Paulus nicht bestimmte Worte nur im Epheserbrief benutzen und in anderen Briefen nicht? Diese anderen Briefe werden von denselben Theologen ja ebenfalls als unecht angesehen.
Wir sehen also, solche Argumentationen sind an den Haaren herbeigezogen. Das lassen wir besser sein. Wer sich für diese Fragen mehr interessiert, kann sich gerne am Ende der Stunde an mich wenden.
Zusammenfassend haben wir festgestellt: Der Brief wurde etwa im Jahr 62 nach Christus in Rom verfasst, während Paulus in römischer Gefangenschaft war. Der Brief ist an die Epheser gerichtet, auch wenn in den ältesten Dokumenten in Vers 1 nicht explizit „Epheser“ steht. Doch die Kirchenväter und andere frühe Schriften erwähnen dies. Wir können daher davon ausgehen, dass Paulus diesen Brief geschrieben hat, auch wenn er hier einige wenige Worte benutzt, die in seinen anderen Briefen nicht vorkommen.
Soweit dazu.
Vorbereitung auf die Auslegung von Epheser 2,1-10
Wenn ihr einige der Stichworte, die ich gestern und heute genannt habe, noch einmal nachlesen möchtet, habe ich euch ja versprochen, ein Blatt zu schreiben. Das habe ich gestern auch noch getan.
Hier ist also ein Blatt, das ich nur noch kopieren muss. Ich werde es dann beim Mittagessen auslegen, und ihr könnt euch gerne bedienen, wenn ihr möchtet. Wer sagt, „Lese ich sowieso nicht“, der lässt es einfach liegen. Aber wenn es euch interessiert, noch einmal hineinzuschauen, werde ich die Blätter bis dahin kopiert haben, und ihr könnt sie euch dann nehmen.
Jetzt wollen wir uns einen Abschnitt aus dem Epheserbrief etwas näher anschauen. Es ist Kapitel 2, Verse 1 bis 10. Ich lese den Abschnitt gerade vor, und dann wollen wir uns Vers für Vers durcharbeiten und einige Gedanken zu den Begriffen nachgehen, die Paulus dort verwendet. Außerdem wollen wir den Plan Gottes betrachten, den er uns vor Augen führen will.
Ich lese:
„Auch euch hat er auferweckt, die ihr tot wart in euren Vergehungen und Sünden, in denen ihr einst wandeltet, gemäß dem Zeitlauf dieser Welt, gemäß dem Fürsten der Macht der Luft, des Geistes, der jetzt in den Söhnen des Ungehorsams wirkt. Unter diesen hatten auch wir einst alle unseren Verkehr in den Begierden unseres Fleisches, indem wir den Willen des Fleisches und der Gedanken taten. Von Natur waren wir Kinder des Zornes, wie auch die anderen.
Gott aber, der reich ist an Barmherzigkeit, hat um seiner vielen Liebe willen, mit der er uns geliebt hat, auch uns, die wir in Vergehungen tot waren, mit dem Christus lebendig gemacht. Durch Gnade seid ihr errettet. Er hat uns mit auferweckt und mitsitzen lassen in der Himmelswelt, in Christus Jesus, damit er in den kommenden Zeitaltern den überragenden Reichtum seiner Gnade in Güte an uns erwiese, in Christus Jesus.
Denn aus Gnade seid ihr errettet, durch Glauben, und das nicht aus euch; Gottes Gabe ist es, nicht aus Werken, damit niemand sich rühme. Denn wir sind als sein Gebilde in Christus Jesus geschaffen zu guten Werken, die Gott vorher bereitet hat, damit wir in ihm wandeln sollen.“ (Epheser 2,1-10)
Vom geistlichen Tod zum neuen Leben in Christus
So, das also im ersten Durchgang. In meiner Bibel ist dieser Abschnitt überschrieben mit den Worten „Vom Tod zum Leben“. Tatsächlich lesen wir hier einiges, das sich mit dem Tod beschäftigt, und einiges, das vom Leben handelt.
Wir lesen auch davon, wie wir zu Gott kommen können und wie wir Leben von Gott empfangen können. Dabei wird erwähnt: „Nicht aus euch“, zweimal steht „Aus Gnade“. Die Tat Gottes ist es. Gleichzeitig finden wir aber auch Aussagen, dass wir etwas tun sollen. Er hat uns geschaffen zu guten Werken, also sollen wir doch aktiv werden.
Wir merken, hier gibt es einige Dinge, die uns zunächst vielleicht Schwierigkeiten bereiten. Beginnen wir mit Vers 1. Manchmal fällt uns beim genaueren Durchlesen auf, dass Paulus einmal von „ihr“ und einmal von „uns“ spricht. Im Verlauf des Epheserbriefes benutzt Paulus häufig diese Unterscheidung zwischen „ihr“ und „uns“, wobei er zwischen den Judenchristen („wir“) und den Heidenchristen („euch“) unterscheidet.
Es könnte sein, dass er das an dieser Stelle auch meint. Aber das können wir nicht mit Sicherheit sagen, denn diese Verse beschreiben nicht in erster Linie das Verhältnis zwischen Judenchristen und Heidenchristen. Das kommt später noch, wenn er sagt: „Ihr seid ein Leib“ und „Ihr seid nicht Zweiteile“. Denn auch damals gab es in den Gemeinden schon Streit.
Es gab Gemeinden, die meinten, sie seien besser als andere. Sie sagten: „Wir sind die Griechen, wir haben die Kultur mit Löffeln gefressen.“ Und die Juden, irgendwo am Rand des Römischen Reiches, hätten keine Ahnung. Umgekehrt traten auch die Juden selbstbewusst auf: „Wir sind das erwählte Volk Gottes, und ihr Heiden, ihr Barbaren, könnt froh sein, dass ihr überhaupt zu unseren Füßen sitzen dürft.“
So war man neidisch aufeinander. Das gibt es ja auch heute noch, auch in Gemeinden. Es gibt einen geistlichen Hochmut, bei dem einige glauben, sie seien auf einer höheren Entwicklungsstufe angekommen. Sehr häufig ist mir das bei charismatischen Christen begegnet, mit denen ich gesprochen habe. Da heißt es dann: „Du hast ja nicht den Heiligen Geist, du sprichst ja nicht in Zungen, also musst du erst mal die Kraft im Heiligen Geist empfangen.“ Wenn ich dann sage, ich lese in der Bibel anders, heißt es: „Du verstehst die Bibel nicht richtig, denn ohne diese Taufe mit dem Heiligen Geist geht das nicht.“
Solche Auseinandersetzungen gibt es. Es gibt aber auch andere Leute, die meinen, frommer zu sein als alle anderen. Ich erinnere mich an einen Professor, der durchaus gläubig war und eines Tages die Vorlesung mit den Worten begann: „Ich habe jetzt, ich meine seit 14 Tagen, nicht gesündigt.“ Uns als Schülern und Studenten fiel natürlich der Mund herunter. Wir dachten erst einmal: Oh, so ein vorbildlicher Mensch!
Da merkt man, dass er sich natürlich von allen anderen abhebt. Ich weiß nicht, ob jemand von euch mit aller Sicherheit und festem Gewissen sagen kann, dass er seit 14 Tagen nicht gesündigt hat. Ich habe manchmal den Eindruck, dass ich das jeden Tag tue, oder?
Wir müssen ja auch sehen, es gibt nicht nur die großen Sünden wie Banküberfall, Mord, Vergewaltigung oder Ehebruch. Ich meine Sünde im weiteren Sinne. Wenn wir es genau betrachten, kann es auch Unterlassungssünde sein: Ich tue etwas nicht, was ich tun sollte.
Und wer kann uns mit Sicherheit sagen, dass wir heute wirklich alles tun, was Gott von uns will? Möglicherweise gehst du heute einkaufen in Lemgo, und die Kassiererin ist da. Innerlich denkst du vielleicht: „Eigentlich sollte ich ihr etwas von Gott sagen.“ Du bist dir aber nicht sicher und tust es nicht. Das könnte Sünde sein.
Vielleicht hättest du heute Morgen deine Frau umarmen und ihr einen Kuss geben sollen, weil Gott will, dass du sie ermutigst. Hast du es nicht getan? Auch das ist Sünde. Ja, gerade noch Alkohol, also alles klar.
Da merken wir: Es ist gar nicht so einfach. Paulus benutzt hier den Begriff „Sünde“ und sagt sogar: „Als ihr tot wart in Sünden und Übertretungen.“ Das ist ein ganz radikaler Ausdruck. Ich weiß nicht, wer von euch sich hier als tot fühlt.
Gut, wir sind ja Christen und lebendig gemacht worden, wenn wir Jesus Christus angenommen haben. Aber habt ihr euch früher als tot empfunden, noch bevor ihr Christen wurdet? Wenn man auf die Straße geht und jemandem sagt: „Du bist tot“, denkt der vielleicht, du willst ihn überfallen und bedrohen, oder du hast einen Rad ab – aber normalerweise fühlen sich Menschen nicht als tot.
Manche meinen sogar, Christen seien halb tot. Sie sagen: „Die machen ja nichts mehr, gehen nicht mehr in die Diskothek, können sich nicht mehr vergnügen, saufen und fressen nicht mehr, sondern führen nur noch ein langweiliges Leben.“ Aber Paulus sagt genau das Gegenteil: Nein, die sind tot.
Er meint das natürlich nicht körperlich tot. Bei Adam und Eva lesen wir auch: „Wenn ihr von diesem Baum esst, werdet ihr sterben.“ Natürlich ist damit auch der körperliche Tod gemeint. Aber viel schlimmer für den Menschen ist der geistliche Tod.
Geistlich tot sind Menschen, die keine Verbindung zu Gott haben. Wir haben hier verschiedene Aspekte unseres Körpers. Es gibt Menschen, die psychisch betrachtet tot sind, also im Empfinden und Denken tot.
Denkt beispielsweise an Menschen, die im Koma liegen. Der Körper lebt noch, wird durchblutet, die Verdauung funktioniert, Haare wachsen – alles läuft. Aber da ist etwas tot in diesem Körper, oder? Das Gehirn stirbt ab, der Körper kann weiter erhalten werden, aber der Mensch ist in gewissem Sinne tot.
So meint Paulus hier auch: Ein Teil ist tot. Und zwar ist unser Geist tot, unsere Verbindung zu Gott ist tot. Diese Verbindung ist durch die Sünde abgetötet.
Bedeutung des Begriffs „Sünde“ und Zielverfehlung
Sünde – das griechische Wort harmatia, das hier verwendet wird, bedeutet so viel wie „Fehlschuss“. Ursprünglich stammt dieser Begriff aus dem Sport oder Wettkampf. Man stellt sich vor, jemand schießt mit Pfeil und Bogen, verfehlt das Ziel, und dann sagt man „harmatia“, also „daneben geschossen“. Genau das bezeichnet Sünde: das Verfehlen des Lebensziels.
Das gibt uns eine wichtige Hilfe: Sünde ist da, wo wir das Ziel unseres Lebens verfehlen. Das ist etwas ganz anderes, als viele Menschen um uns herum meinen. Wenn du zum Beispiel an die Haustür eines Menschen trittst und sagst: „Sie sind ein Sünder“, wirkt das zunächst sehr hart. Man würde wahrscheinlich anders anfangen. Nehmen wir an, die Person antwortet: „Ich bin doch nicht schlechter als mein Nachbar. Ich spende dem Roten Kreuz meine alte Kleidung, gehe einmal in der Woche für meine Oma einkaufen, helfe den Nachbarn, wenn sie im Urlaub sind, zum Beispiel beim Rasenmähen. Ich bin ein netter Mensch, kein Sünder, was denken Sie denn?“
Dann antwortet die Person vielleicht: „Geh zu meinem Nachbarn, der seine Steuererklärung nicht ordentlich macht, am Sonntagmorgen den Rasen mäht, obwohl er schlafen will. Der lebt unverheiratet mit seiner Freundin zusammen – das ist ein Sünder, aber ich nicht.“ Doch hier müssen wir klar sagen: Es reicht nicht, einfach ein anständiger Bürger zu sein oder dem Durchschnitt der Bevölkerung zu entsprechen, um kein Sünder zu sein. Zielverfehlung bedeutet viel mehr.
Zielverfehlung heißt: Bist du der ideale Ehemann oder die ideale Ehefrau? Hast du wirklich das Ziel erfüllt, das Gott uns als Ehepartner vor Augen gestellt hat? Im Epheserbrief Kapitel 5 können wir uns daran überprüfen. Wenn nicht, ist das Zielverfehlung – also Sünde.
Wie sieht es aus: Bist du dankbar für das, was Gott dir jeden Tag schenkt? Wenn nicht, ist das Zielverfehlung, also Sünde. Wie steht es um Freundlichkeit und Gewissenhaftigkeit am Arbeitsplatz? Sagst du manchmal: „Der Chef ist nicht da, heute mache ich es mir leicht“ oder nimmst du vielleicht sogar Dinge mit, die dir nicht gehören?
Ich habe während des Studiums in Basel als Nachtportier in einem Hotel gearbeitet. Dort war es üblich, Dinge mitzunehmen. Am ersten Abend wurde ich sogar von einem Kollegen in die Küche geführt mit den Worten: „Bedien dich, nimm, was du brauchst.“ Später stellte sich heraus, dass das nicht erlaubt war. Ein neuer Hoteldirektor entließ dann viele Mitarbeiter, weil sie sich selbst bereichert hatten. Solche Verhaltensweisen sind weit verbreitet. Man denkt vielleicht: „Der Betrieb hat Millionen Umsatz, ob ich ein paar Schrauben oder etwas Papier mitnehme, macht nichts.“ Aber das ist auch Zielverfehlung, also Sünde.
Zielverfehlung bedeutet, nicht das zu tun, was Gott für uns will. Das gilt nicht nur für „ganz böse“ Sünder, sondern auch für alltägliche Dinge. Wenn du an einem Arbeitsplatz bist, um Karriere zu machen, oder weil dir nichts Besseres einfällt, kann auch das Sünde sein – wenn Gott dich an einem anderen Platz gebrauchen will. Wenn wir nicht so sind, wie Gott uns haben will, obwohl es gut für uns wäre, dann sind wir daneben. Zielverfehlung – Sünde.
Ein weiteres Wort, das hier genannt wird, wird oft mit „Vergehungen“ oder „Übertretungen“ übersetzt. Übertretung meint jemanden, der hinfällt, ausgleitet oder umherirrt, weil er sich nicht mehr orientieren kann. Jemand, der den richtigen Weg verlassen hat, vielleicht wie Rotkäppchen, das vom Weg abkommt und vom Wolf verfolgt wird. So kann es auch Christen passieren: Sie merken, dass sie eigentlich etwas tun sollten, aber setzen ihre Gaben nicht ein. Vielleicht lassen sie eine Ausbildung ungenutzt, obwohl Gott ihnen Begabungen gegeben hat. Jesus erzählt in seinen Gleichnissen von anvertrauten Zentnern und Gaben, mit denen nicht umgegangen wird. So kann man in die Irre laufen, den falschen Weg wählen.
Das ist eng verwandt mit dem, was wir über Sünde gelesen oder gehört haben: „Auch euch hat er auferweckt, die ihr tot wart.“ Menschen, die Jesus Christus nicht kennen, sind geistlich tot. Wodurch? Weil sie das Ziel verfehlt haben, Gott aus den Augen verloren oder nie im Blick gehabt. Sie sind in die Irre gelaufen, sind über Vergehungen oder Übertretungen ausgeglitten, hingefallen und umhergeirrt.
Nun werden die Sünden näher beschrieben, in denen ihr einst wandelt „gemäß dem Zeitlauf“. Zeitlauf kann man auch mit „Zeitgeist“ übersetzen. Das bedeutet, dass man so lebt, wie es damals üblich war. Wir leben heute oft so, wie es die Gesellschaft vorgibt. Man lebt „anständig“, wie ein anständiger Deutscher: Man arbeitet, baut ein Haus, ist fleißig, sorgt für sich, wäscht sich regelmäßig, pflegt sein Äußeres und ist ab und zu nett zu den Nachbarn. Man grüßt freundlich: „Guten Tag“ oder, wie man in Baden-Württemberg sagt, „Grüß Gott“.
Doch wir verhalten uns meistens nach den Maßstäben unserer Zeit. Das erste Ziel ist oft die Karriere, das eigene Wohl steht im Mittelpunkt. Wenn man heute ein Buch über Ehe, Partnerschaft oder Beruf liest, heißt es meist: „Setz dich durch, kämpfe, du musst dich durchsetzen.“ Ist das die Botschaft der Bibel? Nein, nicht in erster Linie. Die Bibel sagt eher: „Lass dich lieber überfordern, als dass du selbst Sünde tust.“
Als Ehepartner heißt es nicht: „Wenn dein Partner nett zu dir ist, dann bist du auch nett.“ Sondern die Bibel sagt: „Du, Frau, sollst dafür sorgen, dass es deinem Mann gut geht, und du, Mann, sollst dafür sorgen, dass es deiner Frau gut geht – egal, wie der andere sich verhält.“ Das ist der biblische Maßstab. Heute würden das viele als unrealistisch ablehnen, denn oft denkt man: „Mein Mann denkt nur an sich selbst, wenn er überhaupt an mich denkt, dauert das ewig.“ Aber die Bibel fordert das von uns, denn wir sind Gott gegenüber verantwortlich. Das entspricht nicht dem Zeitgeist.
Der Zeitgeist sagt: „Kämpfe für dich selbst.“ Das führt zu Konflikten: Ehefrau kämpft gegen Ehemann, Ehemann gegen Ehefrau, Kinder gegen beide, und draußen kämpfen alle gegeneinander. Jeder will seinen besten Teil vom Leben abbekommen. Das ist der Zeitgeist heutzutage, aber nicht das, was Gott fordert.
Paulus spricht hier von Sünde „gemäß dem Zeitgeist“, also dem, was um uns herum gilt. Soziologen sprechen von der Erlebnisgesellschaft. Das spüre ich auch bei Christen: Immer mehr fahren auf die Erlebnisgesellschaft ab. Es gibt viele Events und Freizeitangebote. Manche Bibelschulen wirken fast wie Freizeitparks, weil man sich etwas erleben muss. Es heißt nicht mehr, dass man täglich intensiv Bibel lernt und arbeitet, sondern es muss locker und spaßig sein.
Auch auf Konferenzen wird nicht mehr gesagt, dass ein Redner von Gott besonders gebraucht wird, sondern es geht um Unterhaltung: Jongleure, Bauchredner, Trompetenspieler, damit überhaupt jemand kommt. Das hat mit der Erlebnisgesellschaft zu tun, in der wir leben. Ich sage nicht, dass es schlecht ist, solche Dinge zu machen, aber wenn wir unser christliches Leben danach ausrichten, wenn es vor allem darum geht, Spaß zu haben und Erlebnisse zu sammeln, dann leben wir nach dem Zeitgeist.
Paulus sagt: „Das habt ihr eigentlich hinter euch gelassen.“ Hoffentlich! Er erwähnt das den Ephesern, weil sie damit noch Probleme hatten, und ermahnt sie später, gemäß dem Leben zu leben.
Wir müssen uns fragen: Wo erkennen wir den Zeitgeist heute? Er zeigt sich auch in scheinbar belanglosen Dingen, zum Beispiel in Moden. Früher trugen viele Frauen dicke Klumpenabsätze, das war Zeitgeist. Heute gefällt das nicht mehr, und man merkt, wie sich der Zeitgeist ändert. Das ist nicht gefährlich, aber an anderen Stellen schon.
Wenn wir mehr Zeit hätten, könnten wir darüber sprechen, wie sehr wir durch Medien, Fernsehen und Zeitungen geprägt sind. Ich glaube, ihr würdet erschrecken, wie sehr wir davon beeinflusst sind. Ein Beispiel: Ende der 1950er Jahre kam der Film „Das Schweigen“ von Ingmar Bergman ins bundesdeutsche Fernsehen. Dort war erstmals eine Frau für wenige Sekunden nackt zu sehen. Das löste Empörungsstürme aus, besonders bei Christen. Man sprach vom Verfall des Fernsehens.
Heute jedoch gibt es kaum einen Spielfilm am Abend, in dem nicht Nacktheit oder sexuelle Szenen gezeigt werden. Schaltet ihr dann ab? Wie oft habt ihr schon nackte Frauen und Männer im Fernsehen gesehen? Ist euer Gewissen so empfindlich, dass ihr sagt: „Nein, das will ich nicht sehen, das ist Unzucht“? Wenn ja, könntet ihr euren Fernseher vielleicht verkaufen.
Oder wie reagiert ihr, wenn im Fernsehen eine Ehefrau fremdgeht, unverheiratete Paare zusammenleben oder Menschen sich gegenseitig umbringen? Seid ihr innerlich empört und schaltet ab? Oder schaut ihr weiter und denkt: „Oh, wie schlimm“?
Die Frage ist: Wie sehr sind wir schon vom Bakterium Zeitgeist infiziert? Ich habe bei mir selbst vor etwa eineinhalb Jahren festgestellt, dass ich vieles nicht mehr bewusst wahrgenommen habe. Ich habe Filme geschaut, ohne zu merken, wie sehr sie mich beeinflussen. Intellektuell wusste ich es, aber es war mir nicht bewusst. Seitdem achte ich mehr darauf und merke, dass ich viele Filme gar nicht mehr schauen kann, weil sie nicht zu meinem Glauben passen.
Die Frage für uns ist: Wollen wir wirklich anders sein als die Welt? Oder sind wir genauso wie die Menschen um uns herum? Wenn wir alles konsumieren und uns damit vollpumpen, wird unser Denken vom Zeitgeist geprägt.
Paulus erwähnt dann den „Fürsten, der in der Luft herrscht“. Das bedeutet nicht, dass wir beim Einatmen den Teufel aufnehmen. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es Christen, die kein Radio benutzen wollten, weil es durch die Luft geht und angeblich vom Satan kontrolliert wird. Das ist natürlich nicht gemeint.
Vielmehr soll damit ausgedrückt werden, dass alles um uns herum von der Sünde bestimmt ist – und damit vom Teufel. Das heißt nicht, dass er direkt neben uns steht. Gott hat seine gute Schöpfung geschaffen, aber durch den Sündenfall ist diese ganze Welt gefallen. Der Teufel ist der Fürst dieser Welt, zumindest im Augenblick, weil Gott die Herrschaft teilweise abgetreten hat, nachdem die Menschen sich von ihm entfernt haben.
„In der Luft“ bedeutet also nicht die Luft, die wir atmen, sondern dass überall um uns herum der Teufel wirkt.
Wenn wir uns den Tod in der Sünde genauer anschauen, merken wir, dass es nicht nur geistlichen Tod betrifft, sondern auch unsere Unschuld zerstört wird. Vielleicht habt ihr das selbst erlebt, als ihr noch nicht Christen wart, oder bei Menschen in eurem Umfeld.
Wenn jemand in Sünde lebt, in Gottferne, wird unsere Unschuld zerstört. Unschuld kann man sich vorstellen wie bei kleinen Kindern, die traurig sind, wenn jemand anderes böse zu ihnen ist. Doch je älter wir werden, desto mehr stumpfen wir ab. Unsere Unschuld geht verloren, und unser Gewissen wird zerstört, je mehr wir in die Sünde hineingehen.
Das kann Schritt für Schritt geschehen. Als Christen kennt ihr vielleicht Versuchungen, in die ihr immer wieder fallt. Am Anfang seid ihr neu im Glauben, tut die Sünde, weint vielleicht und bereut es. Später denkt ihr: „Na ja, wir sind alle Sünder, das gehört dazu.“ Und irgendwann erkennt ihr manche Dinge nicht einmal mehr als Sünde.
Euer Gewissen wird abgestumpft, bis es keinen Mucks mehr von sich gibt. Auch eure Ideale werden zerstört. Vielleicht hattet ihr als Jugendliche große Ziele – die Welt evangelisieren, die Ehe besser gestalten als eure Eltern. Doch zehn oder zwanzig Jahre später spürt ihr, dass ihr „heruntergekommen“ seid. Ihr entschuldigt das mit „Wir waren Idealisten, jetzt sind wir Realisten.“
Realismus bedeutet oft nur: „Kümmere dich nicht darum, es ändert sich sowieso nichts.“ Das ist nicht biblisch. Biblisch ist es, Idealist zu sein und das Ziel zu verfolgen, auch wenn es schwierig wird.
Wenn ich ein Ziel erreichen will, weiß ich, dass es Schwierigkeiten gibt. Beim Bergsteigen zum Beispiel sehe ich die Spitze und denke: „Das schaffen wir bis zum Mittagessen.“ Doch nach zwei Stunden bin ich erschöpft und denke: „Das schaffe ich nicht mehr.“ So geht es manchen Christen: Sie beginnen mit viel Elan, wollen ihr Leben und die Welt verändern, doch mit der Zeit wird es mühsam, und sie geben auf. Ihre Ideale und ihr Wille sterben.
Manchmal macht das sündige Vergnügen sogar mehr Spaß als das Leben als Christ. Manche erklären es dann nicht mehr als Sünde, weil ihr Gewissen abgestorben ist.
Neulich kam mir ein Blatt in die Hände, das ein freikirchlicher Pastor für seine Gemeinde geschrieben hatte. Darin behauptete er, Ehescheidung sei vollkommen legitim und in Ordnung, weil es in seiner Gemeinde viele Scheidungen gab. Bibelverse, die das anders sagen, wurden einfach weggelassen. Stattdessen wurde betont, dass Gott Liebe ist und alles, was Liebe ist, gut sei. Das ist natürlich falsch.
Auch wenn es weh tut, müssen wir die Wahrheit an uns heranlassen. Wenn wir sündigen, sollten wir das nicht entschuldigen, sondern vor Gott bekennen und uns von ihm prägen lassen.
Ihr kennt sicher die Aussage: „Wer eine Tat sät, wird eine Gewohnheit ernten; wer eine Gewohnheit sät, wird einen Charakter ernten; und wer einen Charakter sät, wird sein Schicksal ernten.“ Das zeigt: Wenn du kleine Sünden in deinem Leben gewähren lässt, werden sie zur Gewohnheit, aus der ein Charakter wird, und daraus entsteht dein Schicksal.
Irgendwann bist du fünfzig, sechzig oder siebzig und merkst, wie schwer es ist, aus diesem Trott auszubrechen und etwas zu verändern. Deshalb fang früh damit an.
Diese Lehre habe ich gelernt, als ich einige Jahre in einem Geriatrie-Spital, also einem Altenpflegeheim, gearbeitet habe. Dort habe ich gemerkt: Manche Menschen sind so alt, dass sie sich kaum noch verändern können. Sie können kaum noch zuhören oder in eine andere Richtung denken.
Andere, die gläubig sind, führen trotz Krankheit und Schwäche ein ganz anderes Leben. Sie haben schon in ihrer Jugend angefangen, sich verändern zu lassen. Wenn man erst mit achtzig sagt: „Ich lasse mich verändern“, wird das kaum noch gelingen.
Unsere Zeit ist leider fortgeschritten, aber das macht nichts. Der wesentliche Gedanke, den Paulus uns hier vor Augen führt, ist klar.
Ich weiß nicht, ob ich noch einen Nachschlag für diejenigen präsentieren will, die keinen Sport machen, danach. Ich gehe jetzt einfach etwas zügiger und kurz durch und gebe euch die wichtigsten Punkte. Wer mehr wissen will, kann gerne zu mir kommen.
Es ist besser, einen wesentlichen Gedanken aus dem mitzunehmen, was Paulus sagen will, als alles nur oberflächlich zu behandeln. Einverstanden? Gut.
Weitere Erläuterungen zu Sünde und Gnade
Also, es geht da nämlich weiter: Der Fürst der Macht in der Luft – das haben wir ja schon behandelt – und dann die Söhne des Ungehorsams. Das ist alles noch dasselbe Thema. Es geht um den Menschen, der ohne Gott lebt, ungehorsam ist, weil wir Gottes Geboten, dem Gewissen oder der Ermahnung anderer Geschwister gegenüber ungehorsam sind. Dann gehören wir dazu.
Unter diesen lebten auch wir im Verkehr mit den Begierden des Fleisches, indem wir dem Willen des Fleisches und den Gedankentaten nachgingen. Von Natur aus waren wir Kinder des Zorns, also unter dem Zorn Gottes. Deshalb waren wir nicht Kinder der Liebe Gottes, sondern standen unter seinem Zorn.
Hier wird noch einmal ausgedrückt, dass wir unseren Gedanken und dem Willen des Fleisches nachgehen. Damit ist nicht der Körper gemeint, etwa wie viel Kilogramm Fleisch jemand hat – also nicht, dass derjenige mit mehr Gewicht mehr mit seinem Fleisch zu kämpfen hat. Nein, „Fleisch“ meint hier die Gesinnung gemäß dem Zeitgeist, gemäß dieser Zielverfehlung. Das ist das Fleisch, das Paulus hier erwähnt.
Dieses Fleisch kann uns manchmal locken. Irgendwie haben wir Lust, etwas zu tun, und tun es dann, während wir es irgendwie nur entschuldigen. Luther sagt dazu einmal: Unser Verstand ist eine Hure. Deshalb soll man nicht zu sehr auf den Verstand vertrauen, denn häufig ist es so, dass man etwas unbedingt will und dann mit dem Verstand nach einer Rechtfertigung sucht, warum das eigentlich in Ordnung ist.
Als Bibelschullehrer möchte ich mir gerne einen Mercedes kaufen. Ja, ich habe das Geld nicht dafür, aber ich denke, ich könnte ja gleich nach der Stunde eine Sammlung machen, vielleicht kommt genug zusammen. Und wer hatte mir gestern noch den Witz mit dem Mercedes erzählt? Da war doch hier jemand, oder? Also kennt ihr den? Jemand hat sein Geld gespart, will einen Mercedes kaufen und merkt beim Händler, dass er eine Mark zu wenig hat. Dann geht er wieder raus. Draußen steht ein Penner, der um Geld bettelt. Der Mann sagt: „Hey, hast du mal eine Mark? Ich will mir einen Mercedes kaufen.“ Und der Penner antwortet: „Ah, hier hast du zweimal! Kannst du mir auch gleich einen mitbringen?“
Nehmen wir also an, ich will mir jetzt einen Mercedes kaufen. Dann sage ich: Als Bibelschullehrer macht sich das ja irgendwie schlecht, das geht ja nicht. Aber dann denke ich: Überhaupt, die Menschen um mich herum müssen doch sehen, dass Christen Erfolg haben, oder? Dass Christen auch gut leben können. Man ist ja nicht als Christ nur immer am Ende.
Und überhaupt, oft nehme ich zur Evangelisation oder zur Bibelschule auch Nicht-Christen mit. Die sollen doch bequem fahren, nicht schon durchgerüttelt ankommen. Also, ihr merkt, ich muss mir einen Mercedes kaufen, oder? Eindeutig. Da merken wir, der Verstand ist eine Hure. Er ist nicht immer auf Gottes Willen geeicht, sondern wenn wir etwas wollen und unser Gefühl sagt: „Ich will das so gerne“, dann finden wir plötzlich Gründe, warum das in Ordnung ist.
Das ist genau das, was Paulus meint: Die Gedanken des Fleisches, nach dem Fleisch zu leben.
Gott aber, der reich an Barmherzigkeit ist – obwohl wir alle so gelebt haben und manchmal noch so leben – hat unendliche Barmherzigkeit. In seiner Liebe errettet er uns, die wir in Vergebung und Tod gewesen sind.
Dann kommt hier noch einmal die wahre Sache der Gnade und der Werke zur Sprache. Paulus betont mehrfach: Wir sind aus Gnade gerettet. Das bedeutet nicht, dass wir nichts mehr tun sollen. Er sagt ja auch, wir sind errettet, um gute Werke zu tun. Wir sollen also durchaus etwas tun.
Die Werke sind auch nicht schlecht. In der lutherischen Orthodoxie, bei den Theologen, die nach Luther kamen, wollte man das noch extremer machen als Luther selbst. Luther hatte ja gegenüber der katholischen Kirche gesagt: „Wir werden nur aus Gnade gerettet.“ Einige sagten dann, gute Werke seien sogar schädlich, man solle am besten keine guten Werke tun. Das ist natürlich völlig verdreht.
Es heißt also nicht, der beste Christ sei derjenige, der möglichst sündhaft lebt, weil er wenige gute Werke tut und deshalb nur aus Gnade gerettet wird. Nein, Paulus sagt einfach: Gute Werke sind sehr gut, aber sie retten nicht. Du wirst nicht aufgrund deiner guten Werke gerettet, sondern du wirst verurteilt aufgrund deiner schlechten Werke.
Ihr könnt es ja mal ausprobieren: Fahrt heute durch die Stadt Lemgo, immer hin und her, bis euch eine Polizeistreife mit 80 oder 90 Stundenkilometern blitzt. Dann sagt ihr dem Beamten: „Ich gehe an die Bibelschule.“ Nein, besser nicht, das ist kein gutes Zeugnis.
Aber wenn ihr sagt: „Ich besuche eine Gemeinde, ich bin ein gläubiger Christ, ich spende Geld und helfe Menschen“, wird der Polizist dann sagen: „So einen guten Menschen habe ich noch nicht getroffen, alles klar, fahr weiter“? Nein.
Egal wie viel Gutes ihr tut, Gott freut sich darüber. Auch wenn Nichtgläubige Gutes tun, freut sich Gott. Aber das ist nicht der entscheidende Faktor. Wir werden verurteilt aufgrund unserer Sünde, unserer Zielverfehlung, nicht aufgrund unseres Guten.
Deshalb sind Werke nicht schlecht, weil wir sie tun. Wenn wir sie tun, ist das in Ordnung. Aber sie können uns nicht retten, wenn wir darauf vertrauen.
Die Gnade steht an unserer Seite. Gnade bedeutet nicht, dass wir uns einfach hängen lassen sollen. Gnade bedeutet, ich vertraue auf Gott, dass er mich errettet, weil ich es nicht aus eigener Kraft schaffen kann.
Ohne Werke sind wir gerettet. Aber das heißt nicht, dass wir deshalb keine Werke tun sollen.
Deshalb steht beides hier beieinander: Wir sind gerettet aus Gnade, nicht durch Werke, aber trotzdem sind wir errettet, um gute Werke zu tun.
Damit schließe ich jetzt ab.
Wie gesagt, wer noch mehr wissen will zu diesen kritischen Thesen, wer wissen möchte, wer den Epheserbrief geschrieben hat oder wer noch ein paar Gedanken zu weiteren Begriffen aus diesen Versen hören will, kann gerne zu mir kommen.
Ich glaube aber, wir haben jetzt den Grundgedanken vom Leben zum Tod aus diesen Versen verstanden.
Lasst uns miteinander beten.
Ich entlasse euch und erinnere euch an den Frauensport von Anja und das Boccia von Lilli. Und noch was? Volleyball. Okay.
Lasst uns beten.