Was kommt?

Konrad Eißler
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Wer wissen will, was die Zukunft bringt, soll nicht zum Astrologen, noch Kosmologen, noch Futu­rologen, noch Psychologen gehen, sondern zum Theologen, nämlich Jeremia, Gottes Mundboten. Der gibt eine dreifache Antwort: Sieh, es kommt die Friedenszeit und die Königszeit und die Gotteszeit. Sieh, es kommt diese Adventszeit. - Predigt aus der Stiftskirche Stuttgart


Was kommt? Die Frage ist bedrängend. Was kommt morgen? Die Frage ist bedrückend. Was kommt morgen auf uns zu? Die Frage braucht eine Antwort, denn “der Mensch, der in die Zukunft springt, der geht zugrunde” mahnt Erich Kästner, “und ob der Sprung missglückt, ob er gelingt, der Mensch, der springt, geht vor die Hunde.” Also was kommt morgen als Zukunft auf uns zu? Vielleicht gehen wir zum Astrologen von nebenan. Am besten wir rufen vorher an und lassen uns einen Termin geben, denn die Sprechstunden sind überfüllt. Auch wenn über Sterngucker immer wieder milde gelächelt wird, das Geschäft mit den Sternen floriert seit über 3000 Jahren. Die Mode-Droge Astrologie ist in. Der Mann mit der Nickelbrille wird uns ein paar Einzel- und Wochenhoroskope hinlegen, so bunt gemalt wie ein richtiger Adventskalender, und uns gute Tipps für Partnerwahl, Geschäftsabschlüsse oder Dienstreisen geben. Wer will schon auf diese persönliche Zukunftsschau verzichten, auch wenn es ein paar Scheinchen kostet? Eine Glückszeit kommt, sagt der Astrologe.

Vielleicht gehen wir auch zum Kosmologen in die City. Das Publikum bei den abendlichen Sitzung­en im kerzenbeleuchteten Saal stammt eindeutig aus der High Society. Wer nicht Insider ist und zum ersten Mal hineinhört, hat mit dem Vortrag einige Probleme. In einer Art Schnelldurchlauf erfährt man, dass das Fischzeitalter zu Ende gegangen und das Aquarius- oder Wassermannzeitalter heraufgedämmert ist. Es wird eine goldene Zeit voller Harmonie und Freude, in der jeder seinen Bauernhof kauft, Honig erzeugt und eigene Wolle verstrickt. Ruhe um und um, Wassermann macht’s möglich. Eine Ruhezeit kommt, sagt der Kosmologe.

Vielleicht gehen wir auch zum Futurologen auf die Universität. Dieser Herr Professor füttert seine Student­en mit ungeheurem Zahlenmaterial. In immer komplizierter werden­den Formeln fließen die Endlosreihen in den Großcomputer. Und dieser Mammutrechner spuckt neue Programme aus, die sich bei ihrer Vielfalt in der Prognose einig sind: Die Bevölkerungsbombe explodiert, die Nahrungsressourcen reichen nicht aus, die Umweltvergiftung ist nicht mehr aufzuhalten. Die Endzeit kommt, sagt der Futurologe.

Am besten wir gehen direkt zum Psychologen, der uns auf der Couch die Zukunftsängste wegtherapieren soll. Die damals gingen weder zum Astrologen, noch Kosmologen, noch Futu­rologen, noch Psychologen, sondern zum Theologen. Jeremia hat er geheißen. Ein Mundbote Gottes, der für seinen Herrn den Mund aufmachte, ein Sendbote Gottes, der von seinem Herrn geschickt wurde, ein Dienstbote Gottes, der mit seinem Herrn an die Arbeit ging. Wohl fanden sie ihn in keiner Praxis, in keinem Vortragssaal, in keinem Laboratorium, sondern immer wieder im Arrest, weil er nicht kuschte und den Oberen die Wahrheit ins Gesicht schleuderte. Leute, die für die Wahrheit ins Gefängnis gehen, sind glaubwürdige und vertrauenswürdige Ansprechpartner. Deshalb gehen wir zu ihm und fragen: Jeremia was kommt? Eine Glückszeit? Was kommt morgen? Eine Ruhezeit? Was kommt morgen auf uns zu? Die Endzeit? Jeremia gibt eine dreifache Antwort.

1. Es kommt die Gotteszeit

Sieh diese neue Zeit, weil die alte Zeit zur Bedrückung geworden ist. In Gottes Konzept war dies anders vorgesehen. Als der vierte Schöpfungstag heraufdämmerte, sprach er: “Es wird Zeiten, Tage und Jahre geben.” Nicht nur der Wohnraum, sondern auch der Zeitraum wurde uns Menschen vor­sorglich zur Verfügung gestellt. Der fürsorgende Vater wollte jedem auf diesem grünen Planeten Platz zum Wohnen und Zeit zum Leben geben. Aber dann kam es zu einer Erkrankung der Zeit, zu einer galoppierenden Zeitschwindsucht. Immer mehr Leute wurden von diesem Virus befallen und heute gibt es kaum jemand, der nicht diese Krankheitssymptome auf den Lippen trägt: “s’pressiert halt.” Wenn es morgens zur Schule oder zur Arbeit geht: “s’pressiert halt”. Wenn es mittags zur Mensa oder zur Kantine geht: “s’pressiert halt”. Wenn es abends zum Konzert oder in die Disco geht: “s’pressiert halt”. Wenn es zum Weihnachtseinkauf ins Geschäft oder auf den Markt geht: “s’pressiert halt”. Ernst Jünger, der messerscharfe Zeitdiagnostiker, bezeichnete diese Krankheit als “Monotonie der Pausenlosigkeit”. Wenn dies so weiterdaure, werde es unfehlbar einem Kollaps entgegengehen. “Die Welt von heute ist von Uhren gefüllt, aber sie sind, wie die Furcht vermutet, auf eine Stunde gestellt.” An alle Zeitpatienten wendet sich der Prophet: “Es bleiben die Jahre nicht, wie sie sind. Sind es wenige Jahre, die uns das Glück nehmen, oder sind es viele Jahre, die uns den Rücken krümmen, sie bleiben nicht. Siehe, es kommt die Zeit. Es bleiben die Monate nicht, wie sie sind. Sind es wenige Monate, die uns Schweres bringen, oder sind es viele Monate, die uns das Dunkel sehen lassen, sie bleiben nicht. Siehe, es kommt die Zeit. Es bleiben die Tage nicht, wie sie sind. Sind es wenige Tage, die uns ins Leid stürzen, oder sind es viele Tage, die uns in Trauer versinken lassen, sie bleiben nicht. Siehe, es kommt die Zeit.” Jeremia wusste schon damals: “Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn.” Jesus ist Gottes Beweis für diese Wahrheit.

Im Jahr Null wurden nicht nur die Kalender, sondern auch die Uhren neu gestellt. Die Winterzeit des Todes wurde abgeschafft und die Sommerzeit des Lebens endgültig eingeführt. Jetzt geht es wieder nach dem Zeittakt des Schöpfers. Die Arbeitszeit darf mich nicht mehr zu Tode hetzen. Er erlaubt Atemübungen für die erstickte Seele. Die Krankheitszeit darf mich nicht mehr in die Verzweiflung stürzen. Er will mich besonders nehmen und in der Stille mit mir reden. Die Lebenszeit darf mich nicht mehr ins Grübeln bringen. Er weiß wohl, ob 40 oder 7O oder 90 Jahre genug für mich sind. Ich schaue immer auf Gottes Uhr, deren Zifferblatt die Bibel ist und deren Zeiger von den Balken des Kreuzes gebildet werden. Mit diesem Zeitmesser weiß ich jeden Augenblick: “Meine Zeit steht in deinen Händen”. Es kommt die Gotteszeit, genauer, und das ist das ..

2. Es kommt die Königszeit

Sieh, dieser neue König, weil der alte König zur Belastung geworden ist. König Zedekia war eine ganz schwache Figur. Nach der Eroberung durch die Babylonier wurde er auf den Thron gesetzt, von Nebukadnezars Gnaden. Seine Regierungszeit entwickelte sich zu einem einzigen Trauerspiel. Statt gut zu regieren und die Zügel in die Hand zu nehmen, vertraute er sich schlechten Ratgebern und politischen Hasardeuren an. Nur Spielball am eigenen Hof wurde er. Statt recht zu regieren und das Recht im Lande durchzusetzen, setzte er auf die Karte falscher Machtpolitiker und gefährlicher Falken. Nur Vollzugs­beamter am eigenen Hof wurde er. Statt wohl zu regieren und wohltätig zu sein, schloss er die Augen und ließ Gewalttätigkeiten freien Lauf.

So ist das doch immer, dass schwache Figuren an die Macht kommen, dass falsche Ratgeber das Sagen bekommen, dass machthungrige Abenteurer ins Steuer greifen, und dass alle miteinander zu skrupellosen Wegbereitern des Chaos avancieren. Ein hoher Regierungsbeamter, der in der vergangenen Woche von internationalen Verhandlungen zurückkehrte, sagte: “Die Welt ist heute schon unregierbar geworden.” Und Jeremia hält dagegen: “Ein König kommt, der gut regiert und die Zügel in die Hand nimmt. Ein anderer König kommt, der recht regiert und das Recht im Lande durchsetzt. Ein neuer König kommt, der wohl regiert und wohltätig die Armen und Kaputten sieht.”

Jesus Christus kommt. Wohl sieht man es ihm nicht gleich an, weil er statt einer Königskrone eine Dornenkrone trägt, weil er statt eines Königsmantels nur ein Straßenkleid trägt, weil er statt eines Königszepters nur ein Blechrohr trägt, aber der Glaubende erkennt in Jesus Christus den, der es gut macht und die Zügel nicht schleifen lässt. Dem schlimmsten Ratgeber und Ohrenbläser hat er den Laufpass gegeben und den Teufel zum Teufel gejagt. “Weg mit dir, Satan!” Der Glaubende erkennt in ihm den, der es recht macht, weil sein Grundrecht wieder in Geltung macht: “Ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen.” Der Glaubende erkennt in ihm den, der es wohl macht, weil er die Augen aufmacht und jeden sieht. Den Zachäus auf dem Baum, den Bartimäus in der Gosse, den Lazarus im Grab, jeden in seiner Kirchenbank, jeden an seinem Platz, jeden unter seiner Last. Unsere Könige brauchen Helfer, die ihnen aufs hohe Ross helfen. Dieser König ist Helfer, der vom Eselsrücken steigt und seine Hilfe den Hilflosen anbietet. Es ist schlicht wahr, wenn wir singen: “Er ist gerecht ein Helfer wert, Sanftmütigkeit ist sein Gefährt.” Es kommt die Königszeit, noch genauer:

3. Es kommt die Friedenszeit

Sieh dieser neue Friede, weil der alte Friede zur Last geworden ist. Die Israeliten konnten dem Frieden eines Nebukadnezars nicht mehr trauen. Zu viele Kriegszüge hatte er schon geplant und zu viel Blut ist schon geflossen. Wie sollte dieser Kriegsmann auf einmal die Friedens­schalmeien blasen? Wir trauen einfach dem Frieden nicht mehr, wenn wieder von Friedensgesprächen und Friedensabkommen und Friedensmärschen und friedensschaffenden Militäreinsätzen die Rede ist. “Friede, Friede und ist kein Friede.”

Jeremia aber sagt: Es wird eine Friedenszeit kommen. Über Bethlehem wurde sie ausgerufen: “Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden.” Auf Golgatha wurde sie mit Blut besiegelt: “Auf dass wir Frieden hätten und durch seine Wunden sind wir geheilt.” Am Felsengrab wurde es für jeden sichtbar und hörbar: “Shalom aleichem”, Friede sei mit euch. Der König Jesu Christi ist unser Friede. Diesem Frieden können wir trauen. Sein Friedensreich ist nicht aufzuhalten. Wenn die Jahre voll sind, dann öffnen sich die Türen. Wenn die Jahre voll sind, dann strömen sie herbei, aus dem Norden und Süden, Osten und Westen. Wenn die Jahre voll sind, dann ist groß Fried ohn’ Unterlass. Auch Ihre Krankheitstür wird sich öffnen, wenn die Jahre voll sind. Auch Ihre Gefangenschaft in Not und Verzweiflung wird sich wenden, wenn die Jahre voll sind. Auch Ihr bedrohendes Dunkel wird hell, wenn die Jahre voll sind.

So wie bei Georg Weissel, dem Pfarrer der Altroßgärter Kirche in Königsberg. Man schrieb den Advent 1629 und in Europa tobte der Dreißigjährige Krieg. Sterbenskrank lag er auf seinem Bett und hörte von draußen die Begeisterungsstürme über den Einzug des Polenkönigs Wladislaw IV. in die Stadt. Plötzlich verwandelte sich für ihn das Eingangsportal seiner Kirche, das er von seinem Lager aus immer sehen konnte, zum Königstor des Tempels und er erkannte den letzten Friedenskönig, der nicht Blut und Tränen wie Wladislaw, sondern Friede und Heil bringt wie der Messias. Überwältigt von diesem Ausblick dichtete er jenes wunderschöne Lied, das er mit letzter Kraft niederschrieb: “Macht hoch die Tür, die Tor macht weit, es kommt der Herr der Herrlichkeit, ein König aller Königreich, ein Heiland aller Welt zugleich”. Dann starb Georg Weissel in diese Hoffnung hinein.

Sieh, es kommt die Friedenszeit und die Königszeit und die Gotteszeit. Sieh, es kommt diese Adventszeit.

Amen


[Predigtmanuskript; nicht wortidentisch mit der Aufnahme]