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“Wir alle leben im Zeichen des Fisches, nicht im astrologischen Tierkreiszeichen, das uns nichts zu sagen hat, sondern im theologischen Bildzeichen, das uns alles sagt, nämlich: Jesus Christus, Sohn Gottes, Heiland”: Konrad Eißler predigt vom Fisch in seinem Element, vom Fisch in Gefahr und vom Fisch, der gerettet wird.


[Predigtmanuskript; nicht wortidentisch mit der Aufnahme]

Alexamenos hat er geheißen, so wie heute einer Alexander oder Alex heißt, liebe Gemeinde. Seine Geschichte lässt sich aufgrund von archäologischen Ausgrabungen auf dem römischen Hügel Palatin glaubwürdig zusammenreimen. Weil dieser Sklavenjunge überdurchschnittliche Begabung zeigte, wurde er als Stipendiat aufs In­ternat nach Rom geschickt, um dort für kaiserliche Dienste ausgebildet zu werden. Gleich am ersten Tag der Ankunft ließ sich der Neue auch von einer übermütigen Schülerbande nicht abhalten, sein Abendgebet zu verrichten. Prompt wurde dieses Kuriosum belächelt und befragt: “Zu wem betest du denn? Zum Jupiter? Zur Venus? Zu Merkur?” “Zu Jesus”, antwortete der getaufte Christ, “wisst ihr, zu Jesus, der in Bethlehem geboren wurde, der in Nazareth aufwuchs, der in Kapernaum predigte, der in Bethanien Wunder getan, der in Jerusalem gekreuzigt, der…” Weiter kam er mit seiner Ant­wort gar nicht, weil der ganze Saal in schallendes Hohngelächter ausbrach: “Zu einem Juden betest du? Zu einem Verurteilten? Zu einem Gekreuzigten? Was für ein Witz!” Und am nächsten Morgen hatte er die Quittung: in die Wand hineingekratzt ein Gekreuzigter mit dem Eselskopf, daneben ein Junge mit betenden Händen und darunter der Satz: Alexamenos betet seinen Gott an. Diese Wandkritzelei, übrigens die älteste Kreuzesdarstellung aus der Ge­schichte, stempelte ihn mitsamt allen Christen als Esel ab. Das war wahrlich kein leichter Einstand. Es gibt freundlichere Spitznamen in der Schule. Esel lässt sich keiner gerne schimpfen. Wenn er trotzdem bei der Stange blieb, so sicher deshalb, weil er bei der Gemeinde geblieben ist. In freien Stunden stahl er sich davon, lief unbeeindruckt von Tempelhallen und Triumphbögen durch die Straßen der Stadt bis zu jener geheimen Treppe, die steil nach unten führte. Dort in der Katakombe mischte er sich unter jenes armselige Häuflein von Sklaven, Unfreien und Bedrückten, die sich besonders an Jesu Wort hielten: “Wo zwei oder drei zusammen sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.” Dort in der Untergrundkirche hörte er jene Predigten, die uns im Jakobusbrief überliefert sind: “Selig ist, glücklich ist, glückselig ist der Mann, der die Anfechtung erduldet.” Dort in der Verfolgtengemeinde entdeckte er jene ganz andere Wandkritzelei, die schon im 1. Jahrhundert als Geheimzeichen der Christen auftauchte: ein Fisch. Sicher ist sie als Ideogramm entstanden, als Schriftzeichen, denn das griechische Wort “Fisch” ist die Abkürzung für “Jesus Christus, Sohn Gottes, Heiland.” Daraus wurde dann das Ikonogramm, ein Bildzeichen, das Gläubigen den Weg zu den Versammlungen und Gebetsplätzen gewiesen hat. Schließlich entwickelte sich daraus das Monogramm der Christen überhaupt, das sich bis heute auf Bildern, Kreuzen, Taufschalen oder Kirchentüren wiederfindet. Alexamenos wusste: Nicht Esel, sondern Fisch; nicht Dummheit, sondern Klugheit; nicht Verhöhnung, sondern Krönung, denn - so heißt es wörtlich: “nachdem der Angefochtene bewährt ist, wird er die Krone des Lebens empfangen.” Alexamenos lebte im Zeichen des Fisches. Jakobus lebte im Zeichen des Fisches. Petrus lebte im Zeichen des Fisches. Augustin, Luther, Oetinger lebten im Zeichen des Fisches. Wir alle leben im Zeichen des Fisches, nicht im astrologischen Tierkreiszeichen, das uns nichts zu sagen hat, sondern im theologischen Bildzeichen, das uns alles sagt, nämlich: Jesus Christus, Sohn Gottes, Heiland.” Erlauben Sie mir deshalb, die Aussagen dieses Sonntagstextes an diesem urchristlichen Symbol transparent zu machen - auf die Gefahr hin, mit dem Fisch alles zu verwässern.

1. Der Fisch im Wasser

Dort ist sein Element. Er kann sich nicht auf der Wiese räkeln. Er kann auch nicht durch den Wald spazieren. Er kann erst recht nicht durch die Lüfte schweben. Dieses Tier braucht sein Element. Erst dort kann es atmen. Erst dort kann es existieren. Erst dort kann es leben. Der Fisch muss ins Wasser, und zwar in kein trübes Abwasser, sondern in klares Quellwasser. Aus den Kanalisationsröhren unserer Städte werden oft genug Giftstoffe eingeleitet, die ein großes Fischsterben verursachen. In dem guten Wasser dagegen, das aus Bergquellen sprudelt und von oben herab ins Tal plätschert, ist Leben möglich, ganzes Leben, gesundes Leben, volles Leben. Der Fisch muss im Wasser sein und der Mensch muss in Gott sein. Dort ist sein Element. Er kann sieh nicht nur auf der grünen Wiese religiösen Gedanken hingeben. Er kann sich nicht nur im Wald und auf der Heide an der Natur er­götzen. Er kann sich nicht nur im Traum fromme Luftschlösser bauen. Der Mensch braucht sein Element. Erst dort kann er atmen. Erst dort kann er existieren. Erst dort kann er leben. Der Mensch muss dort hinein, nicht in eine trübe Strömung der Zeit, sondern in den klaren Strom der Ewigkeit. Aus den Ergüssen unserer Köpfe und Herzen kommen oft genug Gifte, an denen Menschen sterben. In dem lebendigen Wasser dagegen, das nach Psalm 36 aus der Quelle des Lebens von oben herabsprudelt, ist Leben möglich, ganzes Leben, gesundes Leben, volles Leben. Das meint doch Jakobus, wenn er sagt: “Alle gute und alle vollkommene Gabe kommt von oben herab, von dem Vater.” Denken Sie an die Gabe der Liebe. In der Ehe finden Sie sie nicht mehr, seit der Mann eigene Wege geht. Im Geschäft entdecken Sie sie nicht mehr, seit jeder den andern an die Wand spielt. In der Welt sehen Sie sie nicht mehr, seit Terror und Gewalt skalieren. Entdecken Sie die Quelle des Lebens. Aus ihr sprudelt die gute Gabe der Liebe Jesu. Denken Sie an die Gabe des Trostes. Sie haben den Mann, die Frau, die Mutter verloren. Auf dem Grab stehen die ersten Frühlingsblumen. Einsam gewordenes Leben ist unendlich schweres Leben. Entdecken Sie die Quelle des Lebens. Aus ihr sprudelt die Gabe des Trostes Jesu. Denken Sie an die Gabe der Vergebung. Sie haben sich in der Familie heillos zerstritten und jeder wirft dem andern seine Schuld vor die Füße. Entdecken Sie die Quelle des Lebens. Aus ihr sprudelt die gute Gabe der Vergebung Jesu. Denken Sie an die Gabe der Hoffnung. Arbeitslose sind unter uns, die gefeuert wurden, Kranke sind unter uns, denen keine Medikamente mehr helfen können, Verzweifelte sind unter uns, die schwarz in schwarz sehen. Entdecken Sie die Quelle des Lebens. Aus ihr sprudelt die gute Gabe der Hoffnung Jesu. Ja, es gibt gar keine gute Gabe, die nicht aus der Gottesquelle stammt. Es gibt gar keine vollkommene Gabe, die nicht von oben herab zu uns kommt. Aus Gott fließt jener Lebensstrom, der unser Element bildet und in den wir hineinmüssen wie der Fisch ins Wasser.

2. Der Fisch am Haken

Dort ist unsere Gefahr. Am Wasser taucht nämlich eine Gestalt auf. Es ist kein harmloser Spaziergänger,der den Fischen zusieht, sondern ein versierter Ufergänger, der es auf die Fische abgesehen hat. Der Mann ist ein Angler. Fischfang ist sein Interesse. An der gefangenen Forelle hat er seinen Spaß. Natürlich weiß er, wie man das macht. Er stößt keine Lockrufe aus oder erteilt gar Befehle an die Tiere: “Nun aber einmal raus aus dem Wasser und rein in den Eimer.” Fische werden nicht gerufen, sondern geködert. Deshalb hat er eine ganze Büchse voll verschiedener Köder, die je nach Lage der Dinge an seiner Angelschnur be­festigt. Einmal versucht er es mit dem Blinker, dann mit der künstlichen Fliege, dann mit der Mühlkoppe oder dem Rotauge. Und jedes Mal gerät der Fisch in höchste Versuchung. Er wird angelockt, er umkreist den Köder, er schnappt zu. Dann hängt er fest an der Angel. Dann ist er fest in der Hand des Anglers. Dann ist er verloren. Der Fisch am Haken. Dort ist auch unsere Gefahr. Am lebendigen Wasser nämlich, nicht am toten Teich, taucht immer eine Gestalt auf. Es ist kein armer Teufel, der mit Pferdefuß und Schwefelgestank alles zum Teufel jagt, sondern “Gottes Teufel”, wie Luther bemerkte, der als abgefallenes Geschöpf es auf alle Geschöpfe abgesehen hat. Der Satan ist ein Angler. Menschenfang ist sein Interesse. An den gefangenen Leuten hat er seinen Spaß. Natürlich weiß er, wie man das macht. Er lockt nicht wie ein Vogel oder befiehlt wie ein Tyrann: “Der Teufel ist ein hoher Geist”, hat der große schwäbische Theologe Albrecht Bengel gesagt. Menschen werden geködert. Deshalb hat er ein unerschöpfliches Arsenal von Dingen, die er uns vor die Nase hält. Bei Kain war es die Eifer­sucht, die ihn übermannte. Bei Achan war es eine Stange Gold, der er nicht widerstehen konnte. Bei Simson war es eine Frau, die ihm in die Augen stach. Bei Absalom war es eine Königskrone, die er so sehnlich wünschte. Was ist es bei uns? Wo sind wir besonders gefährdet? Wie fischt er uns aus dem Lebenswasser? Mit einem schnellen Wagen, mit einem neuen Haus, mit einem großen Grundstück oder mit einem flotten Freund, mit einem netten Kollegen, mit einem falschen Chef, oder gar mit einem Buch, einem Film, einem Videoband? Der Versucher kennt uns bestens. Der Teufel ist ein glänzender Psychologe. Der “Affe Gottes” beherrscht jeden Trick. Deshalb wird jeder von einer ganz spezifischen Sache ange­lockt. Man umkreist sie in Gedanken Tag und Nacht, die Gefahr wird darum immer größer, und eines Tages schnappen wir zu. Im selben Augenblick aber hängen wir fest. Wir sind fest in der Hand des Anglers. Er mag uns noch etwas Leine geben und einige Züge erlauben. Aber dann schleudert er uns aus unserem Lebenselement ins Todeselement. Wir sind verloren. Lust, Begierde, Sünde, Tod, so bezeichnet Jakobus dieses schreckliche Geschehen. Irret euch nicht, liebe Brüder! Der Mensch am Haken. Dort ist seine Gefahr. Aber noch eines.

3. Der Fisch im Netz

Dort ist seine Rettung. Ich erinnere mich an das sogenannte Abfischen auf dem Itzelberger See, der innerhalb meiner früheren Gemeinde auf der Ostalb liegt. Vor Weihnachten kam der Fischwasserbesitzer, um die größer gewordenen Fische in einen andern See zu bringen. Er rief sich Leute aus dem Dorf zu­sammen, um mit ihnen diese Arbeit zu tun. Dann zogen sie ein großes Schleppnetz durch das Wasser und fischten die Tiere ein. Und wer sich nicht einfangen ließ oder durch die Maschen schlüpfte, war kein freier Fisch, sondern das gefundene Fressen für die Angler, die jetzt ihrem Sport erst recht frönen durften. Der Fisch im Netz war gerettet. Könnte das nicht ein Bild für die letzte Aussage dieses Textes sein? Gott will uns nicht nur mit allen guten Gaben versorgen, sondern uns auch einen guten Ort besorgen, an dem wir ewig leben können. Sein Reich ist die Krone des Lebens. Deshalb kam er an Weihnachten zu uns, um dies zu ermöglichen. Er ging durchs Dorf und rief den Petrus und Andreas und Jakobus und Johannes: Folget mir nach, ich will euch zu Menschenfischern mach­en! Erstaunlicherweise ließen sie alles stehen und liegen und packten an. Dann zogen sie miteinander das große Schleppnetz Gottes durch den Strom der Zeit. Weil sie nicht fertig wurden, langten die Nächsten zu. Immer fanden sich welche bereit, Hand­langer bei Gottes letztem Abfischen zu spielen. Und Unzählige, die sich einfangen ließen, merkten, der zieht uns in die richtige Richtung. Der gibt uns das, was wir nötig haben. Der bewahrt uns vor dem Bösen. Bei Jesus Christus ist Rettung. Heute geht sein Netz wieder durch diese Kirche. Wollen wir ihm nur die Kinder übergeben, die wir nachher taufen? Wollen wir uns nur leicht be­rühren lassen, um unsere vermeintliche Freiheit zu behalten? Wollen wir nur von ferne zusehen, wie andere diesem Herrn folgen? Jakobus gratuliert dem, der diesem Jesus Christus, Sohn Gottes, Heiland ins Netz geht.

Amen