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08.11.2015Psalm 130

Einleitung: Hoffnung inmitten von Krisen

Das Zitat des Sommers für mich war Angela Merkels „Wir schaffen das“. Das hat mir imponiert. Sicherlich kann man geteilter Meinung darüber sein, aber mir hat es imponiert, wie sie sich selbstbewusst und hoffnungsfroh hinstellt und Hoffnung verbreitet.

Doch die Krisen, die uns viel mehr beschäftigen, sind nicht die politischen, humanitären oder wirtschaftlichen Krisen, von denen wir in den Medien hören. Diese kann man im Notfall per Fernbedienung abschalten oder zuklappen, wenn man die Zeitung zur Seite legt.

Nein, es gibt diese Krisen, die man nicht so einfach loswird – diese ganz persönlichen Krisen, durch die wir alle immer mal wieder gehen. Das kennst du sicherlich, oder? Phasen von Krisen und Leid in deinem Leben, in denen sich die Frage stellt: Wie gehe ich jetzt damit um? Wo gehe ich damit hin?

Sprichst du dir dann, ganz im Sinne des Merkel'schen Satzes, selber Mut zu? „Ich schaff das schon“?

Ich möchte heute mit uns einen Text aus der Bibel betrachten, in dem uns Gottes Wort zeigt, wohin wir in unseren Krisen gehen können und wo wir wahrhaftige Hilfe, neue Zuversicht und Mut finden.

So möchte ich heute Psalm 130 betrachten. Ich werde ihn nicht nach der Luther 84-Version lesen – ganz gegen meine sonstigen Gewohnheiten. Das ist kein neuer Trend, sondern eine einmalige Sache. Heute werde ich nicht die Stuhlbibel benutzen, weil Luther in den Psalmen manchmal mehr darauf bedacht ist, poetisch zu schreiben und das Gefühl hinter einem Psalm einzufangen. Dabei vermisst man manchmal die sprachliche Präzision.

Deswegen schauen wir uns den Text hier oben an. Gerhard, wenn du ihn uns aus der Schlachter Übersetzung 2000 zeigst, hilft uns das, den Text noch genauer zu erkennen.

Psalm 130: Ein Ruf aus der Tiefe und die Hoffnung auf Vergebung

Ein Wallfahrtslied

Aus der Tiefe rufe ich zu dir, o Herr.
Herr, höre meine Stimme,
lass deine Ohren aufmerksam sein auf die Stimme meines Flehns.

Wenn du, o Herr, Sünden anrechnest,
Herr, wer kann bestehen?
Aber bei dir ist die Vergebung,
dass man dich fürchte.

Ich harre auf den Herrn, meine Seele harrt,
und ich hoffe auf sein Wort.
Meine Seele harrt auf den Herrn,
mehr als die Wächter auf den Morgen,
mehr als die Wächter auf den Morgen.

Israel, hoffe auf den Herrn!
Denn bei dem Herrn ist die Gnade,
und bei ihm ist Erlösung in Fülle.
Ja, er wird Israel erlösen von allen seinen Sünden.

Ein kurzer und ganz einfacher Psalm, der uns eine großartige Entwicklung aufzeigt.

Nicht dadurch, dass der Psalmist sich auf Gott besinnt, wird aus seinem verzweifelten Flehen um Hilfe zu Beginn am Ende ein fröhliches Zeugnis über die Rettung, die allein bei Gott zu finden ist.

So möchte ich uns einfach mitnehmen durch diesen Psalm Stück für Stück,
damit wir sehen können, wie genau der Psalmist aus der Tiefe der größten Not
zum freudigen Bekenntnis kommt.

Der Ruf aus der Tiefe: Verzweiflung und Gebet

Lasst uns zuerst die ersten drei Verse betrachten: „Aus der Tiefe, aus der Tiefe rufe ich zu dir, o Herr. Herr, höre meine Stimme, lass deine Ohren aufmerksam sein auf die Stimme meines Flehens.“

Ich glaube, wir können uns ein wenig in die Emotion dieses Psalms hineinversetzen – die Verzweiflung aus der Tiefe. Kennst du das? Das Gefühl, in der Tiefe zu sein, weit weg, ganz am Boden, ja, den Boden unter den Füßen verloren zu haben? Ein Rufen aus der Tiefe!

Der Psalmist weiß, dass da jemand ist, zu dem er rufen kann. Er ruft aus der Tiefe zum Herrn, zu Gott. Und doch kommt es ihm so vor, als wäre der Herr weit weg, als würde er ihn vielleicht nicht hören.

Vielleicht kennst du das auch: nicht nur in der Tiefe zu sein, in tiefem Leid, in tiefer Not, sondern auch das Gefühl zu haben: Wo ist Gott? Herr, hast du mich vergessen? Hast du mich aus dem Blick verloren? Kannst du mich nicht hören? Hier unten in der Tiefe rufe ich.

„Hör doch meine Stimme, lass deine Ohren aufmerksam sein auf die Stimme meines Flehens.“

Wenn du in einer solchen Situation bist, vielleicht gerade jetzt, möchte ich dir Mut machen. Hör auf den Psalmisten, schau auf ihn und sieh, dass er nicht aufhört zu rufen. Er ruft, er ruft, er ringt mit Gott. Das ist ein biblisches Gebet, das uns auch als Vorbild gegeben ist.

Ich weiß nicht, wie deine Gebete aussehen. Du musst zugeben: Meine Gebete sind meist ganz anders. „Lieber Gott, danke für diesen Tag, vergib mir da, wo ich Falsches getan oder gesagt habe, danke, dass deine Gnade neu ist jeden Morgen, Amen.“ Aber das klingt hier ganz anders. Das ist viel tiefer.

Hier geht es ans Eingemachte, und das verändert Gebet. Das Gebet wird richtig inständig. Wie der Volksmund sagt: Not lehrt Beten. Nun wünsche ich uns allen, dass wir auch ohne Not lernen, beten zu lernen. Ja, ich wünsche uns allen, dass wir immer mehr so beten, so mit Gott unser Herz ausschütten, mit ihm ringen, aber auch so voller Ehrfurcht und Demut auf ihn schauen.

Die Verantwortung für Leid und die Bedeutung der Gottesfurcht

Es ist interessant: Der Beter kommt nicht fordernd, sondern im Wissen darum, dass er von Gott nichts zu fordern hat. Das sehen wir vor allem in Vers 3. Auch das sollte uns zu denken geben. Viel zu leicht kann es passieren, dass wir in Notzeiten in unseren Gebeten fast zu Anklägern gegen Gott werden. Immerhin ist es ja Gott, der unsere Not zugelassen hat.

Dabei verkennen wir jedoch, dass wir die Not, die wir leiden, nicht deshalb erleiden, weil Gott Not in diese Welt gebracht hat. Nein, die Verantwortung für alles Leid in dieser Welt liegt nicht bei Gott, sondern bei uns Menschen. Damit will ich nicht sagen, dass jedes Leid, das wir erfahren, eine direkte Konsequenz unserer eigenen Sünde ist – ganz sicher nicht.

Aber wir leiden in allem, was wir erleiden, immer unter der Sünde von Menschen. Manchmal ganz direkt, weil ein Mensch uns Böses tut, weil er gegen uns sündigt und uns so Schmerzen verursacht und Leid bringt. Manchmal geschieht es indirekt, weil durch die Sünde der Menschen diese ursprünglich heile, paradiesische Welt gefallen ist.

Wir Menschen mussten aufgrund dessen, was wir getan haben – nämlich gegen Gott zu rebellieren – seine Gegenwart verlassen. Eine Gegenwart, in der es kein Leid und keine Not gibt. Dort, wo Menschen mit Gott in enger Gemeinschaft lebten, gab es kein Rufen aus der Tiefe, sondern nur Freude und Erfüllung. Doch diese Zeiten sind vorbei. Die Welt ist kaputtgegangen, und wir leben jetzt in einer Welt, in der der Sündenfall alles aus dem Gleichgewicht gebracht hat.

Aber es ist eben nicht Gottes Schuld, sondern unsere Schuld. Und so sehr wir vielleicht denken mögen, dass vor allem unsere Vorvorväter oder andere schuld sind, so müssen wir doch alle, wenn wir ehrlich sind, eingestehen, dass wir Mittäter sind. Keiner von uns könnte vor Gott bestehen, wenn er unsere Sünden anrechnet.

Das steckt in der rhetorischen Frage in Vers 3: „Wenn du, o Herr, Sünden anrechnest, Herr, wer kann bestehen?“ Ich hoffe, jetzt kommt keiner auf die Idee, sich zu melden und zu sagen: „Ich.“

Diese Frage lässt uns auch schon erahnen, was für eine Not es ist, aus der der Psalmist hier ruft. In Vers 4 wird das noch deutlicher, weil er davon spricht, dass beim Herrn Vergebung ist. Und in Vers 8 spricht er ganz konkret darüber, um welche Befreiung es geht – nämlich die Vergebung aller Sünden oder die Erlösung aus allen Sünden.

Die größte Not erkennen: Rettung durch Jesus Christus

Und so möchte ich dich fragen: Was denkst du, was die größte Not in deinem Leben ist?

Am 14. April 1912 geschah etwas, von dem wir alle wissen. Irgendeine Schätzung? Die Titanic – unsere Senioren, erstaunlicherweise, haben damals noch nicht gelebt, aber sie kennen die Geschichte genau. Damals war die Titanic ein als unsinkbar geltendes Schiff. Auf hoher See, im Polarmeer, mit 2.200 Passagieren an Bord, rammte sie einen Eisberg und ging unter. Mehr als 1.500 Menschen starben in dieser kalten Nacht im eiskalten Wasser. Die Geschichte ist soweit bekannt.

Etwas weniger bekannt ist ein ebenfalls sehr gut belegtes Zeugnis von einem jungen Schotten, der einige Monate später in einer Gebetsversammlung Zeugnis gab – ganz ähnlich wie heute Gladys und Horst. Er berichtete, wie er zum Glauben gekommen ist.

Er erzählte, wie er in jener Nacht an Bord der Titanic war, als sie unterging, im eiskalten Polarwasser. Während er sich mit letzter Kraft an ein Wrackteil klammerte, sah er plötzlich im Wassertreiben, wie eine Welle einen anderen Passagier, der ebenfalls an einem Wrackteil hing, in seine Nähe trieb. Dieser rief laut: „Bist du gerettet?“ Er antwortete: „Nein, das bin ich nicht!“ Was sollte er sonst sagen?

Der Passagier rief zurück: „Glaube an den Herrn Jesus Christus und du wirst gerettet werden.“ Die Welle trug ihn wieder davon, doch er kam später mit einer weiteren Welle zurück. Sie konnten ein wenig reden. Er nannte seinen Namen: John Harper, ein Pastor, der irgendwann den Ruf hatte, seinen Pastorendienst zu verlassen, weil er das Gefühl hatte, das Evangelium weiterzusagen. Er befand sich in jener Nacht ebenfalls auf dem Schiff.

John Harper kam wieder in die Nähe des Mannes und rief ihm zu: „Bist du jetzt gerettet?“ Der Schotte antwortete: „Nein.“ Daraufhin sagte Harper: „Glaube an den Herrn Jesus Christus und du wirst gerettet werden.“ Dann konnte er sich nicht mehr festhalten, ging unter und ertrank.

Der Schotte bekannte in dieser Gebetsversammlung: „Allein in der Nacht, mit zwei Meilen Wasser unter mir, glaubte ich an Christus als meinen Erlöser. Ich bin Harpers letzter Bekehrter.“

Dieser junge Schotte hatte verstanden, was seine größte Not war. Und seine größte Not war nicht, im eiskalten Wasser zu treiben und vom Ertrinken bedroht zu sein. Er wusste, dass die Rettung, die er mehr brauchte, die Rettung, die ihm allein für alle Ewigkeit Sicherheit gewähren würde, die Rettung ist, die allein bei Jesus Christus zu finden ist.

Das ist das Schlimmste, das uns passieren kann: ohne den Herrn Jesus Christus eines Tages dem Tod ins Auge zu sehen. Denn wenn der Herr unsere Sünden anrechnet, wer kann bestehen? Eines Tages werden wir vor Gott stehen, und Gott ist ein gerechter Richter.

Das verlieren wir manchmal aus dem Auge. Und doch ist es unsere tiefste Sehnsucht – das ist sogar die tiefste Sehnsucht aller Atheisten. Das ist erstaunlich: Wenn großes Leid kommt, dann ist der Schrei nach Gott selbst bei den Atheisten zu hören: „Oh Gott!“ Da ist das Gefühl: Gott kann das nicht zulassen, er kann Unrecht nicht zulassen, er kann Leid nicht zulassen. Er muss doch eingreifen, er muss doch das Unrecht richten, er muss doch Dinge wieder in Ordnung bringen.

Diese Sehnsucht ist berechtigt. Gott hat sie in uns gelegt, damit wir uns ihm zuwenden. Denn eines Tages wird er gerecht richten, und alles Leid wird ein Ende haben.

Das Problem ist nur, dass wir dann nicht Ankläger sind, sondern selbst Angeklagte. Wenn du, o Herr, Sünden anrechnest, Herr, wer kann bestehen?

Die Vergebung Gottes als Grund zur Hoffnung

Wir haben vorhin in der Textlesung aus Apostelgeschichte 2 gehört, wie es damals war, als Petrus am Pfingsttag den frommen Juden predigte. Er zeigte ihnen deutlich, dass sie alle ein Problem mit Gott haben und letztendlich Sünder sind. Vielleicht erinnert ihr euch noch von eurem eigenen Bibellesen, was die Männer dann sagten und wie sie schrien. Ihr Ruf war doch: „Liebe Brüder, was sollen wir tun?“

Diese Worte von Petrus gingen ihnen tief durchs Herz. Der Psalmist weiß, dass er nichts zu bringen hat. In seiner großen Not fleht er zu Gott. Unsere Täuflinge haben ihre Not erkannt und zu Gott um Rettung gerufen. Ich hoffe, dass heute niemand hier unter uns nach Hause geht, ohne seine Not erkannt zu haben oder ohne den Mut, zu Gott zu flehen. Denn er ist der richtige Adressat.

Das sehen wir dann in Vers 4: „Aber bei dir ist die Vergebung, dass man dich fürchtet.“ Was für ein frohes Wort! Übrigens ist das der Grund, warum ich die Schlachterübersetzung verwende – genau dieses Wort steht dort. Dieses „Aber“ ist die große Hoffnung, die Wende in diesem Psalm: Bei Gott ist Vergebung. Bei ihm kann man die ganze Sündenlast loswerden.

Der Psalmist erkennt in seinem Ringen mit Gott, in seinem Rufen und Flehen, dass Gott ihm diese Erkenntnis schenkt: „Bei dir ist Vergebung.“ Aus seinem verzweifelten Flehen wird plötzlich Zuversicht. Diese Zuversicht führt aber nicht zu einer neuen Leichtigkeit im Sinne von „Dann ist ja sowieso alles egal“, sondern zu einem guten Fürchten vor Gott.

„Bei dir ist Vergebung, dass man dich fürchte.“ Das ist eines dieser biblischen Worte: Gottesfurcht. Die meisten Menschen in dieser Welt kennen das nicht. Ich gehe davon aus, dass Horst und Gladys viele Jahre ohne Gottesfurcht gelebt haben. Ich weiß, dass das auf mich zutrifft: 26 Jahre meines Lebens kannte ich keine Gottesfurcht. Ich verdrängte, dass es Gott gibt. Wenn ich doch mal an Gott dachte, übersah ich zumindest, dass Gott heilig ist, ich ein Sünder bin und vor ihm nicht bestehen könnte.

Ich kannte keine Gottesfurcht. Aber wenn Gott in seiner Gnade eingreift und unsere Augen öffnet, so dass wir erkennen, wer wir wirklich sind und wer er wirklich ist, dann kann Gottesfurcht entstehen. Diese erste Gottesfurcht ist oft eine Furcht, die mit Angst verbunden ist. Ich weiß, wie das in meinem Leben war: Ich hatte Angst, richtige Angst.

Doch das ist nicht der Punkt, an dem wir stehen bleiben sollten. Wenn wir erkennen, was der Psalmist erkennt – nämlich dass bei Gott Vergebung ist – dann wandelt sich diese Angst vor Gott in eine angemessene, biblische Gottesfurcht. Diese wird zu einer ehrfürchtigen, dankbaren Gottesfurcht. Das ist die gute Gottesfurcht, von der hier die Rede ist.

Eine solche Gottesfurcht ist sehr gesund und hilfreich. Sie bewahrt uns vor einem leichtfertigen Umgang mit Sünde. Sie zeigt uns immer wieder deutlich: Gott ist heilig, aber er ist auch gnädig. Das erkennt der Psalmist hier offensichtlich. Das ist kein Zufall, denn auch im Alten Testament gab es schon ein klares Zeugnis von einem Gott, der gleichzeitig gnädig und vollkommen gerecht ist.

Eine bekannte Stelle im Alten Testament findet sich im 2. Buch Mose, Kapitel 34. Dort lesen wir, wie Mose danach verlangt, Gott zu sehen. Gott antwortet, dass Mose ihn zwar nicht sehen kann, aber er lässt ihn von hinten den Saum seines Gewandes sehen und seine Stimme hören. Gott stellt sich selbst vor und sagt: „Ich bin der Herr, Gott, barmherzig und gnädig, geduldig und von großer Gnade und Treue, der Tausenden Gnade bewahrt und Missetat, Übertretung und Sünde vergibt.“

Gnade, Gnade, Gnade – Vergebung! Aber ungestraft lässt er niemand. Er sucht die Missetat der Väter heim an Kindern und Kindeskindern bis ins dritte und vierte Glied. Wie kann das sein? Diese Worte werden oft als das große Rätsel des Alten Testaments beschrieben.

Dieses große Rätsel findet seine Auflösung im Neuen Testament. Die Auflösung liegt in Jesus Christus, denn bei ihm kommen Gottes Gnade und seine Gerechtigkeit zusammen. Jesus Christus lebte ein vollkommen gerechtes Leben. Er tat immer, was Gott wollte, und musste das Gericht Gottes nicht fürchten. Er, der ewige Sohn Gottes, war frei von aller Schuld.

Doch er nahm die Schuld aller auf sich, die zu ihm kommen, sich ihm zuwenden, zu ihm flehen und ihm ihre Schuld bringen. Er gab sein Leben, damit Gott gerecht richten konnte. Diese Schuldübernahme geschah am Kreuz, als Jesus starb – der Unschuldige für die Sünde – damit gleichzeitig die Gerechtigkeit erfüllt und Gott allen gnädig sein kann, die an ihn glauben.

Ich glaube, wenn wir das verstanden haben – wenn wir verstehen, wie ein gerechter Gott gleichzeitig ein Gott sein kann, der Sünden vergibt – wenn wir verstehen, dass Gott nicht einfach ein Kumpel ist, der mal Fünfe gerade sein lässt und sagt: „Pasch schon“ –, dann kommen wir zu einer angemessenen Gottesfurcht, zu einer ehrfürchtigen Gottesfurcht.

Das ist das, was Gott in euren Herzen gewirkt hat. Horst und Gladys, ihr durftet das erkennen. Wie viel der Psalmist davon erkannt hat, weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass wir alle Gottes Gnade brauchen.

Es ist mein Wunsch für uns alle, dass wir das erkennen: dass wir nicht im Sinne des „Wir schaffen das schon irgendwie“ vor Gott bestehen wollen, sondern dass wir zu ihm fliehen und in angemessener Gottesfurcht erfahren, dass Gott ein gnädiger Gott ist.

Vom Flehen zur Zuversicht: Warten auf den Herrn

Das ist etwas, was auch wir Christen immer wieder tun sollten. Lasst uns dem Vorbild des Psalmisten folgen, immer wieder auf uns selbst schauen und erkennen, wo Dinge in unserem Leben nicht in Ordnung sind. Lasst uns nicht vor Gott verstecken – das können wir sowieso nicht und sollten es auch nicht versuchen. Das ist eine Lüge Satans. Stattdessen lasst uns zu Gott fliehen, gerade wenn wir unsere Schuld sehen. Bringen wir sie zu ihm und nehmen wir die Zusage an, dass bei ihm Vergebung ist.

Du kannst vor Gott bestehen, so wie du bist, weil Jesus Christus alles für dich getan hat. So kann aus Angst und Flehen Zuversicht und Hoffnung werden. Genau das erlebt auch der Psalmist. In den Versen fünf und sechs sehen wir, wie aus seiner Angst und seinem Flehen eine Zuversicht geworden ist – eine Zuversicht, die noch nach vorne schaut.

„Ich harre auf den Herrn“, heißt es dort, „meine Seele harrt, und ich hoffe auf sein Wort. Meine Seele harrt auf den Herrn mehr als der Wächter auf den Morgen, mehr als die Wächter auf den Morgen.“ Der Psalmist bekennt, dass seine Not noch nicht gelindert ist, sein grundsätzliches Problem noch nicht komplett gelöst. Er befindet sich noch im Wartestand, aber er ist jetzt voller Hoffnung und Zuversicht. Er wartet so wie ein Wächter, wie die Wächter auf den Morgen.

Dieses Bild mag uns in Zeiten von elektrischem Strom und Taschenlampen etwas fremd sein. Doch wir können es uns vergegenwärtigen: Die Wächter damals waren draußen, weil es Bedrohungen gab und weil es etwas zu bewachen gab. Es war kein Hobby, sondern eine ernste Aufgabe. Es war dunkel, und hier knackt ein Ast. Die Frage ist: Ist da etwas? Ist da eine Bedrohung? Vielleicht hört man in der Ferne das Heulen von Wölfen, dann plötzlich Stille. Sind sie weg oder ganz nah? Man kann nichts sehen, es ist dunkel.

Das Einzige, worauf der Wächter dann hofft, ist, dass irgendwann die Sonne aufgeht, dass der Morgen kommt, damit die Gefahr beseitigt ist und er wieder sehen kann, was los ist. Ich weiß nicht, ob ihr schon einmal irgendwo nachts wart, wo ihr euch unsicher gefühlt habt und warten musstet. Dann kommt Sehnsucht auf – Sehnsucht danach, dass der Morgen kommen möge. Die Nacht mag sehr lange erscheinen, aber der Psalmist hat die Gewissheit: Der Morgen wird kommen.

Viele hundert Jahre später war es dann so weit: Die Nacht war vorbei, und es wurde Morgen. Ein helles Licht ging auf – Jesus Christus kam in diese Welt, genauso wie Gott es im Alten Testament immer wieder verheißen hat. Darauf hofft der Psalmist: „Ich harre auf den Herrn, meine Seele harrt, und ich hoffe auf sein Wort.“ Jesus Christus ist gekommen.

Wir müssen nicht mehr nur nach vorne schauen und hoffen, dass es irgendwie klappen kann, dass Gott wirklich, wie er zugesagt hat, Gnade und Gerechtigkeit zusammenbringt. Wir wissen, es ist geschehen. In gewisser Weise können wir also zurückschauen, wo der Psalmist noch nach vorne schauen muss.

Doch andererseits sind auch wir noch im Wartestand. Wir leben noch in einer Welt, in der nicht alle Not gelindert ist, in der die Krisen nicht alle vorbei sind. Auch wir leiden noch, rufen noch zum Herrn, flehen um Hilfe und leiden auch darunter, dass wir selbst immer wieder Dinge tun, die falsch sind. Ich hoffe, wir leiden auch unter unseren eigenen Sünden.

Der Psalmist kennt diese Situation und den Ruf zum Herrn. Ich möchte uns einladen, dasselbe zu tun – in der Hoffnung und in der festen Gewissheit, dass eines Tages alles Leid, das uns andere zufügen, das, was wir erleiden, weil wir in der gefallenen Welt leben, und das, was wir selbst durch die Sünde in unserem Leben verursachen, eines Tages der Vergangenheit angehören wird.

Ich bete, dass wir mehr und mehr Sehnsucht bekommen – die Sehnsucht, die der Psalmist hier hat. Dass wir nicht einfach so locker und leicht durchs Leben gehen, sondern eine wirkliche Sehnsucht danach haben, heilig zu sein, so wie Gott heilig ist. Dass wir mit ihm ungestört in engster Gemeinschaft leben und seine Herrlichkeit genießen können.

Möge Gott uns diese Zuversicht und diese Hoffnung geben, auf dass wir harren wie die Wächter auf den Morgen.

Schließlich sehen wir in Versen sieben und acht, dass der Psalmist seine neu gewonnene Zuversicht nicht für sich behalten kann. Das Problem ist noch nicht gelöst, aber seine innere Einstellung hat sich komplett gewandelt. Denken wir an den Anfang zurück: Er fleht, er ruft um Hilfe. Jetzt aber ruft er zu anderen: „Israel, hoffe auf den Herrn, denn bei dem Herrn ist die Gnade, und bei ihm ist die Erlösung in Fülle. Ja, er wird Israel erlösen von allen seinen Sünden.“

Ich finde hier zwei Dinge ganz interessant: Zum einen, wie der Psalmist in seiner Stimmung total gewandelt ist – durch sein Schauen auf Gott, sein Nachdenken über Gott. Zum anderen, was er dann Israel sagt, also dem Volk, zu dem er gehört und das um ihn herum lebt.

Er sagt diesen Menschen letztlich: „Schaut, Leute, ihr habt ein großes Problem – eure Sünden.“ Er erklärt, wo sie Hilfe finden können: „Beim Herrn, kommt zu Gott!“ Und er verkündet, warum es für Israel Hoffnung gibt: „Denn bei dem Herrn ist die Gnade.“

Israel musste daran erinnert werden. Israel hat das immer wieder aus dem Blick verloren. Israel hat immer wieder vergessen, dass das größte Problem des Volkes nie die äußeren Bedrohungen waren. Israel hatte viele Bedrohungen, viele Leiden, die in ihr Leben kamen. Aber das war nicht die größte Not.

Prophet um Prophet kam von Gott gesandt zum Volk Israel, um was zu tun? Um dem Volk zu sagen: „Schau, dein größtes Problem ist nicht, dass da Feinde sind oder dass eine Bedrohung besteht oder dass du in der Wüste vielleicht verhungern würdest. Ich bin Gott, ich sorge für euch, ich kenne deine Not. Ich werde dich manchmal durch diese Not durchgehen lassen, aber ich bin immer bei dir. Ich weiß, was du brauchst.“

„Nein, deine größte Not ist, dass du mich aus dem Blick verloren hast, dass du gegen mich gehandelt hast.“ So rufen die Propheten das Volk Israel immer wieder dazu auf: „Tut Buße, kehrt um, kommt zu mir zurück, vertraut auf mich!“ Und dann erlebt das Volk, dass Gott für sie sorgen wird.

Der Psalmist wird hier zu so einem Propheten für sein Volk. Er ruft sie zurück. Er sagt: „Euer Problem könnt ihr nicht selbst lösen, im Sinne von ‚Schaffen wir es schon‘. Nein, wir brauchen Gnade. Israel braucht Gnade.“ Der Psalmist ist einer in diesem Volk, der das erkennen durfte. So wird er zum Weitersager, zum Botschafter dieser frohen Nachricht.

Horst und Gladys, ihr seid so wie der Psalmist Menschen, die diese großartige Nachricht hören und glauben durften. Was meint ihr, warum Gott euch in die Beziehung hineingestellt hat, in der ihr heute seid? Wer sind die Menschen um euch herum, die diese Hoffnung und auch diese Erkenntnis noch nicht haben?

Ihr bekennt euren Glauben gleich hier in der Taufe vor vielen Zeugen. Es ist ein kleiner Schritt eures Jüngerseins. Geht diesen Weg weiter, immer wieder, immer weiter. Denn da sind viele Menschen, die diese Nachricht hören müssen.

Ja, in der Tat gilt das auch für uns alle, auch wenn unsere Taufe vielleicht schon viele Jahre oder Jahrzehnte zurückliegt. Wenn unser Herz erfüllt ist von der großen Gnade Gottes, dann wird unser Mund davon nicht schweigen.

Ich weiß von mir selbst, und ich kann mir vorstellen, dass es bei vielen von uns so ist, dass wir manchmal träge werden. Warum? Weil wir aus dem Blick verlieren, wer wir sind: Menschen, die völlig abhängig sind von der Gnade Gottes, die vor Gott nicht bestehen könnten, wenn er unsere Sünden anrechnen würde.

Und weil wir vergessen, wer Gott ist: ein heiliger Gott, der gleichzeitig vollkommen gerecht ist und deswegen seinen einen geliebten Sohn für uns am Kreuz aufopfern musste. Gleichzeitig ist er so gnädig, dass er jeden, der zu ihm kommt, annimmt und ihm seine Sünden vergibt.

So bete ich, dass diese Predigt, dass dieser Psalm uns heute hilft, uns neu darauf zu besinnen, was Gott in unserem Leben tut, wenn er uns die Augen öffnet für die Wahrheit über uns selbst und die Wahrheit über ihn. Dass wir seine Gnade erkennen und wieder neu erfüllt werden von Freude und Begeisterung über sein Werk im Leben von Horst und Gladys, aber auch in dem, was er in unserem Leben jeweils getan hat.

Und dass wir dann zu den Menschen in unserem Umfeld gehen und diese gute Nachricht weitersagen, sodass bei den Menschen, die heute noch in der Tiefe sitzen und um Hilfe flehen und gar nicht wissen, wohin damit, neue Zuversicht entstehen kann – Hoffnung und Gewissheit, dass Gott ein Gott der Gnade ist, der uns rettet und uns eines Tages freimachen wird von aller Not.

Diesen Gott möchte ich preisen in einem Schlussgebet:

Himmlischer Vater, danke, danke für deine Gnade, die neu ist jeden Morgen. Danke, dass du uns nicht belassen hast in unserer Ignoranz, in unserem Denken, dass wir irgendwie schon okay sind. Danke, dass du uns gezeigt hast, wer wir wirklich sind. Danke, dass du uns durch deinen Geist überführt hast von unserer Schuld. Danke, dass du uns den Ausweg gezeigt hast in Jesus Christus. Danke, dass jeder, so wie er ist, zu dir kommen kann und Vergebung seiner Schuld finden darf. Danke, dass Horst und Gladys das erleben durften.

Ich bete, dass heute niemand hier beladen mit Schuld nach Hause geht. Dass die, die vielleicht schon lange mit dir gehen, einfach neu ihre Schuld bei dir abladen und befreit nach Hause gehen können. Und die, die das vielleicht noch nie getan haben, heute erfahren, was es heißt, einen gnädigen Gott zu haben.

Wir preisen dich, unseren Retter und Herrn. Amen.

Schlussgebet: Dank für Gottes Gnade und Vergebung

Diesen Gott möchte ich in einem Schlussgebet preisen.

Himmlischer Vater, danke, danke für deine Gnade, die jeden Morgen neu ist. Danke, dass du uns nicht in unserer Ignoranz gelassen hast, in unserem Denken, dass wir irgendwie schon okay sind. Danke, dass du uns gezeigt hast, wer wir wirklich sind.

Danke, dass du uns durch deinen Geist von unserer Schuld überführt hast. Und danke, dass du uns den Ausweg in Jesus Christus gezeigt hast. Danke, dass jeder, so wie er ist, zu dir kommen kann und Vergebung seiner Schuld finden darf. Danke, dass Horst und Gladys das erleben durften.

Ich bete, dass heute niemand mit Schuld beladen nach Hause geht. Dass diejenigen, die vielleicht schon lange mit dir gehen, ihre Schuld einfach neu bei dir abladen und befreit nach Hause gehen können. Und dass die, die das vielleicht noch nie getan haben, heute erfahren, was es heißt, einen gnädigen Gott zu haben.

Wir preisen dich, unseren Retter und Herrn. Amen.