Liebe Gemeinde,
so wie bei der Einweihung des damals renovierten Gemeindehauses in Schörndorf, als ein Mäzen einen schönen Flügel gestiftet hatte, war dies auch eine Anregung für uns. Haben Sie das mitbekommen? Die Pianistin Dora Metzger kam zur Einweihung und spielte natürlich Werke von Johann Sebastian Bach.
Das war so beeindruckend, dass am Ende des Konzerts der Beifall nur sehr zögerlich einsetzte. Jeder spürte, dass es eigentlich schade wäre, nach dieser Musik jetzt so laut mit den Händen zu klatschen. Doch schließlich kam der Beifall doch.
Dora Metzger merkte, dass noch eine Zugabe gewünscht wurde. Zögerlich setzte sie sich an den Klavierstuhl und sagte verhalten: „Wohl mir, dass ich Jesus habe.“ Es war ein Titel von Johann Sebastian Bach, bei uns eher bekannt als „Jesus bleibt meine Freude“. Dieses Stück war ein Bekenntnis der Pianistin und zugleich eine Hilfe, das Entscheidende am Schaffen von Johann Sebastian Bach zu verstehen.
Johann Sebastian Bach hat über die meisten seiner Werke die zwei Buchstaben „J. J.“ geschrieben, was für „Jesu, Juwa“, also „Jesus hilf“, steht. Diese Werke sollten zur Verherrlichung Gottes sein.
Die Bedeutung von Johann Sebastian Bachs Musik und Glaubensbekenntnis
Und das war dann besonders beeindruckend: dieser Doppelklang – wohl mir, dass ich Jesus habe, und Jesus bleibet meine Freude.
Dennoch bleibst du auch im Leide, Jesus, meine Freude. So hat uns eindrücklich ja auch unser Kirchenchor immer wieder interpretiert und herzgesungen.
Und das ist das Leitthema auch des Bibelabschnittes, der uns heute bewegen soll beim Hören auf Gottes Wort.
Aber zuerst dürfen wir von Herrn Kirchkantor Grässle hören: „Dies wohl mir, dass ich Jesus habe, Jesus bleibend meine Freude.“ Das ist der Hintergrund – wohl mir, dass ich Jesus habe.
Wenn wir jetzt hören, was der Apostel Petrus seinen bedrängten Gemeinden geschrieben hat und was den Gemeinden in unserem Vaterland heute als Bibelwort mitgegeben ist, so hören wir: „Seid stille und erkennt, dass ich der Herr bin.“
Die Berufung und das Vorbild Christi im Leiden
In unserem Predigtprogramm lesen Sie auf der zweiten Seite: „Denn dazu seid ihr berufen. Da auch Christus gelitten hat für euch.“
In den früheren Textsammlungen für die Predigtabschnitte begann es mit einer Erinnerung an Christus. Auch Christus hat gelitten für euch und euch ein Vorbild hinterlassen. Ihr sollt seinen Fußstapfen nachfolgen. Er, der keine Sünde getan hat, in dessen Mund sich kein Betrug fand, der nicht widerschmähte, als er geschmäht wurde, und nicht drohte, als er litt. Er stellte es aber dem anheim, dem Gott, der gerecht richtet.
Dieser Gott hat unsere Sünde selbst hinaufgetragen an seinem Leib auf das Holz, damit wir der Sünde abgestorben sind und der Gerechtigkeit leben. Durch seine Wunden seid ihr heil geworden. Denn ihr wart wie irrende Schafe, aber ihr seid nun bekehrt zum Hirten und Bischof eurer Seelen.
Ihr lieben Christen, das war ein Ruf zur Sache, eine Erinnerung daran, was entscheidend ist, wenn wir Christen sind. Christliche Moral ist gut. Zurzeit wird viel diskutiert über Ethik und Werte, aber das ist noch einmal etwas anderes.
Der lebendige Jesus Christus hält mich, auch wenn ich viel von Ethik und Werten weiß, zurück von den Abgründen, an denen ich stehe. Dies geschieht durch die Stimmen aus meinem Innern selbst, die verursacht werden.
Christliche Sitte ist gut. Wir wissen es von Gemeinden, in denen keine Sitte des Kirchgangs mehr da ist, was dort im ganzen Gemeinwesen fehlt. Aber das ist noch einmal etwas anderes als christliche Sitte, wenn wir den lebendigen Jesus haben, ihr Lieben, Christus.
Die Bedeutung des lebendigen Jesus in schweren Zeiten
Theologie ist wunderbar und auch notwendig, um sich Gedanken über den Glauben zu machen. Gerade wenn die Emotionen und christlichen Gefühle schnell verblassen, ist das wichtig. Doch wichtiger als Gedanken ist der lebendige Jesus, unser lieber Christus.
Wenn Sorgen uns überfallen, wenn es plötzlich eng wird, wenn das Herz zu rasen beginnt und die schlimmen Stunden schlaflos in der Nacht kommen – aus Angst, wie es weitergehen soll mit der Gesundheit, mit der Zukunft der Familie und der Enkel –, dann lieben wir Christus. Es ist doch nicht alles, was da deine Emotionen hochspülen an Ängsten und Traurigkeit.
Jesus hat das gekannt. Über seine Lippen kam: „Mein Gott, hast du mich verlassen? Und wenn ja, warum?“ Doch das Letzte, was Jesus bezeugt hat, war ein Wort großer Gottesnähe und Gottesgewissheit: „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.“ Mitten im Leiden, ihrem Leben, Christus, können wir des lebendigen Gottes gewiss werden.
Damals hat der Apostel Petrus den Gemeinden geschrieben, die furchtbar entrechtet, bedrängt, verfolgt und verachtet waren – so wie Christen heute in Nigeria oder Nordkorea bedroht sind. Die Angst weist doch auf Gott um uns hin. Muss es bei Jesus nicht nur Siege geben? Wie kann es sein, dass wir so in der Not sind, ihr Lieben, Christus?
Die höchste Gottesstunde des Heils war, als er gelitten hat, als Gott das Heil der Welt gewirkt hat, als er das Leiden auf sich nahm. All das, was uns von Gott trennen müsste, hat er selbst hinaufgetragen an das Kreuz, ihr lieben Christus.
Leiden als Teil der Gottesgeschichte und christliche Hoffnung
Es kann sich mitten im Leiden eine große Gottesgeschichte mit euch ereignen – mitten in der Not, in der Trauer, in der Einsamkeit. Ein Ruf zur Sache ist das zu allen Zeiten in der Christenheit gewesen: Elend, Not, Kreuz, Schmach und Tod sollen mich, ob ich viel muss leiden, nicht von Jesus scheiden.
Einst, als junger Pfarrer, wurde ich einmal ins Feuerbacher Krankenhaus gerufen zu einer schwerkranken Frau, Ärztin, fünf Kinder. Sie fragte: „Warum stellt mich denn der Herr Jesus auf die Seite? Ist etwas in meinem Leben falsch gelaufen?“ Damals musste ich einfach sagen: Der Jesus hat doch auch gelitten, und der Vater war ganz bei ihm. Das war die Stunde, die der Vater gewollt hat, da er seine Wunder tat.
Ich habe es erlebt, wie selten, dass sich die verspannten Gesichtszüge der Patientin entspannten.
Es könnte uns ja als billiger Trost vorkommen, wenn man einem Schwerkranken sagt: „Du, Jesus hat auch gelitten.“ Nein, das ruft zur Sache: Ihr Lieben, Christus versteht dich, er kennt dich und er will da sein. Ihr Lieben, Christus hat für uns gelitten, denn wir waren einst wie irrende Schafe, aber nun sind wir bekehrt zum Hirten und Bischof unserer Seelen!
Das hat Petrus aufgenommen, was der Herr Jesus gesagt hat: „Meine Schafe hören meine Stimme, ich kenne sie, sie folgen mir, ich gebe ihnen das ewige Leben“ (1. Petrus 2,25).
Die menschliche Schwäche und die Bekehrung zu Jesus
Vereint wie irrende Schafe
Wir sind auseinandergegangen und haben uns selbst nicht mehr erkannt, wenn Emotionen wie Angst, Einsamkeit, Zorn oder Hass über Menschen, die Unrecht tun, über uns kommen. Diese Gefühle sind stärker als alles, was wir uns in guter Absicht vorgenommen haben.
Petrus war einer, der gesagt hat: „Herr Jesus, wenn du dich auf jemanden verlassen kannst, dann auf mich.“ Doch nur wenige Stunden später weinte er bitterlich über sich selbst, weil er sich selbst nicht gekannt hatte und sich als Versager fühlte.
Wir waren wie irrende Schafe. Aber etwas Großes steht in der Bibel: Wir sind zum Hirten Jesus bekehrt. Das Stichwort „Bekehrung“ wird in der Christenheit verwendet, um ein entschlossenes Ja zu Jesus auszudrücken.
Man kann nicht durchhalten, wenn es hart auf hart kommt, wenn man sich nur auf Gefühle, Traditionen oder angenehme Umstände verlässt. Ich habe als junger Mann in der Zeit des Nationalsozialismus in unserer schönen Johannesgemeinde in Stuttgart erlebt, wie vorbildliche Christen der Verführung erlagen und mitgerissen wurden.
Als unsere Mutter zu uns sechs Geschwistern sagte, dass man, wenn man bei Jesus bleiben will, wirklich einen heiligen Entschluss fassen muss – „Herr, ich möchte dir gehören, lass mich dein sein und bleiben“ – wussten wir, wie notwendig das ist.
Ich habe mich bekehrt. Petrus hat es auch gewusst, er wollte zu Jesus gehören. „Si omnes ego non“ – „Wenn alle anderen dich verlassen, ich nicht!“ Doch mit diesem guten Vorsatz ist er gescheitert.
In Johannes 21 wird im nachösterlichen Bericht geschildert, wie Jesus seinen Petrus gesucht hat. Als Auferstandener ist er ihm erschienen, ganz speziell für ihn. Jesus sagt: „Ich habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht aufhört. Petrus, komm, folge mir nach, du gehörst zu mir.“
Die persönliche Beziehung zu Jesus als Hirte und Bischof
Otto Tibelius, der große Bischof von Berlin-Brandenburg, war ein vorbildlicher Christ und Asket, ohne Fehl und mit gesundem politischen Urteil. Er hat ein Buch geschrieben mit dem Titel „Jesus von Nazareth“. Darin beschreibt er, wie Jesus als der lebendig Auferstandene in der Mittelmeerwelt Menschen gesucht und zu sich gerufen hat.
Weiter schildert er, wie Jesus dann im Frankenreich bei den Germanen wirkte. Das letzte Kapitel trägt den Titel „Am Schluss sucht er auch mich“. Für Tibelius war dies wichtiger als ein gesundes politisches Urteil oder ein Verhalten ohne Makel und Ausreißer.
Er sagt: „Ich, der Bischof von Berlin-Brandenburg und Vorsitzender des Rates der EKD in Deutschland, habe einen Hirten, den wahren Bischof.“ Möge Gott es uns schenken, dass auch wir das sagen können – wir irrenden Schafe, die oft getrieben sind von Lust und Unlust, von unseren Emotionen, von Angst und Einsamkeit.
Wie irrende Schafe sind wir berufen, geholt, geheilt und hingeführt zum wahren Hirten Jesus.
Der Wunsch nach Frieden und die Kraft der Musik
Und ein Drittes ist mir wichtig: der Ruf zur Sache. Wir waren irrende Schafe, die zu Jesus, dem wahren Hirten und Bischof, hingeführt wurden. Der ewig reiche Gott wolle uns in unserem Leben einen immer fröhlichen Herz und edlen Frieden geben.
Nachher wird uns Herr Gräsle eine Fassung von Johann Sebastian Bach spielen. Mir sind die Melodien von Johann Sebastian Bach als junger Posaunenbläser lieb geworden: „Gott ist mein Schild und Hilfsmann, ich habe meinen Sachgott heimgestellt.“ Schon die Melodien und Melodiefassungen von Johann Sebastian Bach sind so tief bewegend und eindrücklich. Auch wenn wir sie damals bloß auf verbeulten Posaunen gespielt haben, war es schön.
Aber noch ergreifender und noch wichtiger sind die Texte, die uns Johann Sebastian Bach interpretiert hat. Wenn ich noch einmal Pfarrer werden könnte, würde ich ein paar Jahre hindurch mittwochs Bibelstunden über Choräle mit Bibelhintergrund halten – kondensierte Bibel, Choräle, die uns die Bibel lieb machen, nicht irgendwelche Stimmungen.
Da war bestimmt auch der Choral „Ich habe meinen Sachgott heimgestellt“ dabei. Petrus hat das aufgenommen, was hier im ersten Petrusbrief steht: Er stellte es dem anheim, der da Recht richtet. Er hat sich nicht gewehrt, Herr Jesus, nicht geschwächt, nicht gedroht. „Vater im Himmel, nimm dich drum an!“
Mit dem lebendigen Gott gerechnet, ihr liebenden Christen! Dieser Christus hat uns wichtig gemacht. Seht, was verzagst du doch? Auch eine große Melodiefassung von Johann Sebastian Bach: „Leb doch unser Herrgott noch, Gott ist mein Schild und Helfer, ich habe meinen Sachgott heimgestellt.“
Vertrauen auf Gott in allen Lebenslagen
Der lebendige Gott, der Unvorstellbares wirken kann und der Halt unseres Lebens ist. Es hat uns nicht nur die Hand Sebastian Bachs wichtig gemacht, sondern ursprünglich waren es die ersten Apostel, die gesagt haben: Bei Christus, mit Christus haben wir gelernt, diesem Gott zu trauen – auch in schweren Stunden, wenn uns die Sorge überfällt, wenn wir seelisch eigentlich nicht mehr können, wenn wir Vertrautheit nicht mehr durchatmen können.
Gott ist mein Schild und Hilfsmann. Das Entscheidende am Christentum ist nicht Moral, nicht Sitte, nicht Theologie, sondern dass uns der lebendige Gott, dieser Christus, zugedacht ist. Und jetzt bräuchten wir eigentlich eine ganze Bibelstundenreihe, Zeit dafür. Kein Betrug war in seinem Mund, er hat nichts Böses getan. Passt denn dieser Christus überhaupt zu mir?
Ja, Christus hat für uns gelitten, ihn hat Gott für uns bestimmt, und er hat unsere Sünde, all das, was uns von Gott trennen müsste, weggenommen. Ach, der Petrus verquickt uns keine theologische Idee oder Theorie, er zitiert einfach nur Sätze aus Jesaja 53 und sagt: So ist es geschehen, so ist es in Kraft, und das gilt, damit wir nun der Gerechtigkeit leben können. Denn er, der Gottesknecht, der Gerechte, macht die Vielen gerecht.
Auf diesen Gott kann man sich verlassen, und jeder unserer Gottesdienste ist eine neue Ermutigung dazu, wieder sieben Tage lang in der Woche damit zu rechnen.
Die Zusage von Gottes Frieden und Gnade
Er ist da, ihr Lieben: Christus! Der ewig reiche Gott kann uns in unserem Leben erfahren lassen, dass er edlen Frieden schenken kann – auch für das gejagte, unruhige Herz.
Bonhoeffer hat von den aufgescheuchten Seelen gesprochen. Gott gibt edlen Frieden für diese aufgescheuchten Seelen. Noch wichtiger aber ist, dass er uns in seiner Gnade erhält.
So möge unser Blick wie bei Niklas Auge immer wieder nach vorne gerichtet sein. Er erlöst uns aus aller Not – hier und dort. Amen.
