Ich freue mich, dass ihr gekommen seid und dass wir das neue Jahr heute in dieser ersten Versammlung gemeinsam beginnen dürfen. Zuerst mit dem Brotbrechen und jetzt mit dem Hören auf sein Wort.
Als ich darüber nachgedacht habe und auch still geworden bin, was ich weitergeben könnte, fiel mir Psalm 23 ein. Heute ist noch ein freier Sonntag, und der Römerbrief wird bald wieder fortgesetzt.
Psalm 23 ist einer der bekanntesten Texte der Bibel. Dennoch glaube ich, dass es gut ist, am Anfang eines Jahres ein so ermutigendes Wort zu hören und darüber nachzudenken.
Wollen wir Psalm 23 lesen? Ich habe zwar eine Elberfelder Bibel in der Hand, werde aber dennoch nach Luther lesen. Ich hoffe, ich komme dabei nicht durcheinander.
Ein ermutigender Jahresbeginn mit Psalm 23
Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf grünen Auen und führt mich zum frischen Wasser. Er erquickt meine Seele und führt mich auf rechter Straße um seines Namens willen.
Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, so fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir. Dein Stecken und Stab trösten mich. Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbst mein Haupt mit Öl und schenkst mir voll ein. Güter und Barmherzigkeit werden mir folgen alle Tage meines Lebens, und ich werde bleiben im Haus des Herrn immerdar.
Dieser Psalm ist wohl unbestritten die Perle aller Psalmen. Es ist ein unvergleichlich schönes Stück Poesie, das wahrscheinlich niemals übertroffen wurde. Aber wichtiger als die literarische Form dieses Gedichts, dieses Liedes, dieses Psalms ist für uns der Inhalt.
Wie viele Menschen hat dieser Psalm in den letzten dreitausend Jahren Trost, Kraft und Wegweisung gegeben! Und genau das erbitten wir jetzt auch am Anfang dieses neuen Jahres 2007 für uns.
Jemand hat einmal über Psalm 23 gesagt: Dieses göttliche Lied ist unter den Psalmen das, was die Nachtigall unter den Vögeln ist.
Wir wollen zunächst einmal ein paar Fragen klären.
Die Stellung von Psalm 23 im biblischen Kontext
Erste Frage: In welchem Zusammenhang steht Psalm 23 in der Bibel?
Wenn man sich Psalm 22 vorher anschaut, erkennt man, dass es sich um den großen Leidenspsalm handelt, den großen Passionspsalm des Alten Testaments. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ ist der große Leidenspsalm, den unser Herr Jesus am Kreuz wahrscheinlich vollständig gebetet hat, auch wenn die Evangelisten in ihren Passionsberichten nur einen Vers zitieren. Psalm 22 ist also der große Leidenspsalm.
Darauf folgt Psalm 23. Dieser Psalm ist der Psalm vom weidenden Herrn, vom großen Hirten, der mit der kleinen Herde unterwegs ist zur ewigen Hürde. Psalm 23 ist der Psalm des Hirten, der vom Weiden spricht – vom weidenden Herrn.
Psalm 24, der nächste Psalm, ist der große Adventspsalm. Er spricht von dem kommenden Herrn: „Macht die Tore weit und die Türen in der Welt hoch“ usw. Daran haben wir vor wenigen Wochen noch gedacht.
Glaubt ihr, liebe Geschwister, dass es Zufall ist, dass Psalm 23 genau zwischen diesen beiden Psalmen steht? Ich glaube nicht, dass das Zufall ist. Vielmehr hat der Geist Gottes bis in die Anordnung der Psalmen hinein geleitet, als die Bibel so entstanden, niedergeschrieben und zusammengestellt wurde.
Psalm 22 ist der leidende Herr, Psalm 23 der weidende Herr, Psalm 24 der kommende Herr. Der Hebräerbrief fasst all diese drei Psalmen in einem Vers zusammen und sagt: „Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit“ (Hebräer 13,8).
Das ist genau die Zusammenfassung dieser drei Psalmen.
Die Entstehung und das Bild des Hirten
Eine zweite Frage heute Morgen: Wann hat David wohl diesen Psalm verfasst? Saß er mit einem Instrument auf einem Stein in der Wüste oder wo hat er diesen Psalm geschrieben? Wo wurde er ihm geschenkt?
War es in seiner Jugend, als er noch auf den Hirtenfeldern von Bethlehem die Schafe seines Vaters hütete? Oder in der Mitte seines Lebens? Oder erst als er alt war? Wenn man bei verschiedenen Auslegern nachliest, bekommt man ganz unterschiedliche Meinungen dazu.
Ich persönlich glaube, dass David ihn erst im Alter seines Lebens niedergeschrieben hat. Denn dieser Psalm enthält eine so tiefe Lebensweisheit, dass er schwerlich von einem Teenager geschrieben sein könnte. Ich glaube auch nicht, dass er von einem Mann unter fünfzig Jahren stammt. Aber da sei jeder seiner Meinung gewiss. Entscheidend ist, dass wir diesen herrlichen Psalm haben.
Dann beginnt David sein Gebet mit den Worten: Der Herr ist mein Hirte. Er spricht also von Gott als von einem Hirten. Dieses Bild taucht schon früher in der Bibel auf, zum allerersten Mal im Ersten Mose Buch. In 1. Mose 48,15 sagt der Greis Jakob, als er den Stamm Josephs segnet: „Der Gott, vor dem meine Väter Abraham und Isaak gewandelt sind, der Gott, der mein Hirte gewesen ist mein Leben lang bis auf diesen Tag.“
Wisst ihr, wie alt Jakob war, als er diese Aussage machte? Einhundertsiebenundvierzig Jahre. Und er sagt: „Der Gott, der mein Hirte gewesen ist mein Leben lang.“ Das ist großartig, wenn Menschen am Ende ihres Lebens zurückblicken und sagen können: „Der Gott, der mein Hirte gewesen ist, der ist mit mir gegangen bis jetzt ans Ende meines Lebens.“
Vor wenigen Tagen nahm ich an einer Beerdigung teil. Dort wurde eine liebe alte Glaubensschwester beerdigt, die im Alter von 88 Jahren heimgegangen war. Ich hatte sie zwei Wochen vor ihrem Heimgang noch besucht, am 20. Dezember. Es ist gerade erst zweieinhalb Wochen her, dass ich sie besucht hatte.
Sie bezeugte mir auch, dass der Herr ihr Hirte gewesen ist ihr Leben lang. Sie war bereit und sagte mir: „Ich bin bereit, heimzugehen.“ Aber keiner dachte daran, dass es schon so schnell sein würde. Nur noch zwei Wochen später, am letzten Tag des vergangenen Jahres, ist sie heimgegangen in die Ewigkeit.
So wie Jakob am Ende seines Lebens, so bekennt auch David: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“ Das Bild vom Hirten greift also einerseits zurück bis auf Jakobs Segen in 1. Mose 48, aber zum anderen weist das Bild auch prophetisch hinaus auf den, der von sich gesagt hat: „Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe.“
Darum ist nun ein kleines Wörtlein, ja ein Buchstabe, von ganz gewaltiger Bedeutung. David sagt nicht: „Der Herr ist ein Hirte.“ Er sagt: „Der Herr ist mein Hirte.“ Auf diesem Buchstaben M kommt alles an. An ihm hängt unser zeitliches und ewiges Schicksal.
Niemand hat das Recht, sich als Schaf des Herrn zu betrachten, wenn Jesus Christus nicht sein Erlöser und Herr geworden ist. Die Bibel nennt unbekehrte Menschen nicht Schafe, sondern Wölfe oder Böcke. Das ist die Terminologie der Bibel, die Ausdrucksweise der Bibel: Wölfe oder Böcke.
Jetzt ist es vielleicht nicht offenbar, wer hier in diesem Raum auf welcher Seite steht und wie es um jeden einzelnen hier bestellt sein mag. Aber es wird offenbar werden. Der, der alle Völker einmal vor sich versammeln wird, wird sie voneinander scheiden, sagt die Bibel. Gleich wie der Hirte die Schafe von den Böcken scheidet.
Er wird die Schafe zu seiner Rechten stellen und die Böcke zu seiner Linken. Dann wird er zu denen zu seiner Rechten sagen: „Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt.“
Und er wird zu denen zu seiner Linken sagen: „Geht hin, ihr Verfluchten, in das Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln.“ So lesen wir in Matthäus 25.
Die persönliche Entscheidung für den guten Hirten
Darum sage ich immer wieder den Männern unter meiner Verkündigung, auch heute Morgen hier den Männern: Ihr Männer, es ist zu wenig, wenn eure Frauen bezeugen können: Der Herr ist mein Hirte. Das ist zu wenig für euch.
Und es ist zu wenig, das sage ich den Kindern, die hier sind, wenn eure Eltern bezeugen können: Der Herr ist mein Hirte. Ihr müsst es selbst sagen können.
Auch wenn Enkel hier sind, die sagen könnten: Meine Großeltern gehen mit dem Herrn, musst du es als Enkel selbst sagen können. Niemand anders kann das für dich bekennen. Du musst sagen können: Der Herr ist mein Hirte.
Bist du ein Schaf Jesu Christi?
Als unsere Kinder klein waren, habe ich oft abends mit ihnen am Bett gesungen:
"Weil ich Jesu Schäflein bin, freue ich mich nur immerhin über meinen guten Hirten, der mich wohl weiß zu bewirten, der mich liebt, der mich kennt und bei meinem Namen nennt."
Oder verachtest du es, ein Schaf Jesu Christi zu sein?
Ich weiß, in dieser Welt ist das kein großer Ehrentitel. Wenn jemand sagt: Du Schaf, ist man nicht gerade geschmeichelt. Aber Wilhelm Busch hat dazu mal angemerkt: "Lieber ein Schaf Jesu Christi als ein Hammel in der Welt."
Also sei gerne ein Schaf Jesu Christi und bekenne es von ganzem Herzen: Der Herr ist mein Hirte.
Die Zusage der Versorgung und Fürsorge
David spricht von verschiedenen Lebenssituationen, in die er wohl im Laufe seines Lebens geraten ist. Er sagt: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“ Er könnte Mangel leiden, doch weil der Herr sein Hirte ist, kann er alle seine Bedürfnisse erfüllen.
So darf auch ein Christ heute sprechen, denn der Herr Jesus ist gekommen, um Leben im Überfluss zu bringen. Bei ihm findet ein Christ alles – nicht, weil er ein großes Bankkonto hat oder weil er besonders tüchtig ist, sondern weil der Herr sein Hirte ist.
Der englische Prediger Spurgeon, den wir vom Namen her natürlich alle kennen, hat einmal gesagt: „Gottlose leiden immer Mangel, Gläubige nie.“ Das Herz des Sünders ist nie zufrieden, aber Gotteskinder leben in herrlicher Zufriedenheit. „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“
Vielleicht haben auch Christen nicht alles, was sie sich wünschen. Es heißt nicht, dass alle unsere irdischen, materiellen oder persönlichen Wünsche erfüllt werden. Dennoch könnten sie mit David sagen: „Mir wird nichts mangeln“, denn Gott selbst wird all ihren Mangel ausfüllen.
Das können auch Menschen sagen, die Verlust erlebt haben und loslassen mussten. Die Schwester, die am Donnerstag beerdigt wurde, hat einen Mann zurückgelassen, der fast 92 Jahre alt ist. Er saß im Rollstuhl am offenen Grab. Das ist nicht leicht für einen Menschen, wenn man sechzig Jahre in der Ehe zusammengelebt hat und dann einen geliebten Menschen loslassen muss, der in die Erde gelegt wird.
Doch beide waren gläubig. Dieser Mann, mein Onkel, ist mit seinen fast 92 Jahren gläubig und weiß sich geborgen im Herrn.
Ja, das sind angenehme Jahre, wenn uns nichts mangelt, wenn der Herr uns auf grünen Auen weidet, wenn er uns zu frischen Wassern führt und wenn er unsere Seelen erquickt – zum Beispiel in so schönen Gottesdiensten. Das sind angenehme Jahre.
Aber es können auch andere Jahre kommen. Und wie gut ist es dann, wenn wir auf den grünen Auen Kraft gesammelt haben!
Die Bedeutung der grünen Auen und stillen Wasser
Wisst ihr, die Schafe im Orient fressen am Morgen, wenn es noch kühl ist. Mittags wäre es viel zu heiß für sie. Wenn sie am Morgen nichts zu sich genommen haben, plagt sie am Mittag die Sonne von außen und der Hunger von innen.
Sie müssen also in den kühlen Morgenstunden ihre Nahrung aufnehmen, damit sie die Hitze des Tages überstehen können. Für mich ist das ein doppeltes Bild.
Ich möchte am Morgen eines jeden Tages meine Nahrung aufnehmen. Da möchte ich meine Bibel lesen, über das Wort Gottes nachdenken und meine Seele nähren – am Morgen eines Tages. Denn dann steigt die Sonne und die Hitze des Tages, und ich komme nicht ohne Stille vor dem Herrn durch.
Ich kann das Leben Gottes in dieser gefallenen Welt nicht ohne Stille vor dem Herrn leben.
Das Zweite, was dieses Bild sagt: Ich möchte gerne auf den grünen Auen meine Liebesbeziehung zu Jesus, dem guten Hirten, festigen. Ich möchte mich in den leichten Jahren meines Lebens so fest im Herrn verwurzeln lassen, dass mein Lebensbaum auch in den Stürmen standhalten kann.
Die Stürme werden kommen – darauf könnt ihr euch verlassen! Grüne Auen und stille Wasser sind Jahre, in denen Gott uns zu sich ziehen will. Gott will uns zur Umkehr leiten, und auch uns, die wir schon bei ihm sind, will er auf den grünen Auen enger mit sich verbinden und tiefer in ihm verwurzeln.
Gott will verlorene Schafe zur Herde führen, aber auch die Schafe, die schon bei der Herde sind, möchte er ganz nah bei sich haben. Wohl uns, wenn wir uns auf den grünen Auen laben und uns eng mit dem Herrn verbinden lassen. Denn irgendwann kann auch das finstere Tal kommen, und davon spricht David danach.
Die Führung auf rechter Straße und die Nähe in finsteren Tälern
Er sagt: „Er führt mich auf rechter Straße um seines Namens willen.“
Als wir diesen Psalm mit unseren Kindern auswendig lernten, hat unsere Amelie immer wieder denselben Satz gesagt, wenn sie an diese Stelle kam: „Er führt mich auf rechter Straßenseite.“ Sie konnte sich das als Kind nicht anders vorstellen. Sie hatte immer gehört, man müsse auf der richtigen Seite gehen. Also sagte sie: „Er führt mich auf rechter Straßenseite, ja, auf der richtigen Seite.“
Und das ist auch richtig. Er will uns auf der richtigen Straßenseite führen. Aber hier heißt es: „Er führt mich auf rechter Straße um seines Namens willen.“
Dann fährt er fort: „Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, so fürchte ich kein Unglück. Denn du bist bei mir.“
Mir ist aufgefallen, liebe Geschwister, dass David, bevor er vom finsteren Tal spricht, betont, dass der Herr auf rechter Straße führt. Habt ihr das schon einmal beobachtet? Bevor er vom finsteren Tal spricht, sagt er, dass auch das rechte Straße sein wird.
Er will damit sagen: Auch das finstere Tal, das habe ich in dein Leben verordnet. Ich gehe mit dir durch dieses Tal.
Ich weiß nicht, ob alle im Blick auf das vergangene Jahr oder auf die Jahre ihres Lebens schon sagen können: Gott hat mich immer, überall, an allen Weggabelungen auf rechter Straße geführt.
Manchmal klagen uns Dinge aus der Vergangenheit an. Manchmal glauben wir, wir hätten falsche Entscheidungen getroffen – und das kann auch tatsächlich sein.
Aber es wäre wichtig, dass wir Frieden über unsere Vergangenheit finden, dass wir sagen können: Ja, der Herr führt auf rechter Straße.
Noch etwas ganz Entscheidendes fällt uns hier auf, bei Vers 4: „Auch wenn ich wanderte im Tal des Todesschattens, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir.“ (Elberfelder Übersetzung)
Bisher hatte der Psalmist in der dritten Person Singular gesprochen: „Der Herr, er führt, er erquickt“ – dritte Person, Einzahl, ja, „er, er, er“.
Jetzt, wo es in das finstere Tal hineingeht, wird seine Beziehung zum Herrn noch inniger. David wechselt zum vertrauten „Du“: „Denn du bist bei mir.“
Da müssen wir genau hinschauen und diesen Wechsel der Personalpronomina genau beobachten. Das ist nicht zufällig, sondern von Gottes Geist inspiriert.
Und dieses kleine, unscheinbare Sätzlein scheint mir die Mitte des ganzen Psalms zu sein.
Gott verhindert nicht, dass Todesschatten hereinbrechen – vielleicht auch in unserem Bekanntenkreis, vielleicht eines Tages in unserer eigenen Familie, vielleicht eines Tages in unser eigenes Leben.
Todesschatten können hereinbrechen, aber er geht mit, er ist dabei: „Du bist bei mir.“
Und wir können seine Nähe erfahren, auch auf einem Krankenbett. Wir können seine Nähe erfahren an einem offenen Grab.
Die Realität von Krankheit, Tod und Sünde
Oft tritt als Vorbote des Todes zunächst eine Krankheit auf. So war es auch bei Elisa, als er an der Krankheit erkrankte, an der er sterben sollte.
Die Bibel sagt uns, dass Krankheit und Tod nicht von Anfang an zu dieser Schöpfung gehörten. Sie sind Folge der Sünde, der Trennung von Gott. Wir Menschen haben uns gegen Gott, unseren Schöpfer, aufgelehnt oder ihn einfach ignoriert. Die Bibel sagt, wir gingen alle in die Irre, wie Schafe; ein jeder sah auf seinen Weg.
Wir haben alle Gottes gute Gebote hundert- und tausendfach übertreten in unserem Leben. Wir haben alle gesündigt, und die Bibel sagt: Der Lohn der Sünde ist der Tod. Es gibt ein Gesetz im Universum, das lautet: Wenn ein Mensch sündigt, dann wird er sterben, dann ist er dem Tod verfallen.
Er stirbt meistens nicht sofort in dem Augenblick, in dem er sündigt – wie auch Adam und Eva nicht sofort tot umfielen. Aber sie sind von diesem Moment an dem Tod verfallen. Jeder Grabstein auf unseren Friedhöfen ist ein Beweis dieser göttlichen Wahrheit. Die Frage ist nur, ob wir das auch für uns erkannt und zugegeben haben.
David spricht vom Wandern im Tal der Todesschatten. Es ist so, als ob der Gläubige seinen Schritt nicht verlangsamte, aber auch nicht beschleunigte. Spurgeon merkt hierzu an, dass Wandern das ruhige Vorwärtsschreiten des Herzens bezeichnet, das seinen Weg genau kennt und um das Ziel weiß.
So wie bei meiner Tante, der jüngeren Schwester meiner Mutter. Sie wusste um ihr Ziel, und darum war sie vor zweieinhalb Wochen, als ich sie besuchte, so ruhig und geborgen. Sie wanderte auch im Alter von 88 Jahren.
Der Gläubige jagt nicht voll Schrecken, und er bleibt auch nicht vor Angst stehen. Er geht ruhig und stetig seinen gewohnten Schritt weiter. Er weiß, dass er durch das Tal hindurchgeht und nicht darin stehen bleiben wird.
Er hat sich ja auf den grünen Auen und an den frischen Wassern gestärkt. Vor allem aber ist er nicht allein. Er kann sagen: „Denn du bist bei mir.“
Liebe Geschwister, ich will das ungeschminkt sagen: Es ist nicht leicht, wenn Todesschatten kommen, wenn man vielleicht eines Tages sogar die letzte Hand loslassen muss. Wohl dem, der dann sagen kann: „Denn du bist bei mir.“
Dann und nur dann hat nämlich der Tod sein Grauen verloren. Seitdem unser Herr Jesus, der Sohn Gottes, für uns in den Tod ging – nicht nur in die Todesschatten, sondern in den Tod unter dem Zorn und Gericht Gottes über unsere Sünden – dürfen Christen getrost an ihr Sterben denken.
Denn Christen sind ja Menschen, die ihre Schuld vor Gott erkannt und eingestanden haben und die damit unter das Kreuz Jesu Christi gekommen sind. Sie sind umgekehrt von ihrem bisherigen Weg. Sie haben Christus als ihren persönlichen Herrn und Retter in ihr Leben aufgenommen.
Er ist nun ihr Hirte geworden, dessen Stimme sie kennen, auf dessen Stimme sie hören und in dessen Fußstapfen sie gehen. Für solche Menschen verliert der Tod wirklich sein Grauen.
Da sind es denn wirklich nur noch Todesschatten. Denn der Schatten eines Hundes kann nicht beißen, der Schatten eines Schwertes kann nicht töten, und der Schatten des Todes kann nicht vernichten, sagt noch einmal Spurgeon zu dieser Stelle.
Leben inmitten von Feinden und Überfluss trotz Schwierigkeiten
David hat von den grünen Auen gesprochen und vom finsteren Tal. Er geht noch einen Schritt weiter: „Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde, du salbst mein Haupt mit Öl und schenkst mir voll ein.“ Wörtlich heißt es: „Mein Becher fließt über.“
Ich glaube, David wusste, was es bedeutet, im Angesicht von Feinden zu leben. Von seiner Jugend an hatte er Feinde vor und um sich herum. Ich denke an den Philister Goliath, an seinen Schwiegervater Saul und später an seinen eigenen Sohn Absalom, der ihm das Königtum streitig machen wollte. David kannte es, im Angesicht von Feinden zu leben. Es ist gewiss nicht leicht, unter solchen Umständen sein Dasein zu fristen.
Aber ist euch das schon einmal aufgefallen, liebe Geschwister? Bei den grünen Auen und bei den stillen Wassern lesen wir nicht, dass Davids Becher überfloss. Doch hier, im Angesicht seiner Feinde, kann er sagen: „Mein Becher fließt über.“
Wann schrieb denn der Apostel Paulus an die Philipper: „Freut euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich, freut euch“, als er im Gefängnis saß und seine Hinrichtung vor Augen hatte? Also im Angesicht seiner Feinde.
Es ist ein tiefes Geheimnis – wirklich ein tiefes Geheimnis –, dass Christen, wenn sie auf schweren Wegen geführt werden, natürlich auch die Möglichkeit haben zu murren und sogar dem Herrn den Rücken zuzukehren. Doch viele haben erfahren, dass sie in Leid und Schwierigkeiten und sogar angesichts von Feinden, unter Verfolgung, tiefer im Herrn verwurzelt wurden. Sie sind im Gegenteil näher zu dem Herrn hingewachsen. Sie erkannten, dass es der rechte Weg war. Sie gingen zum vertrauten Du über und wussten sich gehalten und geborgen in der Wirklichkeit des Glaubens an den Herrn Jesus.
So hat es auch Pfarrer Johannes Busch erlebt, der Bruder von Wilhelm Busch. Er hatte seine Frau verloren, war Vater von sieben Kindern und hatte die Mutter verloren. Dann hat er selbst die Beerdigung seiner eigenen Frau gehalten – Hut ab vor dieser Courage. Auf dem Friedhof von Witten, wo viele Menschen versammelt waren, sagte er: „Ich habe auf diesem Friedhof oft die Botschaft von der Liebe Gottes in Jesus Christus verkündigt. Ihr habt vielleicht manchmal gedacht: ‚Du hast gut reden, Busch, warte mal ab, wenn es an dich gekommen ist.‘ Heute ist es an mich gekommen, und ich stehe mit meinen Kindern am Grab meiner Frau. Ihr fragt sicherlich: ‚Wie ist das, Busch? Bleibst du bei der Botschaft von der Liebe Gottes in Jesus Christus?‘“
Dann sagte er mit tränenerstickter Stimme: „Jawohl, ich bleibe bei der Botschaft von der Liebe Gottes in Jesus Christus.“
So haben es viele Christen erlebt: Wenn die Trauben in die Kälte kommen, dann fließt der Wein. Wenn Schiffe schwer beladen sind, haben sie Tiefgang und sind sicherer im Wasser unterwegs als an der Oberfläche.
David betet: „Du salbst mein Haupt mit Öl, mein Becher fließt über.“ Dann schließt er mit den Worten: „Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.“
Vertrauen und Heimat in Gottes Haus
Ich weiß nicht, ob ich das jetzt zum Schluss noch deutlich machen kann. Ich wünschte, ihr wärt alle bei mir, und ich könnte eure Aufmerksamkeit so scharf machen, wie man einen Bleistift anspitzt. Was für ein Vertrauen! Was für eine Geborgenheit spricht aus diesen Worten!
Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen. Schaut, David ist durch finstere Täler gewandert, er hat im Angesicht seiner Feinde gelebt. Wie groß war jetzt die Gefahr des Verbitterns! Wie groß war die Gefahr, von jetzt an alles nur noch negativ zu sehen! Leiden und Kummer ohne Ende werden mir folgen, und ich werde schließlich in die Grube sinken oder so – das wäre doch das menschlich Verständliche gewesen, wenn er solche Aussagen jetzt getroffen hätte.
Aber er sagt: Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen. Mein Jesus Christus weiß allein, wo der Weg hingeht. Wir aber wissen, dass es ein ganz gewiss über alle Maßen barmherziger Weg sein wird. Ist das nicht eine gewaltige Glaubensaussage? Da sagt dieser Mann vor seiner Hinrichtung: Jesus Christus weiß allein, wo der Weg hingeht. Wir aber wissen, dass es ganz gewiss ein über alle Maßen barmherziger Weg sein wird – Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang.
Vielleicht können heute nicht alle von uns schon diese Worte so im Glauben nachsprechen, aber wir wollen das erbitten. Wir wollen unsere Wurzeln tief hineinsenken in sein Wort, in sein Leben, in die Gemeinschaft mit ihm, und das erbitten, dass wir das auch wieder so im Glauben sagen könnten, wenn es im Moment nicht möglich ist.
David blieb bei dem Herrn auf den grünen Auen, aber auch im finsteren Tal. Er blieb im Hause des Herrn, das heißt in der Lebensgemeinschaft mit seinem Gott. Die Herde Gottes war seine Heimat.
Nietzsche, der deutsche Philosoph, hat einmal gesagt: „Die Krähen schwirren flux zur Stadt, weh dem, der keine Heimat hat.“ Da hat er mal etwas Richtiges gesagt: Weh dem, der keine Heimat hat! Sartre, der französische Philosoph, schreit hinaus in diese Welt: „Wir haben keinen, bei dem wir uns aufgehoben wissen.“ Keine Heimat – das sind die Menschen ohne Gott. Heimatlos, ziellos, haltlos, sinnlos. Wir haben keinen, bei dem wir uns aufgehoben wissen.
Wie anders schließt David diesen Psalm hier, wenn er sagt: „Wohl dem, der eine Heimat hat, ich werde bleiben im Haus des Herrn immerdar.“ Das ist ein ganz ermutigendes, trostreiches Bekenntnis: Wohl dem, der eine Heimat hat!
Die abschließende Frage und Einladung zum Vertrauen
Ich muss schließen, und am Ende dieses Psalms, den wir betrachtet haben, steht eine einfache Frage vor uns – auch jetzt, am Beginn dieses neuen Jahres.
Vor den Kindern, die hier sind, vor den Jugendlichen, vor den Älteren und vor den Gästen steht die Frage: Kennen wir den guten Hirten persönlich? Sind wir Schafe seiner Herde? Haben wir Frieden mit Gott gefunden durch die Vergebung unserer Sünden? Kennen wir diese ewige Heimat, dieses Ziel, auf das wir hinleben?
Kennen wir den, der gesagt hat: „Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe. Meine Schafe hören meine Stimme, und sie folgen mir, und ich gebe ihnen das ewige Leben“?
Wenn dem so ist, wenn wir ihn kennen, dann wollen wir ganz fest den Bund mit ihm weitergehen, ihn festigen und auch für dieses neue Jahr unser Vertrauen in ihn aussprechen.
Lasst mich zuletzt noch darauf hinweisen, dass dieser Psalm in seiner Fülle – diese wenigen Sätze, die David aufgeschrieben hat – auf eine unglaubliche Weise ausdrücken, was wir in dem Herrn haben.
„Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln“ – wir haben in dem Herrn Versorgung.
„Er lagert mich“ – wir haben in dem Herrn Ruhe.
„Auf grünen Weiden frische Nahrung“ – er führt mich.
Wir haben in dem Herrn Leitung.
„Zu stillen Wassern Frieden“ – er erquickt meine Seele, Erholung.
„Er leitet mich in Fahrten der Gerechtigkeit, um seines Namens willen“ – ein Lebensinhalt. Es geht immer um Gott, er ist das Ziel.
„Und wenn ich wandere im finsteren Tal“ – Geborgenheit, du bist bei mir, Beistand.
„Dein Stecken und dein Stab, sie trösten mich“ – Schutz und Trost.
„Du bereitest vor mir einen Tisch, angesichts meiner Feinde“ – Gemeinschaft, Sieg.
„Du hast mein Haupt mit Öl gesalbt“ – Stärke und Heilung.
„Mein Becher fließt über“ – Freude.
Nur Güte und Barmherzigkeit – Segen und Liebe – werden mir folgen, Zusagen und Verheißungen, alle Tage meines Lebens eine lückenlose Vorsorge.
„Ich werde wohnen im Haus des Herrn“ – eine vorbereitete Zukunft, ein Zuhause, eine Heimat auf immer, da ewige Glückseligkeit.
Kann uns irgendjemand in dieser Welt mehr anbieten oder mehr geben als unser Herr, wenn wir sagen können: Der Herr ist mein Hirte?
Ich bin so froh, dass ich das persönlich sagen kann, und ich weiß, dass auch viele hier so sagen können.
Lasst uns aufstehen und dem Herrn dafür danken!
Ja, Herr Jesus Christus, wir wollen dich jetzt nicht nur einfach etwas bitten oder dir etwas sagen. Wir wollen dich anbeten, wir wollen dich preisen. Wir wollen dir immer wieder sagen: Herr, wie kostbar es ist, dich zu kennen. Du bist unsere Kostbarkeit.
Und dir, Herr, ist niemand gleich. Du bist groß, und dein Name ist groß. Du hast es ja mit der Tat bewiesen: Du hast dein Leben gelassen für uns, als wir noch Feinde waren.
Ja, Herr, und so danken wir dir, dass wir wirklich in dir alles haben – das Leben und volles Genüge.
Gib, dass wir uns nicht mit weniger zufrieden geben, auch nicht jetzt in diesem neuen Jahr.
Gib, dass wir ganz fest an deine Hand gehen, dass wir deine Stimme hören, dass wir in deinen Fußstapfen bleiben.
Dass wir auch all diese wunderbaren Verheißungen, Zusagen und Inhalte erfahren, die David in seinem Gebet ausgedrückt hat.
Ja, Herr Jesus Christus, wir danken dir, dass wir sagen können, du bist unser persönlicher Hirte und sollst es bleiben.
Wir wollen den Weg gehen, auch in diesem neuen, jungen Jahr, an deiner Hand bis zu dem Ziel, das du uns vorgestellt hast.
Amen.