Der Auftrag steht in Titus 2, Vers 15. Dort heißt es: „Rede, ermahne und überführe mit allem Nachdruck.“ Das ist ganz offensichtlich ein Auftrag Gottes, nämlich etwas zu sagen, zu reden, zu ermahnen – das heißt, es praktisch zu machen – und zu überführen, also vielleicht auch mal etwas Negatives aufzuzeigen und anzusprechen. Vor allem steht darin „Nachdruck“. Das ist ein Befehl.
Ich will versuchen, diesen Befehl heute Morgen ernst zu nehmen, obwohl ich weiß, dass ich daran scheitern werde. Denn in vielen Fällen bin ich vielleicht gar nicht kompetent. Und in manchen Fällen, in denen ich kompetent bin, kenne ich euch nicht gut genug, um zu ermahnen und zu überführen mit allem Nachdruck. Aber trotzdem: Um was geht es hier? Was soll Titus reden, ermahnen und überführen? Was sollen wir reden, ermahnen und überführen mit Nachdruck?
Das, was direkt davorsteht, also das, was in Titus 2 steht – was den alten Männern gesagt ist, den alten Frauen, den jungen Frauen, den jungen Männern und denen, die freiwillig oder unfreiwillig in einem Arbeitsverhältnis sind. Titus soll ihnen etwas sagen, ermahnen und überführen mit allem Nachdruck. Aber vor allem bezieht sich diese Aufforderung auf die Verse 11 bis 14 von Titus 2, weil das der direkte Zusammenhang ist. Darum möchte ich heute vor allem etwas über diese Verse sagen.
Hoffentlich denken wir ab und zu darüber nach, wovon wir gerettet sind. Wir hatten jetzt eine Stunde, von halb zehn bis halb elf, in der wir zum Teil über unsere Rettung nachgedacht haben, auch darüber, wovon wir gerettet sind. Viele sind froh, dass sie vor der Hölle gerettet sind, für den Himmel. Das ist schon mal gut. Ich weiß nicht, ob ihr euch ab und zu darüber Gedanken macht, aber es ist gut, sich ab und zu daran zu erinnern, dass wir vor einer ewigen Verdammnis gerettet sind, von der ewigen Trennung von Gott, von etwas Ewigem, das die Bibel Hölle nennt – wie immer das aussieht.
Wir sind gerettet. Wir haben es, glaube ich, heute Morgen zum Teil aus Epheser 2 gehört: aus einem Leben ohne Gott, aus einem Leben ohne übernatürliche Hilfe. Viele bekehren sich, weil sie aus einem Leben errettet werden möchten, das ohne Erfüllung ist, weil ihnen ihr Leben leer vorkommt. Und es ist gut, wenn wir uns ab und zu daran erinnern, dass wir davon gerettet sind: aus einem Leben ohne Gott, ohne Hilfe, ohne Erfüllung – für ein Leben mit Gott. Ein Leben mit dem Gott, der uns fördert, fordert und bewahrt.
So ganz oft, wenn wir beten, danken wir Gott für seine Bewahrung in vielen Situationen. Situationen, die oft überhaupt nur auftreten, weil Gott uns da hineinlaufen lässt, um uns mal wieder zu zeigen, dass er uns bewahrt. Er könnte die Situation ja so früh abschalten, dass wir sie nicht mal bemerken. Haben wir in der Gebetsstunde schon dafür gedankt, dass irgendein Kind noch knapp zurückgerissen wurde, bevor ein Auto drüberfährt? Gott hätte dafür sorgen können, dass da gar kein Auto kommt, oder? Wir sind gerettet – trotzdem für ein Leben mit einem Gott, der uns bewahrt und der uns es ab und zu mal sehen lässt, dass er das tut.
Aber ist das das Einzige, weswegen Gott uns gerettet hat? Hat Gott uns hauptsächlich gerettet, um uns etwas Gutes zu tun? Ja, Gerald, wenn du so fragst: Offensichtlich nein. Der Titusbrief ist geschrieben zu den Menschen auf Kreta, zu Gläubigen auf Kreta – na ja, zu Titus, der verantwortlich war für die Gläubigen auf Kreta, aber das wurde da auch in den Gemeinden vorgelesen, ganz offensichtlich.
Und wir meinen, die Kreter waren damals dafür bekannt, dass sie, wann immer es irgendwie Sinn machte für ihr persönliches Fortkommen, es mit der Wahrheit nicht genau nahmen – wahrscheinlich falsch formuliert: Sie haben einfach gelogen, wenn es ihnen etwas genützt hat. Sie werden beschrieben als Menschen mit diesem Bild: als Menschen, die sehr impulsiv waren. Paulus benutzt Bilder: Sie sind wie böse Wildtiere, sehr impulsive Menschen, notfalls gewalttätige Menschen. Und sie werden beschrieben als faul. Also sie haben einfach gelebt für ihr persönliches Wohlbefinden. Das war gesellschaftliche Norm: Jeder lebt für sein persönliches Wohlbefinden, impulsiv, faul, notfalls mit Unwahrheit.
Es war die Situation, aus der viele der Gläubigen kamen, als sie sich bekehrt haben. Es war die Situation, die viele Gläubige zuhause noch erlebt haben, wenn sie ihre Geschwister und ihre Eltern besucht haben. Es war die Situation, wie viele ganz spontan vielleicht manchmal noch reagiert haben, weil sie schon immer so reagiert haben. Sollen sie nach ihrer Bekehrung so bleiben, wie sie waren? Ja, offensichtlich nicht, oder?
Darum geht es in diesem Kapitel, darum geht es in diesem ganzen Brief: Wir sind gerettet, nicht nur, weil Gott uns etwas Gutes tun will – das hängt damit zusammen –, sondern auch, um uns zu Menschen zu machen, die nicht mehr so sind, wie sie waren. Hier benutzt Gott diese extreme Gesellschaft auf Kreta, um uns das deutlich zu machen, um das einleuchten zu lassen. Eine Gesellschaft, wo wir sagen: Natürlich sollen die nicht so bleiben, wie sie waren, wenn sie sich bekehrt haben, natürlich! Aber ich glaube, wir sollen alle nicht so bleiben, wie wir waren, wenn wir uns zu Gott bekehrt haben.
Jetzt lese ich einfach mal diese Verse aus meiner etwas schwierigeren Übersetzung vor. Wir gehen sie noch mal nach und nach durch, und ich hoffe, dass man den Text versteht.
Vers 11: „Denn die Gnade Gottes ist erschienen, rettend für alle Menschen, und belehrt uns, damit wir die Gottlosigkeit und die weltlichen Begierden verleugnend besonnen, gerecht und gottselig leben in dem jetzigen Zeitlauf, indem wir erwarten die glückselige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit unseres großen Gottes und Retters Jesus Christus, der sich selbst für uns gegeben hat, damit er uns loskaufte von aller Gesetzlosigkeit und sich selbst ein Eigentumsvolk reinigte, das eifrig sei in guten Werken.“
Ihr habt es beim Lesen gemerkt, oder? Da steht mehrmals das Wort „Retter“. Jemand hat uns gerettet. Es steht da, dass wir die Gottlosigkeit und weltlichen Begierden verleugnen, dass wir etwas, was bisher in uns drinsteckte, ablegen. Das ist ein Wort für eine Änderung, für eine innere Veränderung – etwas verleugnen, etwas ablegen.
In Vers 14 haben wir gelesen: „Der sich selbst für uns gegeben hat, damit er uns loskaufte.“ Von was denn? Vom Tod, vom Teufel? Nein, von unserem Leben, wie wir bisher gelebt haben. Er hat uns losgekauft von der Gesetzlosigkeit. Das heißt, dass wir ohne Normen Gottes gelebt haben, die Gott gut findet. Dann steht da, dass er sich ein Eigentumsvolk reinigte. Und reinigen hat in der Bibel immer zwei Aspekte: Zum einen, dass er uns vergibt, aber zum anderen auch, dass er uns verändert.
In diesen Versen steckt ganz viel davon, dass Gott uns gerettet hat, um uns zu verändern, damit unser altes Leben anders ist als unser neues Leben. Und ihr wisst alle, wenn ihr euch schon zu Gott bekehrt habt, dass es nicht einfach bei der Bekehrung passiert. Es ist schon ein Brief, der auch noch ein paar Jahre nach eurer Bekehrung relevant ist, weil diese Veränderung hoffentlich anhält.
Ich hoffe, es hat sich schon viel durch die Bekehrung verändert. Aber auch die Menschen in den Gemeinden auf Kreta waren schon gerettet, und offensichtlich bekommt Titus den Auftrag, ihnen das noch einmal zu sagen, sie zu ermahnen und mit Nachdruck zu überführen. Gott möchte, dass ihr anders seid. Darum geht es in diesen Versen, und darüber möchte ich ein paar Sachen sagen.
Was ist die Motivation für Veränderung, die Paulus in diesen Versen beschreibt? Was ist die Motivation? Es gibt zwei Hauptmotivationen, die er hier aufführt.
Ich lese noch mal Vers 11 und den Anfang von Vers 12: „Denn die Gnade Gottes ist erschienen, rettend für alle Menschen, und unterweist uns und belehrt uns.“ Das ist ein ganz merkwürdiger Ausdruck. Warum belehrt mich die Gnade? Warum bringt die Gnade mir etwas bei? Warum stellt sie mir etwas vor Augen? Was soll das? Warum schreibt Paulus das so?
Die Gnade Gottes ist erschienen und belehrt uns. Was sehen wir, wenn wir die Gnade Gottes sehen? Paulus hat das an anderer Stelle viel ausführlicher beschrieben, die ich heute nicht mit euch lesen möchte. Aber ich glaube, wenn er das ausführlich schreiben würde, würde er sagen: Denk mal darüber nach! Wenn Jesus es in Ordnung gefunden hätte, wie du bisher gelebt hast, dann hätte er sich wahrscheinlich kaum für deine Sünden hinrichten lassen, für dein altes Leben.
Wenn er es in Ordnung gefunden hätte, wie du bisher gelebt hast und wie du bisher warst, dann hätte er sich wahrscheinlich kaum hinrichten lassen, um für dein altes Leben zu bezahlen, oder? Und wenn Gott es in Ordnung gefunden hätte, wie du bisher gelebt hast, hätte er wahrscheinlich kaum seinen Sohn am Kreuz hingerichtet für das, wie du bisher warst.
Die Gnade Gottes bringt uns etwas bei, nämlich dass Gott uns ganz, ganz furchtbar fand und dass er in Gnade eingegriffen hat, um uns daraus zu retten. Wahrscheinlich nicht, damit wir hinterher eine Eintrittskarte für den Himmel haben und trotzdem so weiterleben wie bisher, sondern wahrscheinlich, weil er uns verändern wollte. Er kann nicht wollen, dass wir weiterleben wie bisher.
Das ist die Botschaft von Römer 6. Und das ist die Botschaft, die Paulus hier in diese anderthalb Sätze ganz kurz reinpackt: Das, was Jesus für uns getan hat, bringt uns etwas bei. Es belehrt uns, dass Gott sich unser Leben ganz anders vorstellt, als es war.
Dann führt Paulus eine zweite Motivation auf, warum wir anders werden sollen. Dieser Abschnitt ist ganz interessant aufgebaut, wir werden ihn gleich noch mal anschauen.
In Vers 12 spricht Paulus davon, wie unser altes Leben war und wie wir eigentlich sein sollen. In Vers 14 fasst er das zusammen und sagt es noch mal. Mit allem Nachdruck hat er Titus gesagt, soll er das lernen. Und in Vers 13, also mittendrin, schreibt er etwas von Motivation, von der Zukunft, von anderen Sphären, von dem, was wir erwarten und was uns motiviert, unser Leben auf dieser Erde zu verändern.
Darum nehme ich Vers 13 jetzt einfach mal heraus und lese ihn euch noch mal vor: „indem wir erwarten die glückselige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit unseres großen Gottes und Retters Jesus Christus.“
Paulus sagt, das ist die größte Motivation, die es gibt auf dieser Erde, anders zu leben als bisher, anders zu denken als bisher, anders zu leben als unsere Eltern gelebt haben, anders zu leben als unsere Arbeitskollegen, unsere Geschwister oder wer auch immer.
Was ist die größte Motivation, anders zu leben als die Menschen um uns herum? Paulus sagt: Weil wir etwas erwarten. Und er fasst es in zwei Ausdrücken zusammen.
Wir erwarten die glückselige Hoffnung – steht in meiner Übersetzung. Wir erwarten etwas, auf das wir hoffen, etwas, wo all unsere Wünsche, die wir im Herzen haben, all unsere Sehnsüchte erfüllt sind. All das, was wir möchten und all das, was wir gerne zurücklassen möchten, wird sich in einem Augenblick erfüllen, sagt Paulus.
Wir erwarten etwas, und weil wir das erwarten, versuchen wir nicht, uns auf dieser Erde zu verwirklichen. Wir versuchen nicht, impulsiv auf dieser Erde alles zu kriegen, was wir kriegen können. Wir erwarten etwas: unsere selige Hoffnung, wo alles, wonach wir uns sehnen, erfüllt wird.
Und was erwarten wir noch, was damit zusammenhängt? Die Erscheinung der Herrlichkeit unseres großen Gottes und Retters Jesus Christus. Die Erscheinung seiner Herrlichkeit – ich weiß nicht, wie du dir das vorstellst: Die Erscheinung seiner Herrlichkeit macht Wände und Lichtstrahlen überall, und jemand, den man kaum anschauen kann.
Ich glaube gar nicht, dass Paulus hier meint, dass Jesus nur in seiner Herrlichkeit erscheint, die so groß ist, dass wir sie kaum angucken können. Jesus erscheint und kommt zurück in seiner moralischen Herrlichkeit. Wir werden ihn sehen und erleben in seiner moralischen Reinheit. Wir werden plötzlich merken, wie rein er ist und wie rein er denkt. Er wird erscheinen in seiner Güte, wir werden merken, wie gütig er ist, und er wird erscheinen in seiner Menschenliebe.
Das ist übrigens ein Zitat aus Titus 3, Vers 4, als es dort heißt über die Güte und Menschenliebe unseres Rettergottes: Ja, es ist schon mal erschienen. Aber so viel anders wird seine Erscheinung nicht sein, wenn er wiederkommt. Ja, er wird in Macht kommen, aber er wird mit der gleichen Reinheit, mit der gleichen Güte und mit der gleichen Menschenliebe erscheinen.
Und wisst ihr, was wir uns in diesem Augenblick wünschen würden? Dass wir so gelebt haben, wie er ist, dass wir zu dem, der da erscheint, passen. Ja, natürlich wird er in einer anderen Liga spielen als wir, aber dass wir von Prinzip her so wären wie er, so denken würden wie er, dass wir wirklich zu dem passen, der da kommt.
Paulus sagt, das motiviert mich. Das sollte Titus motivieren, und es sollte die motivieren, zu denen er redet. Rede zu ihnen, ermahne sie, überführe sie mit Nachdruck. Wir erwarten unsere glückselige Hoffnung und die Erscheinung der Herrlichkeit unseres großen Gottes und Retters, dessen, der uns gerettet hat von unserem alten Leben, von unserer Gesetzlosigkeit: Jesus Christus. Das ist die Motivation.
Aber was bedeutet es, anders zu leben? Ganz praktisch. Was sagt Paulus hier? Wenn ich euch fragen würde, was das bedeutet, dann könntet ihr mir viele Dinge aufzählen. Aber ich möchte die Dinge zusammenfassen, die Paulus hier sagt.
Wir springen zurück in Vers 12: „Die Gnade Gottes unterweist uns, damit wir die Gottlosigkeit und die weltlichen Begierden verleugnend besonnen, gerecht und gottselig leben in dem jetzigen Zeitlauf.“
Das ist eine Aufzählung: Was wir verleugnen sollen und was wir leben sollen. Die Dinge stehen sich gegenüber, und umrahmt wird das Ganze von zwei sehr verwandten Begriffen.
In meiner Übersetzung stehen „Gottlosigkeit“ und „Gottseligkeit“. Hier stehen, ich weiß nicht, was bei euch steht, in vielen Übersetzungen steht statt „Gottseligkeit“ „Frömmigkeit“. Ehrlich gesagt weiß ich auch nicht, was Frömmigkeit ist, genauso wenig wie ich weiß, was Gottseligkeit ist. Ich kann mit diesen deutschen Begriffen nichts anfangen.
Vielleicht hat es jemand auch noch weiter umschrieben in einer ganz modernen Übersetzung, vielleicht verstehe ich dann irgendwas. Aber was hier eigentlich steht, sind im Griechischen zwei sehr verwandte Worte, die nur unterschiedliche Vorsilben haben – genauso wie es meine Übersetzung versucht auszudrücken mit „Gottlosigkeit“ und „Gottseligkeit“.
Im Griechischen steht das Wort „Gott“ gar nicht in dem Wort drin, weder in dem einen noch in dem anderen. Das Wort „Gottseligkeit“, was bei mir so übersetzt ist und bei vielen mit „Frömmigkeit“ heißt, heißt im Griechischen „oi Sebeja“. Das müsst ihr euch nicht merken, das ist nur, weil wir gerade ein Griechisch-Seminar machen.
„Sebeja“ heißt Verehrung, und „oi“ – das Wort kennt ihr irgendwie, es kommt abgewandelt in dem Wort „Utopie“ vor. Utopie heißt eigentlich „das Gute“, „das Echte“, manchmal „das Schöne“. Also eigentlich sagt Paulus, was wir leben sollen, ist echte Verehrung Gottes. Das soll unser Leben prägen: echte Verehrung.
Paulus sagt: Wie war das vorher in meinem Leben? Was hattet ihr? Ihr hattet A-Sebeja. A ist so eine Vorsilbe, die wir im Deutschen meistens mit „Un-“ übersetzen, so eine Verneinung. Nichts verehren.
Ihr sollt das euer altes Leben, in dem ihr eigentlich nichts verehrt habt, sondern nur euren eigenen Vorteil gesucht habt, ablegen. Ihr habt euch keine höhere Macht unterworfen, keine Verehrung gelebt außer der Verehrung eurer eigenen Bedürfnisse. Ihr sollt das ablegen und verleugnen. Ihr sagt: Das möchte ich nicht mehr leben, sondern ich möchte wirklich Gott verehren. Ich möchte, dass mein Leben von der Verehrung Gottes geprägt ist und nicht von der Verehrung von nichts.
Das ist der Gegensatz, den er macht mit dem Wort, das er an den Anfang und das er ans Ende stellt. Es soll sichtbar werden, dass man jetzt jemanden verehrt und jemandem gehorcht.
In der Mitte stellt er auch einen Gegensatz. Er sagt, wir sollen die weltlichen Begierden verleugnen. Also genau das, was sie geprägt hat, was Paulus beschrieben hat mit dem Wort „böse Wildtiere“, dieses Impulsive, das sich einfach nimmt, was ich gerade will, egal was es für jemand anderen bedeutet, egal welche moralischen Maßstäbe ich verletze. Dieses Impulsive: Ich nehme mir das, was ich gerade brauche.
Am deutlichsten in unserer Gesellschaft ist es immer auf dem partnerschaftlichen, sexuellen Gebiet: Ich nehme mir das, auf das ich gerade Lust habe. Damals war es viel, viel mehr auch noch dieser materielle Anreiz, den wir uns meistens so ein bisschen versteckt machen, und uns da unseren Vorteil suchen.
Die Kreter waren berühmt dafür, dass sie Piraten waren – dieses Impulsive: Ich nehme mir, was ich möchte. Paulus sagt: Das sollen wir ablegen. Das gehört zu unserem alten Leben.
Was sollen wir dafür einsetzen? Hier kommt ein Wort, das die, die schon mal irgendeine Predigt über Titus in dieser Gemeinde gehört haben, vielleicht kennen: „besonnen“. Nicht impulsiv, nicht dieses wildtierhafte Impulsive, sondern besonnen.
Die alten Männer sollten besonnen sein, die alten Frauen sollten den jungen Frauen beibringen, besonnen zu sein, junge Männer sollen besonnen sein. Paulus fasst es hier noch mal zusammen: Wir sollen dieses impulsive, egoistische Verhalten ablegen und besonnen sein.
Dann wirst du sagen: Na ja, ich kann sehr besonnen sein im Versuch, meinen eigenen Vorteil zu bekommen. Ich kann sehr gut darüber nachdenken, wie ich das tue und wie es möglichst wenig Leute merken, dass ich nur meinen eigenen Vorteil suche.
Darum kombiniert er das hier mit einem zweiten Wort: „besonnen und gerecht“. Paulus sagt, das sollen wir ablegen: dieses Nichts und niemanden zu verehren außer uns selbst, dieses Impulsive, unsere Bedürfnisse auf dieser Erde über alles zu stellen. Und wir sollen es ersetzen durch Besonnenheit, das Gute suchen, das Gerechte, das Richtige suchen und durch ein Leben, das wirklich von echter Verehrung Gottes geprägt ist.
Das drückt sich offensichtlich auch darin aus, dass wir nach seinen Maßstäben leben wollen und ihm gehorchen wollen.
Ja, und dann? Dann kommt diese Motivation. Wir hatten das schon in Vers 13, darum überspringe ich das jetzt, und wir kommen zu Vers 14.
Jesus hat sich mit einem Ziel für uns gegeben, der sich selbst für uns gegeben hat, damit er uns loskaufte von aller Gesetzlosigkeit. Paulus fasst Vers 12 noch mal zusammen. Mit was man Vers 12 zusammenfassen kann, ist das Wort „Gesetzlosigkeit“. Ich unterwerfe mich keinen Regeln. Ich suche meinen Vorteil, und wenn es um meinen Vorteil geht, unterwerfe ich mich keinen Regeln.
Und Jesus hat uns losgekauft von dieser Gesetzlosigkeit.
Dann macht Paulus weiter und sagt ein sehr schönes Wort, zumindest in meiner Übersetzung finde ich es ein sehr schönes Wort: Er hat uns gekauft, er hat uns losgekauft von diesem Leben der Gesetzlosigkeit, von diesem Leben, das er furchtbar fand.
Er hat sich ein Eigentumsvolk gereinigt. Ja, vielleicht klingt es im ersten Moment banal: ein Eigentumsvolk – ein Eigentumsvolk für Gott, Menschen, die Gott gehören. Ja, nicht nur einzelne Menschen, die Gott gehören, sondern eine Gruppe von Menschen auf dieser Erde, die Gott gehören, das Volk Gottes sind.
Zumindest für mich schwingt hier etwas mit: Wenn Gott sagt, das ist mein Eigentumsvolk, dann sagt er: Ihr seid ein Volk, auf das ich stolz sein möchte, wo ich sagen möchte: Schaut mal, das sind meine Leute.
Das wünscht sich Gott. Dafür hat Jesus bezahlt. Gott möchte auf uns zeigen können in dieser Welt, möchte Menschen auf uns aufmerksam machen können und sagen: Das sind meine Leute, schaut mal, die sind anders, das sind meine Leute.
Paulus hat diesen Gedanken übrigens aus dem Alten Testament, und wir machen ganz kurz einen Sprung.
In 2. Mose 19, ganz am Anfang, als er das Volk Israel, das sein Volk im Alten Testament war, aus Ägypten herausgeführt hatte und sie an den Berg Sinai kamen, wo er ihnen das Gesetz geben wollte, schreibt der Schreiber dieser Geschichte in 2. Mose 19 ab Vers 4:
„Ihr habt gesehen, was ich in Ägypten getan habe, wie ich euch auf Adlersflügeln getragen und zu mir gebracht habe. Und nun, wenn ihr fleißig auf meine Stimme hören und meinen Bund halten werdet, so sollt ihr mein Eigentum sein aus allen Völkern. Denn die ganze Erde ist mein, und ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und eine heilige Nation sein. Dies sind die Worte, zu denen du zu den Kindern Israel reden sollst.“
Wenn ihr meinen Weg geht, dann sollt ihr mein Eigentum sein aus allen Völkern.
Und das ist das, was Paulus hier eigentlich zitiert in Titus. Er hat bezahlt, um sich ein Eigentumsvolk, ein neues Eigentumsvolk aus allen Völkern, zu reinigen. Das ist das Ziel.
Im 5. Mose, Kapitel 26, abschließende Verse 18 und 19, heißt es:
„Und der Herr hat dir heute sagen lassen“ – ich meine, das ist 40 Jahre später, diese Stelle in 2. Mose 19 – „Der Herr hat dir heute sagen lassen, dass du ihm ein Eigentumsvolk sein sollst, so wie er zu dir geredet hat, und dass du alle seine Gebote halten sollst und dass er dich zur Höchsten über alle Nationen machen will, die er gemacht hat, zum Ruhm und zum Namen und zum Schmuck, und dass du dem Herrn, deinem Gott, ein heiliges Volk sein sollst, so wie er geredet hat.“
Was steckt drin in diesem Wort „Eigentumsvolk“, „zum Ruhm und zum Namen und zum Schmuck für Gott“?
Aber natürlich steckt etwas drin in diesem Wort „erkauft“. Erkauft ist immer etwas Objektives: Jemand hat etwas bezahlt. Aber erkauft heißt doch immer auch, dass jemand mein Herz gekauft hat, dass Jesus durch das, was er getan und bezahlt hat, hoffentlich unsere Herzen gewonnen hat.
Und auch das ist eine Motivation: Ein Eigentumsvolk, eifrig zu guten Werken.
Das ist spannend. Wir reden wenig über gute Werke, oder? Wir reden viel von der guten Botschaft. Wir reden viel vom Evangelium, das heißt gute Botschaft – übrigens auch „oi“, gut, echt, gute Botschaft.
Die guten Werke haben wir den großen Kirchen überlassen. Aber hier steht, Gott hat sich ein Eigentumsvolk gekauft, das eifrig ist, das fleißig ist.
Überleg mal: Er hat den Kretern etwas über Fleiß geschrieben, die er als faule Bäuche bezeichnet, eifrig, fleißig zu guten Werken.
Er hat heute keine Zeit, über gute Werke zu reden. Gute Werke sind wahrscheinlich ein bisschen mehr als einmal in der Woche einer älteren Dame über die Straße zu helfen, die erst hinterher dazu kommt, dir zu sagen, dass ihre Bushaltestelle tatsächlich auf der anderen Seite der Straße war und dass sie gar nicht über die Straße wollte.
Gute Werke heißen, dass ich jemandem etwas Gutes tue, der das braucht, nicht jemandem, der es so und so nicht braucht, den ich noch ein bisschen mehr beeindrucken will oder dessen Freundschaft ich noch ein bisschen mehr gewinnen will, sondern dass ich etwas Gutes tue für jemanden, der es wirklich braucht.
Das sind gute Werke. Ich frage mich das manchmal: Gott hat uns erlöst, damit wir ein Eigentumsvolk sind, ein Volk, auf das er stolz ist, das eifrig ist zu guten Werken.
Wie viel Zeit verbringen wir damit, uns zu überlegen, wem wir etwas Gutes tun können, der das wirklich braucht?
Das ist ein essenzieller Punkt, für den wir gerettet sind. Spannend, oder? Da müssen wir noch mal extra drüber reden.
Was ist das Ziel? Zurück zu Titus Kapitel 2, falls ihr noch im Alten Testament seid in eurer Bibel.
Was ist das Ziel? Ich habe den Anfang weggelassen, eigentlich den Anfang von Vers 11: „Gottes Gnade ist erschienen, rettend für alle“ – hier meint Paulus wahrscheinlich für jede Art von Menschen.
Die Gnade Gottes ist erschienen, und es steht noch mal in Kapitel 3, Vers 4, als er über die Güte und Menschenliebe unseres Rettergottes spricht.
Ja, wann ist die denn erschienen? Wir haben in Vers 13 gelesen, dass irgendwann unsere glückselige Hoffnung und die Herrlichkeit unseres großen Gottes und Retters Jesus Christus erscheint.
Aber wann ist denn die Güte Gottes erschienen, die Gnade Gottes, von der in Vers 11 die Rede ist, die Güte und Menschenliebe Gottes, von der in Kapitel 3, Vers 4 die Rede ist?
Wann ist sie erschienen? Als Jesus auf diese Erde kam, als er geboren wurde, als er hier gelebt hat und tolle Sachen gesagt hat, und als er am Kreuz für uns gestorben ist?
Ist das die Gnade und die Güte und die Menschenliebe Jesu, die erschienen ist? Banal, oder?
Wann ist sie denn für dich erschienen? Warst du dabei? Warst du dabei, als Jesus geboren wurde? Warst du dabei, als Jesus auf den Straßen von Galiläa und Judäa seine Botschaft verkündigt hat und Menschen geheilt hat, sodass man die Güte und die Gnade Gottes gesehen hat? Keiner von uns war dabei, als Jesus gekreuzigt wurde und auferstanden ist.
Wann ist denn die Gnade Gottes für dich erschienen?
Für einen ganz kleinen Prozentsatz von uns ist sie einfach erschienen, als sie ein Buch in die Hand gekriegt haben oder zum ersten Mal ganz selbständig in der Bibel gelesen haben.
Aber für die allermeisten Menschen hier ist sie erschienen, als zum ersten Mal oder zum ersten Mal haben sie es gemerkt, dass jemand, der Gott kannte, in ihr Lebensumfeld hineingetreten ist und sie zum ersten Mal erlebt haben, dass jemand mit Gott lebt und jemand ihnen das erklärt hat und ihnen dann vielleicht eine Bibel oder ein Buch in die Hand gedrückt hat.
Für die allermeisten von uns ist die Gnade Gottes durch einen Menschen erschienen.
Und ich glaube, darum geht es in diesem Abschnitt: dass wir ein Eigentumsvolk sind, eifrig zu guten Werken, auch damit die Gnade unseres Heilandes, unseres Rettergottes im Leben von Menschen in unserer Umgebung erscheint.
Das war die Herausforderung auf Kreta: Seid ihr veränderte Menschen! Fallt ihr auf in eurer Umgebung? Fallt ihr positiv auf in eurer Umgebung? Erscheint irgendwie die Gnade Gottes im Bewusstsein der Menschen um euch herum, weil ihr so anders geworden seid als eure Familie war, weil ihr so anders geworden seid als eure alten Freunde sind?
Die Güte und die Menschenliebe Gottes ist erschienen. Erscheint sie durch unsere Veränderung, weil wir gerettet sind?
Ich möchte ganz kurz zurückgehen zu Vers 10, weil ich glaube, Vers 10 ist der Anlass, warum Paulus überhaupt diese Verse 11 bis 15 hier einschiebt. Denn es ist ein Einschub.
In Kapitel 3, Vers 1 geht eigentlich diese Aufzählung weiter von alten Männern, alten Frauen, Arbeitgebern und dann weiter mit Bürgern eurer Gesellschaft, eures Staates.
Eigentlich ist es ein Einschub. Warum macht Paulus genau an dieser Stelle diesen Einschub?
Vers 10: „Wir sollen als Arbeitnehmer nichts unterschlagen, sondern alle gute Treue erweisen, damit wir die Lehre, die unseres Rettergottes ist, zieren in allem, damit wir eine Zierde sind, ein Schmuck, auch dort, wo wir arbeiten.“
Dass Menschen etwas von der veränderten Kraft Gottes und seines Wortes sehen in unserem Leben.
Natürlich ist es schwieriger, je toller unsere Umgebung eh schon ist. Denn wenn die sozialer ist als wir, dann haben wir es ganz schön schwer, das noch zu toppen.
Es war natürlich einfacher auf Kreta, so einer asozialen Gesellschaft, konnte man vielleicht ein bisschen leichter positiv auffallen.
Trotzdem ist es die Herausforderung, dass wir die Lehre, die unseres Rettergottes ist, zieren.
Darum sind wir ein Eigentumsvolk, darum erscheint die Gnade Gottes.
Es ist sehr spannend, das hier zu sehen, diesen ganzen Titusbrief zu sehen.
Wir betonen oft sehr, dass wir das Evangelium sagen. Das kommt im ganzen Titusbrief nicht vor. Im ganzen Titusbrief kommt nicht vor, so wie es in allen Briefen des Neuen Testaments fast nicht vorkommt, dass wir das Evangelium aktiv sagen sollen.
Das heißt nicht, dass wir es nicht tun sollen, aber es wird nicht betont.
Ich meine, die Voraussetzung, die Paulus offensichtlich macht, ist, dass alle Leute wissen, dass wir gläubig sind. Sonst würden sie ja unser Verhalten nicht mit unserem Glauben irgendwie zusammenbringen.
Das heißt, irgendwie muss herausgekommen sein, dass wir gläubig sind für unsere Umgebung, für unsere Arbeitskollegen.
Aber dann betont Paulus, dass unsere Attraktivität nicht in dem besteht, was wir sagen, sondern in dem, was wir sind, was wir tun und wie wir uns verhalten – in unseren guten Werken –, dass wir positive Mitglieder, erstaunlich positive Mitglieder in unserer Gesellschaft und Umgebung sind.
Das ist das, was betont wird.
Es ist spannend, weil mir fällt es sehr schwer, etwas zu sagen, weil manchmal ist etwas zu sagen immer noch einfacher als etwas zu leben.
Ein Eigentumsvolk zu sein, Teil eines Eigentumsvolkes zu sein, das eifrig ist zu guten Werken.
Und dazu werden wir herausgefordert in diesem ganzen Brief.
Wir sollen Erzieher sein: die alten Männer, die alten Frauen, die jungen Frauen, die jungen Männer, die Arbeitnehmer – und davon gab es damals vielleicht nicht so viele, aber sicher auch die Chefs.
Wir sollen in dem, wie wir mit Menschen umgehen, wie wir Anteil nehmen am Leben von Menschen, einfach durch unser Interesse, aber vielleicht auch durch das, wie wir Einfluss nehmen, wie wir aktiv Anteil nehmen, ein Ziel sein.
Dazu sind wir gerettet: damit wir ein Eigentumsvolk sind, eifrig zu guten Werken.
Darum hat Jesus bezahlt, nicht nur damit wir in den Himmel kommen.
Erstaunlich! Das ist eine große Herausforderung, und ich glaube, dazu braucht es eine Wiedergeburt, und ich glaube, dazu braucht es den Heiligen Geist.
Das ist übrigens das Thema ab Kapitel 3, Vers 5, wo Paulus zu seinem eigentlichen Abschluss seines Gedankens kommt, aber nicht mehr heute.
Das ist die Herausforderung: besonnen und gerecht, Gott wirklich verehrend, eifrig zu guten Werken – das ist das Ziel.
Vers 15: „Dies rede und ermahne und überführe mit allem Nachdruck. Lass dich von niemandem verachten.“
Ich frage mich immer, wie man diese Aufforderung erfüllen soll. Was soll ich dagegen tun, dass Leute mich verachten? Wenn sie mich verachten, weil ich so weltfremd bin und hier solche Dinge rede, was kann ich dagegen tun?
Ich glaube, Paulus meint: Falls sie dich verachten, bitte ignoriere das.
Wir haben gemerkt: Ich bin in manchen dieser Sachen nicht kompetent. Ich meine, ich bin nicht kompetent, wirklich eifrig zu sein in guten Werken und euch viele tolle Beispiele zu erzählen. Da müsst ihr die anderen Leute fragen.
Aber hier steht, dass dieser Abschnitt gelehrt werden soll mit Nachdruck.
Und ich wünsche mir, dass das ein bisschen Nachdruck hat, dass ihr es noch mal nachlest, dass ihr noch mal überlegt, was das für euer Leben bedeuten kann, ein Eigentumsvolk zu sein, eifrig zu guten Werken, Menschen zu sein, durch die die Gnade Gottes erscheint im Leben eurer Umgebung.
Manchmal gar nicht, weil ihr so viel redet, sondern manchmal einfach, weil ihr auffallt.
Das ist das Ziel, das ist ein großes Ziel unserer Erwartung.
