Einführung und Gebet zum Beginn
Ja, dann möchte ich gerne noch mit euch beten. Ihr dürft dazu auch gleich aufstehen.
Vater im Himmel, wir haben dir gesungen, dass wir dich lieben, dass wir dir vertrauen und dir nachfolgen wollen. Das ist auch wirklich so.
Wir danken dir für den Abend und für dein Wort. Wir danken dir dafür, dass wir in deinem Wort so viel für unser Leben und Denken finden können.
Ich möchte dich bitten, dass du uns heute Abend Aufmerksamkeit schenkst. Gib mir die Aufmerksamkeit, das Richtige zu sagen, und allen anderen die Aufmerksamkeit, das zu hören, was du jedem Einzelnen sagen möchtest.
Amen.
Vorstellung des Jakobusbriefs und Verfasserfrage
Ich möchte mit euch den Jakobusbrief lesen, heute Abend und auch im weiteren Verlauf der Freizeit. Ihr kennt den Jakobusbrief wahrscheinlich schon, denn er enthält einige sehr interessante Stellen. Manche davon kennt ihr vielleicht sogar auswendig.
Martin Luther war nicht besonders begeistert vom Jakobusbrief. Er meinte sogar, man sollte ihn am liebsten aus dem Neuen Testament entfernen. Das hat er natürlich nicht getan, denn er hatte großen Respekt vor dem Wort Gottes. Aber der Jakobusbrief gefiel ihm nicht ganz so sehr, weil dieser Brief uns mehr herausfordert in der Nachfolge.
Andere Briefe sagen uns eher, wie das Gemeindeleben organisiert werden soll, zum Beispiel der erste Timotheusbrief. Wieder andere Briefe erklären, wie das Verhältnis zwischen Gott und Mensch ist, also die gesamte Heilsgeschichte – das ist zum Beispiel der Römerbrief. Der Jakobusbrief legt dagegen großen Wert darauf, wie wir als Christen leben, also auf das, was wir als Heiligung betrachten.
Bevor wir uns dem Brief zuwenden, sollten wir klären, wer ihn geschrieben hat und an wen er gerichtet ist. Vielleicht denkt ihr, das sei ganz einfach, denn im Vers 1 steht ja schon: Jakobus, Knecht Gottes und so weiter. Das stimmt zwar, aber ich muss euch die Frage stellen: Welcher Jakobus ist das denn?
Das ist gar nicht so einfach. Im Neuen Testament finden wir mehrere Personen namens Jakobus. Zum Beispiel gibt es in Lukas 6,16 einen Jakobus, der als Vater des Judas Thaddäus genannt wird. Dann haben wir einen Jakobus als Bruder des Johannes, also Sohn des Zebedäus. Und schließlich gibt es noch einen leiblichen Bruder Jesu mit dem Namen Jakobus.
Ich bleibe jetzt bei diesen drei, obwohl es noch weitere Jakobus geben könnte. Diese drei gehören zu den bekannteren Jüngern Jesu. Doch welcher von ihnen hat den Brief geschrieben? Wir könnten abstimmen oder versuchen, das anders herauszufinden. Logisch und biblisch lässt sich das mit einem Ausschlussverfahren klären.
Der Vater des Judas Thaddäus wird nur als Vater erwähnt. Er spielt im Neuen Testament keine größere Rolle. Deshalb können wir ihn wohl ausschließen. In der Diskussion konkurrieren vor allem die beiden anderen Jakobus: der Bruder des Johannes, der Jünger Jesu, und der leibliche Bruder Jesu.
Der leibliche Bruder Jesu wird in den Evangelien an mehreren Stellen erwähnt. Solange Jesus auf der Erde war, war dieser Jakobus ablehnend gegenüber seinem Bruder. Besonders im Johannes-Evangelium lesen wir, dass die Brüder Jesu zwar bei ihm waren, aber nichts von seinem Wirken wissen wollten.
Wir wissen jedoch, dass dieser Jakobus, der Bruder Jesu, später gläubig wurde und Mitglied der Gemeinde in Jerusalem war. Ich möchte euch eine Stelle aus der Apostelgeschichte zeigen, die uns Hinweise zu diesen beiden Jakobus gibt. Wenn ihr wollt, könnt ihr Apostelgeschichte 12 aufschlagen.
Dort heißt es in Vers 1: „Um jene Zeit aber legte König Herodes Hand an etliche von der Gemeinde, um sie zu misshandeln, und er tötete Jakobus, den Bruder des Johannes, mit dem Schwert.“ Das bedeutet, der Jakobus, Sohn des Zebedäus und Bruder des Johannes, wird hier getötet.
Somit spielt dieser Jakobus im weiteren Verlauf der Apostelgeschichte keine Rolle mehr. Wenn wir in Kapitel 12 etwas weiterblättern, finden wir in Vers 17 eine weitere Stelle. Dort geht es um die Gefangenschaft des Petrus. Es heißt: „Und er gab ihnen mit der Hand ein Zeichen, dass sie schweigen sollten, und erzählte ihnen, wie der Herr ihn aus dem Gefängnis geführt hatte. Er aber sprach: Meldet dies dem Jakobus und den Brüdern.“
Das kann nicht der Jakobus sein, der gerade getötet wurde. Es muss ein anderer Jakobus sein. Im weiteren Verlauf der Apostelgeschichte begegnen wir diesem Jakobus immer wieder. Paulus trifft ihn, diskutiert mit ihm, und er ist beim Apostelkonzil dabei. Dieser Jakobus wird als Säule der Gemeinde in Jerusalem bezeichnet.
Er spielt eine wichtige Rolle in der frühen Kirchengeschichte. Es handelt sich um den Bruder Jesu, der zu Lebzeiten Jesu nicht gläubig war, aber nach dessen Tod zum Glauben kam. Im ersten Korintherbrief 15 wird erwähnt, dass Jesus auch dem Jakobus erschienen ist, nachdem er auferstanden war.
Dieser Jakobus begann daraufhin zu glauben, wurde Mitglied der Gemeinde und wahrscheinlich eine Art Ältester in Jerusalem. Wahrscheinlich hat er auch den Jakobusbrief geschrieben.
Letztendlich ist es nicht ganz entscheidend, wer genau der Verfasser war, denn wir wissen, dass der Brief Teil des Wortes Gottes ist und von Gott eingegeben wurde. Wenn wir dem aber nachgehen wollen, müssen wir davon ausgehen, dass es der Bruder Jesu war.
An wen schreibt er? Das sagt er auch selbst: Er grüßt die zwölf Stämme, die in der Zerstreuung sind.
Adressaten des Jakobusbriefs und Bedeutung der zwölf Stämme
Jetzt könnten einige von uns gleich sagen: "Hm, zwölf Stämme, wer ist das?" Die Bibelleser wissen, dass es sich um die zwölf Stämme Israels handelt. Das können wir allerdings auch schon leicht erklären. Denn ihr wisst ja: Nachdem Israel ins Heilige Land gezogen war, gab es zunächst David und dann Salomo. Danach zerstritten sich die Stämme allerdings. Es entstanden zwei Königreiche: Das Nordreich mit zehn Stämmen und das Südreich mit zweieinhalb Stämmen.
Das Nordreich wurde relativ bald erobert, in die Zerstreuung geführt und assimiliert. Das heißt, heute weiß niemand mehr genau, wo diese Stämme geblieben sind. Nur das Südreich, Juda, wurde in die Gefangenschaft nach Babylon geführt, später zurückgeführt und Jerusalem wurde wieder aufgebaut. Daher kommt unter anderem auch die Bezeichnung „Juden“. Wenn wir heute von „Juden“ sprechen, meint das ursprünglich die Mitglieder des Stammes Juda.
Woher kommt das? Weil die meisten Juden heute Nachkommen des Stammes Juda sind, wurde das Königreich Juda, also das Südreich, auch Juda genannt – beziehungsweise Judäa. Dort lebten die meisten Israeliten, die Kinder Israels, aus dem Stamm Juda. Deshalb werden die Juden heute so genannt. Eigentlich wäre der korrekte Begriff Israeliten, aber der Großteil Israels ist verstreut, und niemand weiß mehr genau, wo sie sind.
Natürlich könnt ihr euch auf die Recherche machen und herausfinden, wo die verlorenen zehn Stämme geblieben sind. Es gibt zahlreiche interessante Literatur dazu. Allerdings haben diese Werke eines gemeinsam: Sie sind meist sehr spekulativ und wenig zuverlässig. Genau gesagt weiß es niemand, wo die zehn verlorenen Stämme heute sind.
Es gibt aber einige Ansätze und Theorien. Zum Beispiel gibt es eine religiöse Gemeinschaft, die auch in Deutschland vertreten ist: eine Kirche Gottes. Es gibt viele Kirchen Gottes, aber diese nennt sich Kirche Gottes Armstrong, nach ihrem Gründer. Diese Gemeinschaft meint sicher zu wissen, dass die zehn verlorenen Stämme in England sind, also die Engländer die zehn verlorenen Stämme darstellen.
Das ist natürlich eine tolle Vorstellung. Wenn du Engländer bist, kannst du nicht nur Christ werden, sondern gehörst auch noch zum Volk Israel. Die Mormonen vertreten die Auffassung, dass wahrscheinlich die Indianer Nachfolger dieser Juden und der zehn verlorenen Stämme sind.
Ich könnte jetzt auch ganz neue Thesen aufstellen. Wie wäre es zum Beispiel mit der Idee, dass die verlorenen zehn Stämme hier in Lippe leben? Also vielleicht ganz in unserer Nähe. Man weiß es nicht so genau. In letzter Zeit bewerben sich tatsächlich einige Gruppen für die Zugehörigkeit zu diesen zehn Stämmen.
Ich war im Mai in Israel und habe dort eine Israelreise geleitet. Dabei habe ich auch mit einigen Juden gesprochen. Einer, der sich gut auskannte, erzählte mir, dass Israel in den letzten Jahren Probleme hat, weil sich weltweit zu viele Juden melden.
Was ist der Hintergrund? Israel hat in seiner Verfassung festgelegt: Wenn du Jude bist, egal wo du wohnst, hast du Anspruch auf die Staatsbürgerschaft in Israel. Das heißt, du musst dich nur melden und sagen: „Ich bin Jude.“ Dann kannst du Staatsbürger werden.
Nun gibt es immer mehr kleine Gruppen und Stämme, vor allem in armen Ländern, die plötzlich entdecken, dass sie schon immer Juden waren. Sie glauben an einen Gott und so weiter. Diese Gruppen bewerben sich nun und sagen: „Holt uns hier raus, und wir gehen nach Israel.“ In Israel lebt es sich tatsächlich besser als in vielen Teilen Nordindiens.
Allerdings ist man in Israel heute vorsichtig. Es genügt nicht mehr, sich nur beschneiden zu lassen und an einen Gott zu glauben. Zwischenzeitlich werden Gentests bei den Bewerbern gemacht. Man will damit feststellen, ob sie viele Gene mit anderen Juden gemeinsam haben, sodass man sagen kann, sie stammen wirklich vom Volk Israel ab.
Aber wie gesagt, ich halte von all diesen Geschichten nicht allzu viel. Wir wissen nicht, wo die zehn Stämme sind. Gott weiß es. Vielleicht werden sie am Ende der Zeiten noch auftauchen.
Auf jeden Fall schreibt der Verfasser hier an die zwölf Stämme. Wir müssen sagen, dass er sie nicht wörtlich durchzählt. Jakobus wollte das damals auch nicht wissen. Die Stämme waren ja schon lange verstreut. Das war ein Fachbegriff, ein Terminus technicus, für das Volk Israel. In Wirklichkeit grüßt er also all diejenigen, die zum Volk Israel gehören.
Man kann natürlich fragen: Warum gerade die zwölf Stämme? Wahrscheinlich wendet er sich in erster Linie an die Judenchristen, was verständlich ist. Wenn wir die Apostelgeschichte lesen, sehen wir, dass Jakobus mit Paulus konferiert und ihm sagt: „Ich bin für die Juden, um sie zu bekehren, und du bist für die Heiden, um sie zu bekehren.“ Deshalb spricht er hier in erster Linie die Judenchristen an.
Natürlich könnten einige jetzt sagen: „Ich bin kein Judenchrist.“ Nein, das ist nur der Gruß an das erste Publikum. Das heißt nicht, dass der Brief nicht auch für andere Christen gilt. Sonst müsste man auch sagen: „Am Anfang des Korintherbriefs steht: Liebe Korinther. Ich bin aber kein Korinther, und ein Galater bin ich auch nicht, ein Römer auch nicht, und Epheser bin ich ebenfalls nicht. Dort steht nirgends: ‚Ihr lieben Geschwister in Brake‘. Also gilt das alles nicht für uns.“ So funktioniert die Bibel nicht.
Das sind die primären Adressaten. Aber in zweiter Linie sind damit alle Christen gemeint. Paulus sagt ja auch an einer Stelle, dass der Brief aus Laodizea ausgetauscht werden soll und man ihn auch anderen Gemeinden geben soll. Das heißt, diese Briefe sind für alle Christen bestimmt.
Paulus war sich von Anfang an bewusst, dass das, was er schreibt, nicht nur für eine Gemeinde oder Gruppe gilt, sondern generell für alle Christen. Auch wenn er sich zuerst an eine spezielle Gruppe wendet.
Deshalb, wenn Jakobus hier an die zwölf Stämme schreibt, also an die Judenchristen, dann sind diese zuerst gemeint. Darüber hinaus aber auch alle anderen Christen – also auch wir.
Selbstverständnis des Jakobus und Demut als Vorbild
Ja, das waren jetzt ein paar einleitende Gedanken. Jetzt möchte ich gleich zu den ersten Versen kommen, beziehungsweise erst einmal zum ersten Vers. Der erste Vers ist nämlich sozusagen die Überschrift, er ist in sich abgeschlossen. Danach habe ich vor, mit euch die Verse zwei bis achtzehn zu lesen. Ich hoffe, dass wir das zeitlich gut schaffen. Hier kommt mir zugute, dass ich kurzsichtig bin und die Zeit gar nicht so richtig sehe. Also, wenn es zu lange wird, sagt bitte Bescheid.
Der erste Vers lautet: „Jakobus, Knecht Gottes und des Herrn Jesus Christus, grüßt die zwölf Stämme, die in der Zerstreuung sind.“ Eigentlich könnten wir sagen, das ist klar, keine großen Fragen. Doch ich denke, hier steckt eine ganze Menge drin, was uns zum Nachdenken anregen sollte. Jakobus ist in gewisser Weise eine Herausforderung und ein Vorbild für uns.
Jakobus stellt sich erstmals als Knecht Gottes vor. Den Begriff „Knecht Gottes“ kennen wir auch aus dem Alten Testament; einige Propheten gebrauchen ihn für sich. In Wirklichkeit ist das aber kein Titel, mit dem wir uns heute unbedingt brüsten würden. Jakobus hätte ja noch ganz anderes vorzuweisen, oder? Er könnte sagen: „Ich bin ein richtiger Bruder von Jesus, ich kenne ihn schon, als er noch als kleiner Junge im Sandkasten spielte.“ Das wäre doch etwas, denn wer damals in der Gemeinde hätte da mithalten können?
Das wäre vergleichbar damit, wenn ihr heute einen großen geistlichen Helden habt oder, sagen wir, politisch Frau Merkel. Dann könntet ihr sagen: „Ich saß mit Frau Merkel in der Schule, sie war meine beste Freundin, und wir haben zusammen Karten gespielt, fernsehen geschaut, evangelisiert oder Gottesdienst besucht.“ Wer Frau Merkel mag, für den wäre das etwas Besonderes, oder? Und das hätte Jakobus hier sagen können: „Hört mal auf mich, ich kenne Jesus am längsten, viel länger als ihr alle.“ Und er hätte damit Recht gehabt, er hätte nicht gelogen.
Er hätte auch sagen können: „Ich bin der Leiter der wichtigsten und ersten Gemeinde überhaupt.“ Da wird uns ja eine apostolische Geschichte vorgestellt, in der Jakobus als Säule der Gemeinde in Jerusalem gilt. Das hätte ihm richtig Autorität gegeben. So ähnlich, wie wenn der Papst sagt: „Ich bin Oberhaupt der Gemeinde in Rom und damit auch über die ganze Welt.“ Wenn jemand ein päpstliches Dekret liest, steht da tatsächlich nicht „Der Bischof von Rom hat erkannt und sagt das und das“, sondern so ähnlich hätte Jakobus sagen können: „Ich bin Bischof von Jerusalem, der ersten Gemeinde, und wie Gott da gesegnet hat.“ Das wäre Autorität. Und er hätte es tun können.
Was ich hieraus ziehe, ist, dass auch wir wahrscheinlich danach streben sollten, zu überlegen, wie wir uns an erster Stelle definieren. Definieren wir uns über Positionen in der Gemeinde, in der Gesellschaft, über unsere Herkunft oder etwas anderes? Von Jakobus sollten wir Demut lernen. Bei Gott spielt das alles eine untergeordnete Rolle. Das sollte auch in der Gemeinde so sein.
Also nicht zuerst sagen: „Ich bin Doktor, Professor für Theologie“ – das ist nett, aber spielt für die Gemeinde eine untergeordnete Rolle. Oder zu sagen: „Ich habe diesen Job, diese Position, diese Herkunft oder bin blaublütig“ – all das sollte in der Gemeinde an zweiter oder dritter Stelle stehen.
Glaubt nicht, dass das umsonst da steht, denn die Gefahr und Versuchung besteht heute genauso, dass Leute sich über Ämter und Pöstchen definieren und meinen, man müsse ihnen deshalb besonders zuhören.
Ich kann das hier sagen: Ich glaube, wir haben jetzt keinen Österreicher hier, oder? Oh, da muss ich vorsichtig sein. Nein, ich sage das trotzdem, denn die Österreicher kennen sich da aus und werden mir zustimmen. Was mir in Österreich begegnet ist – ich bin ja ab und zu Lehrer in Wien an einer Ausbildungsstätte – ist, dass die Leute dort noch viel mehr Wert auf Titel legen als in Deutschland.
Wenn ich mal durch Wien gehe, sehe ich fast an jeder Klingel „Magister“, „Doktor“ oder „Hofbäcker“ und Zulieferer, obwohl es ja keinen Kaiser mehr gibt. Das ist dort einfach stärker ausgeprägt. Österreichische Christen haben mir gesagt, das sei unheimlich wichtig und wertvoll. Manchmal kann das sogar Einfluss auf eine Gemeinde in Österreich haben. Wenn man dort in der Gemeinde oder Öffentlichkeit auftritt und seinen Doktortitel hat, hören die Leute gleich doppelt so viel zu.
In Deutschland ist das auch so, aber ich habe den Eindruck, dass das in Österreich noch einen stärkeren Stellenwert hat. Das ist von Kultur zu Kultur unterschiedlich.
Jetzt muss ich ein bisschen rückwärts schauen, ob das bestätigt wird. Das sind Geschichten, die man schon seit Jahrzehnten erzählt. Ach so, ja, die jüngeren Österreicher legen nicht mehr so viel Wert darauf? Okay, na ja, so ganz ist es wohl nicht. Es kommt darauf an.
Ganz egal, ob Österreich oder Deutschland – ich glaube, wir alle sind dafür anfällig. Ich erinnere mich an eine Geschichte, bei der eine junge Frau aus unserer Gemeinde bei einer Fernsehsendung mitgemacht hat, so etwas wie „Deutschland sucht den Superstar“. Unsere Töchter waren total fasziniert, weil diese Frau im Fernsehen war. Da spielt dann vielleicht etwas eine Rolle, die nicht mehr mit Titeln zu tun hat, sondern mit öffentlicher Bedeutung.
Ich glaube, das kann uns alle treffen. Wir sollten aufpassen, dass wir selbst nicht so handeln. Wenn ich in der Gemeinde auftrete, sollte das eine untergeordnete Rolle spielen.
Jakobus macht das sogar noch deutlicher. Er sagt wörtlich: „Ich bin Sklave.“ Knecht klingt vielleicht noch nett, aber heute verwenden wir das kaum noch. Fragt mal, wer von euch den Beruf „Knecht“ hat – wahrscheinlich niemand. Das macht ja kein Prestige.
Und wenn ich dann sage, wer von euch ist Sklave? Manche denken jetzt vielleicht geistlich, aber der Begriff wurde damals ganz real gebraucht. Es gab Sklaven, die niedrigste gesellschaftliche Schicht. Sie hatten keine öffentlichen oder gesellschaftlichen Rechte.
Hier nennt sich Jakobus zuerst einmal „Sklave“, ähnlich wie Paulus es an manchen Stellen tut. Ich glaube, hier ist eine Herausforderung für uns: Erst einmal niedrig von uns selbst zu denken. Nicht zu sagen: „Schau, was ich bin und repräsentiere“, sondern deutlich zu machen: „Ich bin eigentlich gar nicht so wichtig.“
Diese Lektion wird uns allen im Laufe des Lebens begegnen. Wenn ihr noch nicht dahin gekommen seid, wartet ab, Gott wird euch dahin führen. Da bin ich hundertprozentig überzeugt. Spätestens, wenn du im Altenheim im Bett liegst und nichts mehr machen kannst, wirst du nicht mehr denken: „Ich bin der große Held.“ Dann wirst du merken, du bist nichts.
Viel besser ist es, das vorher zu begreifen. Wenn du es vorher verstehst, kannst du richtig damit umgehen, mit der richtigen Demut auftreten und sehen, wie du mit anderen Menschen umgehst. Das ist das, was Jakobus uns hier zum Vorbild macht.
Er sagt nicht nur: „Ich bin Sklave“, sondern „Ich bin Sklave Gottes.“ Auch das ist heute in der Gemeinde keine allzu beliebte Bezeichnung. Wenn ich mich im deutschen Büchermarkt umschaue, sehe ich kaum Andachten mit Titeln wie: „Du bist Sklave Gottes!“
Das will heute keiner hören. Stattdessen hört man öfter: „Du bist das geliebte Kind Gottes“, „Du bist wertvoll“, „Du bist wichtig.“ Das hören wir gern, weil es unsere Eitelkeit und unser Selbstwertgefühl schmeichelt. Wie gut tut das, wie wichtig bin ich, wie toll bin ich, und eigentlich könnte Gott froh sein, dass ich in seiner Mannschaft bin. Was könnte er ohne mich tun?
So deutlich sagen wir das meistens nicht, aber ein bisschen in diese Richtung geht es schon. Wir nehmen uns zu wichtig, weil die Gesellschaft uns viele Streicheleinheiten gibt und uns immer wieder sagt, wie toll wir sind. Manchmal passiert das auch in der Gemeinde.
Aber schaut mal, an irgendeiner Stelle, wo Paulus über sich selbst spricht, sagt er nicht: „Ich bin der Wichtige, der Bekannte oder der Große.“ Das kommt nicht vor. Stattdessen lesen wir in der Bibel eher, dass wir nicht massenhaft Streicheleinheiten brauchen. Wir lieben uns meistens sowieso schon genug.
Was wir brauchen, ist ein Zurechtrücken unseres Kopfes, um zu sehen: Wer bist du eigentlich? Erkenne vor Gott, dass du Sklave bist und es auch sein sollst.
Das sagt nicht nur Jakobus, sondern auch Jesus selbst. Er sagt: Du bist ein Knecht. Du arbeitest den ganzen Tag, und abends kommst du zu deinem Herrn. Der klopft dir nicht mal auf die Schulter, sondern macht das Essen. Du hast alles getan, was nötig war, mehr nicht. So bist du als Christ.
Ich betone das etwas stark, weil ich glaube, dass wir gerade in der westlichen Christenheit eine zu starke Betonung auf unser Wohlbefinden legen. Letztendlich leiden wir darunter, weil wir so nicht die richtige Beziehung zu Gott bekommen.
Wir müssen zuerst erkennen: Gott ist der absolute Herr. Nicht nur in Worten und Liedern, sondern wirklich in unserem Leben und Denken. Auf ihn kommt es an, und das heißt: Ich bin ihm gegenüber erst einmal der unnütze Sklave.
Und wenn er mich gebraucht, ist das das große Wunder. Gott gebraucht mich, obwohl ich der unnütze Sklave und Knecht bin. Das ist genau die Perspektive, die Jakobus hat, und ich halte sie für richtig und gut.
Sie befreit uns auch davor, Kompromisse an der falschen Stelle zu machen, nur um anderen Menschen zu gefallen. Wenn ich viel Wert darauf lege, die anerkannte akademische Autorität zu sein, oder eine wichtige Position zu haben, bin ich schnell geneigt, Zugeständnisse zu machen, wenn meine Autorität in Frage gestellt wird. Ich will meinen Status behalten.
Wenn ich aber zuerst sage: „Ich bin der Allerletzte, der Sklave“, wie kann mir dann jemand noch schaden? Wenn einer sagt: „Du bist ein Blödkopf“, kann ich sagen: „Ja, du hast recht, ich bin ganz blöd.“ Wenn du begriffen hast, welche Sünde in deinem Leben wirkt und wie wir vor Gott dastehen, können andere Dinge viel weniger ausmachen.
Wenn du dich wahnsinnig wichtig nimmst, bist du viel eher beleidigt oder fühlst dich angegriffen – in der Gemeinde, am Arbeitsplatz oder anderswo.
Denjenigen von euch, die unter totalen Minderwertigkeitskomplexen leiden, empfehle ich, hier einfach mal wegzuhören. Ich gebe euch später auch noch ein paar stärkende Worte aus der Bibel. Die gibt es hier auch.
Ich habe aber den Eindruck, dass diese stärkenden Worte heute zu stark betont werden. Wir brauchen auch eine Stelle, an der das andere betont wird: Begreife deine reale Stellung vor Gott. Das ist hier mit drin.
Dann sagt Jakobus noch: „Ich bin also Knecht, Sklave Gottes und des Herrn Jesus Christus.“ „Herr“ meint hier genau dasselbe wie „Kyrios“, das ist der Herrscher über die Knechte. Das ist nicht der höfliche Begriff „Herr“, wie wir ihn heute verwenden, sondern Jesus ist der Sklavenhalter.
Ich sage das bewusst so, denn im Römerbrief lesen wir, dass Jesus uns vom Sklavenmarkt freigekauft hat. Das gleiche Bild wird benutzt: Bildest du dir ein, du wärst vollkommen selbständig? Nein, du bist immer Sklave – entweder der Sünde oder Gottes.
Es gibt nicht den autonomen Menschen, der frei herumschwebt und sagt: „Jetzt mache ich mal so oder so.“ Die Bibel malt das eher schwarz-weiß: Du bist entweder bestimmt durch diese Welt und deine Lust oder durch Gott.
Nebenbei gibt uns Jakobus hier auch einen Hinweis auf die Göttlichkeit Jesu. Er sagt: „Ich bin Sklave Gottes und des Herrn Jesus Christus.“ Jesus wird hier auf eine Stufe mit Gott gestellt. Das ist ein indirekter Hinweis auf die Göttlichkeit Jesu, den wir hier mitlesen können.
Beginn der Auslegung: Anfechtung und Versuchung (Jakobus 1,2-18)
Ja, und dann kommen eben die Grüße. Jetzt lese ich euch den nächsten Absatz vor und füge noch einige Gedanken hinzu.
Das erste große Thema, das Jakobus aufgreift, ist die Anfechtung, die Versuchung. Ich lese Kapitel 1, Verse 2 bis 18:
Meine Brüder, achtet es für lauter Freude, wenn ihr in mancherlei Anfechtung geratet, da ihr ja wisst, dass die Bewährung eures Glaubens standhaftes Ausharren bewirkt. Das standhafte Ausharren aber soll ein vollkommenes Werk haben, damit ihr vollkommen und vollständig seid und es euch an nichts mangelt.
Wenn es aber jemanden unter euch an Weisheit mangelt, so erbitte er sie von Gott, der allen gerne und ohne Vorwurf gibt; so wird sie ihm gegeben werden. Er bitte aber im Glauben und zweifle nicht, denn wer zweifelt, gleicht einer Meereswoge, die vom Wind getrieben und hin und her geworfen wird. Ein solcher Mensch denke nicht, dass er etwas vom Herrn empfangen wird.
Ein Mann mit geteiltem Herzen ist unbeständig in allen seinen Wegen. Der Bruder aber, der niedrig gestellt ist, soll sich seiner Erhöhung rühmen, der Reiche dagegen seiner Niedrigkeit. Denn wie eine Blume des Grases wird er vergehen. Kaum ist die Sonne aufgegangen mit ihrer Glut, so verdorrt sie das Gras, und seine Blume fällt ab, und die Schönheit seiner Gestalt vergeht. So wird der Reiche verwelken auf seinen Wegen.
Glückselig ist der Mann, der die Anfechtung erduldet, denn nachdem er sich bewährt hat, wird er die Krone des Lebens empfangen, welche der Herr denen verheißt, die ihn lieben.
Niemand sage, wenn er versucht wird: Ich werde von Gott versucht. Denn Gott kann nicht versucht werden zum Bösen, und er selbst versucht auch niemanden. Jeder einzelne wird versucht, wenn er von seiner eigenen Begierde gereizt und gelockt wird. Danach, wenn die Begierde empfangen hat, gebiert sie die Sünde; die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebiert den Tod.
Irrt euch nicht, meine geliebten Brüder: Jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk kommt von oben herab, von dem Vater der Lichter, bei dem keine Veränderung ist, noch ein Schatten infolge von Wechsel. Nach seinem Willen hat er uns gezeugt durch das Wort der Wahrheit, damit wir gleichsam Erstlinge seiner Geschöpfe seien.
So weit der Text. Ich gehe den Text jetzt Stück für Stück durch und versuche, euch etwas daraus zu entwickeln.
Bedeutung von Anfechtung und Versuchung im Alltag
Also zunächst einmal zum Begriff der Anfechtung: Was bedeutet das eigentlich? Manche Auslegungen stellen Anfechtung und Versuchung einander gegenüber und sagen, Anfechtung komme von Gott, Versuchung aber vom Teufel. Tatsächlich klingt das ähnlich, denn am Anfang steht, dass wir uns über die Anfechtung freuen sollen, und dann wird gesagt, Gott versucht nicht.
Dieser Unterschied kann durchaus real sein, doch für unseren Alltag bringt er wenig. Wenn ihr in einer schwierigen Situation seid, wie wollt ihr denn herausfinden, ob das von Gott oder vom Teufel kommt? Zum Beispiel, wenn jemand in euer Büro kommt und euch bestechen will. Ihr steht in der Versuchung: Nehme ich das an oder nicht? Dann überlegt ihr erst einmal, ob das vom Teufel oder von Gott ist. Und wie bekommt ihr das heraus? Gar nicht. Deshalb ist diese Unterscheidung theologisch interessant, aber für unser Alltagsleben weitgehend irrelevant. Ich möchte dem daher nicht weiter nachgehen.
Wichtiger ist die Frage: Was meint die Anfechtungsversuchung, also Anfechtung beziehungsweise Versuchung? Darauf richtet Jakobus sein Hauptaugenmerk. Nicht, dass wir lange theologisieren, sondern dass wir verstehen, worum es überhaupt geht.
Interessanterweise nennt er in diesem Text nur zwei Dinge, die Anfechtung verursachen können. Mir fallen da zwei ein: Armut und Reichtum. Das kann Anfechtung sein. Das ist klar: Der Arme kann angefochten sein, weil er Gott dauernd Vorwürfe macht: „Gott, warum lässt du mich hier in der Armut? Warum muss ich hungern? Warum geht es mir so schlecht?“ Dann kommt noch Neid hinzu, und Neid ist ja auch eine Sünde, also eine weitere Anfechtung.
Und der Reiche? Der kann sich auf seinen Reichtum etwas einbilden und sagen: „Gott, ich brauche dich doch gar nicht, ich habe alles selbst.“ Daraus können Stolz, Hochmut und vieles mehr entstehen. Das sind zwei Beispiele, die Jakobus hier für Anfechtung nennt.
Im Grunde möchte ich die These aufstellen: Letztendlich kann in unserem Leben alles zur Anfechtung werden. Es gibt nichts, was nicht Anfechtung werden kann. Wenn ihr denkt, das betrifft nur das Unmoralische, dann liegt ihr falsch. Gerade gefährlicherweise können wir als Christen sogar frommen Anfechtungen ausgesetzt sein.
Nehmen wir zum Beispiel den Hochmut, der oft erwähnt wird. Da siehst du etwa den Pharisäer, der den armen Sünder in der Gasse sieht und denkt: „Gut, dass ich nicht so sündig bin wie der.“ Und schon bist du in die Anfechtung hineingefallen. Sünde, Pech gehabt.
Sogar das Bibellesen kann zur Anfechtung werden. Erst einmal, wenn du Sachen nicht verstehst. Aber nehmen wir an, du verstehst es. Vielleicht liegst du gerade in der Bibel, obwohl du stattdessen besser zum Nächsten oder zu deiner Frau oder deinem Mann gehen und mithelfen solltest. Wenn ich das meinen Kindern sagen würde – vielleicht würden sie, wenn sie richtig fromm wären, das sogar ausnutzen. Stellt euch vor, ich säge Holz und sie sagen: „Papa, ich kann nicht mithelfen, ich lese in der Bibel.“ Als Bibelschullehrer müsste ich dann sagen: „Gut, dann säge ich alleine.“ Dann bin ich der Ungeistliche, der arbeitet, während die anderen in der Bibel lesen.
So merken wir: Auch das Bibellesen kann zur Anfechtung werden. Oder das Beten, alles kann zur Anfechtung werden, weil es darauf ankommt, dass alles an der richtigen Stelle, zum von Gott gewollten Zeitpunkt geschieht. Wenn das nicht der Fall ist, kann uns das schaden und kaputtmachen.
Das heißt, wir müssen eine ständige Beziehung zu Gott haben. Genau dazu lädt uns die Bibel immer wieder ein. Es genügt nicht, einen Raster von zwanzig Geboten und Verboten zu haben und diese einzuhalten, um dann zu sagen: „Jetzt ist alles glatt gelaufen, jetzt habe ich keine Versuchung mehr.“ Nein! Alles in unserem Leben kann zur Anfechtung werden, wenn wir die Verbindung zu Jesus vernachlässigen und dann nicht mehr wissen, was zu welchem Zeitpunkt, in welchem Maße und mit welcher Motivation richtig ist zu tun.
Ich möchte euch die Augen öffnen, damit wir mehr erkennen, dass Anfechtung uns alle betrifft. Manchmal wäre ich versucht, in früheren Jahren – das mache ich jetzt nicht, auch bei euch nicht, um niemandem zu nahe zu treten – zu fragen, ob es Leute gibt, die die Versuchung schon überwunden haben und nichts mehr mit Anfechtung zu tun haben. Ich frage das jetzt nicht, denn danach müsste ich euch bloßstellen und sagen: „Dann bist du ein schlechter Christ.“ Gut, dass sich niemand gemeldet hat, oder?
Warum? Nehmen wir den Heiligsten von allen, nämlich Jesus. Hatte Jesus mit Anfechtung zu tun, ja oder nein? Ja, eben. Wir sehen die Versuchungen in der Wüste. Liegt das daran, dass er ungeistlich war? Gar nicht.
Am Ende der Versuchungsgeschichte steht etwas Spannendes: Dort heißt es, der Teufel ließ von ihm ab „eine Zeit lang“. Das bedeutet, spätestens dann setzte die Anfechtung wieder ein, etwa im Garten Gethsemane, als Jesus betete: „Bitte lass das Leid an mir vorübergehen.“ Ein Kampf, eine Auseinandersetzung.
Das heißt, selbst der Sohn Gottes, Jesus, der absolut sündlos war, hatte immer wieder mit Anfechtung zu tun. Wie heilig willst du dann sein, wenn du keine Anfechtung mehr erleben willst? Wir werden unser ganzes Leben lang, solange wir hier auf der Erde sind, mit Anfechtung zu tun haben. Wenn das nicht mehr der Fall ist, heißt das entweder, dein geistliches Leben ist tot. Dann braucht der Teufel auch nicht mehr anzufechten. Was tot ist, kann nicht noch toter werden.
Oder es kann sein, dass manche Christen diesen Trick beherrschen: Sie erklären ihr Leben für heilig und rechtfertigen dadurch alle Fehler. Wenn sie etwas Böses tun, wird gesagt: Das ist nur zeitgemäß, gilt heute nicht mehr, das hat nur Paulus gesagt, nur Petrus, nur im Alten Testament. Für alles gibt es eine Erklärung, und am Ende gilt nur: Was ich tue, ist richtig, und was ich nicht tue, ist falsch.
Dann hast du mit Anfechtung auch nichts mehr zu tun. Aber dann hast du auch wenig mit dem Geist Gottes zu tun. Du bist mehr oder weniger dein eigener Gott, der Gesetzgeber. Gott bestimmt dann nicht mehr, was richtig und falsch ist, sondern du selbst.
Diese beiden Wege sehe ich nur, um ganz der Anfechtung auszuweichen: Entweder du erklärst alles Böse für gut, weil du es tust, oder du bist geistlich tot. Dann hat der Teufel kein Interesse, dich weiter zu piesacken, denn aus seiner Sicht ist alles in Ordnung.
Wenn du Jesus nachfolgen willst, musst du dich darauf einstellen, dass du lebenslang mit Anfechtung zu tun hast – immer wieder.
Die positive Funktion der Anfechtung im Glaubensleben
Und dann lesen wir, dass Jakobus es wirklich draufhat, uns zu zeigen, wie Gott denkt. Ich nenne das für mich gerne vollkommen asymmetrisch. Ein Begriff aus der Mathematik: Symmetrisch bedeutet ja, dass etwas gleichmäßig geordnet ist – rechts und links alles schön gleich. So reagieren wir normalerweise als Menschen.
Als Menschen reagieren wir meist so: Wenn dir jemand einen Zahn ausschlägt, schlägst du dem anderen auch mindestens einen aus, so wie wir es im Alten Testament finden. Das ist noch relativ nachvollziehbar und entspricht unseren Emotionen. Diese müssen wir zwar oft etwas zügeln, meistens gilt: „Er zägt mir einen aus, ich zeige ihm zwei aus.“ Aber das ist eben alles noch menschlich.
Was Jesus fordert, ist etwas ganz anderes: Wenn dir einer auf die eine Seite haut, halte ihm die andere hin. Es gibt viele Auslegungen, die versuchen, dieses Ärgernis herunterzuerklären. Manche sagen, das sei gar nicht so gemeint, und in Wirklichkeit werde der andere dadurch bloßgestellt oder Ähnliches. Nein, das begreifen viele nicht. Es ist wirklich ein Ärgernis.
Jesus will, dass du vollkommen verrückt denkst und handelst – aber verrückt im Sinne von ihm. Er will gerade, dass du nicht nach der Logik der Welt handelst. Und genauso fängt Jakobus hier auch an, indem er sagt: „Meine Brüder, achtet es für lauter Freude, wenn ihr an mancherlei Anfechtung fallt.“
Wenn ihr das schon oft gelesen habt, kommt euch das vielleicht nicht mehr so revolutionär vor. Aber mich ärgert es immer wieder. Denn normalerweise müsste doch gerade das Gegenteil gelten: Ich freue mich doch, wenn ich nicht in Anfechtung bin. Könnt ihr euch noch an eure letzten Anfechtungen erinnern? War das schön? War das toll, endlich Anfechtung und endlich mal wieder sündigen? Nein, hoffentlich nicht.
Hier ist gerade das Gegenteil gemeint. Normalerweise denken die Leute, das beste Christsein ist, wenn alles glatt und gut läuft. Es gibt manche christliche Gruppierungen, die versprechen: Wirst du Christ, wirst du nie krank, immer wohlhabend, immer glücklich, dir wird alles gelingen, du wirst nie arbeitslos sein. Und diese Menschen erleben das leider oft nicht so.
Warum nicht? Weil Gott diese Versprechen oft nicht hält. Er hat vielfach mit dem Schweren, das er uns erleiden lässt, eine gute Absicht. Was ist das Verrückte? Manchmal lässt Gott dich krank werden, weil er damit eine positive Absicht verfolgt. Manchmal lässt er dich arbeitslos werden, nicht weil ein Missgeschick passiert ist, sondern weil er damit eine positive Absicht hat. Vielleicht ist das gerade die Anfechtung, in der du dich bewähren sollst und die Nähe zu Gott suchen sollst.
Mit dieser Perspektive gehen wir plötzlich ganz anders mit Schwierigkeiten um, die uns begegnen. Denn auch als Christen sind wir oft so gestrickt wie ganz normale Menschen: Kommt ein Problem, wollen wir es so schnell wie möglich loswerden. Aber manchmal lässt uns Gott in der Situation bleiben.
Wenn wir als Christen nicht verstanden haben, dass dieses Drinbleiben manchmal von Gott gewollt ist und er es nicht sofort wegnimmt, dann können wir nicht anders damit umgehen. Wenn wir die falsche Erwartungshaltung haben, dass Gott in jedem Fall nur will, dass du gesund, glücklich und zufrieden bist, werden wir im Leben viel häufiger enttäuscht.
Wir werden viel häufiger in Anfechtung scheitern – und zwar, weil wir Gott Vorwürfe machen, dass er uns nicht den Weg zeigt, den wir uns wünschen. Vielleicht verkennen wir, dass Gott uns gerade im Leid seine Kraft schenken will.
Ich glaube, manche Missverständnisse entstehen, weil wir nicht begriffen haben, was Jakobus hier sagt: „Freut euch, wenn ihr in mancherlei Anfechtung fallt.“ Denn diese Anfechtung ist immer auch ein Mittel, das Gott benutzen kann und will – egal, ob sie von ihm kommt oder vom Teufel. Das ist relativ irrelevant. Auch wenn sie vom Teufel kommt, lesen wir bei Hiob, dass es nur so weit geht, wie Gott es zulässt.
Wenn wir uns darin bewähren, wirkt dieses Bewähren in Anfechtung und Versuchung als Nähe zu Gott. Das ist etwas Geistliches, Substantielles, das wir aber nicht unbedingt von außen sehen können. Es ist etwas, das unser geistliches Leben voranbringen kann.
Irgendwo habe ich mal das Beispiel gelesen, dass diese schwierigen Zeiten vergleichbar sind mit den dicken Knubbeln an einem Grashalm. Biologen sagen, hätte das Gras nicht diese dicken Knubbel, würde es nicht halten. Das Gras wächst schnell, und dann kommt wieder so ein dicker Knubbel, der Stabilität gibt. Das ist nur ein Beispiel.
Die Bibel sagt uns, dass wir die Anfechtung brauchen – und zwar aus mehreren Gründen. Meine These, die nicht von mir stammt, sondern von Jakobus: Er sagt ja, freut euch darüber. Das ist etwas Positives.
Jetzt könnt ihr euch überlegen, warum wir uns überhaupt so verrückterweise über Anfechtung freuen sollen, wenn wir hineingeraten. Es kommen schwierige Lebenslagen, wir haben richtig Probleme damit. Warum also sollen wir uns darüber freuen?
Das ist eine Frage, die wir auch haben. Und das bestätigt die Aussage. Jetzt müsste ich nur noch fragen: Warum tut Gott das denn? Gibt es vernünftige Antworten? Warum soll es nicht einfach gleichmäßig und angenehm laufen? Einen nach dem anderen, bitte!
In manchen Gemeinden ist es so, dass ich an dieser Stelle frage: Gibt es hier Leute, die erst durch Leiden zum Glauben gekommen sind? Ich stelle diese Frage jetzt nicht direkt, aber ich kann sagen: In jeder Gemeinde gibt es solche Menschen.
Da sind Leute, die sagen: Ich habe so larifari gelebt. Selbst Bibelschüler erzählen das. Und plötzlich gab es einen Autounfall, und sie kamen zum Nachdenken: Ich hätte tot sein können. Oder jemand ist durch eine Prüfung gefallen. Ein anderer erzählt, er war mit einem Ungläubigen befreundet, es war alles toll, und plötzlich ging die Beziehung auseinander – tot, traurig, alles schlimm. Und dann begann das Nachdenken: Das war doch der falsche Weg.
Ich könnte euch zahlreiche Beispiele aufzählen. Vor ein paar Jahren war jemand auf einer Freizeit, der sagte: Ich war stark engagiert und eingebunden, und dann hat Gott ihm ein Burnout geschenkt. Im Nachhinein sagte er: Das war genau zur richtigen Zeit. Ich habe den Burnout gebraucht, um Abstand zu nehmen und zu merken, dass ich gar nicht so wichtig für die Firma bin, wie ich dachte. Ich muss mir mehr Zeit für andere Dinge nehmen. Das war natürlich erst mal eine Anfechtung.
Denn jeder, der ein Burnout erlebt, sagt nicht: „Halleluja, jetzt ist der Burnout da.“ Sondern erst mal: „Das ist schlimm.“ Man leidet sehr darunter. Aber manchmal erkennt man im Nachhinein, dass Gott diese Anfechtung gebraucht hat, um unser Leben zu vertiefen.
Ein weiteres Beispiel: Im Frühjahr war ich mit einer Klasse in Bayern in einer Gemeinde und übernachtete bei einem Ehepaar. Der Mann war promovierter Physiker, arbeitete in einer größeren Firma und war totaler Atheist. Vor drei Jahren hat er am Arbeitsplatz immer über Christen gespottet, die Evolutionstheorie verteilt und sich über den Glauben lustig gemacht. Kein Christ konnte ihn überzeugen.
Dann bekam er ein Burnout und merkte, wie als angesehener Doktor Physik plötzlich alles aus der Hand rutschte. In dieser Zeit nutzte Gott etwas anderes: Die älteste Tochter, die ich dort auch kennenlernte, war etwa zehn oder elf Jahre alt. Sie wurde von einer Schulfreundin zu einer christlichen Freizeit eingeladen. Dort bekehrte sie sich, begann zu Hause zu beten, und der hartnäckige atheistische Vater bekehrte sich ebenfalls.
Heute, nur drei Jahre später, wirbt er in seiner Umgebung für den Glauben. Er hält Vorträge gegen die Evolutionstheorie. Er kann wieder arbeiten, hat aber bewusst seine Arbeitspension reduziert, um mehr Zeit für die Gemeinde zu haben. Eine tolle Veränderung.
Was hat ihn in seinem Leben weitergeführt? Nicht lange Überredungen oder logisches Nachdenken, sondern das Leid – die Anfechtung, die auch einen Ungläubigen treffen kann. Denk mal über dein Leben nach.
Er hat die richtige Entscheidung getroffen. Es hätte auch in Verbitterung enden können.
Rückmeldungen und weitere Gründe für Anfechtung
Es gab noch einige Rückmeldungen zu meiner Frage, wofür Anfechtung letztendlich gut ist. Ja, ich bin manchmal schwerhörig. Ja, Anfechtung ist ein Zeichen, dass unser geistiges Leben in Ordnung ist, weil der Teufel versucht, uns wegzuziehen. Aber ich glaube, dass Gott noch mehr Absichten damit hat. Warum ist Anfechtung wichtig? Wofür ist die Bewährung gut? Ich kann auch ganz gut ohne Anfechtung leben.
Anfechtung ist wichtig, damit wir im Glauben wachsen können. Aber wann können wir wachsen? Ich möchte da etwas genauer nachhaken. Wachstum im Glauben beginnt, wenn wir richtig erkennen, wer wir sind. Das merkt man manchmal bei Kindern, vielleicht habt ihr auch solche Kinder, besonders Jungs im Grundschul- und weiterführenden Alter. Sie haben häufig Schwierigkeiten, sich selbst realistisch einzuschätzen. Das sagen nicht nur ich, sondern auch offizielle Untersuchungen des Kultusministeriums.
Unser Junge ist da manchmal auch so. Wenn man ihn fragt, wie es in der Schule läuft, sagt er: „Gut, ich verstehe alles, ich kann alles.“ Dann kommt eine Arbeit zurück, und plötzlich fragt er: „Warum hat der Lehrer mir keine Eins gegeben? Ich habe doch alles gewusst.“ Nicht ganz so krass, aber manche Menschen haben eine mangelnde Selbsteinschätzung – und das gilt auch geistlich.
Wenn wir meinen, alles sei in Ordnung, arbeiten wir nicht mehr daran. Durch die Anfechtung will Gott uns zeigen, wie die Realität wirklich aussieht. Anfechtung ist so eine Art TÜV für unser geistliches Leben. Manche ärgern sich ja über den TÜV, ich manchmal auch, besonders beim Auto meiner Frau. Beim letzten Mal sagte der TÜV: „Ende, finito, Beerdigung für das Auto.“ Da freut man sich natürlich nicht und denkt: „Warum lassen die das Auto nicht noch durch? Warum kneifen die nicht ein Auge zu?“
Aber letztendlich müssen wir sagen: Eigentlich ist es gut so. Normalerweise zieht der TÜV ein Auto nur aus dem Verkehr, wenn es nicht mehr verkehrssicher ist. Es sollte doch in meinem Interesse sein, mit einem sicheren Auto zu fahren. Als Laie sieht man das manchmal nicht. Wenn der ganze Unterboden verrostet ist und tragende Teile betroffen sind, sieht man das von außen nicht. Der Lack ist noch in Ordnung. Das sieht man erst, wenn man unter das Auto kriecht und an bestimmten Stellen nachschaut.
Genauso ist es bei Gott. Manchmal sieht unser Christsein gut aus, und wir halten es auch für gut. Gott bohrt aber nach, nicht weil er es böse meint, sondern um uns zu zeigen, wie die Realität in unserem Leben aussieht. Erst wenn ich erkenne, wie die Realität wirklich ist, bin ich bereit, daran zu arbeiten und nachzubessern.
Das ist, glaube ich, ein wichtiger Grund, warum wir Anfechtung erleben: um die Echtheit unseres Glaubens zu testen. Nicht als Selbstzweck, sondern damit wir erkennen, wo wir noch arbeiten müssen. So wie ein Kind, das denkt, es sei gut in Englisch, aber dann eine schlechte Note bekommt und merkt, dass es lernen muss. Wenn das Kind denkt, es kann alles, lernt es nicht. Solche Tests und Anfechtungen sind notwendig.
Wofür ist Anfechtung noch gut? Wenn wir richtig darauf reagieren, treibt sie uns immer zu Gott. Wenn es uns gut geht, suchen wir die Nähe Gottes meist nicht so intensiv. Das könnt ihr euch selbst testen. Meistens beten wir am intensivsten, wenn wir Probleme haben. Das ist bei meinen Kindern ganz klar so: Wenn ein Problem da ist, bete ich intensiver für sie. Sonst bete ich zwar auch, aber nicht so intensiv.
Die meisten Menschen erleben das so. Selbst Ungläubige fangen an zu beten, wenn es ihnen schlecht geht. Wann fängt ein Atheist an zu beten? Wenn er kurz vor dem Tod steht oder in einer anderen Notlage. Ich habe eine Zeit lang im Altenheim gearbeitet und solche Geschichten gehört. Da erzählten alte Leute, die zuvor ungläubig waren, dass sie in Kriegszeiten gebetet haben, als ein Flugzeug auf sie zuflog. Sie konnten gerade noch beten, und ihnen geschah nichts.
Auch wir als Christen beten hoffentlich so. Wir merken, dass die intensive Abhängigkeit von Gott besonders stark ist, wenn wir in Anfechtung sind – vorausgesetzt, wir wählen den richtigen Weg. Wer in Anfechtung von Gott wegrückt, der fällt in die Sünde und muss wieder von vorne anfangen. Noch mal zurück auf Null oder auf Los, wie beim Monopoly.
Wenn wir richtig reagieren, suchen wir im Leiden und in der Anfechtung die Nähe Gottes. Nähe zu Gott ist immer wichtig, und in Anfechtung erleben wir oft besondere Eingriffe Gottes. Wenn alles glatt läuft – wenn wir gesund sind, die Familie gut funktioniert und der Arbeitsplatz in Ordnung ist – wo erleben wir dann Gottes Eingreifen?
Die Bibel ist voll von Beispielen, in denen Menschen in Notlagen waren und Gott eingegriffen hat. Die großen Geschichten im Neuen Testament handeln nicht davon, dass Jesus einem Gesunden begegnet, sondern einem Sünder, der umkehrt. Oder von Lazarus, der tot war und von Jesus zurück ins Leben gerufen wurde. Das ist doch beeindruckend.
Wir erleben Gottes Eingreifen besonders in Situationen, die die Bibel als Anfechtung bezeichnet – Situationen, die uns durchschütteln und Probleme bereiten. Das sind einige Gründe, warum Jakobus mit Recht sagen kann: „Freut euch, wenn ihr mancherlei Anfechtung erleidet.“ Nicht weil sie angenehm ist oder schön, sondern weil sie notwendig ist, um uns zu zeigen, wer wir sind.
Anfechtung kann uns besondere Gotteserfahrungen schenken, wenn wir richtig damit umgehen. Sie führt uns näher an Jesus heran, lässt uns erkennen, wer er für uns ist, und lässt uns seine Nähe mehr suchen – oft mehr als in Zeiten, in denen es uns gut geht.
Deshalb sollten wir nicht nur schimpfen, wenn es schwer wird, oder gar Abstand von Gott suchen. Stattdessen sollten wir genau so reagieren, wie Gott es erreichen will. Jakobus beschreibt das so: „Da ihr ja wisst, dass die Bewährung eures Glaubens standhaftes Ausharren bewirkt.“ Das heißt: Wenn ihr in der Anfechtung an Jesus festhaltet, führt das zu standhaftem Ausharren, zu Beständigkeit und Festigkeit im Glauben.
Das bringt Stabilität, die auf Dauer belastbar ist. Es ist etwas Echtes, nicht nur vorgespielt oder eingebildet. Das kann passieren, wenn wir richtig mit Anfechtung umgehen, sagt Herr Grosen.
Dann sagt er weiter: „Das standhafte Ausharren aber soll ein vollkommenes Werk haben, damit ihr vollkommen und vollständig seid und euch an nichts mangelt.“ Gott führt uns also in Versuchung, damit wir geistlich wachsen, vollkommen und vollständig werden.
Um das zu erreichen, müssen wir uns immer wieder vor Augen führen, wo noch Defizite sind, wo noch etwas getan werden muss, wo wir wachsen und näher zu Jesus rücken müssen – und erkennen, wer wir eigentlich sind.
Gott gebraucht Anfechtung als Mittel geistlichen Wachstums. Deshalb sollen wir uns freuen, wenn wir richtig darauf reagieren. Dann bringt sie uns näher zu Jesus, und wir erfahren und erleben mehr von ihm.
Weisheit in der Anfechtung erbitten (Jakobus 1,5-8)
Jetzt stellt sich die Frage: Gehe ich gleich noch zum nächsten Abschnitt oder hebe ich den für morgen auf? Hat jemand eine Uhr bei sich? Neun Uhr fünf. Ich schaue hier vorne zum Chorleiter, um zu sehen, was er mir sagt. Ja, also dann mache ich noch einen Abschnitt, einen kurzen. Das dauert nur ganz kurz, etwa fünf Minuten, und dann machen wir Schluss. Danach kommt das Singen.
Der nächste Abschnitt fängt nämlich hier an. Es geht immer noch um Anfechtung. Zuerst wird gesagt: Wenn ihr Anfechtung besteht, bewirkt sie richtiges Wachstum und bringt euch näher zu Jesus. Jetzt ist aber die Frage: Was ist, wenn ihr nicht darin besteht, wenn ihr es nicht schafft? Darauf geht Jakobus hier ein.
Er sagt: Wenn aber jemand unter euch Weisheit mangelt, so bitte er sie von Gott. Manchmal wird dieser Vers einfach so zitiert, vollkommen aus dem Zusammenhang heraus. Hier geht es nicht um irgendeine Weisheit, sondern darum, wenn einem die Weisheit fehlt, richtig mit der Anfechtung umzugehen. Dann soll man sich an Gott wenden, und der gibt gerne, steht da ja.
„Wer gerne allen Vorwurf gibt, dem wird gegeben werden. Er bitte aber im Glauben und zweifle nicht. Denn wer zweifelt, ist wie eine Meereswoge, die vom Wind hin und her getrieben wird. Ein solcher Mensch soll nicht denken, dass er etwas vom Herrn empfängt. Ein Mann mit geteiltem Herzen ist unbeständig in allen seinen Wegen.“
Hier geht es nicht um ein völlig neues Thema. Es ist nicht gemeint, dass wenn du Gott um irgendetwas bittest, du nur ganz fest davon überzeugt sein musst, dann bekommst du es. Nein, hier steht erst mal nur: Wer Gott um Weisheit bittet.
Und warum wird Gott antworten? Weil Weisheit will, dass wir weise werden. Wenn du mal im ersten Korintherbrief oder in den Sprüchen liest, merkst du: Gott will, dass wir Weisheit bekommen. Aber nicht irdische Weisheit, sondern göttliche Weisheit. Die können wir nicht aus uns selbst herausholen, sondern brauchen sie von Gott.
Das heißt: Wenn ihr in der Anfechtung bestehen wollt, könnt ihr das nicht aus eigener Kraft oder mit eigenen Mitteln schaffen. Ihr könnt das nur mit der Weisheit Gottes. Da ihr diese Weisheit nicht einfach angeboren habt, müsst ihr in dieser Situation um die Weisheit Gottes bitten.
Ihr seid in einer schwierigen Lage – bittet Gott um Weisheit. Nicht unbedingt, um das Problem sofort zu lösen. Das kann eine Variante sein, aber vielleicht zuerst die Weisheit, richtig mit diesem Problem umzugehen. Vielleicht sagt die Weisheit auch: Habe Geduld und harre aus. Die Weisheit Gottes kann unterschiedliche Antworten geben.
Wenn wir allein nicht vorankommen, sollen wir nicht zuerst menschliche Mittel wählen, sondern Gott um Weisheit bitten: Gott, gib mir Weisheit in der Anfechtung, die mich betrifft, damit ich richtig damit umgehen kann. Und dann steht hier das tolle Wort: Gott wird Weisheit geben.
Da steht nicht, dass er das Problem gleich auslöschen wird oder dass alles weggeht. Hier steht auch: Der Unbeständige bekommt nichts. Das hat insofern mit der Anfechtung zu tun, dass ihr das vielleicht kennt: Manchmal gibt es Anfechtung, bei der wir innerlich ganz zerrissen sind, wo wir sagen: Ich will gerne, oder ich will nicht. Ich will, ich will, ich will nicht – so dazwischen.
Eine Sache, mit der ihr alle nichts zu tun habt, die ihr euch aber vielleicht vorstellen könnt: Ihr sitzt im Büro und müsst ein Genehmigungsverfahren für ein Haus durchführen. Da legt jemand Bestechungsgeld auf den Tisch. Ihr seid innerlich zwiegespalten.
Wenn einer von euch sagt, er ist nicht zwiegespalten, dann seid ihr wahrscheinlich schon im Himmel. Aber der Gedanke wird wahrscheinlich jedem kommen: Könnte das jemand merken? Könnte ich das Geld einstecken, ohne dass etwas passiert? Würde derjenige nicht vielleicht sowieso die Genehmigung bekommen? Und so weiter. Das klingt alles nach Denken, Nachdenken, Nachdenken – irgendwie.
Daneben ist dann noch die Stimme Gottes, die sagt: Nein, tu das nicht! Vielleicht erinnert ihr euch noch an ein paar Sprüche, die ihr auswendig gelernt habt, wo steht, dass man kein Bestechungsgeld nehmen soll und so weiter.
Wenn ihr euch daran erinnert, dann ist das dieser innere Kampf, diese innere Auseinandersetzung – das ist diese Unbeständigkeit. Wenn du dann Gott bittest: Gib mir Weisheit, aber gleichzeitig noch weiter überlegst, ob du nun das tun sollst, was Gott will, oder nicht, dann bist du unbeständig.
Das heißt: Du musst erst einmal den Willen haben, das zu tun, was Gott dir in deiner Weisheit zeigen will. Wenn du dazu nicht bereit bist und das auch zeigst, warum sollte Gott dir dann Weisheit geben? Du bist dir ja eigentlich im Klaren darüber, willst es aber nicht.
Das heißt: Nur wenn du den Willen hast, Jesus nachzufolgen und ihn darum bittest, wird Gott dir die Weisheit geben, richtig mit der schwierigen Situation umzugehen, in der du steckst. Das ist das Versprechen und diese Sicherheit.
Es heißt nicht, dass du das Problem lösen musst. Es heißt auch nicht, dass du dir das stark einbilden sollst. Du musst einfach nur bereit sein, auf die Weisheit Gottes zu hören. Dann sagt Gott: Ich gebe dir die Weisheit, wenn du es allein nicht schaffst.
Zusammenfassung und Abschlussgebet
Heute Abend beginnen wir erstmals mit einer Einführung zum Lernen des Jakobusbriefes.
Wir alle sind Sklaven Gottes. Hoffentlich seht ihr das genauso wie ich – und zwar nicht nur als einen lieb gemeinten, netten Titel, sondern wirklich so. Gott ist im Himmel ganz weit über uns. Wir müssen erst einmal erkennen, wer wir als kleine Würstchen sind. Nur so vermeiden wir, uns zu sehr etwas einzubilden oder gar mit Gott zu verhandeln. Stattdessen sollten wir erst einmal akzeptieren, was er uns sagt. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.
Der zweite Punkt ist: Anfechtung gehört ganz normal zum christlichen Leben dazu. Anfechtung ist gut, weil dadurch Gutes bewirkt werden kann. Was habe ich euch gesagt? Wir können sehen, wie wir wirklich sind. Wir können in die Nähe Gottes kommen, also näher zu ihm rücken, auf ihn schauen und erleben, wie Gott eingreift und seine Versprechen hält.
Der dritte Punkt ist: Wenn du Schwierigkeiten mit Anfechtungen hast, dann ein wichtiger Tipp aus Jakobus: Bitte immer wieder Gott um Weisheit. Er hat versprochen, dir Weisheit zu geben, wenn du sie wirklich haben willst. Allerdings kann es sein, dass diese Weisheit, die Gott dir gibt, dir nicht das sagt, was du gerne hören möchtest. Das kann vorkommen. Aber das heißt gerade, dass du wirklich hören willst, was der Herr Jesus dir jetzt sagt – auch wenn es unangenehm für dich ist.
Es bedeutet nicht, dass Gott in einer Anfechtung immer eine angenehme Antwort gibt. Manchmal sagt er uns etwas, was wir gar nicht gerne hören wollen. Doch genau das ist in dieser Situation der richtige Weg, um im Glauben weiterzukommen. Wenn wir eine Anfechtung bestehen, bewirkt das Wachstum und führt am Ende zur Vollkommenheit. Das heißt, die Heiligung geht weiter voran. Deshalb ist Anfechtung gut.
Unsere Zeit ist jetzt vorbei. Morgen werde ich mit dem Thema Anfechtung weitermachen. Ich habe den festen Vorsatz, dass wir in der Freizeit den gesamten Jakobusbrief durchnehmen, damit ihr am Ende so nach Hause geht und die gesamte Botschaft des Jakobusbriefes kennt. Wenn wir es nicht in den Stunden schaffen, werde ich einfach noch ein paar Zusatzstunden einplanen – vielleicht irgendwann am Nachmittag. Dann schaffen wir das auf jeden Fall.
Gut, an dieser Stelle möchte ich euch einen schönen Abend wünschen. Bevor der Freizeitchor beginnt, bitte ich euch noch einmal aufzustehen, denn ich möchte zum Abschluss mit euch beten.
Vater im Himmel, vielen Dank für den Jakobus und auch für das, was er geschrieben hat. Danke für sein Vorbild an Demut und Bescheidenheit. Ich möchte dich bitten, dass du uns immer wieder daran erinnerst, wo wir gerade stehen. Vielleicht sind wir manchmal in Situationen, in denen wir zu gut oder zu viel über uns denken und uns für zu wichtig halten.
Wenn wir gerade nicht in einer Anfechtung sind, bereite du uns vor, damit wir bereit sind, wenn die Anfechtung kommt. Und wenn wir gerade mit Anfechtungen zu tun haben – für diejenigen, die heute Abend hier sind –, dann bitte ich dich, dass du den Geschwistern beistehst. Lass sie in der Anfechtung nicht zerbrechen, sondern weiterhin an dir festhalten.
Gib uns die richtige Einstellung zu Anfechtungen und schwierigen Lebensphasen. Lass uns erkennen, was du dadurch bewirken willst. Hilf uns zu verstehen, dass du durch die Anfechtung, in die wir hineinkommen, zum Ziel kommst: dass wir dir ähnlicher werden und in der Heiligung vorankommen.
Erinnere uns auch in solchen Situationen daran, dass wir dich um Weisheit bitten dürfen. Du hast im Jakobusbrief versprochen, uns gerne Weisheit zu geben, um richtig mit diesen Situationen umzugehen, wenn wir dich darum bitten.
Lass uns das immer wieder in Erinnerung rufen, wenn solche Situationen auftreten. Gib uns den klaren Blick, zu erkennen, was dran ist und was wir in schwierigen Lebenslagen tun sollen.
Danke, dass wir in diesen Situationen nicht alleine sind und nicht auf uns gestellt. Danke, dass du versprochen hast, uns zu hören und zu antworten. Danke, dass all das zu einem positiven Zweck dienen kann, zu dem du uns einmal führen willst – und uns auf die Ewigkeit mit dir vorbereitest.
Danke dafür. Amen.