Einführung in die Bibelauslegung und Reformationskonflikte
Bibelverse: Wenn ein Katholik beispielsweise eine Stelle aus dem ersten Korintherbrief nimmt, wird dort gesagt, dass einige wie durchs Feuer hindurch gerettet werden. Das kennen Sie wahrscheinlich: Es wird gegenübergestellt, dass einige keine guten Werke haben, also nichts Gutes auf der Erde getan haben. Und es heißt, sie werden wie durchs Feuer hindurch gerettet, weil all ihre Werke wie Stroh verbrennen.
Dann wird von anderen gesprochen, die viele gute Werke haben. Diese Werke sind wie laute edle Steine und Gold, die nicht verbrennen und mit in den Himmel kommen. Das ist eine durchaus biblische Stelle.
Katholiken deuten diese Stelle oft so, dass es ein Reinigungsfeuer gibt, in dem alles Schlechte und Böse bei uns als Christen weggebrannt wird. Zunächst muss man sagen: Ja, tatsächlich steht das erst einmal so im Bibelvers. Man kann ihn so interpretieren. Man muss es nicht, aber man kann.
Hier sehen wir, dass auch die späteren Aussagen der Konzilien oder der gesamte Lehraufbau, der entstanden ist, nicht aus dem luftleeren Raum kommen. Sie stützen sich durchaus auch auf Bibelverse, die wir jedoch anders interpretieren.
Dabei wird deutlich, dass die Auseinandersetzungen zwischen Luther und Johannes Eck nicht völlig grundlos waren. Es gibt durchaus unterschiedliche Sichtweisen, die man vertreten kann.
Ich vertrete jetzt nicht die katholische Sichtweise, aber ich möchte sagen: Ganz so einfach ist es eben nicht.
Luthers Einladung nach Rom und der Reichstag in Augsburg
Dann kommt als Nächstes die Aufforderung, dass Luther nach Rom zitiert werden soll. Der Papst lädt ihn nach Rom ein. Diese Einladung ist jedoch keineswegs freundlich gemeint. Luther soll sich dort rechtfertigen.
Luther und alle anderen wissen, dass er, wenn er dorthin geht, wahrscheinlich den Rest seines Lebens in einem römischen Kloster verbringen und zum Schweigen verurteilt werden wird. Friedrich der Weise, der Landesherr Luthers, wehrt sich dagegen und sagt: Nein, das gibt es nicht. Stattdessen könnte Luther zu einem allgemeinen Reichstag geschickt werden, der in Deutschland stattfindet. Dort wäre ihm ein freies Geleit zugesichert.
Der nächste Reichstag, der in Frage kommt, ist der Reichstag in Augsburg im Jahr 1518. Dort wird Luther schließlich auch eingeladen. Es kommt der päpstliche Legat Cajetan hinzu. Dieser verlangt von Luther keine lange Diskussion, sondern verweist nur auf Luthers Schriften. Er fragt: Hast du das geschrieben? Bist du bereit, das zu bereuen und umzukehren? Wenn nicht, bist du verurteilt.
Es geht hier nicht darum, die Wahrheit zu finden, sondern nur darum, ob Luther bereit ist, sich wieder der katholischen Kirche zu unterwerfen. Übrigens ist Luther sich auch bewusst, dass dieser Besuch in Worms durchaus den Tod bedeuten kann. Wir erinnern uns daran, dass einige der Vorreformatoren, unter anderem Wycliffe und Jan Hus, von der Kirche verfolgt und angeklagt wurden. Hus wurde sogar bei lebendigem Leib verbrannt. Kritik an der offiziellen Kirche zu üben, war damals also keineswegs ungefährlich.
Nach langem Hin und Her besinnt sich Luther. Er schreibt schließlich: Selbst wenn auf den Dächern in Worms tausend Teufel wären, müsste er jetzt dorthin gehen, um für die Wahrheit des Evangeliums einzustehen.
Luther in Worms: Begegnung mit Kaiser und Bevölkerung
Und der Landesfürst stellt ihm dann sogar noch eine Kutsche zur Verfügung. Als er in Worms ankommt, wird er erst einmal von der Bevölkerung bejubelt.
Das ist für uns nur insofern verständlich, als Luther das ausdrückt, was viele andere Menschen denken. Sie kritisieren die Kirche und merken, dass einiges schief läuft. Als Luther dort ankommt, werden kleine Bildchen verkauft, sogenannte Holzschnitte mit Luthers Konterfei. Die Leute nehmen diese Bilder begeistert an.
Wir lesen sogar, dass es Spione des Kaisers gab, die beobachteten, wo Luther ankam und was er sagen würde. Man wollte wissen, ob er aufrührerische Reden halten würde, um ihn dann sofort fertigzumachen. Am nächsten Tag wird er schließlich vor den gesamten Hof geführt.
Damals waren die Reichstage die Regierungssitze des Kaisers des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation. Sie fanden immer in verschiedenen großen Städten statt, weil es keine Telefon- oder zuverlässigen Postverbindungen gab. Der Kaiser zog ständig durch sein Reich und hielt sich an verschiedenen großen Städten auf. Häufig richtete er sich dort für mehrere Monate, manchmal sogar für ein oder zwei Jahre, ein. Von diesen Orten aus wurden alle Regierungsgeschäfte geführt.
Es gab also keine feste Hauptstadt, sondern der Regierungssitz war immer dort, wo sich der Kaiser gerade aufhielt. Zu diesem Zeitpunkt war das eben Worms.
Die Stadt Worms und die Rolle der Kirche im Alltag
Dort wird er dann schließlich vorgeführt. Ich glaube, ich habe hier auch ein Bild von der Stadt. Ist das hier? Ja, genau. Das hier ist die Stadt Worms zu dem Zeitpunkt. Beim letzten Mal habe ich ein Bild von Wittenberg gezeigt. Das ist eine richtig große Stadt.
Was fällt bei dieser Stadt auf, wenn man sie sich so anschaut? Ja, genau, das ist ganz auffällig: Jedes zweite oder dritte Haus scheint ein Kirchturm zu sein. Hier ist die Stadtmauer, und hier ist ein Kirchturm, dort ist ein weiterer Kirchturm. Wahrscheinlich sind hier Befestigungen und so weiter. Das ist einer, das ist nicht der, hier ist ein Kirchturm, dort ist einer, da ist einer, da ist einer, hier ist einer, hier ist einer und so weiter und so weiter.
Man merkt tatsächlich, dass die Kirche im Leben der Menschen damals eine ganz große Rolle spielte. Ich habe das ja schon bei der Einleitung zur Reformationszeit deutlich gemacht: Es war damals ganz normal, dass jeder Bürger mindestens einmal in der Woche in die Kirche ging. Fromme Leute waren am Sonntag dreimal in der Kirche und während der Woche mindestens noch zweimal.
Das heißt, die Kirchen waren gut besucht, oft überfüllt. Die Menschen wollten das Wort Gottes hören und suchten die Nähe Gottes.
Kaiser Karl V. und die politische Situation
Luther befindet sich nun in Worms und wird vor Kaiser Karl V. vorgeführt. Es wurde bereits erwähnt, dass Kaiser Karl V. sein Amt durch Bestechung erlangt hat. Das war damals allerdings nichts Ungewöhnliches. Er hatte sich nämlich bei den Fuggern, den damals bekanntesten Bankern in Deutschland, in Augsburg Geld geliehen. Mit diesem Geld bestach er die sogenannten Kurfürsten. Diese hatten ein Gremium gebildet und konnten aus ihrer Mitte den künftigen Kaiser wählen.
Karl V. hat diesen Prozess dadurch beeinflusst, dass er den wichtigen Kurfürsten Geld anbot, damit sie ihn wählen. Übrigens war Karl V. zuvor bereits König von Spanien. Das bedeutet, er war nun König von Spanien und Kaiser von Deutschland zugleich. Damit war er der wichtigste und einflussreichste Herrscher Europas.
Sein Reich erstreckte sich vom Mittelmeer im Süden Spaniens über Frankreich, die Niederlande und Belgien, die damals zu Spanien gehörten. Auch das Gebiet, das heute Deutschland heißt, sowie Österreich und die Schweiz gehörten größtenteils formell zum Heiligen Römischen Reich deutscher Nation. Darüber hinaus umfasste sein Reich auch einige Gebiete in Oberitalien. Es war also ein riesiges Reich.
Die Reichstage zogen von Ort zu Ort und entschieden über viele wichtige Angelegenheiten, die geklärt werden mussten. Der Papst hatte ursprünglich gefordert, dass Kaiser Karl V. Luther hinrichten lassen solle. Doch Karl V. wollte den Streit zunächst friedlich beilegen und plante eine Einigung. Er wünschte sich Frieden in seinem Reich.
Das lag wahrscheinlich nicht nur daran, dass er der Reformation gegenüber offen war, sondern auch daran, dass der Kaiser auf das Wohlwollen der Kurfürsten angewiesen war. Einer von ihnen war Friedrich der Weise, der Luther schützte. Karl V. wollte keinen Streit vom Zaun brechen, weil er in Deutschland noch einen relativ schwachen Rückhalt hatte.
Als er hier auftrat und zum Beispiel mit Luther sprach, brauchte er einen Übersetzer. Der deutsche Kaiser sprach nur Spanisch und kein Deutsch. Das Geschehen musste also übersetzt werden. Man muss sich vorstellen, dass es sich nicht um eine private Unterhaltung handelte. Die gesamte Riege der deutschen Fürsten sowie die Bischöfe waren anwesend – alle in Ornat mit ihren Dienern. Das machte einen äußerst beeindruckenden Eindruck.
Das war viel mehr, als wenn wir heute ins Bundeskanzleramt eingeladen würden. Denn eine Bundeskanzlerin hat eine viel begrenztere Macht. Sie ist kein absoluter Herrscher und regiert nur über ein kleines Gebiet in Deutschland. Karl V. hingegen war Herrscher über die Hälfte Europas.
Diese Darstellung soll verdeutlichen, welches Risiko Luther einging und wie eingeschüchtert er durch diese Machtpräsenz gewesen sein muss. Damals konnte ein Kaiser einfach den Kopf eines Menschen fordern – und dann fiel der Kopf tatsächlich ab.
Luthers Verteidigung und Verurteilung in Worms
Natürlich mit Nachhilfe dabei, aber das war das absolute Recht, das da gesprochen worden ist. Deshalb hat Luther auch erst einmal, als man ihn dorthin zitiert hat, beim ersten Treffen gesagt: Ja, Bedenkzeit, einen Tag Bedenkzeit, 24 Stunden.
Erst nach diesen 24 Stunden Bedenkzeit, Gebet und Ringen darum hat er sich dann dazu entschlossen, die Ideen seiner Reform zu verteidigen. Es war keine lange Rede, sondern einfach bloß: Nein, ich bin nicht bereit, das zurückzunehmen. Dann kamen ja diese Sätze: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Gott helfe mir, Amen.“
Danach hat man ihn dann auch verurteilt. Man hat ihm erstens den Ausschluss aus der Kirche, die Exkommunikation, erklärt. Das bedeutete nach katholischer Auffassung, dass man jetzt nicht mehr gerettet werden könne, dass man ausgeschlossen sei vom Heil.
Luther, der bis dahin noch Katholik war, hat das durchaus erst einmal getroffen. Das ist ja klar, denn es gab ja auch noch nichts anderes. Es gab keine evangelische Kirche oder so, sondern man ging davon aus: Du bist aus der einzigen Kirche, die es gibt, ausgeschlossen, exkommuniziert.
Der Kaiser hat dann noch dazu seine Rechtsprechung durchgesetzt. Das hieß „vogelfrei“. Vogelfrei bedeutet: so frei wie ein Vogel. Einen Vogel kannst du abschießen, keiner kümmert sich darum. Genauso kannst du jemanden, der vogelfrei ist, töten.
Man spricht auch von der Reichsacht. „Acht“ ist hier nicht die Zahl acht, sondern meint „verachten“. Die Achtung vor der Person ist aufgehoben. Die Reichsacht bedeutet, dass jemand unter einem Bann steht – hier nicht im kirchlichen, sondern im staatlichen Bann. Jeder, der ihn tötet, kann behalten, was ihm gehört, und wird nicht verurteilt dafür.
Das waren dann diese Verurteilungen: Einerseits kirchlicherseits, andererseits staatlicherseits wurde er verurteilt.
Luthers reformatorische Hauptschriften
Er hat kurz vorher noch einige Schriften veröffentlicht, die als die drei reformatorischen Hauptschriften bekannt sind. Die erste trägt den Titel „An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung“. Das sind zwar sehr sperrige Titel, aber man weiß zumindest ungefähr, worum es geht. Heute darf ein Titel oft nicht mehr als drei Worte haben, damit er sich noch einigermaßen gut verkauft.
Wenn ich etwas polemisch wäre, könnte ich sagen, dass die Aufnahmefähigkeit der Leser heute geringer ist als damals. Man ist eher an einige Schlagworte gewöhnt, die einem innerhalb von ein paar Sekunden im Fernsehen präsentiert werden. Wahrscheinlich liegt es tatsächlich auch daran – nicht nur, aber auch.
Ich lese noch einmal: „An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung“. Hier ist eigentlich schon das ganze Programm enthalten. „An den christlichen Adel deutscher Nation“ – damit ist gemeint, dass über den Glauben nicht nur die Kirchenfürsten entscheiden, sondern jeder einzelne Gläubige. Jeder kann darüber entscheiden.
Deshalb auch „von des christlichen Standes Besserung“. Die katholische Kirche mit ihren Priestern und Bischöfen ist lange vom wahren Glauben abgefallen und unmoralisch geworden. Deshalb muss es eine Besserung in der Kirche geben. Diese Besserung kommt nicht durch die Kirchenhierarchie, sondern durch die Laien. Das ist der Hauptinhalt.
Er spricht das allgemeine Priestertum der Gläubigen an, die Verantwortung für ihre Kirche übernehmen sollen.
Dann gibt es noch eine weitere Schrift, eine der drei Hauptschriften: „Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche“. Es gibt auch einen Untertitel, aber die Sache ist auch so schon klar. „Babylonische Gefangenschaft“ erinnert an die Offenbarung und die Hure Babylon. Genau das ist gemeint.
Luther ging davon aus, dass die katholische Kirche mit dem Papst an der Spitze gefangen ist. Der Papst ist für ihn der Antichrist, und die Kirche die Hure Babylon. Deshalb ist die Kirche in babylonischer Gefangenschaft. Wir müssen sie befreien, damit sie wieder nur Gott untergeordnet wird und vom Antichristen gelöst wird.
Wenn wir in der damaligen Zeit gelebt hätten, hätten wir das wahrscheinlich nachvollziehen können. Tatsächlich sah es damals wie eine Endzeit aus. Die Christen wurden verfolgt, und unter christlichen Vorzeichen sagte der Staat, er sei der wahre Vertreter Gottes – so könnte man es interpretieren.
Heute, im Abstand von 500 Jahren, sagen wir: Na ja, es war doch nicht so. Im Nachhinein ist man immer klüger. Aber man muss gar nicht so weit zurückgehen. Denken wir nur an die Endzeiterwartung der Christen in den 70er und 80er Jahren. Damals ging man fest davon aus, dass der „Gog von Magog“ die Sowjetunion sei und der Führer der Sowjetunion, der Generalsekretär, der Antichrist sei.
Man erwartete eine große Auseinandersetzung zwischen Ost und West, vor allem in Israel. Das war damals auch plausibel. Heute liegen wir auch wieder daneben, 30 Jahre später; die Sowjetunion ist untergegangen. Nein, das war es auch nicht.
Darauf sollten wir lernen, bei solchen Zuordnungen – auch wenn es sehr reizvoll ist – immer vorsichtig zu sein. Es gibt natürlich das, was in der Bibel steht, aber wir sollten vorsichtig sein, es zuzuordnen.
Luther hat sich damals geirrt, und unsere Väter und Mütter vor dreißig Jahren haben sich auch geirrt. Vielleicht waren einige Führungspersönlichkeiten dabei. Ich erinnere mich noch, als Jugendlicher diese Bücher gelesen zu haben, ganz genau zu wissen, was als Nächstes geschehen würde und wie die Schlacht von Armageddon stattfinden würde und all solche Dinge.
Klaus Gerd hat Anfang der Achtzigerjahre ein Buch geschrieben mit dem Titel „Der Antichrist kommt“. Er ging davon aus, dass nur noch ein paar Jahre bleiben. Als dann eine neue Auflage erschien, hat er einige Dinge verändert, die nicht mehr stimmten. Das zeigt, wie Christen mit solchen Themen eigentlich umgehen sollten.
Wer will, kann meinen Artikel im Internet nachlesen, der vor ein paar Jahren bei „Bibel und Gemeinde“ erschienen ist. Dort geht es um falsche Prophetie in der Kirchengeschichte. Das ist traurig, aber leider gibt es das auch.
Luther sieht in der babylonischen Gefangenschaft den Antichristen. Besonders kritisiert er in diesem Werk die katholische Sakramentslehre und die Auffassung, dass man durch gute Werke gerettet werden könne. Die Gnade sei allein Geschenk Gottes, und die Sakramente vermittelten kein Heil. Das sei Aberglaube.
Dann gibt es noch eine letzte Schrift, die er veröffentlicht hat: „Von der Freiheit eines Christenmenschen“.
Darin sagt er, der Christ ist niemandem Untertan und vollkommen frei – und zugleich jedermanns Diener. Das klingt widersprüchlich, aber genau diesen Widerspruch benennt Luther.
Er erklärt, dass der Christ eigentlich vollkommen frei ist. Aber weil er Gott dient, und Gott der Diener jedes Menschen ist – insofern, dass er jeden retten will – gilt beides.
Jesus selbst sagte, wer der Höchste sein will, der soll aller Diener sein. Deshalb gilt beides: Du bist frei, was die Vorgaben des Papstes angeht. Du kannst frei reagieren, bist aber nur Gott verantwortlich.
Weil du Gott verantwortlich bist, bist du zugleich jedermanns Diener – so wie Jesus, der unser Diener wurde, indem er den Jüngern diente und sich für uns hat schlagen und töten lassen. Das soll das Vorbild für den Christen sein.
Auch hier grenzt sich Luther von der katholischen Kirche ab.
Auf diese Schriften reagierte der Papst übrigens mit einer Bannandrohungsbulle. Luther verbrannte diese Bulle öffentlich vor der Stadt.
Er hatte noch einige andere Dokumente hinzugefügt, päpstliche Verlautbarungen, und seine Studenten begleiteten ihn. Das machte ihm offenbar Spaß. Er hätte ihn auch einfach in seinen Schreibtisch sperren können, aber es sollte eine öffentliche Aktion sein, um zu zeigen: Davon halte ich nichts, ich bin nicht bereit, die Autorität des Papstes anzuerkennen.
Das alles geschah um die Zeit des Reichstags in Worms.
Luthers Schutz durch Friedrich den Weisen und das Wartburg-Exil
Und dann wissen wir alle, wie der Reichstag in Worms endete. Karl V. fühlte sich an sein Versprechen gebunden und brachte Luther nicht sofort um. Stattdessen ließ er ihn ziehen. Der Landesfürst Friedrich der Weise befand sich nun in einer Zwickmühle. Eigentlich war er dem Kaiser gehorsam verpflichtet, wollte Luther aber nicht einfach töten.
Deshalb beauftragte er seinen Sekretär Spalatin, eine Entführung zu inszenieren. Spalatin sollte aber nicht verraten, wo Luther untergebracht war. So konnte Friedrich auf Nachfrage des Kaisers sagen, er habe keine Ahnung, wo Luther sei. Gleichzeitig schützte er ihn auf diese Weise.
Spalatin überlegte, wohin er Luther bringen könnte. Er ließ ihn überfallen, und das ging auch an die Öffentlichkeit. Die Leute gingen mit einer inneren Genugtuung davon aus: „Da sieht man, wir haben ihn verurteilt und vogelfrei erklärt. Jetzt ist irgendein Ritter gekommen, hat ihn erledigt, und mit Luther ist Schluss.“ Genau so sah es in der Öffentlichkeit aus.
Die Ritter, die Luther überfallen und entführt hatten, brachten ihn jedoch nicht um. Stattdessen brachten sie ihn auf die Wartburg. Diese Burg kann man bis heute noch besichtigen, dort gibt es die Lutherstube.
Die Wartburg, die ich bereits erwähnt habe, war ein Ort, den Luther schon kannte. Das war also nichts vollkommen Fremdes für ihn. Als Kind war er schon in Eisenach, direkt an der Wartburg, zur Schule gegangen und kannte dort auch Leute.
Wir merken jetzt, wie wichtig es war, dass man ihn verkleidete. Wäre er auf irgendeiner Burg untergebracht gewesen, hätte man ihn erkannt. Es gab zwar kein Fernsehen, aber Holzschnitte. Nach einem Holzschnitt eine Person wiederzuerkennen, ist schon schwer genug. In Eisenach aber hätte man ihn erkennen können.
Die Frage, warum man ihn dort eingesperrt hat, hat verschiedene Gründe. Erstens war die Wartburg eine größere Burg, auf der häufig Gäste waren. Es fiel also nicht so auf. Zweitens lag sie genau auf der Reiseroute, die Luther nehmen musste. Das bot sich daher gut an.
Es gab also verschiedene Gründe für diese Wahl. Jedenfalls war Luther dort als Junker Jörg untergekommen. Er legte seine Mönchskutte ab, zog Ritterkleidung an, ließ sich einen Bart wachsen und lebte dort als junger Ritter.
In dieser Zeit versteckte er sich nicht nur, sondern stand auch in regelmäßigem Kontakt mit seinen Mitreformatoren in Wittenberg. Diese wussten also, dass er nicht tot war. Alle anderen wussten das nicht.
Außerdem arbeitete er in dieser Zeit daran, das Neue Testament ins Deutsche zu übersetzen.
Luthers Bibelübersetzung und die Reformation in Wittenberg
Während dieser Zeit besuchte er auch die Stadt. Es wird berichtet, dass er auch in Kneipen gewesen sei. Später behaupteten seine Gegner, Luther sei ein Trinker und Säufer gewesen. Das stimmt jedoch nicht. Er ging in die Stadt, um zu hören, wie die Leute redeten. Er wollte, wie er selbst sagte, den Leuten „aufs Maul schauen“, um zu sehen, wie sie sprechen. Diese Umgangssprache wollte er für seine Bibelübersetzung verwenden.
Deshalb suchte er den Kontakt zu den Menschen, um ihre Sprache in seine Übersetzung einzubeziehen. In dieser Zeit arbeitete er relativ schnell und übersetzte das Neue Testament innerhalb weniger Monate. Das Alte Testament dauerte dann etwas länger. Im Gegensatz zu den damals existierenden deutschen Bibelübersetzungen übersetzte er direkt aus dem Griechischen.
Dabei benutzte er die textkritische Edition von Erasmus von Rotterdam. Erasmus war ein humanistischer Gelehrter in Basel, der damals – und das war etwas ganz Neues – alle zugänglichen griechischen Abschriften des Neuen Testaments miteinander verglichen hatte. Er stellte eine Edition zusammen, die er für die wahrscheinlich ursprünglichste Version des Neuen Testaments hielt.
Diese Edition von Erasmus bildete die Grundlage für Luthers Übersetzung. Sie beruhte nicht auf einem einzelnen griechischen Text, auch nicht auf dem lateinischen Text, der im Mittelalter der Normaltext gewesen war. Stattdessen basierte sie auf dieser griechischen Rekonstruktion des Urtextes. In der heutigen Diskussion wird dieser Text manchmal „Textus receptus“ genannt.
Es gibt einen Streit darüber, wie ursprünglich dieser Text ist. Einige behaupten, es sei der einzig wahre Urtext. Diese Ansicht lässt sich durchaus bestreiten, da es in den letzten 500 Jahren weitere Schriftfunde gab, die man ebenfalls heranziehen und vergleichen muss. Welche Bibelübersetzung die beste ist, ist jedoch nicht Thema dieses Seminars, daher lasse ich das hier außen vor.
Luther nahm diese Edition als Grundlage seiner Bibelübersetzung. Die Übersetzung erschien auf Deutsch und wurde ein Bestseller. Innerhalb weniger Jahre erlebte sie eine Massenauflage und wurde immer wieder nachgedruckt. Für das Alte Testament brauchte Luther jedoch fast zehn Jahre, um es ebenfalls zu übersetzen.
Man merkt, dass für die Reformation das Neue Testament viel entscheidender war. Das Alte Testament war komplizierter. Luther stimmte sich immer wieder mit anderen hebräisch sprechenden Professoren ab, insbesondere mit Melanchthon. Er nahm sogar Kontakt zu jüdischen Rabbinern auf, um zu erfahren, wie diese das Hebräische übersetzten.
Das führte dazu, dass die Übersetzung des Alten Testaments länger dauerte. Ein weiterer Grund war, dass Luther zu dieser Zeit stark in die Auseinandersetzungen um die Reformation eingebunden war.
Luther war zunächst einige Monate auf der Wartburg, nämlich von Mai 1521 bis März 1522. In dieser Zeit erfuhr er, dass in Wittenberg die Reformation unter der Leitung von Karlstadt und Melanchthon weiter vorangetrieben wurde. Diese wollten die Sache radikalisieren.
Sie schafften kurzerhand das Mönchtum und das Klosterwesen ab. Priester begannen zu heiraten, Mönche heirateten Nonnen. Weihnachten 1521 wurde das evangelische Abendmahl mit Wein und Brot eingeführt, was vorher getrennt war.
Dann traten die Zwickauer Propheten auf. Das waren Leute aus Zwickau, die sich der Reformation anschließen wollten und glaubten, eine direkte Eingebung durch den Heiligen Geist zu haben. Das führte zu einer wilden Aktion, bei der alle Bilder aus den Kirchen herausgebrochen, Altäre niedergerissen und Altärtücher verbrannt wurden. Es gab einen großen Tumult.
In dieser Situation sah sich Luther veranlasst, sein Exil zu verlassen und zurück nach Wittenberg zu gehen. Er ahnte, dass die gesamte Reformation in kurzer Zeit diskreditiert und zusammenbrechen würde, wenn er nicht eingreift.
Das ist verständlich, denn wenn die Fürsten den Eindruck bekamen, es herrsche Aufruhr, würden sie dämpfend eingreifen und die Bewegung stoppen. Außerdem hatten die Katholiken gute Argumente, indem sie behaupteten, die Reformatoren schänden die Kirche und alles Heilige.
Luther kam per Pferd nach Wittenberg. Niemand erwartete ihn. An einem Sonntagmorgen stand er auf der Kanzel. Es entstand eine Art Predigerwettstreit. In einer Kirche predigte Karlstadt, der Führer der Radikalen, in einer anderen Luther. Das dauerte eine ganze Woche.
Am Ende stand die Bevölkerung auf Luthers Seite, und Karlstadt verließ die Stadt. Luther führte zunächst die lateinische Messe und die Messgewänder wieder ein sowie einige andere Dinge. Nicht, weil er generell dafür war, sondern weil er meinte, die Reform brauche Zeit.
Er wollte die Menschen nicht überfordern, damit sie mitgingen und die Bewegung nicht zusammenbrach. Die Reform sollte Stück für Stück erfolgen, nicht als radikale Revolution auf einmal.
Die Zwickauer Propheten und Karlstadt verließen Wittenberg und gründeten einen radikalen Flügel der Reformation. Dieser ging jedoch später unter, wie Luther es vorausgesagt hatte.
Sie verbündeten sich unter anderem mit radikalen Bauern und lösten einen Volksaufstand aus. Dabei brach alles zusammen. Zudem wurde ihre Theologie immer radikaler und weniger nachvollziehbar, da sie auf übernatürlichen Offenbarungen basierte.
Diese Propheten erhielten ständig neue Offenbarungen, die zunehmend im Widerspruch zu biblischen Aussagen standen. Das führte schließlich dazu, dass dieser Teil der Reformation unterging.
Die Ausbreitung der Reformation und radikale Bewegungen
Dieses moderate Vorgehen Luthers führte schließlich zur weiteren Ausbreitung der Reformation. Da andere Menschen weniger Angst davor hatten, sich damit auseinanderzusetzen, mussten sie auch keinen Tumult mehr in ihren eigenen Städten befürchten. So schlossen sich in den Jahren 1524 Städte wie Straßburg, Nürnberg, Konstanz, Ulm, Bremen und einige weitere dem evangelischen Glauben an. Das waren alles große Städte, also im Vergleich zu Wittenberg ein wirklicher Fortschritt für die Idee der Reformation. Luther vertrat die Reformation zunächst gemildert, was es den Menschen erleichterte, Veränderungen anzugehen.
Neben Karlstadt und den Zwickauer Propheten gab es auch andere Personen, die eine radikale Linie vertraten. Unter ihnen war Thomas Müntzer. Er war der Held der Reformation in der DDR. Wenn man dort von der Reformation hörte, war er die zentrale Figur. Müntzer forderte stark die Enteignung der Adligen und eine Besitzumverteilung zugunsten der armen Bauern. Er wollte die Freiheit des Evangeliums in seiner Interpretation umsetzen, nämlich die Freiheit von der Obrigkeit. Das unterschied sich wesentlich von dem, was Luther eigentlich vorhatte.
So kam es dann auch zu Ereignissen wie in Münster. Müntzer war nach Alstedt gegangen, das weit von Wittenberg entfernt liegt. Dort schaffte er die Messe ab und brachte die gesamte Bevölkerung auf seine Seite. Er forderte sogar, dass Gewalt angewendet werden müsse, um die Reformation durchzusetzen. Luther hingegen hatte sich zeitlebens dagegen gewehrt. Immerhin gelang es Luther, dass während seines gesamten Lebens kein Religionskrieg oder kriegerische Auseinandersetzung aus Glaubensgründen stattfand.
Sicherlich war das nicht nur Luther zuzuschreiben. Es spielte auch eine Rolle, dass Gott eingegriffen hatte und der Kaiser durch andere Aufgaben gebunden war. Gerade in dieser Zeit standen die Türken vor Wien. Kaiser Karl V. konnte sich nicht gegen die evangelischen Wenderer wenden, da er gegen die Türken vor Wien kämpfen musste. Dieser Konflikt dauerte mehrere Jahre, in denen sich die Reformation relativ ruhig ausbreiten konnte. Das sind sicherlich auch politische Hintergründe, die eine Rolle spielten und die Gott gebrauchte.
Thomas Müntzer sowie Franz von Sickingen und Ulrich von Hutten, beide ehemalige Ritter, brachen einen Aufstand los, um den Erzbischof von Trier vom Amt zu vertreiben. Anfangs gelang ihnen das auch, doch später wurden sie von katholischen Heeren besiegt. Die Adligen starben entweder in Gefangenschaft oder in der Schlacht.
In dieser Zeit kam es neben der Trennung von den Schwärmern – das heißt Karlstadt, den Zwickauer Propheten, einigen anderen Wanderpredigern und auch Thomas Müntzer – zu zahlreichen Visionen, Gesichten und Offenbarungen. Diese Personen wandten sich gegen Luther. Müntzer zum Beispiel verfasste 1524 eine Schrift mit dem Titel „Wider das geistlose, sanft lebende Fleisch in Wittenberg“. Dabei war die Polemik deutlich spürbar. Man ging nicht freundlich miteinander um. Mit „geistloses, sanft lebendes Fleisch in Wittenberg“ meinte er natürlich Luther, der es ruhig und sanft haben wollte. Müntzer hingegen forderte Kampf. Er wollte die Katholiken vertreiben und war bereit, Gewalt anzuwenden. Deshalb griff er Luther scharf an.
Müntzer inszenierte auch einen Bauernaufstand, der 1525 große Teile Deutschlands erfasste. Besonders betroffen war Mitteldeutschland, aber auch Süddeutschland. Die Bauern zogen aus, brannten Schlösser und Burgen nieder und massakrierten die Adligen. Man kann sich überlegen, wie die Adligen darauf reagierten: Sicherlich nicht mit Begeisterung für die Reformation. Vielmehr wurde klar, dass es hier nicht um Theologie, sondern ums Überleben und um politische Macht ging.
Die Adligen wandten sich an den Kurfürsten, schlossen sich zusammen und stellten eine Armee auf. Noch im selben Jahr kam es zu mehreren Schlachten mit den Bauern. Anfangs waren die Bauern auf dem Vormarsch und errangen Siege. Doch mit der Zeit zeigte sich, dass die Bauern nicht diszipliniert waren und keine Kampferfahrung hatten. Sobald eine richtige Armee aufgestellt war, hatten die Bauern keine Chance mehr und wurden schließlich besiegt. Wie damals üblich, wurden sie gnadenlos abgeschlachtet.
Das führte zur letzten Schlacht bei Frankenhausen, die heute in Thüringen, nahe dem Kyffhäuser-Denkmal, liegt. Dieses Denkmal kann man bis heute besichtigen. Es ist eine große Gedenkstätte für die Schlacht von Frankenhausen. Diese wurde bereits zur WDR-Zeit errichtet, weil sie für die Menschen von großer Bedeutung war – als Symbol für Revolutionäre in der Reformation.
Thomas Müntzer spielte dabei allerdings keine große Heldenrolle. Er verbreitete weiterhin seine Offenbarung: Gott werde ihnen den Sieg schenken, die Gegner würden fliehen, und sie würden unverletzbar sein. Doch als die Bauern in die Schlacht zogen, war das nicht der Fall. Müntzer erkannte, dass sie nicht unverletzbar waren. Er zog sich zurück und versteckte sich drei Tage lang in einem Wehrturm unter Bettdecken und anderen Decken. Schließlich wurde er von der Armee entdeckt, gefangen genommen, gefoltert und getötet, wie es damals üblich war.
Offenbar glaubte er später nicht mehr ganz an seine Offenbarung. Das war das Ende dieses Aufbruchs. Nur weil Luther sich von diesen Radikalen distanzierte, wurde zwischen der Reformation Luthers und der radikalen Bewegung unterschieden.
Streit um den freien Willen: Luther gegen Erasmus von Rotterdam
Übrigens hat Luther in dieser Zeit, was man ihm heute manchmal übelnimmt, auch ein Büchlein geschrieben mit dem Titel "Wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern". Darin empfiehlt er Bauern, die Aufstände gegen den Staat machen, dass man sie totschlagen müsse. Das wird heute oft mit Unbehagen gehört. Dabei muss man sagen: Nach damaligem Gesetz galt die Todesstrafe ganz klar.
Es gab bereits wegen kleineren Vergehen im allgemeinen Staatsrecht die Todesstrafe. So zog zum Beispiel fortgesetzter Betrug als Händler die Todesstrafe nach sich. Auch wer nach einem Ehebruch einmal ermahnt worden war und weiterhin Ehebruch betrieb, dem drohte die Todesstrafe. Die Todesstrafe war damals relativ schnell zur Hand.
Wer einen öffentlichen Aufstand anzettelte, als Terrorist Menschen ermordete, Häuser abbrannte und so weiter, der galt als zum Tode verurteilt. Deshalb war das, was Luther forderte, keine spezielle Idee von ihm. Er brachte damit nur zum Ausdruck, dass es rechtens sei, gegen diese aufrührischen Bauern vorzugehen. Das, was sie taten, war nicht im Sinne Gottes – das war seine Aussage.
Vielfach wird ihm vorgeworfen, er sei verantwortlich für den Tod der Bauern und den Krieg gegen sie. Das ist jedoch Quatsch. Denen war vollkommen klar: Egal, was Luther gesagt hätte, die Adligen hätten ihre Schlösser und ihren Besitz verteidigt. Wie soll man sich das denn vorstellen? Da ist ein Adliger, dessen Haus abgebrannt wird, dessen Familie umgebracht wird, und dann wartet er, bis Luther ihm sagt, jetzt darfst du etwas dagegen tun. Das ist natürlich Unsinn. Sie haben so oder so dagegen gehandelt.
Luthers Schrift erschien bereits während des Krieges gegen die Bauern. Er positionierte sich nicht auf die Seite der Aufständischen, sondern auf die Seite der Ordnungsmacht. Warum? Weil man im Römerbrief Kapitel 13 liest, dass der Christ dem staatlichen Oberhaupt untertan sein soll. Der Staat ist dafür da, die Bösen zu bestrafen und die Guten zu belohnen.
So sagt Luther, religiöse Reformen können nicht rechtfertigen, dass man deshalb Menschen umbringt. Das war ja, was die Bauern behauptet hatten. Die Bauern sollten nicht umgebracht werden, weil sie religiös falsch standen, sondern aus Luthers Sicht, weil sie sich unrechtmäßig gegen die Obrigkeit gestellt und Menschen ermordet hatten, ohne einen vernünftigen Grund dafür zu haben.
Insofern müssten wir, gemessen an der damaligen Zeit, sogar Luthers Bewertung zustimmen und sagen, seine Beurteilung war richtig. Heute würden wir sicherlich anders urteilen, weil das Staatsgesetz anders ist. Man würde die Leute einsperren, verurteilen oder sie, wenn wir in Amerika wären, nach Guantanamo schicken. Dort kämen sie aber auch nicht heraus.
Ich wollte nur hören, wie Luther darauf reagierte. Aber so ähnlich muss man sich die damalige Situation vorstellen. Das wurde damals auch theologisch verstanden, so war es für große Teile der Bevölkerung. Luther distanzierte sich von den Radikalen, den Schwärmern, die ihre Offenbarungen hatten. Gleichzeitig distanzierte er sich auch von den Humanisten.
Beides war schwierig, weil beide Gruppen eigentlich diejenigen waren, die Luther zunächst unterstützt hatten. Man muss sich vorstellen: Jetzt hat man schon wenige Verbündete, und dann trennt man sich auch noch von diesen, weil man merkt, mit denen geht das nicht. Man könnte sagen, man solle doch so viele Leute wie möglich mit hineinnehmen, um sich besser durchzusetzen.
Aber Luther erkannte, dass ohne klare Grenzen seine Reform auf der Strecke bleiben würde. Entweder gäbe es eine Verwischung oder das Ganze ginge unter. Deshalb nahm er schweren Herzens die Trennung vor – auch von den Romanisten.
Erasmus von Rotterdam, dessen griechisches Neues Testament Luther noch heranzog, stellte sich zunächst hinter Luther und sagte: Ja, das ist endlich ein freiheitlicher Glaube. Von ihm trennte sich Luther nicht, weil Erasmus gewalttätig gewesen wäre. Nein, Erasmus war durchaus friedfertig.
Er wollte das Ganze philosophisch umdeuten. Erasmus sah die Reformation als Weg zur Freiheit des Individuums, zur Freiheit des Menschen von jeder Autorität – weder staatlicher noch göttlicher –, soweit er sie einsieht. Erasmus war damit ein Vorläufer unserer modernen Theologie, die friedlich sein kann, aber sagt, es gibt keine feste Autorität der Bibel. Jeder Mensch ist in seiner Willensentscheidung frei.
Er meinte, der Mensch sei auch nicht von Natur aus böse, sondern habe von Natur aus die Möglichkeit, zwischen Gut und Böse zu entscheiden. An dieser Frage des freien Willens entzündete sich dann die Auseinandersetzung.
Erasmus veröffentlichte 1524 ein Buch mit dem Titel "Diatribe de libero arbitrio" – auf Deutsch: Abhandlung über den freien Willen. Darin sagt er, der freie Wille sei nicht gefallen, sondern der Mensch sei frei und könne, gemessen an der Liebe Gottes, für das Gute oder das Böse entscheiden.
Luther antwortete darauf mit "De servo arbitrio" – Vom unfreien Willen. Er sagte, der Mensch habe bei der Geburt keinen freien Willen, sondern neige natürlich zur Sünde, weil er vom Sündenfall geprägt sei. Deshalb könne er sich nicht generell für Gott entscheiden, sondern sei in der Sünde gefangen.
Nur wenn Gott den ersten Schritt auf den Menschen zugeht, könne dieser Gott erkennen, seine Sündhaftigkeit einsehen und umkehren. Der Mensch könne das nicht aus eigener Kraft tun. Deshalb sei die Hinwendung zu Gott, die Bekehrung, aus Luthers Sicht eine Tat Gottes und keine Tat des Menschen, der sich durch seinen freien Willen für Gott entscheidet.
Es gibt also keinen neutralen Raum. Der Mensch ist Knecht der Sünde. Wenn Gott ihn anspricht, kann er daraus befreit werden und Christ werden. Das wird noch nicht so detailliert erklärt wie später bei Calvin mit der Prädestinationslehre, aber es geht in diese Richtung: Gott ist auch verantwortlich für die Umkehr des Menschen.
Der Mensch hat keinen freien Willen. Das bedeutet natürlich nicht, dass er im Alltag keine Entscheidungen treffen kann. Wenn ich morgens ein Brötchen oder Vollkornbrot esse, ist das meine Entscheidung. Aber in Bezug auf das Heil und Gott hat der Mensch keinen freien Willen, weil er unter der Herrschaft der Sünde steht.
Das ist dann ebenfalls die Trennung vom Humanismus. Der Humanismus entwickelte sich später zur Aufklärungstheologie und prägt unsere Zeit bis in die Gegenwart.
Bildliche Darstellungen der Reformation
Dann habe ich hier noch ein paar Bilder, die ich euch gerne zeigen wollte. Das eine ist eine Darstellung aus einer Schrift, genauer gesagt aus dem Neuen Testament Luthers, und zwar aus der Offenbarung.
Was ihr darauf seht, ist eine Darstellung der Hure Babylon, so wird sie dort beschrieben. Was erkennt ihr auf dem Bild? Könnt ihr etwas erkennen? Also Hure, Babylon, Offenbarung, Illustration zur Offenbarung – was kann man an diesem Bild erkennen? Beschreibt es einfach ein bisschen.
Hier genau, da ist ein Drache. Was fällt daran auf? Genau, er hat mehrere Köpfe. Wir können sie jetzt durchzählen, genau wie in der Offenbarung beschrieben. Und auf diesem Tier sitzt etwas. Was ist das? Es sieht aus wie eine Frau. Genau, sie trägt eine Krone. Das ist die Hure Babylon, die auf dem Tier sitzt, so wie es die Offenbarung beschreibt.
Diese Frau hält hier etwas in der Hand. Das müsste etwas aus der katholischen Kirche sein. Genau, das ist das Schälchen, in dem die Oblaten aufbewahrt werden, die geweihten Hostien. Hier merken wir schon den zeitgemäßen Bezug. Luther interpretiert die Hure Babylon als die katholische Kirche, und das hängt mit dem Sakramentsverständnis zusammen.
Und diese Leute, was machen die? Genau, sie knien vor der Hure Babylon, vor dem Tier. Wenn wir sie genau anschauen, haben sie Kronen auf. Das sind einzelne Herrscher, einfache Leute, Herrscher, die das hier anbeten – also die Hure Babylon und damit auch das Reich des Antichristen.
Man merkt, dass diese Deutung bereits in dem Bild enthalten ist, das die Darstellung der Hure Babylon aus der Offenbarung zeigt.
Das hier ist das erste Blatt der Bibelausgabe Luthers, also der vollständigen Bibelausgabe. Diese Ausgabe stammt aus dem Jahr 1534. Das Buch heißt „Bibeljahr“ und enthält die ganze Heilige Schrift auf Deutsch, Martin Luther, Wittenberg, begnadet mit kurfürstlicher Sachsenfreiheit, gedruckt durch Hans Luft.
Oben steht „Gottes Wort bleibt ewig“. Dieses Blatt ist das Frontblatt eines der ersten Bibeldrucke Luthers, in dem die ganze Bibel gedruckt wurde, nachdem das Neue Testament schon viel früher fertiggestellt war.
Zur Zeit Luthers gab es verschiedene Päpste. Hier habe ich euch einen herausgesucht, den ich euch, glaube ich, auch schon einmal gezeigt habe. Das ist einer von ihnen. Man sieht, er sieht sehr nachdenklich aus. Sein Name ist Julius, Julius Papa Secundus und so weiter. Das war einer der Päpste zur Zeit Luthers.
Militärische Bündnisse und politische Entwicklungen in der Reformationszeit
Nach diesen Auseinandersetzungen, also wir sind hier Mitte der Zwanzigerjahre des sechzehnten Jahrhunderts, da sind die Bauernkriege. In dieser Zeit werden seine Schriften veröffentlicht, die Bibelausgabe ist herausgekommen, und er ist zurück in Wittenberg. Nun gehen die Auseinandersetzungen natürlich weiter.
Man bekommt mit, dass Luther wieder zurück ist, und es wird versucht, neue Schlichtungswege in Gang zu setzen. Zuerst schließen sich die katholischen Landesherren von Sachsen, Brandenburg, Braunschweig und Mainz in einem Militärbündnis zusammen. Sie wollen sich unabhängig vom Kaiser gegen die evangelischen Fürsten stellen und gründen das Bündnis von Dessau, um die Reformation zu bekämpfen.
Die evangelischen Fürstentümer Kursachsen und Hessen bilden daraufhin das Bündnis von Gotha. Man merkt schon an der Zahl, dass diese wesentlich weniger sind und auch schwächer. Sie merken, dass sie allein nicht standhalten können, also schließen sie sich zusammen. Außerdem schließen sich einige der freien Reichsstädte, die ich vorher erwähnt habe und die bereits evangelisch geworden sind, ebenfalls diesem Bündnis an.
Es läuft wieder auf eine militärische Konfrontation hinaus, und zwar in der zweiten Hälfte der Zwanzigerjahre. Allerdings sind zu dieser Zeit die Türken in Österreich, sodass Karl V. im Jahr 1529 noch einmal gegen die Türken ziehen muss. Deshalb kommt eine militärische Auseinandersetzung nicht in Frage, da alle Kurfürsten ihre Soldaten auch mit in die Schlacht schicken müssen, um diese Bedrohung des Reichs abzuwehren.
So lädt man zum nächsten Reichstag ein, nämlich nach Speyer 1526. Die Bedrohung durch die Türken besteht während der ganzen Zeit, und hier will man noch einmal einen Schlichtungsversuch durchsetzen. Es wird ein allgemeines Konzil vorgeschlagen, auf dem gleichberechtigt evangelische und katholische Theologen teilnehmen können. Die Evangelischen sind damit einverstanden, die Katholiken fordern jedoch, dass das Konzil auf katholischem Gebiet, nämlich in Italien, stattfinden soll.
Die Evangelischen ahnen, dass das nicht gut ausgehen kann. Wenn die evangelischen Professoren alle dort sind und man sich nicht einig wird, dann lässt man sie kurzerhand entweder festnehmen oder sogar umbringen. Also wird daraus nichts.
In dieser Zeit fordert Luther die Landesherren auf, ihre Aufseherpflicht über die Kirchen selbst zu übernehmen. So wird der Landesherr zum Oberhaupt der jeweiligen Kirche. Hier entsteht das, was wir heute noch Landeskirche nennen. Denn es kommt zu dieser Zuordnung: Der Landesherr bestimmt über den Glauben seiner Untertanen.
Das war vorher theoretisch auch so, nur da im westlichen Europa ja alle katholisch waren, gab es keine Entscheidung zu treffen. Du konntest dich entscheiden, ob du katholisch warst oder ob du katholisch warst – es gab keinen Unterschied. An der Spitze stand natürlich der Papst und nicht der König. Aber jetzt hatte Luther aufgefordert, dass der Fürst entscheiden solle, weil er Laie ist, für Gott verantwortlich und in der Lage, zu entscheiden, welche Religion für seine Untertanen richtig sei oder nicht.
Luther schreibt in dieser Zeit den kleinen und den großen Katechismus. Im Jahr 1527 wird dann eine erste evangelische Universität in Marburg gegründet, die erste evangelische Universität in Deutschland, abgesehen von Wittenberg, die aber kleiner und unbedeutender war.
Mit Philipp von Hessen gibt es dann auch einige Auseinandersetzungen, die der eine oder andere vielleicht schon gehört hat. Philipp von Hessen kommt eines Tages zu Luther und will einen Beichtrat haben. Er ist verliebt in ein Hochfräulein. Das ist an sich nicht so schlimm, aber er ist schon verheiratet.
Nach Hin und Her, Luther ist innerlich hin- und hergerissen zwischen politischen Erwägungen und rein seelsorgerlichen, empfiehlt er ihm schließlich: Im Alten Testament hatten die Könige auch mehrere Frauen, also dürfe er mehrere Frauen haben, aber er solle keinem davon etwas sagen. Man merkt, dass Luther dabei kein gutes Gewissen hat. Er will Philipp von Hessen nicht verlieren, denn dieser droht: Wenn du mir das nicht erlaubst, dann gehe ich auch nicht mehr zu den Evangelischen.
Luther sagt also: Gut, David hatte mehrere Frauen, Salomo hatte mehrere Frauen, also kannst du das auch, aber sag es niemandem. Natürlich geht das auf Dauer nicht gut. Es dringt an die Öffentlichkeit, und nun droht der Papst, Philipp von Hessen zu exkommunizieren und ihm damit auch die Herrschaft über Hessen zu entziehen.
Daraufhin geht der hessische Kurfürst Philipp von Hessen auf die Seite der Katholiken über, um nicht exkommuniziert zu werden. Hier wird deutlich, dass ihm seine Herrschaft wichtiger ist als der Glaube, also wird er Katholik.
Luther hat das wahrscheinlich schwer bereut, denn das, was er verhindern wollte, ist genau dadurch passiert. Er hat sich in der Öffentlichkeit auch ein Stück weit unglaubwürdig gemacht. Hier zeigt sich, dass ein kluger, weiser Mann auch mal danebenliegen kann.
Wenn man bedenkt, welche Auswirkungen das hatte: Philipp von Hessen war einer der mächtigsten Fürsten in Deutschland. Ihn auf seiner Seite zu haben, bedeutete viel. Deshalb machte Luther Zugeständnisse und argumentierte ein wenig um die Ecke. Biblisch gesehen ist es richtig, dass die Könige im Alten Testament mehrere Frauen hatten, aber mit schlechtem Gewissen sollte man davon Abstand nehmen. Das hat Luther hinterher auch gemerkt.
Am Ende gibt es doch noch ein Happy End: Als es zu einer Auseinandersetzung zwischen Katholiken und Evangelischen kommt, konvertiert Philipp von Hessen wieder und stellt sich auf die Seite der Evangelischen, die dann durch ihn geschützt sind. Aber das konnte man zu diesem Zeitpunkt noch nicht sehen.
Der kleine und der große Katechismus sollten zur Unterrichtung der Gemeinde und der Kinder eingeführt werden. In der evangelischen Kirche, wie in der katholischen, ging man davon aus, dass Kinder, wenn sie von gläubigen Eltern geboren und in der Kirche getauft werden, eine Zusage der Gnade Gottes erhalten. Das wurde aus dem Alten Testament genommen: "Denen, die Gott lieben, werden Segen bis ins tausendste Glied verliehen." Also segnet Gott auch diejenigen, die bei gläubigen Eltern geboren werden.
Die Eltern müssen versprechen, die Kinder im Glauben zu erziehen. Hier stellt sich natürlich auch die Frage, was mit kleinen Kindern passiert. Die Kindersterblichkeit war hoch, und wenn ein Kind stirbt, war Luthers Lehre: Wenn das Kind gläubiger Eltern stirbt und die Eltern dafür gebetet haben, dann wird das Kind auch gerettet – aus Gnade Gottes natürlich.
Wenn das Kind älter wird, gibt es Kinder, die sich dagegen wenden. Deshalb braucht es den Katechismusunterricht. Kinder müssen christlichen Glauben durch die Eltern und auch durch die Gemeinde lernen, damit sie das, was sie in der Kindheit als Gnade Gottes erfahren haben, auch bewusst und willentlich akzeptieren und annehmen. Das wird dann gefestigt und bestätigt.
Das ist auch das Anliegen der sogenannten Konfirmation, die nach einem Unterricht im christlichen Glauben das bewusste Bekenntnis des Konfirmanden fordert: "Ja, ich glaube das!"
Zur Zeit Luthers war es zumindest die Absicht, dass das ernsthaft gemeint war. Heute ist das nicht unbedingt der Fall, weil Konfirmanden häufig nicht ehrlich sind bei dem, was sie versprechen. Einfach weil alle erwarten, dass sie lügen, und sie erwarten es auch. Deshalb kümmert sich heute kaum noch jemand darum.
Es gibt kaum noch Pfarrer, die einen ungläubigen Konfirmanden von der Konfirmation ausschließen würden. Sie würden schnell einen Rüffel vom Dekan oder Landessuperintendenten bekommen, denn das geht heute nicht.
Zur Zeit Luthers war das jedoch die Absicht und stand dahinter.
Streit um das Abendmahl und Spaltung der Reformation
Es gab in dieser Zeit auch eine Auseinandersetzung mit den Schweizer Reformatoren, die sich an der Frage des Abendmahls spalteten. Die katholische Lehre vertrat die Transsubstantiation. Transsubstantiation bedeutet, dass sich Brot und Wein während der Einsegnung in Fleisch und Blut Jesu verwandeln. Den Katholiken war natürlich klar, dass es äußerlich noch so schmeckt, aber sie sagen, es ist substanziell sowohl Brot als auch Fleisch.
Damit war Luther nicht ganz einverstanden; ihm war das zu sehr magisch. Allerdings vertrat Zwingli in Zürich eine andere Auffassung. Er sagte, das sei alles nur symbolisch. Vorher wie nachher sei es ganz normales Brot, das nur der Erinnerung an den Tod Jesu diene. Diese Auffassung entspricht wahrscheinlich eher der heutigen Ansicht der meisten Freikirchen, also Zwinglis Sichtweise.
Luthers Auffassung lag irgendwo dazwischen und wurde später als Realpräsenz bezeichnet. Luther ging davon aus, dass für den, der daran glaubt, das Abendmahl auch Fleisch und Blut Jesu ist. Allerdings nicht substanziell, sondern mehr geistlich, also als Zeichen für das Fleisch und Blut Jesu. Damit wollte Luther ausdrücken, dass das Abendmahl mehr sein müsse als nur ein Symbol. Wenn Jesus sagt: „Das ist mein Fleisch, das ist mein Blut“, dann sei das doch die Gegenwart Jesu in besonderer Weise.
Außerdem wird im 1. Korinther 11 eine besondere Strafe für diejenigen ausgesprochen, die nicht unterscheiden zwischen normalem Essen und dem Abendmahl. Daraus folgerte Luther, dass da mehr sein müsse. So ging er davon aus, dass im Abendmahl eine reale Gegenwart Gottes ist – nicht substanziell, aber für den Glaubenden erfahrbar.
Man merkt schon, dass das nicht einfach zu definieren ist. Luther selbst fiel es schwer, genau zu beschreiben, was er damit meint. Auf jeden Fall führte diese unterschiedliche Auffassung zum Streit mit den Schweizer Reformatoren. Man versuchte dann noch in den sogenannten Marburger Artikeln eine Einigung, doch das gelang nicht. Ab diesem Zeitpunkt kam es zu einer weiteren Trennung innerhalb der Reformation, nämlich zwischen den Reformierten – das sind die Schweizer und später auch Franzosen, Niederländer und andere, die sich dieser Richtung anschlossen – und der lutherischen Reformation, die sich insbesondere im deutschen Sprachraum und in Skandinavien ausbreitete.
Hier entstanden also zwei grundsätzliche verschiedene Ausrichtungen, die heute in drei verschiedenen Bünden zusammengeschlossen sind. Es gibt den Lutherischen Weltbund und den Reformierten Weltbund, die theologisch etwas voneinander abweichen.
Für diejenigen, die das nicht wissen: Hier in Lippe ist man eine der wenigen Gegenden in Deutschland, die überwiegend reformiert sind. Die Lippische Landeskirche ist eigentlich eine reformierte Landeskirche, allerdings mit einer lutherischen Klasse. Das liegt daran, dass als die Reformation hier ausbrach, sich der Landesfürst zunächst der reformierten Reformation anschloss.
Die Lemgoer, die eine stolze freie Hansestadt waren, hatten jedoch andere Einflüsse. Einige Mönche des Augustiner-Eremiten-Klosters in Herford predigten in Lemgo, sodass sich die Lemgoer der lutherischen Reformation anschlossen. Da damals der lippische Fürst keine Autorität über Lemgo hatte, blieben die Lemgoer in Lippe lutherisch, während der Rest des Landes reformiert war.
Als man später versuchte, das Ganze in eine einheitliche Kirche zu überführen, entstand eine reformierte Kirche mit einer lutherischen Klasse. Das bedeutet, dass es in einigen Gegenden Lippes lutherische Kirchen gibt, aber die überwiegende Mehrheit der Kirchen reformiert ist.
Heute macht das kaum noch einen großen Unterschied. Die Kirchen sind alle bibelkritisch, egal ob lutherisch oder reformiert. Viele wissen oft selbst nicht genau, was der Unterschied ist, weil sie die Unterschiede nicht mehr so wichtig nehmen. Damals war das natürlich eine große und bedeutende Sache.
Ich komme später noch darauf zurück, wo andere Unterschiede liegen. Die Spaltung zwischen Reformierten und Lutheranern war also eine wichtige Frage.
Als auf dem Reichstag in Speyer keine Einigung erzielt wurde, nannte man ab diesem Zeitpunkt die Reformierten und die Lutheraner zusammen Protestanten. Das lag daran, dass auf diesem Reichstag ein Heiligungsdekret vorgelegt wurde, das die Evangelischen zur Rückkehr zur katholischen Kirche bewegen sollte. Die Landeskirchen, vertreten durch die Landesfürsten, protestierten dagegen und erklärten, dass sie nicht einverstanden seien.
Daher stammt der Name „Protestanten“ – sie protestierten gegen das Edikt, das die Evangelischen zur katholischen Kirche zurückführen wollte.
Der Reichstag zu Augsburg und die Schmalkaldischen Bündnisse
1530 lud Karl V. nach Augsburg ein, um dort endgültig die Religionsfrage zu klären. Man nahm sich viel Zeit dafür. Luther konnte natürlich nicht kommen, da er noch unter Reichsacht stand. Deshalb reiste Philipp Melanchthon als Vertreter der Evangelischen dorthin. Er brachte die Confessio Augustana mit, kurz Ca oder Augsburger Bekenntnis genannt. Dieses Bekenntnis hatte er aufgeschrieben, um zusammenzufassen, was die Evangelischen glaubten.
Das Augsburger Bekenntnis wurde dem Kaiser vorgelegt. Daraufhin forderte der Kaiser einige katholische Theologen auf, eine Widerlegung zu schreiben. Diese Widerlegung, die sogenannte Konfutatio, sollte das Augsburger Bekenntnis widerlegen. Die Katholiken verfassten also eine Gegenschrift, die das, was die Evangelischen sagten, widerlegen sollte.
Die Evangelischen unter der Leitung von Melanchthon verfassten daraufhin eine Apologie, das heißt eine Verteidigung der Confessio Augustana. Sie erklärten, dass sie aus bestimmten Gründen mit der Konfutatio nicht einverstanden seien. So ging der Reichstag von Augsburg vorüber, ohne dass sich Katholiken und Lutheraner geeinigt hätten.
Immerhin hatten die Lutheraner und alle Evangelischen nun ein gemeinsames Glaubensbekenntnis, in dem festgehalten war, was typisch und besonders für die evangelische Seite war.
1531 schlossen sich die Evangelischen zum Schmalkaldischen Bund zusammen. Sie hatten Angst, dass der Kaiser militärisch gegen sie vorgehen könnte. Allerdings verhinderten die anhaltenden Türkenkriege in Österreich ein sofortiges Vorgehen. Man schloss einen Friedensvertrag, der eine zweijährige Schonfrist gewährte, bevor militärische Auseinandersetzungen weitergeführt werden sollten. Diese Schonfrist führte dazu, dass die militärische Auseinandersetzung zunächst aufgeschoben wurde.
Die Auseinandersetzungen setzten sich fort, vor allem zwischen den Fürsten auf beiden Seiten. 1532 wurde der Nürnberger Waffenstillstand geschlossen. Regional gab es verschiedene Konflikte. In Württemberg führte Herzog Ulrich 1534 die Reformation ein. Von diesem Zeitpunkt an gehörte Württemberg zur evangelischen Seite. Philipp von Hessen, der zwischenzeitlich katholisch geworden war und nun wieder Protestant, unterstützte ihn sowohl praktisch als auch militärisch.
Erhard Schnepf und Johann Brenz trieben die Reformation in Württemberg weiter voran. 1535 wurde Pommern reformiert evangelisch. Besonders wichtig war hier der Reformator Bugenhagen, ein Mitarbeiter Luthers, der nach Pommern geschickt wurde, um die Reformation voranzubringen.
1539 wurde auch das Herzogtum Sachsen evangelisch. Bis dahin war es streng katholisch geblieben. Nach dem Tod des lutherfeindlichen Georg des Bärtigen wurde sein Nachfolger, Herzog Heinrich, ein Anhänger der Reformation. Ebenfalls 1539 schloss sich Brandenburg der Reformation an. Bis in die Gegenwart war Brandenburg überwiegend evangelisch, heute ist es überwiegend atheistisch.
In dieser Schonfrist, also in den Jahren, in denen der Kaiser gebunden war, breitete sich die Reformation aus. Bedeutende Teile Deutschlands schlossen sich der Reformation an, nicht nur einzelne Städte, sondern ganze Landstriche.
Aufgrund dieser Ausdehnung sah sich Kaiser Karl V. 1541 dazu veranlasst, die Auseinandersetzung auch kriegerisch zu lösen. Allerdings kam es weiterhin nicht dazu, weil er nach wie vor gebunden war. Es gab noch einige regionale Konflikte.
Hermann von Wied war damals Erzbischof von Köln und wurde ebenfalls evangelisch. Das stellte ein Problem dar. Wenn man Reichsfürst ist, weil man Bischof ist, stellt sich die Frage: Was passiert, wenn man persönlich evangelisch wird? Ist man dann weiterhin Herrscher über das Bistum?
Die Katholiken sagten natürlich, das gehe nicht. Wenn der Bischof evangelisch werde, sei das sein persönliches Problem, aber die Region bleibe katholisch. Der Erzbischof von Köln war nicht nur Fürst der Kirche, sondern auch Landesfürst, also oberstes Regierungsoberhaupt. Deshalb durfte er nicht evangelisch werden.
Hermann von Wied wollte das nicht akzeptieren, was zu einer kriegerischen Auseinandersetzung führte. Kaiser Karl V. griff ein und unterstützte Hermann von Kleve, den katholischen Bischof. Hermann von Wied wurde abgesetzt. So blieb Köln katholisch, wie es bis heute der Fall ist.
Das Tridentinische Konzil und die katholische Reaktion
Dann findet das Konzil von Trient statt, das sogenannte Tridentinische Konzil, manchmal auch Tridentinum genannt. Es gilt als das wichtigste Konzil der letzten 500 Jahre. In neuerer Zeit wird seine Bedeutung höchstens noch mit der des Zweiten Vatikanischen Konzils verglichen, das im 20. Jahrhundert stattfand.
Das Tridentinische Konzil wurde für das Jahr 1545 einberufen. Es sollten auch Protestanten eingeladen werden, die jedoch dankend ablehnten. Das ist verständlich, da das Konzil in Italien stattfand, einem Gebiet, das vollständig unter der Kontrolle des Papstes stand. Die Protestanten wollten sich darauf nicht einlassen, weil sich die Konflikte zu dieser Zeit bereits zuspitzten.
Das Konzil hatte mehrere Sitzungsperioden und führte zu einer grundlegenden Umgestaltung der katholischen Kirche. Am Ende des Kurses werde ich noch einmal darauf eingehen. Im Konzil wurden nämlich auch Ideen der Reformation aufgenommen, und die Kirche veränderte sich dadurch relativ stark. Die katholische Kirche von heute ist stark geprägt durch das Tridentinische Konzil, in dem viele Missstände des Mittelalters behoben wurden.
In dieser Zeit verfasste Luther auch einige umstrittene Schriften, wie zum Beispiel „Wider das Papsttum zu Rom, vom Teufel gestiftet“. Hier wird deutlich, dass diese Schrift kein Angebot zur Versöhnung war. Wenn der Papst den Titel „Wider das Papsttum zu Rom, vom Teufel gestiftet“ liest, ist klar, dass eine Einigung eher unwahrscheinlich ist.
1543 schrieb Luther auch „Von den Juden und ihren Lügen“. Dieses Werk wird ihm bis heute immer wieder vorgeworfen, und es wird gesagt, Luther sei Antisemit gewesen. Tatsächlich wendet er sich in dieser Schrift, die er gegen Ende seines Lebens verfasste, gegen die Juden und fordert sogar ihre Verfolgung.
Um das zu verstehen, muss man sich vor Augen halten, dass Judenpogrome und Verfolgungen zu dieser Zeit an der Tagesordnung waren. Luther sagte nichts, was damals neu gewesen wäre. Heute werten wir das natürlich anders. Wenn alle Menschen einer Zeit eine bestimmte Meinung vertreten, wundert es uns eher, wenn jemand das Gegenteil sagt. Wenn jemand jedoch dieselbe Meinung vertritt, sagen wir zwar, er lag falsch, aber er ist nicht allein verantwortlich.
Ein Beispiel sind die Brüdergemeinden im Dritten Reich. Die meisten führenden Vertreter dieser Gemeinden unterstützten Hitler und glaubten, er sei von Gott geschickt, um die Unordnung der Weimarer Republik zu beenden. Das findet sich in einigen Schriften der Brüdergemeinden. Auch die Baptistengemeinde war nicht viel besser. Einer meiner Großväter gehörte zur Baptistengemeinde in Emden, und dort trat ein Baptistenpastor in SA-Uniform auf die Kanzel und predigte. Das war damals kein Problem, sondern wurde als ganz normal angesehen.
Ich möchte nicht sagen, dass das normal war, aber ich würde es milder beurteilen, weil es dem Zeitgeist entsprach. Wenn die Zeitungen jeden Tag voll davon waren, die Lehrer in der Schule und die Professoren an der Universität dasselbe sagten, ist es verständlich, dass Christen ähnlich argumentierten. Es ist falsch, zweifellos, aber es ist etwas anderes, als wenn die Idee einfach so von Christen erfunden worden wäre.
Genauso war es bei Luther. Er brachte nicht die Idee auf, man müsse etwas gegen die Juden tun, sondern das war damals üblich. Die Juden galten als diejenigen, die die Brunnen vergiftet hätten, verantwortlich für die Pest und als die Herrenmörder, weil sie Jesus Christus gekreuzigt hätten. Gegen diese müsse man etwas unternehmen.
Ich sage das als Vorlauf, um zu zeigen, dass Luther bis zu dieser Schrift eigentlich gegen den Zeitgeist agierte und sich für die Juden einsetzte. Das sieht man an verschiedenen Schriften, in denen er davor auffordert, die Juden nicht zu verfolgen. Warum? Weil er in der Bibel liest, dass am Ende der Zeit, wie in der Offenbarung beschrieben, eine Bekehrung des Überrestes Israels stattfinden wird.
Luther glaubte, dass die Juden sich bisher nicht bekehrt hätten, weil sie nur die verfälschte Lehre der katholischen Kirche kannten. Nun aber komme die Lehre des reinen Evangeliums, kurz bevor Jesus zurückkehrt. Dann werde sich der Überrest der Juden bekehren, und Jesus werde wiederkommen. Diese Perspektive ist biblisch nachvollziehbar.
Gegen Ende seines Lebens, als er langsam alt wurde und merkte, dass die Juden sich trotz seiner evangelischen Predigt nicht bekehrten, schrieb er die erwähnte Schrift. Er hatte sich sogar mit jüdischen Rabbinern getroffen und sie bei der Übersetzung des Alten Testaments herangezogen. Somit hatte er entgegen seiner Zeit einen relativ guten Kontakt zum Judentum.
Doch gegen Ende seines Lebens war er frustriert über die ausbleibende Bekehrung der Juden. Deshalb schrieb er, dass die Juden tatsächlich die Herrenmörder seien und man gegen sie vorgehen müsse. Aufgrund dieser Schrift wurde kein Judenpogrom veranstaltet, aber besonders im Nationalsozialismus wurde sie gerne als Rechtfertigung zitiert.
Wir dürfen uns jedoch keine Illusionen machen: Egal, was Luther geschrieben hätte, Hitler hätte die Juden genauso verfolgt und ermordet. Es war nur bequem, ein Zitat zu haben. Hitler war kein besonders frommer Christ; er war katholisch, nicht lutherisch, und die Schrift Luthers war ihm eigentlich egal. In der Propaganda ließ sie sich jedoch gut verwenden.
Aus heutiger Sicht war diese Schrift falsch, aber sie stellt nicht die gesamte Wahrheit über Luthers Leben dar. Die meiste Zeit seines Lebens war er projüdisch und handelte damit gegen den Zeitgeist. Gegen Ende seines Lebens änderte er seine Haltung.
Die Schrift entstand 1543, Luther starb 1546, am 18. Februar, also zweieinhalb Jahre später. Das hing sicherlich nicht mit der Schrift zusammen, aber es zeigt, dass die meiste Zeit seines Lebens eine andere Perspektive vorherrschte.
Frieden zu halten war nicht nur Luthers Aufgabe, aber er trug sicherlich eine Mitverantwortung. Relativ bald nach seinem Tod kämpfte der Kaiser in Bayern und Habsburg für die katholische Sache. Bayern wurde teilweise zurückerobert und wieder katholisch, obwohl es zu diesem Zeitpunkt bereits überwiegend evangelisch war.
Es kam zum sogenannten Schmalkaldischen Krieg (1546-1547). Die Evangelischen verloren zunächst einige süddeutsche Städte, später auch einige norddeutsche Fürstentümer. Die protestantische Seite schien am Ende zu sein: Philipp von Hessen wurde gefangen genommen, das katholische Kirchenwesen wurde wieder eingeführt.
In den Städten gab es Widerstand und passiven Widerstand gegen diese Maßnahmen. Eine Wende trat ein, als Moritz von Sachsen plötzlich die Seiten wechselte und sich auf die Seite der Evangelischen stellte – ohne ersichtlichen Grund. Zuvor war er auf der Seite der Katholiken.
So wendete sich das Blatt, und man kann es als Eingreifen Gottes ansehen. Nach menschlichem Ermessen wäre die Sache der Evangelischen zu diesem Zeitpunkt vorbei gewesen. Alle Fürsten waren besiegt, in den entsprechenden Städten und Ländern wurde der katholische Glaube wieder eingeführt. Zwar waren die Menschen kritisch, hatten aber keine Chance, sich dauerhaft durchzusetzen.
Moritz von Sachsen verbündete sich mit den Franzosen und kämpfte gegen den Kaiser. Das war vollkommen absurd, denn die Franzosen waren Katholiken, und er war gerade zum Evangelischen konvertiert. Der katholische Kaiser wurde überrumpelt und schließlich 1552 bei Innsbruck besiegt. Er konnte sich mit knapper Not retten.
Moritz von Sachsen starb kurze Zeit später an einer Verwundung aus der Schlacht. Nun entstand ein Patt: Die evangelischen Länder konnten wieder evangelische Gottesdienste feiern, die katholischen katholische. Dies wurde als Führung Gottes angesehen.
Beim Reichstag zu Augsburg 1555 wurde schließlich der Religionsfriede geschlossen, der sich auf den Punkt bringen lässt mit: cuius regio, eius religio. Das bedeutet: Wessen Land, dessen Religion. Politisch wurde festgelegt, dass der Herrscher eines Landes den Glauben seiner Untertanen bestimmen kann.
Diese Regelung galt lange Zeit, bis zum Dreißigjährigen Krieg. Dort wurde sie erneut infrage gestellt, aber am Ende des Krieges, 1648, bestätigt. Die Regelung vom Reichstag zu Augsburg 1555 gilt damit bis fast in die Gegenwart.
Man sieht noch heute, dass manche Regionen überwiegend evangelisch oder katholisch sind. Religionsfreiheit gab es damit, aber nur als Religionsfreiheit der Fürsten. Das heißt, es gab eine legitime Religion, die erlaubt war.
Damit wurde die Spaltung des Glaubens in Deutschland im Wesentlichen für immer festgeschrieben.
Bildliche Darstellungen der Reformation: Flugblatt und Lukas Kranach
Ich habe jetzt noch einmal zwei Bilder zum Abschluss für heute, die wir uns anschauen wollen. Sie sollen uns den Glauben der Reformation vor Augen führen. Das erste Bild stammt aus einem damals weit verbreiteten Flugblatt.
Schaut euch das Bild erst einmal ohne Text an. Das obere ist ja schon eine Interpretation. Versucht also zunächst, nur das Bild zu betrachten und zu sehen, was es aussagt.
Wo ist die Kreuzigung? Hier, da ist Jesus am Kreuz.
Wer sind die Leute unten? Was machen sie? Das sind die Anhänger Jesu. Man erkennt das daran, dass sie vor dem Kreuz knien.
Wenn ihr euch die Kleidung der Menschen anschaut, welcher Schicht der Gesellschaft gehören sie wohl an? Sie tragen einfache Kleidung, gehören also zur einfachen Schicht.
Woher kommen diese Leute? Aus der Höhle. Hier ist nämlich jemand, der gerade dorthin läuft und zeigt. Die Person mit der Kleidung ist ein Mönch. Und hier soll Luther sein.
Luther zeigt den Leuten, die in der Höhle sind, den Weg zu Jesus. Die Menschen kommen heraus und beten an. Das bedeutet, die Leute waren vorher in der Finsternis, im Dunkeln, sie waren gefangen.
Die meisten sind einfache Leute, aber hier sind auch Könige mit Kronen. Diese Fürsten haben sich bekehrt und sich Luther angeschlossen.
Jetzt stellt sich die Frage: Wer hat diese Leute hier gefangen gesetzt? Warum sind sie überhaupt unten in der Höhle?
Es gibt noch eine zweite Personengruppe auf dem Bild, nämlich die hier oben. Was fällt an ihnen auf? Ihre Gesichter sehen seltsam aus. Einige haben Schweineköpfe, Eselsohren oder Hundeleiber. Das ist natürlich polemisch gemeint.
Hier soll ausgedrückt werden, dass sie wie die Tiere aus der Offenbarung sind. Manche Tiere haben eine besondere Bedeutung. Zum Beispiel die Hunde: So nannte man damals die Dominikaner, einen Mönchsorden, der stark gegen die Evangelischen kämpfte. Diese Darstellung sollte das ausdrücken.
In der Mitte ist eine Person mit einer besonderen Krone, der Tiara. Das ist der Papst. Er steht im Zentrum, umgeben von seinen Anhängern, die die einfache Bevölkerung unterdrücken.
Auf dieser Seite sind einige Herrschende und Lehrende: ein Bischof mit Bischofsmütze, ein Gelehrter, Könige und weitere Gelehrte.
Was ist da oben? Geld. Es heißt, um des Geldes und Einflusses willen unterdrücken sie die Gemeinde, die Christen.
Luther macht auf Jesus aufmerksam und befreit die Leute aus dieser Gefangenschaft. Oben sieht man die Ausführung der Christgläubigen aus ägyptischer Finsternis. Das ist die Überschrift.
Das Bild zeigt das Selbstverständnis der Reformatoren und ist zugleich polemisch, indem es die katholische Seite scharf kritisiert.
Über einigen Buchstaben wie A, D, G, F, H, die auf dem Bild zu sehen sind, erklärt ein Text unten, was die einzelnen Personengruppen bedeuten.
Solche Flugblätter wurden damals verteilt, um die Menschen auf die Missstände der katholischen Kirche aufmerksam zu machen.
Nun noch ein letztes Bild, sehr bekannt, von Lukas Cranach. Ein ähnliches Bild gibt es in der Kirche in Lemgo, in der Hauptkirche am Markt. Gleich rechts an einer Säule hängt ein Bild, das diesem hier ähnelt.
Diese Art von Bildern war in der Reformationszeit weit verbreitet. Lukas Cranach war der Hauptmaler dieser Zeit.
Was seht ihr hier auf dem Bild? Versuchen wir, es zu interpretieren.
Oben sehen wir einen Baum, eine Schlange und zwei nackte Personen, Mann und Frau – Adam und Eva.
Oben ist auch eine Person mit rotem Umhang. Die Maler nutzten solche stilistischen Mittel, um Personen zu kennzeichnen.
Diese Person mit rotem Umhang ist Jesus Christus, der als Richter auf dem Thron sitzt und über die Menschen herrscht.
Die Köpfe in den Wolken sind Engel.
Weiter unten sehen wir einen Menschen, der vom Teufel geplagt wird. Hier sind Tod und Teufel dargestellt. Sie treiben den Menschen mit einer Lanze vor sich her.
Der Mensch hebt die Arme aus Angst. Wohin treiben sie ihn? In die Feuerflammen der Hölle, das ewige Feuer. Man erkennt Qualm und dunkle Flammen.
Das Bild zeigt also Tod und Teufel, die den Sünder in die Hölle treiben.
Was sind die Personen hier? Das sind Mose und die Propheten des Alten Testaments. Mose hält die zehn Gebote. Hier könnte Salomo zu sehen sein, und weitere Propheten in mittelalterlicher Kleidung.
Sie weisen auf das Gesetz hin.
Auf der anderen Seite sehen wir eine Szene aus dem Alten Testament: Gott schickt die Schlangen, alle werden gebissen. Wer auf die eiserne Schlange schaut, stirbt nicht.
Hier ist die eiserne Schlange dargestellt. Im Hintergrund ist der Berg Sinai, der Ort, an dem die Gebote gegeben wurden.
Diese Geschichte taucht im Neuen Testament wieder auf. Jesus musste so erhöht werden wie die Schlange in der Wüste.
Oben sehen wir Maria mit dem dicken Bauch, also schwanger durch Gottes Einfluss, und die Hirten auf dem Feld, die davon erfahren.
Unten am Kreuz ist Jesus dargestellt. Daneben das Lamm Gottes mit einer Fahne in der Pfote. Das Lamm trägt die Sünde der Welt aus der Offenbarung.
Daneben ist eine Taube, die den Heiligen Geist symbolisiert, der von Jesus zu den Gläubigen gesandt wird als Zeichen der Versiegelung und des Trostes.
Wir sehen auch das leere Grab. Jesus, der Auferstandene, besiegt hier Tod und Teufel. Man sieht ein Skelett, das von Jesus mit einer Lanze getötet wird.
Oben sind nur noch die Füße von Jesus zu sehen, die Himmelfahrt.
Der Qualm steigt auf, und hier unten sehen wir denselben Sünder wie weiter oben. Jesus mit dem roten Tuch zeigt auf die Erlösung.
Aus der Wunde Jesu kommt ein Blutstrahl, der direkt zum Herzen des Sünders fließt. Jesus weist darauf hin: „Schau auf meinen Tod, durch mein Blut bist du gerettet.“
Das Bild heißt „Gesetz und Gnade“. Auf welcher Seite ist das Gesetz? Auf der linken, durch Mose gegeben. Das Gesetz führt den Menschen zur Sünde und in die Hölle.
Jesus als Herrscher wird beim Jüngsten Gericht die Menschen, die nur nach dem Gesetz beurteilt werden, in die ewige Verdammnis schicken.
Das Bild ist durch einen Baum geteilt. Die linke Seite zeigt einen kahlen, toten Baum, die rechte einen grünen, lebendigen Baum.
Schon im Alten Testament wird vorausgesagt, dass es eine Rettung gibt – nicht durch Werke, sondern durch Vertrauen.
Jesus wird in Maria verheißen, geboren, lebt, stirbt, aufersteht, besiegt Tod und Teufel. Er sitzt in Herrlichkeit als Lamm Gottes auf dem Thron.
Der Sünder, der an Jesus glaubt und seinen Tod akzeptiert, wird gerettet.
Der Betrachter soll sich identifizieren: Entweder ist er der Sünder auf der linken Seite oder der Gerettete auf der rechten. Eine Entscheidung gibt es nur zwischen diesen beiden Möglichkeiten.
Dieses Bild ist eine ganze Predigt, die den Grundgedanken der Reformation der einfachen Bevölkerung vermitteln soll.
Natürlich ist das keine historische Darstellung, sondern eine gemalte Predigt. Hier tauchen Ereignisse zusammen auf, die zeitlich nicht gleichzeitig sind.
Wie oft sehen wir Jesus auf dem Bild? Zählt man nach, sind es siebenmal – eine heilige Zahl.
Lukas Cranach war einer der wichtigsten Maler der Reformationszeit.
Damit sind wir für heute am Ende. Beim nächsten Mal beschäftigen wir uns mit einer weiteren Person der Reformationszeit, diesmal in der Schweiz, in Zürich: Zwingli.
Damit Schluss für heute. Einen schönen Abend, gute Nacht und bis bald.