Einführung: Die zentrale Bedeutung des Evangeliums
Die eiserne Ration oder der unverzichtbare Inhalt der Evangelisation – darum geht es. In den vergangenen Jahren wurden viele Debatten über Evangelisation geführt. Dabei hatte man oft den Eindruck, dass vor allem die Frage der Methode strittig sei. Es ging etwa um die Zusammenarbeit in der Evangelisation oder um die Form.
Bezüglich des Inhalts sei man sich jedoch eigentlich wie selbstverständlich einig. Die Diskussion hat im Verlauf aber genau das Gegenteil bewiesen. Das, worin man sich am wenigsten einig ist, ist der Inhalt des Evangeliums. Aus diesem Mangel an inhaltlicher Übereinstimmung – bezüglich dessen, was die Substanz ist und was unverzichtbar dazugehört – ergeben sich viele formale und methodische Widersprüche sowie Meinungsgegensätze.
Es geht hier wirklich um alles oder nichts. Es geht um Leben oder Tod, um Himmel oder Hölle. Es geht um die Frage, wie ein Sünder vor Gott bestehen kann, um die Frage der Rechtfertigung, wie Paulus das formuliert hat. Rechtfertigung ist ein Begriff, der uns heute oftmals nicht mehr in dieser theologischen und grundsätzlichen Bedeutung klar ist, sondern eher in Alltagssituationen.
Vielleicht tritt der Dreizehnjährige mit gesenktem Kopf atemlos ins Haus. Er wollte schon vor einer Stunde wieder da sein, doch jetzt ist es halb neun. Er wird empfangen mit dem Ausruf der Mutter: „Jetzt bin ich aber gespannt, wie du das erklären willst.“ Er muss sich rechtfertigen.
Oder eine andere Situation: Abends um elf schleicht sich der Ehemann noch einmal zum Kühlschrank, um sich das letzte Mettwurstbrot des Tages zu gönnen. Während er leise die Kühlschranktür öffnet, geht plötzlich das Licht in der Küche an. Seine kalorienbewusste Ehefrau steht im Raum und fragt ihn: „Na, was willst du denn um diese Zeit noch am Kühlschrank?“ Und er muss sich rechtfertigen. Das heißt, er wird zur Rechenschaft gezogen.
Wer sich rechtfertigen muss, ist immer in der Defensive. Er braucht Argumente, weiß aber nicht, ob sie überzeugen. Wer sich verteidigt, klagt sich an, sagt ein Sprichwort. Das stimmt aber auch nicht immer. Natürlich kommt es immer auf die Instanz an, vor der wir uns rechtfertigen müssen. Manche Instanzen sind harmlos, andere nicht.
Vor einer Instanz muss sich jeder Mensch rechtfertigen. Vor dieser Instanz entscheidet sich aber alles. Damit haben wir ein echtes Problem, denn gerade vor dieser einen Instanz, vor der sich alles entscheidet, kann sich keiner rechtfertigen.
Hiob hat das mit Schrecken begriffen, wenn er ausruft: „Ja, ich weiß sehr gut, dass es so ist und dass ein Mensch nicht Recht behalten kann gegen Gott. Ein Mensch kann nicht Recht behalten gegen Gott, ein Mensch kann sich nicht rechtfertigen vor Gott. Hat er Lust, mit ihm zu streiten, so kann er ihm auf tausend, nicht eins antworten“ (Hiob 9,2-3).
Die Herausforderung der Rechtfertigung vor Gott
Und genau diese Situation hatte der Apostel Paulus vor Augen, als er im Römerbrief in diesem zentralen Kapitel drei schrieb, in Vers 19: „Wir wissen aber, dass das Gesetz alles, was es spricht, zu denen sagt, die unter dem Gesetz sind, damit jeder Mund verstopft werde und alle Welt vor Gott schuldig sei.“
Jeder Mund verstopft, alle Welt vor Gott schuldig – eine Regel ohne Ausnahme. Und jetzt stellt sich die Schlüsselfrage: Angesichts der Tatsache, dass jeder Mensch von Gott zur Verantwortung gezogen wird, wie komme ich damit klar? Und was kommt dabei heraus, wenn Gott mich zur Rechenschaft zieht?
Genau an diesem Punkt brach damals die Reformation auf. Luther merkte, dass das, was ihm die Kirche – damals die römisch-katholische Kirche – für seine Rechtfertigung vor Gott anbot, nicht funktionierte. Er erkannte, dass er keine wirkliche Antwort auf die Frage fand: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?
In der Zeit vor seiner Bekehrung sagte er einmal: „Könnte ich glauben, dass Gott nicht zornig über mich ist, ich würde vor Freude einen Kopfstand machen.“ Doch er konnte es damals noch nicht glauben. Er hatte zu jener Zeit noch nicht verstanden, was biblische Rechtfertigung bedeutet, wie wir Christen werden und wie wir gerettet werden.
Varianten des Evangeliums: Unterschiedliche Perspektiven
Nun wollen wir uns dieser zentralen Frage nähern: Was ist die Botschaft des Evangeliums und der Rechtfertigung?
Dabei stellen wir zunächst die Frage: Gibt es Varianten des Evangeliums? Verschiedene Konzepte werden als Evangelium präsentiert, so wie Paulus es bereits im Galaterbrief diskutiert hat. Und...
Das Kreuz als Beweis der Liebe Gottes
Eine Variante, die als Evangelium angeboten wird, präsentiert das Kreuz als Beweis der Liebe Gottes. Diese Variante gibt es seit dem Mittelalter und noch früher in verschiedenen Ausführungen. Grundsätzlich findet man sie auch heute noch in evangelistischen Predigten.
Dort wird oft gesagt: „Sieh doch ans Kreuz, sieh, wie sehr er für dich gelitten hat! Daran erkennst du, wie sehr Gott dich liebt. Vertraue ihm und bekehre dich zu ihm.“ Das Evangelium wird also so dargestellt: Sieh am Kreuz, wie sehr er dich in seiner Hingabe liebt. Nichts sollte dich daran hindern, diesem Gott zu glauben und dich ihm anzuvertrauen.
Doch stellt sich die Frage: Ist das wirklich das Evangelium?
Das Kreuz als Selbsthingabe zur Gemeinschaftsherstellung
Eine andere Variante sieht das Kreuz als Ausdruck der Selbsthingabe Jesu zur Wiederherstellung der Gemeinschaft mit Gott. Dabei wird gesagt, dass Jesus sich am Kreuz ganz hingegeben hat, um dich in die Gemeinschaft mit Gott zurückzuholen und dich mit Gott zu versöhnen. Das klingt zunächst sehr vertraut und ist für sich genommen sicherlich auch biblisch. Aber ist es genug? Ist es alles? Und vor allem: Wogegen wird es eigentlich gestellt?
Ich habe Ihnen ein Zitat aus einem Artikel von Hans Joachim Eckstein mitgebracht. Er war übrigens auch einer der Hauptredner beim Christustag gestern in Stuttgart. Eckstein hat viele wertvolle Bücher geschrieben, ist Professor für Neues Testament und gehört sicherlich zu den Neutestamentlern in Deutschland, die sich besonders für die Glaubwürdigkeit des Evangeliums eingesetzt haben. Er schreibt Folgendes:
„Dabei liegt das Hauptproblem in unserer heutigen Verwendung des Begriffs Sühne, bei dem wir vorrangig an Wiedergutmachung im Sinne von Ausgleichsleistung, Strafe und Buße denken.“ Und genau das lehnt er ab.
Eckstein sagt: „Sühne ist nicht Strafleiden, sondern die Gabe des neuen Lebens jenseits der todbringenden Trennung. In Christus können die an ihn Glaubenden gewiss sein, dass sie nichts und niemand mehr von Gottes Liebe trennen kann.“
Auch die für viele irritierende Rede vom Blut Christi erklärt er anders: „Blut steht hier vielmehr für das hingegebene Leben, weil das Leben im Blut enthalten ist.“
Das ist eine Fortsetzung des Vortrags vom heutigen Nachmittag. Eckstein betont, dass Blut hier nicht als Metapher für den gewaltsamen Tod am Kreuz zu verstehen ist. Im Blut ist das Leben enthalten. Jesus gibt sein Blut, das heißt, er gibt sein Leben hin. Seine Selbsthingabe bedeutet, dass er uns in dieser Selbstgabe in die Gemeinschaft mit Gott hineinholt.
Ja, er trägt und entsorgt die Schuld, aber dieses Entsorgen ist ein Wegtragen und kein Sühneleiden. Das ist ganz entscheidend und der Kern seiner These.
Sühne ist nicht Strafleiden. Sühne bedeutet nicht Ausgleichsleistung. Sühne bedeutet nicht Buße. Auf Deutsch heißt das: Christus hat mit seinem Leben nicht meine Strafe getragen. Diese Definition lehnt das ausdrücklich ab und weist es zurück.
Deshalb wird in dieser Definition das Blut auch nicht als Bild für den gewaltsamen Tod Christi am Kreuz verstanden, mit dem er für meine Schuld bezahlt hat.
Neuere theologische Entwicklungen und Kritik
Einer, der in den letzten Jahren das Verständnis von Eckstein aufgenommen hat und sich ausdrücklich darauf berufen hat, war Hans-Peter Reuer. In seinem bekannten Buch „Du musst sterben, bevor du lebst, damit du lebst, bevor du stirbst“ schreibt er in der siebten Auflage 2012 in einem Extravorwort, dass er die ersten drei Kapitel dieses Buches verändert habe – und zwar gerade im Hinblick auf das Sühneverständnis. Dabei sei er Eckstein gefolgt, von dem er die entscheidenden Dinge gelernt habe. Er könne nicht mehr vertreten, dass Christus stellvertretend die Strafe für uns trage. Sein Leiden sei kein Strafleiden.
Dann wird eine Definition von Sühne gebracht, die dem entspricht, was auch Eckstein sagt. So heißt es etwa bei Reuer auf Seite 37: Gott hat keine Strafleistung von seinem Sohn gefordert. In einem Zitat von Jesaja 53, wo ausdrücklich steht „Die Strafe liegt auf ihm, damit wir Frieden hätten“, sind ausgerechnet diese Aussagen – zwar durch eine Klammer kenntlich gemacht – ausgelassen. Es wird also gesagt: Ja, Christus entsorgt die Sünde am Kreuz, aber nicht insofern, als er für uns stellvertretend die Strafe erleidet. Gott verlangt kein Opfer.
Zur Gerechtigkeit sagt Reuer, wir kommen noch darauf, dass Gott Gerechtigkeit schenkt. Diese ist nicht juristisch gemeint, sondern die Gerechtigkeit Gottes ist einfach ein Begriff für bundestreues Verhalten. Gottes Gerechtigkeit meint Gottes Bundestreue, Gottes Treue zu seiner Verheißung, aber bedeutet nicht, dass Gott uns für gerecht erklärt und uns gerecht macht. So wird das von Hans-Peter Reuer in der jüngsten Auflage seines Buches vertreten, das er extra noch einmal umgeschrieben hat, weil er sagt: Früher habe ich auch geglaubt, dass das ein stellvertretendes Strafleiden war, heute glaube ich das so nicht mehr.
Kommen wir zu Varianten des Evangeliums. C) Die neue Paulusperspektive. Wolfgang Blühne hat heute Vormittag schon auf eine CD hingewiesen, in der sich Pfarrer Möller kritisch mit diesem Konzept auseinandersetzt. Deshalb kann ich mich hier kurz halten. Wir haben auch nicht die Zeit, das alles im Einzelnen zu entfalten. Ich will nur ein paar wenige Stichpunkte dazu geben.
Die neue Paulusperspektive wurde vor allem im deutschsprachigen Raum populär gemacht, im angelsächsischen ohnehin, durch N.T. Wright. Er ist Professor für Neues Testament, ehemaliger Bischof der anglikanischen Kirche. Wright behauptet, dass die Reformatoren Paulus an entscheidender Stelle völlig falsch verstanden hätten. Die Reformatoren seien davon ausgegangen, dass es bei der Rechtfertigungslehre um die Frage geht, wie ein Mensch mit Gott ins Reine kommt, wie ein Mensch mit Gott versöhnt wird. Aber das sei nach Wright ein riesengroßes Missverständnis.
Die Reformatoren hätten nicht nur Paulus falsch gedeutet, sondern auch das Judentum des Neuen Testaments völlig falsch verstanden. Sie hätten angenommen, das Hauptproblem des Judentums zur Zeit des Neuen Testaments sei die Werkgerechtigkeit gewesen. Dem sei aber nicht so, behauptet Wright, der nur einer von vielen ist, die diese neue Paulusperspektive vertreten. Er sagt, die Reformatoren hätten den Fehler gemacht, die Position ihrer theologischen Gegner – nämlich der katholischen Kirche – in das Judentum zur Zeit des Paulus hineinzulesen. Das sei der Fehler der Reformatoren gewesen, und deswegen hätten sie Paulus in der gleichen Front gesehen wie sich selbst gegenüber dem Katholizismus. Damit würde man dem Judentum Unrecht tun.
Das Hauptproblem des Judentums sei gar nicht die Werkgerechtigkeit gewesen. (Klammer auf: So als hätte Jesus nicht das Gleichnis vom Pharisäer und dem Zöllner erzählt, wo er sagt „Ich danke dir, dass ich nicht so bin wie dieser“. Das ist nur ein Beispiel für ganz klare Indizien von Werkgerechtigkeit im Judentum des Neuen Testaments.) Die falsche Frage der Reformation, die Rettung des Einzelnen, also Soteriologie, sei nicht die richtige Frage. Die richtige Frage sei vielmehr – und das hat Wolfgang Blühne schon angedeutet – die Frage nach der Gemeinschaft, also nach der Ekklesiologie.
Das Problem der Juden war nicht ihre vermeintliche Werkgerechtigkeit, sondern ihr Exklusivismus und ihre Abschottung gegenüber den Heiden. Das wäre ihr Hauptfehler gewesen: Sie hätten die Heiden gewissermaßen nicht in die Familie hineingelassen. Und das sei das Hauptanliegen der Rechtfertigungslehre: nicht Erlösung, sondern Gemeinschaft. Die Frage lautet nicht: Wie wird der Einzelne mit Gott versöhnt? Wie komme ich in den Himmel? Sondern: Wie werden Juden und Heiden zu einer neuen Gemeinschaft versöhnt?
Deshalb hätten die Reformatoren auch den Galaterbrief etwa ins Gegenteil verkehrt. Normalerweise sei der Galaterbrief nicht die Aufforderung, das Evangelium von zusätzlichen Werkforderungen zu reinigen, also Jesus und… Deswegen sind wir ja bis Wright kamen immer davon ausgegangen, der Galaterbrief sei der Hauptbrief für die Auseinandersetzung mit dem Katholizismus. Nein, der Galaterbrief habe vielmehr das Anliegen, die Gemeinschaft all derer, die im weitesten Sinne an Jesus glauben, wiederherzustellen. Deshalb sei der Galaterbrief nicht eigentlich kontrovers theologisch zu verstehen, sondern er sei der große ökumenische Brief.
Wenn man den Galaterbrief ernst nimmt, so Wright, müsste man schon längst viel deutlicher auf die römisch-katholische Kirche zugegangen sein. Es geht also nicht darum, bei der Rechtfertigung laut Wright, wie man Christ wird, sondern woran man erkennen kann, wer zur Familie gehört. Der Fehler der Juden war, dass sie sagten, nur wer beschnitten ist und die jüdischen Feiertage einhält, gehört zur Familie. Das seien die sogenannten Identity Markers, wie er sie nennt. Das wäre die falsche Antwort gewesen: Man gehört dann zur Familie, wenn man die jüdischen Bestimmungen einhält.
Die richtige Antwort wäre gewesen: Man gehört zur Familie, wenn man im weitesten Sinne an Jesus glaubt. Dabei bleibt sehr unklar, was an Jesus Glauben im Einzelnen bedeutet, und auch offen, ob zur Familie gehören schon bedeutet, in den Himmel zu kommen. Das alles bleibt völlig offen.
Im Zuge dieser neuen Paulusperspektive entwickelt Wright – aber auch andere, er ist der große Popularisierer dieser Gedanken – eine neue Füllung biblischer Begriffe und Konzepte. Wir nennen das Äquivokation, das heißt, es wird der gleiche Begriff verwendet, den wir kennen, aber dieser Begriff wird mit einem anderen Inhalt gefüllt. So reden sie mit den gleichen Vokabeln, jeder denkt, der andere meint dasselbe wie man selbst, aber eigentlich sind die Begriffe anders gefüllt. Deshalb redet man aneinander vorbei.
Ich möchte das an einigen Beispielen deutlich machen. Einer dieser Begriffe, die neu gefüllt sind, ist der Begriff Rechtfertigung.
Nach Paulus bedeutet Rechtfertigung – wir kommen gleich noch ausführlicher dazu – dass Gott den Sünder für gerecht erklärt. Das ist die Hauptbedeutung von Rechtfertigung im Römerbrief. Gott nimmt ihn als Kind an. Daraus folgt, dass der Mensch Bürger des Himmels ist. So haben wir es immer verstanden.
Nach N.T. Wright bedeutet Rechtfertigung: „Wer gehört in den Bund mit Gott, aber nicht, wer kommt in den Himmel?“ Er kann es einmal so formulieren, und man darf sich nicht wundern, dass diese Formulierung irritiert, wenn man sie noch nicht häufig gehört hat. Denn das klingt sehr fromm und sehr ähnlich dem, was wir kennen, aber es meint doch nicht dasselbe. Das ist das Problematische an diesem Konzept.
Hören Sie eine Formulierung wie diese: Rechtfertigung im Galaterbrief ist die Lehre, dass alle, die an Jesus glauben, an denselben Tisch gehören, also zur Gemeinde, während sie unabhängig von ihren rassischen Unterschieden auf die zukünftige Neuschöpfung warten. Alle, die an Jesus glauben, gehören an denselben Tisch und warten unabhängig ihrer rassischen Unterschiede auf die Neuschöpfung. Was Neuschöpfung meint, bleibt ziemlich im Dunkeln. Damit ist noch nichts darüber gesagt, wer in den Himmel kommt. Damit ist nach Wright auch noch nicht endgültig über die zukünftige Rechtfertigung entschieden. Auch das bleibt bei ihm sehr offen.
Was bedeutet endgültige zukünftige Rechtfertigung? Es gibt bei ihm eine Formulierung, da sagt er, die zukünftige Rechtfertigung hänge teilweise auch von den Werken ab. Es bleibt sehr offen.
Ein weiterer Begriff – das können wir uns jetzt nicht im Einzelnen anschauen – sind Werke des Gesetzes, die anders und neu gefüllt werden. Die Gerechtigkeit Gottes wird neu gefüllt, analog zur Rechtfertigung. Paulus sagt, Gottes Gerechtigkeit sei ganz einfach sein Geschenk, das er mir wie einen Mantel umlegt. So definiert Paulus Gottes Gerechtigkeit: Er kleidet mich in seine Gerechtigkeit.
Das wurde dann in dem berühmten Lied „Christi Blut und Gerechtigkeit, das ist mein Schmuck und Ehrenkleid“ aufgenommen. Damit will ich vor Gott bestehen, wenn ich zum Himmel gehe. Das ist die klassische biblische Bedeutung. Luther hat es dann mit dem fröhlichen Wechsel verglichen. 1520 schrieb Luther in seiner Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“: Das ist ein fröhlicher Wechsel. Christus, der reiche Bräutigam, heiratet das arme, zerlumpte Mädchen. Seine ganze Gerechtigkeit legt er ihr um, als wäre es ihre eigene. Und alle Sünde von ihr nimmt der reiche Bräutigam auf sich, als hätte er sie selbst begangen. Da er alle Sünde verschlingt, hat die Sünde keine Chance. Der fröhliche Wechsel: Er gibt mir seine Gerechtigkeit und nimmt dafür meine Schuld auf sich.
Nein, sagt N.T. Wright, Gerechtigkeit könne überhaupt nicht mit Gerichtssprache erklärt werden. Sie meint nur Gottes Bundestreue. Gott ist in sich treu und steht zu seiner Verheißung. Es geht nicht darum, wie einer Christ wird.
Ein letztes Beispiel: Evangelium und Kreuz. Paulus sagt, das Evangelium – wir kommen darauf gleich noch genauer – ist die gute Nachricht, dass Jesus Christus für unsere Schuld gestorben und auferstanden ist. Wer das im Glauben ergreift, wird durch Gottes Gnade gerechtgesprochen, wird mit Gott versöhnt, wird auf ewig gerettet, wird erlöst. Das Kreuz ist der Ort, an dem Jesus das Sühnopfer für die Sünden der Welt gebracht hat.
N.T. Wright sagt: Nein, das Evangelium ist die königliche Bekanntgabe, dass Jesus durch seinen Tod und seine Auferstehung von Gott als Herr der Welt intronisiert wurde. Das Evangelium ist die Ausrufung eines königlichen Sieges. Durch Kreuzesverstehen hat Gott gezeigt, dass Jesus König des Universums ist.
Das klingt gut. Nun sagen uns Kritiker: Was habt ihr denn gegen Wright? Wright behauptet doch, dass durch das Kreuz gezeigt wurde, dass Christus der Sieger ist und der Herr des Universums. Das wollt ihr mehr? Aber merken Sie: Hier steht nichts von Sühnopfer, hier steht nichts von stellvertretend getragener Schuld. Er ist der Sieger über die Mächte der Finsternis. Wright sagt dann selbst: „Das Evangelium ist kein System, das erklärt, wie Menschen gerettet werden.“ Und weiter: „Das Evangelium ist streng genommen die Verkündigung der Königsherrschaft Jesu, die Bekanntgabe des königlichen Sieges.“
Das Kreuz ist ein Symbol des Sieges, aber nicht der Ort, an dem das Gericht über meine Schuld erfolgt ist. In diesem Sinne wird auch das Reich Gottes umgedeutet im Sinne einer starken Verweltlichung. Es wird primär diesseitig verstanden. Zitat: „Das Reich Gottes besteht darin, dass es Gottes Ziel ist, Gerechtigkeit und Frieden in seiner Welt hier und jetzt zu etablieren.“ Die Hölle ist nach Wright kein Ort. Das sei eher eine mittelalterliche Vorstellung. Die Hölle bedeutet die Entmenschlichung des Menschen, der sich Gott gegenüber verschließt. Er verwendet hier den Begriff „Dehumanisation“, die Entmenschlichung des Menschen, mit der er sich selbst vor Gott verschließt. Doch es wird nichts gesagt über die ewigen Konsequenzen, die dies hat.
Wenn Sie sich ein bisschen mit der Emerging Church, der missionalen Theologie und den Transmissionskonzepten auskennen, merken Sie, dass Wright denen sehr schön in die Hände spielt. Das ist sehr gut kompatibel mit den klassischen Konzepten der Emerging Church. Es geht nicht so sehr um persönliche Rettung, sondern um die Errichtung des Reiches Gottes hier. Es wird die Grenze zwischen Diesseits und Jenseits, zwischen Himmel und Erde, zwischen Gerettet und Verloren beständig verwischt. Er ist ein guter Vertreter dieses Denkens.
Das Ganze hat radikale Konsequenzen, nämlich die Verharmlosung der Frage von Rettung und Verlorenheit, von Himmel und Hölle, die Verwischung der Grenze zwischen Glauben und Werken. Deshalb ist er auch ein sehr beliebter Gesprächspartner für ökumenische Verhandlungen. Im Juni 2014 gab es in Zürich eine Veranstaltung, auf der er seine Position ausführlich darstellte. Diese Veranstaltung wurde organisiert vom Institutum Ökumenicorum der Universität Fribourg, also auf Schweizer Seite. Zu den Partnerorganisationen, die mitveranstalteten, gehörte unter anderem auch das Buzer Seminar. Es ist interessant, wie weit die Öffnung und Befassung mit Wright hier geht.
Die Verharmlosung der Frage von Himmel und Hölle, die Verwischung der Grenze zwischen Glauben und Werken, die Verdrängung des Sühnetodes Jesu und damit eine Veränderung des Verständnisses von Christsein – das sind Folgen.
Varianten des Evangeliums: Das Kreuz als Beweis der Liebe Gottes, das Kreuz als Selbsthingabe Jesu zur Wiederherstellung der Gemeinschaft, die neue Paulusperspektive.
Ich will noch auf ein letztes Beispiel hinweisen und Sie damit nicht weiter quälen. Ich präsentiere Ihnen diese Beispiele, damit Sie glauben, dass wir es momentan mit einer massiven Verfälschung, Veränderung, Umdeutung, Neuschreibung des Evangeliums in Anführungsstrichen zu tun haben – auf breitester Front, an der auch so bekannte Evangelisten wie Hans-Peter Reuer beteiligt sind oder waren, obwohl er es sicherlich gut gemeint hat. Ich glaube, er hat es einfach nicht durchschaut. Aber die Tatsache, dass jemand etwas nicht durchschaut, bedeutet nicht, dass er nicht stark an dessen Verbreitung mitwirken kann.
Letztes Beispiel ist die neue Erklärung, das neue EKD-Papier zur Rechtfertigung, das im Mai 2014 erschienen ist. Ich habe mich dazu unter anderem beim Malachi-Tag in Siegen geäußert. Dort gab es eine Ideameldung. Idea verschickt immer ein paar Freiexemplare. Wenn Sie die Meldung noch mitnehmen können, steht dort auch ein bisschen was dazu. Sie können gerne in diese Kiste greifen. Das ist keine Werbung von Idea, und erst recht keine Werbung für viele andere Artikel, die in diesem Heft stehen. Es ist eher eine Werbung für den Malachi-Kreis.
Worum geht es? In dieser Erklärung zur Rechtfertigungslehre, die auch im Hinblick auf das große Reformationsjubiläum 2017 erschienen ist, wird behauptet, die Frage nach dem gnädigen Gott sei keine universelle und zu allen Zeiten für die Menschen entscheidende Frage, sondern sie sei typisch für die Zeit Luthers. Auf Seite 24 heißt es etwa: „Luther lebt in einer Welt, in der Gott als Gerichtsherr über das Leben der Menschen urteilt, Sünde und Schuld straft.“ Haben Sie gehört? Luther lebt in einer Welt, das heißt also heute nicht.
Die Frage lautete damals: Mit welchen Gaben kann der Mensch seine Schuld vor Gott bezahlen? Wie kann er so leben, dass er der Strafe für nicht bezahlte Sünde und Schuld entgeht? „Wie kann er so leben, dass er der Strafe für nicht bezahlte Sünde und Schuld entgeht?“ Damals habe die Vorstellung gegolten, dass Gott alle Menschen zur Rechenschaft zieht, sagt das Papier. Heute nicht mehr.
Und dann geht es noch weiter. Der Leser wird beruhigt: Nein, nein, die heutige Mehrheitsfrömmigkeit habe diese Frage nicht mehr. Heute sei das übersteigerte, mittelalterliche und auch in der reformatorischen Bedingung beibehaltene Bild von Gott als einem Gerichtsherrn, der wie ein absolutistischer Monarch uneingeschränkt herrscht, tief problematisch geworden. Für wen problematisch? Wem hilft es, wenn er es als problematisch empfindet?
Da wird uns suggeriert, ja, es wird uns so eingeimpft: Die verzweifelte Suche nach dem gnädigen Gott können wir mit kirchenamtlicher Unterstützung getrost ablegen. Das sei eigentlich eine Frage des Mittelalters. Eine Frage der Zeitgeschichte, die bestimmte Menschen zu einer bestimmten Zeit beschäftigt habe, aber nicht eine Frage, die jedem Menschen vor Gott zu stellen ist.
Das heißt also, dass der Mensch sich vor seinem Schöpfer rechtfertigen muss, dass der Mensch als angeklagter Sünder vor Gott steht – das stimme gar nicht wirklich. Das war nur das subjektive Empfinden zur Zeit Luthers, also im 16. Jahrhundert. Heute, im 21. Jahrhundert, habe der Mensch ganz andere Fragen, und für ihn sei die Hölle nicht mehr das Problem, sondern die Hölle auf Erden.
Der Rest des Buches ist dann ein krampfhafter Versuch, unter Berufung auf die Reformation und mit teilweise sehr frommen Worten wieder etwas völlig anderes als Rechtfertigung zu propagieren, als die Bibel als Rechtfertigung lehrt. So weit, so schlecht, kann man sagen.
Das erstaunt uns eigentlich nicht. Was uns erstaunt, ist, dass, als dieses Buch noch nicht öffentlich erschienen war, es erstmals in IDEA präsentiert wurde, IDEA selbst aber mit keinem Satz eine ausdrückliche Kritik übte. Was noch viel schlimmer war: Es wurde ein Kommentar eines Repräsentanten der Evangelikalen dazu veröffentlicht. Dieser Repräsentant war der Vorsitzende der Konferenz Missionarische Ausbildungsstätten in der EKD und auch Vorstandsmitglied im Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverband, nämlich der Direktor der Evangelistenschule Johanneum in Wuppertal, Pfarrer Burkhard Weber.
Burkhard Weber schreibt als Repräsentant der Evangelikalen über die EKD-Studie: „Man kann sich über diesen Text nur freuen, man kann sich über diesen Kommentar nur wundern“, würde ich sagen. Sie stehen fassungslos davor. Er sagt, manches sei da schon ein bisschen anders formuliert, als wir es so kennen, aber das seien eben unterschiedliche Frömmigkeitstraditionen. Es gehe nicht um die Frage, was wahr oder falsch sei, sondern wer eben seine Prägung habe. Wir müssten uns in unseren Prägungen gegenseitig so stehen lassen. Es gehe hier nicht um die Frage von Wahrheit oder Unwahrheit.
Sie können sich dann als Leser fragen: Hat er es wirklich nicht verstanden, oder will er es nicht verstehen? Wie kann das sein? Sie stehen da vor einem Rätsel.
Varianten des Evangeliums.
Jetzt kommen wir sehr schnell zum zweiten Teil: Das Evangelium Gottes – wie ist es denn nun wirklich? Das Evangelium Gottes, so habe ich diesen zweiten Teil genannt, weil Paulus im Eingangsteil des Römerbriefes genau dieses ankündigt. Er werde jetzt das Evangelium Gottes ihnen ausbreiten. Also das Evangelium, das der dreieinige Gott, der Vater uns in seinem Sohn durch den Heiligen Geist präsentiert und offenbart hat.
Wir wollen jetzt in Kürze – natürlich geht das nur an einem, möglicherweise sogar dem zentralen Text des Neuen Testaments – kurz miteinander betrachten, in dem uns Gott durch seinen Apostel Paulus offenbart, was Rechtfertigung bedeutet, nämlich Römer 3,21-25. Sie werden mir jetzt verzeihen, dass ich das nur sehr skizzenhaft tun kann. Tätig sind Sie nicht, bekämen Sie keinen Kaffee. Wenn Sie sich ausführlicher dem widmen wollen, lade ich Sie ein, die Homepage unserer Gemeinde zu besuchen. Zurzeit haben wir dort eine Predigtreihe über den Römerbrief. Dort können Sie das Ganze etwas ausführlicher nachhören. Ich bin gerade im letzten Teil von Römer 3, also sehr viel weiter sind wir noch nicht gekommen. Aber wenn Sie eine ausführlichere Auslegung von Römer 3,19-26 suchen, dann gehen Sie einfach auf die Homepage weg-hannover.de, dort können Sie das ausführlicher verfolgen.
Mir geht es jetzt darum: Wir hatten gesagt, was ist die eiserne Ration, was bedeutet Rechtfertigung? Das will ich jetzt in einigen wenigen Strichen skizzieren. Und ganz zum Schluss möchte ich Ihnen – zu Ihrer Beruhigung vorab schon mal gesagt – noch ein Thesenpapier mitgeben, bei dem ich versucht habe, den Inhalt der evangelistischen Botschaft in fünf Punkten zusammenzufassen, so dass Sie das wirklich getrost mit nach Hause nehmen können. Denn es ist immer schwierig, in einer guten anderthalb Stunden ein so umfassendes Thema auch nur ansatzweise seriös zu behandeln. Meine Hoffnung ist, dass Sie dann weiterarbeiten und das Ganze für sich festhalten können.
Wir lesen den Zusammenhang noch einmal: Römer 3,19: „Wir wissen aber“, schreibt Paulus, „dass das Gesetz alles, was es spricht, zu denen sagt, die unter dem Gesetz sind, damit jeder Mund verstopft werde und alle Welt vor Gott schuldig sei, weil aus Werken des Gesetzes kein Fleisch, also kein Mensch, vor ihm gerechtfertigt werden kann. Denn durch das Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde.“
Paulus sagt: Alle Welt ist vor Gott schuldig, das heißt jeder muss sich vor Gott rechtfertigen (Vers 19). Und Vers 20 sagt: Keiner kann sich vor Gott rechtfertigen. Dann kommt der Umschwung: „Jetzt aber“. Wenn Paulus „Jetzt aber“ schreibt, heißt das, jetzt bricht etwas Neues ein. Jetzt wird gesagt, warum das trotzdem noch nicht unser Todesurteil bedeutet. „But now“ heißt es in der englischen Übersetzung. Martin Lloyd-Jones hat immer gesagt: Praise God for the buts in the Bible, also: Lob Gott für die Abers in der Bibel, denn sie sagen, dass es trotz unserer Not eine Rettung gibt. Praise God for the buts in the Bible.
Jetzt aber, jetzt hat Gott etwas für euch getan. Was er getan hat, ist dort am Kreuz zu sehen. Man kann das zusammenfassen in drei Unterpunkten:
a) Das Kreuz ist die Initiative des Vaters. Das Kreuz, sagt Paulus, ist Gottes Antwort auf Gottes Zorn. Gottes Antwort auf Gottes Zorn ist Gottes Gerechtigkeit.
Vorher hat Paulus von Kapitel 1,18 bis Kapitel 3,20 lückenlos nachgewiesen, dass alle Welt unter dem Zorn Gottes steht. Alle Welt steht unter dem heiligen, gerechten Zorn des vollkommenen Gottes, der keine Schuld dulden kann, weil er Gott und heilig ist. Es ist ein Kennzeichen all dieser Konzepte, die ich vorhin dargestellt habe, dass sie dem Zorn Gottes, der das Ergebnis seiner Vollkommenheit und Heiligkeit ist, nicht angemessen Rechnung tragen. Es ist so, als würden Sie Römer 1,18-3,20 total gegen den Strich bürsten oder überlesen.
Das Kreuz ist die Initiative des Vaters. Viermal taucht hier der Begriff Gerechtigkeit Gottes auf. Vers 21: „Außerhalb des Gesetzes ist die Gerechtigkeit Gottes offenbar geworden, die von dem Gesetz und den Propheten bezeugt wird, nämlich die Gerechtigkeit Gottes durch den Glauben an Jesus Christus, die zu allen und auf alle kommt, die glauben. Denn es ist kein Unterschied, denn alle haben gesündigt und verfehlen die Herrlichkeit, die sie vor Gott haben sollten.“ Vers 23 nimmt noch einmal 1,18 bis 3,20 auf.
Dann weiter: „So dass sie ohne Verdienst, geschenkt durch seine Gnade, gerechtfertigt werden aufgrund der Erlösung, die in Christus Jesus ist.“ Ihn, also Christus, hat Gott für den Glauben hingestellt als Sühnopfer in seinem Blut. Das ist der Schlüsselvers.
Christus hat Gott für den Glauben – man könnte sagen öffentlich – hingestellt als Sühnopfer oder als Gnadenort oder als Gnadenthron in seinem Blut, um seine Gerechtigkeit zu erweisen. Denn er hat die Sünden ungestraft gelassen, die zuvor geschehen waren.
Das Erste am Kreuz ist die Initiative des Vaters, der uns seine Gerechtigkeit schenkt. Viermal taucht der Begriff Gerechtigkeit Gottes auf. Gott hat diese Gerechtigkeit am Kreuz offenbart. Offenbart heißt nicht nur, dass er sie gezeigt hat, sondern er hat sie zugänglich gemacht, manifestiert, als Geschenk angeboten für alle, die ihm glauben.
Deshalb hat Luther, nachdem er das kapiert hatte, diese Gerechtigkeit auch passive Gerechtigkeit genannt, weil er sagt, ich kann dafür nichts tun, ich kann sie nicht erarbeiten, ich kann sie nicht konstruieren. Es ist eine passive Gerechtigkeit, die auf der Initiative des Vaters beruht.
Worin besteht dieses Geschenk? Das sehen wir in Vers 24 und Vers 26: „Er rechtfertigt uns.“ Das ist das Verb, das vom Begriff für Gerechtigkeit abgeleitet ist. Er rechtfertigt uns, das heißt, er spricht uns gerecht, er erklärt uns für gerecht. Natürlich kommt der Begriff aus dem Rechtswesen. Das ist forensisch. Anders ist es nicht zu erklären, auch vom Begriffsfeld her.
Das setzt voraus, was Paulus vorher nun wirklich kapitel lang entfaltet hatte: Alle stehen unter dem Zorn Gottes, alle stehen unter dem Urteil Gottes, alle sind verurteilt, alle sind schuldig. Rechtfertigen bedeutet jetzt: Gott erklärt uns für gerecht, obwohl wir in uns ungerecht sind. Gott spricht uns frei, obwohl wir in unserer Schuld gefangen sind und den Tod verdient hätten. Gott adoptiert uns als seine Kinder, obwohl wir seine Feinde waren. Gott hüllt uns ein in seine Gerechtigkeit, er begnadigt uns, obwohl wir voller Ungerechtigkeit stecken. Er rechtfertigt uns durch seine Gnade, obwohl wir das Todesurteil verdient hätten.
Oder ein anderes Bild, das Paulus hier in Vers 24 auch noch einmal einschiebt: Er erlöst uns, er kauft uns frei – Erlösung, obwohl wir schnurstracks auf dem Weg in Richtung Hölle sind. Hinter diesem Begriff der Erlösung steckt der Freikauf von Sklaven, Kriegsgefangenen, Kriminellen, die rausgekauft werden. Gott kauft den Sünder frei.
Jetzt ist die Frage: Wer muss den hohen Preis bezahlen? Womit bezahlt er den Preis? Es ist wieder der Vater selbst, der den hohen Preis bezahlt, den unser Loskauf kostet, indem er seinen eigenen Sohn auf die Welt kommen lässt, indem er in seinem Sohn auf die Welt kommt.
Paulus bindet dies zusammen in Vers 24, wenn Sie hinschauen, da heißt es: gerechtfertigt aufgrund der Erlösung. Also Rechtfertigung und Erlösung hängen ganz eng zusammen. Man kann sagen: Weil Gott uns freikauft, kann er uns freisprechen. Weil Gott uns erlöst, kann er uns rechtfertigen.
Das Entscheidende, was durch diesen Freispruch verändert wird, ist unsere Stellung vor Gott. Wir bekommen vor Gott einen völlig neuen Status aufgrund seines Freispruchs. Wir sind zum Tode Verurteilte und werden durch seinen souveränen Rechtsakt zu Kindern im Hause des Vaters erklärt. Das bedeutet Rechtfertigung, nicht weniger.
Eine Geschichte, die um Napoleon herum erzählt wird, macht das deutlich. Napoleon fällt fast vom Pferd, weil sein Gaul zickt. Ein junger Rekrut greift zu und bewahrt ihn vor der Blamage. Napoleon sagt schnell: „Ich danke Ihnen, Herr Rittmeister“, sagt er zu diesem Rekruten. Der sagt: „Seine Majestät, von welchem Regiment?“ Napoleon sagt: „Von meinem Regiment.“ Der Rekrut gesellt sich zu einigen Generälen, die da stehen. Einer der Alten sagt: „Hey, was will denn dieser junge Rekrut hier bei uns?“ Der junge Kerl sagt: „Verzeihen Sie, General, ich bin Rittmeister.“ Und dann fragt der General zurück: „Wer hat das gesagt?“ Der junge Mann verweist auf Napoleon und sagt: „Er hat es gesagt.“ Der General sagt: „Entschuldigung, ich wusste es nicht. Er hat es gesagt.“
Der Rekrut trug noch die Klamotten eines Rekruten, hatte das unerfahrene Gesicht eines Rekruten, die militärische Ausbildung eines Rekruten, aber er war Rittmeister, weil der König ihn dazu erklärt hatte. Das ist der Statuswechsel, der stattgefunden hat.
Er spricht uns frei, er ernennt uns zu seinen Kindern, er erklärt uns für gerecht. Das Kreuz ist die Initiative des Vaters, der uns seine eigene Gerechtigkeit schenkt.
Jetzt ist die Frage: Wie macht er das? Wie ist es möglich? Das Hauptproblem bedeutet nicht: Wie kann ein gerechter Gott Menschen verurteilen? Sondern: Wie kann ein gerechter Gott Menschen nicht verurteilen? Wie kann Gott heilig, gerecht und vollkommen bleiben und uns trotzdem nicht in die Hölle schicken? Das ist die Kernfrage des Römerbriefs. Die Antwort darauf ist das Kreuz.
Darum das Zweite: Das Kreuz ist der Kraftakt des Sohnes. Wenn Sie die Heiligkeit Gottes ausklammern, wenn Sie den Zorn Gottes ausklammern, können Sie gar kein Evangelium formulieren. Es hängt alles in der Luft. Die Schlüsselfrage ist verdeckt.
Die Initiative des Vaters erfüllt sich jetzt im Kraftakt des Sohnes. Immer noch handelt der Vater. Es wird oft gesagt: Wenn man so von Sühne redet, sieht das ja so aus, als ob Gott rachesüchtig wäre und erst durch Christus umgestimmt werden müsste. Entschuldigung, das ist theologischer Nonsens, das ist Quatsch!
Der Vater handelt, der Vater will retten durch den Sohn, der Vater kommt im Sohn. Es ist die Initiative des Vaters, es ist das Evangelium Gottes. Aber der Vater handelt durch den Kraftakt des Sohnes.
Kommen wir zu Vers 25: „Ihn, nämlich Christus, hat Gott für den Glauben hingestellt als Sühnopfer in seinem Blut.“ Man kann „hingestellt“ auch mit „öffentlich ausgestellt“ übersetzen, das heißt zum Ergreifen für den Glauben. Gott selbst gibt sich selbst, um uns vor sich selbst, nämlich vor seinem Gericht, zu retten.
Das ist das Geheimnis: Gott selbst gibt sich selbst, um uns vor sich selbst zu retten. Dazu ist dieser Kraftakt des Sohnes nötig.
Was muss der Sohn tun? Was steht hier? Gott hat ihn zum Sühnopfer bestimmt. Luther hat in einer älteren Übersetzung geschrieben, Gott hat ihn als Gnadenstuhl aufgestellt. Das Wort, das hier so unterschiedlich übersetzt wird in Vers 25, habe ich jetzt als Sühnopfer übersetzt, heißt im Griechischen hilasterion. Das ist ein ganz seltener Begriff im Neuen Testament.
Hilasterion ist die griechische Übersetzung für das alttestamentliche Kaporet. Es gibt eine griechische Übersetzung des Alten Testaments seit dem 3. Jahrhundert vor Christus, die sogenannte Septuaginta. Es ist spannend, wenn wir schauen, welches hebräische Wort mit Hilasterion übersetzt wird: Das ist Kaporet.
Kaporet, wenn im Alten Testament Kaporet steht, dann steht in der griechischen Übersetzung Hilasterion. Was war Kaporet? 3. Mose 16 beschreibt den Sühnedeckel auf der Bundeslade. Sie kennen die Schilderung des großen Versöhnungstages, 3. Mose 16, wie die Bundeslade geschildert wird, an die das Blut herangespritzt wird. Der Ladendeckel auf der Bundeslade ist das Hilasterion, der Sühneort.
Was passierte dort am Gnadenstuhl? Dort wurde das Opferblut von Tieren, 3. Mose 16,14 und 15, einmal im Jahr am großen Versöhnungstag, gesprengt.
Jetzt verstehen wir: Der Gnadenstuhl war der Ort, an dem die Versöhnung zwischen Gott und Mensch besiegelt wurde. Der Gnadenstuhl war symbolisch die Instanz für Gott, an die das Blut gesprengt wurde, der Ort der Sühnung mittels des Blutes.
Paulus sagt: Das ist der Grund der Rechtfertigung, die Kraft der Rechtfertigung. Sieh dir den Gnadenstuhl an, den hat Gott als Sühneort bestimmt. Das Kreuz ist der Gnadenstuhl, das Kreuz ist die Kaporet. Dort hat er Christus öffentlich ausgestellt.
„Öffentlich“ macht noch einmal den Unterschied deutlich zu dem, was am Versöhnungstag geschah, hinter dem dicken Vorhang des Allerheiligsten. Die alte Kaporet stand im Allerheiligsten, und nur der Hohepriester durfte hinein. Die neue Kaporet, der Sühneort, das Kreuz, ist öffentlich hingestellt für den Glauben, damit der Glaube sich daran hängen und sich darauf verlassen kann.
Jetzt verstehen wir Jesus am Kreuz: Das ist der Gnadenstuhl, den Gott öffentlich aufgestellt hat. Was ist dort passiert? Gott hat ihn hingestellt als Hilasterion, als Gnadenstuhl in seinem Blut, das heißt in seinem Opfertod.
Jetzt ist klar, dass „in seinem Blut“ das Bild für den Opfertod sein muss. Was geschah am Hilasterion? Da hat der Hohepriester das Blut des Sündenbocks an den Gnadenstuhl gesprengt. So hat Jesus sein eigenes Blut dort am Kreuz vergossen. Er hat sein eigenes Blut für uns geopfert.
Jetzt sehen wir, wie auf geheimnisvolle Weise dort alles zusammenkommt, was zu unserer Rettung wichtig ist: Jesus als Hilasterion, als Gnadenstuhl in seinem Blut.
Jesus ist beides: Jesus ist der Ladendeckel und er ist das Blut, das an diesen Ladendeckel gesprengt wird. Das geschieht am Kreuz.
Jesus ist der Ort, an dem die Sühne geschieht. Jesus ist der Ladendeckel, das Zeichen für die Gegenwart Gottes. Jesus ist Gott. Jesus ist zugleich auch die Instanz, vor der das Opfer gebracht wird. Jesus ist der Richter, Jesus ist der Gnadenthron.
Sein Kreuz, an dem er stirbt, zeigt: Jesus ist zugleich das Opfertier, dessen Blut geopfert wird, und der Hohepriester, der das Opfer bringt. Die Strafe, die der Richter erhebt, bezahlt Jesus mit seinem eigenen Blut. Er wird der Sündenbock für uns, er sühnt unsere Schuld, er vergoss sein Blut für mich, und er nimmt dort meinen Platz ein.
So geschieht am Kreuz dieses Wunder: Gottes heilige, gerechte Forderung nach Bestrafung der Sünde wird erfüllt. Diese Forderung wird von Gott erfüllt – durch Gott selbst, der sie in seinem eigenen Sohn erfüllt, der sein vollkommenes Leben für uns in die Waagschale wirft.
Gott gibt sich selbst, um uns vor sich selbst zu retten. Jesus stellt sich gewissermaßen als Austauschgeisel für uns zur Verfügung. Er wird zum Stellvertreter, er, der Unschuldige, für uns Schuldige. Er bringt freiwillig dieses Opfer.
Hier am Sühneort, am Kreuz, kommt beides zusammen: Ladendeckel und Blut, Richter und Retter, Gottes Heiligkeit, der Genüge getan werden muss, und Gottes Liebe, die sich opfert, um diese Sühne zu leisten, Gottes strafende Gerechtigkeit, die wir verdient haben, und Gottes rettende Gerechtigkeit, die er uns aus Gnade schenkt.
Paulus sagt ihnen: Genau das passiert am Kreuz. Da ist Jesus als Gnadenthron in seinem Blut. Das Kreuz ist Gottes Antwort auf Gottes Zorn.
Überlegen Sie mal: 64 Verse lang hatte Paulus vorher beschrieben und bewiesen, warum wir alle unter dem heiligen Zorn Gottes stehen mit unserer Schuld. Jetzt zeigt er, was das einzige, einzig wirksame Gegenmittel gegen diese Schuld ist. Das einzige Mittel, das den Zorn Gottes stillen kann.
Sühnen bedeutet auch besänftigen. Der Vater besänftigt sich selbst, der Vater stillt seinen eigenen notwendigen, aufgrund seiner Vollkommenheit und Heiligkeit notwendigen gerechten Zorn. Der Vater erträgt sein eigenes Urteil in seinem Sohn, und das geschieht am Kreuz.
Es ist das Mittel, das der Vater selbst erdacht hat, der uns seine eigene Gerechtigkeit schenkt. Das Kreuz ist der Kraftakt des Sohnes, welcher der Gerechtigkeit des Vaters Genüge tut. Das heißt eigentlich Sühnen: Er tut der Gerechtigkeit des Vaters Genüge.
Damit sind auch alle Einwände abgewiesen, Opfer und Sühne seien finstere heidnische Religion, mit der wir nichts zu tun haben wollten. Nein, das ist nicht so.
Heidnische Götzen sinnen auf Rache, aber Gottes heiliger Zorn ist die Folge seiner Vollkommenheit, die Sünde nicht dulden kann und deshalb ahnden muss. Heidnische Götzen fordern Opfer von Menschen. Der lebendige Gott dagegen ergreift selbst die Initiative und gibt sich hin als Opfer in seinem Sohn Jesus Christus.
Nun noch etwas Geniales: Bedenken Sie, in Jesus wurde Gott Mensch. Jesus kommt nicht nur als Gottes Sohn auf die Welt, der ohne Sünde ist – das ist das eine. Er ist das vollkommene Opfer, weil er ohne Sünde ist, als der Sohn Gottes. Gleichzeitig wird Jesus Mensch.
Gleichzeitig tritt Jesus damit auf unsere Seite. Er kommt als Gott, er bleibt Gott, und er wird Mensch. Weil er damit auch auf unsere Seite tritt, kann er unser Stellvertreter werden dort am Kreuz. Er kann unsere Schuld auf sich nehmen, er kann für uns dem Vater das vollkommene Opfer bringen, so dass der Vater uns begnadigen kann um des Sohnes willen – und das heißt wieder rechtfertigen.
Es ist einfach genial: Gott selbst gibt sich selbst, um uns vor sich selbst zu retten. So wird das Kreuz zum Gnadenthron, zum Sühneort. Hier wird Gottes Zorn gestillt, hier wird Gottes Gerechtigkeit Genüge getan, weil Jesus sein Blut vergießt, sein Leben hinopfert, als Opfer für uns in den Tod gegeben.
Liebe Geschwister, darum ist es so entscheidend, dass wir dem treu sind, was Gott uns darüber offenbart hat, was am Kreuz geschah. Das ganze Neue Testament macht deutlich, dass es zentral ist, dass er stellvertretend für unsere Schuld die Strafe trägt. Das ist zentral, das ist nicht optional, das ist keine Zugabe, das ist kein möglicher Aspekt, den man auch anders sehen kann, sondern daran hängt die ganze Erlösung.
Douglas Moo, ein Neutestamentler, hat das wunderbar beschrieben. Er hat gesagt: Am Kreuz begegnen sich Gottes Liebe und Gottes heiliger Zorn. Keines von beidem darf unterschlagen oder geschmälert werden, wenn wir die volle Bedeutung dieses Geschehens wirklich erfassen wollen.
Darum ist es so wichtig, dass wir verstehen, was am Kreuz geschah, und dass wir dem widersprechen, wenn es diese ganzen Variationen gibt, die eben keine Variationen eines Themas sind, sondern Verfälschungen und Verkürzungen.
Dabei geht es nicht darum, über die Motive derer zu richten, die das verbreiten, sondern darum zu fragen: Wie war es? Überlegen Sie mal, was hat es Christus gekostet? Was hat es den Vater gekostet? Wir sind manchmal nicht einmal bereit, das bis ins Letzte zu versuchen zu verstehen und zu durchdenken.
Er hat seinen letzten Blutstropfen dort vergossen. Er hat für uns unvorstellbare Qualen auf sich genommen. Wir halten es manchmal für unter unserer Würde, zu verstehen, was der Herr in seiner Qual für uns erlitten hat und warum. Das ist Schuld.
Wenn wir nicht bereit sind, die Wahrheit des Kreuzes zu erkennen, zu studieren, dem Herrn dafür zu danken und sie zu ergreifen, dann spielen wir mit seinem Kreuz und spucken noch nachträglich darauf.
Deshalb, liebe Freunde, ist es so wichtig, und ich bin überzeugt, es ist die zentrale Frage, die uns auch in den nächsten Jahren beschäftigen wird. Treue gegenüber unserem Herrn bedeutet, dass wir dafür hinstehen, uns dazu bekennen und es predigen. Wir sollen Menschen zum Gekreuzigten als ihrem Retter führen – wenn sie nicht erfahren, was er für sie getan hat und worauf sie ihr Leben gründen sollen.
Nochmal: Die Not, aus der Jesus uns herausgerissen hat, ist viel, viel tiefer, als uns das in unserer humanistischen Harmlosigkeit oft bewusst ist.
Wie kann ein gerechter Gott überhaupt vergeben? Das ist die Frage. Wie kann ein gerechter Gott Gott bleiben, ohne Sünder in die Hölle zu werfen? Das ist die Frage. Die einzige Antwort lautet: Weil es das Kreuz gibt.
Ein englischer Theologe hat über unsere Stelle Folgendes gesagt, und dem kann ich mich nur anschließen: „Wenn wir diesen Text lesen, dann können wir die Weisheit, Heiligkeit, Liebe und das Erbarmen unseres Gottes nur bewundern und in demütiger Anbetung vor ihm niederknien. Das Kreuz Jesu sollte ausreichen, um das härteste Herz zu brechen und das kälteste, eisigste Herz schmelzen zu lassen.“ Aber natürlich ist es immer ein Wunder, wenn das wirklich passiert. Der Gott, der das getan hat, muss es uns auch schenken, dass wir davon wirklich bis in den Grundfesten unseres Herzens erschüttert und ergriffen werden. Da kennen wir sehr, wie wir ihn brauchen.
Das Letzte, das wir jetzt nicht mehr entfalten, weil es zeitlich nicht mehr zu schaffen ist: Das Kreuz ist die Zuflucht für den Glauben, der die fremde Gerechtigkeit in Christus ergreift.
Also: Das Kreuz ist die Initiative des Vaters, der uns seine eigene Gerechtigkeit schenkt. Das Kreuz ist der Kraftakt des Sohnes, der der Gerechtigkeit des Vaters Genüge tut. Und das Kreuz ist die Zuflucht für den Glauben, der die fremde Gerechtigkeit in Christus ergreift.
Es ist nicht meine Gerechtigkeit, es ist diese passive Gerechtigkeit, es ist seine, an die ich mich klammere und durch die ich gerettet werde.
Dadurch schließt sich der Kreis wieder: Das Kreuz ist die Initiative des Vaters, der uns seine eigene Gerechtigkeit schenkt und dadurch gleichzeitig seine eigene Gerechtigkeit beweist. Heilig bleibt, dass er gerecht bleibt, obwohl er Sünder in den Himmel holt, weil er die Strafproblematik in seinem Sohn Jesus Christus geklärt hat.
Gott schenkt uns seine eigene Gerechtigkeit durch diesen Vorgang am Kreuz, und darin beweist Gott zugleich seine eigene Gerechtigkeit, wie es in Vers 25 noch weiter ausgeführt wird.
Das konnte wirklich nur Gott. Nur Gott.
Sie sehen hier auch die trinitarische Wirkung des Kreuzes. Man könnte sagen: Das Kreuz ist vom Vater erdacht, vom Sohn vollbracht und vom Heiligen Geist uns zu eigen gemacht. Denn das ist die Wirkung des Heiligen Geistes, dass wir glauben können, dass diese Botschaft bei uns ankommt, dass sie uns präsentiert wird und dass wir sie ergreifen dürfen.
Vom Vater erdacht, vom Sohn vollbracht, vom Heiligen Geist uns zu eigen gemacht – das ist das Wunder, das am Kreuz geschah.
Das ist die eiserne Ration.
Varianten des Evangeliums – das Evangelium Gottes nach Römer 3.
Zum Abschluss möchte ich Ihnen Eckpfeiler der evangelistischen Verkündigung in fünf Thesen mitgeben, die sich daraus ergeben. Nach allem, was wir jetzt gesagt haben, brauche ich sie nur noch einmal vorzulesen. Ich darf Sie bitten, das Thesenpapier herumgehen zu lassen. Es ist eine Zusammenfassung dessen, was wir entfaltet haben: der Inhalt der evangelistischen Botschaft, also Eckpfeiler der evangelistischen Verkündigung in fünf Thesen.
Als Jünger Jesu muss es so sein, dass, wenn man ihm nachts um zwei einen Eimer kalten Wassers über den Kopf schüttelt und fragt: „Was ist die Kernbotschaft des Evangeliums?“, man in der Lage ist, diese fünf Punkte zu benennen. Wir können das ja mal testen. Ich gehe es ganz kurz noch einmal durch, dann schließen wir hier ab. Vielleicht sollten wir das noch machen, bevor wir offiziell mit Gebet schließen, dass noch die Möglichkeit besteht, ein paar Rückfragen kurz zu stellen.
Also, erste Zusammenfassung:
Der inhaltliche Ausgangspunkt des Evangeliums ist der heilige und persönliche Gott. Er ist der Schöpfer, dem jeder Mensch gehört und vor dem jeder Mensch sich zu verantworten hat. Die entscheidende Frage über das Leben des Menschen lautet: Wie steht es um mein Verhältnis zu Gott? Oder wie Luther es formuliert hat: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? Das ist die zentrale Frage über das Leben jedes Menschen, nicht nur im 16. Jahrhundert. Die Tatsache, dass die meisten Zeitgenossen sich dieser Frage nicht bewusst sind, bedeutet nicht, dass sie nicht trotzdem die wichtigste Frage in ihrem Leben wäre. Manche Fragen, die wir uns stellen sollten, stellen wir uns leider nicht. Aber das macht sie nicht weniger relevant. Diese Fragen brauchen wir erst recht, dass uns jemand darauf stößt, sie zu stellen. Es wird höchste Zeit, dass wir begreifen, dass an diesen Fragen unser Schicksal hängt, unsere ewige Existenz.
In Gottes Urteil wird der Mensch als Feind Gottes bewertet, der nicht nur einzelne Sünden tut, sondern in seinem Kern Sünder ist. Wir sind nicht Sünder, weil wir Sünde tun, sondern wir tun Sünde, weil wir Sünder sind. Wir sind verdorben. Das Herz des Menschen ist böse von Jugend an. Wir sind in unserer Ausrichtung rebellisch gegen den, dem wir alles verdanken und dem wir alle Hingabe schulden. Das ist das Schlüsselproblem. Aus dem Sündersein folgt das Sündetun, nicht umgekehrt. Wegen dieser totalen Verlorenheit – die Bibel kann auch vom geistlichen Tod sprechen, etwa Epheser 2 – kann der Mensch sich selbst nicht retten und sein Verhältnis zum lebendigen Gott nicht verbessern, geschweige denn grundsätzlich bereinigen. Er bleibt unter Gottes Zorn. Römer 1,18-3,20 wird das ausführlich entfaltet.
In seinem Sohn Jesus Christus hat der heilige Gott den Weg zur Rettung eröffnet (Galater 4). „Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn.“ Durch den Sündetod am Kreuz nimmt Jesus die Strafe auf sich, die wir Menschen ausnahmslos verdient haben, zum Beispiel Markus 10,45: „Der Menschensohn ist nicht gekommen, sich dienen zu lassen, sondern zu dienen und sein Leben als Erlösung für viele zu geben.“ Bitte lassen Sie es nicht zu, dass Jesus und Paulus gegeneinander ausgespielt werden. Es ist eine beliebte Methode auch der Emerging Church-Exegeten – ich weiß gar nicht, ob man sie Exegeten nennen sollte – die sagen: „Immer diese paulinisch-juristische Engführung. Wir müssen doch auf Jesus sehen, der das Reich Gottes bringen wollte.“ Dabei wird übersehen, dass bei Jesus Reich Gottes auch bedeutet, gerettet zu werden, in den Himmel zu kommen. Reich Gottes zu kommen bedeutet gerettet zu werden. Erlösung, Versöhnung mit Gott, Rechtfertigung sind viele unterschiedliche Aspekte der einen Wahrheit.
In der Auferstehung besiegt Jesus den Tod und wird sichtbar als Sohn Gottes und Retter bestätigt. Damit hat Gott den Weg zur Versöhnung der Sünder gebahnt. Daraus kommt das, was Andreas Vett heute Vormittag auch zitiert hat: Die Aufforderung, die wir auszurichten haben: „Lasst euch versöhnen mit Gott“, das heißt, lasst euch rechtfertigen, lasst euch retten, lasst euch erlösen. Es ist immer die gleiche Botschaft.
- Also: Der heilige Gott, der sündige Mensch, der Retter Christus. Wie kommt das zusammen? Durch das Evangelium ruft Gott den Sünder. Das sind zwei Aspekte, zwei Seiten der einen Medaille: zur Umkehr und zum Glauben. Er fordert ihn dazu auf, dieses Gottesurteil über sein Leben anzuerkennen, seine Schuld zu bereuen und Gottes Vergebung um Christi willen zu erbitten. Darum lädt Gott den Sünder mit der Aufforderung zur Umkehr zugleich zum Glauben, also zum persönlichen Vertrauen auf seinen Sohn Jesus Christus ein, der die Strafe für die Sünde stellvertretend getragen hat.
Jesus ist der gekreuzigte Retter, der auferstandene Herr, der wiederkommende Richter. Wer ihn als Gottes Sohn anbetet, als Erlöser anruft, als Herrn anerkennt, also in seine Nachfolge eintritt, der wird von Gott gerechtfertigt, das heißt von seiner Sünde freigesprochen, er wird als Kind angenommen. Hier sehen Sie die unterschiedlichen Begriffe und Bilder, mit denen die Bibel immer wieder diese eine Wirklichkeit beschreibt.
Es geht um Umkehr zu Jesus, im persönlichen Vertrauen auf ihn als den Sohn Gottes, der durch sein Opfer am Kreuz stellvertretend unsere Schuld getragen hat.
- An der Stellung zu Jesus Christus entscheidet sich das ewige Schicksal jedes einzelnen Menschen. Dabei gibt es nur die Alternative des doppelten Ausgangs: Entweder ewiges Heil, also Himmel, oder ewige Verdammnis, also Hölle. Entweder oder. Darüber hinaus gibt es keine dritte Möglichkeit. Das ist die eindeutige biblische Botschaft.
Das sind die fünf Punkte, die das Evangelium ausmachen: Der heilige Gott, vor dem wir Menschen verurteilt und verloren dastehen als Kandidaten der Hölle; der Retter Christus; der Ruf zur Umkehr und zum Glauben an ihn; und die Frage des doppelten Ausgangs Himmel oder Hölle.
Das ist die eiserne Ration.
Es könnte jetzt jemand einwenden: „Wenn das so komplex ist, wie kann ein Mensch überhaupt gerettet werden?“ Ich bin überzeugt, dass auch Kinder sich schon bekehren können, wenn Gott an ihren Herzen wirkt, wenn er es ihnen schenkt.
Im Vollzug der Bekehrung wird dem Menschen dieses im Grunde seines Herzens von Gott klargemacht. Das heißt nicht, dass er theologisch alles bis in die letzte Differenzierung akkurat benennen kann – sofort. Aber diese Grundwahrheit: Ich bin ein Sünder, ich brauche es, dass Jesus sein Leben für mich gegeben hat, dass er sein Leben für mich in die Waagschale warf, dass er meine Schuld bezahlt hat – das können Sie schon.
Sie können das erklären mit dem wortlosen Buch von der Schöpfung. Damit können Sie diese Wahrheit erklären.
Es gibt kein einfaches Evangelium. Es wird immer gesagt, wir müssen das schlichte, einfache Evangelium verkündigen. Das ist Quatsch. Es gibt nur ein Evangelium, und dieses Evangelium ist komplex.
Überlegen Sie mal: Der heilige Gott rettet uns aus der Hölle – und das soll nicht komplex sein? Das ist absurd.
Aber es ist das Wunder Gottes, seine Gnade, seine Allmacht und seine Souveränität, dass diese komplexe Botschaft, die das größte Problem und das letzte Geheimnis der Existenz entschlüsselt, zugleich so ist, dass man sie im Kindergottesdienst erklären kann. Das ist das Wunder.
Sie können fünf oder zwanzig Bücher à 300 bis 500 Seiten dazu schreiben und werden immer noch etwas dazu zu sagen haben. Sie können es zusammenfassen in einem Prospekt, in einem Traktat. Das ist das Wunder, das ist das Wunder dieses einen: Es ist göttlich, es ist das Evangelium Gottes.
Es ist ein großes Vorrecht, dass der Herr uns dieses Evangelium offenbart hat und dass er es uns geschenkt hat, dieses Evangelium im Glauben zu ergreifen und dass wir Boten dieses Evangeliums sein dürfen. Das ist das Größte, was wir in unserem Leben haben können.
Lasst uns das in Treue tun und nicht müde werden, solange der Herr uns Atem gibt, diese Botschaft wirklich auszubreiten. Lasst uns dafür beten, dass noch viele, viele nicht in der Hölle, sondern im Himmel ankommen.
Neuinterpretation zentraler Begriffe
Einer dieser Begriffe, die neu gefüllt werden, ist der Begriff Rechtfertigung. Nach Paulus bedeutet Rechtfertigung, dass Gott den Sünder für gerecht erklärt. Das ist die Hauptbedeutung von Rechtfertigung im Römerbrief. Gott nimmt den Sünder als sein Kind an. Daraus folgt, dass der Mensch Bürger des Himmels ist. So wurde das immer verstanden.
Nach Antiright bedeutet Rechtfertigung hingegen: „Wer gehört zum Bund mit Gott, aber nicht, wer kommt in den Himmel?“ Er kann es so formulieren. Man darf sich nicht wundern, wenn diese Formulierung irritiert, weil man sie noch nicht so häufig gehört hat. Denn das klingt sehr fromm und ähnlich dem, was wir kennen, meint aber dennoch nicht dasselbe. Das ist das Problematische an diesem Konzept.
Hören Sie nun eine Formulierung wie diese: Rechtfertigung im Galaterbrief ist die Lehre, dass alle, die an Jesus glauben, an denselben Tisch gehören, also zur Gemeinde. Sie warten unabhängig von ihren rassischen Unterschieden auf die zukünftige Neuschöpfung. Alle, die an Jesus glauben, gehören an denselben Tisch und warten unabhängig von ihren rassischen Unterschieden auf die Neuschöpfung. Was Neuschöpfung genau meint, bleibt dabei ziemlich im Dunkeln.
Damit ist noch nichts darüber gesagt, wer in den Himmel kommt. Nach Antiright ist damit auch noch nicht endgültig über die zukünftige Rechtfertigung entschieden. Auch das bleibt bei ihm sehr offen. Was bedeutet endgültige zukünftige Rechtfertigung? Es gibt bei ihm eine Formulierung, in der er sagt, die zukünftige Rechtfertigung hänge teilweise auch von den Werken ab. Das bleibt sehr offen.
Ein weiterer Begriff, den wir uns jetzt nicht im Einzelnen anschauen können, sind die Werke des Gesetzes. Diese werden anders und neu gefüllt. Auch die Gerechtigkeit Gottes wird in Analogie zur Rechtfertigung neu definiert. Paulus sagt, Gottes Gerechtigkeit sei ganz einfach sein Geschenk, das er mir wie einen Mantel umlegt. So definiert Paulus Gottes Gerechtigkeit: Er kleidet mich in seine Gerechtigkeit.
Dieses Bild findet sich dann in dem berühmten Lied „Christi Blut und Gerechtigkeit“. Dort heißt es, das sei mein Schmuck und Ehrenkleid, mit dem ich vor Gott bestehen will, wenn ich zum Himmel eingehe. Das ist die klassische biblische Bedeutung.
Luther hat dies dann mit dem „fröhlichen Wechsel“ verglichen. 1520 schreibt er in seiner Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“: Das ist ein fröhlicher Wechsel. Christus, der reiche Bräutigam, heiratet das arme, zerlumpte Mädchen. All seine Gerechtigkeit legt er ihr um, als wäre es ihre eigene. Alle Sünde von ihr nimmt er auf sich. Luther verwendet sogar einen noch schlimmeren Begriff: Der reiche Bräutigam nimmt die Sünde auf sich, als hätte er sie selbst begangen. Da er alle Sünde verschlingt, hat die Sünde keine Chance.
Der fröhliche Wechsel bedeutet: Er gibt mir seine Gerechtigkeit und nimmt dafür meine Schuld auf sich.
Nein, sagt Antiright, Gerechtigkeit kann überhaupt nicht mit Gerichtssprache erklärt werden. Sie meint nur Gottes Bundestreue. Gott ist in sich treu und steht zu seiner Verheißung. Nicht mehr. Es geht nicht darum, wie jemand Christ wird.
Evangelium und Kreuz in der neuen Perspektive
Ein letztes Beispiel sind vielleicht Evangelium und Kreuz. Paulus sagt: Das Evangelium – darauf kommen wir gleich noch genauer zu sprechen – ist die gute Nachricht, dass Jesus Christus für unsere Schuld gestorben und auferstanden ist. Wer das im Glauben ergreift, wird durch Gottes Gnade gerechtgesprochen, mit Gott versöhnt, auf ewig gerettet und erlöst.
Das Kreuz ist der Ort, an dem Jesus das Sühnopfer für die Sünden der Welt gebracht hat.
Andy Wright sagt hingegen: Nein, nein, das Evangelium ist die königliche Bekanntgabe, dass Jesus durch seinen Tod und seine Auferstehung von Gott als Herr der Welt intronisiert wurde. Das Evangelium ist die Ausrufung eines königlichen Sieges. Durch die Kreuzesverstehung hat Gott gezeigt, dass Jesus König des Universums ist. Das klingt doch gut.
Nun sagen uns solche Stimmen: Was habt ihr denn gegen Wright? Er behauptet doch, dass durch das Kreuz gezeigt wurde, dass Christus der Sieger ist und der Herr des Universums. Das wollt ihr mehr? Aber merken Sie: Hier steht nichts von Sühnopfer, hier steht nichts von stellvertretend getragener Schuld. Sondern er ist der Sieger über die Mächte der Finsternis.
Wright sagt dann selbst, Zitat: „Das Evangelium ist kein System, das erklärt, wie Menschen gerettet werden.“ Und weiter: „Das Evangelium ist streng genommen die Verkündigung der Königsherrschaft Jesu, die Bekanntgabe des königlichen Sieges.“
Also ist das Kreuz ein Symbol des Sieges, aber es ist nicht der Ort, an dem das Gericht über meine Schuld erfolgt ist. In diesem Sinne wird dann auch das Reich Gottes umgedeutet, im Sinne einer starken Verdiessseitigung. Es wird primär diesseitig verstanden, Zitat: „Das Reich Gottes besteht darin, dass es Gottes Ziel ist, Gerechtigkeit und Frieden in seiner Welt im Hier und Jetzt zu etablieren.“
Und die Hölle ist nach Wright kein Ort. Das sei eher so eine mittelalterliche Vorstellung, sondern die Hölle bedeutet die Entmenschlichung des Menschen, der sich Gott gegenüber verschließt. Er verwendet hier den Begriff „Dehumanisation“, also die Entmenschlichung des Menschen, mit der er sich selber vor Gott verschließt.
Aber dann wird nichts gesagt über die ewigen Konsequenzen, die dies hat.
Sie merken, wenn Sie sich ein bisschen mit der Emerging Church, der missionalen Theologie und den Transmissionskonzepten auskennen, dass Wright denen sehr schön in die Hände arbeitet beziehungsweise in die Federn schreibt. Das ist sehr gut kompatibel mit den klassischen Konzepten der Emerging Church. Es geht nicht so sehr um persönliche Rettung, sondern um die Errichtung des Reiches Gottes hier.
Es wird die Grenze zwischen Diesseits und Jenseits, zwischen Himmel und Erde, zwischen Gerettet und Verloren beständig verwischt. Und er ist ein guter Gewehrsmann für dieses Denken.
Das Ganze hat radikale Konsequenzen, nämlich die Verharmlosung der Frage von Rettung und Verlorenheit, von Himmel und Hölle, sowie die Verwischung der Grenze zwischen Glauben und Werken. Deshalb ist er auch ein sehr beliebter Gesprächspartner für ökumenische Verhandlungen.
Im Juni gab es in Zürich eine Veranstaltung, bei der er seine Position ausführlich dargestellt hat. Diese Veranstaltung wurde organisiert vom Institutum Öcumenicorum der Universität Fribourg, also auf Schweizer Seite. Zu den Partnerorganisationen, die diese mitveranstaltet haben, gehörte unter anderem auch das Buzer Seminar.
Es ist also interessant, wie weit die Öffnung und Befassung mit Wright hier geht.
Verharmlosung der Frage von Himmel und Hölle, Verwischung der Grenze zwischen Glauben und Werken, Verdrängung des Sühnetodes Jesu und im Ergebnis damit eine Veränderung des Verständnisses von Christsein – das sind Varianten des Evangeliums.
Zusammenfassung der Varianten des Evangeliums
Das Kreuz als Beweis der Liebe Gottes, das Kreuz als Selbsthingabe Jesu zur Wiederherstellung der Gemeinschaft – diese Themen sind zentral. Die neue Perspektive des Paulus möchte ich ebenfalls ansprechen. Zum Schluss möchte ich noch auf ein letztes Beispiel hinweisen und Sie dann damit nicht weiter belasten.
Ich präsentiere Ihnen diese Beispiele, damit Sie mir einfach glauben, dass wir es tatsächlich momentan mit einer massiven Verfälschung, Veränderung, Umdeutung und Neuschreibung des Evangeliums zu tun haben – und zwar auf breitester Front. An dieser Entwicklung beteiligen sich auch so bekannte Evangelisten wie Hans-Peter Reuer, obwohl er dies sicherlich gut gemeint hat. Ich glaube, er hat es einfach nicht durchschaut. Doch die Tatsache, dass jemand etwas nicht durchschaut, bedeutet nicht, dass er nicht trotzdem stark an dessen Verbreitung mitwirken kann.
Das letzte Beispiel ist die neue Erklärung, das EKD-Papier zur Rechtfertigungslehre, das im Mai 2014 erschienen ist. Ich habe mich dazu unter anderem beim Malachi-Tag in Siegen geäußert. Dort gab es eine Ideameldung, und Idea verschickt immer ein paar Freiexemplare. Wenn Sie die Meldung noch einmal mitnehmen können, steht dort auch ein bisschen mehr dazu. Sie können dann gerne in die Kiste greifen. Dies ist keine Werbung für Idea und erst recht keine Werbung für viele andere Artikel in diesem Heft. Es ist vielmehr eine Werbung für den Malachi-Kreis.
Worum geht es? In dieser Erklärung zur Rechtfertigungslehre, die auch im Hinblick auf das große Reformationsjubiläum 2017 erschienen ist, wird behauptet, die Frage nach dem gnädigen Gott sei keine universelle und zu allen Zeiten für die Menschen entscheidende Frage gewesen. Stattdessen sei sie typisch für die Zeit Luthers. Auf Seite 24 heißt es etwa: „Luther lebt in einer Welt, in der Gott als Gerichtsherr über das Leben der Menschen urteilt und Sünde sowie Schuld straft.“ Haben Sie gehört? „Luther lebt in einer Welt“ – das heißt also, heute nicht mehr.
Die Frage damals lautete: Mit welchen Gaben kann der Mensch seine Schuld vor Gott bezahlen? Wie kann er so leben, dass er der Strafe für nicht bezahlte Sünde und Schuld entgeht? „Wie kann er so leben, dass er der Strafe für nicht bezahlte Sünde und Schuld entgeht?“ Damals habe die Vorstellung gegolten, dass Gott alle Menschen zur Rechenschaft zieht, sagt das Papier. Heute jedoch nicht mehr. Und dann geht es noch weiter: Der Leser wird beruhigt, nein, nein, die heutige Mehrheitsfrömmigkeit habe diese Frage nicht mehr.
Heute sei, so heißt es dort, das übersteigerte mittelalterliche und auch in der reformatorischen Bedingung beibehaltene Bild von Gott als einem Gerichtsherrn, der wie ein absolutistischer Monarch unumstritten herrscht, tief problematisch geworden. Die Frage ist: Für wen ist das problematisch? Und wem hilft es, dass er es als problematisch empfindet?
Sie merken, hier wird uns suggeriert – ja, es wird uns so eingeimpft –, die verzweifelte Suche nach dem gnädigen Gott können wir mit kirchenamtlicher Unterstützung getrost ablegen. Das sei eigentlich eine Frage des Mittelalters. Das sei eine Frage der Zeitgeschichte, die bestimmte Menschen zu einer bestimmten Zeit beschäftigt habe, aber keine Frage, die jedem Menschen vor Gott zu stellen ist.
Das heißt also, dass der Mensch sich vor seinem Schöpfer rechtfertigen muss, dass der Mensch als angeklagter Sünder vor Gott steht – das stimme gar nicht wirklich. Das sei nur das subjektive Empfinden zur Zeit Luthers, also im 16. Jahrhundert. Heute, im 21. Jahrhundert, habe der Mensch ganz andere Fragen. Für ihn sei die Hölle nicht mehr das Problem, sondern die Hölle auf Erden.
Der Rest des Buches ist dann ein krampfhafter Versuch, unter Berufung auf die Reformation und mit teilweise sehr frommen Worten, etwas völlig anderes als Rechtfertigung zu propagieren, als die Bibel als Rechtfertigung lehrt. So weit, so schlecht, kann man sagen. Das erstaunt uns eigentlich nicht.
Was uns dann aber erstaunt, ist Folgendes: Als dieses Buch, das damals öffentlich noch nicht erschienen war, erstmals in Idea präsentiert wurde, übte Idea selbst in der Darstellung mit keinem einzigen Satz eine ausdrückliche Kritik. Was aber noch viel schlimmer war: Es wurde ein Kommentar eines Repräsentanten der Evangelikalen dazu veröffentlicht.
Dieser Repräsentant der Evangelikalen war in dem Fall der Vorsitzende der Konferenz Missionarische Ausbildungsstätten in der EKD und auch Vorstandsmitglied im Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverband, nämlich der Direktor der Evangelistenschule Johanneum in Wuppertal, Pfarrer Burkhard Weber.
Burkhard Weber schreibt als Repräsentant der Evangelikalen über die EKD-Studie: „Man kann sich über diesen Text nur freuen.“ Man kann sich über diesen Kommentar nur wundern, würde ich dann dazu sagen. Und man steht fassungslos davor. Er sagt: Ja, manches ist da schon ein bisschen anders formuliert, als wir es so kennen, aber das seien eben unterschiedliche Frömmigkeitstraditionen.
Also gehe es nicht um die Frage, was wahr ist und was nicht, sondern darum, wer eben so seine Prägung habe. Und wir müssten uns in unseren Prägungen eben gegenseitig so stehen lassen. Es gehe hier nicht um die Frage von Wahrheit oder Unwahrheit.
Sie können sich als Leser dann fragen: Hat er es wirklich nicht verstanden oder will er es nicht verstehen? Wie kann das sein? Sie stehen da vor einem Rätsel. Varianten des Evangeliums.
Das Evangelium Gottes nach Römer 3: Die biblische Grundlage
Und nun kommen wir sehr schnell zum zweiten Teil: Das Evangelium Gottes – wie ist es denn nun wirklich?
Den zweiten Teil habe ich bewusst so genannt, weil Paulus im Eingangsteil des Römerbriefes genau dieses ankündigt. Er sagt, er werde jetzt das Evangelium Gottes ausbreiten. Gemeint ist das Evangelium, das der dreieinige Gott – der Vater – uns in seinem Sohn durch den Heiligen Geist offenbart hat.
Wir wollen nun in Kürze, wobei das natürlich nur sehr knapp möglich ist, einen möglicherweise sogar den zentralen Text des Neuen Testaments miteinander betrachten. Dabei offenbart uns Gott durch seinen Apostel Paulus, was Rechtfertigung bedeutet. Es handelt sich um Römer 3, genauer gesagt die Verse 21 bis 25.
Sie werden mir verzeihen, dass ich das nur sehr skizzenhaft tun kann. Es gibt hier keine Möglichkeit, Kaffee zu trinken oder ausführlich zu verweilen. Wenn Sie sich intensiver mit dem Thema beschäftigen wollen, lade ich Sie herzlich ein, die Homepage unserer Gemeinde zu besuchen. Zurzeit gibt es dort eine Predigtreihe über den Römerbrief. Dort können Sie das Ganze ausführlicher nachhören.
Ich selbst bin gerade erst im letzten Teil von Römer 3, also sind wir noch nicht sehr weit gekommen. Wenn Sie eine ausführlichere Auslegung von Römer 3,19-26 suchen, dann gehen Sie einfach auf die Homepage. Ich werde Ihnen am Ende noch einmal die genaue Adresse nennen: weg-hannover.de. Dort können Sie die Predigten ausführlich verfolgen.
Mir geht es jetzt darum, was wir bereits gesagt haben: Was ist die eiserne Ration? Was bedeutet Rechtfertigung? Das möchte ich jetzt in einigen wenigen Strichen skizzieren.
Ganz zum Schluss möchte ich Ihnen – zu Ihrer Beruhigung vorab – noch ein Thesenpapier mitgeben. Darin habe ich versucht, den Inhalt der evangelistischen Botschaft in fünf Punkten zusammenzufassen. So können Sie das dann wirklich getrost mit nach Hause nehmen. Es ist immer schwierig, in einer guten Dreiviertelstunde ein so umfassendes Thema auch nur ansatzweise seriös zu behandeln. Meine Hoffnung ist, dass Sie dann weiterarbeiten und das Ganze für sich festhalten können.
Wir lesen nun den Zusammenhang noch einmal, Römer 3,19: „Wir wissen aber“, schreibt Paulus, „dass das Gesetz alles, was es spricht, zu denen sagt, die unter dem Gesetz sind, damit jeder Mund verstopft werde und alle Welt vor Gott schuldig sei. Denn aus Werken des Gesetzes wird kein Fleisch, also kein Mensch, vor ihm gerechtfertigt, denn durch das Gesetz kommt die Erkenntnis der Sünde.“
Paulus sagt also: Alle Welt ist vor Gott schuldig. Das heißt, jeder muss sich vor Gott rechtfertigen (Vers 19). Und Vers 20 sagt, dass keiner sich vor Gott rechtfertigen kann.
Dann kommt dieser Umschwung: „Jetzt aber“ – wenn Paulus schreibt „Jetzt aber“, heißt das, dass etwas Neues einbricht. Es wird gesagt, warum das trotzdem noch nicht unser Todesurteil bedeutet.
„But now“ heißt es in der englischen Übersetzung. Martin Lloyd-Jones hat immer gesagt: „Praise God for the buts in the Bible“ – also: Lobt Gott für die ‚Abers‘ in der Bibel. Denn sie zeigen, dass es trotz unserer Not eine Rettung gibt. „Praise God for the buts in the Bible.“
Jetzt aber hat Gott etwas für euch getan. Und was er getan hat, ist dort am Kreuz zu sehen. Man kann das in drei Unterpunkten zusammenfassen.
Das Kreuz als Initiative des Vaters
Das Kreuz ist die Initiative des Vaters. Paulus sagt, dass das Kreuz Gottes Antwort auf Gottes Zorn ist. Diese Antwort ist Gottes Gerechtigkeit. Zuvor hat Paulus in Römer 1,18 bis 3,20 lückenlos nachgewiesen, dass die ganze Welt unter dem Zorn Gottes steht. Alle Menschen stehen unter dem heiligen, gerechten Zorn des vollkommenen Gottes, der keine Schuld dulden kann, weil er Gott und heilig ist.
Ein Kennzeichen all dieser Konzepte, die ich zuvor dargestellt habe, ist, dass sie dem Zorn Gottes, der das Ergebnis seiner Vollkommenheit und Heiligkeit ist, nicht angemessen Rechnung tragen. Es ist, als würde man Römer 1,18-3,20 völlig ignorieren oder überlesen.
Das Kreuz ist die Initiative des Vaters. In diesem Zusammenhang taucht viermal der Begriff „Gerechtigkeit Gottes“ auf. In Vers 21 heißt es: „Außerhalb des Gesetzes ist die Gerechtigkeit Gottes offenbar geworden, die von dem Gesetz und den Propheten bezeugt wird.“ Diese Gerechtigkeit Gottes besteht durch den Glauben an Jesus Christus und kommt zu allen, die glauben. Denn es gibt keinen Unterschied: Alle haben gesündigt und verfehlen die Herrlichkeit, die sie vor Gott haben sollten – so nimmt Vers 23 noch einmal die Aussagen aus 1,18 bis 3,20 auf.
Weiter heißt es, dass sie ohne Verdienst, also geschenkt, gerechtfertigt werden können durch seine Gnade aufgrund der Lösung, die in Christus Jesus ist. Christus hat Gott für den Glauben hingestellt als Sühnopfer in seinem Blut. Das ist der Schlüsselfers.
Man könnte sagen, Christus wurde von Gott öffentlich hingestellt als Sühnopfer, als Gnadenort oder als Gnadenthron in seinem Blut, um seine Gerechtigkeit zu erweisen. Er ließ die Sünden ungestraft, die zuvor geschehen waren.
Die Initiative des Kreuzes ist also die des Vaters, der uns seine Gerechtigkeit schenkt. Viermal taucht der Begriff „Gerechtigkeit Gottes“ auf. Gott hat diese Gerechtigkeit am Kreuz offenbart. Offenbart heißt hier nicht nur, dass er sie gezeigt hat, sondern dass er sie zugänglich gemacht, manifestiert und als Geschenk angeboten hat – für alle, die ihm glauben.
Deshalb hat Luther, nachdem er das verstanden hatte, diese Gerechtigkeit auch „passive Gerechtigkeit“ genannt. Er sagt, ich kann dafür nichts tun, ich kann sie nicht erarbeiten oder konstruieren. Es ist eine passive Gerechtigkeit, die auf der Initiative des Vaters beruht.
Worin besteht dieses Geschenk? Das sehen wir in den Versen 24 und 26. Er rechtfertigt uns – das ist das Verb, das vom Begriff für Gerechtigkeit abgeleitet ist. Er rechtfertigt uns, das heißt, er spricht uns gerecht und erklärt uns für gerecht.
Dieser Begriff kommt aus dem Rechtswesen und ist forensisch zu verstehen. Anders ist er nicht zu erklären, auch vom Begriffsfeld her. Das setzt voraus, was Paulus vorher kapitellang entfaltet hat: Alle stehen unter dem Zorn Gottes, unter dem Urteil Gottes, alle sind verurteilt und schuldig.
Rechtfertigen bedeutet nun, dass Gott uns für gerecht erklärt, obwohl wir in uns selbst ungerecht sind. Gott spricht uns frei, obwohl wir in unserer Schuld gefangen sind und den Tod verdient hätten. Gott adoptiert uns als seine Kinder, obwohl wir seine Feinde waren. Er hüllt uns in seine Gerechtigkeit und begnadigt uns, obwohl wir voller Ungerechtigkeit stecken.
Er rechtfertigt uns durch seine Gnade, obwohl wir das Todesurteil verdient hätten.
Ein anderes Bild, das Paulus in Vers 24 noch einmal einschiebt, ist sehr dicht: Er erlöst uns, er kauft uns frei. Erlösung bedeutet hier den Freikauf von Sklaven, Kriegsgefangenen oder Kriminellen, die herausgekauft werden. Gott kauft den Sünder frei.
Jetzt stellt sich die Frage: Wer muss den hohen Preis bezahlen? Womit wird der Preis bezahlt? Es ist wieder der Vater selbst, der den hohen Preis für unseren Loskauf bezahlt, indem er seinen eigenen Sohn auf die Welt kommen lässt, indem er in seinem Sohn auf die Welt kommt.
Paulus verbindet dies in Vers 24, wenn er sagt, dass wir gerechtfertigt sind aufgrund der Erlösung. Rechtfertigung und Erlösung hängen also eng zusammen.
Man kann sagen: Weil Gott uns freikauft, kann er uns freisprechen. Weil Gott uns erlöst, kann er uns rechtfertigen.
Das Entscheidende, was durch diesen Freispruch verändert wird, ist unsere Stellung vor Gott. Wir erhalten vor Gott einen völlig neuen Status aufgrund seines Freispruchs.
Wir sind zum Tode Verurteilte und werden durch seinen souveränen Rechtsakt zu Kindern im Hause des Vaters erklärt. Das bedeutet Rechtfertigung – nicht weniger.
Illustration des Statuswechsels
Eine Geschichte, die sich um Napoleon rankt, zeigt deutlich, wie dieser fast vom Pferd fällt, weil sein Gaul zickt. Ein junger Rekrut greift beherzt ein und bewahrt ihn so vor dieser Blamage. Napoleon sagt daraufhin schnell: „Ich danke Ihnen, Herr Rittmeister“, und richtet diese Worte an den Rekruten.
Der junge Mann antwortet: „Seine Majestät, von welchem Regiment?“ Napoleon entgegnet: „Von meinem Regiment.“ Dann gesellt sich der Rekrut zu einigen Generälen, die dort stehen. Einer der Älteren fragt: „Hey, was will denn dieser junge Rekrut? Was will dieser Kerl hier bei uns?“
Der junge Mann erwidert: „Verzeihen Sie, General, dieser junge Kerl ist ein Rittmeister.“ Daraufhin fragt der General zurück: „Wer hat das gesagt?“ Der junge Mann zeigt auf Napoleon und sagt: „Er hat es gesagt.“ Der General antwortet: „Entschuldigung, ich wusste es nicht. Er hat es gesagt.“
Der Rekrut trägt noch die Uniform eines Rekruten, hat das unerfahrene Gesicht eines Rekruten und besitzt die militärische Ausbildung eines Rekruten. Dennoch ist er Rittmeister, weil der König ihn dazu erklärt hat.
Dies ist der entscheidende Statuswechsel, der stattgefunden hat. Er befreit uns, er ernennt uns zu seinen Kindern, er erklärt uns für gerecht. Das Kreuz ist die Initiative des Vaters, der uns seine eigene Gerechtigkeit schenkt.
Das Kreuz als Kraftakt des Sohnes
Und jetzt stellt sich die Frage: Wie macht er das? Wie ist es möglich? Das Hauptproblem lautet nicht: Wie kann ein gerechter Gott Menschen verurteilen? Sondern das Hauptproblem, mit dem Paulus sich im Römerbrief befasst, lautet: Wie kann ein gerechter Gott Menschen nicht verurteilen? Wie kann Gott heilig, gerecht und vollkommen bleiben und uns trotzdem nicht in die Hölle schicken?
Das ist die Kernfrage des Römerbriefs. Die Antwort darauf ist das Kreuz. Darum das zweite: Das Kreuz ist der Kraftakt des Sohnes.
Wenn man die Heiligkeit Gottes ausklammert, wenn man den Zorn Gottes ausklammert, kann man gar kein Evangelium formulieren. Alles hängt dann in der Luft, die Schlüsselfrage bleibt verdeckt. Die Initiative des Vaters erfüllt sich jetzt im Kraftakt des Sohnes. Und immer noch ist es der Vater, der handelt.
Oft wird gesagt: Wenn man so von Sühne redet, sieht das ja so aus, als ob Gott rachesüchtig wäre und erst durch Christus umgestimmt werden müsste. Entschuldigung, das ist theologischer Nonsens, das ist Quatsch! Der Vater handelt, der Vater will retten durch den Sohn. Der Vater kommt im Sohn. Es ist die Initiative des Vaters, es ist das Evangelium Gottes. Aber der Vater handelt durch den Kraftakt des Sohnes.
Und jetzt kommen wir zu Vers 25. Wenn Sie den Vers 25 haben, dann haben Sie im Grunde genommen den Kern des Römerbriefs. Ihn, nämlich Christus, hat Gott für den Glauben hingestellt als Sühnopfer in seinem Blut. Man kann dieses „hingestellt“ auch so verstehen: öffentlich ausgestellt für den Glauben, das heißt zum Ergreifen durch den Glauben.
Gott selbst gibt sich selbst, um uns vor sich selbst, nämlich vor seinem Gericht, zu retten. Das ist das Geheimnis: Gott selbst gibt sich selbst, um uns vor sich selbst zu retten. Dazu ist dieser Kraftakt des Sohnes nötig.
Was muss der Sohn tun? Was steht hier? Gott hat ihn zum Sühnopfer bestimmt. Luther hat in einer älteren Übersetzung geschrieben: Gott hat ihn als Gnadenstuhl aufgestellt. Das Wort, das hier so unterschiedlich übersetzt wird, in Vers 25 habe ich es als Sühnopfer übersetzt, heißt im Griechischen hilasterion. Das ist ein ganz seltener Begriff im Neuen Testament. Hilasterion ist die griechische Übersetzung für das alttestamentliche Kaporet.
Sie wissen ja, es gibt eine griechische Übersetzung des Alten Testaments seit dem dritten Jahrhundert vor Christus, etwa die sogenannte Septuaginta. Jetzt ist es total spannend, wenn wir schauen, welches hebräische Wort mit Hilasterion übersetzt wird. Dann stoßen Sie eben auf das Wort Kaporet.
Kaporet – wenn im Alten Testament Kaporet steht, dann steht in der griechischen Übersetzung Hilasterion. Was war Kaporet? 3. Mose 16: Das war der Sühnedeckel auf der Bundeslade. Sie kennen die Schilderung des großen Versöhnungstages, 3. Mose 16, wie die Bundeslade geschildert wird, an die das Blut herangespritzt wird. Und der Ladendeckel auf der Bundeslade, an den das Blut gesprengt wird, das ist das Hilasterion, das ist das Kaporet, das ist der Sühneort.
Was passierte dort an diesem Gnadenstuhl? Dort wurde das Opferblut von Tieren gesprengt, 3. Mose 16,14 und 15, einmal im Jahr am großen Versöhnungstag. Jetzt verstehen wir: Der Gnadenstuhl war der Ort, an dem die Versöhnung zwischen Gott und Mensch besiegelt wurde. Der Gnadenstuhl war die Instanz für Gott, symbolisch, an der das Blut zusammenkam – der Ort der Sühnung mittels des Blutes.
Paulus sagt: Das ist der Grund der Rechtfertigung, das ist die Kraft der Rechtfertigung. Sieh dir den Gnadenstuhl an! Den hat Gott als Sühneort bestimmt. Das Kreuz ist der Gnadenstuhl, das Kreuz ist die Kaporet. Dort hat er Christus öffentlich ausgestellt.
Das „öffentlich“ macht auch noch einmal den Unterschied deutlich zu dem, was am Versöhnungstag geschah – hinter dem dicken Vorhang des Allerheiligsten. Die alte Kaporet stand im Allerheiligsten, und nur der Hohepriester durfte hinein. Die neue Kaporet, der Sühneort, das Kreuz, ist öffentlich hingestellt für den Glauben, damit der Glaube sich daran hängen und sich darauf verlassen kann.
Jetzt verstehen wir Jesus am Kreuz: Das ist der Gnadenstuhl, den Gott öffentlich aufgestellt hat. Was ist dort passiert? Den hat Gott hingestellt als Hilasterion, als Gnadenstuhl, in seinem Blut. Das heißt in seinem Opfertod.
Jetzt ist klar, dass in seinem Blut das Bild für den Opfertod sein muss. Denn was geschah am Hilasterion? Dort hat der Hohepriester das Blut des Sündenbocks an den Gnadenstuhl gesprengt. So hat Jesus sein eigenes Blut dort am Kreuz vergossen. Er hat sein eigenes Blut für uns geopfert.
Jetzt sehen wir, wie auf geheimnisvolle Weise dort alles zusammenkommt, was zu unserer Rettung wichtig ist: Jesus als Hilasterion, als Gnadenstuhl in seinem Blut. Ja, Jesus ist beides: Jesus ist der Ladendeckel und er ist das Blut, das an diesen Ladendeckel gesprengt wird.
Das geschieht am Kreuz. Das heißt: Jesus ist der Ort, an dem die Sühne geschieht. Jesus ist der Ladendeckel, das ist das Zeichen für die Gegenwart Gottes. Jesus ist Gott. Jesus ist zugleich auch die Instanz, vor der das Opfer gebracht wird. Jesus ist der Richter, Jesus ist der Gnadenthron.
Sein Kreuz, an dem er stirbt, zeigt: Jesus ist zugleich das Opfertier, dessen Blut geopfert wird, und der Hohepriester, der das Opfer bringt. Die Strafe, die der Richter erhebt, bezahlt Jesus mit seinem eigenen Blut. Er wird der Sündenbock für uns, er sühnt unsere Schuld, er vergoss sein Blut für mich und nimmt dort meinen Platz ein.
So geschieht am Kreuz dieses Wunder, dass Gottes heilige, gerechte Forderung nach Bestrafung der Sünde erfüllt wird – und dass diese heilige, gerechte Forderung nach Bestrafung der Sünde von Gott erfüllt wird durch Gott selbst, der sie in seinem eigenen Sohn erfüllt, der sein vollkommenes Leben für uns in die Waagschale wirft.
Gott gibt sich selbst. Gott gibt sich selbst, um uns vor sich selbst zu retten. Jesus stellt sich gewissermaßen als Austauschgeisel für uns zur Verfügung. Er wird zum Stellvertreter, er, der Unschuldige, für uns Schuldige. Er bringt freiwillig dieses Opfer.
Hier am Sühneort, am Kreuz, kommt beides zusammen: Ladendeckel und Blut, Richter und Retter, Gottes Heiligkeit, der Genüge getan werden muss, und Gottes Liebe, die sich opfert, um diese Sühne zu leisten. Gott, der zu Versöhnende, und der Versöhner. Gottes strafende Gerechtigkeit, die wir verdient haben, und Gottes rettende Gerechtigkeit, die er uns aus Gnade schenkt.
Paulus sagt es ihnen: Genau das passiert am Kreuz. Da ist Jesus als Gnadenthron in seinem Blut. Das Kreuz ist Gottes Antwort auf Gottes Zorn.
Überlegen Sie mal: 64 Verse lang hatte Paulus vorher beschrieben und bewiesen, warum wir alle unter dem heiligen Zorn Gottes stehen mit unserer Schuld. Und jetzt zeigt er hier, was das einzige, einzig wirksame Gegenmittel gegen diese Schuld ist. Das einzige Mittel, das den Zorn Gottes stillen kann.
Sühnen bedeutet auch besänftigen. Der Vater besänftigt sich selbst. Der Vater stillt seinen eigenen, aufgrund seiner Vollkommenheit und Heiligkeit notwendigen gerechten Zorn. Der Vater erträgt sein eigenes Urteil in seinem Sohn, und das geschieht am Kreuz.
Es ist das Mittel, das der Vater selbst erdacht hat, der uns seine eigene Gerechtigkeit schenkt.
Das Kreuz als Zuflucht für den Glauben
Das Kreuz ist der Kraftakt des Sohnes, der der Gerechtigkeit des Vaters Genüge tut. Das heißt eigentlich Sühnen: Er tut der Gerechtigkeit des Vaters Genüge.
Damit sind auch alle Einwände abgewiesen, die sagen, Opfer und Sühne seien finstere heidnische Religionen, mit denen wir nichts zu tun haben wollen. Nein, das ist nicht so. Heidnische Götzen sinnen auf Rache, aber Gottes heiliger Zorn ist die Folge seiner Vollkommenheit. Er kann die Sünde nicht dulden und muss sie deshalb ahnden.
Heidnische Götzen fordern Opfer von Menschen. Der lebendige Gott dagegen ergreift selbst die Initiative und gibt sich als Opfer hin – in seinem Sohn Jesus Christus.
Und nun noch etwas Geniales: Bedenken Sie, in Jesus wurde Gott Mensch. Jesus kommt nicht nur als Gottes Sohn auf die Welt, der ohne Sünde ist – das ist das eine. Er ist das vollkommene Opfer, weil er ohne Sünde ist, als der Sohn Gottes. Gleichzeitig wird Jesus aber auch Mensch.
Er tritt damit auf unsere Seite. Er kommt als Gott, er bleibt Gott und wird Mensch. Und weil er damit auf unsere Seite tritt, kann er unser Stellvertreter werden – dort am Kreuz. Er kann unsere Schuld auf sich nehmen, für uns dem Vater das vollkommene Opfer bringen, sodass der Vater uns um des Sohnes Willen begnadigen kann. Das heißt wieder: rechtfertigen.
Es ist einfach genial. Gott selbst gibt sich selbst, um uns vor sich selbst zu retten. So wird das Kreuz zum Gnadenthron, zum Sühneort. Hier wird Gottes Zorn gestillt, hier wird Gottes Gerechtigkeit Genüge getan, weil Jesus sein Blut vergießt und sein Leben als Opfer für uns in den Tod gibt.
Liebe Geschwister, darum ist es so entscheidend, dass wir dem treu bleiben, was Gott uns darüber offenbart hat, was am Kreuz geschah. Das ganze Neue Testament macht deutlich, dass es zentral ist, dass Jesus stellvertretend für unsere Schuld die Strafe trägt. Das ist zentral, nicht optional, keine Zugabe und kein möglicher Aspekt, den man auch anders sehen kann. Daran hängt die ganze Erlösung.
Douglas Moo, ein Neutestamentler, hat das wunderbar beschrieben. Er sagte: Am Kreuz begegnen sich Gottes Liebe und Gottes heiliger Zorn. Keines von beidem darf unterschlagen oder geschmälert werden, wenn wir die volle Bedeutung dieses Geschehens erfassen wollen.
Darum ist es so wichtig, dass wir verstehen, was am Kreuz geschah. Wir müssen uns wehren und widersprechen, wenn es all diese Variationen gibt, die keine Variationen eines Themas sind, sondern Verfälschungen und Verkürzungen.
Dabei geht es nicht darum, über die Motive derer zu richten, die solche Lehren verbreiten, sondern darum, die Frage zu stellen: Wie war es wirklich?
Überlegen Sie mal: Was hat es Christus gekostet? Was hat es den Vater gekostet? Und wir sind manchmal nicht einmal bereit, das bis ins Letzte zu versuchen zu verstehen und zu durchdenken. Er hat seinen letzten Blutstropfen dort vergossen. Er hat für uns unvorstellbare Qualen auf sich genommen.
Wir halten es manchmal für unter unserer Würde, uns mit theologischen Details auseinanderzusetzen, um zu verstehen, was der Herr in seiner Qual für uns erlitten hat und warum. Das ist Schuld.
Wenn wir nicht bereit sind, die Wahrheit des Kreuzes zu erkennen, zu studieren, dem Herrn dafür zu danken und sie zu ergreifen, dann spielen wir mit seinem Kreuz und spucken noch nachträglich darauf.
Deshalb, liebe Geschwister, ist es so wichtig. Ich bin überzeugt, es ist die zentrale Frage, die uns auch in den nächsten Jahren beschäftigen wird. Treue gegenüber unserem Herrn bedeutet, dass wir dafür einstehen, uns dazu bekennen und es predigen.
Wir sollen Menschen zum Gekreuzigten als ihrem Retter führen. Wenn sie nicht erfahren, was er für sie getan hat und worauf sie ihr Leben gründen sollen, wird das nicht gelingen.
Noch einmal: Die Not, aus der Jesus uns herausgerissen hat, ist viel, viel tiefer, als uns das in unserer humanistischen Harmlosigkeit oft bewusst ist.
Wie kann ein gerechter Gott überhaupt vergeben? Das ist die Frage. Wie kann ein gerechter Gott Gott bleiben, ohne Sünder in die Hölle zu werfen? Das ist die Frage. Die einzige Antwort lautet: Weil es das Kreuz gibt.
Ein englischer Theologe hat zu unserer Stelle Folgendes gesagt, und dem kann ich mich nur anschließen: Wenn wir diesen Text lesen, dann können wir die Weisheit, Heiligkeit, Liebe und das Erbarmen unseres Gottes nur bewundern und in demütiger Anbetung vor ihm niederknien.
Das Kreuz Jesu sollte ausreichen, um das härteste Herz zu brechen und das kälteste, eisigste Herz schmelzen zu lassen. Aber natürlich ist es immer ein Wunder, wenn das wirklich passiert.
Denn der Gott, der dies getan hat, muss es uns auch schenken, dass wir davon wirklich bis in die Grundfesten unseres Herzens erschüttert und ergriffen werden. Und da wissen wir sehr gut, wie sehr wir ihn brauchen.
Abschluss: Die eiserne Ration in fünf Thesen
Und dann das Letzte, das werden wir jetzt nicht mehr entfalten, weil das zeitlich einfach nicht mehr zu schaffen ist. Das ist dann das Letzte, und das könnte man jetzt auch sehr schön aus diesem Text noch herausarbeiten.
Das Kreuz ist die Zuflucht für den Glauben, der die fremde Gerechtigkeit in Christus ergreift. Also: Das Kreuz ist die Initiative des Vaters, der uns seine eigene Gerechtigkeit schenkt. Das Kreuz ist der Kraftakt des Sohnes, welcher der Gerechtigkeit des Vaters Genüge tut. Und das Kreuz ist die Zuflucht für den Glauben, der die fremde Gerechtigkeit in Christus ergreift.
Es ist nicht meine Gerechtigkeit, es ist diese passive Gerechtigkeit, es ist seine, an die ich mich klammere und durch die ich gerettet werde. Dadurch schließt sich der Kreis wieder: Das Kreuz ist die Initiative des Vaters, der uns seine eigene Gerechtigkeit schenkt und dadurch gleichzeitig seine eigene Gerechtigkeit beweist. Heilig bleibt, dass er gerecht bleibt, obwohl er Sünder in den Himmel holt, weil er die Strafproblematik geklärt hat in seinem Sohn Jesus Christus.
Also: Gott schenkt uns seine eigene Gerechtigkeit durch diesen Vorgang am Kreuz, und darin beweist Gott zugleich seine eigene Gerechtigkeit, wie es dann in Vers 25 noch weiter ausgeführt wird. Das konnte wirklich nur Gott. Nur Gott! Und Sie sehen hier auch die trinitarische Wirkung des Kreuzes. Man könnte sagen: Das Kreuz ist vom Vater erdacht, vom Sohn vollbracht und vom Heiligen Geist uns zu eigen gemacht.
Denn das ist die Wirkung des Heiligen Geistes, dass wir glauben können, dass diese Botschaft bei uns ankommt, dass sie uns präsentiert wird und dass wir sie ergreifen dürfen. Vom Vater erdacht, vom Sohn vollbracht, vom Heiligen Geist uns zu eigen gemacht – das ist das Wunder, das am Kreuz geschah. Das ist die eiserne Ration, Varianten des Evangeliums, das Evangelium Gottes nach Römer 3.
Und zum Abschluss möchte ich Ihnen mitgeben: Eckpfeiler der evangelistischen Verkündigung in fünf Thesen, die sich nun daraus ergeben. Nach allem, was wir jetzt gesagt haben, brauche ich sie nur noch einmal vorzulesen. Ich darf Sie herzlich bitten, das einfach rundherumzugeben, dieses Thesenpapier. Das ist nur noch einmal eine Zusammenfassung dessen, was wir hier entfaltet haben: der Inhalt der evangelistischen Botschaft, also Eckpfeiler der evangelistischen Verkündigung in fünf Thesen.
Als Jünger Jesu muss es so sein, dass, wenn man ihm nachts um zwei einen Eimer kalten Wassers über den Kopf schüttet und fragt: „Was ist die Kernbotschaft des Evangeliums?“ – da müssen Sie in der Lage sein, diese fünf Punkte zu benennen. Wir können das ja mal testen. Ich gehe es ganz kurz noch einmal durch, und dann schließen wir hier ab. Wir haben aber die Möglichkeit – vielleicht sollten wir das noch machen, bevor wir dann offiziell mit Gebet abschließen –, dass noch die Möglichkeit besteht, ein paar Rückfragen kurz zu stellen, und dann schließen wir öffentlich ab.
Also, erste Zusammenfassung: Das Evangelium ist eine Botschaft, die den gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus als Retter, Herrn und endzeitlichen Richter ausruft. Klar, der Gekreuzigte und der Auferstandene – das sind zwei verschiedene Akte, die gehören aber untrennbar zusammen. Denn durch die Auferstehung wird das, was Jesus selbst über seine Kreuzigung gesagt hat, beglaubigt.
Wäre der Herr im Grab vermodert, wäre alles, was er vorher gesagt hat, Demakulatur gewesen. Er hat ja mal gesagt: Ich werde auferstehen. Und deswegen ist die Kreuzigung von der Auferstehung nicht zu trennen. Es sind aber zwei unterschiedliche Akte.
Diese Botschaft hat die Kraft, Menschen in ihrem Herzen zu verändern. Also diese Wahrheit des Evangeliums mündet in die Aufforderung zu Buße, Glauben und Nachfolge. Das gehört untrennbar zusammen. Die Verkündigung des Evangeliums muss darum folgende Wahrheiten vermitteln, die hier in logischer Abfolge dargestellt werden.
Wohlgemerkt: Es ist eine logische Abfolge. Es muss nicht immer in dieser chronologischen Sequenz dargestellt werden. Sie müssen nicht immer bei Punkt eins anfangen und bei Punkt fünf aufhören. Sie können auch bei Punkt fünf beispielsweise anfangen: Wohin geht mein Leben – Himmel oder Hölle? Sie können bei Punkt drei anfangen und über Christus sprechen, den Gott gesandt hat, aber warum hat er ihn gesandt? In der sachlichen Verknüpfung machen diese fünf Aspekte das Evangelium aus.
Erstens: Der inhaltliche Ausgangspunkt des Evangeliums ist der heilige und persönliche Gott. Er ist der Schöpfer, dem jeder Mensch gehört und vor dem jeder Mensch sich zu verantworten hat. Die entscheidende Frage über das Leben des Menschen lautet: Wie steht es um mein Verhältnis zu Gott? Oder wie Luther es formuliert hat: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? Das ist die zentrale Frage über das Leben jedes Menschen, nicht nur im sechzehnten Jahrhundert.
Die Tatsache, dass die meisten Zeitgenossen sich dieser Frage nicht bewusst sind, bedeutet nicht, dass das nicht trotzdem die wichtigste Frage in ihrem Leben wäre. Manche Fragen, die wir uns stellen sollten, stellen wir uns leider nicht. Aber das macht sie nicht weniger relevant. Diese Fragen brauchen wir erst recht, dass uns jemand darauf stößt, diese Fragen zu stellen.
Dann wird es höchste Zeit, dass wir begreifen, dass an diesen Fragen unser Schicksal hängt: unsere ewige Existenz.
Zweitens: In Gottes Urteil wird der Mensch als Feind Gottes bewertet, der nicht nur einzelne Sünden tut, sondern in seinem Kern Sünder ist. Also: Wir sind nicht Sünder, weil wir Sünde tun, sondern wir tun Sünde, weil wir Sünder sind. Wir sind verdorben. Das Herz des Menschen ist böse von Jugend an. Wir sind in unserer Ausrichtung rebellisch gegen den, dem wir alles verdanken und dem wir alle Hingabe schulden. Das ist das Schlüsselproblem.
Aus dem Sündersein folgt das Sündetun, nicht umgekehrt. Wegen dieser totalen Verlorenheit – die Bibel kann auch vom geistlichen Tod sprechen, also Epheser 2 etwa – kann der Mensch sich selbst nicht retten und sein Verhältnis zum lebendigen Gott nicht verbessern, geschweige denn grundsätzlich bereinigen. Er bleibt unter Gottes Zorn. Römer 1,18–3,20 wird das ausführlich entfaltet.
Drittens: In seinem Sohn Jesus Christus hat der heilige Gott den Weg zur Rettung eröffnet (Galater 4). Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn. Durch den Sündetod am Kreuz nimmt Jesus die Strafe auf sich, die wir Menschen ausnahmslos verdient haben. Zum Beispiel Markus 10,45: „Dem Menschensohn ist nicht gekommen, sich dienen zu lassen, sondern zu dienen und sein Leben als eine Erlösung für viele zu geben.“
Und bitte lassen Sie es nicht zu, dass Jesus und Paulus gegeneinander ausgespielt werden. Es ist eine beliebte Methode, auch der Emerging Church Exegeten – ich weiß gar nicht, ob man sie Exegeten nennen sollte –, die sagen: „Ja, immer diese paulinisch-juristische Engführung. Wir müssen doch auf Jesus sehen, der das Reich Gottes bringen wollte.“ Und dann wird übersehen, dass bei Jesus das Reich Gottes auch bedeutet, gerettet zu werden, in den Himmel zu kommen.
Das Reich Gottes zu kommen bedeutet, gerettet zu werden: Erlösung, Versöhnung mit Gott, Rechtfertigung – viele unterschiedliche Aspekte der einen Wahrheit.
Weiter: In der Auferstehung besiegt Jesus den Tod und wird sichtbar als Sohn Gottes und Retter bestätigt. Damit hat Gott den Weg zur Versöhnung der Sünder gebahnt. Daraus kommt dann das, was Andreas Vett heute Vormittag auch zitiert hat: diese Aufforderung, die wir auszurichten haben: „Lasst euch versöhnen mit Gott!“ Das heißt: Lasst euch rechtfertigen, lasst euch retten, lasst euch erlösen. Es ist immer die gleiche Botschaft.
Viertens: Also der heilige Gott, der sündige Mensch, der Retter Christus. Und wie kommt das jetzt zusammen? Viertens: Durch das Evangelium ruft Gott den Sünder. Und das sind zwei Aspekte, zwei Seiten der einen Medaille: zur Umkehr und zum Glauben.
Er fordert ihn dazu auf, dieses Gottesurteil über sein Leben anzuerkennen, seine Schuld zu bereuen und Gottes Vergebung um Christi willen zu erbitten. Darum lädt Gott den Sünder mit der Aufforderung zur Umkehr zugleich zum Glauben, also zum persönlichen Vertrauen auf seinen Sohn Jesus Christus, ein, der die Strafe für die Sünde stellvertretend getragen hat.
Jesus ist der gekreuzigte Retter, der auferstandene Herr, der wiederkommende Richter. Wer ihn als Gottes Sohn anbetet, als Erlöser anruft, als Herrn anerkennt, das heißt, in seine Nachfolge eintritt, der wird von Gott gerechtfertigt, das heißt, von seiner Sünde freigesprochen, er wird als Kind angenommen.
Hier sehen Sie die unterschiedlichen Begriffe, Bilder, mit denen die Bibel immer wieder diese eine Wirklichkeit beschreibt. Es geht um Umkehr zu Jesus, im persönlichen Vertrauen auf ihn als den Sohn Gottes, der durch sein Opfer am Kreuz stellvertretend unsere Schuld getragen hat.
Schließlich fünftens: An der Stellung zu Jesus Christus entscheidet sich das ewige Schicksal jedes einzelnen Menschen. Dabei gibt es nur die Alternative des doppelten Ausgangs: entweder ewiges Heil, also Himmel, oder ewige Verdammnis, also Hölle – entweder oder. Und jenseits dessen gibt es keine dritte Möglichkeit. Das ist die eindeutige biblische Botschaft.
Das sind die fünf Punkte, die das Evangelium ausmachen: der heilige Gott, vor dem wir Menschen verurteilt und verloren dastehen als Kandidaten der Hölle, der Retter Christus, der Ruf zur Umkehr und zum Glauben an ihn und die Frage des doppelten Ausgangs: Himmel oder Hölle. Das ist die eiserne Ration, der unverzichtbare Inhalt des Evangeliums.
Es könnte jetzt von jemandem der Einwand kommen: „Ja, wenn das dann so komplex ist, wie kann ein Mensch überhaupt gerettet werden?“ Ich bin überzeugt, dass auch Kinder sich schon bekehren können, wenn Gott an ihren Herzen wirkt, wenn er es ihnen schenkt.
Im Vollzug der Bekehrung wird dem Menschen dieses im Grunde seines Herzens von Gott klargemacht. Das heißt nicht, dass er theologisch alles bis in die letzte Differenzierung akkurat benennen könnte, sofort. Aber diese Grundwahrheit: Ich bin ein Sünder, ich brauche es, dass Jesus sein Leben für mich gegeben hat, dass er sein Leben für mich in die Waagschale warf, dass er meine Schuld bezahlt hat – das können Sie schon.
Sie können das erklären mit dem wortlosen Buch von der Kinderbibel. Damit können Sie diese Wahrheit erklären.
Es gibt kein einfaches Evangelium. Es wird immer gesagt: Wir müssen das schlichte, einfache Evangelium. Das ist Quatsch. Es gibt nur ein Evangelium, und dieses Evangelium ist komplex.
Überlegen Sie mal: Der heilige Gott rettet uns aus der Hölle, und das soll nicht komplex sein? Das ist irre. Wie kann sowas nicht komplex sein?
Aber es ist das Wunder Gottes und seine Gnade und seine Allmacht und seine Souveränität, dass diese komplexe Botschaft, die das größte Problem und das letzte Geheimnis gewissermaßen der Existenz entschlüsselt, zugleich so ist, dass man sie im Kindergottesdienst erklären kann. Das ist das Wunder.
Sie können fünf oder zwanzig Bücher à 300 bis 500 Seiten dazu schreiben und werden immer noch etwas dazu zu sagen haben. Sie können es zusammenfassen in einem Prospekt, in einem Traktat.
Das ist das Wunder, das ist das Wunder dieses einen. Es ist göttlich, es ist das Evangelium Gottes. Und es ist ein großes Vorrecht, dass der Herr uns dieses Evangelium offenbart hat und dass er es uns geschenkt hat, dieses Evangelium zu ergreifen im Glauben und dass wir Boten dieses Evangeliums sein dürfen.
Das ist das Größte, was wir haben können in unserem Leben. So lasst uns das in Treue tun und lasst uns nicht müde werden, solange der Herr uns Atem gibt, diese Botschaft wirklich auszubreiten. Und lasst uns dafür beten, dass noch viele, viele nicht in der Hölle, sondern im Himmel ankommen.
Schlussgedanken: Die Komplexität und das Wunder des Evangeliums
Es könnte jetzt von jemandem der Einwand kommen: Ja, wenn das dann so komplex ist, wie kann ein Mensch überhaupt gerettet werden?
Ich bin überzeugt, dass sich auch Kinder schon bekehren können, wenn Gott an ihren Herzen wirkt und wenn er es ihnen schenkt. Im Vollzug der Bekehrung wird dem Menschen dieses im Grunde seines Herzens von Gott klargemacht. Das heißt nicht, dass er theologisch alles bis in die letzte Differenzierung sofort akkurat benennen könnte. Aber diese Grundwahrheit – ich bin ein Sünder, ich brauche es, dass Jesus sein Leben für mich gegeben hat, dass er sein Leben für mich in die Waagschale warf, dass er meine Schuld bezahlt hat – das können sie schon verstehen. Sie können das erklären mit dem wortlosen Buch von der Schöpfung. Damit können sie diese Wahrheit vermitteln.
Es gibt kein einfaches Evangelium. Es wird immer wieder gesagt: Wir müssen das schlichte, einfache Evangelium verkündigen. Das ist Quatsch. Es gibt nur ein Evangelium, und dieses Evangelium ist komplex. Überlegen Sie mal: Der heilige Gott rettet uns aus der Hölle. Und das soll nicht komplex sein? Das ist absurd. Wie kann so etwas nicht komplex sein?
Aber es ist das Wunder Gottes, seine Gnade, seine Allmacht und seine Souveränität, dass diese komplexe Botschaft, die das größte Problem und das letzte Geheimnis gewissermaßen der Existenz entschlüsselt, zugleich so ist, dass man sie im Kindergottesdienst erklären kann. Das ist das Wunder.
Sie können fünf oder zwanzig Bücher mit 300 bis 500 Seiten dazu schreiben und werden immer noch etwas dazu zu sagen haben. Sie können es aber auch in einem Prospekt, in einem Traktat zusammenfassen. Das ist das Wunder, das ist das Wunder dieses einen Evangeliums. Es ist göttlich, es ist das Evangelium Gottes.
Und es ist ein großes Vorrecht, dass der Herr uns dieses Evangelium offenbart hat und dass er es uns geschenkt hat, dieses Evangelium im Glauben zu ergreifen. Wir dürfen Boten dieses Evangeliums sein. Das ist das Größte, was wir in unserem Leben haben können.
Lasst uns das in Treue tun und lasst uns nicht müde werden, solange der Herr uns Atem gibt, diese Botschaft wirklich auszubreiten. Lasst uns dafür beten, dass noch viele, viele nicht in der Hölle, sondern im Himmel ankommen.
