Ehescheidung – eine theologische Erwägung
Vortrag Nr. 1
Einführung und Dankbarkeit gegenüber prägender Literatur
Bevor ich beginne, möchte ich zwei Autoren danken, von denen ich im Hinblick auf ethische Themen am meisten gelernt habe. Ich lerne immer aus Büchern, daher sind es vor allem Bücher, die mich prägen. Zum einen ist da das Buch von William F. Luck Senior, Autor von "Divorce and Remarriage: Recovering the Biblical View", auf Deutsch vielleicht "Scheidung und Wiederheirat – Die Wiederentdeckung eines biblischen Blickwinkels". Zum anderen Walter Kaiser, Autor von "Towards Old Testament Ethics", was auf Deutsch so viel bedeutet wie "Ein Blick auf die Ethik des Alten Testaments".
Soweit meine Auslegung stimmt, gebührt diesen beiden Autoren großer Dank. Falls ich mich irre, bitte ich darum, mir die Fehler anzukreiden.
Ganz am Anfang möchte ich definieren, worum es mir in den folgenden drei Vorträgen geht. Es geht darum, als Ältester einer Gemeinde aufzuzeigen, wie wir als Leitung das Thema Ehescheidung aus biblischer Perspektive betrachten. Ich möchte die biblische Grundlage beschreiben, auf der wir seelsorgerliche Ratschläge zum Thema Ehescheidung aufbauen.
Dazu möchte ich die gesamte Bibel durchgehen und die meisten Stellen betrachten, die mit dem Thema zu tun haben. Und...
Haltung und Zielsetzung im Umgang mit dem Thema Ehescheidung
Dabei ist mir bewusst, dass die Auslegung, die am Ende dabei herauskommt, wahrscheinlich weder so richtig ins konservative noch ins liberale Lager passt. Man kann uns als Ältestenschaft vorwerfen, an manchen Stellen sehr kompliziert, vielleicht sogar spitzfindig zu argumentieren.
Manch einer mag sagen: Ihr seid pragmatisch. Okay, wir werden mit solchen Vorwürfen leben müssen. Aber wir wollen am Anfang auch sagen, dass wir unser Herz geprüft haben und uns beim Nachdenken wirklich Mühe gegeben haben.
Wenn wir dann schlussendlich zu Ergebnissen kommen, die nicht von allen geteilt werden, wäre es uns eine große Freude, wenn wir es schaffen würden, die Unterschiedlichkeit auszuhalten und einfach in Demut zu verstehen, warum wir unterschiedlich denken.
Ich glaube, es ist ein großer Gewinn, wenn wir einander verstehen – auch dann, wenn wir in theologischen Fragen nicht zum gleichen Ergebnis kommen. Im Miteinander, gerade innerhalb der Gemeinde, geht es nicht darum, dass wir in allen Punkten gleich denken. Das wird wahrscheinlich nicht möglich sein. Der Apostel Paulus spricht davon, dass Erkenntnis Stückwerk ist.
Aber wir können lernen, unsere Unterschiedlichkeit in Liebe auszuhalten. Wir werden nicht als Jünger Jesu daran erkannt, dass wir dieselbe Sicht auf das Thema Ehescheidung haben – so wünschenswert das auch wäre. Egal, welche Sicht das dann ist, ob liberal, konservativ oder pragmatisch – wir werden daran erkannt, dass wir liebevoll miteinander umgehen.
Das sollte der Fokus unseres Lebens sein: Liebe. Egal, wie wir schlussendlich Bibelstellen auslegen. Wie Paulus formuliert: „Und wenn ich alle Erkenntnis besäße, und hätte alle Erkenntnis, und wenn ich alle Glaubenskraft hätte, sodass ich Berge versetzen könnte, aber keine Liebe hätte, so wäre ich nichts“ (1. Korinther 13,2).
Vor Gott gilt die rechte Dogmatik, die Orthodoxie, weniger als die rechte Liebe, die Orthopraxie. Und genau dieser Blick in mein Herz ist entscheidend. Und...
Aufruf zu gegenseitigem Verständnis und Demut
Deshalb lasst uns bei diesem Thema, das so viel Streit und Zerwürfnis in christliche Gemeinden gebracht hat, ganz am Anfang die Entscheidung treffen, einander nicht zu richten, sondern einander zu verstehen und zu lieben. Das ist sehr wichtig.
Lasst uns bitte, gerade wenn wir von einer Auslegung überzeugt sind, immer im Hinterkopf behalten – auch wenn es sich komisch anhört, es ist die Wahrheit – dass wir Unrecht haben könnten. Ich kann mich irren. Es ist so leicht, den Nächsten zu verachten, das liegt uns im Fleisch. Und es ist schwer, in den Geschwistern diejenigen zu sehen, die Gott mir zu meinem Segen an die Seite gestellt hat, damit ich geistlich weiterkomme.
In diesem Sinn wünsche ich uns ein Stück weit Spaß. Das klingt komisch, aber Glück und Erfolg hängen in der Bibel davon ab, dass man sich viel Zeit nimmt, über Gottes Wort nachzudenken. Genau das wollen wir jetzt tun.
Zu Beginn hören wir noch einmal Psalm 1, die ersten drei Verse:
Glücklich ist der Mann, der nicht folgt dem Rat der Gottlosen,
den Weg der Sünder nicht betritt
und nicht im Kreis der Spötter sitzt,
sondern seine Lust hat am Gesetz des Herrn
und über sein Gesetz sinnt Tag und Nacht.
Er ist wie ein Baum, gepflanzt an Wasserbächen,
der seine Frucht bringt zu seiner Zeit
und dessen Laub nicht verwelkt.
Alles, was er tut, gelingt ihm.
Schön, oder? Dieser Wert, über das Wort, über das Gesetz des Herrn Tag und Nacht zu sinnen. Und was für eine Freude, zu hören, dass allem gelingt, dem das gelingt.
So viel vorweg.
Grundlegende Vorbemerkung zur Bibelauslegung
Noch eine Sache, die ich an den Anfang stellen möchte, da sie wichtig ist. Vielleicht erkennt man nicht sofort, wie bedeutsam sie ist, aber es handelt sich um eine Vorbemerkung, die verstanden werden sollte.
Wir glauben als Älteste daran, dass die Bibel als Einheit gelesen und verstanden werden will. Da sich Gott nicht ändert, halten wir in ethischen Fragen eine Auslegung dann für besonders gelungen, wenn wir möglichst spannungsfrei so viele thematisch relevante Bibelstellen wie möglich zu einem schlüssigen Gesamtbild vereinen können. Das ist wirklich wichtig.
Vielleicht erkennt man am Anfang noch nicht, warum das wichtig ist. Aber in dem Moment, in dem ich durch die Bibel gehe und mir alle relevanten Stellen anschaue, entstehen Spannungen. Wir glauben, dass die Auslegung – also die Sicht auf ein Thema –, die diese Spannungen möglichst umfassend löst, die wahrscheinlichste und auch beste Auslegung ist.
Ein letzter Hinweis für alle Hörer: Das Skript zur Predigt mit ergänzenden Fußnoten findet sich, wie meistens, auf www.frogwords.de.
Definition und Verständnis der Ehe aus biblischer Perspektive
Fangen wir an. Wer über Ehescheidung reden will, müsste eigentlich zuerst definieren oder zumindest verstehen, was eine Ehe ist.
In der Erschaffung des Menschen wird ganz explizit darauf hingewiesen, dass er als Mann und Frau geschaffen wurde. Das heißt in 1. Mose 1,27: „Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bild, nach dem Bild Gottes schuf er ihn, als Mann und Frau schuf er sie.“ In der Elberfelder Bibel gibt es eine Fußnote zu „Mann und Frau“, die wörtlich „männlich und weiblich“ lautet.
Dass im Text dieses „männlich und weiblich“ so herausgestellt wird, obwohl es doch auch bei vielen anderen Tieren zwei Geschlechter gibt, zeigt, dass die Zweigeschlechtlichkeit des Menschen irgendwie mit der Offenbarung der Persönlichkeit Gottes zusammenhängt. Gott offenbart sich nicht als Mann oder Frau, sondern als Mann und Frau.
„Mann“ (hebräisch „Sakkar“) und „Frau“ (hebräisch „Nekeba“) sind beide „Mensch“ (hebräisch „Adam“). Zusammen repräsentieren sie Gott und bilden in ihrem Miteinander die Autorität, die über die Welt regieren soll.
Das heißt aber nicht, dass sie zwingend miteinander verheiratet sein oder Sex haben müssen. Gerade Jesus und Paulus betonen den Wert davon, unverheiratet zu bleiben. Der Unverheiratete kann sehr viel für das Reich Gottes bewirken. Das kann man in Matthäus 19,12 oder 1. Korinther 7,32-33 nachlesen.
Man muss also nicht verheiratet sein. Was ein Mensch grundsätzlich braucht, ist der soziale Kontakt zum anderen Geschlecht, die sinnvolle Integration der eigenen Persönlichkeit in ein soziales Geflecht von Mann und Frau.
Die Ehe als Bund und ihre Merkmale
Wie sehr Mann und Frau einander ergänzen können, sieht man von Anfang an dort, wo Gott die beiden erschafft und gleich die Ehe einführt. Heute gehört es zum unveräußerlichen Recht des modernen Menschen, frei darüber entscheiden zu dürfen, wann er mit wem schläft. Gott sieht das von Anfang an jedoch anders.
Jede Form von Sexualität ohne einen Bund, ohne einen Ehebund, ist in der Bibel aus Gottes Sicht falsch. Es handelt sich dabei entweder um Vergewaltigung, Verführung oder Hurerei – alles Tatbestände, gegen die Gott klar Stellung bezieht. Das bedeutet: Wo sich die Zweigeschlechtlichkeit des Menschen sexuell entfalten will und die engste Form der Bindung zwischen Mann und Frau entstehen soll, bedarf es von Anfang an eines besonderen Commitments – des Bundes der Ehe.
1. Mose 2,24-25:
„Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seiner Ehefrau anhängen, und sie werden zu einem Fleisch werden. Und sie waren beide nackt, der Mensch und seine Frau, und sie schämten sich nicht.“
Es geht hier um den Ehebund, um dieses Commitment. Drei Dinge zeichnen diesen Bund aus: Erstens verlassen, zweitens anhängen, drittens ein Fleisch werden.
Punkt eins: Verlassen
Ein Mann – und man könnte dasselbe auch von einer Frau sagen – muss zuerst Vater und Mutter verlassen, bevor er eine Ehe eingehen kann. Er muss sich vom Einfluss seiner Eltern gelöst haben, um Haupt einer Familie werden zu können. Die Abhängigkeit von den Eltern muss spätestens mit der Eheschließung enden. Dort entsteht etwas Neues.
Punkt zwei: Anhängen
Das ist das Ziel einer Ehe, ganz grundsätzlich aus der Perspektive des Ehemanns, aber andersherum gilt das auch für die Ehefrau. Der Mann hängt sich an seine Frau, er klebt an ihr. Wichtig: Der Begriff „anhängen“ beschreibt Nähe, aber nicht automatisch auch Dauerhaftigkeit.
Der hebräische Begriff „dabak“ wird in der Bibel durchgängig für enge Beziehungen verwendet, die aber nicht unauflöslich sind. Eine Ehe ist aus Gottes Sicht auf Intimität hin angelegt und soll idealerweise ein Leben lang halten. Gleichzeitig ist eine Ehe eine Beziehung, die aufgelöst werden kann.
Woher weiß ich das? Aus dem Gebot: „Du sollst nicht Ehe brechen“ (2. Mose 20,14). Wenn es verboten ist, eine Ehe zu zerbrechen, dann muss es leider auch die Möglichkeit geben, dass jemand genau das tut. Logisch, oder? Es wäre sinnlos, etwas zu verbieten, was unmöglich ist. Man kann eine Ehe zerbrechen. Moralisch ist das Zerbrechen einer Ehe falsch, aber faktisch leider machbar. Und ich sage „leider“.
In Hochzeitspredigten hört man oft von einer mystischen, unauflöslichen Einheit zweier Eheleute, fast so, als ob aus zwei Menschen ein neuer Mensch würde. Ganz ehrlich: Ich habe davon in meiner Ehe nichts gemerkt, außer vielleicht, man verwechselt Gewöhnung, Vertrautheit und Freundschaft mit einer mystischen Einheit. Biblisch sehe ich das auch nicht so. Mir scheint, die mystische, unauflösliche Einheit einer Ehe gehört eher ins Reich der Mythen. Es wäre schön, wenn es so wäre, aber es ist nicht so.
Punkt drei: Ein Fleisch werden – Intimität
Mit der Bezeichnung „ein Fleisch“ wird die sexuelle Gemeinschaft beschrieben, die sexuelle Gemeinschaft derer, die sich zuvor entschieden haben, Vater und Mutter zu verlassen und aneinander zu hängen. Sexualität ist die intimste Form von Gemeinschaft, die Eheleute erleben.
Jetzt wissen wir, was eine Ehe ausmacht: verlassen, aneinander hängen, intime Gemeinschaft. Aber wir haben schon gesagt, dass eine Ehe ein Bund ist. Eine Ehe hat also nicht nur eine persönliche, sondern auch eine rechtliche Dimension.
Die Idee des Bundes nehme ich erst einmal aus Maleachi 2,14:
„Ihr sagt: Weswegen? Deswegen, weil der Herr Zeuge gewesen ist zwischen dir und der Frau deiner Jugend, an der du treulos gehandelt hast, wo sie doch deine Gefährtin ist und die Frau deines Bundes.“
Ein Bund ist zunächst eine Übereinkunft zwischen zwei Personen. Die Bündnispartner im Ehebund sind Mann und Frau. Es ist ein bilateraler Bund, es gibt zwei Parteien, die im Ehebund aneinander geknüpft sind. Der Ehebund hängt an Bedingungen.
Was jetzt kommt, ist simpel, aber sehr wichtig: Ein Ehebund hängt an Bedingungen. Werden diese Bedingungen nicht eingehalten, hat man den Bund gebrochen. Eigentlich ganz simpel.
Ein Ehebund ist ein Bund zwischen zwei Parteien, hier Mann und Frau. Es gibt Bedingungen, und wenn diese nicht eingehalten werden, ist der Bund gebrochen. „Du sollst nicht Ehe brechen“ warnt davor, die Bündnisverpflichtungen zu verletzen. Es geht also um viel mehr als nur ums Fremdgehen. Fremdgehen ist das, was ein Richter ahnden kann. Aber Ehebruch beginnt im Herzen, wenn ich nicht mehr bereit bin, die Dinge zu tun, die ich meinem Ehepartner zu Beginn der Ehe versprochen habe.
Nochmal, weil ich es vorhin schon gesagt habe: Der Ehebund ist darauf angelegt, dass zwei aneinander hängen. Wer einen Ehebund schließt, verspricht seinem Partner: „Ich will mich an dich hängen, ich will an dir kleben.“ Ohne dass er das nochmal explizit erwähnen müsste, steckt das schon in der Idee Ehe.
Wie das praktisch aussieht, hängt auch von der Kultur ab, in der man lebt. Im Alten Testament lag der Schwerpunkt für den Mann auf der praktischen Versorgung seiner Frau. Selbst wenn er zwei Frauen hatte, durfte es der Ersten nicht an Nahrung, Kleidung und Sexualität fehlen. Sexualität war hier auch mit Altersversorgung verbunden, da die Frau Kinder bekam, die sich im Alter um sie kümmern würden.
Paulus bringt es auf den Punkt: Ein Mann muss seine Frau lieben wie seinen eigenen Körper. Wenn er das nicht mehr tut, wenn er aufhört, seine Frau praktisch zu lieben, wenn er gewalttätig oder passiv wird, dann bricht er die Ehe.
Für die Frau legt das Alte Testament in puncto Ehebedingungen den Schwerpunkt auf eheliche Treue. Das Neue Testament betont, auch mit Verweis auf das Alte Testament, den Punkt der Unterordnung. Wie der Mann seine Frau lieben soll, so soll die Frau ihm mit Respekt begegnen.
Wie gesagt, hier sind Schwerpunkte beschrieben. Natürlich soll auch der Mann treu sein, und die Frau soll sich um die Bedürfnisse des Mannes kümmern. Mir ging es hier nur darum zu zeigen, dass man die Ehe als Bund verstehen muss. Zu einem Bund gehören Bundesbedingungen, die nicht immer explizit benannt werden müssen, um zu gelten. Sie sind quasi eheimmanent und gelten für alle Ehen.
Es gibt keine Ehe, in der ein Mann nicht an seiner Frau kleben müsste oder sich nicht um ihre Bedürfnisse kümmern müsste. Es gibt keine Ehe, in der eine Frau einfach fremdgehen darf, ohne Ehebrecherin zu werden. Das gilt immer.
An der Stelle, wenn ich sage, dass eine Ehe implizite Bundesbedingungen enthält und es im Wesentlichen darum geht, dass man einander verspricht, aneinander zu kleben, ein Hinweis: Neben diesen allen Ehen zugrunde liegenden Bedingungen gibt es natürlich auch explizite persönliche Bedingungen. Das sind die, die man sich vor dem Traualtar verspricht.
Mein Tipp an junge Paare: Versprecht euch nichts, was nicht sowieso schon zur Ehe gehört. Auf keinen Fall Schnickschnack wie: „Ich werde, wenn wir uns streiten, immer auf dich zugehen.“ Schön, wenn du das willst, nimm es dir ruhig vor. Aber wenn du es versprichst, wird es formal Teil eurer Bundesbeziehung.
Und du wirst in dem Moment zum Ehebrecher, wenn du bei einem Streit nicht gleich auf deinen Partner zugehst, sondern vielleicht zu Recht denkst: Jetzt wäre es mal an der Zeit, dass der andere sich bewegt. Vorsicht bei solchen expliziten persönlichen Versprechen, die man den impliziten Bundesbedingungen einer Ehe hinzufügt. Einfach nur Vorsicht.
Wo stehen wir jetzt? Wir wissen, was eine Ehe ist: ein Bund zwischen einem Mann und einer Frau. Und wir wissen, wo Ehebruch anfängt: dort, wo ich nicht mehr an meinem Partner hänge, sondern mir etwas anderes wichtiger wird. Ehebruch ist immer eine Sache des Herzens.
Natürlich spielt meist auch eine andere Person eine Rolle, das muss aber nicht so sein. Ich kann auch mehr an meiner Karriere, meinem Hobby oder meinen Kindern hängen und so zum Ehebrecher werden. Ehebruch ist eine Sache des Herzens.
Hören wir kurz Jesus dazu, Matthäus 5,27-28:
„Ihr habt gehört, dass gesagt ist: Du sollst nicht Ehe brechen. Ich aber sage euch: Wer eine Frau ansieht, sie zu begehren, hat in seinem Herzen bereits Ehebruch mit ihr begangen.“
Lange bevor der Mann also tatsächlich fremdgeht, geschieht der Ehebruch im Herzen. So ein heimliches Begehren bekommt kein Gericht mit, es ist nicht strafbar, aber in Gottes Augen bereits Ehebruch. Das Gebot „Du sollst nicht Ehe brechen“ aus den Zehn Geboten ist für Richter geschrieben.
Jesus erklärt in der Bergpredigt, was die Schriftgelehrten und Pharisäer hätten wissen können: Wenn ein Richter Ehebruch feststellt, hat lange vorher Ehebruch im Herzen stattgefunden. Moralisch beginnt Ehebruch dort, wo ich mich innerlich von meinem Partner distanziere und überlege, wie ich ohne strafrechtliche Konsequenzen möglichst aus der Ehe herauskomme, ohne dass mir jemand einen Vorwurf machen kann.
Nun haben wir eine Vorstellung von Ehe und Ehebruch. Jetzt geht es ums Thema Scheidung.
Bevor ich darauf eingehe, möchte ich auf etwas Spannendes hinweisen: Im Alten Testament werden geschiedene Frauen wie selbstverständlich wieder geheiratet. Wir werden sehen, dass Jesus im Neuen Testament dazu auf den ersten Blick eine andere Meinung vertritt. Aber bis zu Jesus war es üblich, dass Geschiedene wieder heirateten.
Es gibt eine Ausnahme: Priester durften nur Jungfrauen heiraten. Dritte Mose 21,7.13-14:
„Eine Hure und eine Entehrte sollen sie nicht zur Frau nehmen, und eine von ihrem Mann verstossene Frau sollen sie nicht nehmen, denn heilig ist er seinem Gott. Eine Jungfrau seines Volkes soll er zur Frau nehmen.“
Für Priester galt also eine Einschränkung. Für alle anderen gab es keine. Die Verstossene, also die Geschiedene, wird hier neben Witwe, Hure und Entehrter genannt. Wenn der Priester die Ausnahme ist, dann ist die Regel, dass man Verstossene wieder heiraten durfte.
Das ist interessant, weil nirgendwo im Alten Testament die Wiederheirat Geschiedener als problematisch angesehen wird. Wie unwichtig die Herkunft einer Ehefrau war, zeigt sich daran, dass Rahab eine Hure, Ruth eine Witwe und Gomer eine Entehrte war.
Gleichzeitig merken wir, wie normal es war, dass es Geschiedene gab. Eigentlich sollte eine Ehe ein Leben lang halten, aber die Existenz von Geschiedenen zeigt, dass es auch Scheidungen gab.
Spannend ist, dass es im mosaischen Gesetz kein Scheidungsrecht gibt. Man kann die fünf Bücher Mose durchlesen und findet nirgendwo einen Absatz, wie eine Scheidung abzulaufen hat. Es gibt einen Abschnitt, der von einem Scheidebrief spricht – einem Dokument, mit dem ein Ehemann ausdrücken konnte, dass er sich von seiner Frau trennt. Mehr aber nicht.
Ich gebe zu, dieser Abschnitt hat es in sich. Die jüdischen Gelehrten haben ihn benutzt, um zu begründen, was eine legitime Scheidung braucht: nicht mehr als einen Scheidebrief, ein Stück Papier, plus den fehlenden Wunsch eines Mannes, an der Ehe festzuhalten. Das war genug für eine legitime Scheidung.
Und wir merken, wenn ich es so formuliere, dass hier etwas nicht stimmen kann. Wie sehr die Sache stinkt, werden wir später sehen. Zuerst die Stelle, auf die sich die jüdischen Gelehrten beziehen:
5. Mose 24,1-4:
„Wenn ein Mann eine Frau nimmt und sie heiratet und es geschieht, dass sie keine Gunst in seinen Augen findet, weil er etwas Anstößiges an ihr gefunden hat, und er ihr einen Scheidebrief geschrieben, ihn in ihre Hand gegeben und sie aus seinem Haus entlassen hat; und sie ist aus seinem Haus gezogen und ist hingegangen und die Frau eines anderen Mannes geworden; wenn dann auch der andere Mann sie gehasst und ihr einen Scheidebrief geschrieben, ihn in ihre Hand gegeben und sie aus seinem Haus entlassen hat, oder wenn der andere Mann stirbt, der sie sich zur Frau genommen hat, dann kann ihr erster Mann, der sie entlassen hat, sie nicht wiedernehmen, dass sie seine Frau sei, nachdem sie unrein gemacht worden ist, denn ein Gräuel ist das vor dem Herrn, und du sollst das Land, das der Herr dein Gott dir als Erbteil gibt, nicht zur Sünde verführen.“
Zuerst sehen wir hier, mit welcher Selbstverständlichkeit man sich scheiden ließ und auch wieder heiratete. Dass die Frau nach der Entlassung erneut heiratet, wird als völlig selbstverständlich angesehen. Die zweite Ehe wird in keiner Weise moralisch bewertet. Sie ist nicht falsch, sie geschieht einfach.
Es scheint so zu sein, dass dort, wo eine Ehe formal beendet wird, selbstverständlich und notwendig eine neue Ehe geschlossen wird. Ein Bund zerbricht, ist aus, und wird durch einen neuen Bund ersetzt.
Der Sachverhalt ist schnell erklärt: Ein Mann verstößt seine Frau, die heiratet einen anderen, wird wieder verstossen oder wird Witwe. Sie steht also dem Heiratsmarkt wieder zur Verfügung und darf den ersten Mann nicht mehr heiraten.
Nun zur Interpretation des Textes. Die erste Diskussion dreht sich meist um die Frage: Was ist mit dem „Anstößigen“ gemeint? Wenn ein Mann eine Frau nimmt und sie heiratet und es geschieht, dass sie keine Gunst in seinen Augen findet, weil er etwas Anstößiges an ihr gefunden hat.
Die Antworten der Rabbiner reichen von Ehebruch (Rabbi Schamai) bis zu etwas, das dem Ehemann missfiel (Rabbi Hillel). Ehebruch kann eigentlich nicht gemeint sein, denn die Strafe dafür ist im mosaischen Gesetz nicht Scheidung, sondern Tod.
Das „Anstößige“, wörtlich „die Nacktheit einer Sache“, wird im Text nicht weiter definiert. Und wenn man darüber nachdenkt, macht das Sinn: Es wird vom Ehemann festgelegt, der sich scheiden lässt. Es ist keine definierte Größe.
Wir müssen im Blick auf 5. Mose 24,1-4 eine Sache von größter Bedeutung verstehen: Auch wenn die Rabbiner die Stelle später benutzt haben, um Scheidung aus jeder beliebigen Ursache zu rechtfertigen, so ist sie in 5. Mose zum Schutz der Frau aufgenommen.
Genau genommen geht es darum, dass man eine Ehefrau nicht ihrer Würde berauben darf, indem man sie wie ein Stück Vieh einfach abstößt und später wieder zurücknimmt, aus welchen Gründen auch immer. Das Gebot dreht sich also nicht um den Ehemann, sondern um die Ehefrau.
Es wurde gegeben, um eine Frau vor einem Mann zu schützen, der sie einfach so entlässt, weil er es will. Indem er das tut, bricht er das Versprechen, für sie zu sorgen. Hier steht noch nicht, dass das Ehebruch ist, denn das Gebot schützt die Frau.
Jesus wird auf diesen Sachverhalt im Matthäusevangelium hinweisen. Die Scheidung ist kein Zugeständnis an den Ehemann, das dachten später die Rabbiner. Die Scheidung ist kein Zugeständnis an den Ehemann, sondern Gottes Zustimmung zu einer an sich falschen Handlung des Ehemanns, die Gott toleriert, um die Frau vor seiner Härte zu schützen.
Das Gesetz schützt also die Frau, die ungerechterweise entlassen wurde, davor, sich erneut auf diesen Mann einlassen zu müssen.
Nun müssen wir klären, was mit „unrein gemacht worden ist“ gemeint ist. Das taucht im Text auf, ich lese noch mal Vers 4 vor:
„Dann kann ihr erster Mann, der sie entlassen hat, sie nicht wiedernehmen, dass sie seine Frau sei, nachdem sie unrein gemacht worden ist.“
Im Alten Testament unterscheiden wir zwischen zeremonieller Unreinheit, die nicht Sünde ist, sondern Absonderung und Opfer verlangt, und moralischer Unreinheit, die Sünde ist.
Hier geht es nicht um zeremonielle Unreinheit, denn es gibt keine Reinigungsvorschriften. Auch moralische Unreinheit ist nicht ganz einsichtig, denn sie wird nur im Hinblick auf die Wiederheirat mit dem ersten Mann relevant.
Die Frau könnte jeden anderen Mann heiraten, nur nicht den ersten Mann, der sie verstieß. Die Verbform von „unrein gemacht“ ist ein Hapaxlegomenon – sie taucht nur hier auf. Das ist interessant, weil man bei Übersetzung und Auslegung vorsichtig sein muss.
Man liest schnell, die Frau habe sich durch die zweite Ehe selbst verunreinigt (reflexiver Gebrauch) oder sei durch die zweite Ehe verunreinigt worden (passiver Gebrauch). Aber dafür gäbe es andere Verbformen.
Der Text verbietet die zweite Ehe nicht. Sie kann also kaum der Grund für die Unreinheit sein. Warum sollte Gott die zweite Ehe verbieten, wenn er dagegen wäre?
Wenn Gott kein Problem mit einer zweiten Ehe hat, aber sehr wohl damit, dass eine Frau zu dem Mann zurückkehrt, der sie wegen etwas Anstößigem entlassen hat, dann ist das „unrein gemacht“ ein Produkt der ersten Scheidung.
In dem Moment, wo der erste Ehemann sie verstößt, macht er sie in den Augen der Gesellschaft unrein. Am Ende bleibt immer ein Makel an der Frau kleben, egal wie nichtig der Scheidungsgrund war.
Nun zwei Punkte geklärt: Was ist mit dem „Anstößigen“ gemeint und was bedeutet „unrein gemacht“? Bleibt die Frage, was genau an dieser Stelle ein Gräuel für den Herrn ist.
Ich lese Vers 4 noch einmal:
„Dann kann ihr erster Mann, der sie entlassen hat, sie nicht wiedernehmen, dass sie seine Frau sei, nachdem sie unrein gemacht worden ist, wie ich denke, durch ihn, dadurch dass er sie wegen einer Nichtigkeit entlassen hat, denn ein Gräuel ist das vor dem Herrn.“
Worum geht es beim Gräuel? Ich denke, es geht darum, dass ein Mann sich seiner Frau auf eine Weise entledigt, die sie in den Augen der Menschen unrein erscheinen lässt. Das ist der Gräuel.
Es geht um leichtfertige Scheidung und den Wunsch, sie wie ein Stück Besitz einfach zurückzuholen, wenn er wieder Lust auf sie hat. Das ist ein Gräuel vor Gott, weil der Mann mit seinem Verhalten seinen Ehebund gebrochen hat.
Und jetzt setzt er noch einen drauf, indem er seiner Frau erneut genau das versprechen will, was er beim ersten Mal nicht gehalten hat. Zu allem Übel wäre das auch ein Akt der Verführung.
Vers 4 fährt fort:
„Du sollst das Land, das der Herr dein Gott dir als Erbteil gibt, nicht zur Sünde verführen.“
Warum Verführung? Weil der, der so handelt, anderen Männern suggeriert: „Du kannst mit deiner Frau genauso umgehen, du kannst mit ihr machen, was du willst. Es hat keine Konsequenzen.“ Und das geht gar nicht.
Wir haben im Alten Testament eine sogenannte kasuistische Gesetzgebung. An einem Fall wird ein Prinzip vorgestellt.
Welches Prinzip? Hartherzige Ehemänner dürfen sich in betrügerischer Absicht von ihrer Frau scheiden lassen, obwohl sie nicht schuldlos sind. Aber Gott erlaubt ihnen nicht, ihre Frau wieder zurückzunehmen.
Ich sage es noch einmal: Hartherzige Ehemänner dürfen sich in betrügerischer Absicht von ihren Frauen scheiden lassen. Sie sind nicht schuldlos. Aber Gott erlaubt es ihnen nicht, ihre Frau wieder zurückzunehmen.
Darum geht es in 5. Mose 24.
Wenn wir die fünf Bücher Mose hinter uns lassen, stellen wir fest, dass vor der Deportation des Südreiches (586 v. Chr.) die Strafe für Ehebruch zumindest teilweise von Exekution (Steinigung) auf Scheidung geändert wurde.
Das ist auch der Grund, warum Joseph, als er feststellt, dass Maria schwanger ist, sich nur scheiden lassen will.
Scheidung wurde also zur Strafe für Ehebruch.
Wichtig: Wenn Scheidung als Ersatz für Steinigung zur Disziplinierung eines Ehebruchs verwendet wurde, dann bedeutete das auch, dass eine Scheidung im Denken der Leute einer Steinigung gleichkam.
Logisch, oder? So wie der Tod einer Ehebrecherin eine Ehe beendete, so beendete auch die Scheidung eine Ehe. Die Scheidung als Rechtsakt kann in ihren Auswirkungen nicht hinter einer Steinigung zurückbleiben.
In beiden Fällen muss die erste Ehe beendet sein. Wenn das nicht so wäre, wäre der unschuldige Teil benachteiligt und sollte lieber auf die Todesstrafe bestehen.
Also: Wenn ich mich scheiden lasse und doch irgendwie noch mit meiner Frau zusammenhänge, wäre es besser, ich würde auf Steinigung bestehen, dann wäre ich auf alle Fälle los.
Gott selbst greift dieses veränderte Denken und Verhalten im Volk auf, wenn er argumentiert, wie wir in den Propheten lesen.
Man sieht das sehr schön beim Propheten Hosea.
Hosea ist ein Prophet, der eine hurerische Frau heiraten muss, um durch sein Leben und sein Leid zu zeigen, wie sehr Gott unter dem Götzendienst Israels leidet.
Hosea 1,2:
„Als der Herr anfing, mit Hosea zu reden, sprach er zu ihm: Geh, nimm dir eine hurerische Frau und zeuge hurerische Kinder, denn das Land treibt ständig Hurerei.“
Gemeint ist geistliche Hurerei, der Götzendienst Israels.
Hosea gehorcht, bekommt Kinder, und dann heißt es in Kapitel 2:
„Rechtet mit eurer Mutter! Rechtet, denn sie ist nicht mehr meine Ehefrau, und ich bin nicht mehr ihr Ehemann, damit sie ihre Hurerei von ihrem Gesicht entfernt und ihren Ehebruch zwischen ihren Brüsten.“
Hosea hat sich also von Gomer, seiner ehebrecherischen Frau, geschieden.
Was folgt, ist eine Aufzählung von Strafen, die Hosea beziehungsweise Gott für seine Ehefrau beziehungsweise Israel vorgesehen hat, weil beide zu Huren geworden sind.
Und der Clou: Gomer, die Ehefrau von Hosea beziehungsweise Israel, die Ehefrau Gottes, ist einsichtig.
Hosea 2,9:
„Dann wird sie ihren Liebhabern nachjagen und sie nicht erreichen, und sie wird sie suchen und nicht finden. Dann wird sie sagen: Ich will mich aufmachen und zu meinem ersten Mann zurückkehren.“
Das ist das, was im Kopf Israels beziehungsweise in Gomers Kopf vorgeht: der Wunsch, zum ersten Ehemann zurückzukehren, denn damals ging es besser als jetzt.
Der erste Mann, Gott, lädt diese Ehefrau, von der er sich geschieden hat und die nun bereit ist, Bosheit zu tun, tatsächlich wieder ein.
Hosea 2,16:
„Darum siehe, ich werde sie locken und sie in die Wüste führen und ihr zu Herzen reden.“
Bildhaft wird das Verhältnis Gottes zu Israel beschrieben. Praktisch durchlebt Hosea, was Gott hier beschreibt: Er heiratet eine hurerische Frau, erlebt ihre Untreue, lässt sie scheiden und bestraft sie.
Wir wissen nicht, wie genau, aber Gott beschreibt im Buch Hosea, wie er strafend mit Israel umgeht. Wahrscheinlich hat Hosea sie sogar aus der Sklaverei zurückgekauft.
Jetzt könnte man sagen: Hier heiratet doch eine Geschiedene ihren ersten Ehemann. War das nicht genau das, was in 5. Mose 24 verboten war?
Nein, wir müssen das Prinzip verstehen: 5. Mose 24 bezieht sich auf hartherzige Ehemänner und ist zum Schutz der Frau geschrieben. Es ist nicht anzuwenden auf einen treuen Ehemann, der sich wegen der Untreue seiner Frau scheiden lässt, aber die Scheidung als Mittel zur Korrektur versteht.
Der hartherzige Ehemann lässt sich scheiden, weil er eine andere Frau besser findet. Der treue Ehemann lässt sich scheiden, weil er die Untreue seiner Frau berücksichtigt, aber mit dem Wunsch, sie wiederzugewinnen und zur Buße zu bringen.
Genau das tut Hosea, und es klingt so, als wäre Gomer wirklich einsichtig. Gott hat das getan, und auch Israel ist einsichtig.
Noch ein kurzer Blick auf Gottes Umgang mit Israel: Israel betreibt geistlichen Ehebruch, folgt anderen Göttern, und Gott scheidet sich von seinem Volk.
Jeremia 3,6-8:
„Und der Herr sprach zu mir in den Tagen des Königs Josia: Hast du gesehen, was Israel, die Abtrünnige, getan hat? Sie ging auf jeden hohen Berg und unter jeden grünen Baum und tourte dort. Und sie sprach: Nachdem sie das alles getan hat, wird sie zu mir zurückkehren. Aber sie kehrte nicht zurück. Und ihre treulose Schwester Juda sah es und sah auch, dass ich Israel, die Abtrünnige, entließ und ihr den Scheidebrief gab. Doch ihre Schwester Juda, die treulose, fürchtete sich nicht, sondern trieb selbst auch Hurerei.“
Hier wird die Deportation des Nordreiches als Scheidung inklusive Scheidebrief beschrieben. Jesaja 50,1 spricht von einer Scheidung und einem Scheidebrief im Blick auf das Südreich.
Gott lässt sich von Israel scheiden, bestraft es durch die Wegführung – erst das Nordreich, dann das Südreich – und lockt es später wieder zu sich zurück. „Heiratet es also wie Hosea seine Gomer erneut.“
Israel kommt tatsächlich wieder ins Land zurück, baut den Tempel erneut auf, um dann tragischerweise nicht wieder in den Götzendienst, aber in Selbstgerechtigkeit zu verfallen und die Ehe erneut zu brechen.
Ich kann mich auch dadurch versündigen, dass ich mich um mich selbst drehe. Ich muss nicht fremdgehen.
Was lerne ich aus Gottes Umgang mit Israel? Ich lerne, dass ein Bund, auch wenn man ihn brechen kann, eine zutiefst heilige Sache ist.
Eine Scheidung darf selbst bei schlimmster Sünde nie leichtfertig ausgesprochen werden. Selbst wenn ich ein Recht auf Scheidung habe, weil mein Partner die Ehe gebrochen hat, darf es mir nie nur darum gehen, den anderen loszuwerden.
Das ist, was wir am Beispiel Gottes sehen und was Hosea uns vorlebt: Es gilt, um den sündigen Partner zu ringen.
Scheidung ja, aber Scheidung, um Raum zur Buße zu geben. Scheidung ist, wenn alle Versuche gescheitert sind, eine Ehe zu retten, das Mittel, um eine Ehe zu beenden.
Aber das primäre Ziel einer Scheidung ist Versöhnung.
Wenn Gott jahrhundertelang um Israel ringt, dürfen wir nicht beim ersten großen Problem unsere Ehe aufgeben.
Ein Ehebund ist ein Versprechen, aneinander zu hängen, „in guten wie in bösen Tagen“.
Jetzt könnte jemand fragen: Willst du behaupten, dass Gott Scheidung im Fall von Ehebruch erlaubt?
Antwort: Ja, aber nicht leichtfertig und nicht mit dem Wunsch, dass noch einmal etwas passiert. Aber auch nicht mit der Bereitschaft, ewig zu warten.
Das sieht man bei Gott. Am Ende heiratet er nicht die Hure, sondern die Braut – nicht Israel, sondern die Gemeinde.
Jetzt gibt es einen Bibelvers im Alten Testament, der auf den ersten Blick den Eindruck erweckt, dem eben Gesagten zu widersprechen. Er klingt so, als würde Gott grundsätzlich Scheidung hassen. Das ist Maleachi 2,16.
Ich lese ihn vor (Elberfelder):
„Denn ich hasse Scheidung, spricht der Herr, der Gott Israels, ebenso wie wenn man sein Gewand mit Unrecht bedeckt, spricht der Herr der Heerscharen. So hütet euch bei eurem Leben und handelt nicht treulos.“
Das Argument mit diesem Vers geht meist so: Weil hier keine Einschränkung genannt wird – „Ich hasse Scheidung“ – deshalb ist jede Form von Scheidung für Christen abzulehnen, weil Gott sie umfassend ablehnt.
Ich gehe da nicht mit.
Warum nicht? Weil Maleachi, wenn er das so schreibt, ein bestimmtes Problem vor Augen hat. Maleachi spricht als Prophet in eine bestimmte Situation hinein.
Wir sind im 5. Jahrhundert vor Christus. Israel ist seit über hundert Jahren aus der babylonischen Gefangenschaft zurück. Die Mauern Jerusalems sind wieder aufgebaut. Im Land leben Israeliten und Heiden nebeneinander.
Dadurch entsteht folgendes Problem: Die jüdischen Männer fangen an, heidnische Frauen zu heiraten und sich von der Frau ihrer Jugend zu trennen.
Erinnert euch an Maleachi 2:14:
„Ihr sagt: Weswegen? Deswegen, weil der Herr Zeuge gewesen ist zwischen dir und der Frau deiner Jugend, an der du treulos gehandelt hast.“
Die Frau der Jugend ist die jüdische Frau, die die jüdischen Männer in ihrer Jugend geheiratet hatten. Jetzt lassen sie sich von dieser Frau scheiden.
Es ist die exotische, jüngere Heidin, die einen israelischen Mann verführt, seine schon nicht mehr ganz so junge Ehefrau gegen ein attraktiveres Modell einzutauschen.
Es ist also nicht richtig zu sagen, Gott hasst alle Formen von Scheidung.
Wenn Gott durch Hosea sagt „Denn ich hasse Scheidung“, dann geht es nicht um jede Form, sondern zunächst nur um die, bei der man sich von einer gläubigen älteren Frau trennt, um eine jüngere Heidin zu heiraten.
Wäre jede Form von Scheidung immer falsch, hätten sich weder Hosea noch Gott scheiden lassen dürfen. Aber das ist hier bei Maleachi nicht der Fall.
Nochmal Maleachi 2,14-15:
„Ihr sagt: Weswegen? Vom Zusammenhang her geht es darum, dass Gott ihre Gebete nicht mehr erhört. Weswegen? Weil der Herr Zeuge gewesen ist zwischen dir und der Frau deiner Jugend, an der du treulos gehandelt hast, wo sie doch deine Gefährtin ist und die Frau deines Bundes. So hütet euch bei eurem Leben und handle nicht treulos an der Frau deiner Jugend!“
Ganz wichtiger Punkt: Gott hasst nicht die Scheidung, weil sie grundsätzlich einen Betrug darstellt, sondern er hasst die betrügerische Scheidung.
Ich sage es noch einmal: Gott hasst nicht die Scheidung, weil sie immer und in jedem Fall falsch ist, sondern er hasst die betrügerische Scheidung.
Eine betrügerische Scheidung liegt vor, wenn ich mich nur deshalb scheiden lasse, weil mir meine Frau nicht mehr genug ist.
An dieser Stelle ein wichtiger Hinweis, der eigentlich super wichtig ist, aber vermutlich nur wenige interessiert:
Die Übersetzung „Gott hasst Scheidung“ ist zwar prägnant, aber nicht gut. So steht es im Original nicht.
In Maleachi 2,16 steht nicht „Ich hasse Scheidung“, sondern wörtlich übersetzt: „Er (gemeint ist der untreue Ehemann) hasst seine Frau, lässt sich scheiden, spricht der Herr.“
Es gibt inzwischen englische Übersetzungen, die diese bessere Übersetzung aufgenommen haben. Im Deutschen nur die Einheitsübersetzung 2016, die sagt:
„Wenn einer seine Frau aus Abneigung verstößt, spricht der Herr, Israels Gott: Dann bedeckt er sein Gewand mit Gewalttat, spricht der Herr der Heerscharen.“
Das ist, muss man zugeben, die beste deutsche Übersetzung vom hebräischen Grundtext her.
Gott hasst Scheidung oder „Ich hasse Scheidung“, das steht eigentlich nicht da.
Ich weiß, das interessiert nicht viele und wird zu Diskussionen führen, aber es ist wichtig, das in einem Vortrag zu sagen, damit dieser Vers, der im Zentrum vieler Argumentationen steht, nicht mit so viel Gewicht belastet wird.
Also, ich fasse zusammen: Gott hasst Scheidung, wenn sie aus Treulosigkeit geschieht.
Jetzt wissen wir, was das Alte Testament grob zum Thema Scheidung sagt.
Es gibt noch zwei Themen, auf die ich nicht eingegangen bin, weil ich glaube, dass man sie nicht unbedingt braucht. Ich will sie nur kurz anreißen.
Punkt eins: Wann darf ein Mann sich nie mehr von seiner Frau scheiden lassen? Es gibt Verhaltensweisen, die es einem Mann grundsätzlich verbieten, sich scheiden zu lassen.
Zum Beispiel, wenn ein Mann seine Frau als Hure hinstellt, wenn er sagt, sie hatte schon vor der Ehe Sex, und sich dieser Vorwurf als falsch herausstellt (5. Mose 22,19).
Oder wenn ein Mann vor der Ehe eine Frau vergewaltigt oder betört – dann gilt das auch.
Ich habe das für mich so formuliert: Wer den Ruf seiner Frau vorsätzlich verletzt oder sich eheliche Rechte vor der Ehe nimmt oder gönnt, verliert sein Recht auf Scheidung.
Punkt zwei: Wenn im Neuen Testament bei Paulus die Rede davon ist, dass man „im Herrn“ heiraten soll (1. Korinther 7,39), also einen Christen, dann gilt entsprechend auch im Alten Testament, dass man keine heidnischen Frauen heiraten darf – heidnisch im Sinne von ungläubig.
Im Buch Esra wird beschrieben, wie Scheidung das legitime Mittel ist, um solche Ehen, die nicht hätten geschlossen werden dürfen (Israelit mit Heidin), wieder zu beenden.
Das sind die zwei Themen, auf die ich nicht weiter eingegangen bin, die ich nur kurz erwähnen wollte.
Das war der erste Vortrag zum Thema „Ehescheidung – eine theologische Erwägung“.
Anhängen
Zweitens: Anhängen
Das ist das Ziel einer Ehe, ganz grundsätzlich hier aus der Perspektive des Ehemanns. Aber andersherum gilt das auch für die Ehefrau. Bleiben wir zunächst beim Mann: Er hängt sich an seine Frau, er klebt quasi an ihr.
Wichtig ist, dass der Begriff „Anhängen“ Nähe beschreibt, aber nicht automatisch auch Dauerhaftigkeit. Das hebräische Wort „Dabak“ wird in der Bibel durchgängig für Beziehungen verwendet, die eng sind. Diese Beziehungen sind jedoch nicht unauflöslich.
Eine Ehe ist aus Gottes Sicht auf Intimität hin angelegt. Sie ist darauf ausgelegt, ein Leben lang zu halten – das ist das Ideal. Gleichzeitig ist eine Ehe aber auch eine Beziehung, die aufgelöst werden kann.
Woher nehme ich das? Die Antwort findet sich im Gebot „Du sollst nicht Ehe brechen“, zum Beispiel in 2. Mose 20,14. Wenn es verboten ist, eine Ehe zu zerbrechen, dann setzt dieses Gebot voraus, dass es die Möglichkeit gibt, genau das zu tun. Das ist logisch, oder? Es wäre sinnlos, etwas zu verbieten, was unmöglich ist.
Man kann eine Ehe zerbrechen. Moralisch ist das Zerbrechen einer Ehe falsch, aber faktisch ist es leider machbar. Und ich sage bewusst „leider“.
In Hochzeitspredigten hört man oft von einer mystischen, unauflöslichen Einheit zweier Eheleute. Fast so, als ob aus zwei Menschen ein neuer Mensch wird. Ganz ehrlich: Ich habe davon in meiner Ehe nichts gemerkt. Vielleicht verwechselt man Gewöhnung, Vertrautheit und Freundschaft mit einer mystischen Einheit.
Biblisch sehe ich das auch nicht so. Mir scheint, dass die Vorstellung einer mystischen, unauflöslichen Einheit einer Ehe eher ins Reich der Mythen gehört. Es wäre schön, wenn es so wäre – aber tatsächlich ist es nicht so.
Ein Fleisch werden
Dritter Punkt: Ein Fleisch werden – Intimität
Mit der Bezeichnung „ein Fleisch werden“ wird die sexuelle Gemeinschaft beschrieben. Diese Gemeinschaft entsteht zwischen denen, die sich zuvor entschieden haben, Vater und Mutter zu verlassen und aneinander zu hängen.
Sexualität ist die intimste Form von Gemeinschaft, die Eheleute erleben können.
Nun wissen wir, was eine Ehe ausmacht: das Verlassen der Eltern und das Aneinanderhängen, also eine intime Gemeinschaft.
Die rechtliche Dimension des Ehebundes
Aber wir haben bereits gesagt, dass eine Ehe ein Bund ist. Eine Ehe hat also nicht nur eine persönliche, sondern auch eine rechtliche Dimension. Die Idee des Bundes nehme ich zunächst aus Maleachi 2,14. Worum es in diesem Text geht, werden wir später sehen. Ich lese einfach mal die Stelle vor:
„Weswegen? Deswegen, weil der Herr Zeuge gewesen ist zwischen dir und der Frau deiner Jugend, an der du treulos gehandelt hast, wo sie doch deine Gefährtin ist und jetzt kommt’s: die Frau deines Bundes.“
Ein Bund ist zunächst eine Übereinkunft zwischen zwei Personen. Die Bündnispartner im Ehebund sind Mann und Frau. Es handelt sich um einen bilateralen Bund. Es gibt also zwei Parteien, und diese beiden Parteien sind im Ehebund aneinander gebunden.
Der Ehebund hängt an Bedingungen. Was jetzt kommt, ist simpel, aber sehr wichtig: Ein Ehebund hängt an Bedingungen. Werden diese Bedingungen nicht eingehalten, hat man den Bund gebrochen. Eigentlich ganz simpel.
Ein Ehebund ist ein Bund zwischen zwei Parteien – hier Mann und Frau. Es gibt Bedingungen, und wenn diese nicht eingehalten werden, ist der Bund gebrochen. „Du sollst nicht Ehe brechen“ – so warnt das Gebot davor, die Bündnisverpflichtungen zu verletzen. Es geht also um viel mehr als nur ums Fremdgehen. Fremdgehen ist das, was der Richter ahnden kann. Aber Ehebruch beginnt im Herzen, wenn ich nicht mehr bereit bin, die Dinge zu tun, die ich meinem Ehepartner zu Beginn der Ehe versprochen habe.
Nochmal, weil ich es vorhin schon gesagt habe: Der Ehebund ist darauf angelegt, dass zwei aneinander hängen. Wer einen Ehebund schließt, verspricht seinem Partner: Ich will mich an dich hängen, ich will an dir kleben. Ohne dass dies noch einmal explizit erwähnt werden müsste, steckt das schon in der Idee Ehe.
Wie das dann praktisch aussieht, dieses Aneinanderhängen, ist bestimmt auch ein wenig von der Kultur abhängig, in der man lebt. So wurde im Alten Testament für den Mann ein Schwerpunkt auf die praktische Versorgung seiner Frau gelegt. Ja, selbst wenn er zwei Frauen hatte, durfte er der Ersten nicht an Nahrung, Kleidung und Sexualität fehlen lassen. Wobei hier Sexualität auch etwas mit Altersversorgung zu tun hat, denn die Frau bekam Kinder, die sich im Alter um sie kümmern sollten. Er durfte ihr Nahrung, Kleidung und Sexualität nicht einschränken.
Paulus bringt es dann so auf den Punkt: Ein Mann muss seine Frau lieben wie seinen eigenen Körper. Wenn er das nicht mehr tut, wenn er aufhört, ganz praktisch seine Frau zu lieben, wenn er gewalttätig oder passiv wird, dann bricht er die Ehe.
Für die Frau legt das Alte Testament in Bezug auf Ehebedingungen den Schwerpunkt auf die eheliche Treue. Das Neue Testament betont dann, auch mit Verweis auf das Alte Testament, den Punkt der Unterordnung. Wie der Mann seine Frau lieben soll, so soll die Frau ihm mit Respekt begegnen.
Wie gesagt, hier sind Schwerpunkte beschrieben. Auch der Mann soll natürlich treu sein, und die Frau sich um die Bedürfnisse des Mannes kümmern. Mir ging es hier nur darum, zu zeigen, dass man die Ehe als Bund verstehen muss. Zu einem Bund gehören Bundesbedingungen, die nicht immer explizit noch einmal benannt werden müssen, um zu gelten. Sie sind quasi im Ehebund immanent und gelten für alle Ehen.
Es gibt keine Ehe, in der ein Mann nicht an seiner Frau kleben müsste und sich nicht um ihre Bedürfnisse kümmern müsste. Es gibt keine Ehe, in der eine Frau einfach fremdgehen darf, ohne dass sie zur Ehebrecherin wird. Das zieht sich durch und gilt immer.
An der Stelle, wenn ich sage, dass eine Ehe implizite Bundesbedingungen enthält und es im Wesentlichen darum geht, dass man einander verspricht, aneinander zu kleben, ein Hinweis: Neben diesen allen Ehen zugrunde liegenden Bedingungen gibt es natürlich auch noch explizite persönliche Bedingungen. Das sind die, die wir einander vor dem Traualtar versprechen.
Mein Tipp an junge Paare: Versprecht euch nichts, jedenfalls nicht mehr als das, was sowieso schon zur Ehe gehört. Auf keinen Fall so einen Schnickschnack wie: „Ich werde, wenn wir uns streiten, immer auf dich zugehen.“ Schön, wenn du das willst, nimm es dir ruhig vor. Aber wenn du es versprichst, wird es formal Teil eurer Bundesbeziehung. Und du wirst in dem Moment zum Ehebrecher, wenn du bei einem Streit nicht gleich auf deinen Partner zugehst, sondern vielleicht zu Recht denkst: Jetzt wäre es echt mal an der Zeit, dass der andere sich bewegt.
Vorsicht bei diesen expliziten persönlichen Versprechen, die ich den impliziten Bundesbedingungen einer Ehe hinzufüge – einfach nur Vorsicht.
Zusammenfassung zum Verständnis von Ehe und Ehebruch
Wo stehen wir jetzt? Wir wissen, was eine Ehe ist: ein Bund zwischen einem Mann und einer Frau. Wir wissen auch, wo Ehebruch anfängt – nämlich dort, wo ich nicht mehr an meinem Partner hänge, sondern mir etwas anderes wichtiger wird.
Ehebruch ist immer eine Sache des Herzens. Natürlich spielt dabei meist auch eine andere Person eine Rolle, das muss aber nicht so sein. Ich kann auch mehr an meiner Karriere, meinem Hobby oder meinen Kindern hängen und so zum Ehebrecher werden. Wie gesagt: Ehebruch ist eine Sache des Herzens.
Hören wir kurz, was Jesus dazu sagt, in Matthäus 5,27-28: "Ihr habt gehört, dass gesagt ist: Du sollst nicht Ehe brechen. Ich aber sage euch, dass jeder, der eine Frau ansieht, sie zu begehren, schon Ehebruch mit ihr begangen hat in seinem Herzen."
Lange bevor also ein Mann tatsächlich fremdgeht, geschieht der Ehebruch im Herzen. Ein heimliches Begehren bekommt noch lange kein Richter mit, es ist nicht strafbar. Aber in den Augen Gottes ist es bereits Ehebruch.
Das Gebot "Du sollst nicht Ehe brechen" aus den Zehn Geboten ist für Richter geschrieben. Jesus erklärt uns in der Bergpredigt, was die Schriftgelehrten und Pharisäer seiner Zeit hätten auch wissen können: Wenn ein Richter Ehebruch feststellt, dann hat lange vorher Ehebruch im Herzen stattgefunden.
Moralisch beginnt der Ehebruch dort, wo ich mich innerlich von meinem Partner distanziere und dann überlege, wie ich – sagen wir mal – ohne strafrechtliche Konsequenzen möglichst so aus der Ehe herauskomme, dass mir danach keiner einen Vorwurf machen kann.
Einführung in das Thema Scheidung und biblische Praxis im Alten Testament
Jetzt haben wir eine Vorstellung von Ehe und von Ehebruch. Nun geht es um das Thema Scheidung.
Bevor ich darauf eingehe, möchte ich auf eine Sache hinweisen, die ich spannend finde. Im Alten Testament werden geschiedene Frauen ganz selbstverständlich wieder geheiratet. Wir werden sehen, dass Jesus im Neuen Testament dazu auf den ersten Blick eine andere Meinung vertritt. Aber bis zu Jesus ist es die Regel, dass Geschiedene wieder geheiratet wurden.
Es gibt eine Ausnahme, und zwar für Priester. Diese Ausnahme wird in 3. Mose 21,7.13-14 beschrieben: „Eine Hure und eine Entehrte sollen sie, das sind die Priester, nicht zur Frau nehmen, und eine von ihrem Mann Verstoßene sollen sie nicht nehmen, denn heilig ist er seinem Gott. Eine Jungfrau soll er zur Frau nehmen, keine Witwe oder Verstoßene oder Entehrte oder Hure, sondern eine Jungfrau seines Volks soll er zur Frau nehmen.“
Das bedeutet, Priester durften nur Jungfrauen heiraten. Für alle anderen gab es keine Einschränkungen. Und hier wird ganz selbstverständlich die Verstoßene, also die Geschiedene, neben der Witwe, der Hure und der Entehrten – das heißt der sexuell Entehrten – genannt.
Wenn der Priester also die Ausnahme von der Regel ist, dann ist die Regel, dass man Verstoßene wieder heiraten durfte. Das ist interessant, denn nirgendwo im Alten Testament wird das als problematisch angesehen.
Wie unwichtig die Herkunft einer Ehefrau war, zeigt sich daran, dass Rahab eine Hure, Ruth eine Witwe und Gomer eine Entehrte war. Gleichzeitig merken wir, wie normal es war, dass es Verstoßene, also Geschiedene, gab. Eigentlich sollte eine Ehe ein Leben lang halten, aber die Existenz von Verstoßene, von Geschiedenen, setzt voraus, dass es auch Scheidungen gab.
Spannend ist, dass es trotz der Existenz von Verstoßene im mosaischen Gesetz kein Scheidungsrecht gibt. Man kann die fünf Bücher Mose durchlesen und findet nirgendwo einen Absatz, der beschreibt, wie eine Scheidung abzulaufen hat.
Es gibt einen Abschnitt, der von einem Scheidebrief spricht – also von einem Dokument, mit dem ein Ehemann zum Ausdruck bringen konnte, dass er sich von seiner Frau getrennt hat. Aber mehr haben wir nicht.
Ich gebe zu, dieser Abschnitt hat es in sich. Die jüdischen Gelehrten haben ihn benutzt, um zu begründen, was eine legitime Scheidung braucht: nämlich nicht mehr als einen Scheidebrief – ein Stück Papier – plus den fehlenden Wunsch des Mannes, an seiner Ehe festzuhalten. Das war genug für eine legitime Scheidung.
Und wir merken schon allein daran, wie ich es formuliert habe, dass hier etwas nicht stimmen kann. Wie sehr die Sache stinkt, werden wir später feststellen.
Analyse von 5. Mose 24,1-4: Scheidung und Wiederheirat im Alten Testament
Jetzt zunächst die Stelle selbst, auf die sich die jüdischen Gelehrten beziehen: 5. Mose 24,1-4.
Wenn ein Mann eine Frau nimmt und sie heiratet, und es geschieht, dass sie keine Gunst in seinen Augen findet, weil er etwas Anstößiges an ihr gefunden hat, und er ihr einen Scheidebrief geschrieben, ihn in ihre Hand gegeben und sie aus seinem Haus entlassen hat.
Und sie ist aus seinem Haus gezogen und ist hingegangen und die Frau eines anderen Mannes geworden.
Wenn dann auch der andere Mann sie gehasst hat und ihr einen Scheidebrief geschrieben, ihn in ihre Hand gegeben und sie aus seinem Haus entlassen hat, oder wenn der andere Mann stirbt, der sie sich zur Frau genommen hat, dann kann ihr erster Mann, der sie entlassen hat, sie nicht wiedernehmen, dass sie seine Frau sei.
Nachdem sie unrein gemacht worden ist, denn ein Gräuel ist das vor dem Herrn, und du sollst das Land, das der Herr, dein Gott, dir als Erbteil gibt, nicht zur Sünde verführen.
Zuerst einmal sehen wir hier, mit welcher Selbstverständlichkeit man sich scheiden ließ und auch wieder heiratete.
Die Tatsache einer erneuten Heirat – also dass die Frau noch einmal heiratet, nachdem sie entlassen wurde – wird als völlig selbstverständlich angesehen.
Die zweite Ehe wird in keiner Weise moralisch bewertet. Sie ist nicht falsch, sie geschieht einfach.
Es scheint so zu sein, dass dort, wo eine Ehe formal beendet wird, selbstverständlich und in der damaligen Zeit auch notwendigerweise eine neue Ehe geschlossen wird.
Ein Bund zerbricht, ist aus, und wird durch einen neuen Bund ersetzt.
Der Sachverhalt ist schnell erklärt: Ein Mann verstößt seine Frau, die heiratet einen anderen, wird wieder verstossen oder wird Witwe, steht also dem Heiratsmarkt wieder zur Verfügung und darf dann den ersten Mann nicht mehr heiraten.
Darum geht es.
Diskussion um das „Anstößige“ und Schutz der Frau
Jetzt müssen wir uns dem Text nähern, um ihn besser zu verstehen. Die erste Diskussion dreht sich meist um die Frage: Was ist mit dem Anstößigen gemeint?
Wenn ein Mann eine Frau nimmt und sie heiratet, und es geschieht, dass sie keine Gunst in seinen Augen findet, weil er etwas Anstößiges an ihr gefunden hat, stellt sich die Frage, was genau darunter zu verstehen ist. Die Antworten der Rabbinen reichen von Ehebruch, wie bei Rabbi Schamay, bis hin zu irgendetwas, das dem Ehemann missfiel.
Rabbi Hillel meint, dass dabei eigentlich kein Ehebruch gemeint sein kann. Die Strafe für Ehebruch ist im mosaischen Gesetz nämlich nicht die Scheidung, sondern der Tod. Das Anstößige, wörtlich die Nacktheit einer Sache, wird im Text nicht weiter definiert. Wenn man ein wenig darüber nachdenkt, macht das auch Sinn. Denn es wird vom Ehemann festgelegt, der sich scheiden lässt. Es ist tatsächlich keine definierte Größe.
Wir müssen im Blick auf 5. Mose 24,1-4 eine Sache verstehen, die von allergrößter Bedeutung ist. Auch wenn die Rabbiner die Stelle später benutzt haben, um eine Scheidung aus jeder beliebigen Ursache zu rechtfertigen, so ist sie in 5. Mose zum Schutz der Frau aufgenommen worden.
Genau genommen geht es darum, dass man eine Ehefrau nicht ihrer Würde berauben darf, indem man sie wie ein Stück Vieh einfach abstößt und sie aus welchen Gründen auch immer später wieder zurücknimmt. Das Gebot dreht sich also nicht um den Ehemann, sondern um die Ehefrau.
Es wurde gegeben, um eine Frau vor einem Mann zu schützen, der sie einfach so entlässt, weil er das wollte. Indem er das tut, bricht er nämlich das Versprechen, für sie zu sorgen. Hier steht noch nicht, dass das dann Ehebruch ist, denn das Gebot dreht sich um den Schutz der Frau.
Jesus wird auf diesen Sachverhalt im Matthäusevangelium hinweisen. Die Scheidung ist von daher kein Zugeständnis an den Ehemann. Das dachten dann später die Rabbiner.
Die Scheidung ist kein Zugeständnis an den Ehemann, sondern das Okay Gottes zu einer an sich falschen Handlung des Ehemanns, die Gott aber toleriert, um die Frau vor dessen Herzenshärtigkeit zu schützen.
Das Gesetz schützt die Frau. Es schützt eine Frau, die ungerechterweise entlassen wurde, davor, sich aus welchen Gründen auch immer erneut auf diesen Mann einzulassen beziehungsweise einlassen zu müssen.
Bedeutung des Begriffs „unrein gemacht“ und gesellschaftliche Folgen
Jetzt müssen wir klären, was damit gemeint ist, dass sie „unrein gemacht worden ist“. Das taucht im Text ja auf. Ich lese das noch einmal vor: Vers 4 – „Dann kann ihr erster Mann, der sie entlassen hat, sie nicht widernehmen, dass sie seine Frau sei, nachdem sie unrein gemacht worden ist.“
Was bedeutet das?
Im Alten Testament unterscheiden wir zwischen zeremonieller Unreinheit und moralischer Unreinheit. Die zeremonielle Unreinheit betrifft nicht die Sünde, sondern verlangt, dass man sich absondern und ein Opfer bringen muss.
Es gibt aber nicht nur die zeremonielle Unreinheit, sondern auch die moralische Unreinheit. Diese ist wirklich Sünde. Dass hier nicht von zeremonieller Unreinheit die Rede ist, erkennt man daran, dass es keinerlei Reinigungsvorschriften gibt.
Aber auch die moralische Unreinheit ist nicht ganz einsichtig, denn sie wird nur im Hinblick auf die Wiederheirat mit dem ersten Mann relevant. Es geht also nicht um irgendeinen Mann. Sie könnte jeden anderen Mann heiraten, nur nicht den ersten Ehemann, der sie verstossen hat. Das ist der einzige Mann, den sie nicht heiraten darf.
Die Verbform von „unrein gemacht“ ist zudem besonders. Sie taucht nämlich nur hier auf. Man spricht von einem Hapaxlegomenon. Das ist deshalb interessant, weil man bei der Übersetzung und Auslegung vorsichtig sein muss.
Man liest nämlich schnell in den deutschen Text hinein, dass sich die Frau durch die zweite Ehe selbst verunreinigt hat – das wäre der reflexive Gebrauch des Verbs – oder dass sie durch die zweite Ehe verunreinigt wurde – der passive Gebrauch.
Aber Vorsicht! Hätte man das ausdrücken wollen, dann hätte es dafür entsprechende eigene Verbformen gegeben.
Hinzu kommt, dass der Text die zweite Ehe nicht verbietet. Sie kann also kaum der Grund für die Verunreinigung sein. Warum sollte Gott das Unausweichliche, nämlich eine zweite Ehe, nicht einfach verbieten, wenn er dagegen wäre?
Wenn aber Gott kein Problem mit einer zweiten Ehe hat, sehr wohl aber damit, dass eine Frau zu dem Mann zurückkehrt, der sie wegen etwas Anstößigem entlassen hat, dann ist „unrein gemacht“ ein Produkt der ersten Scheidung.
In dem Moment, in dem der erste Ehemann sie verstösst, macht er sie – und zwar mindestens in den Augen der Gesellschaft – unrein. Am Ende bleibt immer ein Makel an der Frau kleben, egal wie nichtig der Scheidungsgrund auch war.
Der Gräuel vor dem Herrn und die Folgen leichtfertiger Scheidung
Okay, jetzt haben wir zwei Punkte geklärt. Wie ist das mit dem Anstößigen? Was ist mit dem Unrein gemacht werden?
Bleibt die Frage, was genau dabei ein Gräuel für den Herrn ist. Ich lese noch einmal Vers 4 vor: „Dann kann ihr erster Mann, der sie entlassen hat, sie nicht wiedernehmen, dass sie seine Frau sei, nachdem sie unrein gemacht worden ist, wie ich denke, durch ihn, dadurch, dass er sie wegen einer Nichtigkeit entlassen hat; denn ein Gräuel ist das vor dem Herrn.“
Jetzt geht es um die Frage, was genau an der Stelle der Gräuel ist. Ich denke, es geht darum, dass ein Mann sich seiner Frau auf eine Weise entledigt, die sie in den Augen der Menschen unrein erscheinen lässt. Das ist der Gräuel.
Es geht um leichtfertige Scheidung. Das und dann der Wunsch, sie wie ein Stück Besitz einfach zurückzuholen, wenn er wieder Lust auf sie hat, ist ein Gräuel vor Gott. Denn der Mann hat mit seinem Verhalten seinen Ehebund gebrochen und setzt jetzt tatsächlich noch eins drauf, indem er seiner Frau noch einmal genau das versprechen will, was er schon beim ersten Mal nicht gehalten hat.
Zu allem Übel wäre das dann auch ein Akt der Verführung. Es geht in Vers 4 ja weiter: „Und du sollst das Land, das der Herr dein Gott dir als Erbteil gibt, nicht zur Sünde verführen.“
Warum Verführung? Nun, weil der, der das tut, anderen Männern suggeriert: „Du kannst mit deiner Frau genauso umgehen, du kannst mit ihr machen, was du willst.“ Es hat keine Konsequenzen. Und das geht gar nicht.
Prinzip der kasuistischen Gesetzgebung und Schutz vor betrügerischer Scheidung
Im Alten Testament finden wir eine sogenannte kasuistische Gesetzgebung. Dabei wird an einem konkreten Fall ein Prinzip vorgestellt. Die Frage ist nun, um welches Prinzip es sich hier handelt.
Das Prinzip lautet: Hartherzige Ehemänner dürfen sich in betrügerischer Absicht von ihrer Frau scheiden lassen. Dabei sind sie nicht schuldlos. Dennoch erlaubt Gott ihnen nicht, ihre Frau wieder zurückzunehmen.
Ich wiederhole es noch einmal: Hartherzige Ehemänner dürfen sich in betrügerischer Absicht von ihren Frauen scheiden lassen. Sie sind nicht schuldlos. Aber Gott erlaubt es ihnen nicht, ihre Frau wieder zurückzunehmen.
Darum geht es in 5. Mose 24.
Entwicklung der Scheidungsstrafe und Beispiel Hosea
Wenn wir in der Bibel weitergehen und die fünf Bücher Mose hinter uns lassen, stellen wir fest, dass sich irgendwo vor der Deportation des Südreiches, also vor 586 v. Chr., die Strafe für Ehebruch zumindest teilweise von der Exekution, der Steinigung, hin zur Scheidung verändert hat.
Das ist auch der Grund, warum Joseph, als er feststellt, dass Maria schwanger ist, sich nur scheiden lassen will. Scheidung wird also zu einer Strafe für Ehebruch. Das ist wichtig, wenn die Scheidung als Ersatz für die Steinigung zur Disziplinierung eines Ehebruchs verwendet wurde.
Das bedeutet auch, dass eine Scheidung im Denken der Leute einer Steinigung gleichkam. Logisch, oder? So wie der Tod einer Ehebrecherin eine Ehe beendete, so beendet auch die Scheidung eine Ehe. Die Scheidung als Rechtsakt kann in ihren Auswirkungen nicht hinter einer Steinigung zurückbleiben. In beiden Fällen muss die erste Ehe beendet sein.
Wenn das nicht so wäre, wäre der unschuldige Teil angeschmiert und sollte tatsächlich lieber auf die Todesstrafe bestehen. Wenn ich mich scheiden lasse und dann doch irgendwie noch mit meiner Frau verbunden bin oder sie mit mir, wäre es besser, ich würde auf Steinigung bestehen. Dann bin ich auf alle Fälle los. Das ist der Gedanke.
Gott selbst greift dieses veränderte Denken und Verhalten im Volk, also Scheidung statt Steinigung, auf, wenn er argumentiert. Was wir in den Propheten lesen, nimmt dieses neue Denken auf. Man sieht das sehr schön bei dem Propheten Hosea.
Hosea ist ein Prophet, der eine hurerische Frau heiraten muss, um durch sein Leben und das Leid seines Lebens zu zeigen, wie sehr Gott unter dem Götzendienst von Israel leidet. Hosea 1,2: Als der Herr anfing, mit Hosea zu reden, sprach der Herr zu Hosea: „Geh, nimm dir eine hurerische Frau und zeuge hurerische Kinder, denn das Land treibt ständig Hurerei.“ Gemeint ist geistliche Hurerei, also Götzendienst vom Herrn weg.
Hosea gehorcht, bekommt Kinder, und dann heißt es in Kapitel 2: „Richtet mit eurer Mutter!“ Hosea spricht zu seinen Kindern: „Richtet mit eurer Mutter, richtet, denn sie ist nicht mehr meine Ehefrau, und ich bin nicht mehr ihr Ehemann, damit sie ihre Hurerei von ihrem Gesicht entfernt und ihren Ehebruch zwischen ihren Brüsten.“
Hosea hat sich also von Gomer, seiner ehebrecherischen Frau, geschieden. Was dann folgt, ist eine Aufzählung von Strafen. Im Buch Hosea geht das durcheinander, weil Hosea ja für Gott steht. Nun werden Strafen genannt, die Hosea beziehungsweise Gott für seine Ehefrau beziehungsweise Israel vorgesehen hat, weil beide zu Huren geworden sind.
Und der Clou: Gomer, die Ehefrau von Hosea beziehungsweise Israel, die Ehefrau Gottes, ist dann tatsächlich einsichtig. Hosea 2,9 heißt es: „Dann wird sie ihren Liebhabern nachjagen und sie nicht erreichen, und sie wird sie suchen und nicht finden. Dann wird sie sagen: Ich will mich aufmachen und zu meinem ersten Mann zurückkehren.“
Das ist das, was im Kopf von Israel beziehungsweise, weil Israel die Realität und das Bild dafür ist, Gomer, im Kopf der Ehefrau von Hosea vorgeht. Der Gedanke: Ich will zu meinem ersten Ehemann zurückkehren, denn damals ging es mir besser als jetzt.
Und der erste Mann beziehungsweise Gott lädt diese Ehefrau, von der er sich geschieden hat und die jetzt bereit ist, Buße zu tun, tatsächlich wieder ein. Hosea 2,16: „Darum siehe, ich will sie locken und sie in die Wüste führen und ihr zu Herzen reden.“
Bildhaft wird das Verhältnis Gottes zu Israel beschrieben. Praktisch durchlebt Hosea das, was Gott hier beschreibt. Er heiratet eine hurerische Frau, erlebt ihre Untreue, lässt sie scheiden und bestraft seine Frau. Wir wissen nicht genau, wie, denn Gott beschreibt im Buch Hosea, wie er strafend mit Israel umgeht. Irgendetwas wird Hosea auch getan haben.
Dann kehrt sie wieder zurück. Wahrscheinlich hat Hosea sie sogar aus der Sklaverei zurückgekauft.
Aber halt, jetzt könnte man sagen: Hier heiratet doch eine Geschiedene ihren ersten Ehemann. War das nicht genau das, was in 5. Mose 24 verboten war? Nein, wir müssen das Prinzip verstehen.
5. Mose 24 bezieht sich auf hartherzige Ehemänner und ist zum Schutz der Frau geschrieben. Es ist als Prinzip nicht anzuwenden auf einen treuen Ehemann, der sich zwar aufgrund der Untreue seiner Frau hat scheiden lassen, diese Scheidung aber als ein Mittel zur Korrektur versteht.
Der hartherzige Ehemann lässt sich scheiden, weil er eine andere Frau besser findet. Der treue Ehemann lässt sich scheiden, weil er der Tatsache Rechnung trägt, dass seine Frau ihn betrogen hat. Aber er tut das mit dem Wunsch, sie wiederzugewinnen und sie dahin zu bringen, dass sie Buße tut.
Genau das tut Hosea, und es klingt danach, als wäre Gomer wirklich einsichtig. Das hat Gott getan, und auch Israel ist einsichtig.
Gottes Scheidung von Israel als geistlicher Ehebruch
Noch ein kurzer Blick auf Gottes Umgang mit Israel. Israel betreibt geistlichen Ehebruch, folgt anderen Göttern, und Gott scheidet sich von seinem Volk.
In Jeremia 3,6-8 heißt es: „Und der Herr sprach zu mir in den Tagen des Königs Josia: Hast du gesehen, was Israel, die Abtrünnige, getan hat? Sie ging auf jeden hohen Berg und unter jeden grünen Baum und turtelte dort. Und sie sprach: Nachdem sie das alles getan hat, wird sie zu mir zurückkehren. Aber sie kehrte nicht zurück. Und ihre treulose Schwester Juda sah es und sah auch, dass ich Israel, die Abtrünnige, eben deshalb entließ, weil sie die Ehe gebrochen hatte, und ihr den Scheidebrief gab. Doch ihre Schwester Juda, die Treulose, fürchtete sich nicht, sondern ging hin und trieb selbst auch Hurerei.“
Hier wird die Deportation des Nordreiches als Scheidung beschrieben, inklusive eines Scheidebriefs. Jesaja 50,1 spricht ebenfalls von einer Scheidung und einem Scheidebrief, allerdings im Blick auf das Südreich.
Gott lässt sich von Israel scheiden, bestraft es durch die Wegführung – zuerst das Nordreich, dann das Südreich – und lockt es später wieder zu sich zurück. So heißt es, Israel solle erneut heiraten, wie Hosea seine Gomer.
Israel kommt tatsächlich wieder ins Land zurück und baut den Tempel erneut auf. Tragischerweise verfällt es dann nicht wieder dem Götzendienst, sondern der Selbstgerechtigkeit und bricht so in gewisser Weise die Ehe erneut.
Auch in einer Ehe kann man sich versündigen, indem man sich nur um sich selbst dreht. Man muss nicht unbedingt fremdgehen.
Lehren aus Gottes Umgang mit Israel für den Umgang mit Scheidung
Was lerne ich aus dem Umgang Gottes mit Israel? Ich lerne, dass ein Bund, auch wenn man ihn brechen kann, eine zutiefst heilige Sache ist. Eine Scheidung darf selbst bei schwerster Sünde nie leichtfertig ausgesprochen werden.
Selbst dort, wo ich vermeintlich ein Recht auf Scheidung habe, weil mein Partner die Ehe mit Füßen getreten hat, darf es mir nie nur darum gehen, den anderen loszuwerden. Das ist das, was wir am Beispiel Gottes sehen. Das ist das, was Hosea uns vorleben muss. Es gilt, um den sündigen Partner zu ringen.
Scheidung ja, aber Scheidung, um Raum zur Buße zu geben. Scheidung ist, wenn alle Versuche gescheitert sind, eine Ehe zu retten, das Mittel, um eine Ehe zu beenden. Aber das primäre Ziel einer Scheidung ist die Versöhnung.
Wenn Gott Jahrhunderte um Israel ringt, dann dürfen wir auch nicht beim ersten großen Problem unsere Ehe aufgeben. Ein Ehebund ist ein Versprechen. Und zwar ein Versprechen, aneinander zu hängen, wie es so schön in vielen Trauversprechen heißt: in guten wie in bösen Tagen.
Erlaubnis zur Scheidung im Fall von Ehebruch
Jetzt könnte jemand fragen: Jürgen, willst du mit dem, was du eben gesagt hast, behaupten, dass Gott die Scheidung im Fall von Ehebruch erlaubt?
Die Antwort lautet: Ja, aber nicht leichtfertig und nicht mit dem Wunsch, dass so etwas noch einmal passiert. Ebenso wenig mit der Bereitschaft, ewig zu warten. Denn auch das sieht man bei Gott.
Am Ende heiratet er nicht die Hure, sondern die Braut – also nicht Israel, sondern die Gemeinde.
Deutung von Malachi 2,16 im Kontext
Im Alten Testament gibt es einen Bibelvers, der auf den ersten Blick den Eindruck erweckt, als widerspreche er dem zuvor Gesagten. Er klingt so, als würde Gott grundsätzlich Scheidung hassen. Dabei handelt es sich um Maleachi 2,16. Ich lese ihn nach der Elberfelder Übersetzung vor:
„Denn ich hasse Scheidung, spricht der Herr, der Gott Israels, ebenso wie wenn man sein Gewand mit Unrecht bedeckt, spricht der Herr der Heerscharen. So hütet euch bei eurem Leben und handelt nicht treulos.“
Das Argument, das oft mit diesem Vers verbunden wird, läuft meist folgendermaßen ab: Da hier keine Einschränkung genannt wird – „Denn ich hasse Scheidung“, spricht der Herr – und weil es keine Einschränkung gibt, müsse jede Form von Scheidung von Christen abgelehnt werden. Gott lehne hier umfassend jede Scheidung ab.
Ich möchte jedoch davor warnen, dieser Sicht uneingeschränkt zuzustimmen. Warum nicht? Weil Maleachi, wenn er so schreibt, ein ganz bestimmtes Problem vor Augen hat. Maleachi spricht als Prophet in eine ganz bestimmte Situation hinein.
Wir befinden uns hier im fünften Jahrhundert vor Christus. Israel ist seit über hundert Jahren aus der babylonischen Gefangenschaft zurück. Die Mauern Jerusalems sind wieder aufgebaut, und im Land leben Israeliten und Heiden nebeneinander. Daraus entsteht folgendes Problem: Die jüdischen Männer beginnen, heidnische Frauen zu heiraten und sich von der Frau ihrer Jugend zu trennen.
Erinnert euch an das, was wir ganz am Anfang in Maleachi 2 gelesen haben, speziell Maleachi 2,14. Ich lese es noch einmal vor:
„Ihr sagt: Weswegen? Deswegen, weil der Herr Zeuge gewesen ist zwischen dir und der Frau deiner Jugend, an der du treulos gehandelt hast.“
Die „Frau der Jugend“ ist die jüdische Frau, die die jüdischen Männer in ihrer Jugend geheiratet hatten. Nun lassen sie sich von dieser Frau der Jugend scheiden. Stattdessen heiraten sie eine exotische, jüngere Heidin, die den israelischen Mann dazu verführt, seine schon nicht mehr ganz so junge Ehefrau gegen ein attraktiveres Modell einzutauschen.
Es ist also nicht richtig zu sagen, Gott hasse alle Formen von Scheidung. Wenn Gott durch Maleachi spricht: „Denn ich hasse Scheidung“, dann geht es nicht um jede Form der Scheidung. Es geht zunächst nur um die Scheidung, bei der sich ein Mann von einer gläubigen, älteren Frau trennt, um eine jüngere Heidin zu heiraten.
Wäre jede Form von Scheidung immer falsch, dann hätten sich weder Hosea noch Gott scheiden lassen dürfen. Aber das ist hier bei Maleachi nicht der Fall.
Noch einmal Maleachi 2,14 und 15:
„Ihr sagt: Weswegen? Vom Zusammenhang her geht es darum, dass Gott ihre Gebete nicht mehr erhört. Weswegen? Deswegen, weil der Herr Zeuge gewesen ist zwischen dir und der Frau deiner Jugend, an der du treulos gehandelt hast, wo sie doch deine Gefährtin ist und die Frau deines Bundes. So hütet euch bei eurem Leben und handelt nicht treulos an der Frau deiner Jugend.“
Ein ganz wichtiger Punkt: Gott hasst nicht die Scheidung, weil sie grundsätzlich einen Betrug darstellt. Vielmehr hasst er die betrügerische Scheidung. Ich sage es noch einmal: Gott hasst nicht die Scheidung, weil sie immer und in jedem Fall einen Betrug oder etwas Falsches darstellt. Er hasst die betrügerische Scheidung.
Eine solche betrügerische Scheidung liegt vor, wenn ich mich nur deshalb scheiden lasse, weil mir meine Frau nicht mehr genug ist.
Textkritische Anmerkung zur Übersetzung von Malachi 2,16
An dieser Stelle ein Hinweis, der eigentlich sehr wichtig ist, aber vermutlich nur wenige interessieren dürfte.
Die Übersetzung „Gott hasst Scheidung“ ist zwar prägnant, aber nicht korrekt. So steht es im Originaltext eigentlich nicht. In Maleachi 2,16 heißt es nicht „Ich hasse Scheidung“, sondern ich übersetze es jetzt einmal sehr wörtlich: „Er, gemeint ist der untreue Ehemann, hasst nämlich seine Frau, lässt sich scheiden, spricht der Herr.“ Das ist der eigentliche Wortlaut.
Es gibt inzwischen englische Übersetzungen, die diese meiner Meinung nach bessere Übersetzung übernommen haben. Im Deutschen ist dies nur in der Einheitsübersetzung von 2016 der Fall. Dort heißt es: „Wenn einer seine Frau aus Abneigung verstößt, spricht der Herr, Israels Gott, ‚Dann bedeckt er sein Gewand mit Gewalttat, spricht der Herr der Hirscharen.‘“
Das ist, muss man zugeben, vom hebräischen Grundtext her die beste deutsche Übersetzung. „Gott hasst Scheidung“ oder „Ich hasse Scheidung, spricht der Herr“ steht eigentlich nicht da.
Ich weiß, das interessiert vermutlich nicht viele Leute, und es wird wahrscheinlich wieder zu vielen Diskussionen Anlass geben. Ich möchte aber auch nicht alles auf dieser textkritischen Auseinandersetzung aufbauen. Dennoch ist es wichtig, dass wir das in einem Vortrag auch einmal sagen, damit dieser Vers, der im Zentrum vieler Argumentationen steht, nicht mit zu viel argumentativem Gewicht belastet wird.
Ich fasse zusammen: Gott hasst Scheidung, wenn diese aus Treulosigkeit geschieht.
Weitere Themen und abschließende Hinweise
Jetzt wissen wir in groben Zügen, was das Alte Testament zum Thema Scheidung sagt. Es gibt noch zwei Themen, auf die ich nicht eingegangen bin, weil ich glaube, dass man sie nicht unbedingt braucht. Ich möchte sie nur kurz anreißen.
Punkt eins: Wann darf ein Mann sich nie mehr von seiner Frau scheiden lassen? Es gibt Verhaltensweisen, die es einem Mann grundsätzlich verbieten, sich scheiden zu lassen. Zum Beispiel dann, wenn ein Mann seine Frau als eine Hure hinstellt, indem er sagt, sie habe schon vor der Ehe Sex gehabt, und sich dieser Vorwurf als falsch herausstellt (5. Mose 22,19).
Oder wenn ein Mann vor der Ehe eine Frau – und hier könnte man übersetzen mit „vergewaltigt“ oder „betört“ – behandelt, dann gilt das auch. Ich habe das für mich so formuliert: Wer den Ruf seiner Frau vorsätzlich verletzt oder sich eheliche Rechte vor der Ehe gönnt oder nimmt, verliert sein Recht auf Scheidung.
Ein zweiter Punkt: Wenn im Neuen Testament bei Paulus die Rede davon ist, dass man „im Herrn“ heiraten soll (1. Korinther 7,39) – ich würde das mit „einen Christen“ übersetzen – dann gilt entsprechend auch im Alten Testament, dass man keine heidnischen Frauen heiraten darf. Heidnisch bedeutet hier im Sinne von ungläubig.
Im Buch Esra wird beschrieben, wie Scheidung das legitime Mittel ist, um solche Ehen, die nicht hätten geschlossen werden dürfen, also zwischen Israeliten und Heiden, wieder zu beenden.
Das sind die zwei Themen, auf die ich nicht weiter eingegangen bin, die ich nur kurz erwähnen wollte. Das war der erste Vortrag zu dem Thema „Ehescheidung – eine theologische Erwägung“.
