Herr Präsident, liebe Freunde!
Am vergangenen Freitag durfte ich unseren Herrn Landesbischof vertreten, als der Erzbischof vom Sudan zu Besuch war. Es handelte sich um den anglikanischen Erzbischof Juwukum, der wirklich ein Purpurhemd trug und ein wunderbares großes Kreuz, als Herr über Gemeinden mit insgesamt drei Millionen Christen.
Er war mit einem Hilfsflugzeug des Lutherischen Weltbundes aus Juba ausgeflogen worden. Ich weiß nicht, ob Sie sich auf der Landkarte vorstellen können, wo ungefähr der Sudan liegt. Wir lernen ja auch oft erst nach Monaten, wo Herzegowina ist und wo Bosnien liegt.
Wenn man nach Afrika hineinfliegt, etwa in der Morgendämmerung am Nil entlang, sieht man rechts und links vom Nil die fruchtbar bewässerte Gegend. Dann kommt man beinahe noch an die fruchtbare Gegend um Khartum im Sudan. Dort gabeln sich die Quellflüsse des Nils, der Weiße und der Blaue Nil.
In dieser Region leben heute Christen, Schwestern und Brüder, die unter einer unglaublich harten Bedrohung durch den Islam stehen.
Die bedrängte Christenheit im Sudan
Der Staatspräsident Numeri hatte zwar die Scharia, diese islamische Gesetzgebung, die bei Kleinigkeiten die Hand abhackt und Todesstrafen zur Tagesordnung macht, zunächst nur auf dem Papier. Doch inzwischen wird sie tatsächlich angewendet. Numeri konnte die fanatischen Muslime nicht mehr zurückhalten.
Im Süden des Sudan lebten hauptsächlich Christen, vor allem reformierte Christen. Man nennt sie Presbyterianer oder Anglikaner, die im letzten Jahrhundert durch die Church Missionary Society für den Glauben an Jesus gewonnen wurden.
Die Stadt Juba hat normalerweise etwa 80.000 Einwohner. Heute leben dort nahezu zwei Millionen Menschen. Die Stadt ist von der Regierungsarmee des Nordsudans eingeschlossen, die vor sich einen Minengürtel errichtet hat. Aber auch die Verteidiger, die Rebellenarmee des Südsudan, haben sich mit einem Minengürtel geschützt. Durch diese beiden Minengürtel kommt niemand hindurch.
Zwischen diesen Minengürteln steht die südsudanische Armee, und zwei Millionen Menschen leben dicht zusammengepfercht. Die einzige Verbindung zur Außenwelt ist ein Flugzeug des Lutherischen Weltbundes, das, wenn es genug Benzin bekommt, zweimal täglich von Nairobi aus anfliegt.
Die Tagesration für Erwachsene und Jugendliche in Juba besteht aus einem Plastiktütchen. Der Erzbischof hat uns gezeigt, dass darin zwölf Maiskörner und sechs Bohnenkerne enthalten sind. Damit können Menschen überleben. Gott hat uns herrlich gemacht, doch die kleinste Infektionskrankheit kann hier eine Seuche auslösen.
Der Bischof ist inzwischen mit dem Notflugzeug des Lutherischen Weltbundes nach Nairobi geflogen, um die Christenheit zu wecken. Er bittet um Hilfe, um Gottes Willen, und ruft die Christenheit weltweit dazu auf, die Bürgerkriegsparteien im Sudan, die nun seit zehn Jahren miteinander ringen, zur Vernunft zu bringen. Sie sollen endlich aufhören, so wie wir uns im Moment in Jugoslawien bemühen.
Dabei wurde mir deutlich, was es bedeutet, eingeschlossen zu sein und langsam zugrunde zu gehen. Viele in unserer Kirche fühlen sich ähnlich. Ich habe das früher vielleicht nicht so erkannt, aber auch viele Pfarrer erleben das so.
Wenn der Gottesdienstbesuch immer weiter zurückgeht und der Kindergottesdienst nur noch acht Kinder zählt, fragt man sich: Was soll ich denn um Gottes Willen noch machen?
Ermutigung durch lebendige Gemeinden und Hauskreise
Deshalb bin ich froh, dass wir in unserer Kirche immer wieder erleben, wie viel Freiheit wir haben. Gott lässt uns diese Freiheit auch nutzen.
Vor 14 Tagen war ich bei einem Hauskreis-Leitertreffen in Oberkochen. Dort waren 120 Hauskreise vertreten – Hausbibelkreise, nicht nur Hausgrillkreise oder Freudenfeste. In Marbach gibt es eine neue Bewegung, die Aktion „Neu anfangen“ wurde dort im letzten Frühjahr und Sommer durchgeführt. Sind 103 Gesprächskreise bereit, als Bibelkreise weiterzumachen?
Lasst uns nicht nur von Niederlagen oder Einschränkungen sprechen. Wir haben einen Gott, der uns aus der Umklammerung ins Freie führen will. Ich freue mich zu hören, dass in Sulz im nächsten Jahr, wenn Gott es will, diese Aktion „Neu anfangen“ Menschen erreichen wird. Dabei wird man zu den Menschen hingehen.
Zuerst wird es Telefongespräche geben, damit die Menschen nicht überrannt werden. So können erste Kontakte geknüpft und wahrgenommen werden.
Bei dem Hauskreis-Leitertreffen wurde ich neben einer schwarzgekleideten jungen Dame platziert. Ich fragte sie, ob sie in Trauer gekommen sei. Sie antwortete: Ja, aber ich muss gleich sagen, es ist vielleicht die wichtigste Zeit meines Lebens.
Ihr Mann hat zwei Jahre lang furchtbar an Krebs gelitten. Doch dann sind Christen gekommen – wissen Sie –, sagte sie. Ich bin katholisch und kenne die Bibel kaum. Aber Christen vom Hauskreis im Heidenheimer Bezirk kamen zu uns. Mein Mann hat vor dem Sterben Jesus gefunden, und auch ich habe Jesus gefunden.
So etwas geschieht in unserem Land: Jesus findet Menschen. Nicht nur der Tod findet Menschen, sondern durch den Tod gehen Menschen ins Leben ein. Wir sind nicht bloß eingeschlossen und am Verhungern. Gott gibt uns seine Speise.
Neue Chancen für das Evangelium in Osteuropa und Zentralasien
Vor einem Monat fand in Budapest die Tagung des Lausanner Komitees für Weltevangelisation statt. Die Brüder und Schwestern aus Usbekistan, Georgien, Estland, Lettland und der Ukraine berichteten, was es bedeutet, offene Türen für das Evangelium zu haben.
Sie erzählten, dass Gott die Barrieren, die siebzig Jahre lang die freie Verkündigung des Evangeliums verhindert hatten, überwunden hat. Die Grenzen sind gefallen, die Mauern zerstört. Christen in Russland sind nun sogar dazu getrieben, Kinderbibeln zu drucken. So sollen auch die Kinder, die von ihren Babuschkas nicht erreicht wurden, die Botschaft von Jesus hören.
Die Christen sagen: „Wir kommen zu euren Verlagshäusern.“ Da diese das Copyright besitzen und Tausende von Mark verlangen, wollen sie ebenfalls ein Copyright erwerben, um D-Mark drucken zu können und das Copyright zu bezahlen. Das geschieht voller Humor und mit großem Willen, das Evangelium weiterzugeben.
Wissen Sie, was das Hauptgebiet ihres Interesses ist? Es sind die Gefängnisse. Viele Menschen waren dort eingesperrt. Sie wollen den Verbrechern, die jetzt nicht entlassen wurden – im Gegensatz zu ihnen, die um ihres Glaubens und ihrer Überzeugung willen befreit wurden – das Evangelium nicht vorenthalten.
Dorthin hat Gott sie geführt. Jetzt gehen sie mit Missionsteams in die Gefängnisse, etwa in Sibirien, Nowosibirsk und Kasachstan. Gott führt aus der Enge in die Weite. So haben es die Basler Missionare immer dankbar gesungen: „Aus der Tiefe in die Höhe.“
Herausforderungen und Chancen der Minderheitskirchen in Europa
Aber es gibt auch andere Wege. Bei der Donau-Kirchenkonferenz, an der ich teilnehmen durfte, weil mein Haus an der Donau liegt, in Ulm, wollte man auch die deutschen Kirchen einbeziehen, die diese Konferenz teilweise finanzieren sollten. Es handelte sich um die Konferenz der Minderheitskirchen in der ehemaligen österreichisch-ungarischen Donaumonarchie: Polen, Tschechoslowakei, Jugoslawien und Ungarn.
Dabei sagte der Synodalsenior Pavel Smetana: „Außer in der Tschechoslowakei haben wir 40 Jahre lang geglaubt, unter dem Gericht Gottes zu stehen, weil wir das Evangelium in einem sozialistischen Staat nicht offen verkünden konnten. Jetzt aber haben wir alle Freiheiten. Wir dürfen Straßenversammlungen abhalten, in die Schulen zum Religionsunterricht gehen. Doch wir merken, dass es vielleicht gerade das Gericht Gottes ist, dass wir in Freiheit reden können und trotzdem nichts zu sagen haben.“
Er stellte die Frage: „Was ist denn das Evangelium von Jesus?“ Diese Frage möchte ich weitergeben. Was ist das Evangelium, die frohmachende Botschaft von Jesus, wenn wir in die Häuser gehen und es weitersagen sollen?
Pavel Smetana sagte weiter: „Vierzig Jahre lang haben wir als Kirchen den Sozialismus nur ein wenig kritisch betrachtet und geglaubt, das sei die Hauptaufgabe der Christenheit. Jetzt aber stürmt die katholische Kirche voran. Wie ein Phönix erhebt sie sich aus der Asche. Was haben wir Evangelischen eigentlich zu bringen?“
Liebe Brüder und Schwestern, ich glaube, wir müssen uns neu überlegen, was wir überhaupt zu bringen haben, was das Wort Gottes ist, das Evangelium. Konrad Eisler sagte einmal, wir müssten uns fragen, ob das Evangelium wie ein stinkender Hering ist, den wir aus der Tasche ziehen und über den wir rot werden müssen – oder ob es etwas Aktuelles, Neues ist.
Vorbereitung auf den Gemeindetag und die Bedeutung der Schrift
Und deshalb wollen wir unseren nächsten Gemeindetag am 18. Juni 1992 auf dem Killesberg feiern. Endlich haben wir wieder einmal die Hallen des Killesbergs bekommen. So müssen wir nicht mehr im Stadion einen christlichen Reichsparteitag veranstalten, sondern können wirklich miteinander in den Hallen zusammenkommen.
Wir haben die Losung ausgegeben: Gottes Wort ist die Wahrheit. Johann Albrecht Bengel ist auf einem Gemälde dargestellt, das im Sitzungssaal des Oberkirchenrats hängt. Es ist der einzige Wandschmuck neben einem alten gotischen Kruzifix. Unter dem Bild steht im Sitzungssaal der württembergischen Kirchenleitung: „Wenn die Kirche wacker ist, glänzt die Schrift. Wenn die Kirche kränkelt, bleibt die Schrift verliegen, verwelkt sie, bleibt sie auf der Strecke.“
Bengel hat dazu gesagt: Der nächste Satz bei ihm lautet: „In unserer Zeit“ – er meinte damals, vor 250 Jahren in der Aufklärung, wird zwar sehr oft die Heilige Schrift zitiert, besonders an den Stellen, da von Liebe und Frieden die Rede ist. Aber man versteht die Schrift dadurch menschlich und nicht göttlich.
Wenn die Kirche kränkelt, so dass man die Schrift bloß noch menschlich versteht, hauptsächlich menschlich, dann ist es höchste Zeit, dass wir wieder die Schrift als Wahrheit erkennen. Nicht nur, wenn alle so wären wie wir, sondern das ist gewiss wahr und glaubenswert: Als Christus Jesus in die Welt gekommen ist, um Sünder selig zu machen – unter denen ich in der ersten Reihe stehe.
Dass das Wort Gottes uns trifft, das ist unser Anliegen auf dem Killesberg. Wir wollen nicht über andere reden, sondern über uns. Ob wir in der letzten Woche, wenn wir es zusammenrechnen, vor Gott ausreichend verdient haben – eine Vier – oder bloß ein mangelhaft Fünf oder ein ungenügend. Und dass Gott seinen Sohn gesandt hat als Retter für sechser Leute, ist die Wahrheit.
Heute trägt jeder vor sich wie ein unsichtbares Schild, wie ein unsichtbares Transparent: „Wenn alle nur so wären wie ich – so ökologisch gesonnen, so friedensgesonnen, so charismatisch, so evangelikal, so pietistisch, so treu zur Landeskirche, so CDU-mäßig, so SPD-mäßig – dann wäre es recht.“
Und gleich dahinter steckt die Verzweiflung. Glauben Sie mir, als Seelsorger erlebt und als Ihr Mitchrist erlebt: Was ist in sechzig Jahren bei mir kaputt geworden, versäumt worden? Wie viele Menschen sind an mir enttäuscht, irre geworden? Was bin ich meinen engsten Angehörigen schuldig geblieben? Das ist gewiss wahr.
Um diese Wahrheit geht es uns am 18. Juni auf dem Killesberg: Dass Christus Jesus für Sünder wie mich und Sie gekommen ist. Deshalb wird es ein Festtag, an dem wir ganz neu die Wahrheit Gottes entdecken und dann auch davon anderen weitersagen können – nicht bloß überheblich, sondern so, dass andere merken: Da kommt ein Stück ihres Herzens mit.
Persönliche Erfahrungen mit der Wahrheit und dem Hingehen zu Menschen
Ich hatte einen Kirchenpfleger, der begeisterter Albverein-Mitglied war. Er sagte oft zu mir: „Herr Schäffbuch, Sie wären ja schon recht, wenn Sie wenigstens im Albverein wären.“ Dabei schwang viel Überzeugung mit. Er meinte, ich würde etwas wirklich Schönes versäumen, wenn ich nicht jeden Sonntag auf die Schwäbische Alb ginge.
Dass ich das akzeptieren konnte, ist die Wahrheit, die er bezeugen muss. Ich habe oft den Wunsch, dass, wenn wir die Wahrheit sagen, wenigstens ebenso viel davon spürbar wird, dass unser Herz mitschwingt. Dass Christus Jesus für mich gekommen ist, für den einfachen Mann, um mir seine Gerechtigkeit zu geben.
Ich lade dazu ein, jetzt schon zu beginnen – nicht nur am 18. Juni, an dem Sie sicher dabei sind, auch nicht nur, um Spenden zu geben, denn dafür sorgt Treue bereits. Sondern dass Sie Ihre Bibel im Vorfeld so lesen, dass Sie sich fragen: Wo trifft mich Gottes Wort? Wo trifft es mich? Alle Schrift ist von Gott eingegeben und nützlich zur Lehre, zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit.
Unsere Kirche wird weiter kränkeln, wenn wir einander nur das um die Ohren hauen, was wir für richtig halten. Wenn wir nicht miteinander anfangen, uns vom lebendigen Gott zeigen zu lassen, wo wir krank sind und wo er uns als der große Arzt gesund machen will.
Es ist ein Ausbruch aus der Enge der Selbstgerechtigkeit hinein in das weite Feld der Barmherzigkeit Gottes!
Von uns fünf Brüdern ist einer vor zwei Jahren verstorben. Wir haben Heimweh nach ihm. Es hat mich gefreut, weil ihn immer die Frage umgetrieben hat, ob sein Leben nicht sinnlos gewesen sei. Als ich einen alten Jugendfreund in Stuttgart traf, fragte ich ihn, wie er eigentlich zum Glauben gekommen sei. Er antwortete: „Weißt du nicht? Dein Bruder Albrecht hat mich nach der Konfirmation jeden Samstagmittag zwei Jahre lang besucht. Er wollte, dass ich in den Jugendkreis komme.“ Das sind 104 Mal.
Nach zwei Jahren ging ich einmal mit, um ihm einen Gefallen zu tun.
Hingehen in Treue zu den Menschen an die Haustüren hat Verheißung. Die Christenheit geht ein wie ein Primel, wenn wir immer nur Gemeindezentren und Versammlungshallen bauen und Handzettel drucken mit der Aufforderung: Kommt zu uns!
Früher sagte man: Ein Pfarrer muss seine Gemeinde erlaufen. Nicht nur, weil ich jetzt ein rechter Pfarrer sein will, sondern weil das Verheißung hat – mit Jesus zu den Menschen zu gehen.
Jesus will mit uns in die Welt hinausgehen und sich an unsere armseligen Fersen heften, wenn wir zu den Menschen gehen.
Ich habe in meiner Heimatgemeinde in Stuttgart den Segen eines Gemeindebesuchsdienstes erlebt, bei unserem Stadtmissionar Vogelgesang. Das war immer der Traum meines Lebens: In den Gemeinden, in denen ich wirken durfte, auch einen Besuchsdienst aufzubauen.
Nicht damit der Pfarrer den 71. und 72. Geburtstagsbesuch machen muss, sondern nur noch den 80. Auch nicht, damit das „Brot für die Welt“-Material unter die Leute kommt, sondern damit Menschen merken: Da will mich jemand. Will mich jemand hinter der Haustür kennenlernen. Ich bin dem wichtig, nicht nur meiner Post im Briefkasten.
Wir haben jahrelang darum gerungen, bis Gott Türen geöffnet hat. Eines Tages hatten wir den Mut, auch Konfirmandeneltern anzusprechen und zu sagen: „Lassen Sie Ihr Kind konfirmieren, wir brauchen Sie in der Gemeinde!“
Dann entstand innerhalb weniger Wochen ein Besuchsdienstkreis von beinahe neunzig Frauen und Männern.
Sie entdeckten, dass es schwierig ist, wenn der Pfarrer an der Sprechanlage steht und die Leute fragen: „Was ist das? Wer ist da unten?“ Nur sagt der Pfarrer: „Was ein Dekan und Vikar ist, versteht niemand.“ Der Pfarrer wird wahrgenommen mit einem „Ah! Ich habe gerade geduscht, die Zeit ist knapp, ich fahre gleich los.“
Wenn jemand vom Besuchsdienst kommt und sagt: „Ich komme von der Kirche und möchte Ihnen einen Gemeindebrief bringen“, heißt es oft nur: „Schmeißen Sie ihn in den Briefkasten!“
Aber unsere Frau Blochinger hat in der Adventszeit kleine Strohsterne gebastelt und sie auf den Gemeindebrief geklebt. Nach einem Monat hieß es: „Haben Sie uns den netten Stern reingeworfen?“ Das sind liebevolle Gesten, die die Haustüren öffnen.
Plötzlich erlebten unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, dass Hingehen zu den Menschen in erster Linie bedeutet, so wie Jesus es in Matthäus 10 sagte: „Wenn das Haus es wert ist, wird euer Friede auf ihnen ruhen.“
Menschen in der Gemeinde sagten: „Ich weiß gar nicht, wie ich es erklären soll, aber seit Frau XY da war, ist es mir nicht mehr so schwer.“
Der Friede Jesu will sich an unsere Fersen heften, wenn wir gehorsam werden und hingehen und hinhören.
Die Kraft des Zuhörens und die Bedeutung persönlicher Begegnung
Vor zwei Tagen hat einer unserer Brüder angerufen, eine Säule im Reich Gottes. Ich hatte ihn im Telefongespräch gefragt: „Wie geht’s denn, lieber Bruder?“
Dann sagte er: „Wollen Sie es wirklich hören, wie es mir geht?“ Ich antwortete, dass ich Zeit habe. So entwickelte sich ein langes Telefongespräch. Eine halbe Stunde später rief er erneut an und sagte: „Drei Jahre lang hat mich kein einziger Christenbruder oder Christenschwester gefragt, wie es mir wirklich geht.“
Man kann auch mit dem Telefon zu Menschen hingehen und ihnen spüren lassen: „Ich habe Zeit für dich, im Namen Jesu. Ich will hören und Anteil nehmen, wie es dir geht.“
Ich bin mit der ghanaischen Evangelistin Francis Yeboah nach Holland gefahren. Sie hatte als Afrikanerin kein Visum bekommen. Der holländische Konsul sagte jedoch: „Wenn Sie mitfahren, gebe ich mein Ehrenwort, dass Sie auch wieder zurückgebracht werden und nicht in Holland bleiben.“
So durfte ich mit Francis Yeboah drei Tage nach Holland fahren und wieder zurück. Es war ein Anschauungsunterricht im Hingehen.
Francis Yeboah hat jeden gefragt, der ins Abteil hereinkam: „Wo kommen Sie her und wohin gehen Sie? Sind Sie verheiratet? Haben Sie Sorgen mit den Kindern?“
Dann konnte sie auch sagen: „Wissen Sie, kennen Sie das Wort Gottes? Das Wort Gottes könnte Ihnen sehr viel helfen.“ Vielleicht konnte sie das als Afrikanerin unmittelbarer sagen als wir.
Aber irgendwann, nach Zuhören und Anteilnehmen, dürfen wir auch das Wort sagen. Als Besuchsdienstmitarbeiter kann man eine Spruchkarte dabei haben und sagen: „Ich darf Ihnen ein Wort sagen, eines der größten Worte etwa: ›In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.‹“
Das will ich Ihnen dalassen. Und Jesus kann durch dieses Wort wirken.
Ermutigung durch die Gemeinschaft der Gläubigen
Eines der herrlichsten Gebetsworte Jesu lautet in Johannes 17: „Vater, ich bitte dich nicht nur für die meinen, sondern auch für die, die durch ihr Wort glauben werden.“
Durch unser armseliges Wort hat Herr Jesus bereits dafür gebetet, dass Menschen, die zum Glauben kommen sollen, bereit sind, das Wort zu sagen.
Bei dieser Tagung in Budapest hat es mich beinahe in den Boden hineingedrückt, wie die Christen in Russland von der großen Freiheit und den Möglichkeiten sprechen. Und wir hier sind so armselig, oft zerstritten, zerrissen und voller unsagbarem, gehässigem Misstrauen in unserer Kirche – als ob die sogenannten Frommen eine Bedrohung für unsere Kirche wären.
Das muss ich bis hinein in meine Körperhaltung ausgedrückt haben. Da hat plötzlich einer den Arm um mich gelegt, der indische Christ Sam Kamalesen, und gesagt: „Ralph, Jesus ist lebendig, ich weiß es auch.“
Das geht seitdem mit mir, dass da einer an mir Anteil genommen hat an meinem krummen Rücken, an meinen Sorgen, das gesehen hat und mir im Namen Jesu das Wort gesagt hat, das lösende Wort: „Er lebt – and you also can get to know it.“
Ich möchte es Ihnen weitergeben. Sie können erleben, dass Jesus lebendig ist und wir schwach sind. Dann wird es eine ganze Sache, auch beim Hingehen zu Menschen.
Begegnung mit missionarischem Engagement in Indien
Dieser Sam Kamalesan – ich bin ihm vor Jahren begegnet, als wir mit einer Gruppe des schwäbischen Posaunendienstes nach Indien fahren durften. Unsere führenden Laienleute, darunter der Einkaufsdirektor von Bräuninger und andere, solche Leute im Posaunendienst, haben immer gefragt: Wo sehen wir denn missionarische Gemeinden?
Schließlich haben wir den Geschäftsführer der südindischen Kirche, Mr. Gokkawi, im Union Building von Bangalore gefragt. Er sagte: „We don't do missions. Wir praktizieren keine Missionen. The government doesn't like it.“ Die Regierung sieht es nicht gern. Das war eine bittere Enttäuschung für unsere CvdM-Leute im Posaunendienst.
Dann kamen wir in eine Gemeinde, und dort sagte jemand: „Da müsst ihr hingehen.“ Es war kurz vor der Abfahrt unseres Zuges, und wir konnten beim Gottesdienst nur zwanzig Minuten dabei sein. Aber unsere Posaunendienstleute sagten: Wegen dieser zwanzig Minuten hat sich die Reise nach Indien gelohnt.
Dort merkten sie, dass die Menschen nicht bloß zusammenkamen, sondern dass sie ein Ferment in Madras waren – das ist missionarische Christenheit. Der Pfarrer dort war Sam Kamalesan.
Ich habe ihn dann gefragt: Wie bist du eigentlich dazu gekommen, so missionarisch zu sein in Indien? Er sagte: „Weißt du, ich bin eigentlich von Hause aus Tierarzt. Aber wenn ich durch Madras ging und die Tausenden von Menschen auf den Straßen sah, wie Ameisen, die nie das Evangelium gehört haben, habe ich gedacht, es hat doch gar keinen Sinn, sie in die Kirchen einzuladen. Wir haben in Madras verhältnismäßig viele Kirchen.“
Oder war es in mir wie eine Stimme? Gott hat dir doch eine wunderbare Singstimme gegeben. Da bin ich an einer Ecke stehen geblieben und habe ein Jesuslied gesungen. Plötzlich haben sich Menschen versammelt.
Dann sagte er: „Forgive me, ich habe das gesagt, was ich dir heute Morgen gesagt habe. Bloß diese Botschaft: Jesus ist lebendig. Ich kenne es, und du kannst es auch kennen.“ Menschen sind gekommen und haben gefragt: „Was ist das für ein Jesus, ein lebendiger Jesus?“
Er war auf die Straße gegangen, und seitdem denke ich: Warum war ich 14 Jahre lang in Schorndorf? Wir haben nicht am Samstag, wenn Markttag war, einen Stand der Kirche aufgemacht mit Seelsorgern, auch mit einem Vorhang abgetrennt, hinter dem man mit Menschen beten kann – dort auf dem Markt, wo sie ihre Gurken einkaufen und die Frühtomaten.
Wir müssen aus unseren Häusern hinaus, dorthin, wo Menschen sind. Deshalb sind unsere Gottesdienste im Grünen so wichtig. Nicht bloß, dass da ein Posaunenchor ist, sondern es müssten Seelsorger im Hintergrund sein – dort, wo die Leute sind. Die sagen: „Das ist ja ein Gottesdienst, wo man mit dem Hund nahekommen kann oder wo man von fern ein bisschen zuhören kann.“
Wir müssten das vielmehr als Leute Gottes ernst nehmen, die hingehen an die Hecken und Zäune und ein Wort Jesu sprechen.
Die Bedeutung von öffentlicher Verkündigung und Begegnung
Vor 101 Jahren wurde der Turm des Ulmer Münsters fertiggestellt. Im letzten Jahr feierten wir ein großes Fest zum hundertjährigen Jubiläum der Fertigstellung dieses höchsten Kirchturms der Welt.
Viel schöner als das Ulmer Münster selbst war jedoch ein Bilderfries, der das Münster umgab. Er wurde von den Ulmer Religionsklassen gemalt und zeigte die Geschichte von der Schöpfung der Welt bis zum neuen Jerusalem.
Manches war zwar falsch geschrieben. Das merkt man selbst in Religion, zum Beispiel bei der Hochzeit von Kana oder so ähnlich. Auch Zachäus wurde manchmal falsch geschrieben. Trotzdem habe ich in jener Zeit noch nie so oft Geschichten von Jesus erzählt und vom Wirken Gottes gesprochen.
Wenn Menschen stehenblieben und fragten: „Was ist das?“, konnte man plötzlich von Jesus erzählen – an diesem Bilderfries.
Wir leben heute in einem nachchristlichen Heidentum. Viele Menschen sagen: „Ich hatte schon mal einen Glauben, und ich glaube, dass es nach dem Tod weitergeht.“ Doch sie wissen nichts von der Herrlichkeit Jesu.
Wir müssen wieder anfangen, Jesusfilme zu zeigen und an Straßen und Zäunen Geschichten zu erzählen. Wir müssen hingehen und erzählen. Denn der Segen Jesu will uns auf Schritt und Tritt begleiten, wenn wir hingehen.
Noch einmal: Eine Christenheit verkümmert wie ein Priemel, wenn wir nicht hingehen. Doch wenn wir hingehen, werden wir das Leben und die Lebenskraft Jesu erfahren.
Die Nähe Gottes und die Aufforderung zum Hingehen
Ich komme von einem sehr schönen Wochenende im Stift Urach zurück – Verheißungen, auf die man sich verlassen kann. Heute Morgen haben wir abgeschlossen, und wir waren alle wieder bewegt, wie das durch die Bibel quer durchgeht: Der Herr ist nahe.
Fünfter Mose 30: Welch ein Volk Israel, dem sein Gott so nahe ist! Elija hat es erlebt: Sein Gott ist nahe. Der Baal dagegen ist vielleicht über das Land gegangen oder macht ein Schläfchen. Der Herr aber ist nahe denen, die zerbrochene Herzen haben, und hilft denen, die ein zerschlagenes Gemüt besitzen.
Und der Herr Jesus hat gesagt: „Ich will nahe sein, ich bin bei euch.“ Wie tröstlich ist das! Für diejenigen, die auch den Vordersatz hören: „Geht hin, und dann bin ich bei euch alle Tage!“ Unser Herr kann nicht bei uns bleiben, wenn wir gemütlich als Christen zu Hause bleiben oder uns in unseren Gemeindehäusern und Kirchen verschanzen.
Es ist die letzte Chance für uns, die wir den Namen unseres Herrn ernst nehmen, den Segen zu erfahren, wenn wir hingehen. Ich habe Angst vor dem jüngsten Tag, vor dem, was unser Herr mir an versäumten Chancen vorhalten wird.
Aber darf ich ganz persönlich sein? Am meisten Angst habe ich, weil unser Herr uns auch in Ewigkeit vergeben kann – retten durchs Feuer hindurch. Doch Angst habe ich, wenn Menschen mich anklagen und sagen: „Du hast doch gewusst, wie wichtig Jesus ist, du warst mein Nachbar, du hast auf derselben Straße gewohnt, du bist doch mit der S-Bahn immer nach Stuttgart hineingefahren – warum hast du es mir nicht gesagt, das, was so wichtig ist?“
Lasst uns hingehen, Vertrauen erwerben, hinhören und dann bereit sein, zu Jesus einzuladen – so wie der Kirchenpfleger von Schandorf zur Schwäbischen Alb einlädt: Jesus ist noch schöner.
Wir wollen beten und dazu sitzen bleiben:
Du unser auferstandener, lebendiger Herr, bitte mach uns lebendig. Setze du uns in Bewegung zu den Menschen hin. Herr Jesus, wecke uns auf, und wenn es nötig ist, mit einem heilsamen Tritt. Setze du uns bitte in Bewegung, dass wir an die Hecken und Zäune gehen.
Und dann, Herr, hilf uns reden, dass wir … Wir können ja nur weitergeben, was du uns sagst, weitersagen, was du uns gibst, und sagen, was du für uns bist.
Auf dein Versprechen verlassen wir uns, und dein Heiliger Geist will uns leiten. Du willst für die Frucht sorgen, wenn wir in dir bleiben.
Das hilf uns, lieber Herr Jesus. Wir loben dich und preisen deinen heiligen Jesu-Namen. Amen.