Die Bedeutung der 2300 Abendmorgen und die historische Einordnung
Dann wenden wir uns Vers 14 zu. Diesen Vers möchte ich noch etwas genauer betrachten: Was bedeuten die 2300 Abendmorgen?
Wir wissen aus der Geschichte, unter anderem aus den Makkabäerbüchern, dass die Verwüstung des Heiligtums nur drei Jahre und zehn Tage dauerte. Genauer gesagt vom 15. Dezember 168 bis zum 25. Dezember 165 vor Christus. Das steht auch im Ersten Makkabäer 1,54: Am fünfzehnten Tag des Monats Kislev, also am 15. Dezember 168, stellten sie einen Gräuel der Verwüstung auf dem Brandopferaltar auf. Der Gräuel der Verwüstung war eine Götzenstatue, und sie errichteten Altäre in den Ortschaften Judas ringsum.
Das sind also nur drei Jahre. Aber wie kommt man dann auf sechseinhalb Jahre?
Das erklärt sich so: Es steht nicht nur die Verwüstung des Heiligtums im Fokus, sondern auch die Preisgabe des Volkes. Der Opferdienst wurde im Jahr 168 v. Chr. aufgehoben. Doch das Volk wurde länger zertreten, als nur drei Jahre. Die Gewaltsamkeiten des Antiochus gegen das jüdische Volk dauerten fast sieben Jahre, genauer gesagt sechseinhalb Jahre, also sechs Jahre und vier Monate. Danach wurde das Heiligtum wieder gerechtfertigt, und das Volk wurde nicht mehr zertreten. Das war am Ende Dezember 165 v. Chr.
Manche rechnen auch bis zum Tod von Antiochus, der kurz darauf erfolgte, etwa zwei Monate später, im Februar – manche sagen auch erst im März. Es gibt keine ganz klaren historischen Anhaltspunkte, wann genau Antiochus starb, aber es muss noch im Winter gewesen sein, also vermutlich im Februar 164 v. Chr.
Der Anfang dieser knapp sechseinhalb Jahre lag dann im Herbst 171, das Ende etwa im Februar 164. Zu diesem Zeitpunkt wurde das Volk Israel nicht mehr zertreten und konnte sich schließlich durch die Kämpfe der Makkabäer befreien.
Die Makkabäer waren Menschen, die dem Herrn dienten. Sie sagten: Wir müssen für den Herrn kämpfen und dürfen uns nicht einfach dem Feind ergeben. Sie kämpften dafür, dass ihre Kinder weiterhin beschnitten werden durften und die Bibel gelesen werden konnte.
Heute kämpfen wir nicht mehr mit dem Schwert. Damals jedoch war das noch üblich, wie auch Joshua und David im Alten Testament mit dem Schwert kämpften. Die Makkabäer erkämpften sich auf wunderbare Weise ihre Freiheit. Sie konnten das Heer der Syrer zurückschlagen und schließlich Ende Dezember 165 v. Chr. den Tempel wieder einweihen.
Die Kämpfe gingen zwar noch weiter, doch mit dem Tod Antiochus war der Sieg errungen. Die gesamte Bedrängniszeit dauerte also circa sechseinhalb Jahre.
Die Vision Daniels und die Deutung durch Gabriel
Wir lesen weiter in Kapitel 8, Vers 15:
Und es geschah, als ich, Daniel, das Gesehene geschaut hatte, suchte ich Verständnis darüber. Siehe, da stand einer vor mir, der wie ein Mann aussah. Ich hörte eine Menschenstimme zwischen den Ufern des Ulei, die rief und sprach: Gabriel, deute diesem das Gesehene.
In Vers 17 heißt es weiter:
Und er stand neben meinem Standort. Als er herzutrat, erschrak ich und fiel nieder auf mein Angesicht. Er sprach zu mir: Verstehe, Sohn des Menschen, denn das Gesicht geht auf die Zeit des Endes.
Als er mit mir redete, sank ich betäubt auf mein Angesicht zur Erde. Er aber rührte mich an und stellte mich wieder auf meinen Standort. Dann sprach er: Siehe, ich werde dir kundtun, was in der letzten Zeit des Zornes geschehen wird, denn es geht auf die festgesetzte Zeit des Endes.
Nun stellt sich die Frage: Um welches Ende geht es hier? In Vers 17 haben Sie die Begriffe „Ende“ und „Zeit des Endes“ gelesen. In Vers 19 wird noch einmal von der „letzten Zeit des Zornes“ und der „festgesetzten Zeit des Endes“ gesprochen. Worum geht es also genau?
Wir müssen im Text bleiben und den Zusammenhang beachten. Der Zorn, von dem hier die Rede ist, ist Gottes Zorn über das Volk Israel, das ihm nicht treu war. Deshalb hat er zugelassen, dass Antiochus kam, wütete, die Stadt verwüstete und den Tempel entweihte.
Es handelt sich also um ein Zorngericht über das Volk Gottes. Viele im Volk Gottes waren kompromissbereit geworden und abgefallen. Sie waren liberal geworden, würden wir heute sagen, und hatten sich der griechischen Religion zugewandt.
Hier ist das Zorngericht, das Gott zugelassen hat. Der Engel sagt: „Siehe, ich werde dir kundtun, was in der letzten Zeit des Zornes geschehen wird.“ Es geht immer noch um die Zeit von Antiochus.
Das, was der Engel Daniel in der Vision erklärt, bezieht sich genau auf die Zeit von Antiochus. Wir lesen gleich weiter.
Vergessen Sie also nicht: Wenn irgendwo „Ende“ steht, ist damit nicht das Ende der Welt gemeint. Hier geht es um das Ende des Vierten Reiches, das Ende des Seleukidenreiches und das Ende des Zorngerichts.
Denn wenn Antiochus tot ist, dann ist auch das Zorngericht vorüber, und es wird Israel wieder gut gehen.
Die politischen Mächte und das Wirken Antiochus' in der Vision
Wir lesen hier weiter. Vers 20 haben wir bereits gelesen: Der Widder steht für die Könige von Medien und Persien, der Ziegenbock für Griechenland (Vers 23).
In Vers 22 heißt es, dass das Horn von Alexander zerbrach und vier Hörner an seiner Stelle entstanden. Das bedeutet, dass aus seinem Reich vier Königreiche entstehen, jedoch nicht in seiner Kraft. Diese vier Königreiche sind die vier Diadochenreiche, von denen das größte das Seleukidenreich war.
In Vers 23 steht: Gegen Ende ihres Königtums, wenn die Frevler das Maß voll gemacht haben, wird ein König aufstehen. Er wird frech, anmaßend und listig sein – das haben wir gestern schon gelesen. Dieser König war Antiochus. Seine Kraft wird stark sein, aber nicht durch eigene Stärke. Auf erstaunliche Weise wird er Verderben anrichten, erfolgreich sein und handeln.
Er wird Mächtige und das Volk der Heiligen verderben. Das war Antiochus, wie er die Heiligen, die Israeliten, verdirbt, zerstört und tötet.
In Vers 25 lesen wir: Aufgrund seiner Klugheit wird ihm Betrug gelingen. Er wird sich in seinem Herzen groß machen und unversehens viele verderben. Gegen den Fürsten der Fürsten wird er aufstehen, doch ohne Menschenhand wird er zerschmettert werden.
Hier sehen wir, dass Antiochus getötet wird.
Der Tod Antiochus' als göttliches Gericht
Antiochus wurde nicht von Menschenhand getötet. Nachdem er große Verwüstungen angerichtet hatte, zog er in Richtung Persien. Zuvor unternahm er noch einen Kriegszug nach Ägypten. Anschließend zog er weiter nach Persien, weil er Geld brauchte und Steuern in dem großen Reich einheben wollte.
Er bewegte sich in Richtung Euphrat und Tigris, also in das Zweistromland. Dort erfuhr er von einem sehr reichen Tempel in Elimais. In Elimais dachte er sich, dass er den Tempel ausrauben könne, um seine Staatskasse wieder zu füllen. Danach wollte er seine Kämpfe fortsetzen.
So zog er mit einem Teil seines Heeres dorthin. Den anderen Teil des Heeres überließ er seinem Feldherrn, der gegen die Juden kämpfte. Antiochus zog also zum Tempel, um ihn auszurauben. Diese Geschichte steht nicht in der Bibel, sondern in historischen Berichten. Es ist jedoch interessant zu wissen, wie Antiochus gestorben ist und wie Gott das bewirkt hat.
Antiochus wollte den Tempel ausrauben, doch die Leute waren vorbereitet und stellten ihm ein Heer entgegen. Er konnte den Tempel nicht ausrauben und wurde darüber sehr wütend und erbost. In diesem Moment erhielt er eine schlimme Nachricht: Sein Feldherr, der mit dem großen Teil des Heeres gegen die Makkabäer kämpfte, hatte verloren.
Unverständlicherweise ging die gesamte Beute an die jüdischen Makkabäer. Die Juden errangen einen Sieg und weihten den Tempel sogar wieder ein – am 25. Dezember 165 v. Chr. Als Antiochus dies erfuhr, war er so schockiert und wütend, dass er vom Wagen fiel und sich Verletzungen zuzog. Zudem wurde er wahnsinnig und tobte vor Wut.
Sein Zustand verschlechterte sich, und man brachte ihn in einen Ort namens Tabea oder ähnlich. Dort starb er schließlich, etwa im Februar oder Anfang März des Jahres 164 v. Chr.
Ich habe Ihnen diese Geschichte erzählt, damit Sie wissen: Antiochus ist nicht im Krieg gefallen. Gott hat ihn besiegt. Gott selbst hat ihm das Handwerk gelegt. Er wird nicht von Menschenhand zerschmettert werden.
