Einführung: Verschiedene Stufen geistlicher Nahrung
Ich habe euch heute einen Korb mitgebracht, gefüllt mit ganz verschiedenen Lebensmitteln. Stellt euch vor, wir sitzen am Abendbrottisch einer jungen Familie. Dort finden wir ganz unterschiedliche Nahrungsmittel.
Zum einen steht auf dem Tisch ein Schwarzbrot für die Eltern, richtig schön körnig. Das lieben sie zum Abendessen. Die Zehnjährige, die mit am Tisch sitzt, kann mit Schwarzbrot nicht viel anfangen. Für sie ist ein Graubrot mit dabei. Das Kleinkind, zwei Jahre alt, mag weder Schwarzbrot noch Graubrot so richtig. Für das Kind gibt es Weißbrot, das ist etwas leckerer. Dann ist da noch der kleine Säugling. Der kann noch nicht einmal Weißbrot essen. Für ihn gibt es Milchnahrung und ein Gläschen mit püriertem Obst.
Die geistliche Versorgung der Gemeinde kann man ein Stück weit damit vergleichen. In einer gesunden Gemeinde gibt es ganz Neugeborene, die noch nicht sofort das „Schwarzbrot“ im Glauben voll verinnerlichen können. Sie brauchen am Anfang noch ein bisschen „Milch“. Die Bibel sagt auch, dass Paulus einigen Gemeinden erst einmal Milch geben musste. Das ist als Kritik gemeint, denn eigentlich sollten sie schon weiter sein.
Das Ziel ist immer, dass wir im Glauben zunehmend wachsen und dann auch schwierigere, nahrhaftere Nahrung vertragen können.
Ihr Lieben, ich setze heute meine Reihe zum Römerbrief fort. Im Römerbrief haben wir den ganzen Korb an geistlicher Nahrung. Es gibt Wahrheiten, die du am Anfang des Glaubens erfassen und verstehen kannst. Diese bilden die Basis des Evangeliums. Zugleich hat der Römerbrief, und wer ihn schon einmal gelesen hat, weiß, wovon ich spreche, eine theologische Tiefe, die wir nicht in allen anderen Briefen finden.
Der Römerbrief ist das Herzstück des Neuen Testaments. Deshalb freue ich mich sehr, meine Reihe hier weiterzuführen. Im Römerbrief ist grundsätzlich für jeden etwas dabei, egal, wo man im Glauben steht.
Ich muss euch aber Folgendes sagen: Wir sind jetzt in Römer 9, und heute gibt es nur Schwarzbrot, okay? Römer 9 ist pure Theologie. Deshalb stelle ich hier mal das Schwarzbrot hin. Ich sage das vorab, weil es sein kann, dass du noch recht jung im Glauben bist und bei einigen Punkten nicht ganz mitkommst. Kein Problem, so geht es wahrscheinlich vielen. Heute ist Schwarzbrot angesagt.
Wenn du heute als Gast hier bist oder online zugeschaltet bist: Wir predigen nicht jeden Sonntag über so komplizierte Themen. Aber heute ist Römer 9 dran, denn nach Römer 8 kommt Römer 9.
Die Tragödie und das Spannungsfeld zu Beginn von Römer 9
Römer 9 ist eines der schwierigsten Kapitel der Bibel, sagen einige Theologen. In Römer 9 beginnt Paulus einen neuen Gedankengang, der sich bis Kapitel 11 zieht. Dabei geht es in Römer 9 bis 11 um die Stellung und die Zukunft des Volkes Israel.
Mein Predigtthema heute Morgen lautet: Trotz Tragödie wird Gottes Plan ausgeführt. Wir schauen uns die ersten 29 Verse von Römer 9 an.
In den ersten fünf Versen schildert Paulus eine Tragödie und das daraus entstehende Spannungsfeld. Kommen wir zu den ersten drei Versen aus Römer 9:
„Ich sage die Wahrheit in Christus, ich lüge nicht, wobei mein Gewissen mir Zeugnis gibt im Heiligen Geist, dass ich große Traurigkeit habe und unaufhörlichen Schmerz in meinem Herzen, denn ich selbst habe gewünscht, verflucht zu sein, von Christus weg, für meine Brüder, meine Verwandten nach dem Fleisch.“
Römer 9 beginnt mit einer Tragödie. Paulus spricht hier über seine Trauer im Hinblick auf die Juden. Damit finden wir einen größeren Stimmungsbruch zu Kapitel 8.
Diejenigen von euch, die Kapitel 8 noch ein bisschen im Hinterkopf haben, wissen, dass Kapitel 8 eines der schönsten Kapitel der Bibel ist. Römer 8, Vers 1 beginnt mit dieser wunderbaren Zusage: Es gibt keine Verdammnis für die, die in Christus sind. Und Römer 8 schließt mit den wunderbaren Versen, dass dich nichts und niemand von der Liebe Gottes trennen kann.
Am Ende von Römer 8 haben wir einen großen Triumph, am Anfang von Römer 9 erleben wir tiefe Trauer.
Paulus’ Gedanken gehen jetzt zu den Juden, und er empfindet große Trauer. Paulus übertreibt nicht, er schreibt von großer Trauer und von unaufhörlichem Schmerz. Er betont es mehrfach: „Ich meine es wirklich so.“ Schaut euch mal Vers 1 an: Dreifache Bestätigung – „Ich sage die Wahrheit, ich lüge nicht, mein Gewissen ist Zeuge, ich leide wirklich.“
Paulus’ Liebe zu den Juden ist so groß, dass er unter dem aktuellen Zustand leidet. Das erinnert uns an den Propheten Jeremia im Alten Testament, der der „weinende Prophet“ genannt wird, weil er immer wieder über den Zustand des Volkes Israel geweint hat. So ist es auch bei Paulus hier.
Er schreibt in Vers 3: „Denn ich selbst habe gewünscht, verflucht zu sein, von Christus weg, für meine Brüder, meine Verwandten nach dem Fleisch.“
Das ist ein krasser Text, oder? Wisst ihr, was Paulus hier sagt? Paulus sagt: Ich wäre bereit, mein ewiges Heil aufzugeben, wenn alle Juden dafür gerettet werden.
Das ist krass, oder? Was für eine Liebe! Was für eine Liebe musste Paulus zu den verlorenen Menschen haben!
Die Herausforderung, die Liebe zu den Verlorenen zu empfinden
In der Kardiologie arbeitet man in bestimmten Fällen mit einem Eventrekorder. Ein Eventrekorder hat etwa die Größe eines USB-Sticks. Wenn der Arzt, also der Kardiologe, den Herzschlag eines Patienten über einen langen Zeitraum – oft über Jahre hinweg – analysieren möchte, dann pflanzt er dem Patienten einen solchen Eventrekorder unter die Brust.
Dazu gibt es ein Handgerät. Wenn es wieder zu bestimmten Symptomen kommt, etwa wenn der Patient umkippt, muss er auf dem Handgerät einen digitalen Marker setzen. So kann der Kardiologe das EKG auswerten und genau den Zeitraum erfassen, in dem der Patient umgekippt ist. Was hat das Herz in diesem Moment gemacht?
Weißt du, wenn wir heute Morgen mal einen Marker setzen und du in dein Herz schauen lässt, wie groß ist dann deine Liebe zu den Verlorenen? Bist du bekümmert darüber, dass Menschen ohne Jesus verloren gehen? Bist du bekümmert über die Verlorenheit der Juden, die den Messias abgelehnt haben? Bist du bekümmert über die Verlorenheit der Moslems in unserer Stadt? Bist du bekümmert über die Ungläubigen, die ohne Christus in die ewige Verdammnis gehen?
Liebe Gemeinde, ich bin traurig über manche Herzenshaltung, die hier im Raum vertreten ist. Am Anfang des Jahres haben wir mal etwas stärker evangelistisch gepredigt, weil so viele Menschen offen sind. Da meldet sich manch eine Person und sagt: „Warum predigt ihr immer evangelistisch? Heute war für mich nichts dabei. Was ist denn mit uns?“
Ich sage: Hallo? Ganz abgesehen davon werde ich von jeder evangelistischen Predigt sehr ermutigt. Aber was sagt das über deine Liebe zu den Verlorenen, wenn du denkst, für mich ist nichts dabei? Das ist der ältere Bruder vom verlorenen Sohn.
Wenn du feststellst, dass deine Liebe zu den Verlorenen doch sehr beschränkt ist, dann lade ich dich ein, heute ein Gebet zu sprechen. Bitte Gott: „Herr, brich du mein Herz für die Verlorenen.“ Das ist nicht etwas, was du selbst erzeugen kannst. Es muss Gott in dir wirken. Du kannst sagen: „Gott, mach es in mir. Nimm du den Stolz und den Egoismus weg. Hilf du mir, mit deinen Augen zu sehen.“
Paulus hatte so eine Liebe. Er empfand einen großen Schmerz für die Verlorenen.
Das Spannungsfeld zwischen Tragödie und Privilegien Israels
In den nächsten Versen sehen wir das ganze Spannungsfeld dieser Tragödie. Ich lese die Verse 4 und 5: Paulus spricht von den Juden, die Israeliten sind, deren Sohnschaft sie haben, ebenso wie die Herrlichkeit, die Bündnisse, die Gesetzgebung, den Gottesdienst und die Verheißungen. Ihnen gehören auch die Väter, und aus dem Fleisch nach ist der Christus, der über allem ist. Gott sei gepriesen in Ewigkeit! Amen!
Paulus betont, dass Israel eine besondere Stellung vor Gott hat. Diese Stellung wird im Propheten Hosea mit Sohnschaft bezeichnet. Das heißt, die Rechtsstellung Israels im Alten Testament wird als Sohn Gottes beschrieben – sie haben die Sohnschaft.
Aber nicht nur das: Es gibt weitere Privilegien. Im Volk hat Gott seine Herrlichkeit offenbart. Mit dem Volk hat Gott Bündnisse geschlossen, wie den Davidbund, den Abrahambund und den Sinaibund. Das Volk hat das Gesetz erhalten. Das ist etwas Positives, eine Wegweisung Gottes, wie wir leben sollen und was Gottes Wille ist.
In Israel stand der Tempel. Dort wurde Gottesdienst gefeiert, und man konnte sich Gott nahen. Israel hat die Verheißungen erhalten und sogar die Erzväter, die Stammväter, in seinen Reihen: Abraham, Isaak und Jakob.
Doch das Beste kommt noch. Paulus sagt, Jesus, der verheißene Messias, stammt ebenfalls aus den Juden. Und wenn Paulus über Christus spricht, bricht er hier in einen Lobpreis aus. Er sagt: Christus ist über allem. In diesem Text wird Christus als Gott bezeichnet, und Paulus fordert, dass Christus in Ewigkeit gepriesen sei.
Wenn wir uns das anschauen, sehen wir in den ersten drei Versen die Tragödie der Verlorenheit der Juden. Auf der anderen Seite stehen die Privilegien. Daraus ergibt sich ein Spannungsfeld.
Jetzt entstehen ganz wichtige theologische Fragen, die für uns nicht unwichtig sind: Hat Gott Israel verworfen? Hat er die Bündnisse und Verheißungen nicht eingehalten? Denn sie befinden sich offensichtlich in dieser Tragödie. Wie kommt es dazu? Hat Gott es nicht geschafft, Israel zu retten? Hat Gott etwas angefangen, aber kann es nicht zu Ende führen? Was ist das dann für ein Gott?
Versteht ihr die ganze Brisanz, die hier plötzlich aufkommt? Einige von euch wird der Begriff „Elchtest“ sicherlich etwas sagen.
Der Elchtest für das Evangelium: Israel als Prüfstein
Beim Elchtest wird die Fahrstabilität eines Autos getestet. Bei Geschwindigkeiten zwischen 50 und 80 km/h wird das ungebremste Ausweichen eines simulierten Gegenstandes auf der Straße geprüft. Dabei muss das Auto schnell und ungebremst ausweichen, ohne auszubrechen oder gar umzukippen. Das ist der Elchtest.
Ihr Lieben, Israel ist der Elchtest für das Evangelium. Wenn Gott es nicht geschafft hat, Israel ans Ende zu bringen, wer sagt dann, dass er dich ans Ende bringt? Versteht ihr? Dementsprechend stellt sich hier die Frage: Ist Israel Gottes Achillesferse? Ist Israel Gottes Wunderpunkt?
Das hat sehr viel mit dir zu tun. Vielleicht denkst du jetzt: Okay, heute ist Israel dran, aber ich kann mich nicht ganz so mitidentifizieren. In Römer 8,30 sagt Paulus: „Die er vorherbestimmt hat, die hat er auch berufen; die er berufen hat, hat er gerechtfertigt; die er gerechtfertigt hat, die hat er auch verherrlicht.“
Aber das kann doch nur stimmen, dass er dich zum Ziel bringt, wenn er auch Israel zum Ziel bringt. Wenn er es bei Israel nicht geschafft hat, woher hast du dann die Sicherheit in deinem Glauben? Versteht ihr? Hier geht es um nichts Geringeres als um die Verteidigung der Wahrhaftigkeit des Evangeliums.
Der Aufbau des Römerbriefs und die Verteidigung des Evangeliums
Ich habe früher immer gedacht, Römer 9-11 sei so ein Exkurs, in dem Paulus plötzlich ein ganz anderes Thema anschneidet. So nach dem Motto: „Ach, lass uns mal über Israel reden.“
Römer 9-11 ist jedoch kein Exkurs. Deshalb möchte ich euch noch einmal den gesamten Aufbau des Römerbriefs kurz zeigen.
In Römer 1-8 schildert Paulus den Inhalt des Evangeliums und alle damit verbundenen Implikationen. In Römer 9-11 wird dieses Evangelium verteidigt. Diese Kapitel sind also die Verteidigung für Römer 1-8.
Ab Kapitel 12 beginnt dann der praktische Teil im Römerbrief.
Deshalb ist es so wichtig, dass wir uns jetzt die Frage stellen: Besteht das Evangelium den Elchtest? Paulus muss in den nächsten Versen Gottes Pläne mit Israel verteidigen, angesichts der Tragödie, dass die Mehrheit des Volkes Israel den Messias abgelehnt hat.
Was sagt das über Gott aus?
Gottes Plan ist nicht an biologische Abstammung gebunden
Hier folgt zum zweiten Punkt die Verteidigung des Plans angesichts der Tragödie. Es ist ein längerer Abschnitt, wie ihr sehen könnt, und er ist kompliziert, das sage ich vorab. Ich gehe nicht auf alle Details ein, aber ich möchte euch den roten Faden zeigen.
Gottes Plan war, so Paulus als erstes Argument, nie an biologische Abstammung gekoppelt. In Vers 6 heißt es: „Nicht aber, als ob das Wort Gottes hinfällig geworden wäre; denn nicht alle, die aus Israel sind, sind Israeliten.“ Paulus erklärt, dass man angesichts der gegenwärtigen Tragödie – viele Juden haben Jesus nicht angenommen – nicht darauf schließen darf, dass Gott seine Verheißungen aufgegeben hat. Denn Israel ist nicht gleich Israel. Echte Zugehörigkeit zum Volk Gottes hat nichts mit biologischer Abstammung zu tun.
Das dachten die Juden anders. Schaut mal, was Johannes der Täufer den Juden vorwirft in Matthäus 3,9: „Und meint nicht, bei euch selbst sagen zu können: Wir haben Abraham zum Vater. Denn ich sage euch, dass Gott dem Abraham aus diesen Steinen Kinder zu erwecken vermag.“ Biologische Abstammung ist also nicht das Kriterium für die Zugehörigkeit zum Volk Gottes.
Wenn wir das weiterdenken: Wäre das Kriterium die biologische Abstammung, müssten wir angesichts der Tatsache, dass viele, die biologisch von den Juden abstammen, das Evangelium nicht angenommen haben, sagen, dass Gott versagt hat. Dass Gottes Plan gescheitert ist. Paulus aber sagt, das war nie das Kriterium. Und er begründet das anhand der Schrift.
Die Auswahl Abrahams Nachkommen als Beispiel
Erste Begründung: Abrahams Kinder, die Verse sieben bis neun
Nicht alle, die Abrahams Nachkommen sind, gelten als seine Kinder. Sondern in Isaak wird die eine Nachkommenschaft genannt. Das heißt, nicht die Kinder des Fleisches sind die Kinder Gottes, sondern die Kinder der Verheißung werden als Nachkommenschaft gerechnet. Dieses Wort ist ein Wort der Verheißung: „Um diese Zeit will ich kommen, und Sarah wird einen Sohn haben.“
Jede Definition von Israel muss bei Abraham beginnen, und Gott wählt jetzt Abrahams Nachkommen als Beispiel. Abraham hatte zwei Söhne, Ismael und Isaak. Es wird gezeigt, dass nicht jeder Nachkomme Teil der Verheißung war.
Ismael wurde durch das Fleisch gezeugt, weil Abraham keine Geduld mehr hatte und ihn mit Hagar zeugte. Der eigentliche Nachkomme der Verheißung ist jedoch Isaak. Das bedeutet, nicht jeder biologische Nachkomme Abrahams gehört zu dieser Verheißung.
Gottes freie Erwählung am Beispiel von Jakob und Esau
Das zweite Argument sind Isaacs Kinder, die Verse 10 bis 13. „Nicht allein aber bei ihr war es so, sondern auch bei Rebekka, als sie von einem von unserem Vater Isaac schwanger war. Denn als die Kinder noch nicht geboren waren und weder Gutes noch Böses getan hatten, damit der nach freier Auswahl gefasste Vorsatz Gottes bestehen bliebe – nicht aufgrund von Werken, sondern aufgrund des Berufenden –, wurde zu ihr gesagt: Der Ältere wird dem Jüngeren dienen, wie geschrieben steht: Jakob habe ich geliebt, aber Esau habe ich gehasst.“
Auch hier will Paulus wieder folgenden Punkt machen: Nicht-biologische Nachkommenschaft ist das Kriterium. Denn auch nicht jeder, der von Isaac gezeugt wurde, ist Teil des göttlichen Plans. Ich hoffe, ihr könnt mir noch folgen.
Nur hier ist die Sache wesentlich interessanter in dem Sinne, dass diesmal beide von einer Mutter kommen, beide Jungs. Und nicht nur das, es ist sogar eine und dieselbe Schwangerschaft. Das sind Zwillinge gewesen, Jakob und Esau.
Dann macht der Text noch etwas deutlich: Gottes Auswahl für Jakob hat nichts mit Werken zu tun, denn sie waren ja noch nicht einmal geboren. Schon im Mutterleib hat Gott hier entschieden: Ich nehme Jakob, aber ich nehme nicht Esau. Das ist Gottes freie Entscheidung.
Das heißt, Paulus sagt, der Grund für die Erwählung Jakobs liegt einzig und allein bei dem Berufenden. Und dann zitiert er Malachi: „Jakob habe ich geliebt, Esau habe ich gehasst.“
Das bedeutet nicht, dass Gott einen zornigen Hass auf Esau hatte. Gott hat übrigens Esau auch gesegnet. Aber diese Gegenüberstellung von Lieben und Hassen bedeutet eine Bevorzugung im Alten Testament. Hier geht es nicht um Emotionen, sondern darum, dass Gott Jakob bevorzugt hat in seiner freien Entscheidung.
Deshalb stellt Paulus hier klar: Wahre Zugehörigkeit zum Volk Gottes geschieht nicht durch Abstammung, sondern durch Gottes freie Erwählung.
Damit sind wir jetzt beim Thema Erwählung. Der zweite Unterpunkt lautet: Gottes Plan wird durch Erwählung und Verwerfung ausgeführt. Das ist ein schwieriges Thema. Aber ich möchte es euch ein bisschen erklären anhand einer Medaille. Wir sprechen ja immer von den zwei Seiten einer Medaille.
Die Bibel lehrt eben folgende zwei Seiten: Auf der einen Seite der Medaille steht Gottes Souveränität oder auch Gottes Erwählung. Gott trifft Entscheidungen. Auf der anderen Seite stehen menschliche Verantwortung und Glaube, und beides lehrt die Bibel.
Theologen schlagen sich seit Hunderten von Jahren die Köpfe über dieses Verhältnis ein, weil wir an die Grenzen unserer Logik kommen bei diesem Thema. Wir können es nicht ganz verstehen – ich kann es nicht ganz verstehen –, aber deswegen dürfen wir nicht eine Seite ausblenden und nur die andere Seite glauben. Die Bibel lehrt beides. Die Medaille, wie Gottes Heilsplan, hat zwei Seiten.
Und, ihr Lieben, heute in der Predigt geht es eigentlich nur um die Gottessouveränität und seine Erwählung. Aber bei meiner nächsten Predigt geht es um die andere Seite.
Heute, weil Paulus diesen Schwerpunkt in Römer 9 setzt, will ich ihn setzen. Heute geht es vor allen Dingen um die Souveränität Gottes.
Und da wirft Paulus jetzt eine Frage auf, die sich uns vielleicht hier auf unseren Sitzen heute auch schon gestellt hat: Vers 14: „Was sollen wir nun sagen? Ist etwa Ungerechtigkeit bei Gott?“
Auf keinen Fall! Die Frage entsteht ja, wenn wir Vers 13 lesen: „Ich habe mich für Jakob entschieden und nicht für Esau“ – meine freie Entscheidung. Rata rata rata – Moment, ist Gott dann ungerecht? Gib zu, du hattest diese Frage vermutlich auch. Vermutlich.
Paulus antizipiert diese Frage, aber er sagt: Auf gar keinen Fall, Gott ist doch nicht ungerecht. Ich meine, in Römer 1 bis 3 sagt Paulus, die Gerechtigkeit Gottes wird im Evangelium geoffenbart; Gott ist nicht ungerecht.
Jetzt hätte Paulus verschiedene Dinge erklären können, dass Gott nicht ungerecht ist, aber er schlägt hier scheinbar einen anderen Weg ein.
Schaut mal, in den Versen 15 und 16 geht es weiter. Denn er sagt zu Mose, also Gott: „Ich werde mich erbarmen, wessen ich mich erbarme, und werde Mitleid haben, mit wem ich Mitleid habe.“ So liegt es nicht an dem Wollenden, auch nicht an dem Laufenden, also der sich krampfhaft abstrampelt, um etwas zu bekommen, sondern an dem sich erbarmenden Gott.
Sagen wir, okay, inwiefern ist das eine Begründung dafür, dass Gott nicht ungerecht ist?
Schaut mal: Ungerechtigkeit – wenn wir uns ungerecht behandelt fühlen, das setzt einen Anspruch voraus. Wenn ich denke, ich habe ein Recht auf eine gewisse Behandlung, und diese Behandlung wird mir nicht zuteil, dann fühle ich mich ungerecht behandelt, richtig?
Paulus möchte hier deutlich machen: Leute, wir haben keinen Anspruch! Wir stehen vor Gott mit leeren Händen da. Wir müssen in der Kategorie des Erbarmens denken. Erbarmen ist einfach eine freie Entscheidung Gottes, dass er sich dem Menschen, der er absolut verloren ist, erbarmt. Das ist Erbarmen.
Deswegen schlägt Paulus diese Schiene ein, weil wir gar keinen Anspruch vor Gott haben.
Ich möchte dieses schwierige Thema mit einem Bild vergleichen, und ich weiß, jedes Bild hinkt, vor allen Dingen wenn wir Gottes Handeln menschlich erklären wollen. Da hinkt ja irgendwo jedes Bild. Aber vielleicht hilft dir dieses Bild, die Kategorien von Gerechtigkeit, Ungerechtigkeit und Erbarmen gut zu verstehen.
Angenommen, vier junge Männer kommen auf mich zu und sagen: „Andre, wir wollen eine Bank überfallen, und zwar die da vorne.“ Fluchtauto steht bereit, die Jungs sind fertig und wollen gehen. Ich versuche sie davon abzuhalten und sage: „Mach das auf keinen Fall.“ Aber die wollen, sie wollen das Böse und gehen. Im letzten Moment schmeiße ich mich auf einen drauf und halte ihn davon ab.
Die drei anderen ziehen durch, sie überfallen die Bank, sie werden erwischt und kommen alle ins Gefängnis – die drei, der eine nicht.
Kann mir jemand Ungerechtigkeit vorwerfen? Nein. Alle sind absolut böse, alle hätten das Gefängnis verdient. Die drei, die nicht gerettet wurden von mir, die haben sich selbst entschieden.
Aber besonders im Fokus steht hier nicht meine Ungerechtigkeit, sondern mein Erbarmen – jemand, der es sich überhaupt nicht verdient hat.
Und genau diese Kategorie möchte Paulus, dass wir hier mal weiterdenken: Gott erbarmt sich, Gott ist so ein guter Gott, der sich über Menschen erbarmt, die es überhaupt nicht verdient haben.
Aber, ihr Lieben, der Text geht weiter und er wird nicht einfacher: Pharao, Verse 17 und 18.
Denn die Schrift sagt zum Pharao: „Eben hierzu habe ich dich erweckt, damit ich meine Macht an dir erzeige und damit mein Name verkündigt wird auf der ganzen Erde.“ Also nun, wen er will, dessen erbarmt er sich, und wen er will, verhärtet er.
Oha, habt ihr den Vers schon mal gelesen in der Bibel? Er steht in der Bibel.
Was bedeutet das? Zunächst einmal erwähnt Paulus hier das Pharao-Zitat, und Gott hat sich entschieden, seine Macht an diesem Pharao zu erweisen.
Gott geht es immer um seine Ehre. Ich meine, Gott muss es um Gottes Ehre gehen. Um wessen Ehre soll es Gott sonst gehen? Es muss Gott um seine Ehre gehen.
Wir haben auch andere Stellen in der Bibel, die sagen, Gott lenkt die Herzen der Könige wie Wasserbäche.
Gott hat sich entschieden, seine Macht an diesem Pharao zu demonstrieren, damit ihm alle Ehre gehört und das Volk Israel glaubt, weil sie sehen, was er mit dem Weltherrscher tut – ein evangelistisches Anliegen Gottes übrigens.
Aber das wirft wieder Fragen auf: Was macht Gott da mit dem Pharao?
Vers 19: Paulus antizipiert die nächste Frage: „Du wirst nun zu mir sagen: Warum tadelt er noch? Denn wer hat seinem Willen widerstanden?“ Gott, warum bestrafst du den Pharao, wenn du ihn doch selber verhärtet hast?
Das ist die Frage: Wenn der Pharao doch sowieso nicht anders kann.
Das erinnert so ein bisschen an Marionette, das Bild an der Wand.
So dürfen wir uns den Pharao aber nicht vorstellen. Kein Mensch ist eine Marionette, weil es zwei Seiten der Medaille gibt. Es gibt die Seite der menschlichen Verantwortung.
Wir könnten jetzt den Weg einschlagen, den Paulus hätte einschlagen können, indem er mal aufzeigt: Komm, lass uns mal in 2. Mose den Text anschauen. Wann wurde das Herz von Pharao verhärtet? Nach der sechsten Plage oder bei der sechsten Plage.
Das heißt, fünfmal vorher hat der Pharao selber gesagt: „Niemals.“ Wir dürfen uns den Pharao nicht vorstellen als so einen lieben Jungen, der eigentlich wollte, aber nicht konnte, weil Gott ihn verhärtet hat. Er hat sein Herz auch selbst verhärtet, und Gott hat es bei der sechsten Plage verhärtet.
Aber das ist nicht die Argumentation, die Paulus hier wählt.
Paulus will den Fokus ganz auf die Souveränität Gottes lenken, auch wenn das andere wahr ist. Aber dieser Text will etwas anderes sagen.
Paulus wählt einen anderen Ansatz in den Versen 20 und 21:
„Ja, freilich, Mensch, wer bist du, der du das Wort nimmst gegen Gott? Wird etwa das Geformte zu dem Former sagen: Warum hast du mich so gemacht? Oder hat der Töpfer nicht Macht über den Ton, aus derselben Masse das eine Gefäß zur Ehre und das andere zur Unehre zu machen?“
Paulus sagt: Weißt du was, Mensch, du brauchst eine Positionskorrektur.
Paulus verweist auf den Former und auf das Geformte und will das Schöpfungsverhältnis noch einmal uns allen in Erinnerung rufen.
Gott ist der Former, wir Menschen sind das Geformte. Gott ist der Schöpfer, wir sind Schöpfung. Gott ist Gott und der Mensch ist Mensch.
Aber kann es sein, dass wir das in unserem Leben immer wieder einmal vergessen?
Paulus hilft uns, das zu erfassen, und er wählt das Beispiel von einem Töpfer.
Hier geht es nicht um Gott, hier geht es erst einmal um einen Töpfer.
Er sagt, der Töpfer kann noch entscheiden. Er hat den Ton vor sich und macht aus dem Teil der Masse ein Gefäß zur Ehre, eine wunderbare Vase.
Dann hat er noch einen Rest, und der Töpfer darf doch entscheiden, mit dem Rest mache ich jetzt weniger ehrenvolle Gefäße daraus. Das wird einfach nur ein Trinkbecher oder ein Kochgefäß, nichts besonders Ehrenhaftes. Das darf der Töpfer entscheiden, weil er der Töpfer ist.
Und Paulus sagt, in dieser Weise steht Gott über uns.
Weißt du was? Soll ich dir mal was sagen, was uns wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholt?
Gott ist dir nicht Rechenschaft schuldig für sein Handeln in deinem Leben. Gott ist dir nicht Rechenschaft schuldig für sein Handeln in deinem Leben.
Ja, er wird immer gemäß seines liebevollen Wesens handeln in deinem Leben, aber er ist dir nicht Rechenschaft schuldig.
Kann es sein, dass wir als Geschöpfte immer wieder dazu tendieren, Gott auf die Anklagebank zu setzen und uns auf den Richterstuhl?
Da sagt Gott: Wer bist du? Wer bist du?
Ich meine, denken wir das mal in einem zwischenmenschlichen Bereich: Da kommt ein Arbeitnehmer unangemeldet zum Geschäftsführer ins Büro und meint, er müsse dem Geschäftsführer jetzt mal eine klare Ansage machen: „Warum kaufen Sie all unsere Materialien aus dem Ausland und nicht aus der Region? Ich befehle Ihnen, Sie kaufen jetzt aus der Region.“
Der CEO wird ihn angucken und sagen: „Wer sind Sie? Wer sind Sie? Sie sind Sachbearbeiter, ich bin CEO, ich treffe Entscheidungen, Sie führen aus, oder?“
Wie viel perverser ist es, wenn wir als Geschöpfe uns über Gott erheben und ihm sagen, was er zu tun hat und was nicht.
Gott ist Gott und du bist Mensch. Wer bist du, Mensch?
Das sind harte Worte, oder?
Aber ich glaube, sie sind so heilsam. Sie holen uns mal wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Wer sind wir eigentlich?
Aber weißt du was? Das Ganze hat auch eine seelsorgerliche Komponente.
Hiob hatte so viele Fragen an Gott im Leid. Und vielleicht gehst du gerade durch Leid.
Hiob sagt zu Gott: „Warum? Gott, warum machst du das? Es kann doch nicht sein.“
Weißt du, wie Gott ihm antwortet?
Hiob, wo warst du, als ich die Erde gemacht habe?
Gleiches Prinzip: Gott verweist auf seine Souveränität, und in dieser Souveränität findet Hiob Ruhe.
Und deswegen hat das so etwas Seelsorgerliches.
Weißt du, du musst Gottes Handeln in deinem Leben nicht verstehen können. Dazu fordert dich die Bibel an keiner Stelle auf.
Aber du darfst ruhen in seiner Souveränität, indem du dich wieder fallen lässt in Gottes Arme und sagst: Du bist Gott und ich bin Mensch. Ja, ich verstehe nicht alles, aber ich weiß, du bist gut und du bist so viel größer, deine Pläne sind so viel größer als meine.
Wir haben es im Lied von Johannes heute gehört: „Lass los mein Herz, vertrau auf ihn, denn Wind und Wellen, sie hören auf ihn, er sitzt auf dem Thron.“
Deswegen darfst du Ruhe finden in seiner Souveränität.
Die nächsten Verse zeigen uns, wie Gott in seiner Souveränität handelt. Ich lese die Verse 22 bis 24:
„Wenn aber Gott willens seinen Zorn zu erweisen und seine Macht zu erkennen zu geben, mit vieler Langmut die Gefäße des Zorns ertragen hat, die zum Verderben zubereitet sind, und wenn er handelte, damit er den Reichtum seiner Herrlichkeit an den Gefäßen des Erbarmens zu erkennen gebe, die er zur Herrlichkeit vorherbereitet hat, nämlich an uns, die er auch berufen hat, nicht allein aus den Juden, sondern auch aus den Nationen.“
Hier werden in diesen Versen zwei Gefäße, zwei unterschiedliche Arten von Gefäßen gegenübergestellt.
Auf der einen Seite haben wir die Gefäße des Erbarmens, auf der anderen Seite die Gefäße des Zorns.
Dementsprechend hat Gott unterschiedliche Absichten mit diesen Gefäßen.
Die Gefäße des Zorns sind zum Verderben bereitet, die Gefäße des Erbarmens sind zur Herrlichkeit vorherbereitet.
Gott ist in diesem Text der Handelnde, und die Gefäße stehen für Menschen.
Es gibt folgende Auslegung zu diesen Versen, gerade von Vertretern aus der calvinistischen beziehungsweise reformierten Ecke: Sie sehen in diesen Versen einen Beleg für die sogenannte doppelte Prädestination.
Das ist ein theologischer Fachbegriff und bedeutet die Vorherbestimmung Gottes, dass Gott vor Grundlegung der Welt einzelne Individuen nicht nur zum Heil vorherbestimmt, sondern auch zur Hölle.
Das ist diese Lehre.
Im ersten Moment könnten einige die Aussagen in diesen Versen so deuten, aber ich glaube nicht an diese doppelte Prädestination.
Ich muss mich auch outen heute als Prediger: Ich denke nicht, dass die Bibel die doppelte Prädestination lehrt.
Es kollidiert mit so vielen Versen von Gottes allgemeinem Heilswillen. Er will nicht den Tod des Sünders, er will, dass jeder Mensch gerettet wird.
Aber ich glaube schon an die Erwählung.
Ich glaube daran, dass Gott sich für dich entscheiden muss, bevor du dich überhaupt für Gott entscheiden kannst.
Das lehrt die Bibel an so vielen Stellen.
Jesus sagt: „Niemand kann zu mir kommen, es sei denn, der Vater zieht ihn.“
Was ist mit Lydia passiert? Der Herr tat ihr Herz auf, so dass sie sich überhaupt bekehren konnte.
Deswegen muss Gott immer am Anfang stehen. Gott muss handeln, aber im Sinne der Erwählung.
Im Rahmen einer doppelten Prädestination von Individuen vor Grundlegung der Welt für die Hölle glaube ich nicht.
Ich will das euch am Text zeigen.
Ich denke, was hier entscheidend ist: Bei den Gefäßen des Zorns wird ein anderes Verb auch im Griechischen verwendet als bei den Gefäßen des Erbarmens.
Bei den Gefäßen des Erbarmens sieht es eher aus wie eine Vorentscheidung, da steht im Griechischen die Vorsilbe „pro“, das bedeutet „vorher“.
Aber genau das steht nicht bei den Gefäßen des Zorns.
Hier steht „zubereitet“, und ich denke, dass es hier um einen Prozess geht.
Sie sind im Laufe eines Prozesses zu den Gefäßen des Zorns geworden.
Und das passt auch besser mit der Erwählung und der Langmut Gottes.
Im gleichen Text hat Gott die Gefäße des Zorns mit Langmut getragen.
Das heißt, das sind sündige Menschen, und Gott hat Geduld, Gott hat so viel Geduld.
Aber da passiert ja auch keine Umkehr, und deswegen macht Gott aus diesen Gefäßen im Laufe eines Prozesses Gefäße, die zum Verderben bestimmt sind.
Da gibt es auch keinen Weg mehr zurück. Irgendwann ist es zu spät. Die Entscheidung trifft Gott.
Douglas Moo erfasst diese beiden Sichtweisen noch einmal gut zusammen. Es hilft uns vielleicht auch noch mal, das auf den Punkt gebracht zu bekommen.
Er sagt: „Gottes Erbarmen wird denen zuteil, die es nicht verdienen, und seine Verhärtung betrifft diejenigen, die durch ihre Sünde bereits die Verurteilung verdient haben.“
So viel zu den Gefäßen des Erbarmens und zu den Gefäßen des Zorns.
Aber wisst ihr, was mir irgendwann aufgefallen ist? Wir Theologen betrachten diese Verse oft für unsere Diskussionen.
Ja, aber diese Verse gibt es nicht in der Bibel, damit wir debattieren können, in welcher Ecke du theologisch stehst.
Deswegen sind uns diese Verse nicht gegeben worden.
Denn Paulus wendet diese wunderbare Wahrheit in Vers 24 ganz persönlich an und sagt: „Das sind ja wir!“
Wir sind Gefäße des Erbarmens, Gott hat sich über uns erbarmt.
Und ich glaube, Paulus muss hier an seine eigene Errettung denken.
Wisst ihr, Paulus war unterwegs auf einer Straße, die nach Damaskus führte.
Er wollte nicht nur eine Bank ausrauben, wie in meinem Beispiel, er wollte Christen verfolgen, er hatte Böses im Sinn.
Und irgendwann entscheidet sich Jesus: Ich greife ein.
Da war nichts in Paulus, es ist freies Erbarmen.
Ich nehme diesen Paulus und mache aus ihm ein Werkzeug in meine Hand.
Und wenn wir uns die Paulusbriefe anschauen, dann sehen wir, dass Paulus darüber nie hinweggekommen ist.
„Mich, den schlimmsten Sünder, hat er gerettet.“ Das ist freies Erbarmen.
Und das möchte ich dir zusprechen, wenn du ein Kind Gottes bist: Was für eine wunderbare Wahrheit, du bist ein Gefäß des Erbarmens.
Ich weiß nicht, ob wir im Himmel viele Fragen haben werden – müssten wir mal Daniel Siemens fragen –, aber ich kann euch sagen, eine Frage werden wir im Himmel haben.
Die Frage, die ich mir im Himmel stellen werde, ist: „Herr, warum ich? Warum ich?“
Und, ihr Lieben, ich werde nach Antworten suchen, und ich werde in mir keine einzige Antwort finden, warum ich.
Aber dann werde ich aufschauen auf ihn. Auf das Lamm, das geschlachtet wird.
Und darin finde ich meine Antwort: Nichts in mir, nichts in Andre hat Gott dazu bewegt, mich zu retten. Alles in ihm, es liegt alles in dem sich erbarmenden Gott.
Und dieser Gott hat auch in dein Leben eingegriffen und dich zu einem Gefäß des Erbarmens gemacht.
Das sollte unsere Freude am Evangelium maximieren: Wir sind Gefäße des Erbarmens.
Paulus ist mit seiner Verteidigung noch nicht fertig. Er kommt zum letzten Punkt.
Er sagt: Gottes Plan wird mit einem Überrest Israels und den Heiden fortgeführt.
Ich lese die Verse 25 bis 29:
„Wie er auch in Hosea sagt: Ich werde nicht mein Volk mein Volk nennen und die nicht Geliebte Geliebte. Und es wird geschehen an dem Ort, da zu ihnen gesagt wurde: Ihr seid nicht mein Volk, dort werden sie Söhne des lebendigen Gottes genannt werden.
Jesaja aber ruft über Israel: Wäre die Zahl der Söhne Israels wie der Sand des Meeres, nur der Überrest wird errettet werden.
Denn indem er das Wort vollendet und abkürzt, wird der Herr es auf der Erde ausführen.
Und wie Jesaja vorhergesagt hat: Wenn nicht der Herr uns Nachkommenschaft übrig gelassen hätte, so wären wir wie Sodom geworden und wie Gomorra.“
Paulus schließt jetzt in seiner Argumentation den Kreis.
Er kommt wieder zur Anfangsfrage zurück, zur Frage in Vers 6: Hat Gott seinen Heilsplan mit Israel aufgegeben?
Es gibt zwei Gründe, warum man zu dieser Annahme kommen könnte.
Der erste Grund ist, dass Gott sich den Heiden zugewendet hat.
Der zweite Grund ist, dass kaum ein Jude zur Zeit von Paulus das Evangelium angenommen hat.
Das sind die Gründe für die Annahme, Gott habe es nicht geschafft oder habe sich abgewandt.
In diesen Versen, die wir uns gerade durchgelesen haben, zitiert Paulus zweimal Hosea und zweimal Jesaja.
Er möchte von der Bibel her, vom Alten Testament – da gab es ja auch nur das Alte Testament zur Zeit von Paulus –, aufzeigen, dass das, was aktuell Stand der Dinge ist, schon immer Gottes Plan war.
Die ersten Verse, Verse 25 und 26, sind die erste Entgegnung durch die Hosea-Zitate.
Er sagt: Die Heiden waren schon immer Teil des göttlichen Plans. Das ist nicht plötzlich Plan B, sie waren schon immer, auch schon im Alten Testament, Teil des göttlichen Plans.
Und zur zweiten Entgegnung: Ja, das stimmt, kaum ein Jude hat das Evangelium angenommen. Aber wie die Jesaja-Zitate deutlich machen, führt Gott seinen Plan mit wem durch? Mit einem Überrest.
Das heißt, die, die aktuell zum Glauben gekommen sind – da gab es ja auch Juden in der Gemeinde –, die sind Teil des Überrests.
Gottes Plan geht auf, und mit denen wird er weitermachen.
Israel hat noch eine Zukunft.
Und damit hat das Evangelium in Römer 9 den Elchtest bestanden.
Das Evangelium ist nicht gekippt, es steht auf einem soliden Fundament des Alten Testaments.
Römer 9 verteidigt damit die Aussage von Römer 8,30. In Römer 8,30 heißt es: „Die er vorherbestimmt hat, diese hat er berufen, und die er berufen hat, diese hat er auch gerechtfertigt, die er aber gerechtfertigt hat, die hat er auch verherrlicht.“
Was Gott anfängt, zieht Gott durch bis zum Ende.
Und das hat Paulus jetzt mit Römer 9 rückwirkend noch einmal begründet.
Leon Morris, ein Bibellehrer, den ich sehr schätze, schreibt: „Gott ist kein belangloser Gott, der unfähig ist, seine Absicht in dem von ihm geschaffenen Universum zu verwirklichen, sondern ein mächtiger Gott, der das tut, was er geplant hat.“
Das ist unser Gott, an den wir glauben.
Ich schließe mit der Brooklyn Bridge in New York.
Die Brooklyn Bridge in New York ist ein meisterhaftes Bauwerk. Sie ist eine kombinierte Hänge- und Schrägseilbrücke und verbindet die Stadtteile Manhattan und Brooklyn in New York miteinander.
Zum Zeitpunkt ihrer Fertigstellung, das war im Jahr 1883, war die Brooklyn Bridge die längste Hängebrücke der Welt.
Was viele nicht wissen: Der Konstrukteur war ein halber Deutscher, ein deutsch-amerikanischer Ingenieur, ein Brückenbauer namens John August Röbling, und er hat die Pläne für diese gigantische Brücke entworfen.
Tragischerweise starb Röbling im Rahmen dieser Bauarbeiten bei einem Unfall.
Sein Sohn Washington Röbling setzte aber die Pläne des Vaters weiter um, trotz der Tragödie.
Aber dann wurde er selber krank und konnte die Pläne nicht weiter umsetzen.
Dann übernahm ein anderes Familienmitglied aus der Familie Röbling und setzte die Pläne um.
Bei der Einweihung dieses fulminanten Bauwerks, das war eine Riesenfeier, schaute man sich den Plan des Vaters an, man schaute sich das Bauwerk an, dann wurden folgende Worte gesprochen: „According to the plan“ – „In Übereinstimmung mit dem Plan“.
Trotz der Tragödie wurde der Plan des Vaters umgesetzt.
Weißt du, wenn du irgendwann vor Gott stehst als Kind Gottes und immer noch im Staunen bist über sein freies Erbarmen, wird Gott dich anschauen und Folgendes sagen: „According to the plan.“
Ich hatte einen Plan für dich.
Ich bin der Architekt deiner Errettung, ich bin der, der die Errettung ausgeführt hat, ich bin der, der die Errettung vollendet.
Mein Plan in deinem Leben ziehe ich durch, weil ich Gott bin und weil mich nichts daran hindern kann.
Das ist so eine wunderbare Wahrheit.
Geh in die neue Woche mit dieser Gewissheit, dass du ein festes Evangelium hast, auf das du bauen kannst.
Gott setzt seinen Heilsplan durch, auch mit dir, selbst wenn du gerade Stürme in deinem Leben erlebst.
Amen.
Die Frage nach Gottes Gerechtigkeit und Erwählung
Und da wirft Paulus jetzt eine Frage auf, die sich uns vielleicht hier auf unseren Sitzen heute auch schon gestellt hat. Vers 14: Was sollen wir nun sagen? Ist etwa Ungerechtigkeit bei Gott? Auf keinen Fall!
Die Frage entsteht, wenn wir Vers 13 lesen: „Ich habe mich für Jakob entschieden und nicht für Esau“ – meine freie Entscheidung. Moment mal, ist Gott dann ungerecht? Gib zu, du hattest diese Frage vermutlich auch. Vermutlich.
Paulus antizipiert diese Frage, aber er sagt: Auf gar keinen Fall, Gott ist doch nicht ungerecht. In Römer 1 bis 3 sagt Paulus, die Gerechtigkeit Gottes wird im Evangelium geoffenbart. Gott ist nicht ungerecht.
Jetzt hätte Paulus verschiedene Dinge erklären können, um zu zeigen, dass Gott nicht ungerecht ist. Aber er schlägt hier scheinbar einen anderen Weg ein. Schaut mal, in den Versen 15 und 16 geht es weiter. Denn er sagt zu Mose, also Gott: „Ich werde mich erbarmen, wessen ich mich erbarme, und werde Mitleid haben, mit wem ich Mitleid habe.“ So liegt es nicht an dem Wollenden, auch nicht an dem Laufenden – also an dem, der sich krampfhaft abstrampelt, um etwas zu bekommen – sondern an dem sich erbarmenden Gott.
Sagen wir mal: Okay, inwiefern ist das eine Begründung dafür, dass Gott nicht ungerecht ist?
Schaut mal, Ungerechtigkeit – wenn wir uns ungerecht behandelt fühlen, setzt das einen Anspruch voraus. Wenn ich denke, ich habe ein Recht auf eine gewisse Behandlung, und diese Behandlung wird mir nicht zuteil, dann fühle ich mich ungerecht behandelt, richtig?
Paulus möchte hier deutlich machen: Leute, wir haben keinen Anspruch! Wir stehen vor Gott mit leeren Händen da. Wir müssen in der Kategorie des Erbarmens denken. Erbarmen ist einfach eine freie Entscheidung Gottes, dass er sich dem Menschen, der er absolut verloren ist, erbarmt. Das ist Erbarmen.
Deswegen schlägt Paulus diese Schiene ein, weil wir gar keinen Anspruch vor Gott haben.
Ein Bild zur Verdeutlichung von Gerechtigkeit und Erbarmen
Ich möchte dieses schwierige Thema mit einem Bild vergleichen. Ich weiß, jedes Bild hinkt, vor allem wenn wir Gottes Handeln menschlich erklären wollen. Da hinkt ja irgendwo jedes Bild. Aber vielleicht hilft dir dieses Bild, die Kategorien von Gerechtigkeit, Ungerechtigkeit und Erbarmen besser zu verstehen.
Angenommen, vier junge Männer kommen auf mich zu und sagen: „Andre, wir wollen eine Bank überfallen, und zwar die da vorne.“ Das Fluchtauto steht bereit, die Jungs sind fertig und wollen losgehen. Ich versuche, sie davon abzuhalten, und sage: „Mach das auf keinen Fall.“ Aber sie wollen das Böse und gehen trotzdem los. Im letzten Moment werfe ich mich auf einen von ihnen und halte ihn davon ab.
Die drei anderen ziehen durch, überfallen die Bank, werden erwischt und kommen alle ins Gefängnis – die drei, der eine nicht.
Kann mir jemand Ungerechtigkeit vorwerfen? Nein. Alle sind absolut böse, alle hätten das Gefängnis verdient. Die drei, die nicht von mir gerettet wurden, haben sich selbst entschieden.
Aber besonders im Fokus steht hier nicht meine Ungerechtigkeit, sondern mein Erbarmen – jemand, der es sich überhaupt nicht verdient hat.
Genau diese Kategorie möchte Paulus, dass wir hier weiterdenken: Gott erbarmt sich. Gott ist so ein guter Gott, der sich über Menschen erbarmt, die es überhaupt nicht verdient haben.
Die Erwählung und Verhärtung am Beispiel von Pharao
Aber, ihr Lieben, der Text geht weiter, und er wird nicht einfacher.
Pharao Verse 17 und 18: Denn die Schrift sagt zum Pharao: Eben hierzu habe ich dich erweckt, damit ich meine Macht an dir erweise und damit mein Name verkündigt wird auf der ganzen Erde. Also nun, wen er will, dessen erbarmt er sich, und wen er will, verhärtet er.
Habt ihr den Vers schon mal in der Bibel gelesen? Er steht tatsächlich in der Bibel. Was bedeutet das?
Zunächst einmal erwähnt Paulus hier das Pharao-Zitat. Gott hat sich entschieden, seine Macht an diesem Pharao zu erweisen. Gott geht es immer um seine Ehre. Ich meine, Gott muss es um Gottes Ehre gehen. Um wessen Ehre sollte es Gott sonst gehen? Es muss Gott um seine Ehre gehen.
Wir haben auch andere Stellen in der Bibel, die sagen, Gott lenkt die Herzen der Könige wie Wasserbäche. Gott hat sich entschieden, seine Macht an diesem Pharao zu demonstrieren, damit ihm alle Ehre gehört und das Volk Israel glaubt, weil es sieht, was er mit dem Weltherrscher tut. Das ist übrigens ein evangelistisches Anliegen Gottes.
Aber das wirft wieder Fragen auf: Was macht Gott da mit dem Pharao?
Vers 19: Paulus antizipiert die nächste Frage: Du wirst nun zu mir sagen: Warum tadelt er noch? Denn wer hat seinem Willen widerstanden? Gott, warum bestrafst du den Pharao, wenn du ihn doch selber verhärtet hast?
Das ist die Frage: Wenn der Pharao doch sowieso nicht anders kann. Das erinnert ein bisschen an eine Marionette, das Bild an der Wand. So dürfen wir uns den Pharao aber nicht vorstellen. Kein Mensch ist eine Marionette, denn es gibt zwei Seiten der Medaille.
Es gibt die Seite der menschlichen Verantwortung. Wir könnten jetzt den Weg einschlagen, den Paulus hätte einschlagen können, indem er sagt: Komm, lass uns mal in 2. Mose den Text anschauen. Wann wurde das Herz von Pharao verhärtet? Nach der sechsten Plage oder bei der sechsten Plage. Das heißt, fünfmal vorher hat der Pharao selber gesagt: Niemals.
Wir dürfen uns den Pharao nicht vorstellen als so einen lieben Jungen, der eigentlich wollte, aber nicht konnte, weil Gott ihn verhärtet hat. Er hat sein Herz auch selber verhärtet, und Gott hat es bei der sechsten Plage verhärtet.
Aber das ist nicht die Argumentation, die Paulus hier wählt. Paulus will den Fokus ganz auf die Souveränität Gottes lenken, auch wenn das andere wahr ist. Dieser Text will etwas anderes sagen.
Die Position des Menschen gegenüber Gott: Der Töpfer und der Ton
Paulus wählt einen anderen Ansatz in den Versen 20 und 21: „Ja, freilich, Mensch, wer bist du, der du das Wort nimmst gegen Gott? Wird etwa das Geformte zu dem Former sagen: Warum hast du mich so gemacht? Oder hat der Töpfer nicht Macht über den Ton, aus derselben Masse das eine Gefäß zur Ehre und das andere zur Unehre zu machen?“
Paulus sagt: Weißt du was, Mensch, du brauchst eine Positionskorrektur. Er verweist auf den Former und das Geformte und will uns allen das Schöpfungsverhältnis noch einmal in Erinnerung rufen. Gott ist der Former, wir Menschen sind das Geformte. Gott ist der Schöpfer, wir sind seine Schöpfung. Gott ist Gott, und der Mensch ist Mensch.
Aber kann es sein, dass wir das in unserem Leben immer wieder einmal vergessen? Paulus hilft uns, das zu erfassen, und er wählt das Beispiel eines Töpfers. Hier geht es zunächst nicht um Gott, sondern um einen Töpfer. Er sagt, der Töpfer kann noch entscheiden. Er hat den Ton vor sich, die Masse, und dann macht er aus einem Teil ein Gefäß zur Ehre, eine wunderbare Vase.
Dann bleibt noch ein Rest. Der Töpfer darf doch entscheiden, mit dem Rest mache ich jetzt weniger ehrenvolle Gefäße daraus, zum Beispiel einen Trinkbecher oder ein Kochgefäß – nichts besonders Ehrenhaftes. Das darf der Töpfer entscheiden, weil er der Töpfer ist.
Und Paulus sagt: In dieser Weise steht Gott über uns. Weißt du was, soll ich dir mal etwas sagen, das uns wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholt? Gott ist dir nicht Rechenschaft schuldig für sein Handeln in deinem Leben. Ja, er wird immer gemäß seines liebevollen Wesens handeln, aber er ist dir nicht Rechenschaft schuldig.
Kann es sein, dass wir als Geschöpfte immer wieder dazu tendieren, Gott auf die Anklagebank zu setzen und uns selbst auf den Richterstuhl? Da sagt Gott: Wer bist du? Wer bist du?
Ich meine, denken wir das mal im zwischenmenschlichen Bereich: Da kommt ein Arbeitnehmer unangemeldet zum Geschäftsführer ins Büro und meint, er müsse dem Geschäftsführer jetzt mal eine klare Ansage machen: „Warum kaufen Sie all unsere Materialien aus dem Ausland und nicht aus der Region? Ich befehle Ihnen, Sie kaufen jetzt aus der Region!“
Der CEO wird ihn anschauen und sagen: „Wer sind Sie? Wer sind Sie? Sie sind Sachbearbeiter, ich bin CEO, ich treffe Entscheidungen, Sie führen aus, oder?“
Wie viel perverser ist es, wenn wir als Geschöpfe uns über Gott erheben und ihm sagen, was er zu tun hat und was nicht. Gott ist Gott, und du bist Mensch. Wer bist du, Mensch?
Das sind harte Worte, oder? Aber ich glaube, sie sind so heilsam. Sie holen uns wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Wer sind wir eigentlich?
Aber weißt du was? Das Ganze hat auch eine seelsorgerliche Komponente. Hiob hatte so viele Fragen an Gott im Leid. Vielleicht gehst du gerade durch Leid. Hiob sagt zu Gott: „Warum? Gott, warum machst du das? Es kann doch nicht sein!“
Weißt du, wie Gott ihm antwortet? „Hiob, wo warst du, als ich die Erde gemacht habe?“ Gleiches Prinzip: Gott verweist auf seine Souveränität, und in dieser Souveränität findet Hiob Ruhe.
Deshalb hat das etwas Seelsorgerliches. Weißt du was? Du musst Gottes Handeln in deinem Leben nicht verstehen können. Dazu fordert dich die Bibel an keiner Stelle auf.
Aber du darfst ruhen in seiner Souveränität, indem du dich fallen lässt in Gottes Arme und sagst: „Du bist Gott, und ich bin Mensch. Ja, ich verstehe nicht alles, aber ich weiß, du bist gut, und du bist so viel größer. Deine Pläne sind so viel größer als meine.“
Wir haben es im Lied von Johannes heute gehört: „Lass los, mein Herz, vertrau auf ihn, denn Wind und Wellen, sie hören auf ihn, er sitzt auf dem Thron.“
Deswegen darfst du Ruhe finden in seiner Souveränität.
Gottes unterschiedliche Absichten mit Menschen: Gefässe des Erbarmens und des Zorns
Die nächsten Verse zeigen uns, wie Gott in seiner Souveränität handelt. Ich lese die Verse 22 bis 24:
„Wenn aber Gott willens ist, seinen Zorn zu erweisen und seine Macht zu erkennen zu geben, hat er mit vieler Langmut die Gefäße des Zorns ertragen, die zum Verderben zubereitet sind. Und wenn er handelt, damit er den Reichtum seiner Herrlichkeit an den Gefäßen des Erbarmens zu erkennen gebe, die er zur Herrlichkeit vorherbereitet hat, nämlich an uns, die er auch berufen hat, nicht allein aus den Juden, sondern auch aus den Nationen.“
Hier werden in diesen Versen zwei Gefäße, zwei unterschiedliche Arten von Gefäßen, gegenübergestellt. Auf der einen Seite haben wir die Gefäße des Erbarmens, auf der anderen Seite die Gefäße des Zorns. Dementsprechend hat Gott unterschiedliche Absichten mit diesen Gefäßen. Die Gefäße des Zorns sind zum Verderben bereitet, die Gefäße des Erbarmens sind zur Herrlichkeit vorherbereitet.
Gott ist in diesem Text der Handelnde, und die Gefäße stehen für Menschen. Es gibt folgende Auslegung zu diesen Versen, gerade von Vertretern aus der calvinistischen beziehungsweise reformierten Ecke: Sie sehen in diesen Versen einen Beleg für die sogenannte doppelte Prädestination. Das ist ein theologischer Fachbegriff und bedeutet die Vorherbestimmung Gottes, dass Gott vor Grundlegung der Welt einzelne Individuen nicht nur zum Heil, sondern auch zur Hölle vorherbestimmt.
Diese Lehre könnte man im ersten Moment in den Aussagen dieser Verse andeuten. Aber ich glaube nicht an diese doppelte Prädestination. Ich muss mich auch heute als Prediger outen: Ich denke nicht, dass die Bibel die doppelte Prädestination lehrt. Sie kollidiert mit so vielen Versen, die Gottes allgemeinen Heilswillen zeigen. Er will nicht den Tod des Sünders, sondern dass jeder Mensch gerettet wird.
Ich glaube jedoch an die Erwählung. Ich glaube daran, dass Gott sich für dich entscheiden muss, bevor du dich überhaupt für Gott entscheiden kannst. Das lehrt die Bibel an so vielen Stellen. Jesus sagt: „Niemand kann zu mir kommen, es sei denn, der Vater zieht ihn.“ Was ist mit Lydia passiert? Der Herr tat ihr Herz auf, sodass sie sich überhaupt bekehren konnte. Deswegen muss Gott immer am Anfang stehen. Gott muss handeln, aber im Sinne der Erwählung.
Im Rahmen einer doppelten Prädestination von Individuen vor Grundlegung der Welt für die Hölle glaube ich nicht. Ich möchte euch das am Text zeigen. Ich denke, was hier entscheidend ist: Bei den Gefäßen des Zorns wird ein anderes Verb verwendet als bei den Gefäßen des Erbarmens. Im Griechischen sieht das bei den Gefäßen des Erbarmens eher aus wie eine Vorentscheidung. Dort steht die Vorsilbe „pro“, das bedeutet „vorher“. Aber genau das steht nicht bei den Gefäßen des Zorns. Hier steht „zubereitet“, und ich denke, dass es hier um einen Prozess geht.
Sie sind im Laufe eines Prozesses zu den Gefäßen des Zorns geworden. Das passt auch besser mit der Erwählung und der Langmut Gottes zusammen. Im gleichen Text heißt es, Gott hat die Gefäße des Zorns mit Langmut getragen. Das heißt, das sind sündige Menschen, und Gott hat Geduld, sehr viel Geduld. Aber es passiert keine Umkehr. Deswegen macht Gott aus diesen Gefäßen im Laufe eines Prozesses Gefäße, die zum Verderben bestimmt sind. Es gibt keinen Weg mehr zurück. Irgendwann ist es zu spät. Die Entscheidung trifft Gott.
Douglas Moo erfasst diese beiden Sichtweisen noch einmal gut zusammen. Das hilft uns vielleicht, das noch einmal auf den Punkt gebracht zu bekommen. Er sagt: Gottes Erbarmen wird denen zuteil, die es nicht verdienen, und seine Verhärtung betrifft diejenigen, die durch ihre Sünde bereits die Verurteilung verdient haben.
So viel zu den Gefäßen des Erbarmens und zu den Gefäßen des Zorns.
Die persönliche Anwendung: Wir sind Gefässe des Erbarmens
Aber wisst ihr, was mir irgendwann aufgefallen ist? Wir betrachten diese Verse gerade wir Theologen oft für unsere Diskussionen. Ja, aber diese Verse gibt es nicht in der Bibel, damit wir debattieren können, in welcher Ecke du theologisch stehst.
Deswegen sind uns diese Verse nicht gegeben worden. Paulus wendet diese wunderbare Wahrheit in Vers 24 ganz persönlich an und sagt: „Ist ja was wir!“ Wir sind Gefäße des Erbarmens. Gott hat sich über uns erbarmt, und ich glaube, Paulus muss hier an seine eigene Errettung denken.
Wisst ihr, Paulus war unterwegs auf einer Straße, die nach Damaskus führte. Er wollte nicht nur eine Bank ausrauben, wie in meinem Beispiel, sondern er wollte Christen verfolgen. Er hatte Böses im Sinn. Und irgendwann entscheidet sich Jesus: „Ich greife ein.“ Da war nichts in Paulus, es ist freies Erbarmen. Ich nehme diesen Paulus und mache aus ihm ein Werkzeug in meine Hand.
Wenn wir uns die Paulusbriefe anschauen, dann sehen wir, dass Paulus darüber nie hinweggekommen ist. „Mich, den schlimmsten Sünder, hat er gerettet.“ Das ist freies Erbarmen. Und das möchte ich dir zusprechen, wenn du ein Kind Gottes bist: Was für eine wunderbare Wahrheit – du bist ein Gefäß des Erbarmens.
Ich weiß nicht, ob wir im Himmel viele Fragen haben werden. Müssten wir mal Daniel Siemens fragen. Aber ich kann euch sagen: Eine Frage werden wir im Himmel haben. Die Frage, die ich mir im Himmel stellen werde, ist: „Herr, warum ich? Warum ich?“
Und, ihr Lieben, ich werde nach Antworten suchen, und ich werde in mir keine einzige Antwort finden, warum ich. Aber dann werde ich aufschauen auf ihn, auf das Lamm, das geschlachtet wird, und darin finde ich meine Antwort: Nichts in mir, nichts in anderen hat Gott dazu bewegt, mich zu retten. Alles liegt in ihm. Es liegt alles in dem sich erbarmenden Gott.
Dieser Gott hat auch in dein Leben eingegriffen und dich zu einem Gefäß des Erbarmens gemacht. Das sollte unsere Freude am Evangelium maximieren: Wir sind Gefäße des Erbarmens.
Gottes Plan wird mit einem Überrest Israels und den Heiden fortgeführt
Paulus ist mit seiner Verteidigung noch nicht fertig und kommt nun zum letzten Punkt. Er sagt, Gottes Plan wird mit einem Überrest Israels und den Heiden fortgeführt. Ich lese die Verse 25 bis 29:
Wie er auch in Hosea sagt: „Ich werde nicht mein Volk mein Volk nennen und die nicht Geliebte Geliebte. Und es wird geschehen an dem Ort, da zu ihnen gesagt wurde: Ihr seid nicht mein Volk, dort werden sie Söhne des lebendigen Gottes genannt werden.“
Jesaja aber ruft über Israel: „Wäre die Zahl der Söhne Israels wie der Sand des Meeres, nur der Überrest wird errettet werden. Denn indem er das Wort vollendet und abkürzt, wird der Herr es auf der Erde ausführen.“
Und wie Jesaja vorhergesagt hat: „Wenn nicht der Herr uns Nachkommenschaft übrig gelassen hätte, so wären wir wie Sodom geworden und wie Gomorra.“
Paulus schließt jetzt in seiner Argumentation den Kreis. Er kommt wieder zur Anfangsfrage zurück, zur Frage in Vers 6: Hat Gott seinen Heilsplan mit Israel aufgegeben?
Es gibt zwei Gründe, die zu dieser Annahme führen. Der erste Grund ist, dass Gott sich den Heiden zugewandt hat. Der zweite Grund ist, dass kaum ein Jude zur Zeit von Paulus das Evangelium angenommen hat. Das sind die Gründe für die Annahme, Gott habe es nicht geschafft und sich abgewandt.
In den Versen, die wir gerade gelesen haben, zitiert Paulus zweimal Hosea und zweimal Jesaja. Er möchte von der Bibel her, vom Alten Testament – denn zur Zeit von Paulus gab es ja nur das Alte Testament – aufzeigen, dass das, was aktuell der Stand der Dinge ist, schon immer Gottes Plan war.
Die ersten Verse, 25 und 26, sind die erste Entgegnung durch die Hosea-Zitate. Er sagt, die Heiden waren schon immer Teil des göttlichen Plans. Das ist nicht plötzlich ein Plan B, sondern sie waren auch schon im Alten Testament Teil des göttlichen Plans.
Zur zweiten Entgegnung: Ja, das stimmt, kaum ein Jude hat das Evangelium angenommen, aber wie die Jesaja-Zitate deutlich machen, führt Gott seinen Plan mit einem Überrest durch. Das heißt, die, die aktuell zum Glauben gekommen sind – darunter waren auch Juden in der Gemeinde – sie sind Teil des Überrests. Gottes Plan geht auf, und mit denen wird er weitermachen. Israel hat noch eine Zukunft.
Damit hat das Evangelium in Römer 9 den „Elchtest“ bestanden. Das Evangelium ist nicht gekippt, es steht auf einem soliden Fundament des Alten Testaments. Römer 9 verteidigt damit die Aussage von Römer 8,30:
„Die er vorherbestimmt hat, diese hat er berufen; und die er berufen hat, diese hat er auch gerechtfertigt; die er aber gerechtfertigt hat, die hat er auch verherrlicht.“
Was Gott anfängt, zieht Gott durch bis zum Ende. Und das hat Paulus jetzt mit Römer 9 rückwirkend noch einmal begründet.
Leon Morris, ein Bibellehrer, den ich sehr schätze, schreibt: „Gott ist kein belangloser Gott, der unfähig ist, seine Absicht in dem von ihm geschaffenen Universum zu verwirklichen, sondern ein mächtiger Gott, der das tut, was er geplant hat.“
Das ist unser Gott, an den wir glauben.
Schlussbild: Die Brooklyn Bridge als Symbol für Gottes Plan trotz Tragödie
Ich schließe mit der Brooklyn Bridge in New York.
Die Brooklyn Bridge in New York ist ein meisterhaftes Bauwerk. Sie ist eine kombinierte Hänge- und Schrägseilbrücke und verbindet die Stadtteile Manhattan und Brooklyn miteinander. Zum Zeitpunkt ihrer Fertigstellung im Jahr 1883 war die Brooklyn Bridge die längste Hängebrücke der Welt.
Was viele nicht wissen: Der Konstrukteur war ein halber Deutscher. Ein deutsch-amerikanischer Ingenieur und Brückenbauer, John August Röbling, entwarf die Pläne für diese gigantische Brücke. Tragischerweise starb Röbling im Rahmen der Bauarbeiten bei einem Unfall.
Sein Sohn, Washington Röbling, setzte die Pläne des Vaters trotz der Tragödie weiter um. Doch auch er wurde krank und konnte die Pläne nicht mehr fortführen. Schließlich übernahm ein weiteres Familienmitglied der Familie Röbling die Umsetzung der Pläne.
Bei der Einweihung dieses fulminanten Bauwerks, die eine große Feier war, betrachtete man den Plan des Vaters und das Bauwerk selbst. Dabei wurden folgende Worte gesprochen: "According to the plan" – also: Übereinstimmung mit dem Plan. Trotz aller Tragödien wurde der Plan des Vaters umgesetzt.
Weißt du, wenn du irgendwann vor Gott stehst, als Kind Gottes und immer noch im Staunen bist über sein freies Erbarmen, wird Gott dich anschauen und Folgendes sagen: "According to the plan." Ich hatte einen Plan für dich. Ich bin der Architekt deiner Errettung. Ich bin derjenige, der die Errettung ausgeführt hat und der sie vollendet.
Mein Plan in deinem Leben ziehe ich durch, weil ich Gott bin und weil mich nichts daran hindern kann. Das ist eine wunderbare Wahrheit. Gehe in die neue Woche mit dieser Gewissheit, dass du ein festes Evangelium hast, auf das du bauen kannst. Gott setzt seinen Heilsplan durch – auch mit dir, selbst wenn du gerade Stürme in deinem Leben erlebst.
Amen!
