Manche zeigen sich verwundert darüber, dass es unter Christen Streit gibt. Der Reformationstag erinnert ja an recht harte Auseinandersetzungen.
Nun kann der Spötter sich leicht machen und sagen: Was ist das für eine Liebe, wenn man sie nicht einmal verträgt, wenn es verschiedene Ansichten gibt? Aber damit verfehlt er die wesentliche Sache völlig.
Tatsache ist, dass es immer wieder harte Auseinandersetzungen um die Frage der Wahrheit braucht. Vielleicht ist das sogar ein Zeichen der Oberflächlichkeit unserer Tage, dass wir kaum noch davon wissen.
Wenn man das Neue Testament aufschlägt und einen Mann wie Paulus betrachtet, der das Hohelied der Liebe geschrieben hat, sieht man, wie Paulus in jedem Brief, den er geschrieben hat, gerungen hat. Diese Briefe sind voll von Auseinandersetzungen über die Verteidigung der Wahrheit.
Die Notwendigkeit des Ringens um die Wahrheit
Wir können in dieser Welt unseren Glauben kaum anders ausdrücken, als immer wieder zu fragen: Herr, stehen wir wirklich auf dem Grund, den du gelegt hast, oder haben wir ihn an unser eigenes Denken angepasst?
Einer der schärfsten Briefe, die Paulus geschrieben hat, ist der Galaterbrief. Dort schreibt er: Selbst wenn ein Engel vom Himmel eine neue Botschaft bringen würde, wäre es trotzdem ein falsches Evangelium. Denn die Botschaft, die Jesus uns durch sein Kreuz gegeben hat, würde dadurch verfälscht.
Wir lesen im Galaterbrief, Kapitel 5: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit. So steht nun fest und lasst euch nicht wieder in das knächtische Joch fangen. Siehe, ich, Paulus, sage euch: Wenn ihr euch beschneiden lasst – das war der alte jüdische Brauch der Religion – so wird euch Christus nichts nützen. Ich bezeuge abermals jedem, der sich beschneiden lässt, dass er das ganze Gesetz zu erfüllen schuldig ist. Ihr habt Christus verloren, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, und seid aus der Gnade gefallen. Denn wir warten im Geist durch den Glauben auf die Gerechtigkeit, auf die man hoffen muss. Denn in Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist. Ihr liefert euch hin! Wer hat euch aufgehalten, der Wahrheit nicht zu gehorchen? Solch Überreden ist nicht von dem, der euch beruft. Ein wenig Sauerteig durchsäuert den ganzen Teig. Ich habe das Vertrauen zu euch in dem Herrn, dass ihr nicht anders gesinnt sein werdet. Wer aber euch irre macht, der wird sein Urteil tragen müssen, er sei, wer er wolle.“
Herr, gib uns Klarheit über dein Evangelium. Amen.
Die Bedeutung der Freiheit in Christus
Liebe Gemeinde,
Als in Preußen einst römisch-katholische Schulen eingerichtet werden sollten, erhielt der alte Fritz eine warnende Eingabe. Er schrieb darauf außen an den Rand die berühmten Worte: „In meinem Staat kann jeder nach seiner Fasson selig werden.“ Das bezog sich damals auf Schulprobleme.
Man hat jedoch den ersten Teil weggelassen, also die Einschränkung „in meinem Staat“, und daraus haben Hans und Grete einen Satz gemacht: „Ich kann ja nach meiner Fasson selig werden.“ Wenn Sie aber den Galaterbrief lesen, stellen Sie fest, dass der Apostel Paulus sagt, mit „seiner Fasson“, mit „seiner Art“ kann man nicht selig werden.
Sie können mit Ihrer angeborenen Wesensart ein netter Kamerad sein, ein schönes Familienleben führen, sogar fromm sein, aber Sie können nicht selig werden. Um diese große Frage redet und ringt Paulus hier: Wie können wir in unserem Leben dieses ewige Heil bei Gott ergreifen?
Er spricht über die letzten Fragen, über Geborgenheit in der gnädigen Hand Gottes, über Frieden mit Gott, Vergebung und angenommen sein. Wie bekomme ich das? Wie finde ich das?
Paulus hat darüber mit den Galatern einen heftigen Streit ausgefochten. Er sagte ihnen, es gibt einen Grund, warum wir von Gott angenommen sind, warum Gott uns lieb hat, warum wir selbst im Tode gewiss sein können, dass wir zu ihm in die Ewigkeit gehen. Dieser eine Grund heißt Jesus.
Er betonte, wenn ihr etwas anderes da einbringt, dann zerstört ihr diese Seligkeit, diese Glaubensgewissheit, diese Freude. Ich muss Ihnen das heute in der Predigt erklären. Ich will das tun.
Ich möchte es gliedern, um das deutlicher zu machen. Zuerst einmal: Jesus befreit.
Die befreiende Kraft der Annahme in Christus
In den Südstaaten Amerikas wurde ein Junge geboren, vaterlos. Seine Mutter hasste ihn und schob ihn recht schnell in ein Erziehungsheim ab. Das war in einem anderen Jahrhundert, einer Zeit, in der man mehr prügelte als liebte.
In diesem Heim prägte sich in dem Jungen schnell eine tiefe Überzeugung der Rache ein. Eines Tages kam es zur Vergeltung: Er schlug seinen Lehrer nieder und brach mit einigen Kameraden über die Mauer aus. Draußen in der Welt machte er eine bittere Erfahrung.
Er hatte immer noch die Hoffnung, irgendwo sein Leben neu aufzubauen. Doch jedes Mal, wenn er als Fünfzehnjähriger einen Neuanfang wagte, begegnete ihm jemand, der ihn gemein hinterging und täuschte. Als er einmal einer ehrlichen Arbeit nachgehen wollte, wurde ihm am Ende der Lohn verweigert. Er war einem Betrüger aufgesessen.
Daraufhin stand für ihn fest: Er würde sich an dieser Gesellschaft rächen. So saß er im Hafen von New Orleans zwischen den Kisten und überlegte, nachdem er schon manche Raub- und Beutezüge mit Kameraden gemacht hatte, wie er sein Glück im Leben finden könne.
Da begegnete ihm ein piekfeiner Herr, der ihn ansprach und sagte: „Komm doch mit mir nach Hause.“ Der Junge war so überrascht, denn so etwas wie Familienleben hatte er noch nie gekannt. Dieser Mann adoptierte ihn. Dieses eine Ereignis warf das Leben des Jungen völlig aus der Bahn.
Die erfahrene Liebe war für ihn so groß, dass er plötzlich einen neuen Namen bekam. Dieser neue Name wurde ihm so heilig, dass er ihn zeitlebens als Verpflichtung empfand und nur diesem Namen Ehre erweisen wollte.
Das war das Leben des berühmten Stanley, der ein Wohltäter der Menschheit wurde, nach Afrika zog, um Livingston zu suchen, und immer sagte: „Mein Leben lief ganz anders, weil mir einmal dieses Wunderbare widerfahren ist, dass mich jemand angenommen hat, unverdient als Kind adoptiert.“
Paulus will den Galatern dasselbe erklären. Er sagt: „Galater, ich verstehe euch doch.“ Das war eine Provinz in Asien. Ihr wollt in eurem Leben etwas Gutes tun, soziale Taten vollbringen, euch für das Rechte einsetzen. Ihr wollt einen lebendigen christlichen Stand erreichen und euch mit ganzer Energie für das Gute und Rechte einsetzen.
Aber merkt euch doch: Das ist nicht mit eigener Energie zu erreichen. Ihr müsst verstehen, dass wir in den neuen Stand hineingeführt werden, weil Gott uns in Christus als Kinder adoptiert hat. Das ist ein Wunder. Man erreicht es nicht durch Energie und Ausdauer, sondern man erhält es unverdient aus Erbarmen. So ist es mir widerfahren.
Dann erzählt Paulus seine Lebensgeschichte. Er war auf dem Weg nach Damaskus. Er verstand die Christen nicht, die dauernd nur von der Sünde redeten. Er lächelte und sagte: „Ich habe doch keine Sünden. Ich bin ein untadliger Mensch. Ich kämpfe für das Gute, Schöne und Rechte.“
Doch dann kam er in seinem Leben ein ganzes Stück weiter. In Damaskus, als Jesus in sein Leben sprach, erkannte er: Die schlimmste Sünde meines Lebens ist, dass ich Jesus von mir weise. Gott will viel mehr, als dass wir nur seine Lohnknechte sind. Er will uns als seine Kinder haben.
Solange ich diesen Herrn Jesus wegwerfe, vergehe ich mich am Größten meines Lebens. Das Wunder geschieht genau dort, und die große Veränderung findet dort statt, wo einer in dieser Welt erkennt, aus welchen Verhältnissen er auch kommt: Heute hat mich Gott als sein Kind angenommen. Er liebt mich, er ist bei mir, und ich darf in der Freude leben – zur Ehre seines Namens.
Merkt euch das: Das ist die Mitte des Evangeliums. Ihr seid hier im Gottesdienst nicht, um Befehle zu empfangen, sondern um eine frohe Botschaft zu hören – die Nachricht, dass Gott euch angenommen hat und ihr seine Kinder sein dürft.
„Herr, du bist mein Hirt, Brunnen aller Freuden. Du bist mein, ich bin dein. Niemand kann uns scheiden.“ Paulus sagt im gleichen Galaterbrief: „So lebe nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Und was ich noch im Fleisch lebe, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich hingegeben hat.“ (Galater 2,20)
Die Freiheit als Grundlage des christlichen Lebens
Und darum war es Paulus so wichtig: Besteht doch in der Freiheit! Ihr seid doch Kinder. Lasst euch nicht durch religiöse Gesetze unterjochen!
Das war doch der Kampf Luthers in der Reformation: die Freude des Evangeliums darf nicht zerstört werden. Lasst euch nicht von irgendjemandem zu Knechten machen. Ihr steht unter der Herrschaft Jesu. Ihm allein gehört ihr, ihm allein dient ihr, er allein ist euer Herr. Lasst euch von niemandem unterjochen!
Ich möchte Ihnen die Frage aber ein bisschen anders stellen: Haben Sie in Ihrem Leben das einmal so klar geregelt? Wissen Sie, dass Sie ein Kind und Eigentum Jesu sind?
Es geht ja auch um unsere Kinder, dass sie das einmal in ihrem Leben regeln müssen: Gehöre ich ihm? Bin ich sein Eigen? Ist er mein Herr? Hat er mir wirklich das neue Leben geschenkt? Und dann stehe ich in dieser königlichen Freiheit.
Besteht Ihr Leben eigentlich nur aus religiösen Gesetzen und Verordnungen? Oder leben Sie in der königlichen Freiheit derer, die Kinder Gottes sein können, die unverhinderten Zugang zum Vater haben und von ihm getragen, geliebt und gestützt werden?
Nur ein fröhliches Christenleben, in dem man aus der Freude zum Vater das Gute, das Nette und die Liebe tut, ist interessant.
Die Trennung durch den Glauben an Jesus Christus
Ein zweiter Punkt
Das Erste war: Jesus befreit. Nun kommt ein zweiter Punkt: Jesus scheidet.
Wenn wir diese Botschaft des Evangeliums so verkündigen – und so steht sie im Evangelium –, dann ist immer das Doppelte mit drin. Auf der einen Seite steht immer wieder, wie wir beschenkt werden. Auf der anderen Seite steht, dass es eine Spaltung gibt: Einer wird angenommen, der andere wird verlassen.
Auf der einen Seite steht die große Gabe, auf der anderen Seite steht, dass man diese Gabe verspielen und verlieren kann. Paulus spricht da sehr hart mit den Galatern und sagt: „Ihr habt Christus verloren, ihr habt nichts mehr von ihm.“ Dabei wissen wir sehr genau, dass damals in Galatien volle Gottesdienste waren. Dort gab es prima Liturgie, Chöre, Mitarbeit, Hingabe, Eifer und Einsatzbereitschaft.
Aber Paulus sagt: „Christus verloren.“ Auch wenn er das noch so oft in den Mund nimmt – habt ihr ihn trotzdem verloren? Was war denn da passiert? Waren da schlimme Irrlehren eingedrungen? Oder waren da grobe Sünden vorgefallen? Nichts von dem.
Bei den Galatern hat sich nur breitgemacht, dass sie versuchten, mit eigenem Bemühen das Glaubensleben zu verbessern. Das ist doch nichts Böses. Sie sagten: „Also, wenn du mit Jesus gehst, dann musst du natürlich auch jetzt in deinem Leben viel deutlicher fertigwerden.“
Sie legten Ordnungen und Maßstäbe fest, wie man im täglichen Leben Christ sein kann. Wenn wir das hören, denken wir immer: Was ist daran falsch? Paulus sagt: „Ihr freut euch, wenn ihr täglich Fortschritte macht und sagt: Ich komme jetzt mit der Reinigung meines Lebens schon weiter, ich bin schon ein besserer Mensch geworden in den letzten Jahren.“ Merkt ihr nicht, dass das alles keine Fortschritte sind, sondern Rückschritte?
Warum denn Rückschritte? Bei euch ist kein Ringen und Mühen mehr da, wie ihr die Gnade und Vergebung Jesu erhaltet. Bei euch ist in eurem Leben alles ein eigenes Ringen und Kämpfen, wie ihr eure Fortschritte im Glauben weitermachen wollt.
Wenn wir aus eigener Kraft, mit eigenem Mühen fromme Leute werden wollen, dann sind wir verloren. Das Böse, das uns alle knächtet – und wir wissen, wie das ist –, lässt sich nicht mit ein bisschen Willen durchschneiden. Wer sagt: „Ich will in meinem Leben selber für Ordnung sorgen“, der täuscht sich über diese Ketten, die er nicht durchbrechen kann.
Darum hält Paulus nicht viel von eigenen Entschlüssen. Er hat nie an den Willen appelliert. Ist es Ihnen mal aufgefallen, dass nie im Evangelium drinsteht: „Ihr müsst aber auch wollen“? Nie!
Ich habe so Sorge, dass wir diesen Galaterbrief noch gar nie verstanden haben in seiner Schärfe, weil wir immer denken: „Ja, jetzt will ich einmal versuchen, im täglichen Leben ein Christ zu sein.“ Nein, Paulus sagt: „So hat es keinen Wert, so kommst du nicht weiter.“
Du kannst in deinem Leben die Macht der Finsternis überhaupt nicht unter die Füße kriegen. Du kannst dich immer wieder bloß diesem liebenden Herrn Jesus ausliefern. Er kann diese Ketten durchbrechen, er kann dich freimachen. Besteh doch in der Freiheit, zu der dich Jesus befreit hat.
Sie kommen in ihrem ganzen Leben nie weiter, nie auf eine höhere Stufe, als immer auf die eine, wo sie sagen: „Alles hat er mir erlassen, alles, kaum kann ich es fassen, alle meine Schuld und Sünde trug er dort für mich auf Golgatha.“ Heute Morgen komme ich nur bis zu dieser Stufe, und das ist die höchste Stufe, die ich erreichen kann, wenn ich sterbe: dass ich sage: „Christi Blut und Gerechtigkeit, das ist mein Schmuck und Ehrenkleid.“
Mit Willen kann ich nicht mehr erreichen, mit Energie kann ich nicht mehr erreichen. Ich kann in jedem Tag meines Lebens nur sagen: „Du, Jesus, musst mein Herr sein, du musst mich treiben, du musst mich erfüllen.“
Ich erinnere an eine Geschichte, die sich damals in der Wüste zugetragen hat, als die Kinder Israel plötzlich in eine große Todesnot gekommen waren. Von allen Seiten kamen Giftschlangen auf sie zugekrochen. Sie waren ganz verzweifelt in diesem Kampf und packten die Schlangen nicht. Die eine wand sich um die Füße, die andere war schon hinten am Hals.
Vielleicht kennen Sie noch das eindrucksvolle Bild, das wir als Kinder so gern bestaunt haben, von Schnuff und Karolsfeld, wo man die Schlange da hinten packt, die gerade in seinen Hals stechen will, und dort die andere. Dann kommt schon die nächste, und dann ringt er.
Jesus hat gesagt: So ist der Kampf, den wir haben mit der Sünde. Aber wer so kämpft, der geht unter. Ich kann nicht dort gegen das Böse in meinem Leben kämpfen und dann gegen die neue Versuchung, die sich bei mir auftut.
Da richtete Mose eine Ehrenschlange auf, und Jesus sagte, das war nur ein Vorbild für sein Kreuz. Mose rief und sagte: „Schaut diese Ehrenschlange an, wer sie ansieht, wird gerettet.“ Da sagten die Leute: „Wir können gerade nicht, wir müssen zuerst die Schlangen wegkriegen.“ Mose rief: „Schaut doch zuerst auf diesen Punkt, den Gott zur Rettung gesetzt hat!“ Aber die sagten: „Wir können nicht, wir sind noch beschäftigt, wir müssen zuerst unser Leben reinigen, wir müssen die Gefahr beseitigen.“
So gibt es in unserem Christenleben ein Mühen, dass wir dauernd sagen: „Ich muss zuerst ein frommer Mensch werden, ich muss zuerst in meinem Leben eine Ordnung erreichen.“ Wir merken gar nicht: Ich werde gerettet, wenn ich in meinem Kampf gegen das Böse auf Jesus schaue.
Er hat für mich gesiegt, er hat für mich die Freiheit erlangt, und ich darf kommen. Wer auf ihn sieht, wird gerettet. Wer an ihn glaubt, der ist angenommen.
Ich kann heute nur mit meiner Schuld und mit meinem verkehrten Leben auf Jesus blicken und sagen: Danke, dass du mich angenommen hast und dass ich dir gehöre.
Paulus sagt: Wer etwas anderes dazu einmengt, der geht verloren. Da scheidet sich etwas. Wer ihn ansieht, wird gerettet. Wer ihn nicht ansieht, ist verloren.
An Jesus scheidet sich unser Glaubensleben.
Die Kraft des Evangeliums als Lebensquelle
Er allein kann unser Leben erneuern. Das Lied drückt das auf einzigartige Weise aus: Wie lange habe ich mühvoll gerungen, gesäufzt unter Sünde und Schmerz. Doch als ich mich ihm überließ, da strömte sein Frieden in mein Herz.
Einen letzten Punkt noch: Jesus wirkt. Bei den Galatern gab es Leute, die sagten, es sei schön, was Paulus sagt. Es sei richtig, dass er immer so auf Jesus verweist. Aber es gebe auch noch eine andere Tradition, die man hochhalten müsse: die jüdische Gesetzestradition. Die müsse man eben auch haben.
Sie wussten, dass es dann schnell dazu kommt, dass die Leute sagen: Die Wahrheit liegt doch irgendwo in der Mitte. Das ist oft so, wenn man keine klare, harte Position beziehen und keine Farbe bekennen will. Dann sagt man, irgendwo in der Mitte liegt es wahrscheinlich. Was Mitte ist, kann man auch nicht genau sagen, aber irgendwo dazwischen wird es liegen – ein bisschen was von Paulus, ein bisschen was vom jüdischen Gesetz.
Und da wird Paulus am erbittertsten, wenn er sagt, er lasse sich das nicht absprechen, als ob das nur ein Einzelgedanke von ihm wäre. Er fragt: Wisst ihr nicht, dass ein bisschen Sauerteig im großen Schüsselteig den ganzen Teig durchsäuert? Wenn ihr nur an einer Stelle in eurem Glaubensleben sagt, der Mensch müsse auch etwas dazu tun, wenn ihr nur einen Hauch davon einführt – nicht mal Mitte, sondern nur einen Prozentsatz, einen Promillesatz davon – dass der Mensch auch etwas tun müsse, dann seid ihr verloren!
Ihr könnt das wunderbarste Glas Traubensaft hinstellen, doch wenn ihr nur einen kleinen Tropfen Zyankali hinein gebt, wird daraus ein Gifttrunk. Im Evangelium gibt es keine Mitte, im Evangelium gibt es nur Eindeutigkeit. Paulus sagt: Wisst ihr, dass die einzige Kraft, die ein Leben wirklich zur Energie und Aktivität treibt, die Liebe Jesu ist? Die Liebe Jesu, die sich dem Menschen zu eigen macht.
Dann sagen die anderen: Nein, Paulus, die Appelle sind es. Man müsse den Menschen auch wirklich ermahnen und fordern. Schauen Sie einmal in unsere Tage, wie wenig Appelle erreichen. Sie können auf einem toten Holzstock noch herumschlagen, es bringt nichts. Und einem Menschen, der unfähig zum Guten ist, können Sie anbrüllen, so viel Sie wollen und sagen: Du musst, du musst – es wird nichts aus ihm.
Paulus erwartet von Appellen nichts. Er sagt nie: Du musst, nie. Er hat Menschen die Liebe Gottes in Jesus vor Augen gemalt. Er wollte ihnen den Gekreuzigten vor Augen stellen und sagen: Wisst ihr, wie ihr in eurem Leben von der Liebe Jesu beschenkt werdet? Und da waren Menschen in den letzten zweitausend Jahren, die sich diesem Jesus zu eigen gemacht haben, die erkannt haben: Das tat er für mich. Und die sich selbst gefragt haben: Was tue ich nun für ihn?
Diese Menschen wollten aus Liebe zu ihm alles tun, nicht weil sie mussten. Ihr einziges Gesetz im Leben bestand nur noch darin: Was darf ich in den Tagen, Jahren und Wochen, die ich für ihn leben darf, für ihn wirken? Wie kann mein Leben wertvoll werden?
Wenn Sie sagen: Aber das hat heute keinen Wert, dem Evangelium müsse man auch Forderungen nachstellen, dann haben Sie das Evangelium noch nie begriffen. Das Evangelium bleibt eine freie Botschaft der Freude. Und wo Menschen dieses Evangelium begriffen haben, da haben sie ihre Lebensfüllung begriffen.
Mit Appellen und Forderungen kann man ein Christentum aufbauen, das trostlos, traurig und kraftlos ist. Paulus war kein Funktionär des Christentums. Paulus war ein Prediger des Evangeliums von Jesus. Er sagt: Lasst euch da nichts daran verrücken! Das Evangelium besteht in der Tat, die er für uns getan hat, und in der Freiheit und Freude der Hingabe.
Was könnte aus Ihrem Leben, aus unserem Leben geschehen, wenn wir uns heute ganz Jesus zu eigen geben würden? Amen.
Schlussgebet und Segensbitte
Wir wollen beten: Herr, dir danken wir für deine frohe Botschaft des Evangeliums. Du hast uns befreit vom Zwang aller Forderungen. Denn wir können ja auch vor deinem heiligen Gericht nicht bestehen.
Du hast uns in deiner großen Vaterliebe zu deinen Kindern gemacht. Durch deinen Tod am Kreuz dürfen wir wissen, dass wir angenommen sind. Du hast die Macht der Sünde überwunden und die Macht der Finsternis besiegt.
Herr, jetzt können wir auch in einem neuen Leben wandeln. Es ist alles deine Begnadigung und das große Geschenk, das du uns einfach so reichst. Gib doch, dass wir das nicht vermischen oder verdrehen, sondern dass allein deine Liebe der Motor unseres neuen Lebens wird. Sie soll viele neue Taten hervorbringen.
Herr, wirke du in uns auch in der kommenden Woche, in all den Aufgaben, in denen wir stehen, und in all den Diensten, zu denen du uns gesandt hast. Gib doch, dass überall, wo dein Wort gepredigt wird, in deiner ganzen weltweiten Christenheit dein Evangelium nicht verfälscht wird zu einer Menschenlehre. Sondern dass Menschen deinen Frieden finden, deine Geborgenheit und die ganze Seligkeit bei dir, die du schenkst.
Wir wollen dich auch bitten für unsere Gemeinde. Wir bringen vor dich all die, die jetzt nicht unter uns sein können, weil sie krank und belastet sind oder weil sie alt sind. Herr, du kannst sie tragen, auch in ihrer Schwachheit, und kannst sie ausrüsten. Sei du jetzt bei ihnen und richte sie auf.
Lasst uns gemeinsam beten: Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name, dein Reich komme, dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.
Wir wollen ihn um seinen Segen bitten: Herr, segne uns und behüte uns. Herr, lass dein Angesicht leuchten über uns und sei uns gnädig. Herr, hebe dein Angesicht auf uns und gib uns deinen Frieden.
