Einleitung: Begegnung mit Glauben in einer entfremdeten Stadt
Mut zum Glauben!
Mit den Pfarrern meines früheren Schondorfer Kirchenbezirks habe ich den letzten Pfarrkonvent in Hamburg erlebt. Dort sind die Pfarrer immer ein paar Tage zusammen, um etwas Neues zu lernen. Hamburg ist neben Basel die deutschsprachige Stadt, die am meisten von der Kirche entfremdet ist. Über 50 Prozent sind aus der Kirche ausgetreten.
Wir haben dort einiges kennengelernt, was die Heilung versucht: die Freie Evangelische Gemeinde, die Landeskirche und auch das Evangelisationsprojekt. Außerdem haben wir den alten Landesbischof Dr. Wölber eingeladen, der inzwischen daheim ist beim Herrn. Er war ein schwer kranker Mann und hat uns schwäbischen Pfarren gesagt: Erzählen Sie nicht so viel von dem, was ohnehin schon in der Zeitung steht. Ganz viele Fragen von Frieden und Gerechtigkeit bemühen sich edle Menschen, sonst sieht die Kirche alt aus. Das wird alles viel aktueller schon in der Zeitung verhandelt.
Aber dann hat er uns beschwörend angeschaut, dieser nüchterne Hamburger: Machen Sie Menschen Mut zum Glauben und machen Sie den Menschen Mut zu einer Hoffnung, die in Gott gegründet ist.
Und das soll uns in den drei Abenden beschäftigen: Mut zum Glauben. Denn eigentlich ist das ja merkwürdig. Wir leben in einem gläubigen Volk, nicht wahr? Um uns herum sind lauter tiefgläubige Menschen. Manche Christen bestreiten das, aber sie ahnen nicht, wie die Menschen um uns herum an Gott glauben!
Sie können die Umfragen starten, wo Sie wollen, ob mit Infas oder mit dem Gallup-Institut in London – Sie kommen immer auf dasselbe Ergebnis: In ganz Europa glauben über 90 Prozent der Menschen an Gott.
Glaube in schwierigen Zeiten und historischen Kontext
Natürlich! Die Eltern unter uns müssten es manchmal den jungen Leuten erzählen: In der Zeit von Adolf Hitler sind Menschen aus der Kirche ausgetreten. Es gab damals eine Propaganda der Partei, die zum Austritt aus der Kirche aufforderte. Wenn jemand im Staatsdienst war, stand später im Pass und in den persönlichen Formularen bei der Religionszugehörigkeit nicht einfach ein Gedankenstrich, sondern „ggl“. Das war die Abkürzung für „gottgläubig“.
Wenn jemand weder evangelisch, katholisch noch neuapostolisch war, sondern überhaupt keiner Kirche angehörte, galt er als gottgläubig. An Gott glaubte er natürlich, aber nicht an die Pfaffen. Sogar Adolf Hitler sprach in fast jeder Rede von der Vorsehung, später vom Allmächtigen und vom Herrgott. Das darf man den Menschen nicht so schnell wegnehmen – ihren Glauben an Gott.
Mein Konfirmantenvater hat einmal zu mir gesagt: „Ich glaube an Gott, ich glaube sogar an die Konfirmation.“ Was genau er geglaubt hat, weiß ich nicht. Aber sicher war, dass die Konfirmation für seinen „bösen Jungen“ einen Wert hat oder so ähnlich. Dass er an Gott glaubt, war jedenfalls ganz klar. Und wir sollten das nicht so rasch wegwischen.
Sogar der große Philosoph der französischen Aufklärung, Jean-Jacques Rousseau, hat gesagt, dass wir unter uns niemals bestreiten sollten, dass jeder von uns an ein göttliches Wesen glaubt. Das sagte er mitten in der schrecklichen französischen Revolution. Wir sollten es nicht bestreiten wollen, dass jeder Mensch irgendwie an Gott glaubt – wie auch immer er sich das vorstellt oder wie er zu ihm steht. Das lassen wir mal offen, aber der Glaube an Gott ist bei jedem Menschen vorhanden.
Der Glaube als Puzzlestück im Lebensbild
Jetzt wird das manchmal lächerlich gemacht. Man sagt dann: Na ja, die glauben an Gott. So wie man im Puzzlespiel in Schwaben „Putzle“ dazu sagt. Wissen Sie, was das ist? Ein Puzzle mit tausend Teilen, meistens kommen die auch aus Ravensburg.
Das Schwierigste ist, wenn ein Teil mehr dabei ist. Fast noch schlimmer ist der Himmel. Da hat man 800 blaue Teile und soll sie zusammenfügen. Man ist überglücklich, wenn man am Schluss den Himmel fertig hat und denkt: Jetzt ist es gut.
Niemand gibt auf und sagt: „Also, Entschuldigung, es bleibt mal ein Teil übrig, ist mir egal, es muss nicht das letzte Himmelsteil zusammenpassen.“ So sagen manche Leute: Ja, sie glauben eben an Gott. Ihr Weltbild setzt sich aus vielen kleinen Teilen zusammen – mein Beruf, meine Kinder, meine Frau, mein Leben, mein Urlaub – und nur der Himmel passt richtig hinein.
Ich glaube das nicht. Manche machen es lächerlich und sagen, die glauben an Gott so, wie sie glauben, dass es den Kilimandscharo in Afrika gibt, obwohl sie noch nie dort waren. Es interessiert sie auch nicht, welche Aufstiegsrouten es gibt oder wie er aussieht. Hauptsache, ihr Weltbild ist fertig, und sie glauben, dass es ihn gibt.
Ich bin nicht davon überzeugt, dass es so billig ist.
Persönliche Begegnungen mit Gott im Alltag
Das Schönste in meinem Fahrdienst war, dass ich Gemeindepfarrer sein durfte. Ach, das fehlt mir heute sehr. Deshalb bin ich so glücklich, in Ihrer Mitte zu sein – mit sehr vielen Hausbesuchen und persönlicher Seelsorge.
Ich habe gerne Menschen nach einigen Minuten gefragt, wenn wir uns unterhielten: „Wie geht es Ihnen?“ Und oft habe ich dann gefragt: „Wann ist Ihnen Gott im Leben begegnet?“ Das waren häufig ganz unkirchliche Leute. Doch jeder hat mit Freude geantwortet, und jeder wusste eine Geschichte zu erzählen.
Mich hat es immer sehr berührt, dass viele erzählten: „Damals in Russland, im Hungerlager, habe ich das erste Mal wieder angefangen zu beten, und Gott hat mich gehört.“ Oder: „Damals, als wir im Luftschutzkeller waren bei den schweren Angriffen auf Duisburg.“ Es waren viele solche Situationen. Auch wenn ich schwer krank war und keinen Ausweg mehr wusste, war das meine letzte Hoffnung: „Lieber Gott, wenn es dich gibt, dann hilf mir.“
Wir sollten das auch nicht lächerlich machen. Die Menschen rechnen mit einem Gott, der in ihr Leben hineinwirken kann – gerade dann, wenn kein Arzt und kein Seelsorger mehr helfen kann. Lieber Gott, hilf!
Gottes Eingreifen im Leben der Menschen
Im Buch Hiob der Bibel, etwa in der Mitte unserer Bibel und kurz vor den Psalmen, steht ein Wort, das eine große Lebenserfahrung bündelt. Sieh, das tut Gott zwei- oder dreimal im Leben jedes Menschen: Er holt sein Leben zurück von den Toten. Das tut Gott in jedem Leben.
Nun frage ich mich, wie oft er das bei Ihnen schon gemacht hat. Ich denke an eine Winternacht im Jahr 1970, als ich von Münzingen herunterfuhr. Ich war fröhlich, weil ich nach Hause konnte. Plötzlich wurde ich von einem Auto geblendet. Ich trat das Gaspedal meines schnellen Opels durch. Als ich aus dem Blendschatten herauskam, hörte die Straße auf.
Ich trat auf die Bremse, doch ich krachte durch einen Zaun. Mein Opel startete wie eine Boeing, dann senkte er sich leicht. Plötzlich war da Wasser – die einzige Stelle im Seeburger Tal, wo das Wasser gestaut ist. Dort bin ich hineingefahren wie eine Rakete. Gott hatte die zehn Meter Wasser für mich vorbereitet, die Lücke zwischen den zwei Bäumen.
Die Hausmeister vom Haus am Berg liefen herbei, als ich mich schließlich aus meinem Auto befreit hatte. Sie sagten: „Sie müssen ja zehn Schutzengel gehabt haben.“ Nein, nicht zehn Schutzengel. Zwei- oder dreimal im Leben tut Gott das: Er holt einen Menschen vom Tod zurück.
Nach einer halben Stunde kam die Polizei. Sie schaute ins Wasser, mein Licht war noch an. Die Forellen kreisten wahrscheinlich im Auto. Die Polizisten sagten, da habe es keinen Wert mehr, da lebe keiner mehr. Und ich stand daneben und sagte: Doch, ich war es. Das tut Gott – zweimal oder dreimal im Leben eines Menschen holt er ihn zurück von den Toten.
Der lebendige Gott tut große Wunder. Deshalb gibt es auch in aller Welt eine Sehnsucht nach Gott.
Weltweite Sehnsucht nach Gott in verschiedenen Religionen
Ich durfte in den Jahren meines Dienstes in der Kirche viel von der Weltchristenheit kennenlernen. Im Jahr 1961 war ich als junger Pfarrer von Ulm Delegierter zur Weltkirchenkonferenz in Neu-Delhi.
Was für eine Welt war das, die Welt des Hinduismus und des Jainismus kennenzulernen! An der Stelle in Sarnath, wo Buddha sechshundert Jahre vor Christus die ersten Jünger versammelt hat, gab es ein buddhistisches Kloster neben dem anderen. Ich werde dieses Erlebnis nicht vergessen. Es war kein Singtsang, sondern das Schreien der Mönche, das mir nicht mehr aus dem Ohr geht – ein Schreien nach Gott!
Am nächsten Morgen in Benares, bei Sonnenaufgang, sah ich Tausende von Pilgern, die demütig und voller großer Erwartung in die Fluten des Ganges steigen. Sie rufen: „O Gott, komm zu mir!“
Es gibt in allen Religionen ein Sehnen nach Gott. Und nun sollten wir das nicht so schnell vom Tisch wischen und sagen: „Na ja, jeder denkt sich seinen Gott aus.“ Den goldenen Buddha oder den Vishnu im Hinduismus, in den Christen – stellt euch das so vor: Durch unsere Welt und ich denke auch durch unseren Kreis heute Abend geht ein Sehnen nach Gott. Wenn wir doch bloß die richtige Telefonnummer wüssten, die richtige Anrede, das richtige Wort.
Die Suche nach Gott und seine Offenbarung durch Jesus
Im Buch Hiob, aus dem ich eben gelesen habe, klagt der fromme Hiob: Ach, dass ich wüsste, wie ich Gott finden könnte! Aber gehe ich vorwärts, so ist er nicht da, gehe ich zurück, so finde ich ihn nicht. Verbirgt er sich zur Rechten, so sehe ich ihn nicht, ist er zur Linken, so schaue ich ihn nicht. Wo ist Gott? Wo ist das Stichwort?
Die Nummer meines Arztes, die Nummer der Feuerwehr, die finde ich in meinem Telefon. Doch wer unter all diesen Göttern ist der wahre Gott? Es gibt viele Geschichten, die in der Christenheit erzählt werden – sozusagen als Beweis, dass der Gott, den wir vertreten, der richtige Gott ist. Aber das klingt oft überheblich: Nicht unser Gott, das ist der richtige Gott. Ich erzähle dir jetzt gleich etwas.
Es gibt Erlebnisse, die so packend sind, dass es schwerfällt, nicht davon zu berichten. Im Jahr 1974 waren wir mit einer Gruppe der Württembergischen Landessynode in Tansania. Wir besuchten die Usambara-Berge, von denen wahrscheinlich die Usambara-Pfeilchen ursprünglich stammen. Auf der höchsten Höhe lag die Missionsstation Lalo. Dort saß die 83-jährige Frida Wohlrab, die Tochter des ersten Missionars, der Jahrzehnte zuvor nach Mnalo kam. Damals hieß der Ort Ohnfriedberg, zur Zeit der deutschen Kolonie Deutsch-Ostafrika.
Sie erzählte uns, dass ihr Vater zusammen mit dem Missionar Johansen von Tanga auf die Hochfläche kam. Als die Träger mit dem Zeltmaterial ankamen, verstanden sie die Sprache, die dort oben auf den Usambara-Bergen gesprochen wurde, nicht. Sie wurden vor die Häuptlinge geführt und machten deutlich, dass sie ihr Zelt irgendwo aufbauen wollten. Es gab Palaver im Häuptlingsrat, und schließlich sagte der Häuptling lächelnd: „Bitte, hier unter diesen Bäumen auf dieser Wiese könnt ihr euer Zelt aufbauen.“
Was die Missionare nicht wussten: In der Vorstellung der Dschaga-Leute dort oben waren das Geisterbäume. In diesen Bäumen wohnten die Seelen der Ahnen. Die Überzeugung war, dass jeder, der an diesen Bäumen vorbeigeht oder in deren Schatten tritt, von den Seelen der Vorfahren getötet wird.
Wohlrab und Johansen bauten ihr Zelt auf und formten aus den umliegenden Zweigen ein Kreuz, das sie aufstellten. Sie hielten ihre Abendandacht und gingen dann ins Zelt. Alle dachten, am nächsten Morgen würde sich nichts mehr regen. Doch beim Sonnenaufgang krochen sie aus dem Zelt und hielten wieder ihre Andacht an ihrem Kreuzzeichen.
Die Leute dort oben in Lalo sagten, bevor der Missionar nur ein Wort der eingeborenen Sprache lernen konnte: „Ihr habt einen Baum, der stärker ist als unsere Bäume.“ Das Kreuzzeichen war der Beginn einer großen Erweckung in Ostafrika, die bis heute anhält.
Die Offenbarung Gottes durch Jesus Christus
Solche Geschichten könnten wir in großer Zahl erzählen. Doch man könnte immer ein Fragezeichen setzen: Na ja, das hast du eben so erlebt, aber ob das wirklich stimmt? Es gibt viele Zufälle.
Deshalb möchte ich mich heute an ein Wort halten, das Jesus von Nazareth gesagt hat. Dieses Wort ist uns überliefert im Buch des Evangelisten Johannes, der Jesus besonders vertraut war. In Johannes 1 steht dieses Wort, Kapitel 1, Vers 18. Vielleicht können Sie zuhause in Ihrer Bibel nachschlagen. Wir werden ja langsam immer mehr von unserer Bibel entwöhnt. Wir kennen gerade bloß noch ein paar Sprüche. Es heißt: Berge sollen weichen und Hügel entfallen. Doch jedes Wort in der Bibel ist wichtig.
Johannes 1,18: Niemand hat Gott je gesehen, auch wir nicht, auch ich nicht. Nicht einmal Prälaten konnten Gott sehen, auch Bischöfe nicht. Niemand hat Gott gesehen, weder die in Samnath noch die in Lalo. Niemand hat Gott gesehen, unsere germanischen Vorfahren nicht. Der Eingeborene, der Gott ist und im Schoß des Vaters ist, hat es uns verkündet.
Es gibt einen Experten, der uns sagen kann, wer Gott ist, wie Gott zu uns steht und was er will. Das ist der, der in Gottes Welt eingeboren ist. Hier gibt es sicher auch viele Eingeborene. Eingeborene gibt es nicht nur in Indonesien. Alle, die hier in Wein geboren sind, sind Eingeborene von Wein, nicht wahr? Ich bin ein Eingeborener vom Schwarzwald.
Aber in der Welt Gottes seid ihr zwar nett, doch dort seid ihr nicht geboren. Einer gehört zur Welt Gottes und ist aus dieser ewigen Welt Gottes zu uns gekommen. Er hat uns erzählt, wer Gott ist.
Wir haben natürlich auch Menschen bestritten. Die Bibel erzählt uns das in den Evangelien. Wir haben gesagt: Wenn du sagen würdest, ich bin Rabbi, ein Lehrer, ein großer Meister, würden wir das akzeptieren. Aber du kannst nicht sagen, du kommst von Gott. Sie haben sogar einen Prozess gegen diesen Jesus geführt.
Dabei ging es nicht darum, ob er den Tempel abreißt. Das ließen sie am Schluss alles fallen. Sondern nur um die Frage: Ich beschwöre dich, sag uns, bist du der Sohn Gottes? Und Jesus sagt Ja.
Sie sagten: Dann brauchen wir gar nicht mehr weitermachen. Wenn dieser Schreiner aus Galiläa sagt, dass er etwas mit Gott direkt zu tun hat, ist das eine Beleidigung für Gott. Dann hängen wir ihn auf. Wenn wir auf einen verzichten können, dann auf den.
Und sie haben ihn getötet. Doch Gott hat ihn zurückgeholt. Er hat keinen Goethe zurückgeholt, obwohl wir in unserer Welt mit dem vielen Dreck diesen Dichter, der auf so viel Edles hingewiesen hat, hätten brauchen können. Er hätte nicht einmal Friedrich von Schiller zurückgeholt, unseren Landsmann. Über den hätten wir uns besonders gefreut.
Nicht den Sauerbruch, keinen Arzt, keinen Forscher, nicht den Mahatma Gandhi, nicht den Albert Schweitzer – die hätten wir alle brauchen können in unserer egoistischen Welt.
Diesen Jesus hat Gott zurückgeholt und gesagt: Der ist es, wenn ich einen brauche. Und wenn ihr einen braucht, dann den. Das ist der Beweis, dass er der Sohn Gottes ist.
Die Jünger glaubten es zunächst nicht. Sie dachten eher, dass der Jesus, der ihnen noch einmal entgegentritt, ein Gespenst sei. Jesus sagt: Kommt, betastet mich. Gott hat mich zurückgeholt, um deutlich zu machen: Ich gehöre zur Gotteswelt, ich bin der Sohn Gottes.
Sie können also ruhig darauf vertrauen, was Jesus über Gott sagt.
Gottes Wesen und die Kraft des Glaubens
Dass es Gott gibt, daran zweifelt kaum jemand. Aber wissen wir wirklich, wie Gott ist? Schon bei den Propheten und den Psalmdichtern, Jahrhunderte bevor Jesus kam, gab es eine Ahnung davon. Es war, als hätte Gott den Vorhang ein wenig zurückgezogen.
„Meine Seele ist ruhig und still geworden bei dir, o Gott, wie ein Kind bei seiner Mutter.“
„Weißt du nicht? Hast du nicht gehört? Der Herr, der ewige Gott, wird nicht müde noch matt. Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, da sie auffahren mit Flügeln wie Adler.“ Wunderbar!
Ich wohne in Ulm, in der Adlerbastei, nur ein paar Meter entfernt von der Stelle, an der der Schneider von Ulm das Fliegen probiert hat. Heute wissen wir, dass er fliegen konnte – oben am Michelsberg, dort, wo es Aufwind gab.
Aber als der dicke König Friedrich kam, wollte er nicht auf dem Michelsberg fliegen sehen, sondern an der Donau. An den Flüssen gibt es aber keine Aufwinde, sondern Abwinde. Der ganze Flugapparat des Schneiders von Ulm war deshalb umsonst, weil es dort keinen Aufwind gab. Segelflieger sagen: „Barth nicht.“
Wir müssen mal sehen, wenn es richtiges Segelflugwetter ist. Die Segelflugzeuge hebt es dann richtig hoch, sie werden nach oben gezogen. Und das ist das Bild: Ein Adler muss nicht wie ein Sperling mit den Flügeln schlagen, er lebt vom Aufwind.
„Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, da sie auffahren mit Flügeln wie Adler.“ Was für eine Ahnung schon von Gott! Ich wünsche es ihnen. Auch in der kommenden Woche, in der Sie viele Abwinde erleben werden, die Sie nach unten ziehen. Dennoch sind Sie getragen von den Aufwinden Gottes.
Gleichnisse Jesu als Bild für Gottes Wesen
Aber wir wollten ja etwas von Jesus hören. Wie ist Gott? All das Herrliche aus dem Alten Testament wird von Jesus noch übertroffen. Er sagt es uns so anschaulich. Er erzählt eine Geschichte nach der anderen, um sie einprägsam zu machen – und das kostenlos. Nehmen Sie nur die Gleichnisse.
Da heißt es nicht: Das Himmelreich ist wie ein Hochzeitsfest, nicht einmal: Das Himmelreich, das Reich Gottes, ist wie eine königliche Hochzeit. Sondern: Es ist wie ein König, der seinem Sohn eine Hochzeit ausrichtet. Das Himmelreich ist gleich einem Hausvater, der seine Arbeiter beauftragt.
Wenn Sie den Gleichnissen nachgehen, sehen Sie, dass es immer um eine einzige Gestalt geht. Das Himmelreich ist gleich einem Sämann, der guten Samen aussät. Auch was für ein Ackerfeld! Das würden selbst wir fleißigen Schwaben nicht bebauen, wenn drei Viertel unfruchtbarer Boden sind – felsig, dornig, mit Wegen, die darüber laufen, und nur hier und dort etwas aufgeht.
Und Jesus sagt: So wie es in Wein und in Ulm ist, dass drei Viertel in die Binsen gehen, in die Hecken, also keine Chance haben, Frucht zu bringen, macht dieser göttliche Sämann weiter. In Wein, in Ulm und in Biebrach, durch die Jahrhunderte hindurch. Er gibt nicht auf – so ist Gott.
Das Gleichnis vom verlorenen Sohn als Bild für Gottes Liebe
Nehmen wir ein anderes Beispiel von den großen Gleichnissen, die Jesus erzählt hat. Wir sprechen immer von der Geschichte vom verlorenen Sohn. Das ist das Gleichnis vom Vater.
Der eine Sohn sagt: „Vater, ich habe es satt, bei dir zu sein. Gib mir, was mir zusteht von deinem Erbe. Ich kann nicht warten, bis du abkratzt.“ Und der Vater gab ihm das Gut, und der Junge geht weg.
Das ist doch meine Geschichte. Ich weiß nicht, wie es bei Ihnen ist, aber es ist meine Geschichte. Was hat Gott mir in Güte gegeben, der himmlische Vater? An Gesundheit, an Lebenszeit? Von meinen Vätern und Onkeln sind so viele im Krieg geblieben, und ich darf demnächst sechzig werden. Was ist das für eine Chance? An Möglichkeiten des Arbeitens, an Freunden.
Was hat Gott uns gegeben, dass wir Urlaub erleben können? Über vierzig Jahre Frieden – das hat es in Europa ganz selten gegeben. Gott gibt in Fülle.
Bin ich auch einer von denen, der es satt hat, mit Gott in Verbindung zu treten? Wenn ich einen Bibelabschnitt gelesen habe morgens – manche Leute lesen ja die Herrnhuter Losungen gerne als kurze Hausandacht – wie ist es, wenn man sie mittags fragt: Was war heute Morgen das Wort Gottes? Wüssten Sie es noch? Vom unbedeutendsten Telefonanruf, den Sie morgen kriegen – vom Kohlenlieferanten – würden Sie es noch wissen? Nein, oder?
Warum ist das so, dass mir Gott so gleichgültig ist? Dass, wenn stilles Gebet ist und der Pfarrer ein bisschen lang braucht, bis er sich wieder herumdreht, wir denken: Wie lange macht er es denn heute? Weil mir schon gar nicht mehr einfällt, was ich beten soll?
Wir laufen doch lieber von Gott weg. Wir wollen gar nicht von anderen reden, sondern von uns, als dass wir in seiner Nähe sind. Und Gott gibt das Gute. Er teilte ihnen das Gut.
Und dann entdeckt plötzlich einige Zeit später der junge Mann, dass alles weg war: das ganze Geld, die Freunde, er steht allein da, hat nichts mehr. Dass ihm alles zwischen den Fingern zerronnen war, wie Sand, der zwischen den Fingern durchgeht.
Seitdem ich ins Alter gekommen bin, frage ich mich manchmal: Was ist eigentlich geblieben von all dem, was ich geschafft habe? Von all dem, was ich gewollt habe? Von meinen Plänen für meine Familie, für meine Kinder?
Es ist eine Geschichte, die Jesus erzählte, der wir uns dauernd vorfinden können. Das Leben ist nur vorbeigesurrt. Und was habe ich eigentlich? Und wenn Sie in meinem Grab sagen: „Er hat sich gemüht und eingesetzt“, dann werden genügend andere dastehen und sagen: „Ich habe ihn auch anders kennengelernt, den Chefbuch.“
Was bleibt denn? Es bleibt, dass dieser junge Mann einen Gedanken hat: Der Vater, wenn ich bloß noch bei ihm kleiner Angestellter bin, wenn ich nicht mehr in Sohnes Recht hineinkomme, mein Vater hat Brot für die Fülle. Ich will zu ihm gehen.
Er sagt: „Vater, ich habe alles falsch gemacht, vergib mir, gib mir noch mal eine Chance.“ Und als er noch ferne war, sah ihn sein Vater, lief ihm entgegen, fiel ihm um den Hals und küsste ihn.
Dann darf der junge Mann seine besten Kleider anziehen, umgeben mit dem neuen Gewand, dem besten Gewand aus der Fahrt. Der Vater gibt ihm einen Ring an die Hand. „Schlachtet das gemästete Kalb, mein Sohn ist zu Hause!“
Liebe Freunde, so, so ist Gott.
Aufruf zur Veränderung und neues Vertrauen
Es ist doch die Frage nicht, ob wir an Gott glauben, sondern ob das unser Leben verändert – auch wenn wir jeden Sonntag in der Kirche sind. Ob wir, um es schwäbisch zu sagen, noch einmal neuen Schwung bekommen.
Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen, ganz neu. Ich will neu anfangen mit dem Beten – zu dem Vater, der Sie und mich versteht.
Nehmen Sie nur das große Gebet Jesu an den Vater, das wir oft so gedankenlos beten: „Vergib uns unsere Schuld.“ Mein Leben hat nicht nur Spuren guter Werke hinterlassen, sondern auch dort, wo ich Menschen enttäuscht und verletzt habe, eine Spur von verpassten Chancen.
„Vergib uns unsere Schuld“ – das kann der Vater. Und: „Erlöse uns vom Bösen.“ Wenn ich das tun muss, was ich gar nicht tun will, wenn die Bilder über mich kommen, die Lust, wenn ich mich fühle, als wäre ich mit tausend Stricken an das gebunden, was mich nach unten zieht, darf ich den Vater bitten: Erlöse mich vom Bösen und halte mich heraus von der Versuchung. Bewahre mich doch vor mir selbst!
Ha, das sind Gebete! Sie dürfen am Vaterunser entlang beten. Beten Sie heute Abend das Vaterunser und überlegen Sie, was in jedem Abschnitt eigentlich jetzt in Ihr Leben hineingehen kann – bei der Schuld, bei der Versuchung – und sagen Sie: Vater, der Jesus hat es verlässlich gesagt, dass ich dies hinlegen kann.
Es soll doch in unserem Leben etwas anders werden, dass es nicht langsam auspendelt wie bei so vielen Menschen. Die Sehnsucht des schwäbischen Menschen ist ja die höchste Sehnsucht, dass man gesund sterben dürfe, dass man also nicht ganz plötzlich und unerwartet stirbt.
Der Vater hat mehr bereitet: Sein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Da ist es wichtig, dass wir einmal dort sind – viel wichtiger als dass wir heute Abend hier sind – in der Herrlichkeit Gottes in Ewigkeit. So ist Gott.
Darf ich Sie bitten, dass Sie heute Abend noch einmal ganz neu zu Hause diesen Vater anrufen? Er ist eigentlich der Vater Jesu Christi, aber Jesus sagt: Ihr dürft mit mir, dafür habe ich gesorgt, dass ihr so vertrauensvoll ihn anrufen dürft.
Bitten Sie, dass sein Reich komme, dass sein Wille geschieht – auch in unseren Familien, in unserem Volk –, dass sein Name geehrt wird, durch uns zuerst. Und dass wir einmal heimkommen zu Gott und heute anfangen zu sagen: Ich will, ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen.
Schlussgebet und Bitte um Gottes Hilfe
Wir wollen sitzen bleiben und beten. Herr, hilf uns zu einem heiligen Wollen, das nicht automatisch davon ausgeht, dass schon alles in Ordnung ist, nur weil wir mit dir, Gott, rechnen und weil du uns nicht gleichgültig bist. Sonst wären wir heute Abend nicht hier.
Gib uns einen Hunger, zu dir heimzukommen und neu mit dir anzufangen. Danke, dass du uns rufst und dass in deinem Wort steht: „Ich strecke meine Hände aus den ganzen Tag.“
Jetzt dürfen wir heimkommen, weil du uns schon entgegengelaufen bist.