Ich hoffe, dass wir heute ein Stück weit von dem verheißungsvollen Land erspüren, wenn wir uns Gottes Wort widmen.
Wir haben bereits die lange Textlesung aus Rut 1 gehört, bevor wir Gott angebetet haben. Es handelt sich um die Verse 6 bis 22, das ist der Predigttext, den ihr in euren Bibeln mitlesen könnt. Ich werde ihn jetzt nicht noch einmal vorlesen, sondern direkt in den Text hineingehen.
Es ist unsere zweite Einheit in dieser Reihe „Rut“. Vor zwei Wochen haben wir uns die ersten sechs Verse angeschaut. Dort haben wir gesehen, wie Naomi – oder Noomi, wie du sie nennst, das ist ziemlich egal – mit ihrer Familie aus Israel herausgezogen ist. Ich werde bei den Namensnennungen manchmal springen, entweder Noomi oder Naomi.
Naomi ist mit ihrer Familie in ein eigentlich gottfremdes Land, ein gottfeindliches Land, nach Moab gezogen. Damit hat sie Gott den Rücken gekehrt und versucht, sich in einem Land, das Gott nicht kennt – Jahwe, den Gott Israels, interessiert es dort kaum –, eine neue Zukunft aufzubauen. Man kann sagen: Moab interessiert sich nicht für Jahwe.
Sie sind dorthin gegangen, weil sie dachten: Hier finden wir unser Glück, hier finden wir unsere Erfüllung, hier bauen wir uns unsere Zukunft auf.
In den ersten Versen haben wir gesehen, dass Naomi den Preis für ihre Entscheidung zahlen musste – und dieser Preis war erheblich. Vers 5 endet mit den Worten: „Da starben auch ihre beiden Söhne.“ Die Frau blieb zurück, ohne ihre beiden Söhne und ohne ihren Mann.
Hier wird noch einmal zusammengefasst, was mit Naomi geschehen ist: Am Ende ist Naomi ganz allein. Obwohl im ersten Kapitel noch viele Personen auftreten, auch zu der Zeit Menschen, die sie umgeben, zum Beispiel ihre Schwiegertöchter, von denen wir heute einiges hören, ist das so eine Zusammenfassung: Naomi ist ganz allein.
Aus meiner Sicht ist das auch eine Überschrift über ihr Leben in Kapitel 1: Naomi ist allein. Und auch das, was wir jetzt hören werden – die nächsten Verse 6 bis 22 –, obwohl sie mit Ruth und Orpa, ihren Schwiegertöchtern, kommuniziert und im Gespräch ist, werden wir sehen: Naomi ist ganz allein.
Wir sehen in der Entwicklung der Geschichte, dass aus einer anfänglichen Hungersnot in Israel, weswegen sie auch nach Moab gegangen ist, wo die Wiesen satter waren, eine innere Hungersnot in Naomi entsteht.
Die Worte, die wir heute hören werden, sagt man nicht mal eben so. Das, was ich heute sagen werde, ist teilweise schwere Kost, dessen bin ich mir bewusst. Ich sage das nicht leichtfertig, aber es ist eine ernste Lektion, die Gott den Gläubigen mitgeben möchte.
Somit steht die Predigt unter dem Wort aus Sprüche 4: „Mehr als alles, was man sonst bewahrt, behüte dein Herz. Mehr als alles, was man sonst bewahrt, behüte dein Herz, denn in ihm entspringt die Quelle des Lebens.“
Unter dieser Überschrift soll es heute darum gehen, darauf zu achten, wie Gott möchte, dass wir unser Herz bewahren.
Aufbruch und erste Herausforderungen
Wir lesen in Vers 6, dass Naomi sich gemeinsam mit ihren Schwiegertöchtern auf den Weg nach Hause, nach Israel, macht. Sie hat gehört, dass es dort wieder Essen geben wird. Gott hat die Gebete Israels gehört, wird Gnade schenken und erneut Nahrung geben.
Nachdem sie alles verloren hat und allein in Moab ist, beschließt sie also, zurück nach Hause zu gehen – und das nicht allein, sondern zusammen mit Orpa und Ruth. Das ist ihr Plan, und sie ziehen los.
Mitten auf dem Weg sagt sie in den Versen 8 und 9 Folgendes: Naomi sagte zu ihren beiden Schwiegertöchtern: „Geht, kehrt um, jede in das Haus ihrer Mutter! Der Herr erweise euch Gnade, übrigens der Herr, der Gott Israels.“ Wenn im Alten Testament „Herr“ in Großbuchstaben steht, ist das immer ein Synonym für Jahwe. „Jahwe erweise euch Gnade, so wie ihr sie den Verstorbenen und mir erwiesen habt. Jahwe gebe es euch, dass ihr Ruhe findet, jede in dem Haus ihres Mannes.“ Dann küsste sie sie, und sie erhoben ihre Stimme und weinten.
Wenn wir das erst einmal lesen und nicht still werden vor diesen Worten, verstehen wir nicht die Tragweite. Was wünscht Naomi? Auf den ersten Blick denkt man: Sie ist doch gut drauf. Sie wünscht Positives, entlässt ihre Schwiegertöchter mit einem Segenswort. Ist das nicht das, was Eltern ihren Kindern sagen sollten? „Ich möchte, dass du Gnade von Gott erfährst. Ich möchte, dass du Ruhe findest nach dieser turbulenten Zeit.“
Diese Zeit war wirklich, und das möchte ich betonen, sehr, sehr schwer für alle Beteiligten – nicht nur für Naomi, sondern auch für Orpa und Ruth. Sie haben ihre Männer verloren, ihre Familien verlassen und sich dieser Familie angeschlossen. Jetzt wollen sie nach Israel gehen. Das war eine turbulente Aktion.
Da wünscht Naomi also Gnade und endlich Ruhe – Ruhe für ihre Seelen. Aber man kann sich schon fragen: Wohin möchte Naomi ihre Schwiegertöchter schicken? Ist sie nicht selbst Teilhaberin der Gnade Gottes, der Segnung Gottes? Ist sie nicht die Israelitin, die Jüdin, die den beiden sagen kann, wo man wirklich Gnade findet?
Hat nicht Abraham, der Stammvater, die Verheißung von Gott erhalten? „Durch dich sollen alle Völker der Erde gesegnet werden.“ Du Israel bist dazu auserkoren, ein Segen für die Nationen zu sein. Und jetzt sagt diese Israelitin, diese Jüdin, die anscheinend die ganze Geschichte Gottes vergessen hat: „Ich wünsche dir Gnade von Jahwe in einem Land, das Gott nicht kennt. Geht zu euren Müttern und findet dort Gnade, findet Ruhe.“
Wenn wir ins Alte Testament schauen, sehen wir, dass in den Büchern Mose Gott sagt: „Noch habt ihr keine Ruhe, ihr seid noch auf dem Weg, ihr seid noch nicht am Ziel angekommen. Ihr habt noch keine Ruhe, aber ihr werdet in euer Land kommen, und dort werde ich euch Ruhe geben, dort werde ich euch Ruhe verschaffen.“ Ruhe ist ein Wort, das auch sehr stark mit dem Sabbat in Verbindung gebracht wird: Endlich rasten, endlich Frieden! Nicht immer diese Dynamik, nicht diesen Tumult, dieses Chaos, sondern meine Seele soll zur Ruhe kommen.
Naomi weiß aus ihrer Geschichte: Ruhe findet man dort, wo Gott wohnt – und das ist in seinem Land, im Alten Testament. In Israel ist sie zu Hause, dort wohnt Gott, dort hat Gott seine Verheißung gegeben. Dort hat er versprochen, Ruhe für die Seelen zu schaffen. Und sie sagt: Finde Ruhe in deinem Land!
Ja, sie hat doch gemerkt, dass es in diesem Land keine Ruhe gibt, wenn man Gott vergisst, wenn man Gott ins Abseits katapultiert. Dort findest du keine Ruhe, und ihr Leben zeigt es doch. Und sie sagt ihren Schwiegertöchtern: Das ist eine Zumutung! Geh und finde dort Gnade, finde dort Ruhe – und vor allem: wessen Ruhe? Jahwes Ruhe, die Ruhe vom Gott Israels.
Es ist mega paradox, denn Orpa – wir werden noch zu ihr kommen – geht ja dann. Und Naomi sieht, dass Ruth ganz schön hartnäckig ist.
Die Trennung von Orpa und Ruth
Sie will nicht von den Versen abweichen. Und in Vers 15, was sagt sie zu ihr? Siehe, deine Schwägerin ist zu ihrem Volk und zu ihrem Gott zurückgekehrt. Orpa ist nicht zu Jahwe nach Hause gekommen, sie ist wieder in ihren alten Götzendienst zurückgekehrt. Dort, wo Gott nicht bekannt ist, wo die Maßstäbe Gottes egal sind, dort ist sie zurückgegangen.
Naomi befindet sich in einem Zustand, in dem sie sagt: "Der Gott Israels soll dich segnen in Moab." Dann sagt sie: "Weißt du, sie ist gerade gegangen. Warum bist du noch hier? Sie ist zu ihrem Volk und zu ihrem Gott gegangen." Es ist paradox, was mit Naomi hier passiert. Sie weiß nicht, was sie da tut.
Wir sehen an Naomi, dass sie kein echtes Interesse an den Seelen ihrer Schwiegertöchter hat. Naomi hatte die Gelegenheit, ein Zeugnis zu sein, in der Not diese Töchter mitzunehmen und zu sagen: "Ich möchte jemanden vorstellen, der uns Gnade und Ruhe geben kann in unserer Unruhe." Ich weiß, in meinem Leben hast du das in den letzten Jahren nicht gesehen, aber ich erinnere mich: Das hätte Naomi tun sollen. Sie hätte Orpa und Ruth in Kontakt bringen können mit Gott und mit seinem Volk. Diese Chance vertut sie.
"Kehrt um, kehrt um, kehrt um" sagt sie dreimal zu den beiden. Das ist schon eine ganz schöne Packung. Willst du mich gar nicht? So sehr interessierst du dich für mich, dass du mir nicht einfach einmal sagen kannst, wenn wir darüber sprechen, sondern dass du gleich dreimal sagen musst: "Kehr um und geh, kehr um und geh, kehr um und geh." Ja, was muss passieren, wenn deine Schwiegermutter dir das sagt?
Zu Ruth sagt sie es noch einmal. Insgesamt sagt Naomi in dem ganzen Text viermal: "Kehr um, geh." Sie hat kein Interesse an den Herzen derer, die ihr anvertraut sind. Das sollte auch für uns eine Mahnung sein: Wie sehr interessieren wir uns eigentlich für die Menschen, die um uns herum sind? Haben wir echtes Interesse daran, dass die Menschen um uns herum Gott kennenlernen, dass sie die Segnungen und Zusagen Gottes, die er seinen Gläubigen gibt, ebenfalls erfahren? Oder sind wir wie Naomi und sagen: "Eigentlich sind mir die anderen völlig egal, es geht um mich. Ich sehe nur mich, ich sehe nur meine Not."
Man könnte sagen, in den Versen 11 bis 13 führt Naomi auch nachvollziehbare Argumente ins Feld. Sie sagt ja wiederholt: "Du, ich habe keine anderen Söhne mehr, die ich dir geben könnte. Und selbst wenn ich jetzt diese Nacht nochmal schwanger werden würde und dann auch noch Kinder austragen sollte, willst du so lange darauf warten, bis die erwachsen sind?" Also ist das ja logisch, oder? Es ist doch nachvollziehbar.
Würde nicht jede Schwiegermutter dann sagen: "Weißt du was, ich halte es echt in Ehren, was du für mich tun möchtest, aber lass gut sein. Es ist besser, dass du in ein gottloses Volk gehst und dort deine Zukunft findest, dass du dort deinen Traummann findest, dass du dort Familie gründest, dass du das tust, wonach sich doch jede junge Frau sehnt. Bei mir kannst du das nicht finden."
Menschlich gesehen, wenn wir auf diesen Text schauen, ist das menschlich gesehen ja verständlich. Ja, ich würde auch so argumentieren. Naomi, ich kann nicht verstehen. Du sagst eigentlich das Richtige: Die Rahmenbedingungen in meinem Land sind schlecht, die Versorgung wird für dich schlecht sein, du hast keine Perspektive in dem Land, wo Gott König ist. Das ist letztendlich die Aussage, die Naomi trifft.
Was aus ihr spricht, ist Kleinglaube. Denn wer das Buch gut kennt, weiß, dass Gott ganz andere Pläne hat. Pläne, die sich Ruth noch nicht einmal vorstellen kann. Gott kann diese Schwiegertochter Ruth auf eine Art und Weise segnen, so dass sie noch im Neuen Testament eine Bedeutung bekommt. Ich verrate jetzt nicht zu viel.
Gott hat eine Perspektive, Gott hat Zukunft, Gott hat Pläne, die bis heute reichen, sodass wir heute an diesem Tag über Ruth sprechen. Naomi sieht nur den nächsten Schritt, vielleicht noch nicht einmal den nächsten Schritt, und verzweifelt völlig. Sie sagt: "Gott ist König in meinem Land, aber dort hast du keine Hoffnung, denn dieser Gott kümmert sich nicht um dich. Der Gott, dem ich angehöre, kümmert sich auch nicht um mich."
Was Naomi macht, ist, dass sie ihren Schwiegertöchtern eine Art und Weise überstülpt, die sie selbst Tag für Tag eingenommen hat. Naomi hat eine materialistische Weltsicht. Es geht ihr nicht um die Dinge, die Gott geben kann oder um die Beziehung zu Gott, was die Beziehung zu Gott in ihr bewirkt. Darum geht es nicht.
Naomi geht es in erster Linie um materielle Güter, um den Materialismus. Sind wir darin nicht auch ziemlich gut? Zu schauen: Wo kriege ich den schnellen Euro her? Wo kriege ich das gute Geld? Sicherheit, Wohlstand – das ist Segen, den will ich haben. Aber durch schwere Zeiten zu gehen, in einem eigenen Land vor Gott Buße zu tun und Gnade zu erbitten und eine Segenszeit zu erflehen – dafür ist sie sich zu schade. Sie möchte lieber den schnellen Segen jetzt haben. Im Wohlstandsevangelium könnte man sagen.
Und das tut sie immer und immer wieder in ihrem Leben, im ersten Kapitel, und dasselbe empfiehlt sie jetzt ihren Töchtern: "Ihr habt dort keine Zukunft, euch wird es dort nicht gut gehen, bleibt hier, hier wird es euch besser gehen, dort, wo ihr Gott nicht habt, dort, wo ihr Gott nicht kennt."
Nach einem gewaltigen, kleingläubigen Monolog – sie redet ja die ganze Zeit – kommt der Kuss. "Daher gebe es euch," Vers 9, "dass ihr Ruhe findet, jede in dem Haus ihres Mannes." Und sie küsste sie. Ein Abschiedskuss.
Was ist das für ein Kuss? Wir lesen das und denken: Oh, Gefühle, Emotionen sind im Spiel, da ist Liebe. Gib mir mehr davon. Ja, es kommt auch später noch mal ein Kuss, aber das sind keine echten Liebesküsse, sondern Abschiedsküsse. Ich sage nicht, dass Naomi gar keine Empfindungen für sie hat. Aber in ihrem Modus, in dem sie gerade steht, ist es eigentlich keine echte Liebe. Sonst würde sie ihnen den Weg zu Gott zeigen, zu seinen Segnungen und zu seinen Zusagen, zu seinen Offenbarungen. Und dann kommt nur ein Abschiedskuss.
Warum will Naomi überhaupt ihre Schwiegertöchter loswerden? In Vers 13 lesen wir die Antwort, nachdem sie die Frage stellt: "Wollt ihr etwa so lange warten, bis meine zukünftigen Söhne groß würden? Wolltet ihr deshalb euch abgeschlossen halten, ohne eines Mannes Frau zu werden?" "Nicht doch, meine Töchter!"
Hier kommt ihre theologische Begründung, ihre Sicht über Gott. Denn das bittere Leid, das mir geschah, ist zu schwer für euch. "Ist doch die Hand des Herrn gegen mich ausgegangen." Das, was Gott mit mir gemacht hat, hat mich bitter gemacht. Ich bin bitter, ich bin verbittert.
Wer verbittert ist, ist ungenießbar. Ich hatte schon mal über Bitterkeit gesprochen und hatte das Bild der Limette genommen. Nimm dir eine Limette, schneide sie mal auf und beiß da mal ordentlich rein. Das Gesicht, das du dann machst, so irgendwie ein zerknirschtes Gesicht – so sieht dein Herz aus, wenn du verbittert bist. Als ob dein Herz in so eine Limette beißt und sich verkrümmt.
Das dringt durch jede Pore, und die Menschen um dich herum merken das, sehen das, fühlen das, hören das. Durch jeden Kanal wird man Verbitterung spüren. Verbitterung ist eine Teufelswurzel. Wenn du zulässt, dass die Dinge, die dir passieren, dich verbittert machen, dann schadest du nicht nur dir selbst, sondern auch den Menschen um dich herum.
Das ist nicht meine psychologische Theorie, sondern das sagt Gottes Wort. Denn in Hebräer 12, Vers 15 heißt es: "Achtet darauf, dass nicht irgendeine Wurzel der Bitterkeit aufsprosst und euch zur Last werde und durch sie viele verunreinigt werden."
Meine Bitterkeit ist keine Privatsache. Ich kann nicht hinstehen und sagen: "Bitterkeit ist mein Problem, lass mich bitte damit. Das will ich haben, ich will mich darin suhlen und baden wie ein Schwein im Kot, ich will das jetzt." Du hast darauf kein Recht.
Denn Bitterkeit, so sagt Gottes Wort, und unsere Erfahrung lehrt es uns ebenso, hat das Potenzial – und mehr als das Potenzial – aktiv andere Menschen zu verunreinigen, andere Menschen niederzureißen, andere Menschen kaputtzumachen.
Wenn wir anfangen, bitter zu werden über das, was uns passiert, dann ist das keine Privatsache. Gott hat das Recht, uns hier zu konfrontieren.
Eine Definition zum Thema Verbitterung möchte ich vorlesen: Eine Verbitterung ist meist die Folge einer großen persönlichen Kränkung. Man fühlt sich sehr ungerecht behandelt und missverstanden, ist zutiefst verletzt und fühlt sich gleichzeitig hilflos, dagegen etwas zu unternehmen.
Das beschreibt exakt, wie Naomi sich fühlt. "Ich fühle mich ungerecht behandelt, Gott hat das und das getan, und Gott ist ja allmächtig, ich kleiner Wurm, was soll ich dagegen tun? Ich habe das Gefühl, ich kann mich drehen und wenden, ich kann es nicht besser machen, ich sitze sozusagen in der Klemme."
Ich habe eine persönliche Kränkung, und Verbitterung ist letztendlich ein krankes Herz. Mein Herz ist krank geworden.
In dem, was Naomi sagt – wir werden uns später noch anschauen, was sie noch über Gott sagt und welche Brisanz das hat – formuliert sie das auf eine Art und Weise, die zeigt, dass sie sich von Gott entfremdet hat. Sie spaltet sich von Gott ab, tritt auf Distanz und spricht von diesem ominösen allmächtigen Gott ohne Barmherzigkeit, ohne Mitgefühl, ohne Pläne, ohne Verheißungen, ohne Perspektiven.
Sie entfremdet sich von diesem Gott, und wenn das passiert, entfremdet man sich auch von Menschen. Wer sich von Gott entfremdet, entfremdet sich automatisch von seinen Mitmenschen.
Deshalb ist es kein Zufall, wenn Menschen Gott nicht kennen und ihm völlig fremd sind, dass sich diese Fremdartigkeit auch in unserem alltäglichen Leben widerspiegelt. Es ist kein Wunder, dass Streit, Krieg und Eifersüchteleien im Alltag passieren. Es ist kein Wunder, dass Hass und Zank unsere Beziehungen beherrschen. Dass wir verletzen und verletzt werden, ist kein Wunder.
Wir entfremden uns voneinander, sind nicht zugewandt, sind nicht selbstlos, sind nicht bedingungslos liebevoll zueinander, weil wir uns von der bedingungslosen Liebe entfremden. Es ist kein Wunder.
Deshalb ist die Lösung für menschliche Konflikte auch nicht Humanismus oder psychologische Kurse, die wir hier belegen können. Die Lösung ist allein, dass wir wieder Gott kennenlernen, in eine intakte Beziehung mit ihm treten und ihn in seiner Liebe und auch in seiner Gerechtigkeit und Heiligkeit kennenlernen. Er erneuert durch uns unsere Beziehungen.
Wenn du dir zwischenmenschlichen Frieden ersehnst ohne Gott, dann gilt: Wer sich von Gott entfremdet, entfremdet sich von seinen Mitmenschen.
Das ist die Lektion, die wir von Naomi lernen – diese schmerzliche Lektion. Denn später nennt sie sich ja auch Mara und nicht mehr Naomi. Naomi, was Lieblichkeit bedeutet, benennt sie um in Mara, die Bittere.
Hier passiert eine Identifikation: "Ich habe nicht nur Phasen der Bitterkeit, sondern ich bin Bitterkeit." So etwas sagen wir natürlich nicht, aber viele Menschen leben es. Naomi spricht nur das aus, was viele Menschen aktiv tun.
Die unterschiedlichen Wege von Orpa und Ruth
Schwenken wir um zu Orpa und Ruth, als Naomi in Vers 13 sagt: „Denn das bittere Leid, das mir geschah, ist zu schwer für euch; ist doch die Hand des Herrn gegen mich ausgegangen.“ Da erhoben sie ihre Stimme und weinten noch mehr. Orpa küsste ihre Schwiegermutter zum Abschied, doch Ruth hing an ihr.
Es ist sehr spannend, wenn man das erste Kapitel liest – bis hierhin, bis Vers 14, werden Orpa und Ruth immer in einem Atemzug genannt. Sie sind wie ein unzertrennliches Gespann, man kann sie kaum einzeln denken bis Vers 14. Orpa und Ruth, Orpa und Ruth – Schwiegertöchter, Töchter, sie werden immer als Einheit angesprochen und treten gemeinsam auf.
Das ist besonders bemerkenswert, denn in Vers 9 und in Vers 14 heißt es zweimal: „Da erhoben sie ihre Stimme und weinten“, in Vers 14 sogar „da erhoben sie ihre Stimme und weinten noch mehr“. Es sind emotionsgeladene junge Frauen, die gemeinsam weinen. Sie treten als Einheit auf, man kann fast sagen, sie sind unzertrennlich. Sie erheben gemeinsam ihre Stimmen, sie weinen gemeinsam, und wenn sie noch mehr weinen sollten, dann tun sie das auch gemeinsam. Beide haben identische emotionale Reaktionen.
Doch unser Text lehrt uns, dass identische Gefühlslagen nicht automatisch zu identischen Lebensentscheidungen führen. Nur weil man gleich fühlt, trifft man nicht zwangsläufig dieselbe Entscheidung. Das ist eine wichtige Lektion für mich, denn ich habe das Gefühl, auch unter Christen wird das Thema Gefühle oft als alleiniges Kriterium gesehen. Wenn jemand Gefühle zeigt, wird angenommen, er habe auch die richtige Entscheidung getroffen.
Orpa und Ruth haben beide dieselben Gefühle, aber was sie daraus machen, ist völlig unterschiedlich – ja, es könnte kaum unterschiedlicher sein. Ruth bleibt, das werden wir gleich noch sehen. Orpa hingegen weint, schreit, küsst und geht. Orpa entscheidet sich für das, was Naomi ihr empfohlen hat und was Naomi selbst früher immer wieder getan hat: Sie entscheidet, dass die Welt ihr Zuhause ist. Nicht Gottes Reich ist ihr Zuhause, sondern die Welt.
Ich möchte ein Zitat zu Orpa lesen: Orpa betrachtete ungeschminkt ihre Lebenssituation und fiel die notwendige Entscheidung, indem sie genau der gleichen Logik folgte, die Naomi schon früher verfolgte. Welche Logik war das? Die Felder Moabs sahen viel grüner aus als das Land Israel. Mit dieser einfachen, vernünftigen Wahl marschierte Orpa aus den Seiten der Bibel hinaus – und Orpa ward nie wieder gesehen.
Über Ruth sprechen wir heute noch und können von ihrem Glaubensmut berichten. Orpa entscheidet sich, aus der Bibel herauszugehen. Sie kehrte zurück zu ihren Leuten und zu ihren Göttern. Doch obwohl sie es sicher nicht so gesehen hatte, gab es dennoch einen Preis für ihre rationale Entscheidung. Wer erinnert sich heute noch an Orpa? Sie lehnte den riskanten Weg zur scheinbaren Bedeutungslosigkeit ab, wandte sich aber gleichzeitig unwissentlich von dem einen Weg ab, der sie zu einem Leben von dauerhafter Bedeutung und echtem Sinn hätte führen können.
Die Weisheit der Welt – Bedeutungslosigkeit zu vermeiden – führt am Ende zu einer anderen Art von Vergessenheit. Das ist ein ziemlich schwieriges Zitat. Orpa hatte zwei Wege vor sich: einen Weg, der ihr bedeutungslos erschien, und einen anderen, der ihr schnelle Ziele versprach. Die Weisheit der Welt sagt: lieber schnell zum Ziel, als mal durch den Dreck zu gehen und zu sehen, dass Gott einen aus dem Staub erhebt. Indem sie meint, der Weg der Bedeutungslosigkeit sei kaum der Rede wert, führt dieser Weg am Ende zur Vergessenheit. Niemand spricht heute über Orpa und ihre Bedeutung in der Geschichte Israels.
Ruth wählt jedoch den anderen Weg. Orpas Ziel ist es, jede Faser dieses Lebens auszukosten. Ist uns das fremd? Ich denke nicht. Ist das so weit weg? Neigen wir nicht selbst manchmal dazu, nur Orpa zu sein? Sehen wir nicht Menschen um uns herum, die sagen: „Ach, was du sagst, das ist für mich Nichtigkeit, das ist bedeutungslos! Ich möchte in dieser Welt etwas gelten. Diese Welt ist mein Zuhause. Ich möchte groß sein in dieser Welt, Wohlstand und Reichtum haben, mein Königreich hier aufbauen. Ich möchte jede Faser dieses Lebens auskosten.“ Dabei verpasst man auf diesem Weg, denjenigen kennenzulernen, der das Leben im Überfluss wirklich geben kann.
So kommen wir hier an eine Weggabelung, an der sich Spreu von Weizen trennt. Die Emotionen sind identisch, die Reaktionen zunächst gleich, aber die Lebensentscheidungen, die dann getroffen werden, könnten unterschiedlicher nicht sein. In gewisser Weise sind Orpa und Ruth für uns wichtige Beispiele und Vorbilder.
In Epheser 2,12 heißt es: „Früher hattet ihr“, damit sind die Nichtjuden gemeint, „keinerlei Beziehung zu Jesus Christus, keinen Zugang zum israelitischen Bürgerrecht und wart als Fremdlinge ausgeschlossen von den Bündnissen, die Gott mit seinem Volk eingegangen war. Seine Zusagen galten euch nicht. Euer Leben in dieser Welt war ein Leben ohne Hoffnung, ein Leben ohne Gott.“ Orpa und Ruth sind solche Fremdlinge, die nicht Teil des Volkes Gottes sind. So ging es uns auch, als wir vom Evangelium noch nichts gehört hatten – wir waren Fremde.
Deshalb sehen wir an Orpa und Ruth: Fremde müssen sich entscheiden. Israeliten müssen sich auch entscheiden, aber das ist ein anderes Thema. Fremde müssen sich entscheiden, ob sie den Weg mit dem Gott Israels gehen, der diesem kleinen, jämmerlichen Volk über Jahrhunderte gnädig war. Gehe ich darauf ein oder nicht? Orpa tut es nicht, Ruth tut es und möchte den Segen des wahren Gottes kennenlernen.
Wir werden nicht automatisch Teilhaber der Segnungen Gottes, nur weil wir hier sitzen und dieselben Emotionen haben wie andere. Du bist noch nicht automatisch Teilhaber dieses großen Gottes. Es braucht eine Lebensentscheidung, wohin du gehen willst. Äußerlich kannst du hier sitzen, aber am Herzen noch im Moor hängen.
Ruth zeigt, wie es geht. In Vers 14 heißt es: „Orpa küsste ihre Schwiegermutter, Ruth aber hing an Naomi.“ Sie hing an ihr. Das ist ein Wort, das wir in den ersten Büchern Mose lesen, wenn von der ehelichen Beziehung die Rede ist. Mann und Frau hängen aneinander, man könnte auch wörtlich übersetzen: Sie kleben aneinander, sie gehören fest zusammen und sollen nichts trennen.
Das ist auch das, was Ruth der Naomi sagt: „Dringe nicht in mich, dich zu verlassen, von dir weg umzukehren. Ich werde dich nicht verlassen, ich klebe an dir.“ Sie geht diese enge, enge Verbindung ein.
In den Versen 15 bis 17 lesen wir: „Da sagte Naomi: Siehe, deine Schwägerin ist zu ihrem Volk und zu ihrem Gott zurückgekehrt; kehre auch du um deiner Schwägerin nach. Aber Ruth sagte: Dringe nicht in mich, dich zu verlassen, von dir weg umzukehren; denn wohin du gehst, dahin will auch ich gehen, und wo du bleibst, da bleibe auch ich. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da will auch ich sterben, und dort will ich begraben werden. So soll mir Jahwe tun und so hinzufügen, nur der Tod soll mich und dich scheiden.“
Hier sehen wir sehr schön, wie Ruth ihre Liebe zu Gott zum Ausdruck bringt: „Er ist mein Gott.“ Sie sagt nicht zuerst „der Gott Israels“, sondern „er ist mein Gott“. Und wir sehen, dass die Liebe zu Gott mit Nächstenliebe einhergeht. Sie sagt nicht: „Ich und mein Gott, ich habe eine tolle Beziehung zu ihm, bete, wenn ich möchte, brauche keine Kirche, keinen Gemeindebesuch, ich habe meine kleine Beziehung zu meinem Herrgott, und der hört mich, das ist alles, was ich brauche.“ Das ist ein Satz, den man oft hört.
Doch was die Bibel beschreibt, ist ein Glaube, der nach außen tritt, der Gemeinschaft sucht und die Liebe, die man in der Beziehung zu Gott erfährt, auch zum Ausdruck bringt und weitergeben möchte. Und das tut Ruth viel besser als Naomi.
„Ich liebe Gott und ich liebe auch dich, egal wie du mir kommst.“ Sie legt sogar einen Schwur ab und sagt, Gott solle ihr dies und das wegnehmen oder hinzufügen. Gott hat jeglichen Spielraum, wenn sie diesen Schwur nicht hält. Ihr Glaubensprojekt ist keine Eintagsfliege, sie verpflichtet sich mit Haut und Haaren diesem Gott und auch Naomi. Sie wird sie lieben bis zum Ende ihres Lebens, bis zum Tod.
Sie verpflichtet sich mit Leben und Tod dieser Person. Beachten wir, dass Ruth alles verloren hat und alles hinter sich lässt. Unsere Familie wohnt im Norden, wir sind jetzt hier im Süden. Das ist manchmal ganz schön schwer, wenn man seine Familie nicht bei sich hat. Das macht uns traurig.
Aber Ruths Familie ist nicht in Moab und nicht in Israel. Sie hat auch nicht ihren Ehepartner verloren. Sie ist völlig isoliert. Sie kommt in ein Land und weiß, dieses Land wird mich hassen. Sie legt diesen Schwur ab und sagt: Leben und Sterben – ich rufe die höchste Autorität an, die ich kenne, und das ist Jahwe, mein Gott. Er soll alles mit mir tun, wenn ich diesem Schwur nicht nachkomme.
„Ich werde leben mit dir, ich werde sterben mit dir und dort begraben werden, wo du stirbst.“ Für uns heute ist das vielleicht nicht so brisant, aber für einen Orientalisten war es in der Antike bis heute noch eine gängige Praxis, unbedingt dort begraben zu werden, wo man herkommt, zurück in die Heimat. Das wird heute weniger, aber auch unter Muslimen gibt es das noch: Wenn Muslime sterben, müssen sie innerhalb von 48 Stunden begraben werden. Sie werden dann in ihr Heimatland geflogen und dort bestattet. In diesen Kulturen ist es wichtig, unbedingt zu den Vorfahren zurückzukehren.
Was Ruth hier macht, ist außergewöhnlich: Sie will sogar dort begraben werden, in einem Volk, das sie noch nie gesehen hat und das sie noch nicht einmal kennt – nur Naomi. Und Naomi ist jetzt nicht gerade die Leuchte der Israeliten.
Ruth sagt: „Ich gehe dorthin, wo du hingehst, ich bleibe, wo du bleibst, dein Volk ist mein Volk, dein Gott ist mein Gott, wo du stirbst, sterbe ich, und dort werde ich begraben.“ Sie legt einen Schwur ab, dass nichts sie trennen soll.
Ich frage euch: Wenn dir heute jemand so etwas sagen würde – das ist ein mächtiges Bekenntnis, das wir oft auch in Trauungen hören –, wie würdest du reagieren? Was würde das mit dir machen, wenn heute jemand so zu dir sprechen würde: „Ich opfere mich mit Leben und Tod für dich.“ Ich hoffe, ihr würdet nicht so still sein wie jetzt gerade.
Schaut mal, wie... Ja, genau, richtig, das hatten wir ja vor zwei Wochen. Genau das, was wir in den ersten sechs Versen gesehen haben, dass sie mit ihrer Familie, mit ihrer israelitischen Familie zu einem gottlosen Volk geht und sich dort verheiratet. Gott hat gesagt, das soll man nicht tun, damit man sich nicht mit anderen Göttern vermischt.
Aber wenn dir heute jemand persönlich so etwas sagt, dann würde man doch sagen: Wow, das ist ein Bekenntnis.
Sehen wir, was Naomi entgegnet. In Vers 18 heißt es: „Als sie nun sah, dass Ruth fest darauf bestand, mit ihr zu gehen, da ließ sie ab, ihr zuzureden.“ Wörtlich heißt es dort: „Naomi hörte auf, mit ihr zu sprechen.“ Stille, keine Antwort.
Nach so einem riesigen Bekenntnis und einer großen Liebeserklärung sieht Naomi Ruth an und schweigt. Diese Dynamik schreit nach einer Antwort. Wir würden sagen: Mensch, wenigstens höflich, sag doch bitte Danke oder nett, lass uns weitergehen. Nichts. Nicht einmal den Anstand hat sie, höflich zu sein, auch wenn sie es nicht so meint, höflich zu sein und zu danken.
Da ist eine Trennung, eine innere Distanz in Naomis Herzen. Sie ist in sich selbst verkrümmt, sieht nur sich selbst und ist nicht fähig zu antworten, nicht fähig zu danken. Sie leidet an einer inneren Hungersnot, einer bitteren Bitterkeit, die sie so verschließt, dass sie keine echten Emotionen zulassen kann, obwohl es jetzt wichtig wäre.
Ihre Sprachlosigkeit geht noch weiter: Sie kehrt zurück nach Bethlehem. Die Frauen von Bethlehem sehen sie und fragen: „Ist das Naomi?“ Vers 21 sagt: „Voll bin ich gegangen, und leer hat mich der Herr zurückkehren lassen. Voller Reichtum bin ich aus diesem Land ausgezogen, und nun komme ich zurück mit nichts.“
Ich frage euch: Mit wem ist sie denn in das Land hineingegangen? Ist Ruth nicht im Schlepptau? Ist Ruth wirklich „nichts“, also wertlos? Die Wertigkeit von Ruth ist tiefer als der Keller. Naomi kann nur gegenüber Ruth nichts sagen, aber den anderen sagt sie, sie komme mit nichts zurück. Ruth steht neben ihr und hört das.
Wenn wir das bedenken, sehen wir in Ruth eine Person, die nicht den Weg wählt, den die Weisheit dieser Welt wählen würde: uneingeschränkte Hingabe, völlige Selbstaufopferung gegenüber einer verbitterten, undankbaren und hartherzigen alten Frau.
Wie gesagt, Ruth ist in fast derselben Situation wie Naomi. Naomi ist verbittert und lässt es zu. Ruth klammert sich an Jahwe in ihrer Situation. Ruth klammert sich an Gott und kann aus der Beziehung zu Gott heraus sich hingeben, sich selbst aufopfern.
Hier sehen wir einen Schatten des Weges des Kreuzes, den Jesus Christus gegangen ist: sich selbst zu sterben, die eigenen Interessen aufzugeben und einfach zu sagen: „Weißt du was, du könntest mich jetzt mal, ich mache mein eigenes Ding, und ich werde allen erzählen, was du mit mir gemacht hast.“ Das alles hören wir bei Ruth nicht. Sie schweigt über das, was ihr angetan wird. Sie liebt, ist treu und geht. Sie ist bedingungslos in ihrer Liebe und Aufopferung.
Das ist ein Glaubensbeispiel, das man erst einmal wiederfinden muss. Wir sehen darin einen Schatten von Jesus, von dem es heißt, dass er sich selbst zu nichts gemacht hat, Knechtsgestalt annahm, dem Menschen gleich wurde und sich erniedrigte bis zum Tod am Kreuz. Jesus hat alles Leben und Sterben gegeben. Das sehen wir in Ruth.
Gottes Volk macht nicht wirklich den Eindruck einer Willkommenskultur: „Schön, dass du da bist, du möchtest Gott kennenlernen, super, wir erzählen dir, wie gut er ist und dass er auch Liebe für dich hat.“ Nein, das Volk Gottes, die Herde Gottes, ist komisch, widerspenstig, dickköpfig, eigensinnig und stur.
Ruth entscheidet sich, in diese Herde hineinzugehen, zu diesen sturen Köpfen, die nur ihr Ding sehen und alles andere nicht. Durch ihre Sturheit verletzen sie sogar andere. Und sie sagt: „Dieses Volk, ich gehe dort rein. Willkommen in der Gemeinde.“
Gottes Volk ist manchmal ganz schön dämlich, manchmal stur und manchmal doof. Ich sage euch ganz ehrlich: Wenn Gott nicht wäre, wäre ich nicht hier. Und wenn Gott nicht wäre, würdet ihr mir auch nicht mehr zuhören, denn ich habe das gleiche Potenzial, mega engstirnig, dumm und dämlich zu sein.
Warum sollte man in dieser Herde zusammenbleiben? Ich suche mir eine bessere Herde, die perfekter ist. Such lange. In jeder Gruppe gibt es mindestens eine Person, die komisch oder seltsam ist. Und wenn du in einer Gruppe niemanden findest, der komisch ist, dann solltest du dich fragen, ob du vielleicht diese Person bist.
War das ein Selbstbekenntnis?
Ich möchte zum Schluss kommen. Ihr habt heute viel gehört. Ich glaube, es ist wichtig, am Ende die Frage zu stellen, was Naomi in Vers 20 und 21 sagt.
Die bittere Erkenntnis und Gottes Perspektive
Nennt mich nicht Naomi, nennt mich Mara, denn der Allmächtige hat mir sehr bitteres Leid zugefügt. Voll bin ich gegangen, und lehrt mich der Herr zurückkehren lassen. Warum nennt ihr mich Naomi, da der Herr gegen mich ausgesagt und der Allmächtige mir Böses getan hat?
In diesen Versen und in Vers dreizehn, den wir schon hatten, spiegelt sich die Theologie Naomis wider – ihr Denken über Gott, über sein Herz. Haben wir es nicht gesungen: Heiliger Geist, öffne uns das Herz des Vaters? Das ist ihre Offenbarung von Gott, dem Allmächtigen.
Achtet mal darauf, was in diesen Versen passiert, in denen sie ihre Vergangenheit zusammenfasst: Was Gott tut und was Naomi in der Vergangenheit getan hat. Gott war gegen mich, Gott hat das Böse mit mir gemeint, Gott hat mich gerichtet – Gott, Gott, Gott, Gott, Gott, Gott, Gott, Gott. Und zum Schluss? Wir sehen keinen Hauch, keinen Hauch in Naomis Rede von Eigenverantwortung. Keinerlei Bekenntnis: Ich bin falsch gelaufen, ich habe einen falschen Weg gewählt. Gott erzieht mich, ich werde bitter. Ich werde bitter, ich werde bitter, und ich gehe auch weiter diesen Weg und werde immer noch bitterer. Und dann kommt sie zurück und sagt: Der Herr war gegen mich. Der Herr hat böse mit mir gemeint – das ist ihre Theologie.
Gott nimmt mir alles aus der Hand, weg. Keine Kapitulation, keine Selbsterkenntnis, keine Buße, keine Umkehr, kein zerbrochener Geist, kein zerschlagenes Herz über die eigenen Fehler, über die eigenen Sünden, über den eigen gewählten falschen Weg.
Was hier passiert, ist eine physische Umkehr. Ich komme mit meinem Körper nach Israel, aber in meinem Herzen bin ich in Moab. Sie ist noch nicht bei Gott mit dem Herzen angekommen. Ihre Auswanderung war voll und gefüllt, sagt sie: Ich bin voll ausgegangen und komme leer zurück. Sie erkennt nicht, dass ihr Überfluss, den sie hatte, Gott überflüssig gemacht hat.
Und deswegen müssen wir auf diese Spirale achten: Zufriedenheit kann zur Eigenständigkeit führen, Eigenständigkeit zur Unabhängigkeit und Unabhängigkeit zur Selbstgenügsamkeit. Ich bin mir genug, einen anderen brauche ich nicht. Und dabei vergisst sie, was Gott ihr geben kann.
C. S. Lewis sagt: Wenn wir die unverschämten Lohnversprechen und die versprochenen atemberaubenden Belohnungen betrachten – Gottes Wort –, scheint es, dass Gott unsere Wünsche nicht zu stark, sondern zu schwach findet. Wir sind halbherzige Kreaturen, denn wenn uns grenzenlose Freude in Gottes Wort angeboten wird, albern wir mit Sex, Alkohol, Drogen und Ambitionen herum wie ein ignorantes Kind, das ein Angebot an den Strand zu gehen ablehnt, um lieber mit dem Dreck zu spielen.
Wir sind viel zu einfach zufriedenzustellen und viel zu einfach befriedigt. Für Gott sind die Dinge, nach denen wir uns sehnen, nicht zu groß, sie sind zu klein. Das macht dich zufrieden. Ich kann dir doch mehr geben. Du bist in Moab, und dort hast du alles, was du brauchst. Du erweiterst deine Familie – das ist alles? Das soll alles sein?
Und Gott leert die Hände, Gott leert die Hände Naomis. Warum? Würde Gott die Hände von Naomi nicht leeren, würde sie niemals aufstehen und zurückkommen. Das ist für uns eine sehr wichtige Lektion. Gott nimmt uns manchmal Dinge weg, wie bei Naomi, die uns in unserer Selbstgefälligkeit nur bestärken. Er nimmt uns diese Dinge, damit wir wieder zurückkommen in der Erwartung.
Ich habe meine Hände mit Dingen gefüllt, wo du keinen Platz mehr hattest. Und Gott nimmt das heraus, um sich selbst zu geben und das Leben in seinem Segen zu ordnen.
Aber auf der anderen Seite – und das ist das Allerletzte, was ich sage – haben wir Ruth, der auch Dinge genommen wurden. Ja, und Gott nimmt uns auch manchmal Dinge weg, wie bei Ruth, nicht um uns zur Umkehr zu rufen und zu sagen: Das, was du gemacht hast, ich will sie mal zeigen.
Gott nimmt auch Ruth Dinge weg, um durch unser Leben ein starkes Zeugnis aufzurichten. Gott verherrlicht sich dadurch, wenn wir inmitten unserer Schwachheit in seiner Gnade ruhen. Das ist eines der größten Zeugnisse, die passieren können. Wenn Gottes Kinder leiden und in Gott ruhen können, ist das ein größeres Zeugnis, als wenn wir anfangen zu rebellieren, sondern sagen: In Gott steht alles, und alles habe ich in ihm, auch wenn mir Dinge aus der Hand genommen werden. Gott wird es füllen.
Und ich weiß, das ist sehr, sehr klug gesagt. Ich bete, ich bete, dass wir in diese Reife kommen, dass wir das wirklich von Herzen sagen können und wie Ruth sagen können: Mein Gott, ich gebe mich ihm hin mit Leben und Sterben. Amen.
