Einführung in die Offenbarung und das Zeugnis des Johannes
Und nun lese ich Ihnen heute Abend die Fortsetzung vor. Wir sind beim ersten Kapitel der Offenbarung, und zwar heute ab Vers neun:
Ich, Johannes, euer Bruder und Mitgenosse an der Bedrängnis, am Reich und an der Geduld in Jesus, war auf der Insel Patmos. Das geschah um des Wortes Gottes willen und des Zeugnisses von Jesus.
Ich wurde vom Geist ergriffen am Tag des Herrn und hörte hinter mir eine große Stimme, wie von einer Posaune. Sie sprach: "Was du siehst, das schreibe in ein Buch und sende es an die sieben Gemeinden: nach Ephesus, nach Smyrna, nach Pergamum, nach Thyatira, nach Sardes, nach Philadelphia und nach Laodizea."
Ich wandte mich um, um nach der Stimme zu sehen, die mit mir redete. Als ich mich umwandte, sah ich sieben goldene Leuchter.
Und mitten unter den Leuchtern stand einer, der einem Menschensohn glich. Er war angetan mit einem langen Gewand und mit einem goldenen Gürtel um die Brust. Sein Haupt und sein Haar waren weiß wie Wolle, wie Schnee. Seine Augen waren wie eine Feuerflamme.
Seine Füße glichen glühendem Golderz, das im Ofen glüht, und seine Stimme war wie das Rauschen großer Wasser.
Er hielt sieben Sterne in seiner rechten Hand, und aus seinem Mund ging ein scharfes, zweischneidiges Schwert.
Sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, wenn sie in ihrer Kraft scheint.
Als ich ihn sah, fiel ich zu seinen Füßen wie tot. Doch er legte seine rechte Hand auf mich und sprach zu mir: "Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit. Ich habe die Schlüssel des Todes und der Hölle."
Dann sagte er zu mir: "Schreibe, was du gesehen hast und was ist und was danach geschehen soll."
Die Bedeutung der sieben Sterne und Leuchter
Das Geheimnis der sieben Sterne, die du in meiner rechten Hand gesehen hast, und der sieben goldenen Leuchter ist folgendes:
Die sieben Sterne sind die Engel der sieben Gemeinden, und die sieben Leuchter stehen für die sieben Gemeinden.
Das persönliche Zeugnis des Johannes
Ich, Johannes – haben wir es hier, liebe Freunde, mit einem Ich-Menschen zu tun? Ich habe erlebt, ich habe gesehen, ich weiß, ich war dort – ich, ich, ich. Das sind eben nicht jene angenehmen Zeitgenossen, die wir gerne treffen, weil sie immer nur vom Ich reden. Ist das nicht ein schlechter Stil?
Aber hier handelt es sich nicht um schlechten Stil, sondern um Zeugnisstil. Wenn Sie einen Lebenslauf schreiben und es richtig gelernt haben, beginnen Sie mit: „Ich, Konrad Eisler, wurde vor fünfundachtzig Jahren dort und dort geboren.“ Sie beginnen auf jeden Fall mit dem Ich. Oder Sie werden zu einer Verhandlung bestellt, weil Sie Zeuge bei einem Verkehrsunfall waren. Dann müssen Sie schwören, heben die rechte Hand und beginnen genauso: „Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.“ Das ist kein schlechter Stil, sondern Zeugnisstil.
Was Sie hier vor sich haben, ist ein Zeugnis. So ist es. Ich kann es bestätigen, ich stehe dafür gerade, ich bezeuge es – so wahr mir Gott helfe, ich Johannes.
Wer die Offenbarung kennt, weiß, dass in den folgenden Kapiteln diese Person ganz hinter den Bildern und Gestalten zurücktritt. Wir haben es hier nicht mit einem Ich-Menschen zu tun, sondern mit einem glaubhaften Zeugen dieses Herrn. Also: Ich, Johannes, und hinzugefügt: Ich, Johannes, euer Bruder – auch das ist erstaunlich.
Nicht „Ich, Johannes, euer Bischof“, obwohl er in Kleinasien gewesen ist. Er sagt nicht: „Ich, euer Oberhirte“, „Ich, euer Seelsorger“ oder „Ich, euer Pfarrer.“ Er bleibt hier Bruder.
Das erinnert daran – und er erinnert uns daran –, dass wir alle miteinander, woher wir auch kommen an diesem Abend, Kinder dieses einen Vaters sind. Wenn wir Kinder dieses Vaters sind, dann leben wir als Schwestern und Brüder. Dann gibt es keinen Oberbruder und keine Oberschwester. Dann gibt es nur gleichwertige Kinder.
Luther hat ja die bekannte Zwei-Reiche-Lehre aufgestellt. Dort gibt es ein Reich der Linken, in dem wir auch leben. In diesem Reich der Linken, von dem wir gerade kommen, ist es wichtig, die Titel zu kennen: Herr Oberinspektor, Herr Hauptkommissar, Herr Oberfinanzrat. Wenn Sie da mal einen falschen Titel erwischen, haben Sie es über Jahre hinweg versiebt. Vor allem, wenn Sie auf ein Amt kommen, schauen Sie immer nach dem richtigen Titel – in Deutschland.
Deshalb werde ich oft gefragt: „Sagt man zu Ihnen jetzt Herr Pfarrer oder heißt es nicht doch Herr Stadtpfarrer?“ Dann sage ich: Eigentlich heißt es richtig Herr Großstadtpfarrer, das wäre doch das Allerrichtigste.
Sehen Sie, die Titel sind im Reich der Linken unendlich wichtig. Aber Johannes lebt hier nicht im Reich der Linken, sondern im Reich der Rechten. Und im Reich der Rechten spielen Titel und Kittel überhaupt keine Rolle.
Dort gibt es nur Kinder des Vaters und Brüder und Schwestern – woher sie auch kommen, wer sie auch sind, ob eine ganz einfache, unbekannte Mitfrau oder ein angesehener Theologe, Lehrer oder was auch immer. Hier sind wir alle gleich. Jeder ist vor diesem Herrn gleich wichtig.
Und an diesem Abend spricht dieser Text keinen besonders und höher an als den anderen. Hier sind alle gleich geachtet und gleichwertig im Reich dieses Herrn.
Ich, Johannes, euer Bruder.
Die verbindenden Elemente unter Christen
Drittens fügt er hinzu: Ich, Johannes, euer Mitgenosse. Wenn ich frage, was eigentlich Familienmitglieder verbindet, dann ist es dieser seltsame Saft, das Blut. Dagegen kann man gar nichts tun, man gehört einfach zu dieser Familie.
Früher gehörte in unserer Familie auch der Familienspaziergang dazu, wo ich aufgewachsen bin. Das gibt es heute eigentlich nicht mehr im Zeitalter des Autos und Mopeds. Damals ging man sonntagmittags mit den Eltern spazieren – Eltern und sechs Kindern. Das war großartig, solange man klein war. Doch dann wurde man größer und auf einmal, ich weiß nicht warum, mit zwölf, dreizehn fing man an, sich zu genieren, ich weiß nicht für wen, aber vor allem für den Vater und die Mutter.
Dann ging das so bei uns: Man ging mit, es gab ja nichts anderes, das Haus war todlangweilig. Dann ließ man die Eltern und die Kleinen vorauslaufen, bis sie um die nächste Ecke waren. Und dann machte man sich auch auf den Weg. Wir waren ja selbständig und größer geworden, nicht wahr? Wir gehörten gar nicht mehr dazu, wir schämten uns auch. Und da konnte es passieren, dass Leute, die schon dem Vater begegnet waren, plötzlich stehenblieben, als wir drei daher marschierten, und sagten: "Ihr seid wohl auch Eisler?" Ganz blöd, ja, das sieht man doch. Das gleiche Blut, der gleiche Saft, das gehört dazu. Man ist Mitgenosse, ob man will oder nicht. Ein Leben lang kann man hier nicht ausbrechen.
Also: Familienmitglieder werden durch das Blut verbunden. Aber wie werden Vereinsmitglieder verbunden? Durch das gleiche Interesse, nicht wahr? Die einen sind ganz verrückt auf Vögel, die anderen haben es eben mit Stallhasen. Ein bestimmtes Interesse macht eben den Verein aus. Oder was verbindet Parteimitglieder? Eine Politik, ob rot, grün oder schwarz – sie haben die gleiche Politik. Und was verbindet Kirchenmitglieder? Nun ja, die gleiche Steuerliste und auch Wahlliste, deren wir uns bald wieder bedienen.
Aber was verbindet eigentlich Christen über Grenzen hinweg? Was verbindet Christen, liebe Freunde? Keine Sprache, keine Hautfarbe, kein Land, kein Gesangbuch, keine Liturgie, kein Frömmigkeitstil – die sind überall ganz anders. Man könnte schon fragen: Was verbindet uns eigentlich an solch einem Abend hier? Wenn man hier die verschiedenen Lebensläufe durchgehen würde, würden wir sagen: Uns verbindet eigentlich gar nichts, nicht einmal die gleiche Gemeinde, wir kommen von überall her. Was verbindet uns eigentlich?
Dieser Johannes sagt etwas. Was Christen rund um die Welt ganz bestimmt verbindet und was uns auch mit Christen in Ungarn, Tschechien, Österreich oder Südafrika verbindet. Er nennt interessanterweise drei Dinge, die Christen ausmachen – außer ihrem Herrn, das sowieso. Aber einmal, komischerweise, für uns im Moment nicht verständlich. Und trotzdem war als Erstes genannt: die Bedrängnis, Freunde, das heißt der Druck. Der Druck verbindet Christen miteinander.
Christen stehen nun einmal unter Druck, vor allem dann, wenn sie den Mund auftun. Herr Bischof Sorg sagte mir, als er den Mund aufgetan hat gegen eine Stuttgarter Abtreibungsklinik – und wo wir ja jetzt diese Klinik bekommen werden, unter einem Dach, wo Kinder geboren werden, und unter gleichem Dach mit dem gleichen Operationsraum, wo die Kinder abgetrieben werden. Es wird so sein, dass wir in Stuttgart 2.000 Geburten und 3.000 Abtreibungen haben werden. So wird es hier laufen.
Dagegen hat sich ein Bischof öffentlich gewandt, nicht als Verbot, sondern als seine Meinung. Und welchen Druck hat er bekommen? Welchen Druck bekommt man, wenn man den Mund aufmacht? Und welchen Druck wird er erst bekommen, wenn er davon reden wird, dass es neben der Ehe keine alternativen Zusammenlebensformen gibt, um miteinander zu leben, dass es keine anderen gibt außer der Ehe? Was wird der für einen Druck bekommen hier?
Gestern im Hospitalhof kam Dr. John Stott aus London, einer der ganz großen Theologen unserer Zeit, und hielt einen Vortrag. Dort hat er wörtlich gesagt: Sind wir bereit, den Schmerz des Spottes über die gute Nachricht von Jesus Christus zu ertragen? Sind wir bereit, die Einsamkeit und die Isolierung von anderen zu erleiden? Sagen wir Ja zu dem Schmerz, der uns zugefügt wird, wenn jemand uns widerspricht oder uns verleumdet? Doch das ist nicht alles: Sind wir bereit, mit Christus zu sterben im Blick auf Anerkennung, Ansehen, Komfort und Erfolg?
Nur der Same, der zu sterben bereit ist, erfährt vielfach neues Leben. Was wir normalerweise gegenwärtig so erleben, ist keine Normalsituation. Das ist eine Ausnahme von der Regel. Was Christen in der Welt verbindet, liebe Freunde, ist der Druck, ist die Bedrängnis. Und wenn sie aus irgendwelchen Gründen in Bedrängnis geraten sind um dieses Herrn willen, in ihrer eigenen Familie, dann verbindet sie genau das mit den Christen anderer Völker und Staaten. Das ist eine Auszeichnung, in Bedrängnis zu stehen.
Das Zweite, was er sagt, was uns verbindet, ist das Reich – interessanterweise das Reich. Wir sind Reichsgenossen, heißt es in einem Lied. Ich kenne eine Frau, die hat außer der deutschen Staatsbürgerschaft noch eine Schweizer Staatsbürgerschaft. Ich fragte sie, warum sie eigentlich die Schweizer nicht aufgibt, wenn sie nicht zurückgeht in die Schweiz, wenn sie hier bleibt. Dann sagte sie, sie wäre ja schön dumm. Die Schweizer Staatsangehörigkeit behält man ein Leben lang. Da bin ich geboren, da bin ich daheim, und dorthin kann ich jederzeit wieder zurückgehen. Eigentlich bin ich, ich lebe nur hier. Die eigentliche Staatsbürgerschaft ist meine schweizerische.
Sehen Sie, ein alter Freund von mir, ein Original im Reich Gottes: Wenn der in ein Hotel ging und einen Meldebogen unterschreiben musste, so wie in manchen Hotels heute auch, und da stand Staatsangehörigkeit, dann schrieb er immerhin „Deutsch und Christ“. Na ja, komm mal, das ist auch ein bisschen komisch, was machst du denn da? Du bist schon jetzt fast siebzig, Deutsch und Christ, das ist ein bisschen komisch. Nein, nein, das hat nichts zu tun mit „deutscher Christ“, weil die immer zurückgefragt haben. Er sagte: Erstens gibt das den Einstieg, das erste seltsame Gespräch mit dem hinter der Theke im Hotel, das ist immer der Einstieg. Und zweitens habe ich aber die himmlische Staatsbürgerschaft durch diesen Herrn, auf den ich getauft bin und zu dem ich mich bekehrt habe. Meine eigentliche Heimat ist im Himmel. Hier bin ich nur noch einige Jahre, dann kehre ich zurück. Ich weiß, wohin ich gehöre.
Die zweite Staatsbürgerschaft, liebe Freunde, die zeichnet den Christen aus. Schade, wenn man nur Deutscher ist, schade, wenn man nur Österreicher ist. Wir sind alle miteinander als Hauptwohnsitz Christen, die im Himmel beheimatet sind.
Das Zweite und Dritte, was hier steht, ist die Geduld, das Ausharren, das heißt das Warten auf die endgültige Erlösung, das Wissen, dass das Beste erst kommt. Was wäre das für ein Leben, wenn das, was ich bis jetzt gelebt hätte, vielleicht zwei Drittel oder vier Fünftel des Ganzen überhaupt wäre, und dann wäre alles aus! Was wäre das für ein erbärmliches Leben, von dem ich Ihnen weitersagen könnte! Das Beste kommt erst! Die Erwartung, das Ausharren, das verbindet uns mit anderen Christen!
Haben Sie verstanden? Das eine ist das Ausharren, die Geduld, und der Druck.
Ich, Johannes, euer Bruder, und noch als Viertes: Ich, Johannes, euer Gefangener. Er war ja auf der Insel Patmos. Wenn Sie in ein richtiges Reisebüro gehen, können Sie dort eine wunderschöne Ferienreise dorthin machen. Paulus war nicht dort, Johannes war nicht als Tourist auf Patmos, auf dieser kleinen Insel, zehn Kilometer im Geviert, mitten im Ägäischen Meer auf der Höhe von Milet und Ephesus, 14 Fahrstunden von der Küste entfernt, zur Gruppe der Sporaden gehörend. Die Römer nutzten diese kleine Insel als Haftanstalt.
Auf Inseln ist man ja gut aufgehoben, denken Sie an Napoleon auf Elba. Es ist eine gute Ruhe und vor allem ein guter Schutz vor Gefangenenbefreiung. Einige Ausleger meinen, es habe sich hier nicht um die schwere Deportatio gehandelt, das war eine ganz schwere Haft, sondern es sei hier die leichtere Relegatio gewesen. Das heißt aber immerhin doch, dass sie in den Steinbrüchen arbeiten mussten, dass sie ständig ihre Fesseln tragen mussten, mit dürftiger Kleidung, auf blankem Boden schliefen und unzureichend verpflegt wurden. Es war schon eine harte Sache dort auf Patmos.
Ich, Johannes, euer Gefangener.
Und nun, liebe Freunde, ist es auffallend, diese vier Tätigkeitsworte, die in diesem Text stehen und an denen ich jetzt noch etwas entlanggehen möchte: Was habe ich erlebt? Erstens, ich hörte; zweitens, ich sah; drittens, ich fiel; und viertens, ich schrieb. Das auf Patmos, und zwar an einem Sonntag.
Wir haben gerade am letzten Sonntag darüber gehört im Sonntagstext vom Sabbat. Hier ist zum ersten Mal in der Bibel nicht vom Sabbat die Rede, sondern vom Tag des Herrn. Hier war also jene Wende vom letzten Tag der Woche, der an die Schöpfung erinnerte, hin zum ersten Tag der Woche, Erinnerung an die Auferstehung Jesu Christi, den Herrentag, es ist Sonntag.
In der vergangenen Woche habe ich mit Pfarren zusammengesessen zum Thema Kirche in der Stadt. Eines der Themen neben vielen anderen war die beste Uhrzeit für den Gottesdienst. Es kämen deshalb so wenig Leute, weil einfach die Uhrzeit nicht stimmte, meinten einige Kollegen. Wenn wir die Kirche später machen, um einmal richtig ausschlafen zu können, so um halb zwölf oder halb eins, und dann anschließend Frühstück oder Kaffee in der Sakristei, dann würden die Massen kommen.
Ich sagte, nach den Erfahrungen, die man über Jahre gemacht hat, sind gerade die Spätgottesdienste überhaupt nicht besonders besucht. Sondern dass sich bei uns halb zehn, so halb zehn, zehn sehr gut eingespielt hat. Früher war der Gottesdienst noch immer früher, und zu der Zeit, so nehmen die Ausleger an, war der Gottesdienst um sieben oder um sechs Uhr morgens. Die Auferstehung Jesu, der Sonntagmorgen, begann mit dem Gottesdienst.
Wir müssen uns das so vorstellen, dass Johannes an diesem Tag zu der Zeit, weil er nicht arbeiten musste, aufgestanden ist, zu der Zeit, wo sich seine Gemeinde drüben in Kleinasien getroffen hat. Er wollte, wenn schon nicht mit seinem Körper leiblich anwesend, so im Geist mit ihnen zusammen sein. Und so feierte er seinen Gottesdienst allein, wir wissen nicht wo.
Dann heißt es hier: Er hörte, er hörte. Liebe Freunde, dass jemand hört im Gottesdienst, dass jemand hört in der Bibelstunde, ist an sich schon ein Wunder Gottes. Nicht wahr, wir sehen, wir denken, wir planen, wir befürchten. Es ist doch bei Ihnen nicht anders als bei mir, dass unsere Gedanken, wie einer sagte, wie Windhunde sind, die in alle Richtungen laufen. Und man hat sich auf einmal wieder entdeckt: Wo waren jetzt eigentlich meine Gedanken? Wo war ich denn jetzt wieder? Was hat er vorhin gesagt, was sagt er jetzt gerade?
Wir vernehmen, aber wir hören nicht. Und man kann nicht sagen: Jetzt will ich hören. Manchmal nimmt man überhaupt nichts mehr mit. Dass man hört, ist ein Wunder und ein Eingriff Gottes. So wie damals, als einer, der nichts hörte, zu Jesus kam, und Jesus ihm die Hand auf die Ohren legte und sagte: Hevata, tue dich auf.
Jesus leibhaftig kann die Ohren so öffnen, dass wir hören. Deshalb heißt es hier wörtlich sogar, er wurde vom Geist ergriffen. Manche nehmen dieses Wort und sagen, es sei hier der erste Hinweis auf die Ekstatiker. Nein, wenn ich höre, wenn ich ein Wort habe, das mich trifft, das ich nach Hause nehme, so wie ein Stück Brot, und davon leben und essen kann, dann muss der Geist mich ergreifen. Dann muss er ergreifen und mir das Ohr öffnen, dass ich hören kann, so wie ein Jünger und so wie Johannes gehört hat. Sonst vernehmen wir allenfalls etwas, aber wir hören nichts. Hier greift Jesus selber ein, und dann auf einmal hört er.
Und das Zweite: Er sah. Nicht sofort, er wandte sich um, er schaut zurück. Was sieht er? Indem er zurückschaut, denkt er ganz bestimmt an seine Gemeinde. Er sieht vor sich seine Gemeinde. Er sieht die Provinz, dort hat er doch gelebt. Er sieht seine Familie, und dort wurde er geliebt. Er sieht sein wärmendes Nest, seine Arbeitsstelle, dort hat er gearbeitet. Sonntag für Sonntag stand er vor seiner Gemeinde, dort war sein Platz.
Und dann – und dann auf einmal ist ja alles ganz anders gelaufen. Im Gottesdienst tauchten die Agenten auf, die ihn heimlich observierten. Und dann, so wie es immer geschieht bis zum heutigen Tag, gibt es solche, die zur Polizei laufen und denunzieren. Und dann setzten sich bestimmte Freunde, aber am Schluss bleiben immer nur noch ein paar ganz Treue.
Dabei war es nur noch eine Frage der Zeit, bis eines Tages die Polizei bei ihm erschien, ihn festnahm und ihn per Schub auf die Gefangeneninsel gebracht hat. Und in diesem Augenblick der Verlassenheit, wo er Heimweh hat, zurück, da erscheint ihm inmitten von sieben Kandelabern, sieben beleuchtet von Goldglanz, diese Kerzen, da erscheint einer wie eines Menschensohns.
Versehen Sie, dieses Wort „Menschensohn“ löst bei ihm nun auf einmal eine andere Erinnerung aus. Genau wie damals auf dem See, als die Wellen hochgingen und die Jünger in ihrer tanzenden Nussschale verloren waren, hebt dieser Mann die Hand und sagt: Fürchte dich nicht! Ich bin doch da. Durch mich hast du auch jetzt in der Verlassenheit eine offene Tür zur Gemeinde. Wer in mir bleibt, bleibt trotz Isolierung in Tuchfühlung mit meinen Leuten.
So erkennt Johannes wieder Jesus, den Menschensohn, den Fachmann für Verlassenheit. Das drückt er in diesem Text aus. Ich weiß auch nicht, vielleicht schauen Sie auch manchmal zurück, vielleicht auch an solch einem Abend, sagen: Dort war eigentlich mein Platz, dort war ich daheim, da war Nestwärme. Und dann ist alles ganz anders geworden: Untreue Freunde, undankbare Kinder, schlimme Verletzungen, die ich einfach nicht vergessen kann, und entsetzliche Enttäuschungen.
Meilenweit liegt von mir in diesem Augenblick das Glück entfernt. Immer wieder macht mir Verlassenheit zu schaffen, eigentlich so wie dem Johannes auf Patmos. Und hier hinein, liebe Freunde, in diesem Augenblick spricht diese Gestalt noch einmal so, wie sie damals gesprochen hat: Fürchte dich nicht! Durch mich hast du Zugang zur Gemeinde, wo zwei oder drei, fünf oder zehn im Hauskreis sind, 100 oder 200 in der Bibelstunde oder 500 im Gottesdienst.
Liebe Freunde, das ist ja nicht eine Institution Kirche, sondern das ist seine Gemeinde, das ist seine Gemeinde. Wer Jesus gehört, gehört eben zur weltweiten Gemeinschaft seiner Leute.
Das andere, was dann hier kommt: Er schaut hinauf. Natürlich stand er mit seinem Gott in Verbindung, natürlich hat er gebetet, natürlich war er ein praktizierender Christ. Und dann auf einmal schob sich so wie eine Wolke zwischen Gott und ihm. Und dann auf einmal – und das geschieht ja eben auch in stillen und verlassenen Stunden – kommt die Schuld auf.
Warum war das eigentlich in meinem Leben passiert? Wieso konnte so etwas geschehen? Warum bedrückt das mich heute noch? Warum kriege ich das einfach alles nicht los? Trennt uns das von diesem Gott? Und als ihm das zu schaffen macht, da sieht er die Gestalt angetan mit einem langen Gewand, begürtelt mit einem goldenen Gürtel.
Liebe Freunde, das wusste jeder damals: Das ist der Hohepriester, das ist der Fachmann für Schuld, genauso wie damals dieser Herr über der Ehebrecherin die Hand hielt und die anderen davon schickte. So sagte er jetzt: Fürchte dich nicht, nicht einmal deine Schuld kann dich von mir trennen. Es ist wichtig, dass Sie immer wieder diesen Hohepriester erkennen. Und wenn sich zwischen Gott und Ihnen jene Wolke schiebt und wenn es bei Ihnen immer wieder hervorbricht: Wie konnte das eigentlich damals in meinem Leben sein? Wieso ist das passiert? Ich kriege das alles nicht los? Hier ist der Hohepriester, der sagt: Ich will dir diese Schuld vergeben. Fürchte dich nicht!
Dann schaut er noch nach vorne und denkt an die neue Welt. Er hat es ja selber gehört: Ich gehe hin, euch Wohnungen zu bereiten. Und dann weiß er und sieht seine Ketten, er sieht sein älter werdendes Leben und sagt: Ja, aber dann kommt doch sicher noch Sterben, ganz Leiden, und dann kommt der Tod.
Und dann, auf einmal in der Angst vor dem Tod, sieht er diese Gestalt – wie weiße Wolle? Nein. Wie glitzernde Sonne? Nein. Wie loderndes Feuer? Nein. Wie glühendes Erz? Nein. Die Worte reichen nicht aus, um den Weltenrichter zu beschreiben. Genau wie am Ostermorgen den Frauen am Grab sagt dieser Herr ihm: Fürchte dich nicht, ich lebe, und du wirst auch leben.
Liebe Freunde, wenn Ihnen immer wieder diese Todesangst kommt, die Sie verfolgt und sagen: Was wird denn aus mir? Ich habe jetzt eben gelesen, dass junge Leute sich vor dem Tod besonders fürchteten und deshalb in jene satanischen Kulte hineingehen. Wenn ich mich frage: Was kommt denn noch? Was muss ich noch erleiden? Und wenn einem der Tod vor Augen steht, dann steht er da, weiß wie Wolle, weiß angetan und sagt: Fürchte dich nicht, erlässt auch ein Haupt sein Glied, welches es nicht nach sich zieht – der Weltenrichter, der Herr über den Tod.
Das alles sieht er, das alles hört er, so wie das Rauschen von Bächen. Demgegenüber sind die Niagara-Fälle oder die Iguazú-Fälle in Brasilien überhaupt nichts.
Ich sah den Menschensohn, den Hohepriester und den Weltenrichter. Und dann das dritte: Ich fiel zu seinen Füßen. Es haut ihm geradezu um, so wie es heißt: „Ja, mir vergeht es.“ Wer diesen Gott so erkennt, wird eigentlich verbrennen.
Als Kinder, wenn man Höhensonne bekam, bekam man Lederbrillen. Und als man dann später die Sonne bei Sonnenfinsternissen beobachtete, hatte man Glas, das man schwarz machte. Wir können nicht einmal in die Sonne schauen. Wie wäre es, wenn dieser Gott vor uns in seiner Herrlichkeit erschiene? Mehr als hunderttausend Volt – überhaupt nicht mehr in Volt oder was auch immer angegeben, sondern uns verbrennend und vernichtend.
Gott sei Dank begegnet uns heute dieser Gott in diesem kleinen Licht vom Stall von Bethlehem, im Schein einer Tranfunzel. Dort liegt dieses Kind – das ist das Licht, das uns hell macht und in dem wir dies alles wiedersehen können.
Der Herr lässt seinen Knecht nicht liegen damals. Er legt ihm die Hand auf, wie oft hat er seine Hand aufgelegt: heilen, trösten, vergeben, aufrichten. Und er sagt: Ich bin der Erste und ich bin der Letzte. Das ist es.
Der Erste, alles andere steht unter ferner liefen. Der Chef, der mir eines macht, der sagt: Ich bin der Erste. Der Nachbar, der sich ihm wieder so groß aufspielt, der sagt: Ich bin der Erste. Vor dem Dritten, vor dem wir uns kuschen wollen, der sagt: Ich bin der Erste und ich bin der Letzte. Die Krankheit? Nein, ich bin das Letzte. Das Leiden? Nein, ich bin der Letzte. Sterben? Jesus sagt: Nein, ich bin der Letzte, ich bin der Erste und ich bin der Letzte. Ich habe den Hauptschlüssel zu aller Not, aus der er uns herausführen kann. Und das ist das Letzte.
Das schrieb er auf. Ich schrieb’s, sagte er, was ich gesehen habe. Das Geheimnis wird gelüftet, eröffnet, erklärt: „Ewigkeit in die Zeitleuchte heller rein, dass uns werde klein das Kleine und das Große Großerscheine.“ Das schrieb er auf, damit wir es merken sollen.
Wenn Sie nach Essen kommen, fünf Minuten vom Hauptbahnhof weg, steht ja dieses Weiglehaus, dieses Clubhaus für junge Leute. Es ist damals errichtet worden um die Jahrhundertwende von einem Pastor Weigle, deshalb heißt es auch heute noch so. Es ist eigentlich nur für 14- bis 18-Jährige. Viele hundert junge Leute treffen sich dort zu christlicher Jugendarbeit.
Als Dekoration, gleichsam wenn man ins Haus hineinkommt, gleich beim Eingang, hängt ein großes Bild. Pastor Weigle hat es schon damals hineingehängt. Es ist im Krieg zerstört worden, man hat es neu gemalt und wieder hingehängt. Dort sieht man auf diesem Bild den wiederkommenden Herrn, der gesagt hat: Ich bin der Erste und der Letzte.
Und jeder Sucher fragt: Und das ein Bild für junge Leute zwischen 14 und 18? Ein Bild für alte Menschen, Sterbende? Ja, was soll das denn in einem Jugendhaus? Pastor Weigle sagte dann: Diese jungen Leute sollen mit ihren 14 oder 16 Jahren lernen, wer der Erste in der Welt ist und wer der Letzte sein wird. Diese jungen Leute, so sagte er wörtlich, die sollen groß von Jesus denken.
Das ist es, was ich Ihnen an diesem Abend wünsche. Und ich möchte Sie eigentlich bitten, wenigstens im Geiste dieses Bild in Ihren Hausgang, in Ihre Welt hineinzuhängen. Der, der Ihnen sagt: Ich bin der Erste. Alles andere, vor dem Sie sich fürchten, alles andere ist Nummer drei und fünf, alle anderen unter ferner liefen. Und ich bin der Letzte, garantiert, ich bin der Letzte, der, der dir sagt: Fürchte dich nicht.
Denken Sie groß von Jesus! Sie können nicht groß genug von ihm denken. Amen.
Herr, nun bitten wir dich für die, die an so viel anderes denken und nicht mehr glauben können, dass du, Herr, der Erste und der Letzte bist. Wir denken dich an die Brüder und Schwestern in Not in anderen Ländern, besonders die jetzt in den Ostburgländern, die unruhig geworden sind und keiner weiß, wie es weitergeht. Grüß du sie als Mitbrüder und Mitschwestern unter Druck und Bedrängnis.
Wir bitten dich an diesem Abend auch besonders für unsere Kranken, dass du ihnen beistehst und ihnen sagst, dass du der Letzte bist und größer als alle Schmerzen. Heile du sie.
Wir bringen dir unsere Gemeinde und wir bringen dir unser ganzes Leben. Geh du mit jedem Einzelnen und lass jeden neu wissen, dass du der bist, der sagt: Fürchte dich nicht. Dir befehlen wir uns an, dir befehlen wir unsere Welt an. Herr, bleibe bei uns, denn es will Abend werden und der Tag hat sich geneigt.
Amen.
Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht und Gott befohlen.
Das Reich als zweite verbindende Dimension
Und das Zweite, was er sagt, das uns verbindet, ist das Reich. Interessanterweise das Reich. Wir sind Reichsgenossen, heißt es in einem Lied.
Ich kenne eine Frau, die neben der deutschen Staatsbürgerschaft auch die Schweizer Staatsbürgerschaft besitzt. Ich fragte sie, warum sie die Schweizer Staatsbürgerschaft nicht aufgibt, wenn sie nicht in die Schweiz zurückgeht, sondern hier bleibt.
Sie antwortete, sie wäre ja schön dumm, die Schweizer Staatsangehörigkeit aufzugeben. Die behält man ein Leben lang. Dort ist sie geboren, dort ist sie daheim, und dorthin kann sie jederzeit wieder zurückkehren. Eigentlich lebe sie nur hier. Die eigentliche Staatsbürgerschaft sei ihre schweizerische.
Sehen Sie, ein alter Freund von mir ist ein Original im Reich Gottes. Wenn er in ein Hotel ging und dort einen Meldebogen unterschreiben musste, wie es in manchen Hotels heute üblich ist, stand dort die Frage nach der Staatsangehörigkeit.
Dann schrieb er nicht nur „Deutsch“, sondern auch „Christ“. Manchmal fragte man ihn: „Na ja, komm mal, das ist auch ein bisschen komisch. Was machst du denn da? Du bist schon fast siebzig, und dann schreibst du ‚Deutsch und Christ‘?“
Er erklärte: „Nein, das hat nichts mit ‚deutscher Christ‘ zu tun.“ Denn die Leute fragten immer nach. Er sagte, erstens sei das der Einstieg, das erste seltsame Gespräch mit der Person hinter der Theke im Hotel. Das sei immer der Einstieg.
Zweitens sagte er: „Ich habe zwei Staatsangehörigkeiten. Ich bin Deutscher. Aber ich habe auch die himmlische Staatsbürgerschaft durch den Herrn, auf den ich getauft wurde und zu dem ich mich bekehrt habe. Meine eigentliche Heimat ist im Himmel. Hier bin ich nur noch einige Jahre, dann kehre ich zurück. Ich weiß, wohin ich gehöre.“
Die zweite Staatsbürgerschaft, liebe Freunde, zeichnet den Christen aus. Es ist schade, wenn man nur Deutscher ist, schade, wenn man nur Österreicher ist. Wir sind alle miteinander Christen, die im Himmel beheimatet sind. Das ist unser Hauptwohnsitz.
Die Geduld als drittes verbindendes Element
Das Zweite und Dritte, was hier genannt wird, ist die Geduld, das Ausharren. Das bedeutet das Warten auf die endgültige Erlösung und das Wissen, dass das Beste noch kommt.
Was wäre das für ein Leben, wenn das, was ich bisher gelebt habe, vielleicht nur zwei Drittel oder vier Fünftel des Ganzen wäre – und dann wäre alles vorbei! Was für ein erbärmliches Leben wäre das, von dem ich Ihnen berichten könnte!
Das Beste kommt erst! Die Erwartung und das Ausharren verbinden uns mit anderen Christen.
Haben Sie das verstanden? Das eine ist das Ausharren, die Geduld und der Druck.
Ich, Johannes, euer Bruder, und noch als Viertes: Ich, Johannes, euer Gefangener.
Die Gefangenschaft auf Patmos und ihre Bedeutung
Er war auf der Insel Patmos. Wenn man in ein richtiges Reisebüro geht, kann man dort eine wunderschöne Ferienreise buchen. Paulus war es nicht, und auch Johannes war nicht als Tourist auf Patmos, dieser kleinen Insel mit einem Durchmesser von etwa zehn Kilometern, mitten im Ägäischen Meer, auf der Höhe von Milet und Ephesus.
Patmos liegt etwa 14 Fahrstunden von der Küste entfernt und gehört zur Gruppe der Sporaden. Die Römer nutzten diese kleine Insel als Haftanstalt. Inseln sind gut geeignet für Gefängnisse – denken Sie an Napoleon auf Elba. Sie bieten Ruhe und vor allem einen guten Schutz vor Gefangenenbefreiung.
Einige Experten meinen, es habe sich bei der Verbannung nicht um die schwere Deportatio gehandelt, also nicht um eine besonders harte Haftstrafe. Stattdessen sei es eine leichtere Form, die sogenannte Relegatio, gewesen. Das bedeutet aber dennoch, dass die Gefangenen in den Steinbrüchen arbeiten mussten, ständig ihre Fesseln tragen mussten, meist dürftig bekleidet waren und auf blankem Boden schliefen. Die Verpflegung war unzureichend.
Es war also eine harte Zeit auf Patmos. Johannes nennt sich selbst „euer Gefangener“.
Die vier Tätigkeitsworte des Johannes und der Tag des Herrn
Und nun, liebe Freunde, ist es auffallend, diese vier Tätigkeitsworte, die in diesem Text stehen und an denen ich jetzt noch etwas entlanggehen möchte: Was habe ich erlebt? Erstens, ich hörte, zweitens, ich sah, drittens, ich fiel und viertens, ich schrieb.
Das geschah auf Patmos, und zwar an einem Sonntag. Wir haben gerade am letzten Sonntag darüber gehört im Sonntagstext vom Sabbat. Hier ist zum ersten Mal in der Bibel nicht vom Sabbat die Rede, sondern vom Tag des Herrn. Hier war also jene Wende vom letzten Tag der Woche, der an die Schöpfung erinnerte, hin zum ersten Tag der Woche, der an die Auferstehung Jesu Christi erinnert – der Herrentag, es ist Sonntag.
In der vergangenen Woche habe ich mit Pfarrern zusammengesessen zum Thema Kirche in der Stadt. Eines der Themen neben vielen anderen war die beste Uhrzeit für den Gottesdienst. Einige Kollegen meinten, es kämen deshalb so wenig Leute, weil einfach die Uhrzeit nicht stimmte. Wenn wir die Kirche später machen, um einmal richtig ausschlafen zu können, so um halb zwölf oder halb eins, und dann anschließend Frühstück oder Kaffee in der Sakristei, dann würden die Massen kommen.
Ich sagte, nach den Erfahrungen, die man ja nun über Jahre hinweg gemacht hat, sind gerade die Spätgottesdienste überhaupt nicht besonders besucht. Vielmehr habe sich bei uns halb zehn, so halb zehn bis zehn, sehr gut eingespielt. Früher war der Gottesdienst noch immer früher. Zu der Zeit begann der Gottesdienst, so nehmen die Ausleger an, um sieben oder um sechs Uhr morgens.
Der Sonntagmorgen begann mit dem Gottesdienst zur Auferstehung Jesu. Wir müssen uns das so vorstellen, dass er an diesem Tag zu der Zeit, weil er nicht arbeiten musste, aufgestanden ist, zu der Zeit, zu der sich seine Gemeinde drüben in Kleinasien getroffen hat. Er wollte, wenn schon nicht mit seinem Körper leiblich anwesend, so doch im Geist mit ihnen zusammen sein. Und so feierte er seinen Gottesdienst allein – wir wissen nicht wo.
Dann auf einmal heißt es hier: Er hörte, er hörte. Liebe Freunde, dass jemand hört im Gottesdienst, dass jemand hört in der Bibelstunde, ist an sich schon ein Wunder Gottes. Nicht wahr, wir sehen, wir denken, wir planen, wir befürchten – es ist doch bei Ihnen nicht anders als bei mir –, dass unsere Gedanken, wie einer sagte, wie Windhunde sind, die in alle Richtungen laufen. Und man hat sich auf einmal wieder entdeckt: Wo waren jetzt eigentlich meine Gedanken? Wo war ich denn jetzt wieder? Was hat er denn vorhin gesagt, was sagt er denn jetzt gerade?
Nicht wahr, wir vernehmen, aber wir hören nicht. Und man kann nicht sagen: Jetzt will ich hören. Manchmal nimmt man überhaupt nicht mehr mit. Dass man hört, ist ein Wunder und ein Eingriff Gottes. So wie damals, als einer, der nichts hörte, zu Jesus kam, und er ihm die Hand auf die Ohren legte und sagte: Hevata, tue dich auf.
Jesus, leibhaftig, kann die Ohren so aufmachen, dass wir hören. Deshalb heißt es hier wörtlich sogar, er wurde vom Geist ergriffen. Manche nehmen dieses Wort und sagen, es sei hier eben der erste Hinweis auf die Ekstatiker. Nein! Wenn ich höre, wenn ich ein Wort habe, das mich trifft, das ich nach Hause nehme, so wie ein Stück Brot, und davon lebe und essen kann, dann muss der Geist mich ergreifen. Dann muss er mich ergreifen und mir das Ohr öffnen, dass ich hören kann, so wie ein Jünger und so wie Johannes gehört hat. Sonst vernehmen wir allenfalls etwas, aber wir hören nichts.
Die Vision des Johannes und die Begegnung mit Jesus
Hier greift Jesus selbst ein, und plötzlich hört er auf. Er sieht etwas. Nicht sofort, aber dann wendet er sich um und schaut zurück.
Was sieht er? Indem er zurückblickt, denkt er bestimmt an seine Gemeinde. Er sieht vor sich seine Gemeinde, die Provinz, in der er gelebt hat. Er sieht seine Familie, die ihn dort geliebt hat. Er sieht sein wärmendes Nest, seine Arbeitsstelle, an der er gearbeitet hat.
Sonntag für Sonntag stand er vor seiner Gemeinde, dort war sein Platz. Doch dann lief alles ganz anders. Im Gottesdienst tauchten Agenten auf, die ihn heimlich beobachteten. So wie es bis heute oft geschieht, gab es solche, die zur Polizei liefen und ihn denunzierten. Schließlich setzten sich bestimmte Freunde ab, und am Ende blieben nur noch wenige ganz treue Freunde übrig.
Es war nur eine Frage der Zeit, bis eines Tages die Polizei bei ihm erschien, ihn festnahm und ihn per Schub auf die Gefangeneninsel brachte.
In diesem Moment der Verlassenheit, in dem er Heimweh hat und zurückblickt, erscheint ihm mitten unter sieben Kandelabern, die von goldenem Glanz erleuchtet sind, eine Gestalt. Es ist einer, der wie ein Menschensohn aussieht.
Beachten Sie das Wort „Menschensohn“. Es löst bei ihm plötzlich eine andere Erinnerung aus. Genau wie damals auf dem See, als die Wellen hochschlugen und die Jünger in ihrer kleinen Nussschale hilflos waren, hebt dieser Mann die Hand und sagt: „Fürchte dich nicht! Ich bin doch da!“
Durch ihn hat er auch jetzt in der Verlassenheit eine offene Tür zur Gemeinde. Wer in ihm bleibt, bleibt trotz Isolierung in Verbindung mit seinen Leuten.
So erkennt Johannes wieder Jesus, den Menschensohn, den Fachmann für Verlassenheit. Das drückt dieser Text aus.
Ich weiß auch nicht, vielleicht schauen Sie manchmal zurück, vielleicht auch an einem solchen Abend und sagen: „Dort war eigentlich mein Platz, dort war ich daheim, dort gab es Nestwärme.“ Doch dann ist alles ganz anders geworden: Untreue Freunde, undankbare Kinder, schlimme Verletzungen, die ich nicht vergessen kann, und entsetzliche Enttäuschungen.
Meilenweit entfernt liegt in solchen Momenten das Glück. Immer wieder macht Verlassenheit zu schaffen – genauso wie Johannes auf Patmos.
Und hier hinein, liebe Freunde, spricht diese Gestalt noch einmal so, wie sie damals gesprochen hat: „Fürchte dich nicht! Durch mich hast du Zugang zur Gemeinde, wo zwei oder drei, fünf oder zehn im Hauskreis sind, 100 oder 200 in der Bibelstunde oder 500 im Gottesdienst.“
Liebe Freunde, das ist keine Institution Kirche, sondern das ist seine Gemeinde. Wer Jesus gehört, gehört zur weltweiten Gemeinschaft seiner Leute.
Die Rolle des Hohenpriesters und die Vergebung der Schuld
Das andere, was dann hier kommt, ist, dass er hinaufblickt. Natürlich stand er mit seinem Gott in Verbindung, natürlich hat er gebetet. Er war ein praktizierender Christ.
Dann schob sich plötzlich eine Art Wolke zwischen Gott und ihn. Das geschieht oft in den stillen und verlassenen Stunden. In solchen Momenten kommt die Schuld auf: Warum ist das eigentlich in meinem Leben passiert? Wieso konnte so etwas geschehen? Warum bedrückt mich das heute noch? Warum bekomme ich das einfach nicht los? Diese Fragen trennen uns von Gott.
Als ihm das zu schaffen macht, sieht er eine Gestalt, bekleidet mit einem langen Gewand und begürtelt mit einem goldenen Gürtel. Liebe Freunde, damals wusste jeder, dass dies der Hohepriester war, der Fachmann für Schuld. So wie damals jener Herr, der der Ehebrecherin die Hand hielt und die anderen davon schickte.
Er sagt jetzt: Fürchte dich nicht! Nicht einmal deine Schuld kann dich von mir trennen. Es ist wichtig, dass sie immer wieder diesen Hohepriester erkennen. Wenn sich zwischen Gott und ihnen jene Wolke schiebt und wenn immer wieder die Fragen aufbrechen: Wie konnte das damals in meinem Leben sein? Wieso ist das passiert? Warum bekomme ich das nicht los?
Hier ist der Hohepriester, der sagt: Ich will dir diese Schuld vergeben. Fürchte dich nicht!
Die Hoffnung auf das Leben nach dem Tod
Und dann schaut er noch nach vorne und denkt an die neue Welt. Er hat es ja selbst gehört: „Ich gehe hin, euch Wohnungen zu bereiten.“
Dann sieht er seine Ketten, er sieht sein älter werdendes Leben und sagt: „Ja, aber dann kommt doch sicher noch das Sterben, das ganze Leiden, und dann kommt der Tod.“
Und dann, auf einmal, in der Angst vor dem Tod, sieht er diese Gestalt. Wie weiße Wolle? Nein. Wie glitzernde Sonne? Nein. Wie loderndes Feuer? Nein. Wie glühendes Erz? Nein. Die Worte reichen nicht aus, um den Weltenrichter zu beschreiben. Genau wie am Ostermorgen den Todfrauen, den Todrauchenfrauen, so sagt dieser Herr ihm: „Fürchte dich nicht, ich lebe, und du wirst auch leben.“
Liebe Freunde, wenn Ihnen immer wieder diese Todesangst kommt, die Sie verfolgt und Sie fragen: „Was wird denn aus mir?“ – dann denken Sie daran. Ich habe eben gelesen, dass junge Leute sich vor dem Tod besonders fürchten und deshalb in jene satanischen Kulte hineingehen.
Wenn ich mich frage: „Was kommt denn noch? Was muss ich noch erleiden?“ Und wenn einem der Tod vor Augen steht, dann steht er da, weiß wie Wolle, weiß gekleidet, und sagt: „Fürchte dich nicht! Er lässt auch ein Haupt nicht fallen, das Glied, das es nicht nach sich zieht.“ Der Weltenrichter, der Herr über den Tod.
Das alles sieht er, das alles hört er, so wie das Rauschen von Bächen. Demgegenüber sind die Niagara-Fälle oder die Iguazu-Fälle in Brasilien überhaupt nichts.
Ich sah den Menschensohn, den Hohepriester und den Weltenrichter, und dann fiel das dritte Ich zu seinen Füßen. Es haut ihm geradezu um, so als würde er sagen: „Ja, wie mir, ich vergehe.“
Wer diesen Gott so erkennt, wird eigentlich verbrennen. Als Kinder, wenn man Höhensonne bekam, trug man Lederbrillen. Und als man später die Sonne bei Sonnenfinsternissen beobachtete, hatte man Glas, das man schwarz machte. Wir können nicht einmal in die Sonne schauen. Wie wäre es dann, wenn dieser Gott vor uns in seiner Herrlichkeit erschiene? Mehr als hunderttausend Volt – überhaupt nicht mehr in Volt oder anderen Einheiten zu messen –, sondern uns verbrennend und vernichtend.
Gott sei Dank begegnet uns heute dieser Gott in diesem kleinen Licht vom Stall von Bethlehem. Im Schein einer Tranfunzel liegt dieses Kind. Das ist das Licht, das uns hell macht und in dem wir all das wiedersehen können.
Die tröstende Hand und die Zusage Jesu
Der Herr lässt seinen Knecht damals nicht im Stich. Er legt ihm die Hand auf – wie oft hat er seine Hand aufgelegt, um zu heilen, zu trösten, zu vergeben und aufzurichten. Und er sagt: „Ich bin der Erste und ich bin der Letzte.“
Das ist es. Der Erste – alles andere steht in den Hintergrund. Der Chef, der mir etwas befiehlt, sagt: „Ich bin der Erste.“ Der Nachbar, der sich wieder so groß aufspielt, sagt: „Ich bin der Erste.“ Der Dritte, vor dem wir uns fürchten, sagt: „Ich bin der Erste.“
Doch Jesus sagt: „Ich bin der Erste und ich bin der Letzte.“ Die Krankheit? Nein, ich bin das Letzte. Das Leiden? Nein, ich bin der Letzte. Das Sterben? Jesus sagt: „Nein, ich bin der Letzte.“
Ich bin der Erste und ich bin der Letzte. Ich habe den Hauptschlüssel zu aller Not, aus der ich euch herausführen kann. Und das ist das Letzte, das er aufschrieb.
„Ich schrieb auf“, sagte er, „was ich gesehen habe. Das Geheimnis wird gelüftet, eröffnet und erklärt.“ Ewigkeit erstrahlt hell im Licht der Zeit, sodass das Kleine klein bleibt und das Große größer erscheint.
Das schrieb er auf, damit wir es merken sollen.
Das Bild im Weiglehaus und die Aufforderung zum großen Denken von Jesus
Wenn Sie nach Essen kommen, nur fünf Minuten vom Hauptbahnhof entfernt, steht das Weiglehaus, ein Clubhaus für junge Leute. Es wurde um die Jahrhundertwende von Pastor Weigle errichtet, weshalb es auch heute noch diesen Namen trägt.
Das Haus ist eigentlich nur für 14- bis 18-Jährige gedacht. Dort treffen sich viele hundert junge Menschen zu christlicher Jugendarbeit. Als Dekoration hängt gleich beim Eingang ein großes Bild, das Pastor Weigle schon damals dort aufgehängt hatte. Es wurde im Krieg zerstört, aber man hat es neu gemalt und wieder aufgehängt.
Auf diesem Bild sieht man den wiederkommenden Herrn, der gesagt hat: „Ich bin der Erste und der Letzte.“ Jeder Besucher fragt sich: Was soll dieses Bild in einem Jugendhaus? Es ist doch eher ein Bild für alte Menschen oder Sterbende.
Pastor Weigle erklärte dazu: Diese jungen Leute sollen mit 14 oder 16 Jahren lernen, wer der Erste in der Welt ist und wer der Letzte sein wird. Diese jungen Menschen, so sagte er wörtlich, sollen groß von Jesus denken.
Genau das wünsche ich Ihnen an diesem Abend. Ich möchte Sie bitten, wenigstens im Geiste dieses Bild in Ihren Hausgang, in Ihre Welt hineinzuhängen: Der, der Ihnen sagt, „Ich bin der Erste“. Alles andere, vor dem Sie sich fürchten, ist nur Nummer drei oder fünf, alle anderen sind unter ferner liefen.
Und er sagt auch: „Ich bin der Letzte, garantiert. Ich bin der Letzte, der dir sagt: Fürchte dich nicht!“ Denken Sie groß von Jesus. Sie können gar nicht groß genug von ihm denken. Amen.
Schlussgebet und Segenswünsche
Herr, nun bitten wir dich für diejenigen, die an so vieles andere denken und nicht mehr glauben können, dass du, Herr, der Erste und der Letzte bist.
Wir denken an die Brüder und Schwestern in Not in anderen Ländern, besonders an die jetzt in den Ostburgländern, die unruhig geworden sind und bei denen niemand weiß, wie es weitergeht. Grüße du sie als Mitbrüder und Mitschwestern, die unter Druck und in Bedrängnis stehen.
Wir bitten dich an diesem Abend auch besonders für unsere Kranken, dass du ihnen beistehst und ihnen sagst, dass du der Letzte bist und größer als alle Schmerzen. Heile du sie.
Wir bringen dir unsere Gemeinde und unser ganzes Leben. Geh du mit jedem Einzelnen und lass jeden neu wissen, dass du der bist, der sagt: Fürchte dich nicht.
Dir befehlen wir uns an, dir befehlen wir unsere Welt an. Herr, bleibe bei uns, denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt.
Amen.
Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht und Gott befohlen.