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NT-Kurs Die Apostelgeschichte - mehr als ein trockenes Geschichtsbuch

NT-Kurs, Teil 7/11
03.05.1999Apostelgeschichte
SERIE - Teil 7 / 11NT-Kurs
Wie hat sich Christentum aus dem Judentum entwickelt? Wie studiert man ein historisches Buch der Bibel? (Am Beispiel der Apostelgeschichte)

Einführung in die Apostelgeschichte und ihre Bedeutung heute

Ich möchte euch heute ein Buch vorstellen, das ich für eines der spannendsten Bücher in der Bibel halte. Dabei werde ich mich von einer vielleicht eher etwas langweiligeren Seite nähern. Manchmal muss man spannende Bücher eben auch mal langweilig betrachten.

Ich möchte mit euch die literarische Struktur der Apostelgeschichte anschauen. Oder man könnte auch sagen: Ich möchte euch zeigen, wie sich durch die Apostelgeschichte dokumentiert, wie sich das Christentum aus dem Judentum heraus schält.

Wir wollen dazu drei Dinge tun. Erstens: Ich möchte euch ein bisschen Lust auf die Apostelgeschichte machen. Warum ist es eigentlich wichtig, dass wir uns heute, nach mehr als 2000 Jahren, noch mit der Apostelgeschichte auseinandersetzen? Im ersten Teil werde ich euch zeigen, warum wir heute noch Lust auf die Apostelgeschichte haben sollten. Dabei möchte ich deutlich machen, dass alle wesentlichen Fragen, mit denen wir heute im Hinblick auf die Bibel konfrontiert werden, in der Apostelgeschichte ein Stück weit vorweggenommen werden. Wir finden dort viele Antworten auf sehr moderne theologische Fragen – und zwar genau dort, wo wir sie am wenigsten vermuten.

Das Zweite sind ein paar allgemeine Gedanken, die sehr schnell gehen werden. Es geht um die Frage: Wie kann ich ein historisches Buch gliedern? Dazu werde ich euch ein Beispiel zeigen.

Der letzte Punkt, der auch nicht allzu lang sein wird, ist die historische Struktur der Apostelgeschichte. Das heißt, wir schauen uns an, wie die Apostelgeschichte als ein Stück historische Literatur aufgebaut ist und welche groben Entwicklungszüge Lukas in seiner Beschreibung verfolgt.

Auf das Thema gebracht wurde ich durch Robert. Wir kamen gemeinsam bei der Vorbereitung eines Hauskreises auf Apostelgeschichte 12. Ihr kennt die Geschichte, in der Petrus aus dem Gefängnis befreit wird. Dabei tauchte die Frage auf: Was soll diese Geschichte? Ist es nur noch eine Befreiung? Wir hatten vorher schon eine, auch mit Engeln und so. Muss das noch einmal erzählt werden? Bringt das etwas für die Entwicklung des Buches? Oder hat Lukas, weil er dachte, er müsse eine bestimmte Menge an Text schreiben – wie manche Leute bei ihrer Diplomarbeit sagen: „60 Seiten müssen es werden“ –, einfach das Inhaltsverzeichnis noch ein bisschen verlängert und den Anhang ergänzt, um die Seiten vollzukriegen? Brauchte er einfach noch ein bisschen mehr Text, weil es sonst nicht gereicht hätte?

Was war der Grund dafür? Diesen Grund wollen wir uns anschauen, indem wir uns eine literarische Struktur vornehmen. Wir sagen dann: Aha, da ist wirklich ein Fluss der Gedanken drin. So wird aus dieser Geschichte, die erst einmal aussieht wie „na ja, noch eine Befreiung“, plötzlich eine eigenständige Größe. Sie leistet auch argumentativ ihren Beitrag dazu, wie das Christentum aus dem Judentum heraus entsteht.

Warum die Apostelgeschichte für Christen heute relevant ist

Kommen wir zum ersten Punkt, der euch ein wenig Lust auf die Apostelgeschichte machen soll. Warum ist es wichtig für Christen, die Apostelgeschichte zu lesen? Man könnte sagen: „Ich möchte einfach einen Überblick bekommen, wie alles angefangen hat.“ Und ich finde, das ist ein sehr legitimer Ansatzpunkt.

Ich denke, in den ersten paar Malen, wenn man die Apostelgeschichte liest, wird genau das passieren. Man liest sie, um einfach zu sehen, wie alles begann. Doch relativ schnell kommt ein zweiter Gedanke auf: Das moderne Christentum stößt den modernen Menschen ab.

Der moderne Mensch hat Schwierigkeiten mit dem Christentum. Woran stört er sich am meisten? Woran stößt sich der moderne Mensch, wenn er vom Christentum hört? Es ist vor allem die Demut, dieser moralische Aspekt, der Anspruch. Ein Gott, der der Einzige ist und an den man glauben muss. Ein weiterer Punkt ist das Übernatürliche.

Das Übernatürliche bereitet dem modernen Menschen Probleme. Wir sprechen von einem leibhaftigen Jesus, der Gott ist, der leibhaftig auf die Erde gekommen ist, gestorben sein soll, auferstanden sein soll, in den Himmel aufgefahren sein soll und dann noch diesen Absolutheitsanspruch hat: Es gibt keinen anderen Erlöser als diesen Jesus.

Wo führt das hin, wenn man das in der modernen Welt akzeptieren würde? Weil diese Situation so schwierig ist, sagt der moderne Mensch: „Es kann doch nicht sein, dass ihr an Wunder glaubt. Und es kann doch nicht sein, dass ihr im zwanzigsten Jahrhundert noch predigt, dass es nur einen Weg zu Gott gibt und dass dieser Weg Jesus von Nazaret ist.“

Deshalb haben die Theologen unserer Zeit etwas sehr Kluges ersonnen. Sie haben, weil die Situation so schwierig ist, ein Sanierungskonzept entwickelt. Was können wir tun, damit unser Christentum noch attraktiv bleibt?

Es geht darum, das Evangelium zeitgemäß zu machen. Wie können wir erreichen, dass die Dinge, die ich als hinderlich beschrieben habe, verschwinden und das moderne Denken das Christentum annehmen kann?

Die argumentative Vorgehensweise ist etwa folgende: Man sagt, dass das, was du gerade gesagt hast, eigentlich gar nicht zu den wichtigsten Dingen des Evangeliums gehört. Das sind Randbereiche. Du musst verstehen, dass das Christentum am Anfang eine junge Religion war, in einer antiken Welt, die noch vorwissenschaftlich war und in der das Denken noch nicht so ausgereift war. Da war es notwendig, dass Christen solche Überzeugungen hatten.

Damals schützte dieses Denken das Christentum vor falschen Einflüssen. Aber heute müssen wir dieses falsche Denken ablegen. Der moderne, aufgeklärte Mensch kann damit nichts anfangen, dass du behauptest, es gibt nur Jesus und dass Wunder passiert sind.

Der moderne Mensch weiß, wie sich Religionen entwickeln. Er weiß auch, dass eine Religion am Anfang eine bestimmte Form hat und sich im Laufe der Zeit weiterentwickelt. Diese Weiterentwicklung müssen wir im Christentum jetzt nachvollziehen.

Wenn du, Jürgen, darauf bedacht bist, dass sich ein moderner Mensch aus dem zwanzigsten Jahrhundert mit dem Christentum beschäftigt, musst du es schaffen, diese unwichtigen, ganz übernatürlichen Dinge herauszunehmen. Sie stören. So lautet in etwa die Argumentation.

Man kann das bildhaft darstellen: Das frühe Christentum ist wie eine Raupe, die noch unscheinbar und tapsig ist. Dann muss sie sich verpuppen, um schließlich als schöner Schmetterling der modernen Religion hervorzugehen. Dieser Schmetterling kann dann davonflattern, ohne dass jemand Anstoß daran nimmt.

Übrigens gibt es in unserem Garten nicht mehr nur einen Schmetterling, sondern viele. Der Anspruch, wir seien die Einzigen, mag damals gegolten haben, als die Menschen noch wenig wussten. Aber heute wissen wir, dass es eine ganze Reihe mindestens ebenso attraktiver Religionen gibt, oder?

Und ihr, die Frommen – ich meine diese Gruppe hier, die nur aus Frommen besteht – wir müssen umdenken. Das geht so nicht weiter. Wir müssen verstehen, dass heute die Anhänger verschiedener Religionen ihre Erkenntnisse auf einen Tisch legen, Dialog miteinander führen und aus jeder Religion das herausziehen, was sie brauchen und wollen.

Das ist modern, und das Christentum ist dann nur eines von vielen Dingen. Deswegen wird dieser Absolutheitsanspruch nicht toleriert, okay?

Was sagt man dazu? Früher war alles anders, und da wurde das so gebraucht. Wollen wir jetzt in der Antike stehenbleiben und sagen: „Okay, evangelistische Hauskreise stellen wir auch gleich ein, das spart viel Zeit, hat ja eh alles keinen Sinn“? Haben diese Theologen, die so argumentieren, recht?

Die Apostelgeschichte als Antwort auf moderne theologische Herausforderungen

Und wenn wir mit solchen Argumenten konfrontiert werden, die wirklich modern sind – das ist liberale Theologie pur – dann hilft uns eine Sache: Es hilft uns, die Apostelgeschichte zu lesen und zu merken, wie modern doch die Argumente von Lukas sind.

Ich denke, eine Sache, die man sofort merkt, wenn man die Apostelgeschichte liest, ist, dass die alte, die antike Welt gar nicht so unterschiedlich zu unserer modernen Welt ist. Zumindest dann, wenn man die Apostelgeschichte aufmerksam liest, wird man das feststellen.

Schauen wir uns das Erste an: das Übernatürliche, das häufig von modernen Menschen abgelehnt wird. Unsere moderne wissenschaftliche Welt glaubt nicht an die Möglichkeit, dass verstorbene menschliche Leiber aus dem Grab auferstehen. Das kann man lesen.

Glaubt ihr, dass eine antike Welt, in die Paulus und Petrus hineingelebt haben und über die Lukas geschrieben hat, daran geglaubt hat, dass Tote einfach auferstehen? Nein, das hat sie nicht!

Ein Beispiel: Habt ihr schon einmal von den Epikureern gelesen? Woran glaubten die Epikureer? Sie glaubten daran, dass die Welt aus Atomen zusammengesetzt ist. Sie hatten so etwas wie eine Vorstufe der Evolutionstheorie. Und sie waren davon überzeugt, dass es irgendwie Götter gibt – wie manche modernen Theologen, allerdings nur solche, die sich nicht richtig in die Welt einmischen.

Sie waren überhaupt nicht bereit, daran zu glauben, dass irgendetwas nach dem Tod weiterexistiert – weder der Körper noch die Seele. In ihrem Denken lösten sich zuerst die Atome auf, das ist der Körper, und ein bisschen später verschwand dann auch die Seele. Dann ist es vorbei.

Das waren die Epikureer, Menschen, die damals lebten. Wenn man sich mit so einem Denken beschäftigt, stellt man fest, dass diese Leute ziemlich genau das Gleiche glaubten wie die meisten Leute heute, die auf der Straße laufen.

Und dann schauen wir uns den Widerstand an. Wo kam der Widerstand gegen das Übernatürliche eigentlich damals her? Haben alle Menschen gesagt: „Na klar, wir leben hier im ersten Jahrhundert nach Christus und wir glauben alle daran, dass Leute wieder auferstehen können. Wir sind daran gewöhnt, ja, so etwas passiert bei uns täglich. Man muss verstehen, wir sind halt noch vorwissenschaftlich, das wissen wir auch, und deswegen glauben wir das noch“?

Oder war es nicht vielmehr so, dass der erbitterte Widerstand gegen die Auferstehung Jesu gerade von den hohen Herren kam, die es am besten hätten wissen müssen? Von den allerhöchsten Priestern, die Sadduzäer waren? Sie lehnten ab, dass es Engel gibt, sie lehnten die Auferstehung ab und widersetzten sich erbittert den Aposteln.

Kommt uns das nicht ziemlich bekannt vor, wenn Leute mit einem Professorentitel – Theologieprofessoren – ablehnen, dass Jesus jemals gelebt hat, dass Jesus jemals gestorben sei, dass Jesus jemals auferstanden sei, geschweige denn in den Himmel aufgefahren?

Ich denke, dass Eugen Drewermann dem einen oder anderen noch etwas sagt. Aber es gibt eine ganze Palette von Leuten, die genau das denken – nur sind sie nicht so bekannt.

Ist das nicht sehr modern, dass die Leute, die man eigentlich als Vertreter der Religion ansehen müsste, genau das Gegenteil tun?

Und ist der einzige Unterschied zwischen damals und heute nicht der, dass damals die hohen Priester ganz klar außerhalb der Christenheit standen, während wir heute die Verleugner derselben Wahrheit mittendrin finden? Aber es sind wieder die hohen Herren.

Wir merken: Die Apostelgeschichte ist ganz modern. Es ist nicht so, dass damals alles anders war als heute. Es gibt ganz viele Parallelen – die gleichen Leute, die gleichen Ideen.

Die zentrale Bedeutung der Auferstehung und des Absolutheitsanspruchs

Und was wäre passiert, wenn die Apostel dem Rat dieser modernen Theologen gefolgt wären? Wenn sie tatsächlich gesagt hätten: „Okay, wir blenden mal die ganzen Wunder aus, und wir blenden mal die Auferstehung aus“ – was wäre denn aus der christlichen Kirche geworden? Wahrscheinlich gar nichts.

Denn ihr habt in dem Kurs herausgearbeitet, dass im Zentrum der Botschaft der ersten Christen die Auferstehung stand. Anscheinend war ihnen das sehr wichtig. Und anscheinend hatten sie ein großes Bedürfnis, genau dieser Welt zu sagen: Jesus ist leibhaftig auferstanden.

Wenn wir Paulus im 1. Korinther 15,12-19 hören, sagt er Folgendes: „Wenn aber gepredigt wird, dass Christus aus den Toten auferweckt sei, wie sagen einige unter euch, dass es keine Auferstehung der Toten gebe? Wenn es aber keine Auferstehung der Toten gibt, so ist auch Christus nicht auferweckt. Wenn aber Christus nicht auferweckt ist, so ist also unsere Predigt inhaltslos und auch euer Glaube. Wir werden aber auch als falsche Zeugen Gottes erfunden, weil wir gegen Gott bezeugt haben, dass er Christus auferweckt habe, den er nicht auferweckt hat, wenn wirklich Tote nicht auferweckt werden. Wenn aber Christus nicht auferweckt ist, so ist euer Glaube nichtig, so seid ihr noch in euren Sünden.“

Ob sich das so mancher moderne Theologe vor Augen hält, was es bedeutet, zu predigen, Jesus sei nicht auferstanden? Paulus macht es jedenfalls deutlich: Du kannst glauben, dass Jesus noch nicht auferstanden ist, ja. Aber eins ist auch klar: Du bist dann noch in deinen Sünden.

Der zweite Stolperstein ist der Absolutheitsanspruch des Christentums, dass man Erlösung und Vergebung tatsächlich nur durch Jesus findet – und in keiner anderen Religion oder Philosophie.

Man sagt heute, so eine Haltung könne für den modernen Menschen arrogant oder dumm erscheinen. Das war früher völlig verständlich. Später war das Christentum ja auch Staatsreligion. Da kann man es noch viel leichter verstehen, dass alle Leute das geglaubt haben.

Aber heute, Jürgen, du musst das verstehen: Wir streben zu einer großen Weltkultur hin – Internet, Cyber Space, eine gemeinsame Sprache. Das ist eine große Kultur, und da hat dieser Absolutheitsanspruch keinen Platz mehr. Außerdem wissen wir viel mehr über die anderen Religionen. Und weil wir so viel mehr wissen, können wir Religionen auch beurteilen. Deswegen geht es gar nicht anders: Wir müssen den anderen Religionen ihren Platz in unserem Denken zugestehen.

Und wisst ihr, wo der Denkfehler liegt? Und wir kriegen den Denkfehler wieder bei Lukas heraus. Der Denkfehler ist: Wir sind die aufgeklärten modernen Leute im zwanzigsten Jahrhundert. Wir wissen so viel, vor allem über die anderen Religionen. Aber soll ich euch etwas verraten? Der normale Römer oder der normale Grieche im ersten Jahrhundert nach Christus wusste aus persönlicher Erfahrung oder vom täglichen Umgang unendlich viel mehr über andere Religionen als der durchschnittliche moderne Mensch.

Wer sagt uns das? Lukas. Was findet er, als er nach Athen kommt? Er findet Altar neben Altar. Und das war das, was die damalige Zeit gekennzeichnet hat. Ich will es noch mal kurz anreißen.

Da gab es die klassischen olympischen Götter, in ihrer römischen und griechischen Form. Aber es gab genauso Dinge, die uns sehr modern vorkommen. Ich nenne mal die modernen Worte dafür: Es gab Vorstellungen über Seelenwanderung, Vorstellungen über ein Fegefeuer, Vorstellungen über Reinkarnation. Selbst der Hinduismus war schon lange da.

Wir haben zahlreiche philosophische Strömungen, wir haben asketische Religionen, die alles verbieten, und wir haben auf der anderen Seite freizügige Religionen, die alles erlauben. Das war viel mehr als heute. Und die Leute wussten sehr gut Bescheid. Das war viel durchmischter.

Zu sagen, die Leute damals hätten keine Ahnung von Religion gehabt, ist einfach völliger Unsinn.

Und wenn man auf das Versprechen kommt, dass das Christentum irgendwann Staatsreligion wurde, das stimmt. Aber die ersten zwei Jahrhunderte nach Christus war es keine Staatsreligion. Es war eine kleine, oft verfolgte Minderheit in diesem riesigen Reich, das Römische Reich genannt wurde.

Es war – und das ist wirklich wichtig – also nicht so, dass die Christen aus Unwissenheit über andere Religionen Jesus Christus als den einzigen Weg, den einzigen Heiland zu Gott gepredigt hätten. Es war das genaue Gegenteil.

Gerade weil die Christen mehr als genug wussten von den anderen Religionen, haben sie Jesus gepredigt. Genau weil sie die Erfahrungen gemacht hatten, weil sie sahen und in ihrer Umgebung erleben konnten, was die anderen Religionen mit den Menschen gemacht haben: wie wenig Freiheit, wie wenig Erfüllung, wie wenig Freude da war, wie wenig umfassendes Einswerden mit Gott da war.

Genau deshalb sind sie gekommen und haben Jesus gepredigt. Sie haben das, was sie an persönlicher Freude erlebt haben – dass Jesus sie befreit hat – weitergegeben. Sie konnten gar nicht anders, nicht aus Unwissenheit, sondern gerade weil sie die ganzen anderen Religionen auch kannten.

Intoleranz und die Motivation der Apostel

Bleibt die Frage: Ist es nicht ziemlich gefährlich, was ihr Christen tut? Wir leben in einer multikulturellen Gesellschaft, und ihr predigt Jesus als den Einzigen. Das mag mit eurem Hintergrund in Ordnung sein, aber besteht nicht die Gefahr, dass im Namen der Religion erneut Gewalt ausgeübt und Menschen unterdrückt werden?

Es stimmt, im Namen der Religion ist sehr viel Böses geschehen. Doch auch hier muss man fragen: Woher kommt eigentlich die Intoleranz gegenüber Andersgläubigen? Interessanterweise wird diese Frage in der Apostelgeschichte beantwortet. Woher kommt Intoleranz im Christentum? Wir können uns an Lukas orientieren, besonders am letzten Teil der Apostelgeschichte wird eines klar: Intoleranz kommt mit Sicherheit nicht aus dem Befolgen biblischer Grundsätze.

Wenn Christen intolerant werden – ich denke an Inquisition, Kreuzzüge oder Judenverfolgung – dann ist das nicht die Befolgung christlicher Maßstäbe. In all diesen Fällen wird deutlich: Man muss sich bewusst über das hinwegsetzen, was Jesus gesagt und die Apostel gelehrt haben. Das macht Lukas ganz klar.

Aber ist es nicht so, dass trotzdem Petrus, Paulus und die anderen, wenn sie gepredigt haben, ein Risiko eingegangen sind? Sie wussten doch, wie die Leute reagieren würden. Paulus kam an einen Ort, betrat die Synagoge, sobald er aufgefordert wurde zu reden, ging er nach vorne, schlug seine Bibel auf – auch wenn er sie noch nicht hatte, so kann man sich das vorstellen – und sagte: "Freunde, ich habe euch etwas vom Messias zu erzählen." Dann führte er die Stellen durch und erklärte: "Er ist auferstanden, ich kenne ihn, und ihr müsst an ihn glauben." Und prompt explodierte die Synagoge im geistlichen Sinne.

Muss das sein? Ist es wirklich nötig, Paulus, dass überall diese Unruhen entstehen? Die Frage ist legitim. Die römischen Verwalter und Beamten waren zu Recht manchmal irritiert und verärgert, wenn sie dem Christentum begegneten. Das Christentum kam, es gab irgendwo einen Aufstand, sie mussten etwas durchschauen, was sie natürlich nicht durchschauen konnten, und damit umgehen, obwohl sie es nicht konnten.

Zunächst entstand der Eindruck, dass überall dort, wo Christen auftauchten, Probleme begannen. Warum tun Christen das? Das ist eine legitime Frage. Warum stellen sich Christen auf den Kurfürstendamm und predigen? Das tun übrigens nicht viele, aber mehr könnten es. Warum gibt es christliche Internetangebote? Was soll das? Könnt ihr nicht in eurem Club bleiben und eure privaten Treffen machen? Müsst ihr unbedingt andere bekehren?

Wenn ihr schon mit anderen reden wollt, können wir uns nicht auf die Themen verständigen, die nett sind? Zum Beispiel die Vaterschaft Gottes – das könnte doch ein Thema sein, da kann man mit Juden darüber reden, da kann man sogar mit Moslems darüber reden. Da eckt ihr nicht an. Lasst uns doch die Themen auf solche Sachen reduzieren. Warum immer diese Streitfragen? Auferstehung oder Paulus und Beschneidung mit den Juden – warum immer diese heiklen Dinge? Oder Nächstenliebe – das wäre doch auch ein Thema, da könnten wir uns alle an einen Tisch setzen und nichts falsch machen.

Warum müssen Christen, wo immer sie auftauchen, diese Probleme machen? Eine Geschichte ist ja auch immer wieder lustig: Paulus kommt, ich denke, nach Philippi, und wird ganz freundlich von einer Magd, einem spiritistischen Medium, begrüßt. Paulus muss dieses freundliche Angebot ablehnen, die ganze spiritistische Religion als schlecht erklären, einen Riesenaufstand machen und die Stadt in Unruhe versetzen. Wozu? Kann es nicht ein vernünftiges Nebeneinander geben, ein Miteinander?

Diese Fragen sind sehr modern, oder? Das ist genau das, was wir heutzutage in der theologischen Fachpresse und in den Zeitungen lesen. Und ich meine damit nicht nur Ökumene, sondern noch eine Ebene darüber: den religiösen Dialog. Lasst uns, die wir an irgendeinen Gott glauben, doch zusammenrücken gegen all die anderen, die nicht einmal an einen Gott glauben. Das ist es, was gerade im Entstehen ist – im allerweitesten Sinne.

Die Antwort auf solche Entwicklungen liefert uns wieder die Apostelgeschichte. Wenn wir die Motive befragen, mit denen Paulus und Petrus unterwegs waren, dann sehen wir unter anderem Folgendes: Petrus erklärt vor dem Hohen Rat, warum er Jesus predigt. Es ist nicht Rachsucht – ihr habt ihn umgebracht –, so in dem Sinne, oder Intoleranz. Es ist genau etwas ganz anderes. Er sagt: Das Heil der Menschen steht auf dem Spiel, ob ich ihn predige oder nicht.

Als es in Apostelgeschichte 15 um die Frage der Beschneidung geht, geht es nicht darum, ob sich eine christliche Gruppierung gegen eine andere durchsetzt. Es geht wieder um die Frage: Das Heil der Menschheit steht auf dem Spiel.

Das Gleiche finden wir, als Paulus in Athen bei den heidnischen Philosophen predigt. Was predigt er ihnen? Das, was sie am wenigsten gerne hören wollen: die Auferstehung. Und warum predigt er ihnen die Auferstehung? Weil Paulus verstanden hat, dass die Auferstehung eine historische Tatsache ist, die mehr wert ist als alle philosophischen Ideen.

Durch die Auferstehung hat Gott den Menschen mitgeteilt, dass Jesus Christus ihr Retter und Richter sein wird. Und in dem Moment ist er gekommen, die Menschen aufzurufen, Buße zu tun. Wieder steht das Heil der Menschen im Mittelpunkt.

Paulus hatte nicht vor, eine nette philosophische Idee zu präsentieren, damit das philosophische Plauderstündchen im Areopag ein wenig weitergeht. "Komm, hast du nicht noch eine kitzlige Idee, über die wir uns unterhalten können?" Nein, Paulus steht dort und sagt: "Freunde, ich bin hier im Auftrag Gottes, und ihr müsst euch entscheiden, was ihr haben wollt – Leben oder Tod."

Jedes Mal zieht sich das durch: Die Apostel legen bewusst Wert darauf, ganz klarzumachen, dass es um die Errettung der Menschheit geht. An diesen Stellen machen sie keine Kompromisse. Und ich denke, wir sollten auch keine machen. Ich werde später noch einen Satz dazu sagen.

Methodik zum Lesen historischer Bücher am Beispiel der Apostelgeschichte

Kommen wir zu Punkt zwei: Was kann ich tun, wenn ich ein historisches Buch lese? Was ich euch zeigen möchte, ist einfach eine Idee, wie man an ein historisches Buch herangehen kann. Historische Bücher sind manchmal ein bisschen langatmig. Um diese Langatmigkeit ein Stück weit zu reduzieren, hilft es, das Buch in Abschnitte einzuteilen.

Ihr habt schon manches an Einteilungen gemacht. Ich möchte euch nur noch eine Einteilung zeigen, die, soweit ich das beurteilen kann, einen guten Überblick gibt, wie man an ein historisches Buch herangeht.

Schaut mal: Was ihr hier sehr schön sehen könnt – und was immer hilft, wenn man ein Buch zum ersten Mal liest oder anfängt, es zu studieren – ist, dass man versucht, das Wesentliche eines Kapitels mit einem Stichwort oder einer Überschrift zu beschreiben. So hat man im Nachhinein zu jedem Kapitel eine Überschrift.

Hier werden zum Beispiel alle 28 Kapitel der Apostelgeschichte mit einer Überschrift versehen. Kapitel 1 trägt zum Beispiel die Überschrift „Himmelfahrt“. Diese Überschriften kann man wählen, wie man möchte, aber sie helfen auf jeden Fall ein Stück weit.

Wenn man das dann 28 Kapitel lang durchmacht und sich diese Überschriften anschaut, hat man wirklich einen Überblick: Aha, was ist passiert?

Das ist auch wichtig, wenn ihr Bücher studiert wie das Buch Daniel, die Könige, Samuel oder Richter. Dort ist die Fülle der Inhalte so groß, dass man es kaum schafft, alles im Überblick zu behalten.

Das Erste, was ich beim Durchlesen empfehlen würde, ist, den einzelnen Kapiteln einfach eine Überschrift zu geben.

Dann ist es immer wieder wichtig, dass wir einen Text mit Fragen bombardieren. Diese Fragen können am Anfang eines Studiums sehr einfach sein. Sie sollten sogar sehr einfach sein.

Hier stehen ein paar Fragen: Wer sind die Hauptpersonen? Wenn man das beantwortet, stellt man fest, dass es zum Beispiel in der Apostelgeschichte am Anfang Petrus ist, dann ein Intermezzo mit Stephanus, Philippus, Paulus, wieder Petrus und schließlich Paulus. So erkennt man eine Zweiteilung.

Das überrascht euch vielleicht nicht, weil ihr es schon vorher wusstet. Wenn ihr aber zum ersten Mal ein Buch lest, ist es trotzdem interessant zu sehen. Zum Beispiel im Buch Richter: Gibt es dort bestimmte Hauptpersonen? Oder bei Samuel: Ist Samuel nur die Hauptperson in diesem Buch oder gibt es noch andere?

Eine weitere Sache ist die Einteilung nach der Entstehung der Versammlung oder Gemeinde und welche besonderen Ereignisse stattfinden.

Eine schöne und einfache Methode ist auch, die Schauplätze zu notieren. Das kostet nicht viel Zeit, bringt aber viel Orientierung in einem Buch.

Ich kann euch versprechen: Wenn ihr mit solchen Fragen im Hinterkopf an ein Buch herangeht, werdet ihr gezwungenermaßen ein bisschen genauer lesen.

Letztlich geht es nur darum, ein bisschen genauer zu lesen, zu verstehen, worum es geht, und durch Fragen wie „Wer macht mit?“, „Wo findet es statt?“ und „Was passiert?“ eine Orientierung zu bekommen, was in dem Buch vor sich geht.

Wenn ihr das habt, könnt ihr euch Gedanken machen, wie sich der Gedankenfluss entwickelt.

Ihr braucht das nicht abzuschreiben, denn ihr könnt diese Folie gerne haben. Das ist kein Problem. Schreibt euch die Ideen auf, wir können sie auch fotokopieren.

Wenn man so etwas hat, also einen ersten Überblick, bekommt man ein Gefühl für ein Buch. Man weiß ungefähr, wo die Handlung stattfindet, was ungefähr passiert und wo der Schwerpunkt liegt.

Wisst ihr, wenn ich euch fragen würde, schreibt alles auf, was ihr über die Apostelgeschichte wisst, dann wäre es wahrscheinlich so, dass ihr im hinteren Teil, also in den letzten Kapiteln, nicht mehr viel sagen könnt.

Denn man liest die vorderen Kapitel ständig, hat sie gut im Griff, aber die letzten Kapitel sind oft schwerer zu fassen.

Die Entwicklung des Christentums aus dem Judentum in der Apostelgeschichte

Ich möchte euch noch etwas zeigen, das auf dieser Folie hier, die ihr auch haben könnt, sehr schön zum Ausdruck kommt. Worum geht es eigentlich in der Apostelgeschichte? Wenn man die Apostelgeschichte liest, stellt man zwei Dinge fest.

Zum einen: Wo kommt das Christentum her? Aus dem Judentum, richtig. Das ist eine ganz einfache Feststellung. Man muss aber zunächst klar machen, dass das Christentum im Schatten und auch im Schutz des Judentums heranwächst.

Auf der anderen Seite stellt man etwas Zweites fest. Ich habe eine ganze Weile gebraucht, das zu verstehen: Das Christentum ist, wenn es auf die Erde kommt, nicht fertig. Es ist kein fertiges Lehrkonzept, das hier geboren wird. Es ist eher wie ein Same, den jemand einpflanzt. In so einem kleinen Samen ist der Bauplan für einen ganzen Baum enthalten.

Dieser Bauplan schält sich tatsächlich erst ganz langsam heraus. Der Same braucht dazu Sonne, Regen, Nährstoffe und all diese Dinge. Genauso war es auch beim Christentum. Wir können sagen, das Christentum wächst aus dem Judentum heraus, aber es ist von Anfang an nicht fertig.

Was hier passiert – und das ist das, was ich persönlich als das Spannendste an der Apostelgeschichte empfinde – ist Folgendes: Gott sendet seinen Heiligen Geist. Unter der Leitung des Heiligen Geistes stellt sich das Christentum Stück für Stück aus dem Judentum heraus, indem es sich den Widerwärtigkeiten und Problemen der Zeit sowie den aufkommenden Fragestellungen stellt.

Hier wird etwas verworfen, dort etwas abgelegt. Das fällt uns auf, wenn wir feststellen, dass wir am Anfang noch im Tempel sind, später aber nicht mehr. Am Anfang sind wir noch an einem Ort, dann geht das nicht mehr. Diesen Entwicklungsprozess wollen wir kurz miteinander betrachten.

Merkt ihr, was für ein Unterschied das ist? Zu sagen, da entwickelt sich eine Religion unter der Führung des Heiligen Geistes, die von Anfang an noch nicht fertig ist. So kommt es, dass ein Petrus mitten in diesem Prozess ins Stocken gerät und sagt: „Wie, ich soll jetzt zu Cornelius gehen?“ Man merkt richtig, dass hier etwas abgesprengt wird. Das Denken eines Mannes muss fast um 180 Grad gedreht werden, damit das Christentum wieder einen Schritt weiterkommt.

Wie funktioniert das? Die Apostelgeschichte beschreibt, wie sich das Christentum geografisch ausbreitet, wie es zahlenmäßig wächst und wie zu dieser zahlenmäßigen Ausbreitung eine Festigung der Gemeinde hinzukommt.

In der Apostelgeschichte gibt es verschiedene Zäsuren, so will ich das mal nennen. Es sind Einschnitte, die immer wieder mit dieser Ausbreitung zu tun haben. Es gibt Verse, die sehr ähnlich klingen, und man sagt: „Aha, jetzt kommt er wieder zu seinem Thema, hier breitet sich etwas aus.“

Ich lese euch mal ein paar vor:

In Kapitel 6, Vers 7 heißt es: „Und das Wort Gottes wuchs, und die Zahl der Jünger in Jerusalem mehrte sich sehr, und eine große Zahl der Priester wurde dem Glauben gehorsam.“

So eine Zäsur, die der Schriftsteller an dieser Stelle setzt, haben wir fast noch einmal in Kapitel 9, Vers 31: „So hatte die Gemeinde in ganz Judäa, Galiläa und Samaria Frieden, wurde erbaut und wandelte in der Furcht des Herrn und mehrte sich durch den Trost des Heiligen Geistes.“

Aha, das ist wunderbar, schon wieder eine Mehrung.

Dann hören wir wieder in Kapitel 12, Vers 24: „Das Wort Gottes aber wuchs und mehrte sich.“

Offenbar ist das wieder wichtig: Hier wird erneut etwas vermehrt.

Manchmal mehrt sich auch nichts, sondern es wächst nur. Zum Beispiel heißt es in Kapitel 16, Vers 5: „Die Gemeinden wurden im Glauben befestigt und nahmen täglich an Zahl zu.“

Dieser Vers begeistert mich immer wieder, weil Gemeinden täglich an Zahl zunehmen können, nicht nur einzelne Gemeindeglieder.

Oder in Kapitel 19, Vers 20, ähnlich wie in Kapitel 28, Vers 30.

Mir geht es heute um die literarische Struktur. Was Lukas hier macht, ist, er setzt solche Markierungen. Wenn man sie liest, denkt man: „Mehrte sich, habe ich doch schon mal gehört.“

So ähnlich wie bei Matthäus, wo wir das auch hatten, nachdem Jesus seine Rede vollendet hat. Das wisst ihr noch? Das haben wir dann immer so Stück für Stück.

Hier haben wir auch so eine Markierung: „Aha, jetzt mehrt sich wieder etwas, hier wächst etwas.“ Immer wenn etwas wächst, können wir uns anschauen, worum es dann geht.

Das möchte ich mit euch kurz durchgehen: Wie schält sich das Christentum aus dem Judentum heraus? Ich werde das von hinten machen, damit man das Geräusch nicht so hört.

Die vier großen Schritte der Abgrenzung des Christentums vom Judentum

Zum einen ist der Text gerade noch gut lesbar. Interessant ist, dass Lukas sein Material sehr gezielt auswählt. Es fällt vielleicht nicht sofort auf, aber in der Zeit, in der Paulus die heutige Türkei und Griechenland bereist und missioniert, entstehen bereits in Syrien, Ägypten und anderen Regionen Gemeinden.

Es ist nicht so, dass die anderen Apostel untätig waren. Sie waren ebenfalls unterwegs und gründeten Gemeinden, solange sie ihren Kopf noch auf den Schultern hatten. Lukas jedoch hebt bestimmte Ereignisse hervor und stellt uns eine Entwicklung dar. Diese Ereignisse beschreiben, was man als „den anderen Weg“ bezeichnen kann. Der Begriff „der Weg“ stammt aus der Apostelgeschichte, wo im hinteren Teil immer wieder von „dem Weg“ die Rede ist – dem Weg, mit Gott zu leben.

Man kann diesen Begriff an dieser Stelle unterschiedlich interpretieren. Schauen wir uns den ersten Abschnitt an, der bei Kapitel 6, Vers 7 endet. Dort heißt es: „Das Wort Gottes wuchs, und die Zahl der Jünger in Jerusalem näherte sich sehr, und eine große Menge der Priester wurde dem Glauben gehorsam.“ Das ist die erste Zäsur.

Wenn man sich überlegt, was das Thema dieses ersten Abschnitts ist, stellt man fest, dass es um die Aufrichtung des christlichen Zeugnisses geht: die Ausgießung des Heiligen Geistes, die Himmelfahrt, die Pfingstpredigt und Wunder. Alles läuft gut. Am Anfang sieht alles sehr positiv aus: Dreitausend Menschen kommen zum Glauben, dann noch einige mehr – super.

Plötzlich kommt der erste Schnitt. Der Hohe Rat sagt: „Stopp! Kommt mal her, erklärt uns, was ihr hier predigt.“ Die Apostel werden gezwungen, sich vor dem Gremium zu verantworten. Die Frage lautet: „Ihr predigt hier diesen Jesus von Nazaret, hört damit auf, das könnt ihr nicht machen.“ Doch die Apostel lehnen sich gegen den Hohen Rat auf – etwas Unerhörtes.

Das Christentum macht hier seinen ersten Schritt weg vom Judentum. Sie predigen Jesus Christus als den Messias und sagen, es kann keinen Kompromiss geben. Das ist das Erste, was sie klarstellen. Trotzdem treffen sie sich weiterhin im Tempel, es gibt noch keine Probleme, und sie gehen noch nicht zu den Heiden. Es gibt also noch keine Gemeinschaft mit ihnen.

Der nächste Abschnitt endet mit Kapitel 9, Vers 31: „So hatte denn die Gemeinde durch ganz Judäa und Galiläa und Samaria hin Frieden und wurde erbaut und wandelte in der Furcht des Herrn und mehrte sich durch den Trost des Heiligen Geistes.“ In diesem Abschnitt geht es um den ersten christlichen Märtyrer Stephanus.

Habt ihr euch schon einmal gefragt, warum Stephanus sterben musste? Was war sein großes Verbrechen? Wisst ihr das? Nein? Der große Vorwurf, den man ihm machte, war nicht, dass er sagte, Jesus sitze zur Rechten Gottes – das sahen die Gegner erst später als Provokation an und wurden dann erst richtig wütend.

Stephanus verstand und formulierte als Erster wahrscheinlich, dass das Opfer Jesu, seine Auferstehung und sein Sitzen zur Rechten Gottes Auswirkungen auf den Tempel und das Opfersystem haben. Er stellte den Ort der Anbetung infrage. In seiner ganzen Begründung zeigt er, dass Gott mit den Menschen im Bereich Anbetung Schritte geht.

Er endet mit der Aussage, dass der Tempel zwar existiert, aber nicht die höchste Bedeutung hat. „Welches Haus sollte Gott fahren?“ – und in diesem Moment wird klar, dass er gegen den Tempel ist. Warum? Nicht gegen das Gebäude an sich, sondern gegen den Tempel als ultimativen Ort der Anbetung, als den Ort, über den nichts hinausgeht.

Stephanus war bereit, sein Leben für die Frage zu riskieren, wo und wie Gott angebetet werden muss. Das schien ihm ein wesentlicher Teil des Evangeliums zu sein: die Anbetung Gottes von einem Gebäude in Jerusalem zu lösen.

Diese Frage der Anbetung ist sehr wichtig. Kurz darauf bekehren sich die Samariter, dann kommt ein Kämmerer aus Äthiopien, der offenbar weiterhin für Gott betet, obwohl er nicht zum Tempel geht. Kurz darauf wird erstmals der Vorhang beiseite geschoben, und der größte Verfolger der Christenheit bekehrt sich und erhält einen Auftrag, der weit über die damaligen Grenzen hinaus bis zu den Heiden führt.

Das war eine wichtige Frage: Wie können wir Gott nahen? Neben dem Ort der Anbetung sagt das Christentum: Nein, wir brauchen den Tempel nicht, wir können das anders machen. Das zeigt sich auch im nächsten Abschnitt, der von Kapitel 9, Vers 32 bis 12, Vers 24 reicht. Hier ändert sich noch etwas Grundlegendes.

Das war unser Einstieg mit Robert, mit dem Thema Heiligung. In diesem dritten Abschnitt geht es darum, dass Petrus dem Heiden Cornelius das Evangelium bringen soll. Petrus hat enorme Schwierigkeiten damit, denn um Gastfreundschaft zu genießen, musste er mit dem anderen essen. Für ihn als Juden war es unmöglich, etwas anzufassen, das dieser Heide gekocht hatte.

Könnt ihr euch das vorstellen? Vielleicht war sogar Schweinefleisch dabei. Unmöglich! Aber es hätte nicht einmal so weit kommen müssen: Er wäre einfach nicht in das Haus eines Heiden gegangen, weil er sich dadurch nach seinen Vorstellungen unrein gemacht hätte.

Gott macht Petrus nun klar, dass die alttestamentlichen Speisegebote aufgehoben sind. So findet Petrus den Weg in das Haus. Noch wichtiger ist die Lektion, die Gott ihm erteilt: Gott ist ein Kenner der Herzen.

Dann bekommt dieser Hauptmann plötzlich den Heiligen Geist. Petrus steht da und fragt: „Was passiert hier? Der Mann hat all die Regeln, an die ich mich halte, nicht befolgt. Er ist nicht beschnitten, hat das Falsche gegessen, ist am falschen Ort geboren und hat die falschen Eltern – und jetzt bekommt er den Heiligen Geist. Wie kann das sein?“

Petrus versteht, dass Gott nicht die äußere Person eines Menschen ansieht, sondern sein Herz. Heiligkeit und Gerechtigkeit vor Gott sind eine Sache des Herzens, nicht äußerlicher Zeremonien.

Dieses Prinzip der Heiligung, dass im Inneren etwas passiert, nennt Paulus später „Beschneidung des Herzens“ (siehe Römerbrief). Der Heilige Geist stellt in diesem Kapitel dem wahren Verständnis von Heiligkeit ein falsches gegenüber.

Das falsche Verständnis war eine unheilige Verbindung von Staat und Kirche. Der jüdische Staat war nicht nur eine politische Organisation, sondern der König hatte auch eine besondere religiöse Funktion. Er war der Garant für die Reinheit der jüdischen Religion und musste diese bewahren. Die Unheiligen, die gegen die Religion waren, musste er bekämpfen.

Im Alten Testament zeigt sich die Qualität eines Königs daran, ob er auf Gottes Seite stand und die Reinheit der Religion bewahrte, das heißt Götzendienst abschaffte. Ein guter König war einer, der ganz auf Gottes Seite stand.

Im gleichen Kapitel, also im Bereich von Kapitel 9, Vers 32 bis 12, Vers 24, stellt das Judentum mit seinem Staat das Christentum vor die Frage: Hat der jüdische Staat das Recht, über das Christentum zu herrschen? Der König lässt Petrus verhaften, doch Gott befreit ihn.

Petrus sagt daraufhin: „Jetzt habe ich wirklich verstanden, dass das Christentum nicht unter dem jüdischen Staat steht.“ Das Judentum sieht das jedoch anders. Die Verbindung von jüdischem Staat und jüdischer Religion ist sehr eng, besonders zur Zeit Jesu.

Dieser Abschnitt der Heiligen Schrift zeigt, dass Heiligkeit nicht mehr an Äußerlichkeiten hängt und dass die Heiligkeit, die Gott meint, nicht mehr durch den jüdischen Staat verteidigt wird. Wieder macht das Christentum einen großen Schritt weg vom Judentum.

Im Apostelkonzil wird klar, wodurch ein Mensch allein heil wird. Der Apostel Petrus sagt: „Allein aus Glauben.“ Das wird zementiert – wieder ein Schritt nach vorne, im Abschnitt von Kapitel 12, Vers 25 bis Kapitel 16, Vers 5.

Damit entfernt sich das Christentum in vier großen Schritten vom Judentum:

  1. Es wird klar, wen man anbetet: Jesus Christus.

  2. Die Art und der Ort der Anbetung sind nicht mehr an den Tempel in Jerusalem gebunden.

  3. Heiligung ist eine Sache des Inneren, nicht des Äußeren.

  4. Ein Mensch wird allein durch Glauben errettet.

Das Christentum im Spannungsfeld zum Heidentum und zur römischen Politik

Lukas entwickelt diesen Gedanken weiter, und ich möchte das jetzt kurz zusammenfassen. Von Kapitel 16, Vers 6 bis Kapitel 19, Vers 20 wird das Christentum nicht nur, wie in den vorherigen Kapiteln, dem Judentum gegenübergestellt, sondern nun auch dem Heidentum. Es findet eine Auseinandersetzung mit dem Spiritismus statt. Dem Spiritismus wird die Führung durch den Heiligen Geist entgegengesetzt.

Hier kommt die griechische Philosophie ins Spiel, und ihr wird das Evangelium gegenübergestellt. Wir haben es mit Magie und Zauberei zu tun, denen die Vollmacht des Geistes entgegengestellt wird. Es wird deutlich, dass das Christentum keine politische Botschaft ist. All diese Themen werden im fünften Abschnitt behandelt, also der Kontakt zur römischen Politik.

Paulus macht klar, dass Jesus kein Konkurrent des Kaisers ist – das war einer der Vorwürfe gegen ihn. Außerdem zeigt Paulus, dass das Evangelium nicht gegen das römische Gesetz verstößt. Diese Verteidigungspositionen nimmt er ein. So erkennen wir, dass der hintere Teil der Apostelgeschichte, der ab Kapitel 19, Vers 21 beginnt, Paulus stärker auf die Anklagebank setzt.

Dabei geht es nicht mehr so sehr darum, was das Christentum im Unterschied zum Judentum oder Heidentum ist, sondern vielmehr darum, was es nicht ist. Paulus verteidigt in einem langen Abschnitt das Evangelium. Verleumdungen werden aufgeklärt, Paulus verteidigt sich selbst als Apostel und Vertreter des Evangeliums.

Er zeigt, dass er kein Räuber eines heidnischen Tempels ist – das wurde ihm unterstellt. Ebenso weist er nach, dass er den jüdischen Tempel nicht geschändet hat, kein Geld nimmt und kein Terrorist ist. Außerdem verteidigt er das Christentum gegen den Vorwurf, eine Irrlehre zu sein, bei der man seinen Verstand an der Garderobe abgeben muss. Vielmehr ist das Evangelium zuverlässig in dem, was es sagt.

So sehen wir – oder ich hoffe, ihr glaubt mir das, wenn ihr es so betrachtet – dass die Apostelgeschichte beschreibt, wie sich das Christentum allmählich aus dem Judentum heraus entwickelt. Um das zu erkennen, lohnt es sich, neben dem, was ich euch hier gezeigt habe, auch eine allgemeine Übersicht zu behalten. Dabei ist es hilfreich, literarische Marker in einem Buch zu beachten, etwa bestimmte sich wiederholende Sätze oder Muster.

Im Johannesevangelium fällt zum Beispiel auf, dass es immer um Feste geht. Im Matthäusevangelium gibt es einen Satz, der sich wiederholt. Hier im Lukas-Evangelium zeigt sich ein Prinzip, das durch unterschiedliche Sätze zum Ausdruck kommt, nämlich das Prinzip der Vermehrung.

Wenn ihr solche Muster erkennt, könnt ihr überlegen, welche Gedanken in den einzelnen Bereichen stecken. Ich bin überzeugt, dass ihr so nicht nur ein Leben lang Freude an der Bibel haben werdet, sondern auch tief in die einzelnen Bücher hineinwachst. Dabei findet ihr eine Fülle wertvoller Informationen und Argumente gegen das, was die moderne Theologie sagt.

Das war ja mein Ansatz: Ich behaupte, dass wir alle Antworten auf die modernen Fragen der Religion in der Apostelgeschichte finden.

Vielen Dank an Jürgen Fischer, dass wir seine Ressourcen hier zur Verfügung stellen dürfen!

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