Einführung in die Stadtgeschichte und ihre Bedeutung für das Evangelium
Herzlichen Dank, dass ich Sie mitnehmen darf. Zwar nicht in meine Heimatstadt – ich bin in Calw geboren – aber ich bin ganz in Stuttgart aufgewachsen. Stuttgart, Ihre Residenzstadt, hat Gott dazu benutzt, von dort aus das Evangelium zu verbreiten.
Jetzt machen wir das Licht aus und versuchen, in die Bilder hineinzusehen, die ich mitgebracht habe. Wunderbar!
Stuttgart, die Stadt zwischen Wald und Reben. In der Schule hatte man ein Lesebuch, in der Volksschule hieß es „Unser schönes Stuttgart“. Leider wurde die Stadt zerstört, aber in der Mitte der Stadt sieht man, umgeben von Hügeln, die Gänseide und die Stiftskirche.
Früher war Stuttgart, dessen Name ja von „Stutengarten“ stammt, ein großes Gestüt. Der Stammsitz der württembergischen Grafen war in Beutelsbach. Um 1200 herum entschloss sich einer dieser Grafen, sein Schloss in den Stutengarten zu verlegen. Das alte Schloss, das wir im Hintergrund so dunkel sehen, wurde damals gebaut.
Auch das Chorherrenstift von Beutelsbach mit der Grablege der württembergischen Grafen wurde nach Stuttgart verlegt. Seitdem befindet sich die Gruft für die Grafen und Herzöge von Württemberg im Chorraum der Stiftskirche.
Hier sehen wir Stuttgart, wie es etwa um 1820 ausgesehen hat. Schon damals war die Stadt von Wald und Reben umgeben, die sich bis ins Tal hinunterzogen. Im Hintergrund müssen Sie sich die neue Weinsteige und das Höhentägerloch vorstellen. In der Mitte ist das alte Schloss zu sehen, links die Stiftskirche. Die kleine Residenzstadt war bereits ein wenig gewachsen.
Man hat die Stadt von der heutigen Hauptstätter Straße aus nach Süden erweitert, in die Esslinger Vorstadt. In dieser Esslinger Vorstadt ist rechts die Leonhardtskirche zu sehen.
Kirchliche Zentren und geistliche Impulse in Stuttgart
In meiner Jugend haben in der Hauptstellerstraße noch die Fuhrwerke geparkt, die aus allen Gegenden Württembergs kamen. Das war sozusagen der große Umschlagplatz, eine breite Straße. Da Sankt Leonhard der Heilige für die Pferde war, wurde in dieser Kaufmanns- und Geschäftsstadt, der Esslinger Vorstadt, die Kirche dem Leonhard geweiht.
Ludwig Hofacker hat im Jahr 1823/24 in dieser Leonhardskirche seinen Schrei getan. Er wollte schreien, dass man es vom Nordpol bis zum Südpol hört, damit die Menschen Gott die Ehre geben. Damals regierte König Friedrich, ein König von Napoleons Gnaden. Napoleon hatte ja versucht, Europa zu einigen – von der Atlantikküste bis nach Moskau. Er belehnte die kleinen Fürsten in Deutschland mit großen neuen Gebieten. So wurde dem Herzog von Württemberg das ganze Oberland geschenkt, das der katholischen Kirche weggenommen wurde.
König Friedrich baute seinen Hafen, Friedrichshafen, und ließ den schönen großen Schlossplatz anlegen: links das Neue Schloss, rechts der Königsbau. Im Hintergrund sieht man hinter der Siegessäule noch einmal das Alte Schloss und die Stiftskirche. Es war eine Zeit großer Umwälzungen.
Wir gehen noch einmal zurück: Diese traditionelle Stiftskirche war etwa bis 1880 die Hauptkirche Stuttgarts. Alle Trauungen und Taufen fanden in der Stiftskirche statt. Die beiden anderen Kirchen, die Leonhardskirche, von der wir eben hörten, und die Hospitalkirche, waren reine Predigtkirchen nach der Reformation.
Wir denken in diesen Tagen daran, dass der Welterstadt geborene Johannes Prenz, der württembergische Reformator, sein Grab unterhalb der Kanzel in der Stiftskirche hat. Dort sieht man eine Grabplatte. Er hatte gesagt, er möchte an dieser Kanzel beerdigt werden, damit er aufstehen kann und sagen kann: „Du lügst“, wenn falsche Lehre von dieser Kanzel gepredigt wird.
Man sieht, dass hier viele Baustile vertreten sind. Der Chor und der kleine Turm hinten sind noch im romanischen Stil. Natürlich war auch der Kirchturm der Stiftskirche viel höher geplant. Doch Württemberg war zu allen Zeiten arm. Das Ulmer Münster hätte auch nicht fertiggestellt werden können, wenn es nicht die deutsche Nationalspende von 1871 gegeben hätte.
Neben dieser zentralen Stiftskirche sieht man noch einmal den alten schönen Chor, wie er nach dem Krieg wieder aufgebaut wurde. Erhalten geblieben sind eigentlich nur der kleine und der große Turm. Alles andere war in dieser zentralen Kirche Stuttgarts zerstört, in der auch alle großen Missionsfeste stattfanden.
Kurz vor der Zerstörung, im Jahr 1943/44, hat jeden Mittwochabend – wir denken heute Abend an einen Mittwochabend – Helmut Thielicke, der spätere Tübinger Professor, als junger Dozent Vorträge gehalten. Dort wurden Tausende von jungen Burschen, die in den Krieg eingezogen waren, auf ein seliges Sterben vorbereitet. Es war eine Erweckung mitten im Krieg.
Nach dem Krieg konnte Prälat Hartenstein seine vielbeachteten Bibelstunden nur in der Schlosskirche halten, bis 1958 die Stiftskirche wieder eingeweiht wurde. Und jetzt muss sie schon wieder renoviert werden.
Neben der Leonhardskirche, die wir eben schon gesehen haben, gab es die Hospitalkirche. Eigentlich war sie die Dominikanerkirche.
Die Bedeutung der Hospitalkirche und sozial-diakonisches Engagement
Die Dominikaner, ein Orden, der um 1200 entstanden ist, zeigen uns, wie viel Leben bereits in der katholischen Kirche vorhanden war. Die Dominikaner waren Predigermönche. Neben der Predigt setzten sie sich intensiv für die Diakonie ein.
An der Hospitalkirche, dort wo heute der Hospitalhof steht und die Cvd M Büxenstraße verläuft, gab es ein großes Kloster mit einem Kreuzgang und einem riesigen Hospital. Bis heute gilt: Wenn man evangelisiert und das Wort Gottes verkündet, entsteht mehr Sozialarbeit, als sich viele vorstellen können, die nichts von Evangelisation verstehen. Dabei kommen weniger Menschen, die sagen: „Ich möchte mein Leben in Ordnung bringen.“ Vielmehr klagen sie über Sorgen mit ihren Kindern oder fragen, ob es ein Pflegeheim für ihren Schwiegervater gibt. Sie suchen eine Wohnung und Ähnliches.
So haben die Dominikanermönche, die Predigermönche, gewusst, dass Taufe allein nicht ausreicht. Sie betrieben Volksmission. Das war der katholischen Kirche immer bewusst; es ist keine Erfindung von Pater Leppich. Sie kombinierten Mission mit Sozialarbeit.
Der schöne Kreuzgang und das Hospitalgebäude wurden im Krieg zerstört. An ihrer Stelle entstanden der Hospitalhof und das Zepat-Haus.
Ein weiterer Blick gilt der Leonhardskirche zu Beginn des letzten Jahrhunderts. Die Kreuzigungsgruppe am Chor der Leonhardskirche, schräg gegenüber vom Kaufhaus Bräuninger, erinnert daran, dass dieser weite Platz ursprünglich ein Friedhof war. Später wurde er zugepflastert. Die Hauptstätter Straße erinnert daran, dass sie der Weg zur Richtstätte war. Diese befand sich im Gebiet des heutigen Wilhelmsplatzes und war die Hauptstätte von Stuttgart.
Noch einmal ein Blick auf die heutige Leonhardskirche: Im Krieg wurde sie vollständig zerstört und danach wieder aufgebaut. Dahinter steht das Gustavsiegelhaus.
Hier sehen wir unseren edlen – oder besser gesagt, den sogenannten „dicken“ – Friedrich. Man nannte ihn nicht „edel“, sondern „den dicken Friedrich“. Er war so korpulent, dass manche behaupteten, in Ludwigsburg und auf Schloss Solitude gäbe es Schreibtische, die extra ausgesägt werden mussten, damit er hineinpassen konnte. Das stimmt nicht. Damals war der Barockstil geschwungen, aber als Friedrich starb, konnte man kaum den Sargdeckel schließen.
Fakt ist: Er war ein brutaler Herrscher. Er musste die verschiedenen frühen und kleinen Herzogtümer wie Hohenlohe, Öhringen, Hohenlohe-Neuenstadt usw. zu einem Reich, dem oberschwäbischen Land, zusammenfügen. Auf kirchlichem Gebiet erließ er etwa eintausendzwölf neue Gesetze und Erlasse. Er war Herr der Kirche, denn nach der Einrichtung Martin Luthers waren Kurfürsten, Herzöge und Könige zugleich auch die Bischöfe ihrer Länder – bis 1918.
Friedrich führte ein strenges Regiment. Er schlug seinen Kronprinzen Wilhelm so oft, dass dessen Kopf verbunden werden musste. Er war brutal zu Hause und auch in Stuttgart. Dort erzählte Pfarrer Dann bei der Beerdigung eines Schauspielers, wie dieser ein gottloses Leben geführt, sich aber am Ende bekehrt hatte. Der Schauspieler war beim König Friedrich sehr geschätzt. Trotzdem musste Pfarrer Dann in die Verbannung nach Oeschingen bei Mössingen gehen. Dafür wurde der dortige Pfarrer Hofacker, Vater von Ludwig und Wilhelm Hofacker, nach Stuttgart versetzt.
So brutal führte Friedrich seine Regierung.
Entwicklung Stuttgarts im 19. Jahrhundert und geistliche Bewegungen
Wir haben bis etwa Stuttgart gestreift und betrachtet, wie das kleine Stutengärtchen um 1400 herum einen ersten Boom erlebte. In dieser Zeit wurden die Leonhardskirche und die Hospitalkirche gebaut.
Denken Sie an das Bild vom neuen Schlossplatz um 1800 unter König Friedrich. Danach explodierte Stuttgart nach dem gewonnenen Frankreichfeldzug 1871. Diese Zeit nennt man in Deutschland die Gründerjahre. Es war der einzige Krieg, den wir in langen Jahrhunderten gewonnen haben. Den Franzosen wurden enorme Reparationen auferlegt, und es strömte viel Geld nach Deutschland. Die Städte dehnten sich aus, besonders das Gebiet um den Feuersee, wo eine riesige Ansammlung von Menschen vom Roten Bühlplatz herauf entstand.
Ich habe noch erlebt, wie die Johanneskirche am Feuersee aussah, bevor eine Luftmine den Turm halbierte. Die Johannesgemeinde hatte damals einmal zwölftausend evangelische Mitglieder. Im Vergleich dazu gab es in Berlin Gemeinden mit achtzigtausend Gemeindegliedern, aber nur einen Pfarrer und einen Vikar. Im Jahr wurden dort 280 Taufen und 200 Trauungen durchgeführt.
Deshalb entstanden in jener Zeit die Stadtmissionen in Berlin und auch in Stuttgart. Eine der neuen Kirchen war die Johanniskirche. Damals waren sich die Kirchenleute unsicher, in welchem Stil man bauen sollte. Jahrhunderte lang waren keine Kirchen gebaut worden. Der schwäbische Prälat von Grüneissen sagte schließlich: „Wir bauen alte Kirchen nach.“
Die Johanniskirche nahm wesentliche Stilelemente der Kathedrale von Chartres auf. Die zur gleichen Zeit entstehende Marienkirche für die katholische Bevölkerung war ebenfalls neu, denn es war neu, dass Katholiken in Stuttgart lebten. Die Marienkirche wurde Stein um Stein nach der Elisabethenkirche in Marburg nachgebaut.
Erst später, wenn Sie am Gaskessel in Stuttgart die Geisburgerkirche oder die Markuskirche sehen, wurde gewagt, mit dem Entstehen des Jugendstils auch dem Stil der Zeit entsprechend Kirchen zu bauen.
Aber jetzt sind wir der Zeit weit vorausgeeilt. Hier noch einmal ein Blick auf die Marienkirche, wie sie heute aussieht, und dann zurück zum neuen Schloss.
Württemberg und seine Verbindung zum russischen Zarenhaus
1798 kam der Zarewitsch Paul mit seiner Gemahlin, der württembergischen Prinzessin Dörte, nach Stuttgart. Bei ihrer Taufe in die Orthodoxie hatte sie den Namen Maria Fedorowna angenommen. 1801 wurde Paul Zar, doch bereits 1804 wurde er ermordet.
Als sie nach Stuttgart kamen, wurden sie mit einem großen Fest gefeiert. Man sollte sich bewusst sein, dass es über hundert Jahre lang eine enge Beziehung zwischen dem Zarenhaus in Russland und Württemberg gab. Württemberg, so klein und arm es auch war, hatte plötzlich eine große Bedeutung. Offenbar gab es dort schöne Prinzessinnen, die sich gut in Russland einfügten.
Wir sehen hier ein Bild dieser Zarenfamilie. Der Zar Paul war in seinem Verhalten fast wahnsinnig. Er ahmte immer Friedrich den Großen nach, was man auch an seiner Uniform erkennen kann. Links im weißen Gewand sieht man die liebliche ehemalige württembergische Prinzessin, die Schwester von Friedrich dem Dicken, Maria Fedorowna. Ganz links außen steht der spätere Zar Alexander, der in jungen Jahren den Zarenthron besteigen musste, nachdem sein Vater 1804 ermordet worden war.
Para Wanner in Korntal hat gezeigt, dass Maria Fedorowna nahe bei Petersburg und in ihrem Schloss bei Pawlowsk schwäbische Frömmigkeit eingeführt hat. Sie hatte ein ernstes, wahres Christentum in vier Bänden in diesem Schloss. Jeden Morgen wurde dort eine Morgenandacht gehalten.
Später sorgte der Zar Alexander um das Jahr 1824 dafür, dass in Russland eine Erweckung wie ein Frühling ausbrach und die Bibelgesellschaft entstand. Dies geht zurück auf die kleine Dörte – so wurde Maria Fedorowna früher genannt – die geistliches Leben an den Zarenhof gebracht hat.
Bedeutende Persönlichkeiten und geistliche Impulse in Stuttgart
Einer der großen Prediger Stuttgarts war Pfarrdann, ein strenger Pfarrer. Ich habe zuvor die Geschichte erzählt, wie er bei der Beerdigung eines Schauspielers freimütig Worte sprach und daraufhin nach Oeschingen versetzt wurde. Später wurde er vom König Wilhelm I., nachdem dessen Vater abgedankt hatte, wieder zurückgeholt. Er war einer der großen Seelsorger Stuttgarts.
An seine Stelle trat der Amtsdekan Hofacker, der Vater von Ludwig Hofacker. Er war ein Mann, der einem erhobenen Bären glich: etwa 1,85 Meter groß, mit mächtigen Schultern. Obwohl er Amtsdekan war, hatte er in der Stuttgarter Stiftskirche nichts zu sagen. Im ganzen Amt Stuttgart, in Blieningen, Degerloch und Gnaussen, war er Pfarrer an der Leonhardskirche.
Als er von einem Schlaganfall getroffen wurde, durfte sein kränklicher Sohn Ludwig Hofacker die Vertretung für ihn übernehmen.
In jene Zeit fiel auch Doktor Karl Steinkopf, eigentlich ein Ludwigsburger, der zu den begabtesten württembergischen Theologen zählte. Er ließ sich bald an die Savoy-Kirche in London berufen und gehörte zu den Gründern der British and Foreign Bible Society. Steinkopf war ein Pionier der Missionsarbeit.
Er brachte über seinen jungen Freund Christian Friedrich Spittler in Basel die Impulse der englischen Erweckungsbewegung nach Basel, Württemberg, ins Elsass, in die Schweiz und nach Baden.
Steinkopf war ein genialer Mann. Als er alt war, predigte er einmal in einer englischen Kirche. Dort kündigte der Pfarrer an: „Heute Abend wird Pfarrer Doktor Steinkopf predigen.“ Steinkopf sprach sehr schlecht Englisch, selbst nach zwanzig Jahren. Der Pfarrer sagte: „Ihr werdet vielleicht nicht viel davon verstehen, aber schon wenn ihr sein Angesicht seht, werdet ihr unaussprechlich gesegnet sein.“
So merkt man, dass Württemberg in geistlicher und religiöser Hinsicht ein Mittelpunkt war, von dem viel ausstrahlte – bis nach England und von England wieder zurück zu uns, in die Schweiz und sogar nach Russland.
Deshalb erzähle ich gern von dem evangelischen Stuttgart des letzten Jahrhunderts, weil Gott es als einen Umschlagplatz benutzt hat.
Bibelgesellschaft und soziale Initiativen in Stuttgart
So sah der alte Marktplatz aus: Links befindet sich das alte Rathaus, in der Mitte das Haus mit den vielen Erkern, das Lothersche Haus. Von dort führt die Schlucht hinein in die Schulstraße. Rechts daneben sieht man das Haus von Tritschler. Gleich werden wir das Lothersche Haus noch näher betrachten, mit seinen drei großen Erkern.
Heute ist an dieser Stelle das Papiergeschäft Haufler ganz zerstört. Früher wohnte dort eine reiche Kaufmannsfamilie namens Lotter. Herr Lotter investierte sein ganzes Vermögen in die Gründung der Stuttgarter Bibelgesellschaft.
Man muss sich klar machen: Bis 1920 wurde in Schorndorf die Traubibel nicht von der Kirchengemeinde überreicht, da diese viel zu arm war. Stattdessen schenkte das Geschäftshaus Veil jedem Brautpaar eine Bibel. So gründete Lotter, ohne Hilfe vom Konsistorium oder vom Staat, gemeinsam mit einigen Freunden die Stuttgarter Bibelgesellschaft.
Gleichzeitig war er einer der Pioniere der Basler Mission. Er sorgte dafür, dass Württemberger nach Basel kamen und dass Basel die richtige Finanzierung erhielt. Kaufmann Lotter wurde auf dem Hoppenlauffriedhof in Stuttgart beerdigt.
Hier sieht man ein Bild vom ersten Bibelhaus in Stuttgart: Das zweite Haus von links war das erste Bibelhaus. Später erstreckte sich das gesamte Areal, das ganze Viertel, als Bibelanstalt in Stuttgart. Diese widmete sich bald sehr intensiv wissenschaftlichen Bibelausgaben, wie der hebräischen und griechischen Bibel, sowie den Bibelsprachen, besonders in den Missionsgebieten.
Doch Lotter tat nicht nur etwas für die Bibelverbreitung und die Mission. Im Erdgeschoss dieses Hauses richtete er die erste Suppenküche für Arme ein. Es gab viele Bedürftige, auch in Stuttgart, etwa Knechte und Trostenkutscher. Die Suppenküche war eine Notmaßnahme, um ihnen zu helfen.
Auf diesem etwas dunklen Bild sieht man die Hauptstädterstraße, wie sie heute ist – diese furchtbare Schlucht in der Nähe des Österreichischen Platzes. Das gesamte Viertel bis hin zum Hochhaus war der Bereich, in dem die Stuttgarter Bibelanstalt bis vor wenigen Jahrzehnten untergebracht war.
Später wurde das Bibelhaus nach Möhringen verlegt. Dort befanden sich auch die Druckerei und das Lager. Es ist vielleicht noch erwähnenswert: Als die Nationalsozialisten den Druck von Bibeln und Bibelteilen verboten, räumten sie ab 1943 auch das gesamte Lager aus. Damals gab es die sogenannten Minkborn-Bildchen, die wir im Kindergottesdienst als Preise bekamen, wenn wir dreimal teilgenommen hatten.
Die Nazis gestatteten nicht, dass die Bibeln ordentlich verladen wurden. Stattdessen wurden sie mit Kohlengabeln verladen. Doch es war ein herrlicher Wind, den Gott schenkte: Die Bibeln verteilten sich über die ganze Altstadt. Junge Burschen und Mädchen mit biblischen Bildern wurden gefragt: „Wo hast du die her?“ Die Antwort war: „Da unten gibt es Bildler.“ So strömte die Stuttgarter Jugend zur Hauptstädterstraße und versorgte sich mit biblischen Bildern.
Ludwig Hofacker und seine geistliche Botschaft
Auch ein Wind kann vom Herrn sein. Hier ein Bild von Ludwig Hofacker. Links durchs Fenster sieht man die Leonhardskirche, 18,23-24. Eigentlich konnte er seinen Schrei nur zwei Jahre lang tun. Immer gilt: Das Entscheidende ist, was Jesus tut.
Die Christenheit hat nur Zukunft, wenn sie viel, viel mehr vom lebendigen Jesus erwartet. Er ist dein Bürger. Er hat sich am Kreuz für dich gegeben. Du kannst dich ihm anvertrauen, wie du dich keinem Menschen anvertrauen kannst.
Es war immer so, wenn Hofacker gepredigt hat. Meist hielt er jeden Sonntag die Nachmittagspredigt. Die Leonhardskirche war schon zwei Stunden vorher übervoll. Aber das war gar nicht die entscheidende Wirkung. So sah damals die Leonhardskirche innen aus, mit zwei großen Emporen.
Die entscheidende Wirkung kam dadurch, dass Gott zeigte, was er aus dem Torso eines menschlichen Lebens, aus der Ruine eines menschlichen Körpers machen kann. Das Dekanat war dieses Fachwerkhaus. Dort lag der Vater krank, und auch der Sohn lag krank.
Nach dem Examen in Tübingen hatte Hofacker eine Art Zusammenbruch, von dem er sich nie mehr erholte. Das ganze Nervenkostüm war zerrüttet. Nur für diese zwei Jahre gab Gott ihm Kraft, seinen Ruf hineinzutragen – nicht nur nach Württemberg, sondern weit hinaus.
Man hat seine Predigten gesammelt. Heute sieht die Gegend, wo das Dekanat stand, so aus, bei dem Eberhardsbau. Ich zeige immer wieder Bilder davon, damit man sich etwas vorstellen kann.
Als schwer kranker Mann wurde ihm schließlich die Pfarrei Rielingshausen übertragen. Hier ist ein frühes Foto von seiner Ordination. Die Ordination, die Investitur, musste um ein halbes Jahr verschoben werden, bis ihm der Ringfinger an der linken Hand wegamputiert wurde. Es war eine Krebsgeschwulst.
Dann stieg die Wassersucht immer mehr an, sodass er sich überhaupt nicht mehr ins Bett legen konnte. Er konnte auch nicht mehr predigen. Er versammelte nur noch junge Leute in seiner Wohnstube. Mit ihnen las er Zeitung und Bibel, damit sie die Zeitereignisse vor dem Hintergrund der Bibel erkennen konnten.
Er starb gerade einmal dreißigjährig. Aber seine große Wirkung geschah durch das Predigtbuch. Er hatte es begonnen, weil die Gemeinde Rielingshausen sich durch den Neubau ihrer Kirche total verschuldet hatte. Kirchensteuer gab es damals nicht. Er hoffte, durch den Verkauf seines Predigtbuchs Geld für Rielingshausen zu bekommen.
Im letzten Jahr ist die 51. Auflage dieses Hofackerschen Predigtbuches erschienen. Viele der Siedler der Vertriebenen in Kasachstan haben die Jahre der Vertreibung nur durchgestanden mit ein paar Hofacker-Predigtbüchern, die sie gerettet hatten.
Einsame Siedler in Ost- und Westkanada, die keinen Gottesdienst hatten, lebten von Hofackers Predigten. Ich möchte einen Schrei tun, dass man ihn hört vom Südpol bis zum Nordpol. Das hat Gott erfüllt mit diesem schwachen Menschen: Sein Schrei, sein Ruf wurde gehört.
König Wilhelm I. und die Freiheit der pietistischen Gemeinschaften
Hier ein Blick auf Wilhelm I., der sehr jung nachfolgte. Nach einer verunglückten Ehe heiratete er eine bayerische Prinzessin. Diese Ehe wurde sehr schnell wieder geschieden. Schließlich heiratete er Katharina, die wir auf dem Bild von Pawlowsk sehen. Sie war eine Schwester des Zaren Alexander und verstarb sehr früh. Katharina ist auf dem Roten Berg bei Ulbach beerdigt.
Danach war Wilhelm lange Zeit sehr unglücklich verheiratet mit seiner Base Pauline. Sie war eine fromme Frau, doch gerade deshalb konnte er sie nicht leiden. Selbst der Apostel Paulus sagt: Wenn es wegen Glaubenskrach zu Problemen kommt, soll man sich lieber trennen. Das war also keine gute Geschichte.
Wilhelm war hauptsächlich glücklich mit der Schauspielerin Amalie Stubenrauch, die in der Neckarstraße wohnte. Er war ein sehr liberaler Fürst, der zuließ, dass sich in Württemberg die pietistischen Gemeinschaften ausdehnen konnten. In anderen Landeskirchen wurden diese Gemeinschaften verfolgt. In Württemberg durfte zum Beispiel die Brüderschar um Michael Hahn wirken.
Rechts sehen wir Michael Hahn mit Johannes Schneidmann und Immanuel Gottlieb Kolb von Dagersheim. Links außen sind Johannes Schneidmann und Anton Egeler. Sie durften in Freiheit arbeiten und ihre Schriften verfassen. Auch der Bürgermeister und Diakon Gottlieb Wilhelm Hoffmann konnte 1819 die Gemeinde Korntal als freie Gemeinde gründen.
Zuvor musste er siebzehn Gesuche an den König richten. Alle wurden vom Konsistorium abgelehnt, bis der König schließlich sagte, diese Gemeinde solle existieren. Diese Gemeinde sollte nicht nur ein religiöser Tümpel in der Landschaft sein, sondern Impulse ins württembergische Land hineingeben.
Es ist kaum zu beschreiben, wie viele Diakone, Gemeindehelferinnen, Schwestern und Pfarrer von Korntal ausgingen und das ganze württembergische Land belebt haben. Das war das erste Korntal.
Obwohl die Siedler bitterarm waren, gründeten sie als erstes nach dem großen Saal das Rettungshaus für hundert verwahrloste Waisenkinder. Dann folgten das Töchterinstitut und das Knabeninstitut. Noch heute hat Korntal 27 diakonische Einrichtungen, die allein von der Brüdergemeinde versorgt werden. Zehn Missionspaare werden unterstützt, und es gibt eine lebendige Gemeinde miteinander.
Sixt Karl Kapff und die geistliche Erneuerung Württembergs
Der erste Pfarrer, der von der Landeskirche nach Korntal ausgeliehen wurde, war der junge, begabte Stiftsrepetent Sixt Karl Kapff. Er starb als Stiftsprediger und Prälat von Stuttgart.
Der erste Pfarrer von Korntal – im damals verachteten heiligen Korntal – wurden oft als Separatisten angesehen. Doch die Landeskirche unter Wilhelm I. erkannte: Hier ist eine Pflanzstätte. Wir müssen das multiplizieren, das ist ein Ferment.
Dieser begabte Sixt Karl Kapff war fast zehn Jahre in Korntal tätig. Anschließend wurde er zum Dekan von Münzingen berufen, dann Dekan von Herrenberg und schließlich Prälat in Stuttgart.
Kapff gab das Predigtbuch für Wilhelmsdorf heraus. Wilhelmsdorf war eine bitterarme Zweiggemeinde von Korntal. Damit sie überhaupt überleben konnten, wurde ein Predigtbuch mit den begabtesten und geistlich geprägtesten Predigern Württembergs geschaffen.
Daneben veröffentlichte er ein Gebetbuch. Kapff betonte, dass die Leute wissen müssen, wie sie beten können. Erst wenn sie das begreifen, können sie auch aus dem Herzen beten.
Vor allem nutzte mein Großvater ein Kommunionbuch, ein Buch zur Vorbereitung auf das Abendmahl. Man geht nicht einfach so zum Mahldessern; vielmehr heißt es in 1. Korinther 11, dass jeder sich selbst prüfe, wie sehr er Vergebung braucht.
Hier sehen Sie die Schwerpunkte seines Wirkens: ein seelsorgerliches Wirken von Kapff. Ein Bild zeigt ihn im Alter. Nachdem er 1851 Prälat wurde, merkte er, dass man als Prälat gar nicht so viel steuern kann. Deshalb gab er sein Prälatenamt zurück und wurde für die nächsten 27 Jahre Pfarrer an der Stiftskirche in Stuttgart.
Seinen Titel als Prälat und das Prälatenkreuz behielt er, das war ihm wichtig. Von Stuttgart aus belebte er die ganze Landeskirche. Was wir in den Gemeinschaftsstunden hatten, führte er in Hauskreisen fort.
Er führte Frauenstunden ein. Früher sprachen in den Stunden hauptsächlich die Männer. Kapff erkannte, dass auch die Frauen ihre Fragen und Beiträge haben.
Er stieß den großen CvdM an und gründete daneben den evangelischen Jugendverein. Auch junge Leute brauchen verschiedene Arten von Angeboten.
Er war ein Vulkan dessen, was eingerichtet werden konnte – alles finanziert durch das Schärflein der Armenwitte.
So sah sein Pfarrhaus an der Calwer Straße aus, leider wurde es zerstört. Die Stuttgarter sagten: Wenn man ihn am Fenster des ersten Stocks stehen sah, durfte man nicht den Hut ziehen und „Guten Tag, Herr Prälat“ sagen, denn dort betete er.
Er machte etwa dreitausend Hausbesuche im Jahr, meist kurze Besuche zwischen 14 und 17 Uhr. Er wollte wissen, wie es den Menschen geht. Wenn er aus einem Haus kam, wusste man: Er hat im Gebet das bewegt, was er bei den Menschen gehört hat.
Es hatte keinen Wert, ihn zu grüßen, denn er war im Gespräch mit Gott.
Was hat so ein Mensch für das evangelische Stuttgart bedeutet? Wenn Sie einmal auf dem Fangelsbach-Friedhof den Hauptweg entlanggehen, finden Sie dort die wiederhergestellte Grabplatte für Sixt Karl Kapff, der dort mit seiner Frau beerdigt ist.
Die Wirkung von Kapffs Predigt zeigte sich darin, dass die Geschäfte am kleinen Basar – so wurde er genannt – gegenüber dem Wilhelmsbau und der Königstraße aus freien Stücken sonntags geschlossen blieben.
Obwohl die Filterbauern und vom Gois hereinkamen: Am Sonntag durften die Bauern nichts schaffen. Das war der Einkaufstag für die Landleute und Handwerker.
Diese hatten viel Verlust, wenn sie ihre Geschäfte sonntags schlossen. Doch sie sagten: Wir wollen einen Ruhetag haben – für uns und unsere Mitarbeiter, einen Ruhetag der Seele.
Dieser Ruhetag wurde nicht von der Gewerkschaft erkämpft. Dort, wo heute der Stuttgarter Hofbräu ist, befand sich früher die Lienberger Baustoffarkasse und der kleine Basar. Nur damit Sie das noch einmal wissen.
Einflussreiche Persönlichkeiten und diakonische Initiativen
Eine andere prägende Persönlichkeit des evangelischen Stuttgarts war Charlotte Reilen. Reilen war eine Kaufmannsfrau, deren Haus an der Stelle stand, wo heute Karl Geismeyer residiert – das mittlere Haus. Heute befindet sich dort das Hochhaus und der Mittelbau von Bräuninger am Giesshübel in Stuttgart.
Charlotte Reilen war eine lebenslustige Frau, die durch schwere Prüfungen zum Glauben fand, insbesondere durch den zuvor erwähnten Pfarrer Dann. Ihr Mann hingegen wollte von Gott nichts wissen. Als seine Frau plötzlich fromm wurde, sagte er zu ihr: „Du bist verrückt, und du bleibst verrückt. Mit einer Verrückten kann ich nicht zusammenleben.“ Daraufhin wanderte er nach Amerika aus. Doch auch dort wurde er von Gott ergriffen, fand zurück zum Glauben, und die Ehe wurde wieder geheilt.
Diese Frau Reilen hatte ein brennendes Herz. Sie war überzeugt, dass in Stuttgart etwas geschehen müsse, dass dort ein Missionsfest entstehen müsse. Dabei wurde sie unterstützt von dem damaligen Repetenten Doktor Wilhelm Hofmann. Er wurde später Missionsdirektor in Basel, Ephorus in Tübingen und Generalsuperintendent in Berlin. So reichten die württembergischen Ausstrahlungen bis nach Berlin. Dort mussten Domkandidatenhäuser besucht werden, auch mit Hausbesuchen. Hofmann tröstete sie als Repetent in jener Zeit und als Stadtvikar von Stuttgart, als ihr Mann in Amerika war.
Charlotte Reilen sagte, man brauche eine evangelische Schule für Mädchen. Was sie in Eindlingen entdeckt hatte, war die Fürsorge für junge Damen, sowohl geistlich als auch bildungsmäßig. Sie erkannte, dass es wunderbare Bildungseinrichtungen für junge Frauen gab. Daraufhin richtete sie eine christliche Schule ein, die heute als Möhringer Gymnasium bzw. Heidehofgymnasium bekannt ist. Ursprünglich war dies die Weidlsche Schule, die erste Schule an diesem Ort.
Sie war auch die Gründerin des Diakonissenhauses in Stuttgart. Hier ein Blick auf das noch nicht zerstörte Ludwigsspital. Charlotte Reilen gab den Auftrag für ein Gemälde, das früher in jedem rechten württembergischen Haus hing – es zeigte den breiten und den schmalen Weg, ein Motiv, das oft missverstanden wurde.
Neulich führte ich ein Gespräch mit einer Journalistin, die meinte, es sei eine seltsame Vorstellung der Pietisten, da sie offenbar nicht wusste, dass Jesus in der Bergpredigt vom breiten und schmalen Weg gesprochen hat. Im Mittelalter wurde der schmale Weg oft mit moralischen Sprüchen wie Ehrbarkeit, Anstand und Wahrheit verbunden. Charlotte Reilen ließ in das Bild jedoch auch Szenen malen, die Gottes Sitz zeigen, das Abendmahl, Rettungsanstalten, Diagnostikanstalten und Wohnungsanstalten – all die Einrichtungen, die sie in Stuttgart als Auswirkung ihres Glaubens geschaffen hatte.
Der schmale Weg ist geprägt durch die Fürsorge für die Ärmsten der Armen. So wie Gott uns seine Barmherzigkeit gegeben hat, sollen wir diese Barmherzigkeit auch weitergeben. Natürlich hatte der württembergische Staat bereits in kleinem Maße Fürsorgeeinrichtungen. Hier ist ein Blick auf das alte württembergische königliche Waisenhaus, das heute das Institut für Auslandsbeziehungen beherbergt.
Doch das Stuttgarter Waisenhaus erhielt seine Bedeutung auch durch Christen wie Pfarrer Burg und Israel Hartmann, die das Waisenhaus in Ludwigsburg prägten. Sie brachten einen Stil christlicher Pädagogik in diese Einrichtungen ein. Noch einmal ein Blick auf das Waisenhaus in Ockerfarbe, dahinter das alte Schloss.
Übrigens: Links sieht man das weiße Gebäude des Hotels Silber. Dieses war in der Vorkriegszeit die Zentralstelle der Geheimen Staatspolizei. Dort wurden Hitler-Gegner zuerst verhaftet und hingebracht.
Ein Blick auf den Wilhelmsplatz zeigt, wie er heute aussieht und wie er früher von der anderen Ecke aus wirkte. Das Haus links unten am Wilhelmsplatz steht schon lange nicht mehr. Dort befindet sich heute ein Hochhaus. Dort wohnte der frühere Apotheker Scholz. Er verkaufte seine ganze Apotheke, damit in Stuttgart eine Traktatanstalt aufgebaut werden konnte – ein christlicher Verlag.
Aus dieser Initiative entstand die Evangelische Gesellschaft für Stuttgart mit Mitternachtsmission, Mädchenheimen und einem Heer von Stadtmissionarinnen und Stadtmissionaren. Für all das gab es keine Kirchensteuer. Deshalb musste Apotheker Scholz seine Apotheke verkaufen und das Geld dafür geben. Man nannte ihn den „Pietistengeneral“, der an der Ecke links wohnte.
Die Einrichtungen der Sonntagsschule waren damals nicht mit dem heutigen Kindergottesdienst zu verwechseln. Der Kindergottesdienst wurde erst im Dritten Reich eingeführt. Die Jünglingsvereine und später die Jungfrauenvereine hatten die Aufgabe, junge Menschen zusammenzubringen und ihnen biblische Geschichten zu erzählen.
Die Evangelische Gesellschaft in Stuttgart baute diese Sonntagsschulen auf. Ich habe in meiner eigenen Jugend erlebt, wie ein Stadtmissionar sagte: „Wir dürfen nicht in kirchliche Gebäude gehen.“ Zuerst fanden die Treffen im Olga-Stift statt, dann bei der Württembergischen Feuerversicherung. Wenn Eltern ihre Kinder um elf Uhr morgens dorthin schickten und Nachbarn fragten, wohin die Kinder gingen, durfte man nicht sagen, sie gingen ins Gemeindehaus oder in die Kirche, sondern man sagte, sie gingen irgendwo in die Feuerversicherung. Man musste auch taktisch klug sein.
An der Büchsenstraße befand sich die Zentrale der Evangelischen Gesellschaft, auch heute noch nach dem Wiederaufbau. Das Gebäude war total zerstört, doch aus den Ruinen entstand diese wichtige Arbeit weiter. Der Quellverlag in Stuttgart und das evangelische Gemeindeblatt haben hier ihren Sitz.
Gleich daneben befindet sich ein Mädchenwohnheim. An dem Zentralgebäude steht die Inschrift: „Jesus Christus, wer an mich glaubt, hat das ewige Leben.“ Hier ist auch der Sitz der altpietistischen Gemeinschaft und der Gnadauer Brasilienmission.
Jünglingsvereine und die Arbeit mit jungen Menschen
Einer, der Stuttgart geprägt hat, war Wilhelm Hofacker, der Bruder von Ludwig Hofacker. Er hat das Werk seines sterbenden Bruders Ludwig in Rielingshausen weitergeführt und für Stuttgart junge Burschen um sich gesammelt.
Zusammen mit dem Hofküfermeister Engelmann, der in der Bandgasse wohnte – einer Gasse, in der früher Fässer gebunden wurden und die es heute nicht mehr gibt –, entstand der erste Jünglingsverein von Stuttgart. Diese kleine Gasse befindet sich hinter dem Glas- und Porzellanhaus Tritschler. Dort, wo die Frau links unten steht, begann der Verein gemeinsam mit dem Hofküfermeister Engelmann und dem Pfarrer Hofacker, der später eine bedeutende Persönlichkeit wurde.
Hier stand einst die Lorcher Kelter. Nur eine kleine Inschrift erinnert heute noch daran. Wenn man von der Stiftskirche halb links hinter dem Tritschler hineingeht, kann man fast von einer heiligen Stätte sprechen. Hier hat Gott angefangen, unter jungen Menschen zu wirken.
Denn wer im Land etwas werden wollte – sei es als Apotheker, Uhrmacher oder Kaufmann – musste nach Stuttgart in die Residenzstadt. Die jungen Burschen lebten dort oft in Mansardenzimmern. Der Plan war, sie zu sammeln und ihnen zu helfen – auch durch Fremdsprachenkenntnisse und Geselligkeit. Doch der Hauptzweck war, Jesus als ihren Herrn und Meister kennenzulernen.
Im Jahr 1901, kurz bevor Frau Christa von Fieber ihre Arbeit begann, sammelte der Generalsekretär Elzeser vom Stuttgarter ZFdM zwei Millionen Goldmark. Damit wurde ein neues Vereinshaus gebaut. Im unteren Bereich befand sich ein Hallenbad. Der Nesenbach war gestaut und erwärmt. Wo haben wir in der Nachkriegszeit ein Jugendhaus mit Hallenbad gebaut?
Das Haus bot viele Zimmer, Ferrelle und Hinterwut sowie einen wunderbaren Saal. In diesem Saal tagte später der erste Landtag von Baden-Württemberg. Es war ein herrliches Haus, das im Krieg enteignet und als Hospital umgewidmet wurde – das Furtbach Krankenhaus.
Hier noch einmal ein Blick: Links die Marienkirche und dahinter das Furtbach Krankenhaus mit dem Vereinshaus. Von der anderen Seite betrachtet, stellte die Stadt stattdessen das Gepflente zur Verfügung. Dort, wo früher der Hospitalhof war, konnte der Stuttgarter Zeefahrt sein neues Gebäude errichten.
Der Gedanke war folgender: Wenn jemand in Stuttgart im christlichen Verein junger Männer war und dann wieder hinausging – als Uhrmacher, Apotheker, wie mein Großvater als Eisenwarenkaufmann – sollte er in seiner neuen Heimat, zum Beispiel in Weilheim-Teg, als Erstes einen christlichen Verein junger Männer gründen.
Wenn die jungen Burschen 27 oder 28 Jahre alt wurden, sollten sie entweder in die altpädagogische oder die hanische Gemeinschaft übergehen. Man sagte dann: „Erich, du bist jetzt zu alt für uns, du kürsch jetzt in Stund.“ Leider klappt das heute nicht mehr. Früher war es ganz klar, dass man einander auch in andere Gruppen und Gemeinschaften weitertransferieren muss.
Albert Knapp und die Fortführung geistlicher Impulse
Ein weiterer, der Stuttgart geprägt hat, war Albert Knapp, ein großer hymnologischer Liederdichter. Er hat die alten Chöre verständlich gemacht und ist einer, an dem wir hängen. Nach einer Predigt von Hofacker hat er das Lied gedichtet:
Eines wünsche ich mir vor allem andern,
eine Speise früh und spät,
unverrückt auf einen Mann zu schauen,
der voll blutigem Schweiß und Todesgrauen
auf sein Antlitz niedersank
und den Kelch des Vaters trank.
Albert Gnerpf
Im Grunde genommen hat er das Werk seines Freundes Hofacker weitergeführt. Auch er ist auf dem Fangelsbach-Friedhof beerdigt, schräg gegenüber dem Grab von Charlotte Reilen. Das Kreuz und die Harfe zieren seinen Gedenkstein.
Noch ein paar Blicke auf Stuttgart: Das ist das Stockgebäude in der Königstraße. Heute sieht es so aus: Fußgängerzone Königstraße, links das Stockgebäude, mit Franz Freund unten drin. Es heißt Stockgebäude, weil dem württembergischen Grafen und Herzog das Geld ausgegangen ist, als das Parterre, der erste Stock, fertiggestellt war. Deshalb hieß es Stockgebäude.
Unten drin sind wunderbare Keller. Wenn Sie mal vorbeigehen bei der Firma Benger-Ribana, gehen Sie auch unten in die Keller. Das sind die alten gräflichen Weinkeller – großartig.
Benger-Ribana: Wilhelm Benger in Degerloch war ein durchschnittlicher Weber. Dann kam Professor Jäger und machte die Erfindung, dass Unterwäsche, die furchtbar juckt und beißt, sehr gesund sei. Die Leute glaubten das und kauften diese Unterwäsche. So konnte Wilhelm Benger eine große Fabrik in Häslach aufbauen und wurde Millionär.
Er hatte vier Töchter und sagte zu ihnen: Wer von euch einen christlichen Mann bringt, bekommt eine halbe Million Goldmark. Die erste, Maria, war Kinderkirchhelferin in Häslach und hat sich den Stadtvikar Weisser geangelt. Dieser hat mit der halben Million die in Konkurs gegangene Diakonissenanstalt in Schwäbisch Hall wieder saniert – einfach hineingegeben.
Der zweite, Dr. Spieth in Maulbronn, Missionssohn, hat mit diesem Geld das Kreiskrankenhaus Maulbronn gebaut. Der Kreis hätte damals kein Geld gehabt. Heute ist es eine großartige diakonische Einrichtung für Mütter mit behinderten Kindern, die lernen, mit schwerbehinderten Kindern umzugehen.
So hat früher christliche Fürsorge gewirkt, als es noch gar keine Kirchensteuer gab – Einfluss eines geistlichen Grundwasserspiegels.
Russische Einflüsse und ökumenische Verbindungen in Württemberg
Ich habe gesagt: Links außen bei dieser Zarenfamilie von Zar Paul und Maria Fedorowna steht links außen Zar Alexander, der dann 1826 abdankte oder gestorben ist – man weiß es nicht genau. Die Dame mit der Harfe in der Mitte ist unsere spätere Königin Katharina, die Schwester von Alexander. Sie hat erneut das Katharinenhospital, das Katharinenstift, ins Leben gerufen.
Der junge Mann, der von seiner Mutter Maria Fedorowna gestreichelt wird, ist der spätere Zar Nikolaus. Die Nikolauspflege in Stuttgart, eine Blindenanstalt, ist eine Stiftung vom Zaren Nikolaus. Sie merken, es hat der einfache Mann, ein Wilhelm Becker, Bänger, zusammen mit Charlotte Reilen und dem russischen Zarenhaus gewirkt, sodass hier ein Netz der Wohltätigkeit in Württemberg entstanden ist.
Sie sehen hier rechts den Schellenturm, einen wiederaufgebauten Turm der Stadtfestung, und links davon die englische Kirche. Die Engländer waren neidisch darauf, dass die Russen so viel Einfluss in Württemberg hatten und wollten das ändern. So wurde 1860 die englische Kirche gebaut. Wenige Jahre später erhielt die englische Kirche auch ein Bild. Auch heute finden dort anglikanische Gottesdienste statt.
Wenige Jahre später wurde für die russischen Vertreter die russische Kirche, die Nikolauskapelle, errichtet. Sie befindet sich am Aufgang, der zum Herdweg hinaufführt, hinter der Diakonissenanstalt. Zuvor fanden die orthodoxen Gottesdienste, die für Katharina benötigt wurden, in der Schlosskapelle in Stuttgart statt.
Hier noch einmal ein Bild von Zar Alexander, der hier in Württemberg seine großen geistlichen Impulse empfing. Auf seiner Rückreise vom Wiener Kongress begegnete er der Frau von Krüdener in Heilbronn. Links sieht man die Frau von Krüdener, rechts ihre Tochter. Wir würden heute sagen, sie war eine Charismatikerin, die am Ende ihres Lebens bedauerte, viele falsche Prophezeiungen gegeben zu haben. Aber sie kannte auch etwas von der Mitte des Evangeliums.
Sie sagte zum Zaren: „Sie lieben vielleicht Gott, aber Sie haben Jesus noch gar nicht als Retter für Sünder erkannt. Demütigen Sie sich, auch wenn Sie Zar sind, als Sünder vor dem Herrn Jesus.“ Dann erschrak sie selbst über das, was sie dem Zar aller Russen gesagt hatte. Doch ihm liefen die Tränen übers Gesicht, und er sagte: „Madame, machen Sie weiter!“
Im Gefolge dieser Erweckung Alexanders brach in Russland eine Erweckung in Petersburg aus. Diese führte dazu, dass in Petersburg eine Bibelanstalt gegründet wurde. Jetzt kommen wir wieder auf Steinkopf, England und Basel zurück. Eigentlich müssten wir gerade weitermachen, aber ich will hier abbrechen.
Sie sehen, Gott benutzt Menschen, oft auch ganz eigenartige Menschen. Er kann Fürsten das Herz lenken wie Wasserbäche. Er kann einfache Leute dazu gebrauchen, sein Reich weiterzutragen. Wir können nur dankbar sein für das, was Gott in dieser Stadt Stuttgart im letzten Jahrhundert geschenkt hat und was dann mit der Arbeit von Christa von Fiebern weiterging.
Ich erinnere mich noch an die erste Evangelisation im zerstörten Stuttgart im kalten Winter 1945/46 in der Schlosskirche mit Kurt Hennig, an die große Evangelisation mit Wilhelm Busch und die großen Jugendwochen 1948/49. Es war ein geistliches Erwachen in Stuttgart. Daraus sind große Jugendtreffen entstanden.
So können wir heute nur bitten: Herr, schenke doch noch einmal so einen Aufbruch, ein geistliches Erwachen! Lass uns nichts von großen Zahlen erwarten, sondern von Menschen, die Du prägst. Darum wollen wir bitten: Herr Jesus, wecke uns auf und lass uns Dir Großes zutrauen. Lass keinen von uns hier sein, der sagt: „Ich bin nicht zu gebrauchen.“ Du kannst große Taten durch jeden von uns tun. Großartig! Amen.