Gott wird Mensch – Leben und Lehre des Mannes, der Retter und Richter, Weg, Wahrheit und Leben ist.
Episode 652: Herrschen oder Dienen, Teil 1.
Die Unfähigkeit der Jünger, Jesu Leidensweg zu verstehen
Wir waren bei der Frage stehen geblieben, warum die Jünger Jesus nicht verstehen. Er spricht von seiner bevorstehenden Verurteilung durch den Hohen Rat, seinem Tod und seiner Auferstehung. Doch bei den Jüngern kommt nichts davon an.
Warum ist das so? Weil es in ihrem Denken keinen Platz für einen leidenden Messias gibt. Und wie wenig Platz sie für das Konzept eines verworfenen Messias haben, der sich die Sünden des Volkes auflädt, misshandelt wird und sich wie ein Lamm zur Schlachtung führen lässt, merken wir jetzt.
Das zeigt sich am Thema, das Jakobus, Johannes und ihre Mutter aufbringen. In Matthäus 20,20-21 heißt es: Dann trat die Mutter der Söhne des Zebedäus mit ihren Söhnen zu ihm, warf sich nieder und wollte etwas von ihm erbitten. Er aber sprach zu ihr: „Was willst du?“ Sie sagt zu ihm: „Sag, dass diese meine zwei Söhne einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken sitzen in deinem Reich.“
Glaube und falsche Erwartungen im Umfeld Jesu
Zwei Dinge kommen hier zusammen. Zum einen ist das ein Akt des Glaubens. Die Mutter von Jakobus und Johannes geht zu Jesus und bittet ihn, für ihre Söhne die beiden Ehrenplätze links und rechts vom Thron zu reservieren – obwohl noch nichts davon sichtbar ist.
Sie erwartet, und nicht nur sie, sondern auch ihre Söhne und die anderen Jünger, dass in naher Zukunft gravierende Veränderungen geschehen werden. Sie erwarten, dass Jesus nach Jerusalem geht, um dort seine Herrschaft als König über Israel anzutreten.
In Lukas 19,11 heißt es: „Während sie dies hörten, fügte er noch ein Gleichnis hinzu, weil er nahe bei Jerusalem war, und sie meinten, dass das Reich Gottes sogleich erscheinen sollte.“
Dieser Text spielt etwas später, aber nicht viel später, und zeigt uns gut, was in den Jüngern vorgeht. Sie denken, dass das Reich Gottes sofort erscheinen wird. Mit dem Reich Gottes ist hier die reale Herrschaft des Messias auf Erden gemeint.
Mein erster Punkt ist also: Wir haben es mit einem Akt des Glaubens zu tun. Die Söhne des Zebedäus und ihre Mutter glauben so sehr daran, dass Jesus der Messias ist, dass sie sich schon jetzt die besten Plätze im kommenden Reich Gottes sichern wollen.
Die Forderung nach Ehrenplätzen als Ausdruck von Selbstbehauptung
Zweiter Punkt
Das ist natürlich kein Akt der Selbstverleugnung oder Demut. Was Familie Zebedeus hier macht, ist schon frech.
Markus 10,35-37: Und es treten zu ihm Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedeus, und sagen zu ihm: „Lehrer, wir wollen, dass du uns tust, um was wir dich bitten werden.“ Er aber sprach zu ihnen: „Was wollt ihr, dass ich euch tun soll?“ Sie aber sprachen zu ihm: „Gib uns, dass wir einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken sitzen in deiner Herrlichkeit.“
Bevor wir uns anschauen, wie Jesus darauf reagiert, stellt sich die Frage: Warum schreibt Matthäus von der Mutter, die zu Jesus kommt, und Markus von den beiden Söhnen? Wie erklärt man diesen Unterschied?
Wir kennen die Antwort auf diese Frage schon von einer anderen Erzählung, nämlich der Sache mit dem römischen Hauptmann, der zu Jesus kommt, um für seinen Knecht zu bitten. Einmal, in Matthäus 8, kommt er selbst; ein anderes Mal, in Lukas 7, schickt er die Ältesten. Es handelt sich in beiden Fällen um dasselbe Geschehen, und doch wird es unterschiedlich berichtet.
Warum?
Die Antwort ist: Weil es damals keine Rolle spielte, ob ich sage, ich bin hingegangen, oder ich habe jemanden in meinem Namen hingeschickt. In der antiken Welt war es üblich und akzeptiert, dass eine Handlung durch einen Stellvertreter geschehen konnte. Diese repräsentative Handlung wurde dann dem zugeschrieben, der sie veranlasst hatte.
Für uns bedeutet das: Die Mutter handelt im Auftrag beziehungsweise im Namen der Söhne. Die Söhne schicken ihre Mutter. Manche Ausleger gehen sogar davon aus, dass sie die Tante von Jesus ist. Sie schicken ihre Mutter vor, aber in Wirklichkeit sind es die Söhne, die sich wünschen, zur Rechten und Linken von Jesus zu sitzen.
Markus 10,37: Sie aber sprachen zu ihm: „Gib uns, dass wir einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken sitzen in deiner Herrlichkeit.“
Die Konkurrenz um den inneren Kreis und die falsche Vorstellung vom Messiasreich
Für Petrus, der oft zusammen mit den beiden als der innere Kreis der Jünger bezeichnet wird, bleibt da kein Platz mehr. Die beiden Brüder wollen die wirklich guten Plätze für sich beanspruchen.
Wenn Jakobus und Johannes hier von der Herrlichkeit des Messias sprechen, meinen sie nicht die himmlische Herrlichkeit oder die Herrlichkeit des Messias bei seiner Parusie. Sie denken vielmehr an ein irdisches Königreich.
Theologische Ursachen für das Unverständnis der Jünger
Warum können die Jünger nicht verstehen, was Jesus über seine Verurteilung durch den Hohen Rat, seine Kreuzigung und seine Auferstehung gesagt hat? Ganz einfach: In ihrem theologischen System muss der Messias als Nächstes den Thron besteigen, nicht ein Kreuz.
Er muss gefeiert werden, nicht verachtet. Diese Erwartung verhindert, dass sie auf das hören, was Jesus ihnen eigentlich sagen will.
Die Gefahr theologischer Systeme, die Jesu Botschaft überdecken
Und wir müssen darauf achten, dass wir uns nicht wie die Jünger verhalten. Die Kirchengeschichte ist voller Beispiele für genau dieses Problem. Christen schaffen sich einen theologischen Überbau, und plötzlich tritt das, was Jesus eigentlich sagt, wer er sein wollte oder wofür er steht, in den Hintergrund.
Dabei spielt es keine Rolle, ob unser System – wie bei den Donatisten – für eine übertriebene Form von Gemeindezucht steht, ob wir im Rahmen der Kreuzzugstheologie für die gewaltsame Verbreitung des Evangeliums eintreten oder im Fahrwasser der Aufklärung die liberale Theologie erschaffen, in der es keinen Platz mehr für Jesu Wunder, Auferstehung und seinen Messiasanspruch gibt.
Wir können mit Marcion die Verbindung zwischen Altem und Neuem Testament kappen oder mit Thomas Münzer mystisch und mit revolutionärem Eifer verbinden und Jesus als politischen Erlöser deuten. Ganz aktuell können wir auch in das Horn von Kenneth Copeland oder Joel Osteen stoßen, für die Jesus am Kreuz nicht nur für unsere Sünden, sondern auch für unseren Wohlstand, unseren Erfolg und unsere Gesundheit bezahlt hat.
Außerdem können wir einen strikten Dispensationalismus vertreten, in dem Jesu Herrschaft kaum noch als gegenwärtige Erfahrung gedeutet wird. Oder wir können in einer strengen calvinistischen Systemlogik gefangen sein, in der Glaube nicht mehr Antwort, sondern nur noch Effekt göttlicher Vorherbestimmung ist. Ebenso können wir uns im Perfektionismus extremer Heiligungsbewegungen verlieren, die heute schon einen vollständigen Sieg über die Sünde propagieren.
Es gibt so viele Systeme, und sie alle stehen in derselben Gefahr. Sie können zu einem Überbau werden, der es uns fast unmöglich macht, auf das zu hören, was Jesus uns zu sagen hat.
Versteht mich bitte nicht falsch: Nicht jedes System ist gleich Irrlehre. Aber jedes theologische System wird gefährlich, wenn es uns taub macht für das, was Jesus gesagt hat, wenn die Interpretation den O-Ton übertönt.
Einladung zur offenen und neugierigen Bibellektüre
Was könntest du jetzt tun? Bitte Gott darum, dass er dir den Wunsch schenkt, beim Bibellesen neugierig zu bleiben.
Das war's für heute. Wenn du ihn noch nicht kennst, schau dir meinen YouTube-Kanal bibelglaubegott-frogwords an.
Der Herr segne dich, erfahre seine Gnade und lebe in seinem Frieden. Amen.
