Liebe Geschwister,
früher gab es ja die Blondinenwitze. Heute gibt es immer mehr Altenwitze. Zum Beispiel sagt die kleine Erna zu ihrer Mutter: „Ich hätte gern einen Euro, ich möchte armen alten Frauen einen Euro bringen.“ Die Mutter fragt: „Kann die denn nicht arbeiten? Die sieht doch noch ganz rüstig aus. Was macht die denn?“ Erna antwortet: „Die verkauft Eis.“ Darauf sagt die Mutter: „Und ihr möchtest du dann eine Mark bringen, gell?“
Heute Abend kommen wir zu einem ernsteren Thema. Noch keine Generation vor uns ist so alt geworden wie wir. Ich muss bekennen, dass es manchmal vorkommt, dass ich in einem Gottesdienst nicht so recht aufpassen kann. Pfarrer können sowieso schlecht bei anderen Verkündigern zuhören. Dann kann man immer noch in den normalen Gesangbüchern hinten die Lebensläufe der Liederdichter und Komponisten studieren – das ist hochinteressant. Dabei stellt man fest, dass das Durchschnittsalter in früheren Jahrhunderten bei 32 bis 35 Jahren lag.
Und wir kommen uns mit nahezu 80 Jahren noch recht rüstig vor, gell? Deshalb stellt sich immer die Frage: Ist das etwas Ungewöhnliches mit unserer Generation? Liegt das bloß an den Medikamenten oder was ist der Grund, dass wir so alt werden? Warum lässt uns Gott alt werden?
Manchmal taucht Gott bloß noch in den Traueranzeigen auf. Jetzt karikiere ich: „Nach Gottes unerforschtlichem Willen ist unser lieber Uropa, Großvater, Vater, Onkel im Alter von 94 Jahren ganz plötzlich von dieser Welt, von Gott abgerufen worden.“ Wir sind nicht mehr bereit, überhaupt ans eigene Sterben zu denken oder daran, dass man irgendwann aufhören sollte.
Vielleicht lässt uns Gott alt werden, damit wir uns endlich auf die Ewigkeit vorbereiten. Wir haben von Maimonides, dem jüdischen Rabbi, gehört, dass Gott manchmal im Alter eine Zulage gibt, um ihn zu erkennen. Vielleicht gibt er unserer Generation eine solche Zulage, damit wir endlich wach werden und uns auf die Ewigkeit vorbereiten.
Nicht einmal über unserer Traueranzeige steht: „Wenn die Kraft zu Ende geht, ist der Tod Erlösung.“ Sondern wir wissen um eine andere Erlösung. Durch den Tod gehen wir hin zum Erlöser Jesus.
Gottes Zuspruch zum Alter
Heute Abend werden wir, um wach zu bleiben, nur ein wenig in der Bibel blättern. Zuerst meine These: Gott liebt das Alter. Gott sagt Ja zum Alter. Es ist keine Strafe und keine Bewährungsprobe, sondern Gott freut sich, wenn Menschen alt werden.
Die erste Stelle ist 2. Mose 23,25: „Ihr sollt dem Herrn, eurem Gott, dienen, dann wird er dein Brot und dein Wasser segnen. Und ich will alle Krankheit von dir wenden, es soll keine Frau in deinem Land eine Fehlgeburt haben oder unfruchtbar sein, und ich will dich alt werden lassen.“
Gott sagt also Ja zum Altwerden. Wer das nicht glaubt, der kann in Jesaja 65 nachlesen, eine Stelle der großen Verheißung. Jesaja 65,20: „Es sollen keine Kinder mehr da sein, die nur einige Tage leben, oder Alte, die ihre Jahre nicht erfüllen. Wer hundert Jahre alt stirbt, gilt als ein junger Mann; und wer die hundert Jahre nicht erreicht, gilt als verflucht und ungesegnet.“
In Vers 22 heißt es weiter: „Denn die Tage meines Volkes werden sein wie die Tage eines Baumes, und ihre Werke werden meine Auserwählten genießen. Sie sollen nicht umsonst arbeiten und keine Kinder für einen frühen Tod zeugen, denn sie sind das Geschlecht der Gesegneten des Herrn, und ihre Nachkommen sind bei ihnen.“
Dann folgt der große Vers: „Und es soll geschehen, ehe sie rufen, will ich antworten, und wenn sie noch reden, will ich hören.“ Unser Gott liebt das Alter. Er sagt nicht, dass in der Weltgeschichte etwas schiefgelaufen ist oder dass die moderne Medizin dafür sorgt, dass Menschen so alt werden.
Wir zitieren gern Psalm 90: „Unser Leben währt siebzig Jahre, wenn es hochkommt sind es achtzig Jahre, und wenn es köstlich gewesen ist, ist es Mühe und Arbeit gewesen.“ Doch Gott ist nicht ein Friedhofswärter, der sagt: „Jetzt bist du dran.“ Gott liebt das Leben.
Hören Sie sich diese Stellen einfach einmal an. Zum Abschluss schlagen wir Apostelgeschichte 17 auf, eine Stelle, die ich in den letzten Tagen beim Lesen auf dem langen Steinbarren noch nie so verstanden habe wie jetzt. Apostelgeschichte 17,26: „Gott hat aus einem Menschen das ganze Menschengeschlecht gemacht, damit sie auf dem ganzen Erdboden wohnen. Er hat festgesetzt, wie lange sie bestehen und in welchen Grenzen sie wohnen sollen.“ Also hat Gott bestimmt, wie lange Menschen leben sollen.
Das hat Gott festgelegt, damit sie ihn suchen, um zu fühlen und zu finden, ob sie ihn wohl finden können. „Und fürwahr, er ist nicht ferne von einem jeden unter uns.“ Das war, was der Apostel Paulus den gelehrten Männern auf dem Areopag in Athen gesagt hat. Damals waren die Griechen noch klüger als heute. Sie haben ihr Geld zusammengehalten und keine riesigen Schulden gemacht.
Den klugen Griechen hat Paulus eine ganz neue Vision gegeben: Gott hat die Welt geschaffen. Er lässt sich nicht von Menschen dienen und braucht nicht ihre schönen Tempel. Er hat bestimmt, wie lange und wie weit die Menschen wohnen sollen. Auch das Alter ist bestimmt, damit sie ihn endlich suchen und finden können. Und er ist ganz nah bei uns.
Wann werden die Menschen Gott endlich finden? Unsere Mutter hat in der Nachkriegszeit, als es keine Schokolade gab – das war eine Seltenheit – uns ein kleines Stück Schokolade versprochen, wenn wir Chöre auswendig gelernt haben. Sie sagte: Drei Strophen gelten nicht, es muss schon ein Paul-Gerhard-Lied mit zwölf Strophen sein, damit es sich lohnt.
Unter den Liedern, die sie uns lernen ließ, war auch das Lied „Ich will streben nach dem Leben, wo ich selig bin“. Ich denke, unsere Mutter hat uns vorbereitet. Ihr jungen Leute lebt auf dieses Ziel hin, dass es bei euch einmal lebendig wird.
„Ich will streben nicht nach dem vergänglichen Leben, ich will mich nicht festkrallen am irdischen Leben, ich will streben nach dem Leben, wo ich selig bin. Ich will ringen, einzudringen, bis ich es gewinne.“
Dort heißt es: „Als Berufener zu den Stufen vor des Lammes Thron will ich eilen. Das Verweilen bringt oft um den Lohn. Jesu, richte mein Gesicht nur auf jenes Ziel, stärke die Schritte, lenke die Schritte, wenn ich Schwachheit fühle.“
Und der Schlussvers lautet: „Du musst ziehen, mein Bemühen ist nur mangelhaft; wo es fehle, spüre die Seele, aber du hast Kraft.“
Das Sehnen nach Ewigkeit und die Vorbereitung auf das Sterben
Es gibt ein Sehnen in der menschlichen Seele nach Ewigkeit. Vielleicht wird dieses Sehnen durch die vielen Eindrücke, die wir heute haben, zugedeckt. Aber das, was der Kirchenvater Augustinus gesagt hat, ist ein ganz entscheidender Satz: „Unser Herz ist unruhig, bis es Ruhe findet, oh Gott, in dir.“
Eigentlich ist in unserem menschlichen Leben, in all unserem Sehnen nach einer glücklichen Ehe, nach lieben Kindern und nach Berufserfüllung, nur ein Abglanz von dem eigentlichen Sehnen. Wir wollen Geborgenheit in der Ewigkeit finden. Wenn wir sehen, dass wir in unserem Beruf etwas leisten, das Bestand hat und nicht übermorgen überholt ist, dann ist das ein Sehnen nach Bleibendem. Wenn wir uns in unseren Kindern oder auch in unserer Gemeindearbeit als Pfarrer, in den Kreisen, die uns anvertraut sind, verewigen wollen, dann ist das letztlich ein Sehnen nach Ewigkeit.
Wo dieses Sehnen fehlt, spürt die Seele eine Leere. Doch du hast Kraft, Jesus, richte mein Gesicht nur auf jenes Ziel!
Zu mir kommen immer wieder Menschen in großer körperlicher Not. Wenn sie hören, dass ich selbst schwer krank war und dass Gott mir noch ein bisschen mehr Leben geschenkt hat, hoffen sie, dass auch ihre schwere Krankheit durch das gemeinsame Gebet gelindert wird – so ähnlich, wie man es früher bei Blumhardt meinte, der heilen konnte.
Gott lässt auch Wunderbares erleben, aber er macht auch Menschen bereit für die Ewigkeit. So kam einmal ein hoher Geistlicher aus Kasachstan, schwer krank, zu mir und bat: „Bruder Schiffbuch, beten Sie mit mir.“ In meinem Gebet habe ich wohl gesagt: „Herr, du weißt, ob du Gesundheit bereit hast oder ob du uns für die Ewigkeit bereit machst. Dir wollen wir uns anvertrauen, damit wir nicht den Medikamenten, den Ärzten oder unserer Lebenserwartung gehören, sondern dir – damit wir eines Tages bei dir in deiner Ewigkeit sein können.“
Der liebe Amtsbruder antwortete ehrlich: „Ich freue mich noch gar nicht auf den Himmel.“ Er meinte: „Ich möchte zwar einmal in den Himmel kommen, aber nicht so schnell. Es kann ruhig noch ein bisschen warten.“ Deshalb sehe ich es immer so, dass die geschenkten Jahre des Älterwerdens und des Alterns auch eine Schule sind. Sie sind dazu bestimmt, dass wir uns bereit machen lassen für die Ewigkeit.
Jugend und Alter im biblischen Blick
Ich muss den Gedanken dazwischen schieben: Die Bibel ist keineswegs so fasziniert von der Jugend, wie es heute oft der Fall ist. Heute haben wir regelrecht einen Jugendkult. Sobald jemand über sechzig ist, gilt er als „jenseits von Gut und Böse“ und wird kaum noch gebraucht.
In der Bibel ist es eher so, dass man für die Aufgaben im Reich Gottes manchmal zu jung ist. Jeremia hat gesagt: „Moment mal, das kann ich nicht, ich bin zu jung.“ Und Gott hat nicht gesagt: „Du bist doch kräftig, du bist gut, du hast Kraft.“ Stattdessen sagte er: „Ich bin mit dir.“ Das ist ein Geheimnis. Du bist zwar jung, aber Gott ist mit dir.
So hat Paulus seinem Schüler Timotheus gesagt: „Niemand verachte dich wegen deiner Jugend.“ Damals dachte man über den jungen Timotheus: Was hat er schon zu bieten? Doch wenn Gott mit dir ist, dann steckt auch bei jungen Leuten ein Segen drin.
Als der Vater Isai seine Söhne vorführte, um zu sehen, ob einer von ihnen zum König gesalbt werden sollte, sagte Elia: „Der Herr sieht das Herz an, nicht die äußere Erscheinung.“ Da waren viele große und stattliche Jungen dabei, Aminadab, Sama, und andere. Aber Elia fragte: „Sind das alle Knaben? Wir haben nur den Kleinen, den Stippich, der ist draußen bei den Schafen.“ Und als er kam, sagte Elia: „Auf, salbe ihn!“ Den jungen Kerl!
Später, als David im Kampf gegen Goliath bereitstand, sagten die Leute: „Du bist zu jung, das geht nicht.“ Früher hatte man also kein großes Zutrauen zur Jugend. Man glaubte nicht, dass die Jungen es schaffen, dass sie Kraft, Vitalität und Begabung besitzen.
Die Bibel rechnet damit, dass Gott seinen Segen auch bei den Alten gibt. Bei denen, bei denen wahr wird: „Meine Zeit steht in deinen Händen.“
Fruchtbarkeit im Alter als Gottes Segen
Es gibt eine Stelle, die ich Ihnen bitte aufzuschlagen: Psalm 92. Schreiben Sie sich einfach die einzelnen Verse auf, in der Hoffnung, dass ich auch die richtige Stelle nenne: Psalm 92, Verse 14 bis 16.
Dort heißt es: Die, die im Haus des Herrn gepflanzt sind, die daheim sind in der Gemeinde Gottes, gegründet im Wort Gottes, die eine Sehnsucht nach der Gottesgegenwart haben, werden in den Vorhöfen unseres Gottes grünen. Wie ein Zweig, der sich in Frühlingskraft weit hinausstreckt von seinem Beet.
So werden Menschen in die Welt hineinwirken, wenn sie in den Vorhöfen des Tempels gegründet sind. Und wenn sie auch alt werden, werden sie dennoch blühen, fruchtbar und frisch sein. Denn sie verkünden, wie der Herr es recht macht. Er ist mein Fels, und kein Unrecht ist an ihm.
Die, die im Haus Gottes gegründet sind, sind ein Bild für eine Pflanze, die ihre Wurzeln in der Gottesgegenwart hat. Gleichzeitig tragen ihre Zweige weit hinaus, fruchtbar und frisch.
In einer unserer Synodaltagungen hat ein Gärtnermeister ein etwas anderes Bild gebraucht. Professor Golwitzer wollte uns vor vielen Jahren anhand eines Beispiels das Förderliche und Hilfreiche im Sozialismus schildern. Er wollte zeigen, was der Sozialismus auch von Christen akzeptieren kann und dass er die Lösung der Weltprobleme sei. Das war, bevor der Sozialismus zusammengebrochen ist.
Wir wussten damals nicht, wie wir dem hochgelehrten Professor, der so viel Gutes geschrieben hat, antworten sollten. Wir hatten auch eine gewisse Scheu. Da ist unser Gärtnermeister Fritz Fleckhammer aufgestanden und hat gesagt: „Herr Professor, ich bin nicht gescheit, nicht klug, ich bin Gärtnermeister, und wir ziehen Rettiche. Aber die Rettiche müssen einen Bodenschluss haben, wenn sie etwas werden sollen. Sie müssen unten im Beet fest sitzen, damit der Rettich wachsen kann.“
Und er fuhr fort: „Ich habe den Eindruck, Herr Professor, bei Ihnen war kein Bodenschluss da.“ Damit war die Diskussion erledigt.
Phantasiegebilde brauchen bei uns einen Bodenschluss. Nehmen Sie das Bild: Wir müssen in Gott gegründet sein, dann kann etwas wachsen – nicht Phantasiegebilde.
Und sie werden, auch wenn sie alt sind, dennoch blühend, fruchtbar und frisch sein.
Wir haben zum großen Teil noch die Adenauerzeit erlebt, zumindest in kurzer Rückwirkung. Wenn Sie sich das heute einmal klar machen: Niemand will mehr daran erinnern, dass aus der Stunde Null, aus einem zerstörten Deutschland, die Bundesrepublik wieder aufgebaut worden ist. Und dass sie aus Steuergeldern noch eine Rücklage gemacht hat.
Der Bundesfinanzminister Schäffer hat einen sogenannten Juliusturm angelegt. In den Jahren des Wiederaufbaus, als man die alte pädagogische Hochschule in Bonn zum ersten Bundeshaus ausgebaut hat, sind die Schiffe auf dem Rhein vorbeigefahren und haben geblasen: „Wer soll das bezahlen? Wer hat so viel Geld?“ Denn man wusste, wir müssen sparen, wir müssen uns am Riemen reißen.
Und Herr Adenauer hat in kurzer Zeit nicht nur den Aufbau der Bundesrepublik, die Währungsreform, die Versöhnung mit Frankreich und die großen Entscheidungen nach Israel bewältigt – was alles an weltbewegenden Leistungen war und was selten gewusst wird – er hat auch die zwölf Jahre der Hitlerherrschaft im Kloster Maria Laach bei Bonn verborgen verbracht.
Er war gegründet im Haus des Herrn und hat selbst im Alter Kraft und Mut gehabt, zu entscheiden. Man hat immer über den alten Adenauer gelacht, aber er hatte Kraft.
Die, die im Haus des Herrn gegründet sind, die blühen.
Wir haben in unserer Gemeinschaft der Gymnasialklasse sehr oft Klassenzusammenkünfte. Je älter wir werden, desto mehr scheint es, als wollten wir uns aneinander festklammern. Jedes Mal wird gefragt: An welchen Lehrer erinnern wir uns gerne?
Es war damals schon so, dass uns die Lehrer alle uralt vorkamen, wie jenseits von Gut und Böse. Tatsächlich waren sie damals 45 oder 50 Jahre alt.
Wenn wir fragen, wer war der Sieber oder Borbe? Nein, der Professor Ströhle war eigentlich die eindrucksvolle Gestalt. Er war der einzige unserer Lehrenden, der ein überzeugter Christ war. Er hat drei Söhne im Krieg verloren und war noch im Nationalsozialismus, als wir 1941 im Gymnasium anfingen, bereit, Religionsunterricht zu geben.
An ihn erinnern sich alle gern, die damals noch Weltanschauungsunterricht hatten oder katholisch waren. Das waren Lehrer, das war ein Vorbild, das war eine Persönlichkeit.
Ich denke, wir haben Anschauungsunterricht in unserer Welt: Die, die in den Vorhöfen unseres Gottes gegründet sind, die im Haus Gottes gegründet sind, werden sogar in den Vorhöfen Auswirkungen haben – auch wenn sie alt werden.
Gott sagt Ja zum Altwerden.
Das Alter als Zeit der Fruchtbringung und Reife
Es kann allerdings auch einen anderen Grund haben. Das denke ich immer wieder bei mir, wenn ich an die geschenkte Zeit denke, die mir Gott gegeben hat. Jesus hat das Gleichnis vom Weinbergbesitzer gesprochen. Der Weingärtner sagte: „Dieser Baum bringt jetzt schon drei Jahre keine Frucht, den hauen wir ab, er hindert das Land.“
Doch dann bittet der Weingärtner: „Lass ihn noch dieses Jahr stehen, bis ich um ihn grabe und ihn dünge.“ Er wollte, dass der Baum Frucht bringt.
Überlegen Sie sich das bitte im Altwerden, ob das nicht auch bei Ihnen gilt. Ob Gott uns nicht alt werden lässt, weil er darauf wartet, dass wir Frucht bringen.
Mein Ururgroßvater, ein Schulmeister im Schwäbischen, hat einmal im Alter gesagt: „Alle meine acht Geschwister sind gestorben. Ich bin der Letzte, der noch übrig ist. Ich muss wohl der Schlechteste sein, dass Gott noch wartet, bis aus mir noch etwas wird.“
Das ist das gleiche Beispiel, nicht wahr? „Lass ihn noch dieses Jahr!“
Der große, gesegnete Evangelist Lord Radstock, der englische Evangelist, sagte, wenn man ihn gefragt hat: „Wie geht es Ihnen?“ dann antwortete er: „Ich muss täglich in die Schule gehen.“
Was meinte er damit? Gott gibt ihm seine Lektionen, damit er milder im Urteil über andere Menschen wird. Damit er manches zurechtrückt, was im Leben falsch gelaufen ist durch seine Impulsivität. Damit er nicht klagt über seine Beschwerden. Täglich hat er zu lernen.
Auch im Alter kann es darum gehen, in der Schule Gottes zu lernen. Mit dem, was unseren Gott traurig macht und ihn stört, dass wir das „abhobeln“ und „abschmirgeln“. Er wartet noch darauf, dass da etwas anders wird.
Das Gebet um Erlösung und die Bereitschaft zum Sterben
Eine Frage, die mir in diesen Tagen gestellt wurde, lautet: Darf man Gott auch dann bitten, einen von dieser Welt zu nehmen, wenn man krank ist oder lebenssatt?
Ich habe das bei meiner eigenen Mutter und bei meinem Schwiegervater erlebt. Mein Schwiegervater, ein großer Lehrer der Kirche, hatte plötzlich Sprachstörungen und konnte das, was er im Kopf hatte, nicht mehr ausdrücken. Morgens bei der Andacht betete er: „Herr Jesus, nimm mich von dieser Welt weg, bevor ich vertackle.“ Drei Stunden später wurde dieses Gebet erhört. Er wollte eine Lampe auswechseln, fiel von der Leiter und war tot.
Man darf also darum bitten: „Herr, nimm mich weg.“ Meine Mutter sagte beim dritten Herzinfarkt: „Keinen Arzt mehr holen, ich bin bereit zu gehen.“ Man hat sich dann durchgekämpft – ähnlich wie bei einer Geburt. So wie das Leben oft ein Durchkämpfen bis zur Geburt ist, ist auch das Sterben oft ein Durchkämpfen. Bei meiner Mutter war nur noch eine Base dabei.
Sie konnte sagen: „Ich habe eigentlich alles erlebt, was das Leben mir bieten kann. Mehr kann es gar nicht mehr sein, ich bin lebenssatt – nicht überdrüssig, nicht überdrüssig. Der Herr hat mich alles erleben lassen, Großes, und jetzt bin ich bereit zu gehen.“
Das darf man auch mit seinem Herrn ausmachen. Wenn wir manchmal Angst haben, ob wir durch langes Leiden hindurchgehen müssen und wie wir das bestehen sollen, dürfen wir sagen: „Herr, mach es gnädig mit mir, ich bin bereit zu gehen.“
Die biblische Sicht auf das Alter und die Aufgabe der Senioren
Aber jetzt noch einmal die Grundfrage: Warum lässt uns Gott überhaupt alt werden?
In unseren Gemeinden denken wir oft, wir müssten den Senioren Beschäftigungsmöglichkeiten bieten. Sie könnten doch in unserem Seniorenbautrupp mithelfen, Besuche im Altenzentrum machen oder den alten Menschen Essen geben. Immer wieder erfinden wir neue Aufgaben für sie, als ob das Alter nur dazu da wäre, damit wir irgendwo noch beschäftigt sind.
Das ist ja sehr schön und manchmal auch sinnvoll, wenn Senioren so eingebunden werden. Es gibt viele Aufgaben, die sie übernehmen können. Ich habe Ihnen von meinem Freund erzählt, der in die Demenz abgerutscht ist und eigentlich keinen Satz mehr herausbringen kann – außer beim Beten und beim Bibellesen. Er sitzt in einer Gruppe von alten, dementen Damen und nimmt jeden Morgen seine große Bibel mit, um daraus vorzulesen. Und plötzlich funktioniert die Sprache wieder.
Der Onkel Heiner, als er in hohem Alter gestorben ist, wurde vom Ortsvorsteher von Wilhelmsdorf so beschrieben: Wenn man Heiner Gutbrot von ferne gesehen hat, ging man ihm lieber aus dem Weg, denn man wusste, er würde fragen: „Was ist heute Losung?“ Da konnte man höchstens sagen, dass irgendwas von Gott vorgekommen sei. Er hat die Menschen darauf gedrillt, dass es in Wilhelmsdorf Sitte wurde, sich an der Losung festzuhalten.
Wir wollen uns einprägen, was in der Losung steht, damit es mit uns geht – falls uns der Heiner Gutbrot begegnet und uns fragt, damit wir es wissen. Das war eine geistliche Aufgabe: sich im Ort an der Losung festzuhalten.
Kurz bevor ich am Donnerstag losgefahren bin, hatten wir Besuch von einem älteren Nachbarn. Ich fragte ihn: „Gehen Sie immer noch zu Ihrer verantwortlichen Stelle im Bosch?“ Er antwortete: „Nein, ich werde manchmal zum Rat geholt und bekomme dafür ein gutes Honorar, damit ich ein Kapital habe, um Missionare zu unterstützen.“
Es gibt also sinnvolle und schöne Aufgaben für Senioren. Aber die Antwort der Bibel auf die Frage, warum Gott uns alt werden lässt, ist ein bisschen anders.
Erlösung als Ziel des Alters
Vierte Bibelstelle, die Sie aufschlagen: Epheser 1,14
Brief des Paulus an die Gemeinde in Ephesus, Epheser 1, Vers 14.
Wir haben ja Bibelarbeiten, und deshalb darf ich Sie bitten, das aufzuschlagen. Das große Kapitel, das immer auf den Ton gestimmt ist. In ihm dürfen wir in Jesus sein, umgeben von seiner Nähe, in seiner Atmosphäre, gehalten von ihm, in ihm.
Und da heißt es dann im Vers 14:
Er ist der Heilige Geist, er ist das Unterpfand unseres Erbes, zu unserer Erlösung, dass wir sein Eigentum würden zum Lob seiner Herrlichkeit.
Wenn Gott uns alt werden lässt, hat er das Ziel, dass wir begreifen: Ich brauche Erlösung. Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von diesem Leib? Ich brauche Erlösung von meinem schwachen Leib, von meinem Egoismus, von meinem Nachtragen, von meiner Ungeduld, von dem, was mich von Gott abhält.
Ich brauche Erlösung, und das Ziel ist, wenn er uns erlöst, der ewige Gott, und wenn er im Alter an uns arbeitet, dass wir sein Eigentum würden zum Lob seiner Herrlichkeit.
Ein schwieriger Satz, deshalb ein Beispiel dafür:
Sie wissen, ich erzähle vielleicht viel zu viel Geschichte, aber wir haben in der Nähe bei uns, zwischen Korntal und Lehenberg, das Seehaus, ein Modell, geschaffen von Tobias Merkle, dem Sohn des großen Ratiofarm-Industriellen Adolf Merkle. Der Sohn hat eine Resozialisierungsarbeit aufgebaut für junge Straffällige.
Er hat neulich bei uns in Korntal über diese ganz schwierige Arbeit berichtet, wie junge Menschen, die aus furchtbaren Verhältnissen kommen und bei denen die Sozialarbeiter im Gefängnis denken, vielleicht könnte man sie resozialisieren. Und dann kommen sie ins Seehaus. Mit viel Liebe, aber auch mit einer peniblen Ordnung versucht man, sie einzugliedern in die Gesellschaft.
Jetzt kann ich Ihnen die Zahl nicht genau sagen, aber er sagt, unsere Erfolgsquote liegt bei 25 oder 28 Prozent. Kann sich das lohnen?
Da hat er gesagt, wir kriegen Preise von ganz Deutschland bei dieser Erfolgsquote. Sonst liegt die Erfolgsquote bei zwei bis drei Prozent, dass man Menschen noch einmal resozialisieren kann.
Wie ist die Erfolgsquote unseres Gottes bei denen, die Erlösung bedürfen? Hundert Prozent! Zum Lob seiner Herrlichkeit, was er fertigkriegt mit uns Erlösungsbedürftigen. Seiner Hand entreißt mich nichts, wer will diesen Trost mir rauben?
Liebe Geschwister, dazu werden wir älter, damit wir sein Eigentum würden, wir Erlösungsbedürftigen, zum Lob seiner Herrlichkeit, was er für einen Erfolg hat mit denen, bei denen er Erlösung haben will.
Die eine Antwort der Bibel.
Weitergabe des Glaubens an die nächste Generation
Zweite Antwort
Sie sind sicherlich schon oft auf die Formulierung gestoßen, dass ihr Kind und Kindeskind die Herrlichkeit des Herrn verkünden könnt. Wenn dein Sohn dich fragt: „Wie sind wir aus Ägypten gekommen?“, dann sollst du ihm antworten. Es ist immer die Verantwortung der älteren Generation, das, was sie hält – ihren Glauben – an Kind und Kindeskinder weiterzugeben.
Ich nenne Ihnen drei Stellen: Psalm 22,31, Psalm 71,18 und Jesaja 58,21.
Was war das schön einst in der Sonntagsschule im Kindergottesdienst! Damals hatten wir gestandene Männer und Frauen als Kindergottesdiensthelfer, nicht nur ein paar junge Leute. Das waren Väter- und Müttergestalten, die uns Kindern etwas glaubhaft von ihrem Glauben bezeugen konnten – auch wenn sie die Geschichten des Neuen Testaments erzählten.
Heutzutage fehlt weltweit eine Generation von Leuten, die sich in der Bibel auskennen. Seitdem im Kindergottesdienst vor allem Hauptberufliche eingesetzt werden – Diakone, Diakoninnen, Sozialarbeiter –, ist das anders geworden. Früher hatte man frisch Konfirmierte, Posaunebläserspieler, die immer Kindergottesdienst gemacht haben. So sind wir durch diesen Dienst in die Bibel hineingewachsen.
Ich habe meinen Kindern jeden Abend, jedem Einzelnen von meinen vier Kindern, eine biblische Geschichte erzählt. Es freut mich, wenn etwa unsere Jüngste, die als Sozialarbeiterin in einer schwierigen Arbeit in Berlin tätig ist – bei sogenannten Straßenkindern –, sagt, dass diese Kinder aufmerksam werden, wenn sie biblische Geschichten erzählt, so wie ich es ihnen beigebracht habe.
Weitergabe! Weitergabe des Glaubens! In unseren Kirchen wird so viel von der Weitergabe des Glaubens gesprochen. Oft denke ich: Es ist gar nichts mehr da. Was soll denn weitergegeben werden? Von wem? Wir, die Erfahrungen mit unserem Gott haben, es wäre schön, wenn wir das weitergeben könnten.
Vor 14 Tagen war ich eingeladen zu jungen Leuten, die einen freiwilligen sozialen Dienst leisten. Es waren 92 junge Leute da. Ich sollte erzählen, was ich mit Gott erlebt habe. Kurz vor meiner Abreise kam Frau Hiller und sagte, dass ich beim Bewertungsbogen für die 14 Tage an Vorträgen immer die meisten Stimmen bekommen habe – von jungen Mädchen und jungen Männern. Sie haben drei Stunden zugehört, was ich als Erfahrung mit Gott erlebt habe und was man weitergeben kann.
Aber normalerweise, ich weiß nicht, wie es bei Ihnen ist, fragen unsere Enkel nicht danach. Solche Fragen sind selten. Wenn sie fragen, dann sind das seltene Stunden. Sie fragen zum Beispiel: Wie war das einmal im Dritten Reich? Ob man in die Hitlerjugend gehen musste? Dann muss man erzählen, was für ein Ringen das war, bis wir uns frei bekamen, am Sonntagmorgen in den Kindergottesdienst zu gehen.
Langsam merkt man, wie sie aufpassen. Lassen Sie uns eine Brücke finden, auch im Gespräch mit Mitmenschen.
Ich danke auch für alle Gespräche in diesen Tagen, in denen Menschen mir vertraut haben und von den Wegen Gottes in ihrem Leben erzählt haben.
Im Grunde genommen ist heute jeder Mensch so einsam, dass man jeden fragen kann, selbst im Zugabteil. Wenn jemand neben Ihnen sitzt, könnte man einfach sagen: „Es würde mich interessieren, woher Sie kommen und was Sie machen.“ Plötzlich ist es, als öffne sich eine Schleuse, und die Menschen erzählen. Dann dürfen Sie sagen: „Jetzt möchte ich auch von mir etwas erzählen.“
Wir müssen warten. Kierkegaard hat gesagt, wir müssen bereit sein, bis das Stichwort kommt, um den Glauben weiterzugeben. Und alt werden, damit wir Erfahrungen sammeln können. Warum werden wir alt?
Mut zum Leben und zum Leiden im Alter
Dritte Antwort der Bibel: Dass wir Menschen Mut zum Leben machen.
Es gibt so viele krantelnde Großväter und Großmütter. „Ach, sieh mal, mir tut meine Hüfte weh, gell?“ Dieses Klagen, dieses Jeder-durch-den-Weltrekord-im-Klagen-brechen, „oh, meine Brille ist nicht mehr so“. Wir haben ja durch Friedrich Henssler das ganze Klagelied des Alters gehört. So gut kann ich es gar nicht sagen.
Aber man sollte sagen: Jetzt sind wir doch froh, dass uns heute wieder ein Tag geschenkt wird, dass wir überhaupt aufstehen können, dass wir so viel einkaufen können und dass wir in Freiheit leben. Und dass das Frühjahr jetzt begonnen hat, der Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus.
Mut zum Leben machen – und auch zum Leiden. Dass man sagt: „Du, wenn einer dich versteht, dann der Herr Jesus.“ Wir sollen den Mut haben, das zu sagen. Er ist durchs Leiden gegangen. Eine bessere Anteilnahme kann es nicht geben.
Es ist immer komisch, wenn jemand sagt: „Ich habe so furchtbare Schmerzen.“ Wenn man dann sagt: „Oh, das kenne ich, das habe ich auch schon gehabt“, will der andere das gar nicht wissen. Aber wenn wir sagen: „Jesus versteht dich, er kennt das“, dann haben wir Mut, auch das Leiden zu übernehmen.
Und Mut auch zum Sterben. Philipp Friedrich Hiller mit seinen großen Liedern, der selber durch großes Leiden gegangen ist, jahrzehntelang sprachlos war und nicht mehr sprechen konnte, obwohl er Pfarrer war und verkünden wollte. Dann entdeckte er, dass ihm das Dichten und Reimen liegt. So hat er die Bibel verdichtet, komprimiert und in Reimform gebracht.
Dieser Friedrich Hiller hat einmal die Strophe gedichtet:
„Weck in mir den Geist des Glaubens,
dass ich mutig sterben kann.“
Nicht fröhlich, nicht getrost wird keiner fröhlich sterben. Aber: Weck in mir den Geist des Glaubens, dass ich mutig sterben kann.
Das ist mir vor neun Jahren, als ich eigentlich so krank war und nicht mehr an ein Aufkommen dachte, wichtig geworden: dass ich mutig sterben kann.
Hoffnung und Kraft im Alter durch Gott
Ein letztes Bibelwort aus Jesaja 40, das Ihnen vertraut ist: Die auf den Herrn harren, auch im Leiden, auch auf dem Weg zum Tod, auch im Altwerden, bekommen neue Kraft. Sie steigen empor mit Flügeln wie Adler.
Meine Frau und ich durften die letzten sechs Jahre unseres aktiven Dienstes in Ulm an der Adlerbastei leben. Dort befand sich die Stelle, an der der Schneider von Ulm, Albrecht Berblinger, auf Befehl des damaligen Großherzogs seinen Flugapparat ausprobieren sollte. Doch er sagte gleich: „Das klappt hier nicht.“ Oben am Michelsberg könne er fliegen, weil dort die Aufwinde sind. Über der Donau, über dem Strom, gebe es Abwinde, die einen hinunterziehen.
Heute gibt es noch den Spottfest: Der Schneider von Ulm hat das Fliegen probiert, und man sagt, er habe den Teufel in die Donau geführt. Doch nicht der Teufel, sondern die Abwinde waren schuld. Bereits damals gab es etwas, das später Lilienthal begriff: Es gibt Aufwinde. Die Adler müssen nicht flattern wie die Sperlinge, sie werden von den Aufwinden getragen. Das ist es, was Jesaja 40 meint: Sie werden getragen auf Flügeln wie Adler.
Das darf unsere Bitte sein fürs Altwerden, mitten in der Angst vor dem Dementwerden, vor dem Ungeduldigwerden, vor dem Kritischwerden, wenn sich unsere Persönlichkeit verändern sollte. Nein, Herr, ich rechne damit, dass ich auffahre mit Flügeln wie Adler. Und selbst wenn es einmal so weit ist, dass der Arzt sagt oder die Angehörigen meinen: „Jetzt ist es zu Ende gegangen“, dann ist das doch der erste Anfang des Auffahrens mit Flügeln wie Adler.
Weg in mir den Geist des Glaubens, dass ich mutig leben und sterben kann. Lieber Heiland, Du kannst das wirken, Du großer, erbarmender Hirte Deiner Leute. Dass die geschenkte Zeit, die Du uns gewährst, mit all den Erfahrungen unseres Lebens und mit all den Durchhilfen, nur noch dazu dient, dass wir noch enger mit Dir verbunden sind, verankert und gegründet in Dir.
Und dass wir dann merken: Auch wenn wir alt werden, hat das Auswirkungen und bringt Frucht. Du stehst zu Deinem Wort, und wir wollen Dir das nicht bestreiten. Amen.
